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Nach der Erzählung

»Ich weiß«, sagte er nach einer Pause. »Ihnen wird all das völlig unglaublich erscheinen, aber mir ist nur das eine unglaublich, daß ich heut abend in diesem alten vertrauten Zimmer sitze, Ihnen in die freundlichen Gesichter blicke und Ihnen all diese seltsamen Abenteuer erzähle.« Er blickte den Arzt an. »Nein. Ich kann nicht von Ihnen verlangen, daß Sie es glauben. Nehmen Sie's als eine Lüge – oder als eine Prophezeiung. Sagen Sie, ich habe es im Laboratorium geträumt. Denken Sie, ich hätte über die Geschicke unseres Geschlechtes spekuliert, bis ich diese Dichtung ausgebrütet habe. Behandeln Sie meine Versicherung ihrer Wahrheit als einen bloßen Kunstgriff, um ihr Interesse zu erhöhen. Und als Geschichte genommen, was halten Sie davon?«

Er nahm seine Pfeife und begann in seiner altgewohnten Weise nervös damit auf die Roststangen zu klopfen. Es trat eine momentane Stille ein. Dann begannen Stühle zu rücken und Schuhe auf dem Teppich zu scharren. Ich nahm die Augen vom Gesicht des Zeitreisenden und blickte rings auf sein Auditorium. Sie waren im Dunkel, und vor ihnen schwammen kleine Farbflecke. Der Herausgeber blickte scharf auf das Ende seiner Zigarre – der sechsten. Der Journalist griff nach seiner Uhr. Soweit ich mich erinnere, saßen die anderen reglos.

Der Herausgeber stand mit einem Seufzer auf. »Wie schade ist es, daß Sie kein Geschichtenerzähler sind!« sagte er und legte dem Zeitreisenden die Hand auf die Schulter.

»Sie glauben es nicht?«

»Nun – –«

»Ich dachte es mir.«

Der Zeltreisende wandte sich zu uns. »Wo sind die Streichhölzer?« sagte er. Er zündete eins an und sprach blasend über die Pfeife. »Um Ihnen die Wahrheit zu sagen ... ich glaube es selber kaum ... Und doch ...«

Sein Auge fiel mit stummer Frage auf die welken weißen Blumen auf dem Tisch. Dann drehte er die Hand, in der er die Pfeife hielt, und ich sah, er blickte auf ein paar halbgeheilte Narben auf seinen Knöcheln.

Der Arzt stand auf, trat an die Lampe und untersuchte die Blumen. »Das Gynaezeum ist merkwürdig«, sagte er. Der Psychologe beugte sich vor, um besser zu sehen, und hielt die Hand hin, um eine Probe zu bekommen.

»Ich laß mich hängen, es ist viertel vor eins«, sagte der Journalist. »Wie sollen wir nach Hause kommen?«

»Menge Droschken am Bahnhof,« sagte der Psychologe.

»Es ist merkwürdig«, sagte der Arzt; »aber auf jeden Fall kenne ich die Ordnung der Blumen nicht. Kann ich sie haben?«

Der Zeitreisende zögerte. Dann plötzlich: »Sicherlich nicht«.

»Wo haben Sie sie eigentlich bekommen?« sagte der Arzt.

Der Zeitreisende legte die Hand an den Kopf. Er sprach wie jemand, der eine Idee haben will, die ihm entflieht. »Weena steckte sie mir in die Tasche, als ich in die Zeit reiste.« Er blickte sich im Zimmer um. »Ich laß mich hängen, wenn nicht alles verschwindet. Dieses Zimmer und Sie und die Alltagsatmosphäre, das ist zu viel für mein Gedächtnis. Habe ich je eine Zeitmaschine oder das Modell einer Zeitmaschine gemacht? Oder ist alles nur ein Traum? Man sagt, das Leben ist ein Traum, ein ziemlich jämmerlicher Traum zu Zeiten – aber ich kann keinen zweiten aushalten, der nicht passen will. Es ist Wahnsinn. Und woher kam der Traum? ... Ich muß die Maschine ansehen. Wenn eine da ist!«

Er nahm rasch die Lampe hoch und trug sie rot flackernd auf den Gang hinaus. Wir folgten ihm. Dort im flackernden Licht der Lampe sahen wir die Maschine unzweifelhaft genug, breit, häßlich und verquer, ein Ding aus Messing, Elfenbein, Ebenholz und durchsichtig glimmerndem Quarz. Fest für die Berührung – denn ich streckte die Hand aus und befühlte eine Schiene – auf dem Elfenbein mit braunen Flecken beschmiert, auf den unteren Teilen mit Gras und Moosfetzen behangen, und mit einer verbogenen Schiene.

Der Zeitreisende setzte die Lampe auf die Bank und lief mit der Hand die beschädigte Schiene entlang. »Es ist in Ordnung jetzt«, sagte er. »Die Geschichte, die ich Ihnen erzählt habe, ist wahr. Es tut mir leid, daß ich Sie hier in der Kälte herausgebracht habe.« Er nahm die Lampe, und wir kehrten in absolutem Schweigen in das Rauchzimmer zurück.

Er kam mit uns in die Halle und half dem Herausgeber in den Mantel. Der Arzt sah ihm ins Gesicht und sagte ihm mit einem gewissen Zögern, er leide an Überarbeitung, worüber er laut lachte. Ich erinnere mich, wie er in der offenen Tür stand und uns gute Nacht zurief.

Ich teilte mit dem Herausgeber eine Droschke. Er hielt die Erzählung für eine »lustige Lüge«. Ich für mein Teil konnte zu keinem Schluß kommen. Die Erzählung war so phantastisch und unglaublich, die Art des Erzählens so glaubhaft und nüchtern.

Ich lag den größten Teil der Nacht wach und dachte darüber nach. Am nächsten Tag beschloß ich, den Zeitreisenden noch einmal zu besuchen. Man sagte mir, er sei im Laboratorium, und da ich frei im Hause verkehrte, so ging ich zu ihm hinauf. Das Laboratorium jedoch war leer. Ich starrte die Zeitmaschine einen Moment an, streckte die Hand aus und berührte den Hebel. Da zitterte die feste, substantiell aussehende Masse wie ein vom Winde geschüttelter Zweig. Die Instabilität erschreckte mich außerordentlich, und mir kam eine wunderliche Reminiszenz an die Kindertage, wenn mir irgend etwas anzurühren verboten war. Ich ging durch den Gang zurück. Der Zeitreisende trat mir im Rauchzimmer entgegen. Er kam vom Haus. Er hatte eine kleine Kamera unter einem Arm und einen Rucksack unter dem andern. Er lachte, als er mich sah und gab mir einen Ellbogen. »Ich habe furchtbar zu tun,« sagte er; »mit dem Ding da drinnen.«

»Aber ist es kein Ulk?« fragte ich. »Reisen Sie wirklich durch die Zeit?«

»Wirklich und wahrhaftig.« Und er sah mir offen in die Augen. Er zögerte. Sein Auge wanderte im Zimmer umher. »Ich brauche nur eine halbe Stunde«, sagte er. »Ich weiß, warum Sie kommen, und es ist riesig nett von Ihnen. Da sind ein paar Zeitschriften. Wenn Sie zum Lunch bleiben wollen, will ich Ihnen das Zeitreisen bis aufs Tüpfelchen beweisen, mit Proben und allem. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen?«

Ich willigte ein, obgleich ich die volle Tragweite seiner Worte im Moment kaum verstand, und er nickte und ging den Gang hinunter. Ich hörte die Laboratoriumstür zuschlagen, setzte mich in einen Stuhl und nahm eine Tageszeitung auf. Was wollte er vor dem Lunch tun? Dann erinnerte mich eine Annonce plötzlich daran, daß ich mich um zwei mit dem Verleger Richardson zu treffen versprochen hatte. Ich sah auf die Uhr und sah, daß ich nur noch gerade zu dieser Verabredung hinkommen konnte. Ich stand auf und ging den Gang hinunter, um es dem Zeitreisenden zu sagen.

Als ich den Türgriff in die Hand nahm, hörte ich einen am Schluß sonderbar verstümmelten Ausruf, einen Schlag und einen Stoß. Ein Luftzug umwirbelte mich, als ich die Tür öffnete, und von drinnen kam das Geräusch zerbrochenen Glases, das zu Boden fiel. Der Zeitreisende war nicht dort. Ich meinte einen Moment eine geisterhafte undeutliche Gestalt in einer wirbelnden Masse von Schwarz und Messing zu sehen – eine so durchsichtige Gestalt, daß die Bank dahinter mit den Zeichenbogen völlig deutlich war; aber dieses Phantom verschwand, als ich mir die Augen rieb. Die Zeitmaschine war fort. Abgesehen von einem sich legenden Staubwirbel war das hintere Ende des Laboratoriums leer. Eine Scheibe des Oberlichts war offenbar gerade eingeschlagen.

Ich fühlte ein unerklärliches Entsetzen. Ich wußte, daß etwas Seltsames passiert war, und für den Moment konnte ich nicht erkennen, was das Seltsame sein mochte. Als ich noch starrte, ging die Gartentür auf und der Diener erschien.

Wir sahen einander an. Dann begannen Gedanken zu kommen. »Ist Mr. – – dahinaus gegangen?« sagte ich.

»Nein, Herr. Da ist niemand herausgekommen. Ich hoffte, ihn hier zu finden.«

Da verstand ich. Auf die Gefahr hin, Richardson zu enttäuschen, blieb ich und wartete auf den Zeitreisenden: wartete auf die zweite, vielleicht noch seltsamere Geschichte und die Proben und Photographien, die er mitbringen würde. Aber jetzt beginne ich zu fürchten, daß ich ein Leben lang werde warten müssen. Der Zeitreisende verschwand vor drei Jahren. Und wie jedermann weiß – er kehrte nie zurück.


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