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13. Eine Unterredung

Ich wandte mich wieder um und ging zum Meer hinunter. Der heiße Bach erweiterte sich zu einem seichten, bewachsenen Delta, in dem eine Menge von Krebsen und langkörprigen, vielbeinigen Geschöpfen bei meinem Nahen davonkroch. Ich ging bis zum Rand des Salzwassers, und dann fühlte ich mich sicher. Ich drehte mich um und blickte, die Arme in die Hüften gestemmt, auf das dichte Grün hinter mir, in das die Schlucht wie eine rauchende Wunde hineinschnitt. Aber, wie gesagt, ich war zu aufgeregt und – das ist wahr, wenn auch jemand, der die Gefahr nie gekannt hat, vielleicht nicht daran glaubt – zu verzweifelt, um zu sterben.

Dann fiel mir ein, daß mir noch eine Möglichkeit blieb. Konnte ich nicht, während Moreau und Montgomery und ihr bestialischer Pöbel mich durch die Insel jagten, am Strand entlanggehen, bis ich zu dem ummauerten Hof kam? Einen Flankenmarsch um sie herum machen und dann vielleicht mit einem Stein aus der lose gebauten Mauer das Schloß der kleineren Tür zerschmettern und sehen, was ich finden konnte – Messer, Pistole, oder sonst etwas –, um mit ihnen zu kämpfen, wenn sie zurückkehrten?

Ich wandte mich also nach Westen und ging am Wasserrand entlang. Die untergehende Sonne blendete mich mit ihren heißen Strahlen. Die leichte Flut des Stillen Ozeans lief mit leisem Murmeln ein.

Plötzlich fiel die Küste nach Süden ab, und die Sonne war zu meiner Rechten. Dann sah ich unvermutet weit vor mir erst eine und dann mehrere Gestalten aus den Büschen auftauchen – Moreau mit seinem grauen Spürhund, dann Montgomery und noch zwei andere. Da stand ich still.

Sie sahen mich und begannen zu gestikulieren und auf mich zuzulaufen. Ich blieb stehen und beobachtete ihr Nahen. Die beiden Tiermenschen kamen herbeigerannt, um mich vom Gebüsch abzuschneiden. Montgomery lief geradewegs auf mich zu. Moreau folgte langsamer mit dem Hund.

Schließlich raffte ich mich auf, wandte mich seewärts und lief direkt ins Wasser. Das Wasser war erst sehr seicht. Ich war dreißig Meter weit draußen, ehe mir die Wellen bis an die Hüften reichten. Undeutlich sah ich, wie kleine Meerestiere vor meinen Füßen aufschreckten.

»Was treiben Sie, Mann?« rief Montgomery.

Ich wandte mich, bis an die Brust im Wasser stehend, um und starrte ihn an.

Montgomery stand atemlos am Rande des Wassers. Sein Gesicht war leuchtend rot vor Anstrengung, sein langes Flachshaar hing ihm wirr um den Kopf, und seine hängende Unterlippe gab die unregelmäßigen Zähne frei. Moreau kam gerade herzu, das Gesicht bleich und entschlossen, und der Hund, den er an der Leine führte, bellte mich an. Beide Männer trugen schwere Peitschen. Weiter oben am Strand warteten und glotzten die Tiermenschen.

»Was ich anfange? Ich will mich ertränken«, sagte ich.

Montgomery und Moreau sahen sich an. »Warum?« fragte Moreau.

»Weil das besser ist, als mich von Ihnen foltern zu lassen.«

»Ich sagte es Ihnen ja«, bemerkte Montgomery, und Moreau sprach im Flüsterton mit ihm.

»Warum meinen Sie, daß ich Sie foltern werde?« fragte Moreau.

»Wegen der Dinge, die ich gesehen habe«, sagte ich. »Und wegen der Geschöpfe da hinten.«

»Still!« sagte Moreau und hob die Hand.

»Ich will nicht«, sagte ich; »sie waren Menschen: was sind sie jetzt? Ich wenigstens will nicht wie sie sein.« Ich sah an den beiden vorbei. Am Strand standen M'ling, Montgomerys Diener, und eines von den weißbandagierten Tieren aus dem Boot. Weiter oben sah ich im Schatten der Bäume meinen kleinen Affenmenschen und hinter ihm noch andere undeutliche Gestalten.

»Wer sind diese Geschöpfe?« fragte ich, indem ich auf sie zeigte und meine Stimme mehr und mehr erhob. »Sie waren Menschen – Menschen wie Sie, Menschen, die Sie zu Sklaven gemacht haben, und die Sie noch fürchten. – Ihr, die ihr mich hört«, schrie ich und zeigte auf Moreau und rief die Tiermenschen an: »Ihr, die ihr mich hört! Seht ihr nicht, daß euch diese Menschen noch fürchten, daß sie in Angst vor euch umhergehen? Warum also fürchtet ihr sie? Ihr seid viele ...«

»Um Gottes willen«, rief Montgomery, »hören Sie auf, Prendick!«

»Prendick!« rief Moreau.

Beide schrien durcheinander, als wollten sie meine Stimme übertönen. Und hinter ihnen drohten die starren Gesichter der Tiermenschen; ihre Hände hingen herunter, ihre Schultern waren hochgezogen. Es schien, wie ich mir damals dachte, als versuchten sie, mich zu verstehen und sich auf etwas von ihrer menschlichen Vergangenheit zu besinnen.

Ich schrie weiter, ich weiß kaum mehr, was. Moreau und Montgomery könnten getötet werden; sie seien nicht zu fürchten: das hauptsächlich setzte ich dem Tiervolk in den Kopf – zu meinem eigenen Schaden, wie sich später herausstellen sollte. Ich sah den grünäugigen Mann mit den dunklen Lumpen, der mir am Abend meiner Ankunft begegnet war, aus den Bäumen hervorkommen, und andere folgten ihm, um mich besser zu hören.

Schließlich hielt ich inne, weil mir die Luft ausging.

»Hören Sie mich einen Moment an«, sagte Moreau mit fester Stimme, »und dann erklären Sie uns, was Sie wollen.«

»Gut«, sagte ich.

Er hustete, dachte nach und rief dann: »Latein, Prendick! Schlechtes Latein! Schuljungenlatein! Aber versuchen Sie zu verstehen. Hi non sunt homines, sunt animalia qui nos habemus ... viviseziert. Ein Vermenschlichungsprozeß. Ich will's Ihnen erklären. Kommen Sie an Land.«

»Das Wasser wird gerade hinter Ihnen tief und ist voller Haie.«

»Genau das Richtige für mich«, sagte ich. »Kurz und beinahe schmerzlos.«

»Warten Sie eine Minute.« Er nahm etwas Glitzerndes aus der Tasche und warf es vor seine Füße. »Das ist ein geladener Revolver«, sagte er. »Montgomery hier wird das gleiche tun. Jetzt gehen wir den Strand hinauf, bis Sie die Entfernung für sicher halten. Dann kommen Sie und nehmen Sie die Revolver.«

»Nein. Sie haben noch einen dritten.«

»Ich wollte, Sie überlegten sich die Sache, Prendick. Erstens habe ich Sie nie gebeten, auf diese Insel zu kommen; zweitens hatten wir Sie gestern nacht narkotisiert; hätten wir Ihnen etwas antun wollen, dann wäre das doch eine viel bessere Gelegenheit gewesen; und drittens, jetzt, wo Ihre Panik vorüber ist und Sie ein wenig denken können – sehen Sie doch Montgomery an; ist er wirklich der, für den Sie ihn halten? Wir haben Sie zu Ihrem Wohl gejagt. Weil diese Insel voller ... feindlicher Phänomene ist. Warum sollten wir Sie erschießen wollen, wenn Sie uns gerade anboten, sich zu ertränken?«

»Warum haben Sie Ihre ... Leute auf mich gehetzt?«

»Wir waren überzeugt, daß wir Sie fangen und außer Gefahr bringen könnten. Nachher verließen wir den Pfad – um Sie zu retten.«

Ich dachte nach. Es konnte stimmen. Dann fiel mir wieder etwas ein.

»Aber ich habe«, sagte ich, »in der Ummauerung ...«

»Das war der Puma.«

»Hören Sie, Prendick«, sagte Montgomery, »Sie sind ein alberner Esel. Kommen Sie aus dem Wasser, nehmen Sie die Revolver und reden Sie. Wir können dann nicht mehr tun, als wir jetzt könnten.«

Ich will gestehen, daß ich Moreau noch, ja, immer mißtraute und ihn fürchtete. Aber Montgomery war ein Mann, dem ich glaubte.

»Gehen Sie den Strand hinauf«, sagte ich, als ich nachgedacht hatte, und fügte hinzu: »und heben Sie die Hände.«

»Das kann ich nicht«, sagte Montgomery mit einem erklärenden Nicken über die Schulter. »Würdelos.«

»Dann gehen Sie zu den Bäumen hinauf«, antwortete ich, »wie Sie wollen.«

»Es ist eine verdammt alberne Zeremonie«, sagte Montgomery.

Er und Moreau drehten sich um und gingen auf die sechs oder sieben grotesken Geschöpfe zu, die dort im Sonnenlicht standen und Schatten warfen und sich bewegten und doch so unglaublich unreal waren. Montgomery knallte mit der Peitsche nach ihnen, und sofort wandten sich alle ab und flohen blindlings in den Wald. Und als Montgomery und Moreau sich genügend weit entfernt hatten, watete ich an Land, nahm die Revolver auf und prüfte sie. Um mich gegen jedwede Überlistung zu sichern, entlud ich einen, schlug damit gegen einen Lavaklumpen und hatte die Befriedigung, den Stein zerpulvert und den Strand mit Blei bespritzt zu sehen.

Noch zögerte ich einen Moment.

»Ich will's wagen«, erklärte ich schließlich, und mit einem Revolver in jeder Hand ging ich den Strand hinauf auf sie zu.

»So ist's besser«, sagte Moreau unverblümt. »Sie haben mir ohnehin schon den besten Teil des Tages mit Ihrer verdammten Einbildung verdorben.«

Und mit einem Anflug von Verachtung, der mich demütigte, machten er und Montgomery kehrt und gingen mir schweigend voran.

Die Tiermenschen standen noch immer verwundert hinter den Bäumen. Ich ging so unbefangen wie möglich an ihnen vorbei. Einer fuhr auf und wollte mir folgen, aber er zog sich zurück, als Montgomery mit der Peitsche knallte. Die anderen blieben schweigend stehen – sie beobachteten mich. Vielleicht waren sie einmal Tiere gewesen. Aber ich hatte noch nie gesehen, daß Tiere zu denken versuchten.


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