Ernst Wichert
Die Schwestern
Ernst Wichert

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Katre beeilte sich aber gar nicht so sehr, nicht einmal mit der Antwort auf diesen Brief. Sie lebte so vergnüglich, im Winter in der großen Stadt und im Sommer auf dem Lande und an der See, daß es sie gar nicht drängte, sich zu verändern. An Verehrern fehlte es ihr am wenigsten, darunter ganz netten Leuten, die sich an ihre dienende Stellung gar nicht gestoßen hätten. Wer konnte wissen, was sie eintauschte? Wahrscheinlich schwere Arbeit und Sorge. Sie zögerte lange. Und dann mußte sie doch erst den Dienst kündigen. Von ihrem Recht, der Heirat wegen ihre Frist abzukürzen, wollte sie keinen Gebrauch machen. Als Mare ihr schrieb, Janis werde schon ungeduldig, antwortete sie schnippisch: wenn er nicht warten könne, möge er doch tun, was ihm beliebe; ihr sei nicht so viel an ihm gelegen. Auch das noch! Sie achtete das Opfer nicht einmal, das die Schwester ihr brachte.

Als sie dann endlich doch nach Hause kam, schien sie sich nur schwer in die alten Verhältnisse zurückfinden zu können. Es hatte ihr alles einen so ärmlichen Anstrich! Wie niedrig die Stuben und wie klein die Fenster, wie hart die Betten und wie unschmackhaft die Kost! Die kleine Ewe kam ihr in dem sackartigen Röckchen und der dicken Mütze recht spaßig vor. Keine Spur von Rührung wurde bei der ersten Begrüßung merkbar; dafür lachte sie hellauf, kehrte sich ab und sagte kichernd: »Das ist ja gar nicht meins.«

Mare war beleidigt. »Du verdienst nicht, ein so hübsches Kind zu haben«, meinte sie.

»Ach – es gibt noch viel hübschere«, versicherte Katre. »Du sollst einmal mein Maxchen sehen! O jeh –! sie hat ja einen Leib wie eine Tonne. Du hast sie zu viel grobes Brot stopfen lassen.« Auch noch Vorwürfe!

Mit Janis machte sie die geringsten Umstände. Er konnte gar nicht auf den Gedanken verfallen, daß er ihr eine Gunst erweise, wenn er sie heirate. Die Gunst war ganz auf ihrer Seite. Das mußte er schon beim ersten Zusammentreffen einsehen. Sie reichte ihm zwar die Hand, wollte sich aber nicht küssen lassen »Ach, das hat noch Zeit«, sagte sie lachend »Ich höre, daß du bald Hochzeit zu bestellen gedenkst. Aber so rasch geht's damit nicht. In diesen zwei Jahren kann sich viel verändert haben, und ich muß erst sehen, ob du mir noch gefällst. Einen Mann, der mir nicht gefällt, mag ich nicht nehmen – lieber gar keinen. Und ich weiß auch noch nicht, ob ich's hier aushalte. Meinetwegen brauchst du dich nicht zu übereilen.«

Er ging ärgerlich fort, fand sich aber schon denselben Abend wieder ein, klopfte ans Fenster und lockte Katre hinaus. Er hatte wohl allerhand Bedenken gehabt, solange sie fern gewesen war. Nun er sie wiedergesehen, wirkte sofort der alte Zauber mit unwiderstehlicher Kraft. Er mußte sich gestehen, daß sie noch viel hübscher geworden sei. Sie war immer unter dem Sonnenschirm gegangen, und ihre runden Wangen schienen ganz Milch und Blut. Die Hände hatten nicht gearbeitet und fühlten sich weich an, wie die eines Stadtfräuleins. Die Augen blickten noch munterer und die Lippen lachten noch schelmischer. Sie trug Kleider vom feinsten Stoff und Schmucksachen von echtem Gold. Dabei hatte sie in ihrem Wesen etwas Zierliches, das gleich den Blick auf sich zog. Janis war schnell wieder verliebter in sie als je. Es schien, daß er sich jetzt erst um sie bewerben mußte. An das Kind wollte sie gar nicht erinnert sein. Sie behandelte es wie Mares Kind und nahm es nie auf den Arm, wenn er dabei war. Sie sah aber gern, daß er's liebkoste, er sollte beweisen, daß es ihm wirklich gehörte und keine Last sein würde. Seinem Bruder Endrik und dessen Frau gab sie zu verstehen, daß sie wohl wüßte, wie sie abgeraten hätten, und Marikke, die schlechte Freundin, sah sie stolz über die Achsel an. Darüber durfte Janis nicht den Mund verziehen. Jetzt sollte er ganz auf ihrer Seite stehen.

Nach einigen Wochen war wieder das beste Verhältnis hergestellt. Katre tat, was ihr beliebte, und Janis ließ sich um den Finger wickeln. Wie ein zärtlicher Täuberich umkreiste er sie und machte ihr seine Verbeugungen. Endlich willigte sie denn auch in die Festsetzung des Hochzeitstages. Sie fuhren aufs Amt und zum Herrn Pfarrer, das Aufgebot zu bestellen. Auf dem Gericht wurde das Grundstück verschrieben. Mare hielt eine stille Feier für angemessen, aber davon wollte Katre durchaus nichts wissen. Sie hätte von ihrem Lohn reichlich soviel erspart, meinte sie, um sich einmal vergnügt machen und den Leuten zeigen zu können, daß sie hinter keiner jungen Frau zurückzustehen Ursache habe. »Ihr könnt das Geld besser anwenden«, sagte Mare, »es wird euch an allen Ecken und Enden in der Wirtschaft fehlen.«

»Die Augen müßt' ich mir aus dem Kopfe schämen«, antwortete Katre, »wenn ich keine richtige Hochzeit hätte. Ich will in den Ehestand hineintanzen! Das hat eine gute Vorbedeutung.«

Und sie tanzte in den Ehestand hinein. Eine so tolle Hochzeit hatte Lukatellen noch gar nicht gesehen. Als man am dritten Tage meinte, sie sei nun zu Ende, fing sie nochmals erst recht an, da die junge Frau heimlich den Knecht mit dem Wagen nach dem Marktflecken zum Krüger geschickt hatte, um frisches Getränk herbeizuführen. Ihre Sparkasse war freilich schon geleert, aber der Krüger borgte. Der letzte Gast entfernte sich nicht eher, bis das Faß auf den Zapfen gestellt war.

Janis Skwirblies war nun der Wirt und Katre die Wirtin. Davids Lukatis kümmerte sich um nichts mehr, seitdem er das Grundstück abgegeben hatte. Er hatte sich so lange nach diesem Tage gesehnt und wollte nun auch keine Hand mehr rühren. Er wurde selten noch ganz nüchtern und randalierte gern, wenn er wieder zu viel getrunken hatte, im Stall und auf dem Hofe. Am leidlichsten war er, wenn er schlief.

Mare war gleich nach der Hochzeit aus dem Elternhause abgezogen. Katre wollte sie zurückhalten, aber sie zeigte sich fest entschlossen. »Was soll ich hier«, sagte sie, »du bist die Wirtin, die Schlüssel hab' ich dir abgegeben. Es hat so sein müssen, und ich will's hinnehmen. Aber deine Einwohnerin mag ich nicht sein und deine Magd noch weniger. Sieh zu, wie du fertig wirst, es geht mich jetzt nichts mehr an.« Sie nannte den letzten Grund, der sie vertrieb, nicht. Es gab ihr aber jedesmal einen Stich ins Herz, wenn sie Janis und Katre miteinander verkehren sah wie Liebesleute, die jede arbeitsfreie Minute zu Zärtlichkeiten ausnutzten und oft genug auch ihre Pflicht vernachlässigten, um nur miteinander tollen zu können. Er war ganz vernarrt in seine hübsche muntere Frau, und Katre spielte jetzt auch nicht die Spröde.

Und doch wurde Mare der Abschied bitter schwer. Des Kindes wegen! Die kleine Ewe hing an ihr, und sie selbst hatte keine menschliche Seele auf der Welt, zu der sie sich in einem so innigen Verhältnis wußte. »Wie wird dir's nun ergehen, du armes Kind«, klagte sie mit Tränen in den Augen, wenn sie mit ihr allein war, »Vater und Mutter kümmern sich nicht um dich – ihnen wär's lieber, sie hätten für dich nicht zu sorgen.« Sie mußte sich doch von dem Kinde trennen. »Es ist auch sein Gutes dabei«, meinte Katre, »Ewe gewöhnt sich nicht an mich, solange sie dich sieht.« Nicht an sie, aber an Janis richtete Mare beim Weggehen die Bitte, das kleine Ding, das sich noch nicht selbst helfen könne, zu behüten. »Laß es den Vater nicht vermissen«, mahnte sie.

Sie ging nicht in Dienst, sondern mietete sich ein paar Meilen weit entfernt bei einer Witwe ein und stellte dort ihren Webstuhl auf. Alle Wochentage arbeitete sie fleißig, und an den Sonntagen war sie stets in der Kirche zu sehen. Selten nur stattete sie einen Besuch in Lukatellen ab, und bald gar nicht mehr, da es ihr im Vaterhause immer weniger gefiel.

Wie konnte das auch anders sein? Die Wirtschaft ging mit raschen Schritten bergab, und wer nicht Zeuge des täglichen Verfalls war, fand die Veränderung nach Wochen und Monaten um so augenfälliger; Janis war mit seinen Gedanken viel mehr auf der See, als auf seinen Äckern und Wiesen, auf dem Schiff, als in Stall und Scheune. Mitunter schöpfte er den Brunnen aus und übergoß das ganze Haus mit vielen Eimern Wasser, so daß hinterher die schlechten Dielen tagelang nicht trocken zu bekommen waren. Diese Art von Reinmachen erinnerte ihn angenehm an die frühere Beschäftigung. Am liebsten ging er auch in seinem hellblauen Hemd mit der Matrosenmütze auf dem Hinterkopf. Er hätte eine Frau haben müssen, die tüchtig eingriff. Aber Katre mochte nichts ernstlich anfassen, um sich die weißen Hände nicht zu verderben. Sie besorgte das Vieh nicht ordentlich, ließ Nahrungsmittel verderben, versäumte die rechte Zeit für die Küche, räumte selten in der Stube auf und hatte gewöhnlich die Schlüssel verlegt, wenn aus den Kammern und vom Speicher etwas geholt werden sollte. War alles eine Weile drunter und drüber gegangen, so raffte sie sich wohl einmal zu dem ernstgemeinten Versuch auf, eine gründliche Änderung herbeizuführen. Aber jede Anstrengung ermattete sie immer schnell. Dafür konnte sie sich von dem Spiegel schwer trennen, wenn sie ihr schönes Haar flocht, und zierlichere Muster in die Achselstücke der Hemden einzuflechten verstand keine andere Frau. Sie war stets aufgeputzt, als ob die Woche aus lauter Festtagen bestanden hätte.

Janis merkte wohl, daß die Wirtin nicht ihre Pflicht tat, aber er hatte nicht das Herz, Katre auszuschelten. Er wußte auch, daß es, wie nun einmal ihre Art war, nichts nützen könnte, mit ihr strenge zu verfahren, und schämte sich überdies, von ihr etwas zu verlangen, was er selbst nicht leistete. Man konnte der immer lustigen, hübschen Frau auch nicht böse werden. Wenn sie ihn anlachte oder den roten Mund zu einem Kuß spitzte, war jeder Ärger rasch vergessen. Gingen sie zusammen auf der Dorfstraße, so hatte er den Arm um ihre Schulter gelegt oder ihre Hand gefaßt, und gab's irgendwo ein Tanzvergnügen, so fehlten sie nie, hätte auch der letzte Scheffel Roggen verkauft werden müssen.

Der einzige, der die Wirtschaft noch notdürftig in Gang hielt, war der Knecht Matuttis. Er betrachtete sich als zum Grundstück gehörig, verrichtete die gewohnte Arbeit und sorgte wenigstens dafür, daß das Vieh nicht gänzlich verkam und die Pferde in gutem Stande blieben. Freilich konnte er nicht alles tun und mußte zusehen, wie ein Teil des Heues auf der Wiese verdarb und der Acker nur unvollständig bestellt wurde, da es an Saatgetreide mangelte. Er sagte seinem Herrn manchmal derb die Wahrheit, und dieser ließ sich von ihm viel gefallen, weil er sich mit dem tüchtigen Menschen nicht überwerfen mochte. Gebessert wurde damit wenig.

Eines Sonntags gegen Abend überraschte Matuttis Mare durch seinen Besuch.

»Du läßt dich in Lukatellen gar nicht mehr sehen«, sagte er vorwurfsvoll.

»Was soll ich dort?« antwortete sie finster. »Es verlangt niemand nach mir.«

»Darauf solltest du nicht warten«, meinte er, »daß sie dir's mit Worten zu erkennen geben.«

»Haben sie dich zu mir geschickt, Jurgis?«

»Nein, ich bin von mir selbst gekommen.«

»Ich hab's auch nicht anders gedacht.«

»Aber kürzlich hat der Skwirblies doch vor sich hingesprochen, daß ich's deutlich hören konnte: ›Solange die Mare wirtschafte, hat's hier anders ausgesehen.‹ Und es war nicht das erstemal, daß er zu erkennen gab, was er denkt.«

Sie zog die Lippen ein und blieb eine Weile stumm.

»Er taugt nicht zum Wirt«, fuhr Matuttis fort, »und die Frau versteht nicht, ihn anzuleiten. Sie ist selbst nicht auf dem Platze.«

»Davon sprich nicht«, verwies Mare streng. »Es geht mich nichts an und ich will's nicht hören.«

»Es geht dich doch an«, meinte Matuttis. »Steht nicht dein Geld auf dem Grundstück?«

»Ich kann's doch nicht ändern.«

»Du kannst schon, wenn du willst.«

»So will ich nicht.«

Nun schwieg er, rührte sich aber nicht von der Stelle und hob von Zeit zu Zeit den Kopf, als ob er wohl noch etwas zu sagen hätte. »Dir ist doch das Kind auch lieb gewesen«, begann er endlich wieder.

»Was ist's mit der kleinen Ewe?« fuhr sie auf.

»Ja, was ist's mit ihr? Du wirst sie kaum erkennen. Die Mutter hat kein rechtes Herz für sie. Ihr Gesicht ist voll Ausschlag und die Fliegen setzen sich darauf, wenn sie in der Sonne auf dem Sande draußen vor der Tür liegt. Es ist ein Elend, anzusehen. Die Augen sind ihr ganz dick verquollen, und sie wischt sich den scharfen Ausfluß hinein. Wird sie blind, so wär's nicht zu verwundern.«

Damit hatte er's getroffen. Mare versprach seufzend, sich um die Kleine bekümmern zu wollen, und hielt schon am andern Tage Wort, obgleich sie deshalb eine sehr nötige Arbeit unterbrechen mußte. Sie fand noch Schlimmeres, als sie nach der Schilderung des treuen Knechts schon erwartet hatte. Es kam zu einem heftigen Auftritt zwischen den Schwestern. Mare nannte Katre eine Rabenmutter und warf ihr vor, das Kind nur recht bald unter die Erde bringen zu wollen, damit sie an ihre Vergangenheit nicht mehr erinnert werde. Katre aber entgegnete rücksichtslos: »Wer gibt sich mit einem so unreinlichen Kinde gern ab? Ihm eine Wärterin zu halten, sind wir nicht reich genug, und das hat auch nicht viel zu bedeuten. Wenn die heißen Tage vorüber sein werden, heilt's von selbst wieder. Wie wir klein gewesen sind, mögen wir im Sommer nicht besser ausgesehen haben. Unkraut verdirbt nicht.«

»Das sage deiner Mutter nicht ins Grab nach«, rief Mare. »Ich sehe wohl, daß du mit deinem Hund mehr Mitleid hast als mit deinem Kind. Es muß zum Arzt gebracht werden.«

Katre zuckte die Achseln. »Was der verordnet, kann doch keiner befolgen.«

Mare holte eine Schüssel mit lauwarmem Wasser herbei, wusch die Wunden sorgfältig aus, legte nasse Läppchen auf die Augen und suchte ein reines Hemdchen und Röckchen hervor. Das geschah unter fortwährendem Jammern über den kläglichen Zustand des armen Würmchens. »Ich nehme Ewchen mit mir«, sagte sie endlich.

Davon wollte Katre anfangs nichts wissen. Es werde unnützes Gerede geben. Janis aber, der wohl einsah, daß die Schwägerin nicht unrecht hatte, meinte, der Vorschlag sei doch zu bedenken. Für ein paar Wochen wenigstens könne man Mare ja das Kind mitgeben. Sie werde es schon bald genug wieder zurückbringen und Katre dann mit Vorwürfen verschonen. Er suchte seine Frau zu entschuldigen, die mit dem immer betrunkenen Vater täglich ihre liebe Not hätte.

Mare hörte wenig darauf, packte die Sachen des Kindes in ein kleines Bündel, nahm Ewchen auf den Arm und sagte: »Zu bezahlen braucht ihr nichts dafür. Ich tu's mir zuliebe. Ruhe hätt' ich doch nicht bei der Arbeit. Was sollen wir noch darüber reden? Komm, Ewe.«

Sie wartete keine weitere Erlaubnis ab, sondern nahm schnellen Abschied und ging. Katre widersprach auch nicht mehr.

In Mares sorgsamer Pflege gesundete das sonst kräftige Kind bald wieder. Nun verwunderten sich die Nachbarn darüber, wie hübsch es sei, und die Witwe, bei der sie wohnte, nahm ihr gern einen Teil der Wartung ab, damit sie bei der Arbeit weniger gestört werde. Sie war selbst ganz verliebt in das Dingelchen, dem sie wieder eine rechte Wohltäterin geworden war, und hatte ihre Freude an dessen dankbarer Zärtlichkeit. Janis und Katre kamen wohl einmal nach der Kirche herangefahren und erkundigten sich, wie's stehe. Dies geschah aber seltener und seltener – im Herbst wurden die Wege gar zu schlecht. Und endlich meinte Katre: »Wir tun dir doch einen Gefallen damit, wenn wir dir Ewe noch den Winter über lassen. So einsam wie du lebst . . . Und es ist doch ein Spielzeug für dich. Wir wollen nicht so hart sein, es dir ohne Not fortzunehmen.« Sie glaubte auch wirklich an ihr gutes Herz gegen die Schwester. Und die Leute, denen sie's so vorstellte, glaubten ihr auch: man hatte sie überall gern.

Im Herbst und Winter waren Janis Skwirblies und seine Frau regelmäßig anzutreffen, wo es im Umkreise von einigen Meilen irgendeine Festlichkeit gab. Katre war kein Wetter zu schlecht und keine Nacht zu dunkel – Janis hätte manchmal lieber am warmen Ofen seine Pfeife geraucht oder sich früh zu Bett gelegt, als den Wagen und Schlitten angespannt; aber sein munteres Weibchen ließ ihm keine Ruhe. Katre wollte tanzen, immer tanzen. Wenn er mürrisch sich eine Weile vergeblich bitten ließ, legte sie sich aufs Schmollen und sagte: »Es tut mir leid, daß ich mich aus der Stadt habe fortlocken lassen. Da gibt's alle Sonntag Ball an drei, vier Orten zugleich, und man kommt stets in einen großen Saal mit hohen Fenstern und Kronleuchtern an der Decke. Da sind immer feine junge Herren zu finden, die bezahlen alles. Mir gefielen besondere die Unteroffiziere von den Kürassieren in ihren weißen Röcken. Du hättest einmal sehen sollen, wie sie alle um mich herum waren, wenn ich mich nur in meinem Putz blicken ließ; alle wollten sie mit mir tanzen. Hier muß man in den engen niedrigen Stuben mit den Bauern vorliebnehmen. Und das gönnst du mir nicht einmal. Ich soll mich zu Tode langweilen.« Dann setzte sie sich ihm wieder auf den Schoß und streichelte ihm das Kinn und meinte, daß er sich einen Kuß verdienen könnte. Selten widerstand er.

Mitte Januar wurde in Bartels-Widinnen eine Kindtaufe gefeiert, wobei es ungewöhnlich lustig zugehen sollte. Es war eine schneidende Kälte bei scharfem Nordostwind. Man fuhr von Lukatellen das Flüßchen hinab und eine Strecke über das gefrorene Haff, dann wieder landeinwärts und war fast zwei Stunden unterwegs. Obgleich Katre zwei Schafpelze übereinander gezogen und den Kopf mit Tüchern vermummt hatte, zitterte sie doch bei der Ankunft vor Frost. In der nicht großen Stube aber war der Ofen eingefeuert, daß die Kacheln zu platzen drohten, und zum Willkomm gab es ein heißes Getränk, bei dem der Rum und das Gewürz nicht gespart waren. Als der Tanz begann, mußten bald Fenster und Türen aufgesperrt werden.

Katre sah reizend aus und stellte alle jungen Mädchen in den Schatten. Sie tanzte eine Weile nur mit ihrem Mann, aber er wurde ihr bald zu müde. Als der Schreiber vom Rentmeister sie aufforderte, mit ihm einmal »deutsch« zu walzen, konnte sie sich's nicht versagen, ihre in der Stadt gelernten Künste zu zeigen; und als nun erst der Bann gebrochen war, flog sie rasch von einem Arm in den andern. Janis bat sie, sich auch einmal ein Viertelstündchen Ruhe zu gönnen. »Ich kann noch«, war immer ihre Antwort, bis sie sich endlich ganz erschöpft auf die Bank am Fenster fallen ließ. Ihr Gesicht glühte, die Brust keuchte.

»Setz' dich anderswo hin«, bat Janis.

»Wohl an den Ofen?« neckte sie.

»Das ist nicht nötig. Hier aber strömt die eiskalte Luft ein; es ist ein fliegender Zugwind.«

»Der ist gerade angenehm, er kühlt am besten ab.«

»Dann tanze lieber.«

»Warte nur, ich muß erst Atem schöpfen.«

Ein paar Stunden später, als Janis aus der Altsitzerstube hereinkam, wo das Fäßchen aufgelegt worden war, vermißte er sie. Er fragte nach ihr und erfuhr, sie sei vor einer Weile hinausgegangen. Er fand sie auch im Flur nicht. Die Eifersucht fing an, ihn zu plagen. Der Schreiber war immer um sie herum gewesen. Wie er noch unruhig von einer Gruppe zur andern ging, hörte er ihr helles Lachen. Es kam von draußen. Er trat sogleich vor die Tür und sah sie nun auf der glitzernden Landstraße in der Begleitung einiger jungen Burschen herumtänzeln. Sie hatte nicht einmal die Jacke angezogen und ein Tuch über den Kopf genommen. »Bist du denn ganz toll, Katre?« rief er ihr ärgerlich zu.

»Warum?« fragte sie.

»Bei der eisigen Kälte – du wirst dir den Tod holen.«

»Wenn der zu tanzen Lust hat –«, scherzte sie.

»Ich leide es nicht, Katre, komm hinein!«

»Ach – mir schadet's nicht. In der Stube ist's zu heiß.«

»So zieh' wenigstens einen Pelz an.«

»Das sollte mir fehlen! Dann hätt's ja gar keinen Zweck.«

Er wollte sie am Arm fassen, aber sie entschlüpfte ihm und lief kichernd fort. Janis hinter ihr her, bis er sie drüben am Zaun eingeholt hatte. Sie hielt sich an den Staketen fest, und er mußte erst ihre Hände losmachen. »Es ist wirklich eine Tollheit«, sagte er. »Du weißt doch, daß du besonderen Grund hast, dich zu schonen.«

Dafür erhielt er einen leichten Schlag auf die Backe. »Erinnere mich nur daran«, schmollte sie. Sie folgte ihm aber doch ins Haus, plötzlich fröstelnd. Er hatte den Arm um sie gelegt und fühlte ihren Körper ganz naß.

Nun tanzte sie wieder, aber nicht lange mehr. Ihre Tänzer verwunderte es, daß sie immer schon nach wenigen Rundgängen ermattete. Als Janis sie aufforderte, sagte sie: »Nein, laß! Ich habe Stiche.«

»In der Seite?« fragte er besorgt.

»Nein, in der Brust.« Sie zog sich zusammen und hustete kurz.

»Siehst du, das kommt davon –«

»Ach, rede nicht –!«

Er brachte ihr ein Glas Grog. »Trinke, das wird dir gut tun.«

Sie trank hastig einen Schluck. Der Hustenreiz wurde heftiger. »Ach –!« stöhnte sie und griff mit der Hand nach dem Herzen.

Nach einer halben Stunde verlangte sie selbst nach Hause zu fahren. Janis packte sie in Pelze und führte sie nach dem Schlitten. Bei jedem Schritt stieß sie einen schmerzlichen Laut aus. Bald zeigte sich's, daß ihr das Sitzen unmöglich wurde. Er hielt an und legte ihr ein Strohlager zurecht. Dann peitschte er auf die Pferde ein, bis sie in rasendem Lauf über die blanke Eisfläche hinsausten. In der Hälfte der Zeit, die sie bei der Hinfahrt gebraucht, erreichten sie Lukatellen.

Katre wurde sogleich zu Bett gebracht. Die alte Frau, die zur Miete wohnte, mußte heraus und einen Tee kochen. Er linderte aber nicht die immer stechenderen Schmerzen. Das Gesicht war wachsbleich geworden, die geöffneten Lippen, durch die ein heißer Atem drang, färbten sich bläulich, die Brust wogte. Alle Hausmittel versagten. Janis entschloß sich endlich, das Fuhrwerk nach dem Arzt zu schicken.

Drei Tage darauf fuhr Matuttis bei Mare vor. Er hatte den Blick traurig gesenkt, als er eintrat. »Komm mit nach Hause«, sagte er, »deine Schwester liegt im Sterben.«

Mare schrie auf. »Das wolle Gott nicht! Was ist geschehen?«

»Sie hat sich zu Tode getanzt«, antwortete der Knecht. »Der Doktor meint, es sei aus mit ihr.«

»Soll ich Ewe mitbringen?«

»Es ist nichts davon gesagt.«

»Aber Katre wird das Kind doch noch einmal sehen wollen.«

»Sie ist nicht mehr bei Besinnung. Aber tu', was du willst.«

Mare hüllte die Kleine in warme Tücher ein und machte sich selbst zur Fahrt bereit. Unaufhörlich rannen ihr die Tränen über die Wangen.

Als sie in Lukatellen anlangte, phantasierte die Kranke. Sie schien jetzt keine Schmerzen zu haben, lächelte und bewegte plaudernd die Lippen. Das wenigste, was sie sprach oder sang, war verständlich, aber offenbar waren ihre wirren Gedanken beim Tanz. Einmal war's, als ob sie Janis erkannte. »Siehst du«, lispelte sie, »der Tod ist ein flotter Tänzer – der wird nicht müde – immer herum, immer herum – ich kann nicht mehr.« Und nach einer Weile: »Lustig ist's – lustig. Es soll keiner weinen. Wir tanzen hinüber.«

Mare hielt ihr die kleine Ewe vor, die sie ganz ängstlich nicht loslassen wollte. Die Kranke öffnete die Augen weit und starrte sie eine kurze Weile an. Dann lächelte sie wieder ganz blöde. »Willst du mit? Nein, nein – noch nicht – er läßt mich nicht los.« Sie sang eine Tanzmelodie. »Aber dort – wo es so hell ist – dort setzt er mich ab. Warte nur – ich schicke ihn zu dir – es dauert nicht lange.«

Mare durchschauerte es. Sie drückte Ewes Köpfchen an ihre Brust.

In der nächsten Stunde starb Katre. Sie sah wunderschön aus, als die Wintersonne ins Fenster schien und mit einem goldigen Strahl über das bleiche Gesicht hinzitterte.

*

Es schien sich nun ganz von selbst zu verstehen, daß Mare wieder nach Lukatellen übersiedelte. Was sollte sonst aus der Wirtschaft werden? Es wurde darüber gar nicht viel gesprochen. Nach dem Begräbnis fragte Lukatis nur: »Wirst du noch einmal zurück müssen?« Und sie entgegnete darauf: »Ich muß doch meine Sachen holen und die Miete berichtigen.« Matuttis fuhr sie.

Sie saßen nebeneinander. »Es ist schade um das frische junge Leben«, äußerte er sich unterwegs, »aber wer weiß, ob's der liebe Gott nicht so gerade gut gemeint hat. Ich hätt' mir die Skwirblene gar nicht als eine alte Frau denken können und als eine arme Frau auch nicht. Sie wär' aber noch viel rascher eine arme Frau als eine alte geworden. Ich sah's kommen.«

»Die Katre hat kurz gelebt«, bemerkte Mare dazu, »aber das Leben ist ihr immer vergnüglich gewesen. Es ist, als ob ein bunter Schmetterling einen schönen Sommertag getroffen hat. Er weiß nicht, daß es mit ihm bald zu Ende ist, und fragt auch nicht danach. Ist er nicht zu beneiden?«

»Ja«, sagte er, »sie hat sich's leicht gemacht, und was zurückbleibt, kümmert sie nicht. Es ist uns verschieden zugemessen. So wenig sie zu tragen hatte, das Schwerste hast du ihr allemal noch abgenommen.«

Mare nickte seufzend. »Es ist mir recht traurig zumute«, antwortete sie, »daß ich ihr manchmal ihr Glück nicht gegönnt habe. So wie sie hätt' ich's doch nicht genießen können.«

»Was wird nun werden?« begann er nach einer Weile wieder. »Du hast mit dem Grundstück die Last und arbeitest doch nicht für dich. Es wär' das beste, Skwirblies trät' es dir ab, und du nähmst dir einen Mann, der dir eine Hilfe sein könnte.«

Er dachte an sich selbst, aber Mare wollte ihn nicht verstehen und sagte nur: »Da ist doch die Ewe, meiner Schwester Kind – für die hab' ich zu sorgen. Und jetzt tu' ich's auch gern.« –

Janis war wochenlang wie gestört. Er saß auf der Ofenbank, die gefalteten Hände zwischen den Knien, und starrte auf die Diele. Oder er stand am Fenster und schien die Schneeflocken zu zählen. Wenn von Katre gesprochen wurde, kam ihm das Wasser in die Augen. »Du mußt tätig eingreifen«, mahnte Mare, die wieder ganz in ihrem Element war. »Wie willst du sonst vergessen?« Es ärgerte sie, daß er seine Gedanken nur bei der Toten hatte, da doch seine Tochter noch lebte und wieder so niedlich war wie je. Er ging hinaus und schlug mit der Axt auf einen Stubben los. Nicht lange. Die Kraft schien ihm zu versagen. Nach einer Weile sah Matuttis ihn, den Ellbogen auf den Stiel gestützt, dastehen und tief Atem schöpfen.

Kaum war die Schiffahrt eröffnet, so reiste Janis nach Memel ab, sich auf einem Schiff zu verheuern. Das Grundstück übergab er Mare, wenn das eine Übergabe genannt werden konnte, daß er zu ihr sagte: »Ich bin hier unnütz und geh' wieder zur See. Wirtschafte du, so gut du kannst – ich will nichts heraushaben.«

Schon im Spätsommer, bald nach der Ernte, kam er jedoch wieder. Seine Schwester Marikke machte Hochzeit; dazu war er eingeladen. Vielleicht wär' er sonst gleich wieder mit demselben Schiff ausgegangen, obgleich ihm der schwere Matrosendienst jetzt wenig behagte. Sein Haus fand er blitzsauber, die Wirtschaft in bestem Stande, im Stall zwei frische Milchkühe, die Scheune bis unter das Dach gefüllt. Matuttis hatte bei der Ernte treu geholfen, immer in der Hoffnung, daß er doch bei Mare zum gewünschten Ziel kommen werde. Seine Pferde waren wieder rund wie die Kasten und spiegelglatt. Ein Teil der Schulden hatte schon bezahlt werden können und der Flachs war noch unverkauft. Janis hätte blind sein müssen, wenn ihm diese Veränderung unbemerkt geblieben wäre. Und sein Bruder war auch voll Lobes für die gute Wirtin. »So eine Frau muß man haben, wenn man sich in die Höhe bringen will.« Es gefiel ihm gar nicht, daß Janis wieder zur See wollte. »Wenn du nicht dumm wärst . . .« Er zuckte die Achseln.

Ein paar Wochen vergingen. Janis sah Mare vom Morgen bis zum Abend immer fleißig und geschäftig in ihrer bedächtigen Weise. Und wie freundlich sie sich des Kindes annahm! Für ihn hatte sie freilich wenig Zeit, aber sie behandelte ihn doch wie einen nicht gerade unlieben Gast. An einem Sonntag, als sie zusammen von der Kirche kamen, kündigte er ihr an, daß er nun abreisen müsse. »Willst du schon fort?« fragte sie, anscheinend ganz ruhig.

»Ich bin dir doch nur im Wege«, meinte er.

»Du bist mir nicht im Wege«, antwortete sie. »Das Haus ist ja groß genug, und es gehört dir.«

»Ja –«, sagte er und hob das Kinn. »Das steht so auf dem Papier. Aber ich bin doch ein Fremder drin.«

»Hab' ich dich das fühlen lassen, Janis?«

»Gewiß nicht – nein, wahrhaftig. Du bist sehr gut zu mir – und zu Ewe. Ich habe das gar nicht verdient. Aber es drückt mich doch, daß ich mich hier soll füttern lassen . . .«

»Von dem Deinigen. Und für den Wirt, denke ich, gibt's immer zu tun. Aber wie du willst – ich halte dich nicht.«

Er wartete noch acht Tage. Dann sagte er, als sie abends im Gärtchen unter den Birken saßen und das Kind im Grase spielte: »Der Ewe fehlt nichts. Sie hat eine Mutter und braucht keinen Vater.«

»Sie hat einen Vater und braucht keine Mutter«, erwiderte Mare, »so ist's richtiger. Oder denkst du daran, wieder zu heiraten?«

»Ja«, sagte er, sie offen anblickend, »in der letzten Zeit hab' ich daran gedacht.«

Nun schien sie zu erschrecken. Die Stirn zog sich in Falten. »Ich kann ja jeden Tag das Haus verlassen«, bemerkte sie nach einer kleinen Weile mürrisch. »Aber die Ewe nehm' ich mit.«

»Wer sagt denn, daß du aus dem Hause sollst?« fragte er verlegen lächelnd.

»Ja, glaubst du denn, ich werde hier auch nur eine Stunde bleiben, wenn eine fremde Frau einzieht?« erwiderte sie bissig.

»Es braucht ja aber keine fremde Frau zu sein – und überhaupt keine Frau, die einzieht.«

Nun schwiegen sie beide einige Minuten lang. Dann nahm er ihre Hand und sagte: »Mein Bruder hat recht, ich bin ein Dummkopf, wenn ich nicht begreife, was das beste für mich ist. So jung wie ich bin, kann ich doch nicht unverheiratet bleiben wollen. Und das Grundstück ist nun einmal auf meinen Namen geschrieben, und zu dem Kinde bin ich der Vater. Daß ich mich auf dem Schiff strapaze und vom Kapitän ausschimpfen lasse, wenn ich's nicht nötig habe, hat keinen Sinn. Da ist's doch nur vernünftig, daß ich mich nach einer andern Frau umsehe, und die einzige, die nach alledem für mich paßt, brauch' ich nicht weit zu suchen. Ich weiß nicht, Mare, ob ich dir ganz zuwider geworden bin, weil ich damals die alte Kubillene nicht habe verstehen wollen. Aber du kennst ja den Grund. Dagegen kann man nichts; ob es zum Guten oder zum Schlimmen ausfällt, man muß es kommen lassen. Überlegung ist nicht dabei gewesen, sonst wär' vielleicht manches nicht geschehen. Ich sage nicht, daß mir's leid tut; aber jetzt ist's Zeit, verständig zu handeln. Und da wird doch wohl kein Zweifel sein, daß für das Grundstück und für das Kind und auch für mich nicht besser gesorgt sein kann, als wenn du dich entschließt, meine Frau zu werden, Mare. Wir sind ja auch von Jugend auf bekannt und haben immer freundlich miteinander verkehrt, bis . . . Na, rühren wir's nicht wieder auf.«

Sie hatte diese lange Rede ohne sichtliche Bewegung angehört; nur daß die Augenwimpern mitunter schneller flimmerten und die Unterlippe sich ein wenig über die Zähne zog. Als er nun geendet hatte, glitt ein Lächeln stiller Befriedigung über die geröteten Wangen, das strenge Gesicht verschönend. »Übereile dich nicht, Janis«, sagte sie mit wärmerem Ton als vorhin. »Wenn dir eine andre besser gefällt – ich kann ja gehen.«

»Nein«, rief er ermutigt, »dann geh' lieber ich, und es bleibt hier alles wie es ist. Du magst entscheiden.«

»Laß mich's bis morgen bedenken«, sagte sie aufstehend. »Es scheint nichts entgegen zu sein, und zuwider bist du mir nicht. Aber ich will's doch ruhig bedenken können.«

Am andern Tage ließ sie ihn dann durch ihren Vater wissen, daß sie einverstanden sei. Aus Freude über dieses glückliche Ereignis trank Lukatis sich sogleich einen kräftigen Rausch an. Die Brautleute stellten sich drüben bei Endrik Skwirblies vor, wo die Partie natürlich großen Beifall fand, und die Hochzeit wurde nun verabredet. Sie sollte schon über drei Wochen stattfinden und still gefeiert werden. Das wünschte Mare der Kosten wegen. »Es ist genug«, meinte sie, »wenn von einem Hof einmal ein großes Fest ausgerichtet ist. Wer da mitgegessen und mitgetrunken hat, darf sich nicht über unsern Geiz beschweren. Und sieht uns doch einer über die Achsel an, so acht' ich's nicht.«

Sie fühlte sich ganz befriedigt, vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben. Die Kränkung war vergessen, und die alte Neigung brach wieder hervor. Janis hatte in ihren Augen durch seine Werbung gutgemacht, was er gutmachen konnte. Katre stand nicht mehr im Wege. Und daß er mit ihr selbst nicht verliebtes Spiel trieb. wie damals mit der Schwester, sondern die Sache ganz ernst nahm und den Vorteil auf beiden Seiten verständig abwog, war durchaus nach ihrem Sinn. Es mochte ihr sogar lieb sein, daß der Gegensatz von damals und jetzt recht augenfällig wurde. Sie erwartete daher auch keine Beweise von Verliebtheit und war innerlich schon beglückt, wenn er ihr im Vorbeigehen freundlich zunickte oder ihre Hand nahm und sich abends nach vollbrachtem Tagewerk – auch er beteiligte sich jetzt eifrig bei der Arbeit – im Garten neben sie auf die Bank setzte und in ihrer Gesellschaft seine Pfeife rauchte. Mann und Frau brauchten nach ihrer Meinung nicht einmal soviel Rücksicht aufeinander zu nehmen und konnten doch im besten Verhältnis stehen.

Auf ihr Äußeres verwendete Mare doch etwas mehr Aufmerksamkeit als bisher. Die dunkeln und matten Farben, die sie liebte, schienen jetzt nicht recht zu ihrer heiteren Stimmung passen zu wollen. Sie versuchte vor dem Spiegel, ob nicht auch ihr ein buntes Tüchelchen mit langen Fransen ein gefälligeres Aussehen geben möchte, und steckte die Zöpfe zierlicher auf. Dabei mußte sie unwillkürlich lachen, und nun war sie selbst überrascht, wie viel hübscher sie wurde, wenn ihr Gesicht den strengen Zug nicht festhielt. Es konnte ihr auch nicht entgehen, daß Janis dafür ein Auge hatte. Als er ihr freilich eine Schmeichelei sagte, schlug sie ihm mit der Hand auf den Mund. »So eine Frau bekommst du nicht, der das zu hören Spaß macht«, sagte sie. Es freute sie aber doch.

Am festgesetzten Tage fand die Hochzeit statt. Nur die Nachbarn waren eingeladen. Der einzige Unzufriedene war der Knecht Matuttis; er mußte die Hoffnung aufgeben, sich in das Grundstück einzuheiraten. Über diese Verbindung hatte er so seine eigenen Gedanken. Wie er den Herrn und die Frau zu kennen meinte, konnte daraus nicht viel Kluges werden. Es ist eine Grube zugedeckt, räsonierte er innerlich, aber darauf zu treten, wollt' ich keinem raten.

*

Einige Monate verliefen ganz friedlich. Mare führte selbstverständlich das Regiment im Hause – nicht gerade mild, aber gerecht. Es erhielt jeder, was ihm zukam, nicht mehr und auch nicht weniger. Sie war jetzt die Wirtin aus eigenem Recht und hielt darauf, daß man sie dafür erkenne.

So lustig wie bei der Vorgängerin ging's freilich nicht zu. Für Mare war jeder Wochentag ein Arbeitstag, und sie litt auch nicht, daß Janis müßig saß. Am Abend war man dann müde und ging früh zu Bett. Am Sonntag wurde regelmäßig die Kirche besucht, oft auch nachmittags noch eine Betstunde. Sie sah es ungern, wenn ihr Mann mit den andern Männern nach der Predigt in den Krug eintrat, und ließ sich selbst nicht bewegen, mitzukommen. Dafür wartete sie aber draußen auf dem Wagen, bis er zurückkehrte und mit ihr fuhr. Janis mußte sich deshalb oft hänseln lassen. »Wartet nur«, meinte er, »das ist nur so in der ersten Zeit. Es wird ihr bald langweilig werden.«

Tanzlustbarkeiten mitzumachen war die junge Frau nun schon gar nicht zu bestimmen. Bei Hochzeiten und Kindtaufen blieb sie nicht gern bis tief in die Nacht hinein, und wenn Janis mehr trank, als sie für gut hielt, zupfte sie ihn an der Jacke. Es war nicht seine Art und Gewohnheit, jeden Augenblick Maß zu halten, und er fügte sich ärgerlich. Aber er fügte sich. Mare hatte etwas in ihrem Wesen, das Unterwerfung forderte: mit einem Wink, mit einem Wort zwang sie ihn. Katre hatte ihn auch gezwungen, aber auf andere Weise. Sie spielte mit ihm, und das war immer vergnüglich gewesen, so stand es wenigstens in seiner Erinnerung. Was Mare tat, war alles regelrecht und vernünftig; schalt sie, so hatte sie gewiß einen Grund, befahl sie, so konnte er nur zu seinem eigenen Schaden ungehorsam sein wollen. Sie tat ihm auch so viel Gutes, als sie ihm an den Augen absehen konnte. Nur fehlte die rechte Freundlichkeit, und die Stirn hatte sich längst wieder in Falten gelegt.

Auch gegen die kleine Ewe wurde sie nun strenger. Es war richtig, das Kind zeigte, wie alle Kinder, in seinem vorschreitenden Alter Ungezogenheiten, gegen die mit Ernst eingeschritten werden mußte; jeder Verständige hätte es ihr verdacht, wenn sie zu nachlässig gewesen wäre. Aber ihre Zurechtweisungen hatten nicht mehr ganz den liebenswürdigen Ton von früher, und ihre Strafen waren vielleicht mitunter härter, als sie die Unart erforderte. Ewe war jetzt nicht mehr das unglückliche Geschöpfchen, das Vater und Mutter vernachlässigten. Sie hatte es nun gut. Und Mare selbst hatte es nun gut, war die Frau, die Wirtin. Es schien sich nach und nach ein stiefmütterlicher Geist zu regen und ihr Verhältnis zu dem Kinde zu beeinflussen.

Solange sie allerdings der Neigung ihres Mannes sicher zu sein geglaubt hatte, war diese Sinnesänderung wenig merkbar geworden. In diesem Punkte blieb ihr aber gegen das Frühjahr hin eine bittere Erfahrung nicht erspart. Eines Tages fand sie, als sie unvermutet in die Kammer trat, in welcher Janis seine Lade mit den Matrosenkleidern stehen hatte, diesen in die Betrachtung irgendeines kleinen Gegenstandes vertieft, der die Form eines zusammengefalteten Briefes hatte. Sobald er sie bemerkte, warf er ihn, offenbar erschreckt, in das offene Behältnis zurück und schlug den Deckel zu. Auf ihre Frage, was er da treibe, gab er ausweichende Antwort. Die Kleider müßten einmal in die Sonne gehängt werden, sie verrotteten sonst ganz. Mare schwieg, war aber mißtrauisch gemacht. Sobald sie sich unbemerkt wußte, schlich sie wieder in die Kammer und öffnete die Lade. Da lag obenauf eine Photographie. Sie war in Königsberg aufgenommen und stellte Katre in ihrem litauischen Putz dar. Von dem Bild hatte Mare bisher nichts gewußt. Nun meinte sie den Grund zu kennen, weshalb Janis sich so gern in der Kammer aufhielt. Ihr hatte er das Bild verheimlicht, aber er selbst betrachtete es oft voll Sehnsucht nach dem entschwundenen Glück. Wie hübsch Katre aussah! Sie kam ihr auf dem Bilde noch verschönt vor. Eilig steckte sie es in die Tasche, um es später zu vernichten.

Ein ächzender Laut entrang sich ihrer Brust. Selbst im Grabe ließ die Schwester ihr keine Ruhe.

Janis vermißte bald das Bildchen, als er es besser verstecken wollte. Er zweifelte nicht, daß Mare es ihm entwendet hätte, vermied es aber, mit ihr darüber zu sprechen. Das brachte die Frau innerlich noch mehr gegen ihn auf. Auch sie schwieg jedoch. Sie brauchte nicht zu reden; er merkte an ihrer finsteren Miene, ihrem unmutigen Wesen, dem rauhen Ton ihrer Stimme, was in ihr vorging.

Er wußte sich ihr gegenüber keiner Untreue schuldig. Aber mit seinem Denken und Träumen war er doch bei Katre. Er hatte sich's vom Schiff her so angewöhnt, in Zeiten, da er unbeschäftigt war, stundenlang vornübergebeugt dazusitzen und vor sich hin zu sehen oder mit seinem Taschenmesser von einem Stückchen Holz langsam einen Span um den andern abfliegen zu lassen, ohne irgendeine Figur schnitzen zu wollen, bis dann zuletzt auch der zu kurz gewordene Stumpf fortgeworfen wurde. Das geschah jetzt nur zu häufig so, und mancher stille Seufzer schien sagen zu wollen: Dahin – dahin!

Dahin? Was nützt es, sich immer wieder in die Tage des leichtfertig genossenen Glücks zurückzuversetzen, die blauen Schelmenaugen lachen zu sehen, die helle Stimme zu hören, die weiße Hand am Kinn zu fühlen, die schmiegsame Gestalt auf dem Knie zu schaukeln? Einbildung, Einbildung. – Alles nur ein wacher Traum! Und doch . . .

Für Mare gab es kaum etwas Verdrießlicheres, als ihn so untätig dasitzen zu sehen. Sie selbst mußte immer mit etwas Nützlichem beschäftigt sein. Ein Mensch, der stundenlang auf einer Stelle hocken und nichts tun konnte, war ihr verdächtig, irgendein Unheil zu brüten. Und nun meinte sie es zu kennen: er war mit Katre zusammen und beredete sich mit ihr, wie sie sich rächen könnten. Ihr abergläubischer Sinn gab ihr beängstigende Vorstellungen ein. Sie hatte das Bild verbrannt; nun war's, als ob Katre dafür Rechenschaft forderte, daß sie ihre Gestalt zerstört hatte. Sie erschien ihr in der Nacht, aber nicht ihrem Bilde ähnlich, sondern als ein dem Grabe entstiegenes häßliches Beingerippe, klapperte mit den dürren Knochen und rief ein »Wehe« über sie.

Am nächsten Sonntag, früh vor der Kirche, ging sie auf den Friedhof, legte einen Kranz von Raute auf Katres Grab, kniete nieder und vergoß heiße Tränen. »Ich bitte dich, Schwester«, murmelte sie, »laß ab von mir. So lange du lebtest, bist du vom Geschick bevorzugt gewesen. Willst du auch jetzt im Grabe mit mir wetteifern? Ich habe dir Gutes getan, soviel ich konnte, und für dich gearbeitet, daß du fröhlich durchs Leben hüpfen konntest, und ich habe wenig Dank dafür gehabt. Warum verfolgst du mich nun, da du doch bei den Seligen bist und nichts mehr brauchst von dem wenigen, was mir gehört? Warum zürnst du mir, weil ich meinem Mann dein Bild nicht lassen wollte? Macht es ihn mir nicht abtrünnig? Was willst du noch von ihm? Weshalb nimmst du mir die Ruhe? Wahrlich, ich könnte dich beneiden um deine finstere Gruft und möchte lieber mit dir tauschen, als so fortleben in fortwährender Furcht, durch dich zu verlieren, was mir lieb ist. Ich bitte dich, Schwester, laß ab von mir!« Sie fühlte ein Stechen am Herzen, als ob eine spitze Nadel sich einbohrte. Und es wollte auch nicht vergehen während des Gesangs in der Kirche, und als Janis bei der Rückfahrt kein Wort sprach und nicht einmal fragte, wohin sie den Kranz getragen habe, war es ihr, als ob alles Blut langsam austropfe und ein brennender Durst sie verzehre.


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