Josef Wenter
Tiergeschichten
Josef Wenter

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Eine Pferdegeschichte

Als der Mensch an jenem Morgen in den Llanos am Orinoko die schöne Jungstute aus einer Herde Wildpferde sich ersehen hatte, war er ihr auf seinem Halbblut stundenlang nachgehetzt. Als das verängstigte Tier, abgetrennt von seiner Sippe, verwirrt und müdegejagt, ein wenig abfiel, hatte er den Lasso fliegen lassen. Dann lag die schöne, schlanke Braune mit dem weißen Stirnmal hilflos im Gras und äugte aus hellbraunen, zu Tode erschrockenen Augen groß auf den herankommenden Menschen, daß das Weiße der Augenwinkel sichtbar ward. Die niegesehene Gestalt des Menschen war ein einziger Schrecken, und die nie erhörte Stimme ein gewaltiger Bann.

Der Mensch nannte die junge Stute Vayu. So heißt in einer schönen, klangreichen Sprache alles Bewegliche: die schöne Luft, der flüchtige Wind, die holde Leichtigkeit.

Der Mensch führte das junge Tier auf seine Farm und machte es sich in geduldiger, viele Wochen langer Arbeit zu eigen. Es waren ungeheuere Merken, die er der Kinderseele des schönen Geschöpfs einprägte. Es gab die Hürde, an deren Zaun der Kreis der Freiheit endete; es gab dort Sippen, die vor dem Menschen keinen Schreck empfanden; der Sattel lag eines Tages auf dem Rücken und blieb dort, trotz allen verzweifelten Fluchten; und als der Mensch sich in den Sattel schwang, warf Vayu alle Vier von sich und stieg 45 himmelan. Aber der Mensch und der Sattel blieben auf dem Rücken der Stute. Da gab sie endlich klein bei. Als der Zaum kam, gehörte das wahrscheinlich auch zu dem Menschengewese, und man war mehr neugierig und fühlte bald, daß der Mensch durch diesen Zaum etwas von einem wollte. Sonst war der Mensch ganz auskömmlich. Es war seltsam, und man hörte zu fürchten auf, wenn des Menschen ruhige Stimme einen traf, und seine Hand das glänzende Fell klopfte und streichelte. Den weißen Zucker kannte man auch schon, und langsam verblich der weite Horizont der Freiheit. Man war vielleicht immer beim Menschen gewesen und gehörte zu ihm?

Nach zwei Jahren hatte Vayu von einem herrischen weißen Lipizzaner ein Fohlen bekommen und jetzt sollte sie zum Rennpferd erzogen werden. Der Farmer brachte den Wildling in die kleine Stadt, viele Meilen von der Farm entfernt. Dort sollte die Stute die Reise antreten in die große Stadt, deren Rennställe weit bekannt waren.

Eine Nacht- und Tagreise im Eisenbahnzug ist für einen kaum gezähmten Wildling ein verwirrendes Erlebnis. Zwar, Vayu reiste nicht allein. Im Waggon befand sich hinter einer Barriere ein Percheron. Der war bereits einen Tag unterwegs. Das mächtige Pferd futterte, als die Stute am Halfter schnaubend und polternd den Waggon betrat, aus dem Sack seinen Vesperhafer. Es warf auf und äugte seitlich auf den Ankömmling. Die verwandte Witterung des riesigen Wallachen beruhigte die Stute ein wenig. Sie bekam ihren Futtersack umgehängt, an den der Mensch sie seit Wochen gewöhnt hatte; dann gab es zu trinken. Dann nahm der Mensch Abschied, und Vayu horchte mit spitzen Ohren und starren Augen auf, scharrte den Holzboden, daß 46 der dumpf hallte, und verstand genau, daß sie jetzt allein bleiben müsse. Aber das große Vertrauen auf den Menschen sagte ihr, daß das wahrscheinlich zu ihrem Leben und Gehorsam gehöre. Dann ward die Tür auf einen Spalt zugeschoben, und eine halbe Dunkelheit umgab die beiden Pferde. Man konnte meinen, daß man in der Box des Stalles stehe. Vayu schnobberte aus dem Spalt und äugte spitz in die Dämmerung.

Dann fuhr der Zug an. Die Stute tat einen erschrockenen Schritt rückwärts und hob zu tänzeln an, als sie die Bewegung wahrnahm, und der Wagen zu rattern begann. Angstvoll schnaubte sie über die Barriere zu dem Wallachen, der solche Abenteuer schon öfter erlebt hatte.

Der stand ruhig in seiner Box und döste vor sich hin. Wenn er aufstampfte, dröhnte der Boden. Vayu reckte den schlanken Hals über die Barriere und kollerte freundlich. Da hob der Schwerfällige sein riesiges, langes und breites Gesicht auf und betrachtete aus gewölbten, rötlichbraunen Augen, über die gelbe Haarsträhne fielen, die junge Stute. Dann wieherte er kurz und tief und gutmütig. Aber er schnobberte sich nicht ab mit Vayu. Jahraus, jahrein ging er im schweren Geschirr des Menschen und, weil er vor große Lasten gespannt war, ging sein Leben im Schritt hin. Vor Jahren war er noch manchmal getrabt. Das hatte der Mensch nicht geduldet. Jetzt war längst schon auch seine Seele in Schritt abgefallen. Sie trabte nie mehr. Galoppiert war er wahrscheinlich nie; wenigstens begriff er nicht wozu, wenn er andere Verwandte galoppieren sah. War das der Mühe wert? Gelangte man zum Futtersack nicht auch im Schritt? Schwitzte man im Geschirr nicht auch im Schritt? Warum den Riß des Zaums herausfordern? Der Wallach 47 fühlt genau, daß Vayu eine Stute ist. Was, Stute! Im schweren Geschirr des Menschen war nie Raum für solche Dinge. Und es ist tiefer Herbst. Dumpf kollert der Percheron, und sein schwerer Kopf sinkt wieder hinab.

Dann ist nach vielen Stunden die Fahrt zu Ende. Die Tür wird geöffnet, frische Luft strömt herein, und die Stimme des Menschen ist wieder da. Zuerst wird der Wallach aus dem Waggon gebracht. Polternd und ohne Zeichen von Scheu schreitet das mächtige Tier auf die Rampe hinaus.

Vayu wiehert hell, als sie den Menschen erkennt, und nimmt seine Liebkosungen froh und als guten Lohn für die ausgestandene Angst an. Ihr Vertrauen ist gestärkt, weil sie Hände und Stimme des Menschen wieder hat und nicht betrogen ward! Tänzelnd geht sie am Halfter und nach der langen Dunkelheit freut sie sich des Lichts und des freundlichen Lebens.

Die Stute wird ihrem Trainer übergeben, und dann beginnt die große Arbeit der Erziehung zum Rennpferd. Arbeit? Eine große Lust ist's! Und weil Vayu sorgfältigste Pflege und die gerechten Hände nur des Erziehers erfährt, wächst sie von Woche zu Woche höher in ihre angeborene Adligkeit, wird von Woche zu Woche stolzer, selbstbewußter, sicherer und freier, und das Leben liegt wie eine glänzende Bahn, die die Stute von Tag zu Tag weiter unter die hingaloppierenden Hufe nimmt, vor ihren lustbebenden Nüstern.

Den Menschen hat Vayu viele Tage vermißt und schnaubend und äugend nach ihm Ausschau gehalten: im Stall, in der Reitbahn, im Gelände, jedesmal wann sie fremde Menschenstimmen hörte. Die bekannte Stimme und Witterung ist nie darunter. Die Erinnerung an den 48 Menschen wird blasser. Nie aber, bis zum Tode nicht, wird sie Vayu ganz entschwinden, und nach Jahren noch wird die Stute den ersten Menschen in ihrem Leben genau wieder erkennen.

Über der Arbeit gehen Herbst und Winter hin. Die großen Rennen sind für die Osterzeit anberaumt. – – –

Ein blitzender und kühler Tag scheint über der hochgelegenen Stadt. Schimmernd geht die Sonne über die glänzenden Leiber der Pferde, als sie schnaubend und tänzelnd unter ihren Reitern in die festliche Bahn einziehen. Sie spüren, daß dieser große Tag ein Fest ihrer Sippe ist, und unter den lauten Zurufen der versammelten Menge tänzelt Vayu selbstgefällig und geschwellt von der herrlichen Eitelkeit und dem unbesieglichen Stolz ihrer adeligen Art an der Barriere hin und empfängt die Ströme von Lust und Spannung der Tausende, die ihr zujubeln, als eine gewaltige Steigerung ihrer Freude, zu leben, zu laufen, zu gehorchen, zu siegen. Der Reiter hat Mühe, die Stute ordentlich zum Ablauf zu bringen. Dann senkt die Fahne sich, die Glocke schrillt, und das Feld braust ab.

Hoh, schön ist das Leben, wenn man es unter den Hufen hinwegschleudert, hinein sich stürzt, das Sausende einschlürft in die schäumenden Nüstern! Die erste Hürde! Man kennt sie genau! Schon vorüber? Vorüber! Wer ist noch da? Hoh, die schlanke Freundin aus dem Stall! Man kollert ihr lustig zu. Man hält sich nebeneinander. Noch jemand? Fremde Pferde! Man hat sie gesehen vor dem Start. Kameraden! Freunde! Sippen! Lustig, lustig, wenn man in solch großer Verwandtschaft hinbraust über die Welt! Wo war das? Oh, die Steppe! Die Herde! Die große Freiheit! Der strenge Hengst voraus, und hinter ihm in Staub und 49 Dunst hindonnernd die Sippen! Der große Graben! Ho, wie der Mensch mir hilft! »Go on, Vayu! Hop!« – Ich bin schon darüber! Bist du zufrieden mit mir? – Hoh, gleich kommt die große Hürde mit dem Wasser dahinter! Oh, wie ich sie kenne! Wo sind die anderen? Hinter mir schnaubt es! Neben mir ist nur mehr die Nachbarin aus dem Stall! Brrr, da kollert einer übern Sand! Beinah hätte ich ihn geschlagen! Das darf nicht sein, darf nicht sein! Jetzt ist sie da! Hoh, wie leicht der Mensch jetzt ist! Ich spüre ihn gar nicht! Nur, daß er mir hilft, spüre ich. Uff! Drüber! War das gut? Ja, ja, ja! Was soll ich? Alles hergeben? Jetzt schon? Ich bin nicht müde, gar nicht! Schwitze ich? Ich merke nichts! Sporen? Peitsche? Warum denn? Ich kann auch so! Hoh, die Nase der Nachbarin ist neben meiner Nase! Jetzt will ich die meine vorkriegen! Galopp, Galopp, Galopp! So, jetzt ist die Nase bei meiner Schulter! Galopp, Galopp, Galopp! Jetzt muß sie weiter hinten sein! Ich höre sie nicht mehr schnaufen! Galopp, Galopp! Oh, wie die Menschen schreien! Traab, traaab! Oh ja, jetzt trabe ich auch gerne zur Abwechslung! Soll ich nicht mehr galoppieren? Umkehren? Ja, wie der Mensch will! Hoh, wie er mich abklopft! Wie er mich lobt! Was denn? Das habe ich doch gerne getan! Das freut mich doch! Zucker? Oh ja! Noch Zucker? Oh, ja! Wie ist es schön, mit dem Menschen leben! – – –

Dann kam auch der Mensch, der Vayu aus der Steppe geholt hatte, und lobte die Stute. Vayu erkannte, als er vor sie trat, sofort die Stimme, warf auf, äugte rollend und scharrte mit dem rechten Vorderfuß. Lange starrte sie unbeweglich den wohlbekannten Menschen an und lauschte spitz seiner ruhigen freundlichen Rede, kaute den Zucker, 50 nahm tänzelnd und schnaubend seine Hände an, deren Liebkosungen sie nie vergessen hat. Schnaufend und kollernd gibt sie ihrer Freude Ausdruck und reibt die Nüstern an der Wange des Menschen.

»Hoh, Vayu!« sagt der Mensch zu der aufhorchenden Stute, »jetzt kommst du wieder zu mir, mein Feines! Der Lipizzaner läßt dich grüßen! Freilich läßt er dich grüßen! Er schnobbert mir den Stall aus und findet dich nicht. Er ist ganz unbändig auf dich. Freilich, freilich, mein Kleines! Jetzt wirst du wieder ein schönes Fohlen haben! Wir wollen deinen Namen nicht untergehen lassen. Wollen den spanischen Ahnen Ehre machen, Vayu!«

Dann reiste die Stute im Eisenbahnzug zurück auf die Farm und hatte im nächsten Frühling ein feines Fohlen mit weißen Beinen, weißem Mal über Stirne und Nase, und fleischfarbenen, weiten Nüstern. – – –

Die Jahre gehen hin. Zwei Fohlen noch hat Vayu vom weißen Lipizzanerhengst gehabt. In mehreren großen Rennen ging die Stute als Erste durchs Ziel. Ihr Name ward berühmt. Als dem Menschen ein großer Kaufpreis geboten wurde, gab er Vayu hin und wußte sie in guten Händen.

Als die Stute im Waggon noch die Nüstern an der Wange des Menschen rieb, konnte sie nicht wissen, daß dies ein Abschied für immer war. So oft ist sie in den letzten Jahren gereist und so weit, daß sie sich daran und an die Rückkehr zum Menschen gewöhnt hat. Aber der Mensch hat die schönen Fohlen Vayus und darum wird ihm der Abschied leichter.

»Leb wohl, mein Feines! Und mach mir Ehre, wie bisher! Ich werde dich nicht vergessen, Vayu! Freilich, freilich! Und du mich auch nicht! Wirst ein seines Leben haben! 51 Natürlich! Schnauf nur! Ich weiß schon, daß du mich leiden magst! Leb wohl, Vayu!«

Die Stute lief siegreich noch viele Rennen. Man lobte und verwöhnte sie, und das Leben war schön. Die Menschen hatten alle fast die gleiche gute Art, mit Vayu umzugehen, und die Stute vertraute ihnen und war tief eingeordnet in das menschliche Gewese. Die Erinnerung an die große Freiheit der Steppe kam manchmal blaß und undeutlich, wann sie nachts im Stall das Gewieher eines Hengsts hörte, oder wann sie im Gelände hinter den Hunden im Jagdgalopp neben den Sippen hersprengte.

Den Menschen, der sie aus der Steppe geführt hatte, vermißte Vayu oftmals; und wenn sie fremde Menschen abschnobberte, oder äugend und spitzend vor ihnen stand, die Mähne schüttelte und sich abwandte, dann wußten die nicht, daß die Stute enttäuscht war.

Dann geschah es bei einem Jagdritt, daß Vayu, die einen unbekannten Reiter ungern trug, beim Sprung über einen Zaun die gewohnte Hilfe zu spät und ungewohnt erhielt, plötzlich unsicher, schief aufsprang und beim Landen hängen blieb. Sie überschlug sich, und dabei pfählte ein am Boden liegender Zaunsparren sich tief in den Oberschenkel. Die Wunde heilte bald. Aber weil ein Nerv verletzt war, blieb ein Gefühl von Schwäche und Unsicherheit in dem Bein, und die Stute weigerte sich, größere Hindernisse zu nehmen, bockte und brach aus. Weil sie auch in der Bahn rascher ermüdete und stark zu schwitzen begann; weil sie in die Jahre gelangt war, da der große Ehrgeiz dünner wird, verkaufte der Besitzer des Rennstalls das noch immer schöne Tier einem Fuhrwerkbesitzer.

Vayu ging stolz und versammelt im Geschirr, bekam 52 gute Worte und flüchtige Liebkosungen. Es war der Mensch, dem sie wie immer tief vertraute. Aber vieles beim Menschen war anders als bisher. Der Stall war dumpf, und das Stroh nicht immer sauber. Der Hafer ward sparsamer gemessen, roch manchmal schimmelig, daß Vayu sich lieber an Heu und Häcksel hielt. Die waren zu Zeiten feucht. In der Box daneben stand ein magerer Gaul, der in grauer Frühe angeschirrt wurde und erst wiederkam, als schon die Laterne brannte. Der Mensch ging streng um mit ihm, und Vayu stutzte, warf auf und schnaufte, wenn der Mensch beim Anschirren den steifen Gaul zu Zeiten in die Flanke stieß, daß der erschrocken auf die Seite polterte und dünn kollerte. Dann senkte er den Hals gehorsam, ließ sich das Zaumzeug überwerfen, kehrte steif um, äugte einmal, spielte mit laschen Ohren zu der Nachbarin und schritt gesenkten Kopfes hinter dem Menschen zum Stall hinaus.

Der Menschendienst für die langsam alternde Stute begann später am Tag. Sie wurde gestriegelt und gekämmt, und vor einen Phaeton gespannt. Der Knecht ging dabei nach Laune um, und Vayu war ungeheuer erschrocken und verwirrt, als er ihr, weil sie nicht gleich in die Gabel fand, eine Ohrfeige versetzte. Sie bäumte sofort und riß am Zaumzeug. Der Widerstand reizte den Knecht; er griff zur Peitsche und schlug den Stiel über Vayus Flanke. Jetzt feuerte die Stute wild nach allen Seiten aus. Der Knecht, der den verletzten Stolz des edlen Tieres für Störrischkeit hielt, geriet in Wut und mißhandelte es. Schwitzend, zitternd und stampfend stand Vayu endlich im Geschirr.

Dann kamen böse Zeiten. Der Knecht hatte einen unklaren Widerwillen gegen das stolze Tier gefaßt; er stieß und schlug es bei jeder Gelegenheit, ließ es manchmal 53 hungern und dürsten, und nährte aus solcher Untat einen wachsenden Haß auf die wehrlose Stute.

Vayus Gemüt ward allmählich verwirrt. Ihre einfältige Seele sagte ihr deutlich, daß sie dem Menschen wohlwolle. Gehorsam folgte sie jedem Befehl. Aber es war eine der Bosheiten des Knechts, undeutlich und zornig zu befehlen, wodurch er es dem willigen Tier unmöglich machte, zu gehorchen. Es wußte selten genau, was von ihm gewollt war, und wenn es auch das Rechte tat, erhielt es im Tun einen Schlag oder Stoß. Das Verwirrendste war die böse und zornige Stimme des Menschen.

Wenn die Stute abends im Stall stand, beäugte sie den alten Karrengaul, der matt den Futtersack hin und herschwenkte. Er hatte einen mageren Hals, ein gefurchtes, bekümmertes Gesicht und tiefe Tränensäcke unter den glanzlosen Augen. Das Fell war da und dort abgeschunden, und die nackte Haut schien dünn und schwärzlich vor. Beulen und Striemen waren auf dem faltigen Leib. Es ging eine unfrohe und kränkliche Witterung von ihm aus.

Die Stute kollerte halblaut, schwenkte den Häckselsack wieder in die Krippe zurück und futterte. Ihr Gemüt war ohne Stolz und Freude.

Zu Zeiten, wenn am Morgen die Stalltüre aufflog, wieherte sie frohlockend. Dann war sie in einem Traum befangen, der ihr den guten Stall beim Menschen auf der Farm, oder beim Menschen im Gestüt vorgegaukelt hatte. Wenn sie dann die rauhe Stimme des Knechtes hörte, und seine Schritte herankamen, begann sie vor Schreck zu tänzeln und zu schnauben und stand dann mit spitzen Ohren, zitternd und verhoffend, was man von ihr verlange.

Nicht, daß die Stute den Menschen haßte oder ihm übel 54 wollte oder Rache sann. Dazu war ihr Gemüt zu gutartig. Des Menschen Bann lag herrisch über ihrer Seele; und was der Mensch von ihr wollte, leistete sie in großem Gehorsam. Wenn er sie quälte, widerstand sie nicht mehr; sie wich nur aus, wo es anging. Wahrscheinlich hatte der Mensch zu allem ein Recht, und vielleicht verstand sie seinen Willen nicht genau? Er ist so hoch über ihrem Verstand! Vielleicht lernt sie doch noch, ihn verstehen? Ängstlich tut das gescheuchte Tier seinen Dienst, und es ist kein Raum mehr in seiner Seele, den dunkel und übermächtig der Mensch jetzt nicht besäße. Nicht mehr hell und froh ist ihr Dienen, und stolz, im Gefühl des eigenen Lebens. Überwältiget, unterjocht, vergewaltiget, sucht ihre Seele das Bild des Menschen immer noch zu retten dadurch, daß sie sich tiefer seinem Willen ausliefert.

Dann kommt Vayu in eines anderen Menschen Dienst, in einen anderen Stall. Dort steht die Stute allein, und es ist feucht im engen Gemäuer. Der neue Herr ist gutmütig und ist vom Leben nicht besser behandelt worden, als das alternde Pferd bei seinem letzten Herrn. Es gibt wieder Liebkosungen und freundliche Worte. Vayu horcht auf und schnaubt und wartet auf Schläge und Stöße. Dann gewöhnt sie sich an die neue Art, und ihr Gemüt wird ruhiger. Sie versteht nicht, warum sie freundlicher behandelt wird, da sie doch ihren Dienst nicht besser tut, als bisher, und ihre einfältige Willigkeit und ihr Wohlwollen gegen den Menschen immer die gleichen sind. Darum bleibt Mißtrauen in ihrer Seele, und die Liebkosungen und die guten Worte des Menschen rühren nicht mehr an ihren Stolz, nicht mehr an ihre Eitelkeit, nicht mehr an die vertrauensvolle Tiefe ihrer kindhaften Seele. Sie glätten ihr den Kummer, der 55 lang schon ihres Gemüts sich bemächtiget hat und in ihrem einst so stolzen und frohlockenden Antlitz, in ihrem Gang und ihrer Haltung sich ausdrückt.

Da steht die müde Stute, deren Rücken und Flanken eingefallen sind, nächtelang vor erleuchteten Menschenwohnungen und döst vor sich hin, oder schläft einen unruhigen, gehetzten Schlaf. Dann kommen vielleicht im Traum die Bilder aus der Steppe. Es ist Regenzeit, und der Hengst schreitet vor der Herde her, und das Stutenfohlen bockt neben der Mutter. Schief liegen die Regenwände im kalten Südost und peitschen die Flanken. Jetzt peitscht es den Rücken hin.

Da fährt Vayu aus dem Traum. Der Mensch hat sie mit der Peitsche aufgeweckt. »Ja! Ich bin da! Ich trabe schon an! Es ist glatt. Vielleicht werde ich stürzen. Schwer ist das Geschirr heut. Du brauchst nicht zu schlagen. Ich tue, was ich kann. Ich bin sehr müde und habe große Schmerzen!«

Im feuchten Stall, in Tagen und Nächten unterm nassen Himmel hat Vayu sich einen Rheumatismus geholt, dem sie immer mehr verfällt. Sie fiebert im Gesträng, und das Stehen auf dem harten Asphalt verursacht ihr nicht kleinere Schmerzen, als das Antraben nach langem Stehen. Wenn sie sich warmläuft, geben die Schmerzen nach; aber der Atem will zu längerem Lauf nicht mehr reichen. Dann hustet die Stute, und der Mensch läßt sie im Schritt gehen.

Er hat kein hartes Herz, der vom Leben zerbeulte Mensch auf dem Kutschbock; aber wenn er Fahrgäste hat, muß getrabt werden. Denn was kümmern sich die Leute im Wagen um das Pferd? Sie zahlen und Vayu muß traben.

Vayu wurde mit Salben und stark riechenden Säften 56 eingerieben. Zuerst hielt die Verängstigte diese Prozedur für eine versuchte Feindseligkeit. Aber der Mensch redete freundlich dabei, klopfte die Magere ab und tröstete sie. Die Stute glaubte dann gleich und gerne, daß der Mensch es gut meine. Sie warf ein paarmal mit der alten stolzen Bewegung den Kopf auf, wieherte dünn und schnaufte dankbar. Dann hatte sie ein paar Tage Ruhe im Stall.

Als Vayu wieder angschirrt wurde, begannen warme Tage, und der Frühling rührte Leib und Seele des verhärmten Tiers an.

Der Mann auf dem Kutschbock hatte eine Tagesfuhre übernommen, und die Stute zog ein verliebtes Menschenpaar zur Stadt hinaus, ins Gelände. Den jungen Menschen war es gleichgültig, ob man trabte oder im Schritt fuhr, und so gelangte man gegen Mittag in freie Gründe. Dort ließen die Fahrgäste halten und den Wagen warten. Der Mensch nahm Vayu das Zaumzeug ab und hängte ihr den Futtersack um. Die Straße lag einsam zwischen Wald und Wiesen. Die Wiesen waren eingezäunt, und auf ihnen weideten Pferde.

Die Stute futterte mühselig. Die Zähne sind morsch und abgeschliffen, und zu Zeiten quält der Rheumatismus beim Kauen. Dann schwenkt Vayu den Futtersack und schüttelt die dünne verblaßte Mähne. Der Mensch nimmt ihr den Futtersack ab, und die Stute döst vor sich hin. Es kommt ihr zu Bewußtsein, daß sie im Gelände ist. Sie wittert in den lauen Wind und äugt starr gerade aus. Die Ohren sind spitz nach vorne gerichtet. Vayu lauscht auf das lang nicht mehr vernommene Sausen der Freiheit.

In ihrer Seele rühren sich die wenigen großen Bilder ihres Lebens unklar und verworren, aber mit großer Gewalt. 57 Vielleicht liegen die Llanos vor ihr? Das hohe Gras wallt in eine grüne Unabsehbarkeit hin. Wasserstellen dampfen in der weißen Sonne, spiegeln einen blitzenden Himmel wider. Der trockene Nordwest rauscht im Gras. Herrlich trabt die Herde hinter dem Leithengst in weiten Gängen den riesigen Kreis des Daseins aus. Hoh, Vayu trabt mit ihnen; sie ist der Stolzesten eine unter den Stuten. Hell wiehert Vayu, und helle Antwort kommt ihr aus der Wiese.

Da traben sie heran. Ein brauner Hengst. Hinter ihm Stuten und Fohlen. Hoh, Fohlen! Vayu spitzt, und wie in guten Tagen legt sie die Ohren flach nach hinten, kollert und reckt den mageren faltigen Hals über den Zaun, beschnobbert sich mit den freien Pferden, die im stolzesten Alter sind. Die wittern Vayus Hinfälligkeit und Kränklichkeit, und kennen genau, daß sie im Geschirr des Menschen steht. Sie werfen auf und traben wiehernd davon. Die Stute spitzt und spielt und äugt hochaufgereckt hinter den davonbockenden Fohlen her. Erinnerung an die eigene Mutterschaft überfällt sie im anrührenden Frühling. Aber der Zaun, der Zaun! Vayu lockt und kollert. Die sind schon weit. Da setzt die alte Stute sich in Gang und galoppiert wiehernd den Zaun hin. Sie achtet nicht der Schmerzen, nicht des holpernden Wagens, nicht der Rufe des Menschen, der hinter ihr herhetzt; bis das Gestränge an einem Zaunsparren sich verhängt, und Vayu mit einem Ruck zu Boden gerissen wird.

Von selbst kann die Stute im Gewirr der Stränge nicht aufstehen. Sie liegt und äugt und schnauft und begreift kaum etwas. Dann kommt der Mensch heran, löst die Stränge, hilft ihr aufstehen, und an seiner Hand geht sie in ruhigem Schritt wieder zurück. 58

Der Mensch wundert sich, woher die zerbeulte alte Stute den Galopp nahm. Aber als er den Hetzschrei eines Hengstes draußen im Feld vernimmt; und als gleichzeitig das junge Menschenpaar mit roten Wangen und glänzenden Augen aus dem Wald tritt; da begreift der alte Mensch den Galopp der armseligen Stute. Er klopft ihr gutmütig den Hals ab und redet ihr tröstlich zu; und meint, ob sie nicht vielleicht ihm zulieb auch dann und wann einen flotten Trab im Geschirr gehen möchte?

In Vayus Seele aber sind die großen Bilder der Freiheit wieder versunken. Sie horcht auf die Stimme des Menschen und läßt den Kopf sinken, daß die Lefzen fast den Boden berühren. Die Augen fallen ihr zu vor Müdigkeit. Nur die Ohren spielen zur Menschenstimme; denn vielleicht wird die gleich befehlen. Mit der schütteren verblaßten Mähne geht der Märzwind flüchtig um.

Gegen den Sommer hin wird die Stute schwächer und hinfälliger. Es gibt mehr zu traben, zu ziehen, und dem ist sie nicht mehr gewachsen. Eines heißen Mittags packt sie ein Schwindel, und sie fällt im Gestränge um. Als man sie aus den Seilen befreit, steht sie erschrocken auf und weiß nicht, wie ihr geschah. Man tränkt sie, und sie ist gleich bereit, zu traben, zu ziehen. Der alte Mann weiß, daß es keinen Zweck hat; und weil er es sich nicht leisten kann, dem hinfälligen Tier das Gnadenbrot zu geben, obwohl er es gern täte, bringt er Vayu zum Abdecker. Der beschaut sich das Fell, das struppig, ohne Glanz ist. Vayu spielt mit den Ohren als die Männer reden, und fühlt genau, daß sie von ihr reden. Wahrscheinlich wird es einen anderen Herrn geben. Müde schnobbert die Stute gegen die fremde Stimme und Gestalt. Sie ängstet sich vor jedem neuen Menschen, 59 dem sie untertan werden soll. Denn sie weiß, daß sie den Befehlen des Menschen mit dem Leibe nicht mehr gehorchen kann. Die Seele ist dem Menschen gehorsam und furchtsam untertan bis zum Tod.

Der Abdecker legt Vayu einen Sattel auf, besteigt sie und läßt sie traben. Nur ein wenig rundum im schlechten Hof. Vayu spitzt, trabt hart und stößig, willig und froheren Herzens, als im Gesträng. Erinnerungen steigen auf an die große Zeit beim Menschen. Die Stute versammelt sich, und die glanzlosen Augen werden mutiger; die welken Züge straffen sich ein wenig, sie wiehert heiser und in einer Art mutiger Traurigkeit. Bei der dritten Runde fällt sie in Schritt und kollert dumpf. Der Mensch springt ab, klopft sie freundlich auf die Kruppe und führt sie in den Stall. –

Wieder steht ein glänzender Tag, zu dem die Menschen Pfingsten sagen, über der hochgelegenen Stadt. Sie haben zur Feier des Geistes einen Stierkampf anberaumt.

Vayu, die der Abdecker nach dem gelungenen Trab unterm Sattel den Unternehmern der Corrida verkauft hat, steht mit mehreren, vom Leben unterm Menschen verzehrten Pferden in einer Baracke und ist des Menschenwillens gewärtig, der sie, weiß Gott wohin, weiß Gott wozu, befehlen wird.

Man hat der Stute einen bunt geschmückten Sattel übergelegt, und auch das Zaumzeug ist von einer grellen Farbe. Gehorsam hat Vayu die schmutzige Trense in das verwelkte Maul genommen und kaut hängenden Halses daran. Daß man ihr farbige Litzen in die Mähne flocht, weiß sie nicht. Aber ihre Seele, die eine große und einfältige Menschenkenntnis sich erworben hat, mißtraut den Zurichtungen.

Jetzt springt ein kräftiger Mensch in den schweren Sattel, daß Vayu einen Augenblick in den Hinterbeinen einknickt. 60 Dann fühlt sie den Stich großer Sporen in den Weichen und tut einen erschrockenen Satz. Lautes Gelächter und ein harter Riß im Maul folgen dem gehorsamen Anspringen. Zitternd und schnaubend versammelt das abgekämpfte Tier sich so gut es gehen will, und trabt steif und stößig in die Arena.

Was ist? Soll es mit anderen Pferden laufen? Mit dem harten Sattel auf dem eingesunkenen Rücken und dem schweren Menschen am Zügel, der es hält und zugleich spornt? Oh, vielleicht soll es laufen! Warten nicht die tausend Menschen!? Schreien sie ihm nicht zu? Loben sie es nicht? Die Stute überfällt der große Stolz ihres Geschlechts, und sie galoppiert steif die Barriere entlang. Lautes Gelächter quittiert die hilflos versuchte Versammeltheit des armen Kleppers.

Da brüllt der Stier. Vayu stutzt und verhält. Seit den Tagen der Freiheit kennt sie die gewaltige Stimme. Sie fürchtet sie nicht. Sie horcht, spielt und äugt, und ist vielleicht in den unübersehbaren Llanos? Jetzt donnert der Stier heran. Die Stute tut einen mächtigen Satz, aber das Horn reißt eine breite Wunde in den Oberschenkel.

Dann poltert der Stier davon. Vayu steht, zittert und schwitzt, röchelt dumpf und versteht nicht, warum der Reiter sie nicht hinwegführt. Im Gegenteil! Der Reiter treibt sie an den Stier. Des Pferdes Verstand verwirrt sich. Was hat es mit dem Stier zu schaffen? Beider Leben geht nebeneinander her und ärgert sich nie aneinander. So sind sie erschaffen, und tief ist die Meinung des Erschaffers in der Seele mächtig. Vayu glaubt dem Menschen nicht mehr und setzt ihren Glauben gegen den Willen des Menschen. Zum erstenmal gegen den Willen des Menschen folgt sie ihrem 61 reineren Sinn und verliert das Vertrauen zum Menschen. Vayus Verstand wird irre am Menschen. Aber gegen die Gewalt des menschlichen Leibes, der sie zwischen den Schenkeln und dem verbeulten Zaum hat, kann sie nicht an. So steigt sie kerzengerade auf und wiehert irr. Da dröhnt der Stier heran. Der Mensch rettet sich durch den Sprung aus dem Sattel hinter die Barriere. Vayu ist frei. In gestrecktem Galopp geht sie die Barriere hin und läßt den Stier hinter sich. Den fällt der Degen des Torero. Der Akt ist aus. Vayu wird eingefangen und in den Stall gebracht.

Wie sie schwitzend und blutend steht und nicht gewahrt, daß man ihre Wunde wäscht, tritt ein Mensch vor sie hin, faßt sie am Zaum, betrachtet sie, betrachtet ihr verhärmtes Gesicht mit dem weißen Mal, den ausgemergelten Leib, der nur mehr ein wankendes Gerüst ist.

»Vayu!« Und noch einmal: »Vayu!«

Matt wirft die Stute auf, spielt mit den Ohren, äugt starr in das Gesicht des Menschen.

»Vayu! – – –«

Da hebt die Stute das magere verklumpte Bein und scharrt den Sand.

»Vayu, mein Feines! Also bist du's doch! Hab ich doch deinen Galopp und dein Gesicht erkannt! Oh, mein Kleines, was haben sie aus dir gemacht! Freilich, freilich, ich bin es schon. Ich!«

Die Stute hebt die grauen faltigen Nüstern an die Wange des Menschen, wo sie sich gerne gerieben hat. Der Zucker fällt ihr beim Kauen aus dem Maul. Dann sinkt sie wieder in sich zusammen. Der Mensch weiß, daß hier der Tod Barmherzigkeit und Gebot ist. Er kauft Vayu 62 kurzerhand um den doppelten Preis von dem Unternehmer und läßt sie abschirren.

Aber es käme gleich noch ein Corrida! In der werde das Pferd doch den Rest kriegen, und das sei schließlich das Beste für solchen Klepper. Aber wie der Herr wolle! – – –

Dann führt der Mensch Vayu aus dem Stall. Es geht gegen Abend, und jenseits der Arena breitet das Land unübersehbar sich hin. Der Mensch klopft den faltigen Hals der Stute ab und die eingesunkenen blutenden Weichen, sagt ihr gute und freundliche Worte und streichelt die magere Kruppe. Er spielt mit den greisenhaften Nüstern, eine Liebkosung, die Vayu besonders gern gehabt hat. Unter der herzfreundlichen Magie des Menschen, der das Tier aus der großen Freiheit in die gefährliche Botmäßigkeit des Herrn der Erde gebracht hat, kehren in der müden Seele des Pferdes verworrene Erinnerungen wieder und versinken alsbald.

Mühselig hat es sich ein wenig versammelt und mit mißtrauischen, spitzen Ohren den Worten des Menschen gelauscht. Dann hat es den Kopf abgewendet und die Ohren nach hinten gelegt. Der Mensch kennt dem Tier an, daß das Vertrauen zerstört ist. Vayu äugt in die Weite und wiehert so dünn, daß es fast wie ein Verlöschen ist. Es ist, als ob sie zu sich selber und zu ihrem unverderbten Dasein zurückkehrte.

Da zieht der Mensch die Pistole und schießt Vayu durch die Schläfe. Sie wirft auf, schwankt auf den mageren Beinen, knickt ein und liegt dann auf der Erde, wie sie am ersten Lebenstag neben der großen braunen Mutterstute gelegen ist, draußen in den unabsehbaren Llanos, in der großen Freiheit. Der Mensch streichelt den abgehärteten Hals. Er hat feuchte Augen.

 


 


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