Johann Karl Wezel
Robinson Krusoe
Johann Karl Wezel

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Robinson besaß nach der Zurückkunft in sein Vaterland alles, was ihm den Rest seines Lebens versüßen konnte – eine brave Frau, die ihn liebte, ein paar Kinder, die viel versprachen, und ein hinlängliches Vermögen, um mit Gemächlichkeit und der Anständigkeit eines Mittelmanns zu leben. Das erste Jahr schmeckte ihm die Ruhe so wohl, daß er an Meer und Schiffahrt gar nicht dachte; im zweiten fing schon eine Unruhe an, sich in das Gefühl seiner Glückseligkeit zu mischen: sein Glück wurde ihm einförmig, langweilig, die Neuheit der häuslichen Freuden war vorüber, und alle Abwechslungen, die er sich durch kleine Reisen auf dem festen Lande verschaffen konnte, taten ihm nicht genug. Sein Verlangen nach dem Seeleben wuchs mit jedem folgenden Jahre, Tag und Nacht schwebte ihm seine Insel und die Kolonie, die sie itzt bewohnte, in Gedanken; er baute in seiner Einbildung Städte und Dörfer darauf, sprach vom Morgen bis zum Abend mit seiner Frau von nichts als seiner Insel, und unterhielt sich jemand mit ihm, so war das Gespräch nach dem dritten oder vierten Worte gewiß schon bei seiner Insel. Wenn er mit seinen Kindern spielte, baute er ihnen Schiffe, und die Kleinen ergötzten sich an diesem Zeitvertreibe nicht halb so sehr als ihr Vater, der in Gedanken auf allen diesen Schiffen nach seiner Insel fuhr.

Seine Frau merkte wohl, daß ihn etwas beunruhigte, allein darauf verfiel sie nicht, daß er sich in seinem Alter wieder auf die See begeben wollte. Endlich stieg der Wunsch, seine Insel noch einmal vor seinem Ende zu sehen, bis zu einem solchen Ungestüme, daß er ihn nicht länger verbergen konnte; er entdeckte sich seiner Frau eines Abends bei dem Schlafengehen und bezeugte soviel Beharrlichkeit in seinem verwegnen Entschlusse, daß sie ihn weder durch Tränen noch Seufzer, noch Bitten, noch Gründe zu erschüttern vermochte. Da sie sahe, daß seine Begierde beinahe mit jedem Widerstande zunahm, wußte sie keinen andern Ausweg, als daß sie sich zu seiner Begleiterin anbot. Die zärtliche Betrübnis, womit sie dieses tat, und ihre Bereitwilligkeit rührte ihn so sehr, daß er in sich ging und sein Vorhaben ein wenig genauer überlegte. Er schämte sich vor sich selbst, daß er eine Frau, die er ungemein liebte, aus der Ruhe in die Gefahren des Seelebens mit sich hinreißen sollte; allein zu reisen und sie nie wiederzusehen, wenn er unterweges stürbe, war ihm ebenso empfindlich und schlechterdings unmöglich, weil sie fest entschlossen war, sich nicht von ihm zu trennen. Nach einem langen Streite zwischen Begierde und Überlegung wurde er endlich Herr über sich selbst: er suchte sich zu beschäftigen, weil er fand, daß die Muße seinem tätigen Geiste nur zur Unzufriedenheit täglich neue Nahrung gab.

Er kaufte sich deshalb ein Gut in der Grafschaft Bedford, das sehr viele Verbesserungen bedurfte und ihm also hinlängliche Gelegenheit gab, alles auszuführen, was er auf seiner Insel tun wollte; er trocknete Moräste, ließ Graben ziehen, riß unfruchtbare Heiden um, säete Holz auf schlechte Felder und schuf das ganze Gut um, wo nicht allemal mit wirtschaftlichem Nutzen, so brachte er doch eine Veränderung hervor und bildete sich dabei ein, daß er sie auf seiner Insel hervorgebracht habe. Seine Wohnung war weit vom Meere entlegen, daß er also nicht leicht mit Seeleuten zusammenkommen und durch ihre Erzählungen mit dem Verlangen nach Seereisen angesteckt werden konnte; er warf sich so ganz in die ländliche Geschäftigkeit hinein, daß ihm keine Zeit zu Grillen und Wünschen übrigblieb.

Wie wurde diese Ruhe so bald gestört! Seine Frau, die Seele aller seiner Entwürfe, die Regiererin seines Herzens, die mehr über ihn vermochte als seine eigne Vernunft, starb im Wochenbette. Nun war alle Glückseligkeit und Freude auf seinem Gute ausgestorben und ganz Engeland für ihn zu enge; er ließ die Wirtschaft gehen und stehen, wie sie wollte, und fand an der ganzen Landökonomie Ekel. Verdruß und Langeweile brachten ihm seine Seegrillen wieder in den Kopf, und er kannte kein ander Mittel, sich seines Grams zu entledigen, als wenn er ihn in die Wellen trüge; gleichwohl fiel es ihm schwer, sich von seinen Kindern zu trennen. Weil er glaubte, daß die Einsamkeit des Landes seinen Kummer und seine Unruhe vermehre, verkaufte er sein Gut und zog nach London, aber was half es ihm? Dort schmeckte ihm keine Beschäftigung, und hier hatte er keine, also fand er in London nicht mehr Zufriedenheit als in der Grafschaft Bedford, und in wenigen Tagen war ihm das großstädtische Getümmel so verhaßt wie die Stille seines Landgutes. Auf die See mit dem Manne! Sonst war kein Rat für ihn.

Indem er schon wieder darauf sann, mit welchem Orte er London vertauschen sollte, erhielt er den Besuch eines Vetters, der von seiner ersten Reise zurückkam, die er als Patron nach Bilbao getan hatte; er erzählte dem Herrn Onkel, daß ihm von gewissen Kaufleuten der Antrag geschehen sei, eine Reise für sie nach Indien und China zu tun. Dem alten Robinson hüpfte das Herz im Leibe bei dieser Nachricht, er pries den jungen Menschen glücklich, daß ihm sein Alter erlaubte, so schöne Reisen zu tun und nicht immer auf einem Flecke zu bleiben wie ein Haushund an der Kette. – »Ja, wer noch Ihre Jugend hätte!« seufzte der Alte. »Wenn ich nur zehn Jahre wiederkriegen könnte, ich weiß, was ich täte!« – »Aber«, fiel ihm sein Vetter halb zum Scherze ins Wort, »Sie sind ja so alt noch nicht, daß Sie nicht so ein Gängelchen über die See tun könnten. Fahren Sie mit mir! Ich muß Brasilien berühren, von da ist ja nur ein Sprung bis zu Ihrer Insel. Ich schaffe Sie hin in Ihr kleines Königreich, wenn Sie wollen.«

Robinson geriet außer sich vor Entzücken, seine ganze Stirne heiterte sich auf, er wußte selbst nicht, was er auf den Vorschlag seines Vetters antworten sollte; allein da dieser aus einem Scherze Ernst machte und alle Schwierigkeiten aus dem Wege räumte, die von einer solchen Unternehmung abschrecken konnten, so wurde Robinsons Wunsch zum Entschlusse, und es kam bloß darauf an, daß sein Vetter von den Kaufleuten, die ihm die Reise aufgetragen hatten, die Erlaubnis bekam, den Alten mitzunehmen. Noch war die Bedenklichkeit übrig, wie er von seiner Insel wieder zurückkommen sollte, da er nicht Lust hatte, sein Leben dort in kümmerlichen Umständen zu beschließen; sein Vetter konnte ihn auf seiner Rückreise aus Indien nicht wieder abholen, weil ihm dies einen Umweg von vielen Monaten verursachen würde, und dazu durfte er von seinen Kaufleuten nimmermehr Erlaubnis erwarten.

Robinsons Begierde fand Mittel, auch diesem Hindernisse abzuhelfen: er schlug vor, daß man alles, was zu einer Schaluppe gehörte, nebst einigen Zimmerleuten mitnehmen sollte, die sie im Fall der Not zusammensetzen und auf der Insel vollends ausbauen könnten, und dieses Fahrzeug sollte ihn, wenn er seines Reichs überdrüssig wäre, nach dem festen Lande hinübertragen. Die alte WitweI. Teil, Seite 123. , welcher er bei seiner vorigen Reise einen Teil seines Vermögens anvertraute, wandte ihre Kräfte nochmals an, ihn von seinem Entschlusse abzubringen, aber da half nichts, er übergab ihr seine Kinder zur Erziehung, machte sein Testament, lieferte sein Vermögen in sichere Hände, die seinen Leibeserben nichts veruntreuten, ging mit seinem Franz an Bord und segelte glücklich ab.

Er hatte sich mit den hauptsächlichsten Bedürfnissen versorgt, die seiner Kolonie fehlten: mit Leinwand, wollnen Zeugen, Strümpfen, Hüten, Schuhen, Küchengeräte, Eisen, Gewehr, Pulver, und mit allem in ziemlich großer Menge. Außerdem nahm er einige Handwerker mit sich, die dort auf seiner Insel arbeiten und bei seiner Rückkehr ihn entweder begleiten oder, wenn es ihnen gefiele, dort bleiben sollten; darunter waren zwei Zimmerleute, ein Schlosser, ein Schneider und ein sehr geschickter junger Mensch, der als ein allgemeiner Künstler gebraucht werden konnte, denn außer dem Böttcherhandwerke, das er eigentlich gelernt hatte, machte er Handmühlen, drechselte, verstund sich auf die Verfertigung irdener Gefäße und hatte in allem einen sehr anschlägigen Kopf.

Diese Reise war überaus glücklich für unsern Abenteurer, aber desto unglücklicher für seinen Geschichtschreiber, denn sie lief so ganz ohne alle Gefährlichkeiten, Stürme und große Widerwärtigkeiten ab, daß man im eigentlichen Verstande nichts davon zu erzählen weiß als – er reiste ab und kam an. Widrige Winde hatte er zwar genug, aber widrige Winde sind in der Erzählung so langweilig wie auf der See, und sogar auch diese Unannehmlichkeit schlug zu seinem Vorteil aus, denn sie nötigte ihn, in den irländischen Hafen Galloway einzulaufen, und weil er die Lebensmittel und das Vieh dort im Lande sehr wohlfeil fand, kaufte er in den dreiundzwanzig Tagen, die er dort verweilen mußte, so viele Schweine, Kühe und Kälber ein, als er fortbringen konnte, um seine Insel damit zu bevölkern.

Nicht eher als anderthalb Monate nach seiner Ausfahrt ereignete sich ein Vorfall, der Aufmerksamkeit verdiente. Jedermann auf dem Schiffe gähnte über die Einförmigkeit der Reise; wer nicht gerade wachen mußte, schlief vor Verdruß, um nur nicht das langweilige Wasser mehr anzusehn; endlich kam einmal des Abends der Bootsknecht, der Schildwache stund, mit der Nachricht, daß er in der Ferne einen hellen Schein sehe und einen Kanonenschuß gehört habe, und gleich darauf meldete ein Schiffsjunge, daß der Bootsmann eben itzt einen zweiten Schuß gehört habe. Gleich fuhr jedermann aus dem Schlafe auf und eilte auf den Oberlauf des Schiffes; man sah mit gespannter Aufmerksamkeit nach dem Scheine hin und stimmte einmütig in der Mutmaßung überein, daß ein Schiff in Brand geraten sein müßte. Nach der Gegend des Feuers zu urteilen, führte sie ihr Weg gerade dahin, und ob sie sich gleich der Flamme immer mehr näherten, ließ sich doch wegen der neblichten Luft lange nichts deutlich erkennen; ohngefähr eine halbe Stunde darauf trieb sie ein Lüftchen ein wenig schneller fort, der Nebel zerstreute sich, und vor ihren Augen stand ein brennendes Schiff, das wie ein rotglühender Klumpen auf der erleuchteten Oberfläche des Meers schwebte, aus welchem die knisternden Flammen wie feurige Wimpel emporwehten – ein schreckliches prächtiges Schauspiel!

Das Schiff, worauf sich Robinson befand, löste sogleich fünf Kanonen, um den Unglücklichen die Nähe eines Schiffes zu berichten, damit sie alle Mühe anwendeten, um sich vielleicht in der Schaluppe zu retten. Man zog alle Segel bis auf das kleinste ein und fuhr langsam der Feuersbrunst näher; plötzlich flog das brennende Schiff mit Krachen in die Luft, und das Feuer erlosch, wahrscheinlich weil der eine Teil von entzündetem Pulver emporgesprengt und der andre untergegangen war. Es ließ sich vermuten, daß wenigstens einige Personen sich in der Schaluppe gerettet hatten und itzo auf dem weiten Meere in Angst und Ungewißheit herumirrten, ohne wegen der Dunkelheit den Ort finden zu können, wo Hülfe auf sie wartete; deswegen wurden auf Robinsons Schiffe die ganze übrige Nacht hindurch Laternen an allen Seiten ausgehängt und von Zeit zu Zeit eine Kanone abgefeuert.

Früh um acht Uhr entdeckte man mit Hülfe der Ferngläser zwei Boote voller Leute, die das Schiff gesehen haben mochten und deswegen aus aller Kraft nach ihm zuruderten, aber wegen des widrigen Windes nicht geschwind fortrücken konnten; sie machten allerhand Zeichen, welches man auch auf Robinsons Schiffe tat, wo man zu gleicher Zeit mehr Segel aufspannte, um desto hurtiger zu ihnen zu kommen. Wirklich verging auch keine halbe Stunde, so waren sie schon beieinander; die freudige Behendigkeit, womit die Männer, Weiber und Kinder in einem begrüßenden Gewühl und mit lauter Dankbarkeit aus den Booten am Schiffe hinankletterten, ist unbeschreiblich; es waren beinahe sechzig Personen und darunter viele Passagiere.

Nach geschehener Bewillkommung erzählte einer hier, der andere dort, wie das Feuer ausgekommen war. Das verunglückte Schiff kam von Quebec und hatte nach Frankreich gehen wollen, und durch die Unvorsichtigkeit eines Bootsknechts war es in so traurige Umstände versetzt worden. Mehr konnte man lange Zeit von den Geretteten nicht herausbringen, denn die Freude machte sie alle zu einer zusammenhängenden Erzählung unfähig und druckte sich mit desto mehr Lebhaftigkeit und Seltsamkeit an ihnen aus, da es Franzosen waren. Einige weinten, andre tanzten und sangen; hier lachte einer, dort rang ein anderer die Hände mit lauten Ausrufungen; einige stunden stumm und unbeweglich da, einige fluchten über die Nähe des Todes, in welcher sie gewesen waren, andre machten sich darüber lustig; alle schienen dem Tollhause entlaufen zu sein, und beinahe der Hälfte mußte zur Ader gelassen werden, um die Aufwallungen ihrer Freude zu mildern. Der französische Kapitän warf sich bald um Robinsons, bald um seines Vetters Hals und kannte in seiner Dankbarkeit weder Maß noch Ende. Das Bedenkliche bei dem Vorfalle war, was man mit einer solchen Menge Personen anfangen sollte, da die Vorräte nicht zureichten, um sie bis nach Ostindien mitzunehmen, und auch keiner unter ihnen Lust hatte, einen so weiten Weg ohne andre Absicht mitzumachen. Nichts ließ sich also für sie tun, als daß man seinen Lauf ein wenig nach der Seite hin nahm, wo man vermuten konnte, Schiffe aus Westindien anzutreffen, die sie vielleicht nach England oder Frankreich mit sich zurücknehmen würden. Auch dieser Vorschlag stund ihnen nicht an, sondern sie baten, daß das Schiff, da es einmal von seiner Fahrt zu weit nach Westen geraten wäre, diesen Weg vollends nach Terra nova fortsetzen möchte, wo sie ein Fahrzeug mieten und nach Kanada zurückkehren wollten. Ihr Verlangen wurde bewilligt: man fuhr nach Terra nova, setzte daselbst die Franzosen aus, und niemand blieb auf Robinsons Schiffe als ein französischer junger Geistlicher und vier Matrosen, welche Dienste nahmen.

Der Himmel hatte sie auf dieser Reise zu guten Handlungen bestimmt, denn nicht lange darauf führte er ihnen schon eine zweite Gelegenheit herbei, ihre Menschenfreundlichkeit zu beweisen. Sie begegneten einem Schiffe, welches in zween Stürmen den hintersten Mastbaum, die Oberstange am großen Maste und den Bogspriet eingebüßt hatte und also sehr wenig Herr seines Laufes war; es hatte zu wenig Segel, um den Wind recht zu fassen, und auch keine erfahrnen Personen, die es hätten regieren können, denn es war von Barbados, woher es kam, um nach Bristol zu gehn, einige Tage vorher, ehe es absegeln sollte, zu einer Zeit, als der Kapitän und sein erster Substitut am Lande waren, durch einen plötzlichen Sturm in die See hineingetrieben worden. Nicht lange darauf mußte es einen zweiten Sturm ausstehen, der es noch weiter verschlug und in den kläglichen Zustand versetzte, worinne es sich itzo befand. Außer der Entkräftung, die den armen Leuten der Kampf mit zween so gewaltigen Stürmen verursacht hatte, wurden sie noch mehr durch den Hunger entkräftet; seit eilf Tagen war nicht eine Unze Brot oder Fleisch über ihre Lippen gegangen, alle Vorräte waren aufgezehrt, und sie hatten sich nur aus dem Untergange herausgearbeitet, um vom Mangel getötet zu werden.

Robinson vermochte soviel über seinen Vetter, daß er sich entschloß, die Unglücklichen mit Proviant zu versorgen, wenn er auch wegen dieses Beistandes genötigt werden sollte, sich nach Virginien oder einer andern amerikanischen Küste zu wenden und neuen Vorrat anzuschaffen. Aber je erwünschter den Ausgehungerten diese Hülfe war, je verderblicher hätte sie ihnen beinahe werden können: sie fielen mit einem solchen Ungestüm über die Speisen her und genossen sie so hastig, daß einige dem Tode nahe kamen. Der Schiffschirurgus machte deswegen eine Suppe für sie, die den kraftlosen Eingeweiden Stärke und Nahrung zuführen sollte, um sie dadurch zur Bearbeitung der härtern Speisen vorzubereiten. Man sahe sich sogar genötigt, eine Wache vor die Küche zu stellen, aus Furcht, das Schiffsvolk möchte das Fleisch aus den Kesseln ungekocht herausreißen; selbst diese Vorsicht wäre nicht zureichend gewesen und die Küche von den hungrigen Matrosen gewiß aufgesprengt worden, wenn sie nicht Robinson mit der Drohung abgeschreckt hätte, daß er ihnen seinen Beistand ganz versagen werde, wofern sie nur die mindeste Unordnung erregten. Man gab ihnen anfangs sehr kleine Portionen, die gleichwohl manchem übel bekamen, weil er sie mit zu vieler Hastigkeit hinuntergeschluckt hatte, und durch allmähliche Vergrößerung derselben brachte man ihre Magen stufenweise wieder dahin, daß sie ohne Nachteil gefüllt werden konnten wie sonst.

Am traurigsten war der Zustand der Reisenden, die sich auf dem Schiffe befanden; sie hatten ihren eignen Vorrat aufgezehrt und weder für Geld noch durch Bitten etwas bekommen können, weil ein jeder unter den übrigen Mühe genug hatte, seinen eignen Hunger zu stillen. Es war eine Familie, die aus einer Mutter, ihrem Sohne und einer Magd bestund; alle drei hatten seit einigen Tagen gar nichts zu sich genommen und wurden deswegen von jedermann für tot gehalten. Robinson ging zu ihnen in ihre Kammer und fand sie auf der Erde sitzend, die niederhängenden Köpfe an Stühle gelehnt. Die Mutter hatte aus Liebe zu ihrem Sohne sich die Nahrung abgebrochen und war dem Tode deswegen völlig nahe, sie atmete zwar noch äußerst schwach, aber Empfindung, Sinn und Bewußtsein waren ganz erloschen, ihr Kopf zwischen beide Schultern hineingesunken und ihr Körper nichts als ein Knochengerippe, mit Haut überzogen; man schüttete ihr einen Löffel voll von der Brühe in den Mund, womit man die übrigen wieder gestärkt hatte, allein alle Bemühungen blieben fruchtlos, weil der Schlund vom langen Fasten so zusammengeschrumpft war, daß nichts durch ihn in den Magen hinabfließen konnte, und alle Muskeln und Fibern hatten durch die Auszehrung des Hungers die Kraft zum Schlucken verloren. Sie zeigte mit dem Finger langsam auf ihren Sohn und starb.

Der junge Mensch und die Magd hatten mehr Kräfte zuzusetzen gehabt als die alte Mutter und wurden also durch die Sorgfalt des Wundarztes gerettet, aber der erste Anblick dieser beiden Leichengestalten war schrecklich. Der Sohn, ein Stück zernagtes Leder zwischen den Lippen, wovon er bereits viel hinuntergeschluckt hatte, mit verzerrten Gesichtszügen und bleich wie ein Toter, die Magd mit eingeschlagenen Daumen, knirschenden Zähnen, aus allen Kräften mit Füßen und Kopf angestemmt, mit Schmerz und Tode ringend! Robinson mußte sich wegwenden, so erschütterte ihn das Bild. Ob man gleich beide wieder zu sich brachte, so brauchte es doch lange Zeit, ehe man ihrer Genesung völlig gewiß wurde, besonders mußte man sehr für ihr Gehirn fürchten, das einige Tage ganz verrückt war.

Bei einem Besuche auf offner See darf man nicht viel Zeit verschwenden, und Robinson mußte deswegen, sobald er diesen Unglücklichen einige Hülfe verschafft hatte, sich von ihnen trennen, um sich nicht auf seiner Fahrt zu verspäten. Auf seine Vorstellung versorgte sie sein Vetter mit Mundvorrate von aller Art, soviel er ohne eigne Gefahr entbehren konnte; den jungen Menschen nebst der Magd und einem Geistlichen nahm er auf sein Schiff und überließ die übrigen der Fürsorge des Himmels. Wahrscheinlich sind sie mit ihrem äußerst beschädigten Schiffe bei dem ersten Sturme untergegangen, denn Robinson gab dem Kapitän einen Brief an die Anverwandten des jungen Menschen mit, den er gleich nach seiner Ankunft in Bristol abgeben sollte, und dieser Brief ist niemals abgegeben worden, wie es sich in der Folge auswies.

Nach zwo so auszeichnend guten Handlungen, wozu ihnen der Zufall verhalf, ohne die mindeste eigne Widerwärtigkeit, die erzählt zu werden verdiente, bekam endlich Robinson seine geliebte Insel zu Gesichte; es kostete ihm viele Mühe, sie wiederzufinden, und er kreuzte oft vor ihr vorbei, ehe er sie erkannte, weil er sie von einer Seite sah, von welcher er sie vormals noch nicht erblickt hatte; auch betrog ihn die Voraussetzung, daß ihr gegenüber ein festes Land sein müßte, allein was er sonst für festes Land gehalten hatte, war nur eine langgedehnte Insel, wie er itzo wahrnahm.

Sobald als er sie gefunden hatte, rief er Franzen und fragte ihn, ob er nunmehr wüßte, wo er wäre; der Bursche sahe lange Zeit mit starrem Blicke nach der Insel hin, schlug endlich in die Hände und rief: »Ja, ja, ja!« Er zeigte mit dem Finger Robinsons Palast, zeigte den kleinen Meerbusen, zeigte an dem Ufer bald hier, bald dort einen Platz, wo er gesessen oder sonst etwas getan haben wollte, singend und springend, als wenn ihm die Freude den Verstand verrückt hätte; es kostete viele Mühe ihn zurückzuhalten, daß er sich nicht in das Meer warf und zum Lande hinüberschwamm.

»Was meinst du, Franz?« fing Robinson an, »werden wir wohl deinen Vater noch am Leben finden?« – bei dem Worte »Vater« wurde das gutherzige Geschöpf äußerst gerührt, und die Tränen tröpfelten ihm in Menge aus den Augen. »Tot, tot wird er sein!« sprach er schluchzend. Sein Herr tröstete ihn und befahl ihm, sich fleißig umzusehen, ob er eine menschliche Figur auf der Insel gewahr werden könnte; Franz gehorchte dem Befehle desto williger, weil er ohnehin schon vor Ungeduld brannte, eine solche Entdeckung zu machen, und nicht lange darauf versicherte er freudig, daß er auf dem Felsen hinter Robinsons ehmaliger Wohnung viele Menschen sähe. Der Alte wollte ihm nicht glauben, weil sie wenigstens noch eine halbe Stunde vom Lande waren, allein mit Hülfe des Perspektivs erblickte er gleichfalls etwas, das Franzens Versicherung zu bestätigen schien, und den Tag darauf wies es sich aus, daß Franz recht hatte; es waren fünf oder sechs Personen von den Einwohnern der Insel, die sich auf den Felsen stellten, um das ankommende Schiff zu beobachten.

Sogleich ließ Robinson die englische Flagge aufstecken und zween Kanonenschüsse tun, um zu zeigen, daß sie Freunde wären, und eine Viertelstunde darauf stieg auf der Insel neben dem kleinen Meerbusen ein dicker Dampf empor, welches man als ein Zeichen der Beantwortung annahm. Man setzte das große Boot aus, steckte eine weiße Friedensfahne auf, und Robinson und Franz nebst dem jungen Geistlichen, dessen vorhin Erwähnung geschehen ist, und sechszehn bewaffneten Leuten begaben sich hinein und fuhren gerade nach dem Ufer zu.

Als sie in dem kleinen Meerbusen einliefen, kam ihnen eine Menge von den Einwohnern der Insel, alle bewaffnet und mit einer Friedensfahne entgegen; der erste, der sie anführte und die Fahne trug, war der Spanier, den Robinson vormals aus den Händen der Wilden erretteteI. Teil, S. 107. , die ihn zu einem Gerichte bei ihrem grausamen Siegesmahle bestimmt hatten. Er erkannte ihn augenblicklich und befahl deswegen, daß jedermann im Boote bleiben und bei Vermeidung der härtesten Strafe keinen Fuß ans Land setzen sollte, er wollte allein aussteigen, um sich seinen Vasallen und Untertanen zu erkennen zu geben; doch Franz war nicht zurückzuhalten, er hatte in einer weiten Entfernung hinter dem Truppe seinen Vater daherschleichen sehn und drängte sich in der Berauschung seiner kindlichen Liebe durch alle hindurch, um dem Vater zuzueilen. Er flog wie ein Pfeil mit offnen Armen auf ihn zu, drückte ihn an die Brust, küßte ihn, setzte ihn nieder auf den Stamm eines Baumes, kniete vor ihm hin und sah ihm steif ins Gesicht, ohne ein Wort zu sprechen, indessen daß ihm Träne auf Träne über die glühenden Wangen herabrollte; bald ergriff er plötzlich seine Hände und küßte sie, bald stund er auf, bald setzte er sich zu ihm und sah ihn von neuem an, als wenn er sich an dem Anblicke nicht sättigen könnte; mit diesem stummen Schauspiele brachte er über eine Viertelstunde zu.

Seit dieser Zeit ließ er ihn nicht mehr von der Seite. Des Morgens darauf ging er mit ihm einige Stunden am Ufer spazieren und führte ihn am Arme wie eine Geliebte; alle fünf Minuten lief er einmal in das Boot, um etwas für ihn zu holen, itzt ein Stück Zucker, itzt ein Glas Branntwein, itzt einen Zwieback, er war ganz verlegen, was und wie er ihm genug zugute tun sollte.

Nachmittags wurde seine Freude am ausschweifendsten: er setzte den Alten auf die Erde und tanzte mit tausend lächerlichen Gebärden um ihn herum, dabei erzählte er ihm bald singend, bald sprechend die vornehmsten Begebenheiten seines bisherigen Lebens seit ihrer Trennung. Der Affekt hatte sich seiner so sehr bemeistert, daß er im Betragen und Ausdruck der Freude wieder völlig zum Wilden wurde.

Mit gleichem Vergnügen, das sich aber auf europäische Art ausdrückte, wurde Robinson von dem Spanier bewillkommt, ob es gleich anfangs Mühe kostete, ihn zu überreden, daß es Robinson wirklich sei; vor Erstaunen bestürzt und sprachlos, gab der Spanier, als er seinen ehmaligen Erretter erkannte, die Fahne und Flinte einem seiner Begleiter und umarmte den unerwarteten Gast unter allen möglichen schmeichelnden Komplimenten, die ihm die spanische Höflichkeit eingab.

Robinson wurde bei Erblickung so vieler Gegenstände, die ihn an so mancherlei Kummer, Beschwerlichkeit, Angst und Not erinnerten, in eine Rührung versetzt, die ihm oft eine stille Träne auspreßte, indem er an der Hand seines Freundes sich zu seiner vorigen Wohnung führen ließ; der Zugang zu ihr war so sehr verändert, daß er für sich den Weg nimmermehr gefunden hätte; die Bäume, die er ehmals um sie herum pflanzte, waren zu einem dichtverwachsenen Walde geworden, und man hatte sie durch viele neue vermehrt, die in einer so seltsamen Ordnung durcheinander stunden, daß sich der Weg durch unendliche verborgne Krümmungen wie ein Irrgarten hin und her zog und von niemandem, der ihn nicht genau wußte, auskundschaften ließ. Robinson fragte nach der Ursache, die ihnen eine solche starke Befestigung angeraten hätte. »Unsre Sicherheit!« antwortete der Spanier. »Die Bösewichter, die wir bei unserer Zurückkunft auf der Insel fandenDarunter versteht er die englischen Matrosen, die mit dem Schiffe ankamen, worauf Robinson nach Hause reiste; die Ankunft des Schiffes geschah während der Abwesenheit des Spaniers, den er mit Franzens Vater nach dem festen Lande geschickt hatte. Man sehe I. Teil, S. 111, 112, 123. , haben uns soviel Unruhe gemacht, daß wir keine andre Wahl als zwischen Gegenwehr und Knechtschaft hatten, denn sie wollten nicht nur unsre Herren, sondern sogar unsre Mörder werden, und wir mußten sie daher um unserer Sicherheit willen entwaffnen und uns unterwerfen.« – Robinson wurde durch diesen Anfang, der eine sehr kriegerische Geschichte erwarten ließ, desto begieriger, den ganzen Verlauf derselben zu erfahren, und sein Freund vertröstete ihn bis auf den Abend, wo er ihm nach einer nüchternen Mahlzeit alles umständlich erzählen wollte.

Wie ein Mensch, der nach langer Abwesenheit zu dem Aufenthalte seiner ersten Jahre zurückkömmt, wo jeder Baum, jeder Winkel ihn an eine kindische Ergötzlichkeit oder einen kindischen Schmerz erinnert, mit der nämlichen Empfindung trat Robinson in die Hütte, die er sein Schloß nannte; allenthalben erblickte er Werke seines Fleißes, seiner Erfindsamkeit, allenthalben Örter, wo er sich über eine bevorstehende Not geängstigt, über ein ausgestandnes oder abgewendetes Unglück gefreut, wo er sich mit den Gespenstern der Einbildung herumgeschlagen, wo er den Tod erwartet, wo er ein unvermutetes Rettungsmittel wider eine große Verlegenheit gefunden oder über eine gelungne Arbeit triumphiert, wo er geweint, gelacht, gehungert, sich gelabt, gefürchtet, gehofft hatte; mit süßer Erinnerung überlief er die ganze Geschichte seines mühevollen Lebens und erzählte den Umstehenden mit froher Geschwätzigkeit bei jedem seiner Kunstwerke, wie ihn der Zufall darauf geführt, wie lange er daran gearbeitet, wie er dabei geschwitzt habe; er konnte des Erzählens und der Freude kein Ende finden.

Unterdessen mußte das Boot zu dem Schiffe zurückfahren, um die mitgebrachten Handwerksleute und Vorräte, die für die Kolonie bestimmt waren, herbeizuholen; die armen abgerißnen Insulaner empfingen Kleidung und Speisen, die sie seit so vielen Jahren nicht genossen hatten. Robinsons Vetter, als er die Arbeiten seines Onkels gesehn und bewundert hatte, begab sich wieder an Bord, und der junge Geistliche, der junge Mensch und die Magd, die unterweges zu ihnen kamen, blieben auf der Insel.

So fröhliche Gesichter und Herzen waren noch nie in dieser Einöde gewesen wie itzo; einer zeigte dem andern seine neue Kleidung, jeder fragte die angekommenen Europäer nach Nachrichten und Begebenheiten aus der Alten Welt, einer lief wider den andern, um Anstalten zur Bewirtung ihres Monarchen zu machen. Die Mahlzeit war auf allen Seiten äußerst vergnügt, doch Robinson brannte so sehr vor Ungeduld, die Geschichte der Kolonie während seiner Abwesenheit zu erfahren, daß er so bald als möglich die Tafel aufhob, um mit dem Spanier allein zu sein, der ihm die verlangte Erzählung versprochen hatte, und kaum waren sie es, als schon Robinson den Faden der Begebenheiten anknüpfte und nach der Ursache fragte, die ihn damals so lange auf dem festen Lande zurückgehalten hätte, als er dahin geschickt worden war, um seine übrigen Landsleute auf die Insel herüberzubringen.I. Teil, S. 111, 113.

»Nichts war daran schuld«, antwortete der Spanier, »als die Schwierigkeit, ein Fahrzeug zu finden, worinne wir meine Kameraden und die wenigen Habseligkeiten, die wir aus dem Schiffbruche gerettet hatten, herüberbringen konnten, denn das Kanot, auf welchem ich mit Franzens Vater hinüberfuhr, war zu klein für uns alle, da wir aus achtzehn Personen bestunden. Nachdem wir lange vergebens damit umgegangen waren, ein paar neue Kähne zu bauen, entschlossen wir uns zu einem Diebstahle, den uns die Notwendigkeit verzeihlich zu machen schien. Wir borgten von unsern Nachbarn, den Wilden, so viele Kanots, als wir brauchten, unter dem Vorwande, als wenn wir auf den Fischfang ausfahren wollten, und versprachen zur Erkenntlichkeit, unsre Beute mit ihnen zu teilen; die faulen Wilden, die gern in Ruhe zu Hause blieben und sich pflegten, gingen einen solchen Vorschlag mit Freuden ein, weil sie etwas zu essen bekommen sollten, ohne daß sie sich darum bemühen durften. Kaum waren wir weit genug in der See, so nahmen wir unsern Weg mit aller möglichen Geschwindigkeit nach dieser Insel; wir langten auch glücklich an, aber wie erstaunten wir, als wir statt meines Freundes, statt des Robinsons, von dem ich meinen Landsleuten so viele angenehme Hoffnungen gemacht hatte, fünf Engländer fanden, denen zum Teil die Bosheit und Grausamkeit aus jeder Miene hervorleuchtete! Sie nahmen uns zwar ohne Weigerung auf und übergaben uns einen Brief, den du an uns zurückgelassen hattest und der die Veranlassung deiner so schnellen Abreise enthielt nebst einem umständlichen schriftlichen Unterrichte über die Art der Haushaltung, die du hier geführt hattest, wie und wenn wir säen, ernten, wie wir backen, kochen, Gefäße machen und überhaupt für unsre Bequemlichkeit und unser Bedürfnis sorgen sollten, allein dies war die einzige und letzte Billigkeit, die sie uns erzeigten. Der Brief, den sie uns übergaben, erteilte uns das Recht, alle Vorräte mit den fünf Engländern gemeinschaftlich zu genießen und gemeinschaftlich mit ihnen die Insel zu bauen und zu bewohnen; sie machten uns auch dieses Recht nicht streitig, sondern lebten mit uns friedfertig in dieser Wohnung, aßen und tranken mit uns an einem Tische; aber so gern sie den Genuß mit uns teilten, sowenig wollten sie die Arbeit mit uns teilen; sie gingen den ganzen Tag müßig oder schweiften auf der Insel herum, schossen Papageien, fingen Schildkröten, und wenn wir uns müde gearbeitet und das Essen mit großer Beschwerlichkeit zubereitet hatten, dann setzten sich die Müßiggänger an unsern Tisch und verzehrten, was uns unsern Schweiß kostete. Schon die Verschiedenheit der Sprache, der Religion und des Vaterlands machte keine sonderliche Einigkeit unter uns möglich; außer mir und noch einem unter meinen Kameraden verstund niemand englisch, und die fünf Engländer wußten kein spanisches Wort und hatten auch keine Lust, es zu lernen, sondern bezeugten vielmehr gänzliche Verachtung gegen unser Vaterland und unsre Sprache. Es fielen daher häufige Zänkereien zwischen beiden Teilen vor, und ich tat zu Vermeidung derselben den gutgemeinten Vorschlag, daß sie sich von uns trennen und an einem andern Teile der Insel anbauen sollten; wir versprachen ihnen dabei alle mögliche Hülfleistung, Samen und einen Vorschuß an Getreide bis zu ihrer nächsten Ernte. Zween unter ihnen waren so billig und nahmen meinen Vorschlag an, besonders fanden sie es sehr vernünftig, daß wir nicht alle auf einem Flecke beisammenwohnten und den übrigen Teil der Insel ungebaut ließen, da wir sonst unsre Felder zu weit von der Wohnung anlegen und dadurch den Ackerbau erschweren müßten, der ohnehin wegen der mangelhaften Werkzeuge sehr langsam vonstatten ging; sie gestunden mir offenherzig, daß sie schon längst besorgt hätten, wir würden einmal bei einem Mißwachse alle zusammen Not leiden, wenn wir uns nicht in kleinere Haufen zerteilten, und daß sie bloß durch die Furcht vor ihren Landsleuten abgehalten worden wären, so etwas anzuraten. So bereitwillig wir diese beiden fanden, so hartnäckig bewiesen sich die übrigen drei. ›Vertreibt uns, wenn ihr könnt!‹ war ihre Antwort auf meinen Vorschlag. ›Gott straf mich! Ihr mögt lange warten, bis Ihr uns fortbringt.‹ – Ich setzte ihnen mit Güte und mit Schärfe zu, aber es half nichts, sie blieben auf ihrem Sinne und schwuren einige Dutzend ›Gott straf mich!‹God damm me, der Lieblingsfluch des gemeinen Volks in England. , daß wir eher unter ihren Händen sterben, als sie von uns treiben sollten. Sie lachten und spotteten auf das grausamste über die beiden andern, daß sie so einfältig wären, sich von uns verjagen zu lassen und das bequemste Leben mit Arbeit und Mühseligkeit zu vertauschen. Um einem Blutvergießen vorzubeugen, beschlossen wir, die Faulen noch einige Zeit unter uns zu dulden und sie vielleicht allmählich zur Vernunft zu bringen, dies Nachgeben machte die Bösewichter noch schlimmer.

Die übrigen beiden wurden zwar unaufhörlich von ihnen aufgehetzt, aber sie beharrten in ihrem guten Vorsatze und bauten sich in der mitternächtlichen Hälfte der Insel mit unsrer Beihülfe Wohnungen und bequemten sich zum Ackerbau; wir lebten in sehr freundschaftlichem Vernehmen, halfen uns in der Not wie gute Nachbarn, und unser beiderseitiger Fleiß machte die Not unter uns selten. Kaum hatten sie die erste Ernte getan, so kamen die drei Faulenzer schon auch bei ihnen zu Gaste, und da sie nichts im guten herauspressen konnten, brauchten sie Gewalt. Die Bedrängten baten uns um Hülfe, und wir drohten den Räubern den Tod, wenn sie diese Leute nicht in Ruhe ließen; sie mußten unsrer Übermacht weichen und flüchteten in die Wälder. Nunmehr waren wir desto schlimmer daran: sie behandelten uns als Feinde, da wir ihnen kein Brot mehr geben wollten, und jede Nacht mußte die eine Hälfte von uns auf den Feldern wachen, damit sie nicht verwüstet wurden. Wir konnten es wegen unsrer starken Anzahl wohl aushalten, aber die armen beiden Engländer mußten geben, was ihnen jene drei Räuber abfoderten, und da sie nichts mehr zu geben hatten, zündeten ihnen die Bösewichter ihre Wohnungen an. Sie retteten sich zu uns und erboten sich zu der beschwerlichsten Arbeit, wenn wir ihnen Unterhalt und Schutz dafür gäben; wir bewilligten ihnen beides unter der Bedingung, daß sie uns völligen Gehorsam versprächen, sie gelobten ihn förmlich an und wurden also unsre Knechte, die uns desto nötiger waren, da sich durch die Nachtwachen jedesmal ein Teil von uns zur Tagesarbeit untüchtig machte. Die Beschwerlichkeit, beständig wider einen Feind auf der Hut zu sein, wurde in der Länge so drückend für uns, daß wir den Frieden wünschten; unsre Feinde wünschten ihn gleichfalls, weil sie wegen unsrer Wachsamkeit nichts von unserm Vorrate stehlen konnten und deswegen beinahe verhungerten. Vom Mangel gedrungen, erboten sie sich freiwillig zur Arbeit und zum Gehorsam, wenn wir sie wie ihre andern beiden Landsleute unter uns aufnehmen und ihnen den nötigen Unterhalt geben wollten; wir gestunden ihnen ihr Verlangen ohne Weigerung zu und hofften, nunmehr auf immer ruhig zu bleiben, so gut ließen sie sich anfangs an. So brachte der Mangel und die Schwäche wider einen mächtigern Feind die erste Knechtschaft unter uns hervor.

Die beiden gutgesinnten Engländer waren nur auf eine bestimmte Zeit unsre Knechte geworden, und wir hielten es für billig, sie ihres Dienstes zu entlassen, da dieser Zeitraum verflossen war; sie bauten ihre Wohnungen wieder auf und fingen den Ackerbau von neuem für sich an, und teils um unsern Schutz noch ferner zu genießen, wenn sie etwa ihre Landsleute wieder beunruhigen sollten, teils aus Erkenntlichkeit für den Samen, den wir ihnen vorstreckten, und die Hülfe, die wir ihnen bei ihrem Aufbauen leisteten, versprachen sie uns von jeder Ernte eine gewisse Abgabe und wurden uns auf diese Weise zinsbar.

Die andern drei wurden ihres Fleißes bald überdrüssig, beschwerten sich, daß wir sie wie Sklaven hielten, da sie doch nur unsre Knechte zu sein versprochen hätten, und weigerten sich, die auferlegte Arbeit zu tun. Wir stellten ihnen vor, daß sie uns beständigen Gehorsam angelobt und dadurch das Recht gegeben hätten, sie mit gewaffneter Hand zur Haltung ihres Versprechens zu zwingen, allein sie fluchten, schwuren, tobten und gingen müßig wie zuvor; da sie ihrerseits die Bedingungen so schlecht erfüllten, unter welchen wir sie aufgenommen hatten, so glaubten wir gleichfalls die unsrigen nicht halten zu dürfen und entzogen ihnen den Unterhalt; darüber wurden sie äußerst unwillig, entwanden uns heimlich Gewehr, beraubten unsre Vorratskammern und entwichen des Nachts. Glücklicherweise waren damals unsre Äcker leer, sonst würden sie unfehlbar die nämliche Verwüstung erlitten haben, die unsre Bäume betraf: einen Teil davon hatten die Gewissenlosen niedergehauen und einen noch größern beschädigt, daß wir die Hälfte des Haines um unsre Wohnung neu anpflanzen mußten.

Dabei ließen sie es nicht bewenden: sie wiegelten ihre beiden Landsleute wider uns auf und überredeten sie durch Drohungen und Versprechungen, daß sie uns den versprochenen Tribut nicht mehr bezahlten. Was konnten wir tun, als daß wir sie durch die Vorstellung der Billigkeit und durch Drohungen zu ihrer Pflicht zurückzubringen suchten! Entweder aus guter Denkungsart oder aus Furcht vor unsrer Übermacht versicherten sie bei jeder Erinnerung, die wir ihnen taten, daß sie ihre Schulden nächstens abtragen würden; aber wenn sie es auch willens waren, so durften sie es doch vor ihren Aufhetzern nicht wagen, die sie mit Feuer und Tode bedrohten, wenn sie uns länger zinsbar blieben, auch fiel ihnen die Bezahlung wirklich zu schwer, weil sie die drei Räuber ernähren mußten. In der Länge fanden sie gleichwohl ihre Rechnung bei der Verbindung mit ihnen, denn die Diebesbande stahl uns alles, was sie in ihre Gewalt bekommen konnte, und teilte den Raub mit unsern ungehorsamen Zinsleuten.

So großen Schaden sie uns auf diese Weise zufügten, so war ihnen dieses doch nicht genug: sie wollten unsre Herren werden, sich unsrer Wohnung, unsrer Äcker und Personen bemächtigen und uns zu ihren Knechten machen, damit sie in Überfluß und Müßiggange leben und nur ihrem Vergnügen nachhängen dürften. Dies feindselige Projekt teilten sie ihren beiden Landsleuten mit, suchten ihren Neid wider unsre größern und fruchtbarern Felder zu erregen und ermunterten sie zu einem Angriffe. Furcht, Neid und Eigennutz vermochten endlich soviel über sie, daß sie mit unsern Feinden ein Bündnis wider uns errichteten und dabei die Verabredung nahmen, uns im Schlafe zu überfallen, zu binden und so lange zu quälen, bis wir ihnen Gehorsam und Knechtschaft angelobten. Sie führten ihr gewalttätiges Vorhaben wirklich aus, überraschten uns im Schlafe und bekamen drei von den unsrigen in ihre Hände, die sie gebunden mit sich fortschleppten, um sie zu ihren Sklaven zu machen. Wir waren den Raub nicht einmal gewahr worden, sondern glaubten, als wir unsre Kameraden vermißten, daß sie uns aus Untreue verlassen und sich zu unsern Feinden geschlagen hätten. Voller Zorn über eine solche Gewissenlosigkeit zogen wir aus, um die Ungetreuen wieder zu uns zurückzubringen, allein es war uns unmöglich, weil unsre Feinde in die Wälder flüchteten, wo wir ihnen nicht nachsetzen konnten, da wir befürchten mußten, daß sie während unsrer Abwesenheit unsre Wohnung verheerten. Wir besorgten jeden Augenblick einen Angriff, stellten Wachen aus und brachten die ganze Nacht unter dem Gewehr zu; gegen Morgen fanden sich unsre vermißten Landsleute unvermutet wieder ein und rissen uns durch die Erzählung ihrer Schicksale aus dem Verdachte, den wir gegen ihre Treue gefaßt hatten. Sie waren den Engländern entlaufen, die ihnen den kümmerlichsten Unterhalt und die härtesten Arbeiten bestimmten.

Nun dachten wir auf Rache: wir sahen voraus, daß unsre Ruhe nimmermehr dauerhaft sein könnte, wenn wir uns nicht zu Herren der ganzen Insel machten und unsre Feinde unter das Joch brächten. Wir teilten uns also in zween Haufen: der eine blieb hier in unsrer Wohnung, um sie zu verteidigen, der andre zog aus, um die Feinde aus den ihrigen zu vertreiben. Da sie nur wenig Gewehr und einen kleinen Pulvervorrat hatten, so floh der unbewaffnete Teil bei der Ankunft unsers Truppes, und die übrigen folgten ihm sehr bald nach, weil wir stärker waren und zu heftig auf sie feuerten; einer von den Fliehenden bekam eine so starke Wunde, daß er zurückblieb und unser Kriegsgefangner wurde. Wir bemächtigten uns aller ihrer Werkzeuge, die sie zum Ackerbau brauchten, aller ihrer Gefäße und Vorräte und zerstörten ihre Hütten, damit sie keine sichere Zuflucht hatten und durch Hunger gezwungen wurden, sich uns auf Gnade zu ergeben. Dies geschah auch wirklich in einigen Tagen: einer von ihnen kam als Gesandter und bat um Frieden. Wir konnten ihn unter keiner andern Bedingung zugestehn, als wenn sie unsre Sklaven würden; diese Bedingung, so hart sie war, machte uns teils unsre Ruhe nötig, teils war es auch Wiedervergeltung, da sie die beiden Leute, die sie uns so diebischerweise des Nachts raubten, auf die nämliche Weise behandelt hatten. Sie wollten nicht einwilligen, und der Krieg ging von neuem an. Sie wagten in der Verzweiflung das Äußerste, drangen wütend in unsre Wohnung und suchten schlechterdings entweder Tod oder Sieg. Wir fielen ihnen in den Rücken, umzingelten sie und nahmen sie insgesamt gefangen.

Nun konnten sie kein ander Schicksal erwarten, als welches wir ihnen schon angedroht hatten: der Sieg hatte sie in unsre Gewalt gebracht und gab uns das Recht, ebenso mit ihnen zu verfahren, wie sie uns begegnet wären, im Fall daß sie uns überwanden. Die beiden, welche uns schon einmal zinsbar gewesen waren, beteuerten ihre Unschuld auf das stärkste und bezeugten die lebhafteste Reue, daß ihre Landsleute sie zur Rebellion wider uns gezwungen hatten; aus diesem Grunde ließen wir sie nach einer Gefangenschaft von einigen Tagen wieder frei, und da ihr Wohnplatz und alle ihre Habseligkeiten durch die Eroberung unser Eigentum geworden waren, so gaben wir sie ihnen nur als Vasallen in Besitz, sie mußten uns den Eid der Treue schwören, Beistand angeloben, sooft wir ihn von ihnen verlangten, und es stand in unsrer Macht, ihnen Wohnung und Geräte wieder zu nehmen, wenn sie wider den versprochenen Gehorsam fehlten. Die übrigen drei Kriegsgefangenen wurden in beständiger Verwahrung und Aufsicht gehalten und mußten alle Arbeiten verrichten, die wir von ihnen foderten.


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