Johann Karl Wezel
Herrmann und Ulrike / Band 4
Johann Karl Wezel

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Viertes Kapitel.

Unterdessen, ehe noch der Briefwechsel und Ulrikens Unmuth so weit kamen, hatten sich auch Herrmanns Umstände geändert. Der verschriebene Gimpel und die verschriebenen Subjekte, unter welchen sich der Herr von Lemhoff einen Sekretär aussuchen wollte, langten an, doch glücklicher Weise der Gimpel zuerst. Madam Dormer meldete, so bald es sich thun ließ, dem Präsidenten, daß der junge Mensch, den sie ihm neulich empfohlen habe, sich unterstehn wollte, ihm den schönsten Gimpel in Europa zu überreichen. Der Präsident konte sich mit keinem einzigen Gedanken auf den jungen Menschen besinnen, aber den Gimpel nahm er mit beiden Händen an und konte die Zeit kaum erwarten, ihn zu sehen. Der Gimpel wurde zu ihm getragen, und Herrmann nahm sich die Ehre, ihn zu begleiten: der Präsident pfiff dem Vogel entgegen, so bald er ins Zimmer kam, und der Vogel hatte so viel Lebensart und antwortete ohne 255 ängstliche Scheu: die pfeifende Unterhaltung wurde auf beiden Seiten mit gleicher Lebhaftigkeit lange fortgesezt: die Freude war unaussprechlich. Madam Dormer nüzte diesen Zeitpunkt und bat um Erlaubniß, den jungen Menschen, der vor der Thüre wartete, hineinrufen und darstellen zu dürfen: sie wurde ohne Weigerung bewilligt. Herrmann erschien, empfieng überaus viele Gnadenbezeugungen und kramte seine kleine Gelehrsamkeit im Fache der Vögel, Wettergläser und der Oekonomie mit so vieler Scharlatanerie aus, als er sich kaum selbst zugetraut hätte: kurz, er gefiel außerordentlich. Der Präsident versicherte Madam Dormer, daß der Mensch so gescheidt sey wie sein Gimpel, und wünschte, ihn in seinen Diensten zu haben: die listige Frau merkte sehr bald, warum er dies nur wünschte, und meldete ihm, daß Herrmann um nichts als Kost, Wohnung und die Ehre, in seinem Hause und Dienste zu seyn, ansuchte und alle Besoldung so lange ausdrücklich verbäte, bis er sie durch sein gutes Verhalten verdient 256 hätte: nun war der Handel den Augenblick richtig.

Nachdem Herrmann seinen neuen Platz bereits angetreten hatte, trafen zwey verschriebene Subjekte aus Leipzig, und eins aus Göttingen ein: in Altorf war keins aufzutreiben gewesen. Der Göttinger hatte sich, um mit Anstand zu erscheinen, zwey neue Tressenreiche Kleider machen lassen und kam mit Extrapost und großen Erwartungen an, die sich auf nichts als die zwey Wörter, Präsident und Hof, stüzten; denn der Präsident hatte die Bedingungen, die er machen wollte, nirgends angegeben: aber Präsident! und Hof! dies Beides war für die akademische Erfahrung des Jünglings genug, um schon von vielen Hunderten Besoldung zu träumen, und sich in drey oder vier Jahren schon als Hofrath zu denken, ob ihm gleich der Professor, der den Auftrag hatte, ein vorsichtiges Bedenken empfahl. Der gute Narr lauerte acht Tage und konte niemals vorkommen: endlich ließ ihm der Präsident durch einen Bedienten melden, daß er sich unter der Zeit schon versorgt habe und für 257 seine Bemühung sehr vielmals danke. Der arme Betrogne ergrimmte über diesen Dank für eine Bemühung von etlichen zwanzig Meilen, verkaufte eins von seinen Tressenkleidern an den Hofjuden und reiste mit der gewöhnlichen Post demüthig auf die Georgaugustusuniversität zurück. Noch vor seiner Abreise fanden sich die beiden Leipziger an verschiedenen Posttagen ein, mit geringerer Kleidung aber eben so hoher Erwartung, womit sie der Professor berauschte, an welchen der Präsident geschrieben hatte: um sich das Ansehn eines Universalpatrons zu geben, machte dieser Mann meistens bey einem solchen Auftrage die ganze Universität aufrührisch und hatte auch izt die Wörter Präsident und Hof so Vielen und so emphatisch in die Ohren gerufen. daß sich zwey auf den Weg machten, ohne von einander etwas zu wissen. Lustig war es, daß diese drey Subjekte in einem Zeitraume von sechs Tagen hinter einander anlangten, sich in Einem Gasthofe, dem einzigen in der ganzen Stadt, einquartierten, mit vieler Wichtigkeit einander erzählten, zu welchem hohen Posten sie berufen 258 wären, und dann mit weit ofnem Munde sich verwunderten, daß sie Kompetenten eines und desselben hohen Postens zu seyn schienen. Der eine Leipziger räumte gleich den Platz, verlangte den Herrn Präsidenten gar nicht zu sehn, schämte sich, mit langer Nase, wie er sich ausdrückte, in sein liebes Pleißathen zurückzukommen, und reiste zu seiner Mutter, um ihr sein Herzeleid und seinen leeren Beutel zu klagen. Das andre Leipziger Subjekt ließ es sich weiter gar nicht merken, welche Absicht ihn in diese Stadt gebracht hatte, sondern suchte Bekanntschaften und gab vor, daß er sich der Reduten wegen diesen Winter hier aufhalten wollte. Eine der ersten Bekanntschaften, die er machte, war natürlicher Weise Madam Dormer, da sie die einzige Frau in der Stadt war, die einen Fremden anziehen konte. Sie geriethen Beide sehr bald in verdächtige Vertraulichkeit, wenigstens in den Augen des Publikums, das ein Männlein und ein Weiblein nicht zusammen lachen sehen konte, ohne das eine zur Braut oder zur Hure des Andern zu erheben: der freye zwanglose Ton der 259 Madam Dormer war ohnehin ein Aergerniß für die ganze Stadt. Herrmann besuchte sie um so viel öftrer, da sie seine Beförderin, die geheime Negotiantin seiner Liebe und der einzige weibliche Umgang in der Stadt war, der ihm schmeckte. Nothwendig mußte er also mit dem Leipziger Subjekte sehr bald bey ihr zusammentreffen; und dies Leipziger Subjekt war – sein ehmaliger Freund und Spielgefährte, Arnold. Er schämte sich, seine bisherigen Schicksale zu gestehen, bekannte aber doch einmal, als sie Beide allein beysammen waren, daß ihn seit jenem Abende, wo Herrmann Leipzig verließ, um zu Ulriken auf das Land zu eilen, das Glück unaufhörlich zum Besten gehabt habe. Kleiner Gewinn und großer Verlust, kleine Einnahme und großer Aufwand war sein Lebenslauf, bis ihn Schulden und Mangel so gewaltig drückten, daß er das Spielerhandwerk verfluchte, weise werden und studiren wollte. Er fand Zuflucht und Unterstützung bey einem liefländischen Barone, der sich gleichfalls von der Spielsucht bekehren und weise werden wollte: allein sie bekehrten 260 einander, wie ein Paar Ungläubige, das heißt, einer verführte den Andern, bis endlich das geschärfte Verbot der Hasardspiele Beide zur Bekehrung zwang. Arnold gab sich wirklich die Mine, als wenn er studirte, bis der Brief des Präsidenten und die selbsterfundnen Versprechungen des Mannes, der ihn empfieng und sich ein Ansehn damit geben wollte, so viele Bewegung verursachten, daß sich Arnold von ihm bereden ließ, die Reise nach der einträglichen Sekretärstelle anzutreten. Diesen lezten Theil seiner Geschichte verhehlte er seinem wiedergefundnen Freunde so gut er konte, und wandte, wie allenthalben, die Redute vor, so unwahrscheinlich auch diese Ursache schien.

Madam Dormer, die auf das Probestück von Patronschaft, das sie an Herrmannen abgelegt hatte, nicht wenig stolz that, gerieth sehr in Versuchung, an Arnolden ein zweites abzulegen: zum Theil konte es wohl Liebe seyn, aber größtentheils war es gewiß Neigung zur Intrigue, unruhige Geschäftigkeit. Er hatte eine mittelmäßige Fertigkeit auf der Flöte: er mußte 261 sich in möglichster Eile bey ihrem Manne Tag für Tag üben, und wenn Lehrer oder Schüler Eine dazu bestimmte Stunde aussezten, bekamen sie gleich eine derbe Lektion von Madam. Arnold lebte ganz von ihrer Freigebigkeit, und ihr Mann war seit seinem Abschiede von der Schauspielergesellschaft auch wieder unter das Joch gebracht worden: also mußten sie ihr Beide gehorchen. Der Fürst hielt des Winters wöchentlich ein Paar Konzerte auf seinem Zimmer, wo ihn sonach Madam Dormer alle Wochen zweimal sprach; denn er war sehr herablassend und ließ kein Konzert vorbeygehn, ohne sich mit ihr zu unterhalten, und wenn er nicht beyzeiten Anstalt dazu machte, wußte die dreiste zudringliche Frau das Gespräch schon an ihn zu bringen. Sie bat um die Erlaubniß, daß sie Arnolden, der hieher gekommen wäre, um sich in der Musik festzusetzen, in die Konzerte mitbringen dürfte: dem Fürsten, der sich einbildete, daß an seinem Hofe die Musik blühe, schmeichelte diese Lüge unendlich, und er gestand die Erlaubniß ohne Bedenken zu. Arnold stellte sich seitdem 262 gewöhnlich hinter das Orchester und hörte zu: er gefiel dem Fürsten sehr wohl, weil ihm Madam Dormer eine Menge schmeichelnde Bewegungsgründe andichtete, warum er gerade diese Residenzstadt zu seinem Aufenthalte erwählt haben sollte. Sobald er durch ihren Mann in den Stand gesezt war, daß er ein auswendig gelerntes Konzert sich zu blasen getraute, mußte er auftreten; und ausdrücklich las die verschmizte Frau eins aus, wozu der Fürst, der selbst ein wenig komponirte, ein andres Andante gesezt hatte. Mit Erstaunen hörte der Fürst sein selbst verfertigtes Andante, das nach seiner Meinung nicht aus dem Notenschranke seiner Kapelle herausgekommen war, und fragte nach dem Schlusse, woher er dies Andante habe: Arnold versicherte, daß er es vielfältig in Leipzig geblasen und niemals dies Konzert mit einem andern Andante habe blasen hören: es sey so allgemein beliebt und bekannt, daß man es auf den Promenaden trällere. – »Ja, ja,« fieng Madam Dormer an; »ich kenn' es: in Berlin wird es oft bey der Wachparade geblasen«.– Der Fürst 263 holte sein eigenhändiges Konzept herbey, um zu beweisen, daß er der Verfasser davon sey, ließ im Notenschranke nach dem abgeschriebenen Exemplare suchen, das man auch richtig und unversehrt fand, weil Dormer auf seiner Frau Befehl heimlich eine Abschrift davon hatte nehmen müssen; that sehr unwillig, daß Leute, auf die er sein Vertrauen sezte, seine unvollkommnen Arbeiten in die Welt ausschickten, und bat Arnolden inständig, das Andante ja Niemandem weiter zu geben, welches dieser auch mit einem tiefen Reverenze angelobte. Nun arbeitete seine Gönnerin aus allen Kräften, die innerliche Freude des Fürsten zu nützen und um einen Platz in der Kapelle für ihn anzuhalten: er wurde ihr zugesagt; und da man an diesem Hofe mit Einer Besoldung gern zwey oder drey Dienste verband, wurde Arnold in einigen Tagen darauf Hof- und Kammermusikus, Kammerdiener bey dem Fürsten, mit dem Prädikat eines Geheimen Kämmerers, und Subinspektor des Pferdestalls. 264

 


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