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23. Kapitel
In Drury Lane

»Sie werden jetzt,« fuhr der Unsichtbare fort, »alle Nachteile meiner Lage begreifen. Ich hatte kein Obdach, kein Gewand – und Kleider anlegen, hieß so viel, als mich aller meiner Vorteile zu begeben, und etwas Seltsames und Fürchterliches aus mir zu machen.«

»Daran hatte ich gar nicht gedacht,« sagte Kemp.

»Auch ich nicht. Und der Schnee hatte mir auch andere Gefahren gezeigt. Ich konnte im Schnee nicht umhergehen; er hätte sich auf mir festgesetzt und mich verraten. Auch der Regen hätte mich als den wäßrigen Umriß eines Menschen – eine Art Seifenblase – sichtbar gemacht. Überdies sammelte sich – wenn ich in London umherging – Schmutz an meinen Knöcheln, Staub auf meiner Haut. Ich wußte nicht, wie lange es dauern würde, bis ich auch infolge dieses Umstandes sichtbar werden würde. Aber ich wußte recht wohl, daß es nicht gar zu lange währen könnte.«

»Keinesfalls lange in London.«

»Ich ging durch verschiedene Hintergäßchen gegen die Great Portland Street zu und war bald am Ende der Straße, in der ich gewohnt hatte, angelangt. Dort machte ich halt, weil noch immer eine große Menschenmenge die rauchenden Trümmer des Hauses umstand, welches ich in Brand gesteckt hatte. Meine vornehmlichste Sorge war, mir Kleider zu verschaffen. Ich sah in einem der kleinen Trödlergeschäfte, wo Zeitungen, Süßigkeiten, Spielzeug, Papierwaren, Christschmuck usw. feilgeboten werden, eine Reihe von Masken und falschen Nasen und kam wieder auf den Gedanken zurück, den die Spielwaren im Basar in mir hervorgerufen hatten. Nicht länger ziel- und planlos, wendete ich mich um und lenkte meine Schritte, die belebten Straßen vorsichtig vermeidend, nach den Hintergäßchen am Strand; denn ich erinnerte mich dunkel, in jener Gegend verschiedene Verkaufsläden mit Theaterkostümen gesehen zu haben.

Es war ein kalter Tag und ein scharfer Nordwind fegte durch die Straßen. Ich ging schnell, um von niemand überholt zu werden. Jede Kreuzung brachte Gefahr, jeder Passant mußte aufmerksam beobachtet werden. Überdies hatte ich mich von neuem erkältet und lebte in fortwährender Angst, daß mein Niesen die Aufmerksamkeit auf sich lenken könnte.

Endlich erreichte ich das Ziel meines Suchens, einen schmutzigen, kleinen Laden in einer Seitengasse von Drury Lane, mit einem Schaufenster voll Theaterflitter, falscher Juwelen, Perücken, Schuhe und Dominos. Der Laden war altmodisch, dunkel und niedrig und lag in einem unfreundlichen, dunkeln, vierstöckigen Hause. Ich spähte durch das Fenster, sah niemand drinnen und trat ein. Das Öffnen der Tür setzte eine lärmende Glocke in Bewegung. Ich ließ die Tür offen und ging um eine leere Kleiderpuppe herum hinter einen hohen Stehspiegel in eine Ecke des Ladens. Eine Minute lang zeigte sich nichts. Dann hörte ich schwere Tritte durch ein Zimmer gehen und ein Mann erschien im Laden.

Ich hatte jetzt alles genau überlegt. Meine Absicht war, mich ins Haus einzuschleichen, und wenn alles ruhig sein würde, mir eine Perücke, Maske, Brille und einen Anzug zu suchen und mich der Welt in einer vielleicht komischen, aber immerhin annehmbaren Gestalt zu zeigen. Bei dieser Gelegenheit konnte ich natürlich auch alles Geld, das ich fand, an mich nehmen.

Der Mann, der den Laden betreten hatte, war klein und bucklig, hatte buschige Augenbrauen, lange Arme und sehr kurze, krumme Beine. Augenscheinlich hatte ich ihn bei seinem Mahl gestört. Er blickte mit dem Ausdruck der Erwartung im Laden umher. Dieser gab einem Ausdruck der Überraschung und endlich des Zornes Raum, als er den Laden leer sah. ›Verdammte Buben!‹ sagte er. Er ging zur Tür und blickte die Straße hinauf und hinunter. Bald darauf kam er zurück, stieß die Ladentür zornig mit dem Fuß zu und ging fluchend zu der Tür, die in das Innere des Hauses führte.

Ich trat vor, um ihm zu folgen. Bei dem Geräusch meiner Bewegungen hielt er plötzlich inne. Auch ich blieb, von seinem feinen Gehör überrascht, stehen. Dann schlug er mir die Tür vor der Nase zu.

Ich zögerte. Plötzlich hörte ich, wie sich seine Schritte rasch wieder näherten und die Tür aufs neue geöffnet wurde. Er sah im Laden umher, wie jemand, der seiner Sache nicht ganz sicher ist. Dann untersuchte er, leise vor sich hinsprechend, den Ladentisch, blickte in alle Ecken und blieb endlich unentschlossen stehen. Er hatte die Tür offen gelassen, und ich schlüpfte in das Haus.

Das Zimmer, das ich betrat, war ein armseliger, kleiner Raum mit einem Haufen großer Masken in der einen Ecke. Auf dem Tisch stand sein verlassenes Frühstück und es war eine bittere Aufgabe für mich, Kemp, den Duft des Kaffees einzuatmen und auf der Lauer zu stehen, während er zurückkehrte und seine Mahlzeit fortsetzte. Drei Türen gingen aus dem kleinen Raum, eine führte zum ersten Stockwerk und eine hinunter, aber alle waren geschlossen. Ich konnte nicht aus dem Zimmer, solange er drinnen blieb. Er war so wachsam, daß ich mich kaum bewegen durfte. Mein Rücken war der Zugluft ausgesetzt, und zweimal unterdrückte ich ein Niesen gerade noch zur rechten Zeit.

Die Beobachtungen, welche ich als ungesehener Zuschauer machte, waren neu und interessant, aber trotzdem war ich ihrer herzlich müde und ungeduldig, lange bevor er seine Mahlzeit beendet hatte. Endlich war er fertig, legte die Reste seines Brotes und die Krumen, die er von dem senfbefleckten Tischtuch aufgelesen hatte, auf die schwarze Zinnplatte, auf welcher die Teekanne stand, und nahm alles mit sich hinaus. Seine Last verhinderte ihn, die Tür hinter sich zu schließen – wie er gewiß gern getan hätte. Ich habe niemals jemand gesehen, der auf das Schließen von Türen so erpicht gewesen wäre wie dieser Mann. Ich folgte ihm in eine sehr schmutzige, im Souterrain gelegene Küche, wo ich das Vergnügen hatte, ihm zuzusehen, wie er das Geschirr abzuwaschen begann. Dann stieg ich, als ich fand, daß ich auf dem Steinboden kalte Füße bekam und mein Warten nutzlos war, wieder hinauf und setzte mich in seinen Stuhl beim Kamin. Das Feuer brannte schlecht und ich legte gedankenlos ein wenig Kohle auf. Das Geräusch brachte ihn sofort herauf und er suchte das ganze Zimmer ab – auf ein Haar hätte er mich berührt. Selbst nach eingehender Untersuchung schien er nicht befriedigt. Er blieb auf der Schwelle stehen und warf einen Blick zurück, ehe er wieder hinunterging.

Eine Ewigkeit mußte ich in dem kleinen Wohnzimmer warten; endlich kam er herauf und öffnete die Tür, die zum oberen Stockwerk führte. Ich folgte ihm unmittelbar auf den Fersen.

Auf der Treppe blieb er plötzlich stehen, so daß ich beinahe in ihn hineingestoßen wäre. Er wendete sich um, blickte mir gerade ins Gesicht und lauschte. ›Ich hätte schwören können,‹ sagte er. Er legte die lange, haarige Hand an die Unterlippe und blickte die Treppe hinauf und hinunter. Dann brummte er etwas vor sich hin und stieg wieder aufwärts.

Die Hand auf der Türklinke blieb er von neuem stehen, mit demselben zornig-erstaunten Ausdruck im Gesicht. Er begann meine leisen Bewegungen zu gewahren – der Mann muß teuflisch feine Ohren gehabt haben. Plötzlich brach er in Wut aus.– – ›Wenn jemand hier im Hause ist ...‹ rief er mit einem Fluch, ohne die Drohung zu beendigen. Er steckte die Hand in die Tasche, fand nicht, was er suchte, und eilte geräuschvoll an mir vorüber die Treppe hinunter. Ich folgte ihm nicht, sondern setzte mich auf die oberste Stufe und wartete seine Rückkehr ab.

Bald kam er wieder herauf, noch immer vor sich hinsprechend. Er öffnete die Tür des Zimmers und schlug sie, bevor ich noch eintreten konnte, rasch hinter sich zu.

Ich beschloß nun, das Haus zu durchstöbern; es war sehr alt und baufällig, so dumpfig, daß sich die Tapeten von den Mauern lösten, und voll von Ratten. Die Türangeln waren verrostet und ich fürchtete mich, die Türen zu öffnen. Mehrere Zimmer waren unmöbliert, in anderen lag Theaterkram herum. In einem Zimmer fand ich einen Haufen alter Kleider, die ich zu durchstöbern begann. In meinem Eifer vergaß ich sein scharfes Gehör vollkommen. Ich hörte leise Tritte und blickte gerade zur richtigen Zeit auf, um ihn mit einem altmodischen Revolver in der Hand zu erblicken. Ich verhielt mich ganz still, während er mit offenem Munde argwöhnisch umherschaute. ›Das muß sie gewesen sein,‹ sagte er langsam. ›Verflucht!‹

Leise schloß er die Tür und unmittelbar darauf hörte ich, wie der Schlüssel rasch umgedreht wurde. Dann verklangen seine Schritte und ich wurde mir plötzlich bewußt, daß ich eingeschlossen war. Eine Minute lang wußte ich nicht, was ich beginnen sollte. Ratlos ging ich von der Tür zum Fenster und wieder zurück. Endlich entschloß ich mich, vor allem andern die Kleider zu untersuchen, dabei warf ich aus einem oberen Fach einen ganzen Stoß zu Boden. Dies brachte ihn, noch finsterer blickend, zurück. Diesmal berührte er mich sogar, sprang erschreckt zurück und blieb fassungslos in der Mitte des Zimmers stehen.

Bald beruhigte er sich. ›Ratten,‹ flüsterte er, die Hand an die Lippen legend. Ich glitt leise aus dem Zimmer, aber ein Brett knackte unter meinen Füßen. Dann ging der teuflische kleine Kerl im ganzen Hause herum, sperrte alle Türen ab und steckte die Schlüssel in die Tasche. Als ich mir über seine Absichten klar wurde, bekam ich einen Wutanfall – ich konnte mich kaum so lange beherrschen, bis meine Zeit gekommen war. Jetzt wußte ich schon, daß er allein im Hause sei, so machte ich keine Umstände weiter und schlug ihn nieder.«

»Was?« rief Kemp.

»Ja, ich schlug ihn nieder, während er die Treppe hinabging. Von rückwärts, mit einem Stuhle, der im Flur stand. Er fiel die Treppe hinunter wie ein Sack.«

»Aber hören Sie! Die allgemeinen Gesetze der Menschlichkeit – –«

»Sind sehr gut und wohltätig für gewöhnliche Menschen. Aber die Sache war, Kemp, daß ich aus dem Hause mußte, ohne daß er mich bemerkte, und zwar in einer Verkleidung. Einen anderen Ausweg gab es nicht. Und dann knebelte ich ihn mit einer Louis-Quartorze-Weste und band ihn in ein Betttuch ein!«

»In ein Betttuch!«

»Machte eine Art Bündel aus ihm. Es war eine ziemlich gute Idee; denn so brachte ich den Esel zum Schweigen und machte es ihm verteufelt schwer, wieder herauszukommen. Mein lieber Kemp, es nützt nichts, daß Sie dasitzen und mich anstarren, als ob ich einen Mord begangen hätte. Er hatte einen Revolver. Wenn er mich einmal gesehen hätte, hätte er mich auch beschreiben können.«

»Und doch,« sagte Kemp, »in England – heutzutage! Und der Mann war in seinem eigenen Hause, und Sie – nun ja! Sie beraubten ihn!«

»Berauben! Was Teufel! Nächstens werden Sie mich einen Dieb nennen. Sie sind doch gewiß nicht so töricht, noch nach der alten Pfeife zu tanzen. Können Sie meine Lage nicht begreifen?«

»Aber auch die seinige!« sagte Kemp.

Der Unsichtbare erhob sich. »Was wollen Sie damit sagen?«

Ein Ausdruck der Entschlossenheit trat auf Kemps Gesicht. Er wollte sprechen, bezwang sich aber. »Schließlich,« sagte er in plötzlich verändertem Ton, »mußte es wohl geschehen. Sie befanden sich in einer Zwangslage. Und doch – –«

»Natürlich war ich in einer Zwangslage – in einer höllischen Zwangslage! Und er brachte mich zur Verzweiflung mit seinem Revolver und dem Öffnen und Versperren der Türen. Sie tadeln mich nicht, nicht wahr? Sie machen mir deshalb keine Vorwürfe?«

»Ich mache niemals jemandem Vorwürfe,« erwiderte Kemp. »Das ist ganz unmodern. Was taten Sie dann?«

»Ich war hungrig. Unten fand ich einen Laib Brot und etwas Käse – mehr als genug, um meinen Hunger zu stillen. Ich nahm auch etwas Branntwein mit Wasser und dann ging ich an dem großen Bündel vorbei – es lag ganz still – in das Zimmer mit den alten Kleidern. Dort blickte ich durch eine Spalte im Vorhang zum Fenster hinaus. Draußen war hellichter Tag – blendend hell, im Vergleich mit den dunklen Schatten des unfreundlichen Hauses, in dem ich mich befand. Meine Erregung wich langsam dem klaren Bewußtsein meiner Lage.

Ich begann das Haus systematisch zu durchsuchen. Ich vermutete, daß der Bucklige schon einige Zeit allein dort gewohnt haben mußte. Er war ein sonderbarer Kauz. – Alles, was mir möglicherweise von Nutzen sein konnte, trug ich in das Zimmer mit den Kleidern, um dort eine sorgfältige Auswahl zu treffen.

Ich hatte daran gedacht, mein Gesicht und alles, was von mir sichtbar sein sollte, zu schminken und zu pudern; dies hätte aber den Nachteil gehabt, daß ich Terpentin und andere Mittel und ziemlich viel Zeit gebraucht hätte, um mich wieder unsichtbar zu machen. Endlich wählte ich eine etwas besser geformte Nase, die nicht lächerlicher war als die vielen anderen menschlichen Nasen, dunkle Augengläser, einen grauen Backenbart und eine Perücke. Unterkleider fand ich keine, aber die konnte ich später kaufen; so nahm ich inzwischen einen Domino und einige weiße Halstücher. Auch Socken suchte ich vergeblich, aber die Schuhe des Buckligen waren ziemlich weit und genügten mir. In der Geldlade unten waren drei Sovereigns und 30 Schilling in Silber, und in einem versperrten Kasten, den ich aufbrach, acht Pfund in Gold. So konnte ich, neu ausgestattet, wieder in die Welt hinausgehen.

Dann zögerte ich wieder. War meine Erscheinung wirklich glaubwürdig? Ich versuchte es, mich in dem kleinen Schlafzimmerspiegel von allen Seiten zu betrachten, ob nicht irgendwo eine Lücke klaffe, aber alles schien in Ordnung zu sein. Ich war eine groteske Figur, wie man sie auf dem Theater zu sehen pflegt, aber sicher keine physische Unmöglichkeit. Dann schloß ich die Fensterladen und unterzog mit Hilfe des großen Stehspiegels meine ganze Gestalt einer genauen Untersuchung.

Es dauerte einige Minuten, bis ich den Mut fand, die Tür aufzuschließen und auf die Straße hinauszutreten. Der kleine Mann sollte sich aus dem Tuch wickeln, wann er wollte. Nach fünf Minuten lagen ein Dutzend Straßenbiegungen zwischen mir und dem Laden. Ich schien nicht besonders aufzufallen. Die letzte Schwierigkeit schien beseitigt.«

Er hielt wieder ein.

»Und Sie kümmerten sich nicht weiter um den Buckligen?« fragte Kemp.

»Nein,« erwiderte der Unsichtbare. »Ich habe auch niemals gehört, was aus ihm wurde. Ich vermute, daß er sich losband oder das Tuch zerriß. Die Knoten waren ziemlich fest.«

Er schwieg, ging ans Fenster und blickte hinaus.

»Was geschah, als Sie hinauskamen?«

»O! Nichts als Enttäuschungen erlebte ich. Ich dachte, meine Leiden wären vorüber. Tatsächlich glaubte ich ungestraft tun zu dürfen, was ich wollte – nur mein Geheimnis durfte ich nicht verraten. So dachte ich. Was ich nun tat, welche Folgen meine Handlungen auch haben mochten – mir galt es gleich. Ich brauchte nur meine Kleider abzulegen und zu verschwinden. Niemand konnte mich halten. Ich konnte mir Geld nehmen, wo ich es fand. Ich beschloß, mir ein besonders gutes Mahl zu gönnen, dann wollte ich in einem guten Hotel absteigen und meine Garderobe ergänzen. Ich war erstaunlich hoffnungsselig; es ist nicht besonders angenehm, erzählen zu müssen, was für ein Esel ich war. Ich ging in ein Gasthaus und war schon nahe daran, mein Frühstück zu bestellen, als ich mich besann, daß ich nicht essen konnte, ohne mein unsichtbares Gesicht zu zeigen. So sagte ich dem Mann, daß ich in zehn Minuten zurück sein würde, und ging verzweifelt fort. Ich weiß nicht, ob Sie, wenn Sie sehr hungrig waren, jemals eine solche Enttäuschung erlebten.«

»Vielleicht keine so bittere,« sagte Kemp, »aber ich kann sie mir vorstellen.«

»Ich hätte die dummen Kerle prügeln können. Endlich konnte ich dem Verlangen nach einer anständigen Mahlzeit nicht länger widerstehen, ging in ein anderes Gasthaus und verlangte ein Separatzimmer. Ich sei arg entstellt, erklärte ich. Sie sahen mich neugierig an, aber natürlich war es nicht ihre Sache – und so kam ich endlich zu meinem Mittagsmahl. Es war nicht besonders gut, aber es genügte; und als ich damit fertig war, zündete ich mir eine Zigarre an und suchte einen neuen Plan zu entwerfen. Und draußen stürmte und schneite es.

Je länger ich darüber nachdachte, Kemp, desto besser begriff ich, welch eine hilflose Ungereimtheit ein unsichtbarer Mensch eigentlich ist – in einem kalten und schmutzigen Klima und einer bevölkerten, zivilisierten Stadt. Bevor ich dieses wahnsinnige Experiment machte, hatte ich von tausend Vorteilen geträumt. An jenem Nachmittag erkannte ich die bittere Täuschung. Ich dachte an all die Dinge, die ein Mensch für wünschenswert hält. Allerdings wurde es mir durch meine Unsichtbarkeit möglich, sie zu erlangen, aber zugleich wurde es mir unmöglich, sie zu genießen. Ehrgeiz – was half mir der errungene Platz, wenn ich mich auf demselben nicht zeigen konnte? Liebe – sie konnte mir nicht werden. Politik, barmherzige Werke, Sport – sie flößen mir kein Interesse ein. Und dazu war ich ein vermummtes Geheimnis, die Karikatur eines Menschen geworden.«

Er schwieg und schien einen Blick durchs Fenster zu werfen.

»Aber wie kamen Sie nach Iping?« fragte Kemp, ängstlich bemüht, ein lebhaftes Gespräch in Gang zu halten.

»Dort begann ich zu arbeiten. Ich hatte noch eine Hoffnung, eine unklare Idee. Ich habe sie noch. Jetzt ist sie zur vollen Gewißheit geworden. Ich will zurück! Wieder den alten Zustand herstellen, wann es mir beliebt. Wenn ich alles getan haben werde, was ich unsichtbar tun will. Und darüber möchte ich hauptsächlich mit Ihnen sprechen – –«

»Sie gingen direkt nach Iping?«

»Ja. Ich hatte nichts zu tun, als mein Gepäck und eine Anzahl von Chemikalien kommen zu lassen, um meine Idee auszuführen – ich werde Ihnen die Berechnungen zeigen, sobald ich meine Bücher bekomme – und dann ging ich an die Arbeit. Himmel! Ich erinnere mich noch heute an den Schneesturm, der damals wütete und welche Mühe ich hatte, meine falsche Nase vor der Feuchtigkeit zu schützen –.«

»Zuletzt haben Sie vorgestern,« sagte Kemp, »als man Ihr Geheimnis entdeckte – wie die Zeitungen sagen –«

»Es ist richtig. Habe ich diesen Narren von einem Gendarmen erschlagen?«

»Nein,« antwortete Kemp. »Man hofft, daß er aufkommen wird.«

»Das ist gut für ihn. Ich hatte die Geduld verloren. Die Narren! Warum ließen sie mich nicht in Ruhe? Und der Spezereiwarenhändler?«

»Niemand ist tödlich verwundet,« antwortete Kemp.

»Nur von meinem Landstreicher weiß ich nichts,« sagte der Unsichtbare mit einem unangenehmen Lachen.

»Beim Himmel, Kemp, ein Mann Ihres Schlages weiß nicht, was Wut ist. Jahrelang gearbeitet und geschuftet zu haben, damit irgendein Idiot einem alle Pläne durchkreuzt! – Jeder beliebige Dummkopf auf Gottes Erdboden war förmlich darauf versessen, meine Absichten zunichte zu machen ... Wenn mir das noch oft passiert, werde ich wild – dann mögen sie sich hüten!

Wie die Sachen jetzt stehen, haben sie mir alles tausendmal schwerer gemacht.«


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