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Die Frau Herrmann konnte vor brennender Ungeduld die Rückkunft ihres Mannes nicht in der Stube abwarten: kein Tropfen Kaffe schmeckte ihr: sie mußte sich schlechterdings in die Thür stellen, wo sie noch mit glühenden Backen stand, als ihr Mann um die Ecke der nächsten Gasse herum kam. Gern wäre sie ihm entgegengegangen, wenn ihr nur der leidige Wohlstand nicht verboten hätte, sich im Neglische über die Thürschwelle zu wagen. – Warum geht er nur so langsam? – Ach! da führt der böse Feind gar einen Mann her, mit dem er spricht! – Die arme Frau möchte vergehen über dem ewigen Geschwätze: der Hals wird ihr ganz trocken, sie schmachtet vor Erwartung, sie kann auf keiner Stelle bleiben, thut bald einen Schritt vorwärts, bald einen rückwärts – Izt nehmen sie Abschied; izt kömmt er. – »Was wollte der Graf?« schwebt ihr schon auf der Zunge, sie steht unbeweglich da und strebt ihm mit Kopf 60 und Brust entgegen – »Was woll« . . . ist schon ausgesprochen – O so muß doch der leibhafte Teufel mit im Spiele seyn: nicht zwey Schritte ist er von der Thür, da ruft ihn der Herr Nachbar ans Fenster: man möchte unsinnig werden: vor heute Abend erfährt die arme Frau gewiß nichts. – Die Thränen stehen ihr schon in den Augen vor Aerger, und dreymal knirscht sie unwillig mit den Zähnen – aber nein! sie hatten einander nur ein Paar Worte zu sagen, und der Mann kömmt mächtig dahergeschritten.
»Was wollte der Herr Graf?« rief ihm die Frau mit freudigem Tone entgegen, indem sie auf die unterste steinerne Stufe vor der Thür herabstieg. – Der Mann gieng in das Haus und antwortete nichts. – »Adam, was wollte der Herr Graf?« wiederholte sie mit etwas stärkerer Stimme, als sie hinter ihm drein in den Hof gieng.
Der Mann. Was wollte er?– Nicht viel Gescheidtes! was solche Leute immer wollen!
Die Frau. Nun? so erzähle mir doch, 61 Adamchen! – Dachte er nicht an unsern Heinrich?
Der Mann. Mehr als zu viel! – Das ist heiß! – (und so jagte er mit seinem Stocke ein Paar Hühner von einer alten Schnizbank und nahm ihren Platz ein.)
Was sagte er denn von unserm Heinrich? sezte die Frau das Gespräch fort, indem sie sich mit halbem Leibe auf des Manns linke Schulter legte.
Der Mann. Kannst du dir einbilden, Nillchen? Er will unsern Jungen zu sich auf das Schloß haben und einen Narren aus ihm machen.
Ach! – that die Frau einen lauten Schrey vor Freude.
Der Mann. Aber ich hab' es ihm rund abgeschlagen.
Die Frau. Abgeschlagen! – (Dies sprach sie mit der leisen erlöschenden Stimme eines Kranken, der eben abscheiden will: in den Augen zogen sich schon eine Menge wehmüthige Feuchtigkeiten zusammen.) 62
Der Mann. Mein Junge soll nicht so ein Taugenichts, so ein Tagedieb werden, wie die Schlaraffengesichter, die da beständig hinter dem Grafen drein ziehen.
Die Frau. So eine hohe Gnade! und abgeschlagen! – Du bist ein recht ungeschlifner Mann – (wobey er einen wegstoßenden Schlag von ihrer Hand bekam.)
Der Mann. Der Graf mag seine Gnade für sich behalten; ich brauche sie nicht. Nicht den Hut nehme ich dafür ab. – Wo willst du hin, Nillchen?
Die Frau. Zur Frau Gräfin, um ihr zu sagen, daß mein Mann den Verstand verloren hat. –
Nillchen! bleib hier! antwortete er ganz gelassen und zog sie bey dem Rocke von hinten auf die Bank zurück.– Wenn du einen Schritt thust, Nillchen, fuhr er mit gesezgebendem Tone fort, um den Jungen bey der Gräfin anzuschmarotzen, so schließ ich ihn oben in den großen Kleiderschrank, daß ihn der Teufel nicht herauskriegen soll, so lange ich nicht will; und müßt' er gleich darinne verschmachten. 63
Die Frau. Das kannst du: ich geh doch. Ich will deine Grobheit nicht auch auf mich kommen lassen. –
Nillchen, sagte der Mann mit dem nämlichen kalten Blute und zog sie auf die nämliche Art bey dem Rocke zurück – da! halte meinen Stock! ich komme gleich wieder. –
Sie sezte sich; er gieng und kam nach einigen Minuten zurück. – Nun kannst du zur Gräfin gehn, sprach er trocken, nahm ihr seinen Stock ab und sezte sich.
Die gute Frau vermuthete wohl hinter dieser plözlichen Sinnesänderung einen bösen Streich und gieng also mehr aus Neubegierde, um zu sehen, ob er wirklich die Tollheit begangen habe, den kleinen Heinrich einzuschließen. Sie rief an dem Kleiderschranke und in allen Winkeln: nirgends war ein Heinrich, der ihr antwortete. Ihre Empfindlichkeit wurde durch dieses hämische Verfahren noch mehr gereizt – denn sie glaubte wirklich, ihr Mann habe ihn irgendwo versteckt – und wollte ihren Willen deswegen schlechterdings durchsetzen: hastig warf 64 sie einen Theil ihres Neglisches von sich und wollte sich anputzen, um zur Gräfin zu gehn. Sie eilte zur Kommode – sie war verschlossen: Zum Schranke – er war verschlossen. Nun merkte sie wohl die Bosheit: ihr Mann hatte ihr vorhin, als er sie verließ, alle Kleider eingeschlossen und die Schlüssel zu sich gesteckt.
Sie wußte nicht, ob sie zu ihm zurückgehn oder bleiben sollte: endlich entschloß sie sich kurz, legte ihr Neglische wieder an und wanderte in den Hof zurück, fest entschlossen, Aerger und Verlegenheit zu verbergen.
Warum gehst du denn nicht? fragte der Herr Ehegatte, tückisch nach ihr hinschielend.
»Ich will warten bis Nachmittag,« erwiederte sie mit persistirendem Tone und ließ sich neben ihm nieder. Er saß da, beide Hände vor sich auf den Stock gestemmt, das Kinn auf die Hände gestüzt, den Blick vor sich hin nach dem Hause gerichtet: der linke Schoos des Ueberrocks hieng nach der Länge über die Bank hinten herunter. Hurtig wischte die Dame mit der rechten Hand leise in seine Tasche, holte einen 65 Schlüssel heraus und – husch! damit in die andre Hand unter den Mantel! Die Rechte that noch ein paar solche heimliche Gänge, bis alle nöthige Schlüssel durch diesen Hokus Pokus sich unter ihrem Mantel befanden: alsdann that sie einen verstellten Seufzer, wandte mit angenommener Niedergeschlagenheit eine ökonomische Angelegenheit vor und gieng, innerlich triumphirend, langsam ins Haus.
Desto schneller flog sie die Treppe hinauf und zum Kleiderschranke. Keine Schleife wurde aufgeknüpft, alles heruntergerissen, mit freudiger Uebereilung das schönste Galakleid herausgeholt, die schönste Haube aufgesezt, und in einer halben Viertelstunde wallte schon ihr Busen vor Entzücken unter dem flornen Halstuche, und ihr Herz klopfte vor Freude über ihre gelungene List und vor Triumph, ihren Mann zu übertrotzen, so hoch, daß die seidne Kontusche knisterte. Nicht zufrieden gesiegt zu haben, wollte sie ihren Gegner auch kränken: noch Einen selbstgefälligen Blick in den Spiegel! – und dann nahm sie alle eroberte 66 Schlüssel zu sich und rauschte glühend und sich räuspernd die Treppe hinunter in den Hof. Da stund sie vor dem Manne, der staunend die Augen weit aufriß und hastig mit der Hand in die Tasche fuhr: er wurde bald inne, wie man ihn überlistet hatte, aber er ließ sich nichts merken.
Ich will zur Frau Gräfin gehn, sprach sie mit spöttischer Gleichgültigkeit, machte eine tiefe Verbeugung und sagte – »Leb wohl.«
Nillchen,– rief der überwundene Ehegatte mit der äußersten Kälte, ob ihm gleich der innerliche Groll beide Backen mit einer merklichen Röthe färbte, – warte noch ein wenig! Ich habe mich anders besonnen. –
Nillchen hielt diesen vorgegebenen Vergleich für eine neue List, wodurch er sich für ihre Taschenspielerey desto empfindlicher rächen wollte: sie wartete nicht.
So warte doch! rief er abermals, gieng ihr nach und erwischte sie in der Hofthüre bey dem kannefaßnen Rocke. – Warte doch! Ich habe mirs überlegt: ich will meinen Jungen aufs Schloß geben.
67 Sie sah ihn mistrauisch an und wußte nicht, ob sie seiner trocknen ernsten Miene glauben sollte. – Nun gut! sagte sie endlich, so will ich zur Gräfin gehen und ihr deinen Entschluß melden.
Der Mann. Ja, das sollst du! – Aber sage mir nur erst, welche Bündel Stroh soll denn der Pfarrknecht kriegen? – Er möchte indessen kommen.
Die Frau. Daß du ihm ja nicht die guten giebst!
Der Mann. Zeige mir sie doch, ehe du gehst, damit du nicht hernach wieder sprichst, ich gebe alles weg, wenn ich die unrechten –
»Komm! ich will sie dir zeigen,« unterbrach sie ihn und tanzte, wie ein triumphirendes Mädchen nach der ersten Eroberung, über den Hof nach der Scheune hin. Der Mann schlenterte langsam hinter drein.
Das Thor wurde geöfnet: sie trat mit vorsichtigem Schritte, um die weißen seidnen Schuhe nicht zu verletzen, unter die Strohbündel und erhub den rechten Zeigefinger, dem Manne 68 deutlich und augenscheinlich zu demonstriren, was er thun sollte. Mitten in ihrer Demonstration hörte sie das Thor hinter sich knarren, sie sah sich um, und entdeckte – daß sie eingeschlossen war.
»Adam, Adam! wo bist du?« rief sie mit innerlicher Aengstlichkeit; umsonst: Adam legte eben das große Schloß vor das Scheunthor, schnappte es zu, sagte nicht eine Silbe und gieng langsam in das Haus.
Nun merkte die arme eingesperrte Frau wohl, durch welche betrügerische Verstellung sie hintergangen war, daß sie in diesem dunkeln Gefängnisse aushalten mußte, so lang es ihrem Mann beliebte, daß sie nicht zur Frau Gräfin gehn konnte, daß ihres Mannes Trotz die Oberhand behielt – »Ach!« rief sie bey diesem lezten entsezlichen Gedanken aus, riß das weiße Schnupftuch mit theatralischem Anstande aus der Tasche, bedeckte ihr bethräntes Gesicht und sank auf ein Bündel Stroh hin – ob in Ohnmacht? – das weis ich wahrhaftig nicht: aber ich zweifle; denn es war ja Niemand in der Scheune, der es gesehn hätte.
69 Voller Schadenfreude nahm indessen der Mann den geraden Weg nach Heinrichs Schlafkammer, fand ihn nicht, stuzte, gieng weiter: er durchwanderte das Haus von dem obersten Bodenwinkel bis zum untersten Keller, suchte, rief – vergebens: er gieng vor die Thür, in den Hof – nirgends eine menschliche Kreatur, die Heinrich heißen wollte! – Hui! dachte er, daß mir die Frau den Streich gespielt und den Jungen auf das Schloß voran geschickt hat! Warte, Nille! wir wollen dich schon kriegen! –
Die Vermnthung, so falsch sie auch war, wiegelte seine ganze Galle auf: seine eheliche Autorität war durch die kränkendste Hinterlist beleidigt, und er sann auf eine exemplarische Strafe für eine so unerhörte Empörung gegen seine gesezgebende Macht. Die Ehe dieser beiden Leutchen hatte überhaupt einen ganz originalen Ton: ohne sich jemals förmlich zu zanken, lagen sie in beständigem Kriege wider einander: nimmermehr ließ eins das andre zur ofnen Schlacht, nicht einmal zum Scharmützel kommen, sondern 70 jeder Theil suchte den andern beständig durch heimtückische Ueberfälle, Streifereyen und listige Kniffe zu necken, und mitten unter solchen Plagereyen liebten sie sich so feurig, als nur jemals ein Paar, das der Trauring verknüpft hat.
Sobald es bey ihm ausgemacht war, daß er, trotz der Einsperrung seiner Frau, der überwundne Theil sey, so machte er, weil sich allmählich die kleinstädtische Zeit des Mittagsessens näherte, in eigner Person Anstalt dazu. Seine Kochkunst war äußerst gering, und wenn sie auch einen weitern Umfang gehabt hätte, wollte er doch vorsezlich nichts hervorbringen als eine Wassersuppe. Um sich aber nicht zugleich selbst zu strafen, stillte er erst seinen Appetit mit einigen soliden Stücken geräucherten Fleisches, und als die kalte Küche verzehrt war, richtete er seine magere ungesalzene Wassersuppe an, deckte den Tisch, sezte sein einziges Gericht in die Mitte und rings herum eine große Menge leere Schüsseln. Darauf gieng er zur Scheune, öfnete sie und lud seine Gefangne zur Mittagsmahlzeit ein.
71 Ich mag nicht essen, sagte sie etwas schnippisch, kehrte ihm den Rücken und gieng an das andre Ende der Scheune.
Der Mann. Nillchen, du wirst dich doch nicht zu Tode hungern wollen! Komm! Die Frau Gräfin hat die hohe Gnade gehabt, uns ein ganzes Gastmahl zu schicken – vor großer Freude, daß unser Heinrich bey ihr ist. Sie hatte sogar die allerhöchste Gnade und ließ uns versichern, daß wir alle Tage ein paar Schüsseln aus ihrer Küche könnten holen lassen: aber das sieht mir so almosenmäßig aus: ich hab' es ausgeschlagen.
»Ausgeschlagen!« rief die leichtgläubige Ehefrau. »Ja, wenn du deiner Frau eine Mühe ersparen kannst, so thust du's gewiß nicht.«
Der Mann. Wenn ichs angenommen hätte, alsdann, denkst du, brauchtest du nicht mehr zu kochen? – Nillchen, eben deswegen hab' ichs ausgeschlagen, damit du das Kochen nicht verlernst; blos um deines Bestens willen! – Die Frau Gräfin ließ besonders sehr viele gnädige Komplimente an dich machen. 72
Die Frau. Es ist doch eine recht liebreiche Dame – (wobey ein tiefer Knix in das Bündel Stroh hinein gemacht wurde, worauf sie stand.)
Der Mann. Das ist sie! Der Laufer fragte sehr nach dir, Nillchen: ob er vielleicht gar Präsente für dich mitbrachte? Es kam mir so vor –
Die Frau. Und da fragte der alte Adam auch nicht weiter?
Der Mann. Was sollt' ich fragen? – Ich sagte ihm, meine Frau wäre im Gefängnisse, nach Tische käme sie los, alsdann könnte er sie sprechen.
Die Frau. Und das sagtest du ihm? – Wahrhaftig, es wäre kein Wunder, wenn man sich zu Tode bey dir ärgerte. Mir solche Schande zu machen!
Der Mann. Was ist denn das nun für Schande mehr? – Wenn ein Beutelschneider auf dem Diebstahl ertappt wird, so steckt man ihn ein: wenn dirs keine Schande gewesen ist, meine Tasche zu bestehlen, so kann dichs auch nicht beschimpfen, daß man dich in Arrest 73 gebracht hat. – Aber komm! ehe das Essen kalt wird! es sind sehr fette Speisen dabey.
Die Arrestantin folgte ihm halb mit Betrübniß, daß ihre Einsperrung durch ihren eignen Mann bekannt gemacht war, halb mit freudigem Verlangen nach dem versprochenen herrlichen Gastgebote und den noch herrlichern Geschenken, die nach Tische sich wieder einfinden sollten.
Sie trat in die Stube: wie versteinert stand sie da, als sie ihre Leichtgläubigkeit abermals auf das schändlichste betrogen fand, biß sich in die Lippen und vermochte vor Scham kein Auge aufzuheben. In der Bestürzung ließ sie sich vom Manne an den Tisch führen und auf einen Stuhl setzen: welch neue Bosheit! Der Heimtückische hatte die Wassersuppe so reichlich mit Zwiebeln – einem für sie unleidlichen Gewächse – angefüllt, daß ihr der entgegenkommende Geruch den Athem versezte.
Was war zu thun? – Essen konnte sie weder vor Aerger, der in ihr bis zu den Lippen heraufschwoll, noch wegen der widrigen Zubereitung des Gerichts. Adam hingegen, so übel 74 es ihm selbst schmeckte, aß ihr zum Trotze mit einer Begierde, als wenn es der köstlichste Leckerbissen wäre.
»Sage mir einmal!« fieng er nach einem langen Stillschweigen an, »wenn hast du denn Heinrichen auf das Schloß geschickt?«
Die Frau krazte mit den Fingern auf dem Tischtuche, senkte den thränenvollen Blick unbeweglich auf den Teller, schluchzte und schwieg.
»Nillchen, sey kein Trotzkopf!« fuhr er nach einer kleinen Pause fort. »Sage mirs aufrichtig, wenn hast du den Jungen zur Gräfin geschickt?«
Die Frau. Ich hab' ihn nicht geschickt.
Der Mann. Wo ist er?– Verschweig mir es nicht, wenn du ihn versteckt hast! er ist weg. Wenn er mit deinem Wissen und durch deinen Vorschub, blos um mir zu trotzen, aus dem Hause gekommen ist, so soll – ich will nicht schwören – aber der Teufel soll mich holen, wenn ich Zeitlebens wieder in Einem Bette mit dir schlafe.
Bey so vielem Ernste war ein zeitiger Rückzug das klügste: sie fühlte ihre schlimme 75 Lage und die Nothwendigkeit, ihm durch Nachgeben auszuweichen, so lebhaft, daß sie ihm sogleich ins Wort fiel und mit einem theuren Eide versicherte, sie wisse nichts von dem Knaben.
Der Mann. So komm, wir wollen ihn suchen!
Die Auffoderung geschah freilich zum Theil aus heimtückischer Absicht, weil er nicht glaubte, daß sie ihr Gewissen bey ihrem Schwur rein und unbefleckt erhalten habe: er wollte ihr die Kränkung anthun, sie an einem Tage, wo sich keine Seele im ganzen Städtchen puzte, in ihrem Galakleide durch alle Gassen, und bey der großen Sonnenhitze durch Staub, über Stock und Stein zu führen. Sie wollte zwar zur Umkleidung Anstalt machen, allein er faßte mit Einem Griffe so plötzlich Hut, Stock und ihren Arm, daß keine Zeit zur Einrede übrig blieb: der Marsch gieng fort. Mit der Neubegierde der kleinen Städte, wo die Leute hinter den niedrigen Fenstern, wie die Diebe hinter dem Busche, auf die Vorübergehenden lauren, waren gleich alle Häuser die 76 ganze Gasse durch mit Menschenköpfen besezt, an welchen sich die Nasen rümpften, oder die Lippen spöttisch grinzten, oder die Augen sich weit aufsperrten, als unser edles Paar vorbeyspatzierte. Etwas komisch war der Anblick, an dem Arme eines so unsauber gekleideten Gesellen die Dame in dem auserlesensten Schmucke dahinwandeln zu sehn: doch das war noch lange nicht der unangenehmste Akt des Possenspiels. Ungegessen, ohne Schuz und Schirm wider die Sonne, in dem durchhitzten Sande, auf ofnem Felde, bey der brennendsten Mittagsgluth, unter beständiger Aengstlichkeit, daß vielleicht dem Anzuge ein Unglück wiederfahre, mit ziemlich starken Schritten dahinzutraben, das war allerdings eine ausgesuchte Strafe, und man mußte mehr als grausam seyn, um einen weiblichen Eigensinn so bestrafen zu können. Der Spatziergang wurde zwey Stunden lang fortgesezt: das arme Weib schmachtete, der Schweis rann in starken Strömen herab und tigerte die apfelgrüne Kontusche mit Flecken: aber Trotz und Verzweiflung gaben ihr Muth: sie spannte alle 77 Kräfte an, um ihren Schmerz nicht merken zu lassen oder um Vermindrung ihrer Qual zu bitten. Endlich, da fast alle Nerven ihrer Standhaftigkeit erschlaften, nöthigte sie ihr strenger Gesezgeber in einem kleinen Tannenwäldchen auszuruhen. Traurig saß sie da und scheuerte mit dem Schnupftuche an den unauslöschbaren Flecken ihrer Kleidung, und brach in bittres Weinen aus, als sie alle Wahrscheinlichkeit den gänzlichen Untergang der geliebten Kontusche erwarten hieß.
»Weiter! wir müssen aufbrechen!« rief der grausame Mann und hub sich von der Erde auf.
»Ich kann nicht mehr,« rief die Frau mit schwacher Stimme – »mir schwindelt.« –
»Fort! fort!« erschallte abermals und zwar etwas gebietrischer, wobey er ihr zugleich die Hand reichte und sie aufhob. War es Verstellung oder wirkliche Kraftlosigkeit? – genug sie sank wieder zurück und würde sich den Kopf an einem Stamme zerschmettert haben, wenn er sie nicht beyzeiten aufgefangen hätte.
Der Mann. Wir müssen aufs Schloß: izt 78 wird die Gräfin abgespeist haben. Willst du deine Präsente nicht holen?
Die Frau. Bringe mich doch lieber gleich um, du Barbar! Da! schlag mich vor den Kopf, oder hänge mich hier an einen Baum! Weiter willst du doch nichts als daß ich wegkommen soll, damit du wieder eine Andre zu Tode plagen kannst, du Weiberhenker!
Der Mann. Laß gut seyn, Nillchen! Laß gut seyn! – Marsch!
Die Frau. Nicht eher sollst du mich von der Stelle bringen, als wenn du mich in Stücken zerreißest.
Der Mann. Ach warum nicht gar? Da werd' ich mir wohl so viele Wege machen und dich stückweise wegtragen. Lieber transportire ich dich auf einmal im Ganzen.
Wie ein Bliz hatte er sie auf seine Schultern geladen, und so sehr sie mit Händen und Füßen kämpfte, so packte er sie doch so fest, daß sie sich nicht loszureißen vermochte; und nun fortan! wie ein Römer mit einer geraubten Sabinerin auf dem Rücken, eilte er über das Feld 79 hin, nach dem Städtchen zu! Jedermann blieb vor Verwundrung stehen, jedermann ließ Sichel und Sense ruhen, alle Weiber und Mädchen, so weit das blache Feld reichte, lehnten sich auf die Harken und gaften mit ofnem Munde dem sonderbaren Schauspiele nach. In der Länge ward ihm doch ihre Last zu schwer: er sezte sie also keuchend unter einem Weidenbaum ab und gebot, den übrigen Weg zu Fusse zu machen. Ergrimmt, daß sie seinen Steifsinn durch keins von ihren herzangreifenden Mitteln mürbe machen konnte, wollte sie ihn auf das äußerste treiben und beschloß bey sich, schlechterdings nicht von der Stelle zu gehen. Nach einer dreyfachen Ermunterung zum Aufbruche fragte er sie: willst du nicht mit, Nillchen? – Hierauf bekam er nichts als ein trotziges, flüchtig hingeworfnes Nein. – »So bleib hier! Ich will dir einen Wagen schicken,« sprach er und verließ sie.
Hier saß nun die arme Betrübte unter einer großen Weide mitten auf einem ungeheuren Felde wenigstens eine gute Stunde von der Stadt, 80 und wußte nicht, ob sie gehn oder bleiben, sein Versprechen in Ansehung des Wagens für Spott oder Ernst annehmen sollte. Ihm nachzulaufen? – welche Erniedrigung für ihren ohnehin schon tief verwundeten Stolz! welcher Triumph für die Schadenfreude ihres Mannes! Dazubleiben und den Wagen zu erwarten? – wie mißlich und zugleich wie gefährlich! Wenn er sie nun bis in die späte Nacht warten ließe? – denn einer solchen Tiranney wäre er fähig – Wenn sie nun nach langem Warten mit Spott und Schande für ihre abermalige Leichtgläubigkeit zurückkehren müßte?
Ihre Verlegenheit und ihr Kummer stieg wirklich so hoch, daß sie mit heißen Zähren den Kopf in die Hände legte und im völligen Ernste den Himmel um ein schleuniges Ende anflehte: sehr leid that es ihr, daß nicht gerade ein Gewitter über dem Horizonte stand, um sich einen hülfreichen Donnerschlag ausbitten zu können. Weder ihr körperlicher Zustand, noch ihre weite Entfernung von dem Städtchen war so höchsttraurig: aber ihr überwältigter Trotz, ihre 81 überlistete Feinheit, die kalte Grausamkeit ihres Mannes, die tückische Schadenfreude, womit er sie so vielfältig hintergieng, die Unmöglichkeit, ihm an irgend einer schwachen Seite beyzukommen – das, das waren die Stacheln, die ihr Innerstes, wie der Geyer Tityus Leber, zerfleischten.
Ein tüchtiger brausender Zank ist das beste Heilungsmittel wider zurückgehaltnen Aerger: die Natur fieng allmählich an, in ihr zu diesem Zwecke zu wirken. Da sie wohl merkte, daß mit dem Tode nichts anzufangen war, sezte sich ihr Blut nach und nach in schnellere Bewegung: sie ließ ihren Lebensgeistern den straffgezognen Zügel schießen, und in weniger denn drey Minuten war die kleinste Nerve zu Streit und Hader gewafnet. Sie machte sich sogleich auf, um ihrem Manne nachzusetzen und ihren ganzen Grimm ins Gesicht zu schwatzen. Unterwegs bereitete sie sich zu diesem feyerlichen Actus vor und hatte schon den ganzen Dialog im Kopfe, als sie von hinten durch die Gartenthüre ins Haus gieng.
Aber wie an ihn zu kommen? – Eine Gelegenheit mußte sie doch haben, die den Zank auf 82 eine natürliche Art einleitete: zudem sollte er, nach ihrem Wunsche, den Angriff thun, damit sie durch die Selbstvertheidigung zu ihrer beschloßnen Rache berechtigt wäre. Sie wußte für ihren Plan keinen schicklichern Ausweg, als daß sie im Hause herum aus einer Stube, einer Kammer in die andre wanderte und jede Thür mit einer Heftigkeit hinter sich zuschlug, daß sich alle Fenster unaufhörlich in einem erdbebenmäßigen Zittern befanden. Daß nur der alte Fuchs ihre Absicht nicht gemerkt hätte! Anfangs hielt er das Bombardement ruhig aus und schrieb ungestört an seiner Rechnung fort: da es ihm in der Länge zu lästig wurde, gieng er hinter ihr drein, und sobald sie aus einer Kammer oder Stube heraus war, schloß er die Thür ab und steckte den Schlüssel ein, ohne nur einen Laut zu sagen. In kurzem war sie so sehr aus allem Vortheile herausgetrieben, daß ihr nichts als die Küchenthür übrig blieb, und da sich diese wegen eines Gebrechens am Schlosse nicht verschließen ließ, hub er sie aus: das nämliche that er mit der Stubenthür und gieng zu seiner Schreiberey zurück.
83 Dergleichen Bösewicht! nach so unendlichen Plagereyen der armen Frau nicht einmal die Freude zu gönnen, daß sie sich zanken kann! – Dieser neue Streich erhöhte den vorigen Groll: sie wollte mit aller Gewalt durchbrechen, und stellte sich zu dem Ende an die hinterste Hausthür mit dem wohlgemeinten Vorsatze, sie unaufhörlich auf- und zuzuschlagen: allein bey dem ersten Oefnen lehrte sie der Zufall ein andres Mittel, das ihren Zweck mit millionenmal sicherem Erfolge beförderte. Die Thürangel war bey der großen Hitze ganz trocken von Oele und so durstig geworden, daß sie bey jeder Umdrehung in einem hellen schneidenden Tone schrie: unter allen Unannehmlichkeiten, die sterbliche Ohren martern können, war dieses für ihren Mann die angreifendste, das wußte sie: was sie that, kann man nunmehr leicht rathen: das war so ein durchdringendes, Mark und Nerven zerreißendes Quieken in Einer Leyer fort, als wenn sich alle Thüren im Hause verschworen hätten, den Mann musikalisch zu Tode zu martern. In der ersten Ueberraschung schwoll sein Zorn wohl 84 ein wenig auf, allein sogleich faßte er sich wieder, holte einen Strick aus der Kammer, und da sie ihn mit diesem Instrumente kommen sah und vermuthete, daß vielleicht gar ihr Rücken damit gemeint sey, verließ sie bestürzt ihren Posten und flüchtete in die Küche. Ohne etwas mehr im Sinne gehabt zu haben, band er die Hofthür, die auch kein zuverlässiges Schloß hatte, so fest an einen inwendigen Haken, daß mehr als Weiberstärke dazu gehörte, sie wieder musikalich zu machen. Ohne ein Wort zu sagen, gieng er zurück an seine Arbeit.
Die Frau wollte in Verzweiflung gerathen, daß ihr alle Anschläge mislungen. Indessen daß sie auf neue Ränke sann, kam der Laufer des Grafen, überbrachte einen gnädigen Gruß von seinem Herrn und drey Bouteillen Wein, mit der Bitte, sie morgen an dem Geburtstage der Gräfin auf ihre Gesundheit auszuleeren.
Ich mag keinen Wein vom Grafen, sagte Herrmann trotzig und schrieb, ohne aufzublicken, brummend fort. – Was für Wein ist es denn? 85 fragte er in der nämlichen Positur nach einer kleinen Pause.
»Ungarwein,« antwortete der Laufer.
Herrmann stund von seinem Stuhle langsam auf, stekte die Feder hinter das rechte Ohr, zog den Kork von der Flasche, sezte an und that einen herzhaften Schluck. – Er ist gut, sprach er, indem er sie wieder auf den Tisch stellte; ich will ihn behalten.
Zugleich, fuhr der Laufer fort, soll ich Ihnen auch die Nachricht von Ihrem Heinrich bringen –
Herrmann. Ist der verfluchte Junge auf dem Schlosse?
Der Laufer. Ja, schon seit heute früh um sechs Uhr. Er ist heimlich aus dem Bette fortgeschlichen und war schon lange da, ehe Sie zum Grafen kamen: aber er bat inständig, daß wir ihn vor Ihnen verstecken sollten. So ist er in unsrer Stube geblieben, bis es der Graf erfuhr und ihn zu sich aufs Zimmer kommen ließ. Er hat ihn dem Kammerdiener übergeben, bey dem er wohnen und schlafen soll. Man 86 konnt' ihn gar nicht bereden, wieder wegzugehen, und er läßt Ihnen sagen, daß Sie sich weiter nicht um ihn bekümmern sollten, er wäre versorgt.
Herrmann. Darum braucht er nicht zu bitten, daß ich mich nicht weiter um ihn bekümmern soll. – Nicht einen Fuß darf er mir wieder über die Schwelle setzen, der Tagedieb! –
Er that zu gleicher Zeit einen zweiten Schluck aus der Flasche, die er beständig während des Sprechens in der Hand behielt. – »Der Wein ist recht gut,« sagte er freundlich, als er absezte.
Der Laufer. Morgen werd' ich Ihnen mehr bringen, wenn der Herr Graf weis, daß er Ihnen so gut schmeckt.
Herrmann hatte während dieses Versprechens den dritten Schluck gethan und antwortete mit beinahe stammelnder Zunge: Es soll mir lieb seyn.
»Sagen Sie nur dem Grafen,« sezte er hinzu, als der Laufer Abschied nahm, »er möchte meinen Heinrich bey sich behalten, so lang er wollte – 87 er darf sich gar nicht fürchten, daß ich mich deswegen wieder mit ihm zanken werde – ich hab' ihm auch heute früh nichts übel genommen, das kann er versichert seyn – nur soll er mir nicht so einen Tagedieb aus ihm machen, wie es die Laffen alle um ihn herum sind! Oder ich schmeiße den Jungen mit dem Kopfe an den ersten Stein, wo ich ihn finde.«
Während dieser halbtrunknen Rede hatte er den Laufer an die Hausthür begleitet und nahm izt Abschied mit einem Händedrucke und dem nochmaligen Auftrage, daß er den Grafen ja versichern sollte, er habe ihm heute früh gar nichts übel genommen; er wüßte wohl, daß es des Grafen Art einmal sey, etwas frey zu reden. – Eine solche Verwechslung der Personen begegnete ihm gewöhnlich auch bey dem kleinsten Rausche: immer glaubte er alsdann, daß die Leute ihm die Grobheiten gesagt hätten, wodurch sie von ihm kurz vorher waren beleidigt worden: wiederfuhr es ihm – welches auch nicht selten geschah – daß er in der Trunkenheit Jemanden recht derb ausschalt, so begieng 88 er, wenn er wieder nüchtern war, die nämliche Verwechslung und versicherte ihn herzlich, daß er ihm alles vergeben habe. Beständig schien er sich der beleidigte Theil, und nur seine Frau machte hierinne eine Ausnahme.
Ueberhaupt hatte er das Unglück, daß er bey aller Stärke und Klugheit, womit er ihrem Eigensinn und Trotze widerstand, gemeiniglich sein gewonnenes Spiel selbst wieder verdarb. Auch ohne Trunk wurde er immer zunehmend schwach, je mehr sich die Sonne nach Westen neigte: wie ein Fieber, überfiel ihn gegen Abend ein so heftiger Paroxysmus von Liebe und Zärtlichkeit, daß er ängstlich um seine Frau herumgieng und auf alle ersinnliche Weise sie wieder auszusöhnen suchte und oft wegen des Widerstandes, den er ihr den Tag über mit der überlegtesten Klugheit gethan hatte, demüthig und reuig um Vergebung bat. Führte ihm nun vollends das Schicksal ein begeisterndes Getränk in den Weg, so war es ganz um seine Standhaftigkeit geschehen: sein schwachnervichter Kopf war auf den ersten Schluck eingenommen, und er wurde 89 bis zum Gecken in sein Nillchen verliebt. Gegen jeden Andern beobachtete er in einem solchen Zustande die Regel genau, daß er sich mit ihm zankte, wenn er den Tag über sein Freund gewesen war, und sich mit ihm versöhnte, wenn er sich mit ihm gezankt hatte. Deswegen wartete auch seine Frau bey mittelmäßigen Bedrückungen gelassen den Abend ab oder sezte ihm des Nachmittags ein Glas Brantewein in den Weg; denn zu keiner andern Zeit nahm er einen Tropfen starken Getränkes zu sich.
Bey der Ankunft des Laufers mit dem Weine freute sie sich von dem Wirbel bis zur Fußzehe herzinniglich auf die demüthigende Rache, die sie auf seine eigne Veranlassung an ihm zu nehmen gedachte. Er gieng nach dem Abschiede des Laufers wieder zu seiner Flasche zurück, doch ohne zu trinken: die vorigen drey Schlucke wirkten schon hinlänglich: er stund vor dem Tische, die linke Hand auf die offne Bouteille gelegt.
»Nillchen,« redte er vor sich hin, »so hab' ich dir ja, hol mich der Teufel! Unrecht gethan! – Du armes Nillchen! habe dir deine 90 Kontusche verdorben! – habe dich eingesperrt!«
Er lief die Stube auf und nieder und rang die Hände. – »Was mach' ich nur?« klagte er mit wehmüthigem Tone. »Was nur? daß sie sich nicht zu Tode grämt? – Ich habe das Herzblättchen so lieb, und martre sie so! Ich möchte mir gleich die Kehle abschneiden.«
Er blieb mitten in der Stube stehen, erblickte sich im Spiegel – »O du alter gottloser Adam!« rief er und spie auf sein Bild im Spiegel. »Was du einmal gemacht hast! – hast deine Frau einmal geplagt! Ich möchte dich gleich zu Tode prügeln;« – (und dabey gab er seinen eignen Backen eine reiche Ladung kräftiger lautschallender Ohrfeigen.) – »Da! du abscheulicher Höllenbrand!« sagte er sich im Spiegel dazu. »Du eingefleischter Teufel! Wirst die arme Frau wohl noch unter die Erde bringen, du Katzenkopf! – Ich kann dich nicht mehr ansehn; pfui!«
Mit dem größten Unwillen kehrte er sich von dem Bilde hinweg und wurde bey der 91 Wendung das Gesicht seiner gemißhandelten Ehegattin gewahr, die hinter einem Fenster, das neben dem Ofen aus der Küche in die Stube gieng, seine Reue mit kitzelnder Freude belauschte. – »Nillchen, liebes Engelskind!« rief er und lief mit ausgebreiteten Armen nach ihr hin, daß er wider die Wand taumelte. – »Komm! köpfe, hänge, rädre, erschieße mich! Ich bins werth. Ich bin ein rechter Teufelsbraten. Hab' ich dich einmal gemartert? – Ach! es thut mir so leid! es frißt mirs Herz ab. – Sieh nur! wie ich dich wieder lieb habe! recht lieb, du scharmantes Cyperkätzchen!«
Diese Liebkosungen, die beständig mit den kläglichsten Ausdrücken der Reue abwechselten, wurden von einer höchstkomischen Bewegung begleitet: so oft er ihr seine Liebe betheuerte, hub er das rechte Bein in die Höhe, um durch das Fenster zu ihr hinauszusteigen, ob es gleich gute zwey Ellen von dem Fußboden und so enge war, daß kaum eine große Katze durchkriechen konnte.
Die Frau antwortete lange nicht: endlich 92 sprach sie verdrießlich: – Es liegt mir nichts an der Liebe eines solchen Weiberteufels: erst reißest du deiner armen Frau den Kopf ab, hernach willst du ihn wieder aufsetzen.
Der Mann. Will ihn nicht wieder abreissen! – Du sollst mich an den Spieß stecken und braten, wie eine Schöpskeule, wenn ich dir ihn wieder abreiße. – Habe dir Unrecht gethan; vergieb mirs, mein Augäpfelchen! –
Nach langem Kapituliren ließ sich endlich die siegende Ehefrau bewegen und kam zu ihm in die Stube: sie mußte sich in den Lehnstuhl setzen, er warf sich zu ihren Füssen und bat sie in den reuvollsten Ausdrücken, bald mit weinerlichem, bald mit wütendem Tone, unter heftigen Schmähungen gegen sich selbst um Verzeihung und foderte zum Zeichen der Versöhnung die Erlaubniß, in ihrem Schooße zu schlafen. Um ihn zu besänftigen, mußte sie ihm seine Bitte zugestehn: er warf sich also aus der knienden Positur herum in eine sitzende Lage, legte den Kopf in ihren Schoos, und in einer halben 93 Minute schnarchte er schon, wie der überwältigte Simson in Delila's Schooße. Die Frau, um sich für ihr erlittnes Kreuz zu entschädigen, langte nach einer von den nahe stehenden Weinflaschen, ersezte den Abgang ihrer Kräfte durch einige starke Züge so reichlich, daß sehr bald die ganze Stube vor ihrem Blicke schwamm, und sich ihre Augenlieder gleichfalls zu einem herzstärkenden kummerstillenden Schlafe zusammenschlossen. 94