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Mit aller Ehrerbietung, die wir den Modephilosophen unsrer Zeit schuldig sind, sey es gesagt, daß ihre beredten Schriften von dergleichen Gedanken wimmeln, die nur so lange etwas Feines oder Großes oder Neues sagen, als die Leser gefällig oder bequem oder unwissend genug sind, sie für das gelten zu lassen, wofür ihr Gepräge sie ausgibt.
Was für Ungereimtheiten hat nicht die Begierde, etwas Neues, novum, audax, indictum ore alio, zu sagen, schon oft die feinsten Köpfe sagen gemacht! – Zumal in Zeiten, wie die unsern, da Witz und Beredsamkeit einen Freibrief haben, die gesunde Vernunft zu mißhandeln, wenn es nur auf eine sinnreiche Art geschieht; wo Hippiasse und Karneaden durch rhetorische Taschenspielerkünste die Bewunderung 165 ihrer Zeitgenossen erschleichen, und neuer Unsinn, in schöne Bilder gekleidet, mit spielenden Gegensätzen verbrämt und mit den Schellen des rednerischen Wohlklangs behangen, willkommner ist, als die alte Vernunft in ihrem schlichten sokratischen Mantel!
War es die Begierde, zu schimmern, oder war es Laune oder Misanthropie, – oder sollen wir glauben, daß es wirklich Liebe zur Wahrheit und Wohlneigung gegen das menschliche Geschlecht gewesen sey, was den scharfsinnigen Schriftsteller, welchen wir vorhin zu tadeln uns die Freiheit genommen haben, bewegen konnte, mitten im achtzehnten Jahrhundert die Philosophie der alten Gymnosophisten wieder in Achtung bringen zu wollen und, ohne Hoffnung, auch nur einen einzigen Schüler zu machen, den abenteuerlichen Satz zu behaupten: »daß der ursprüngliche Stand des Menschen der Stand eines zahmen Thieres gewesen sey,« – und daß man allen Nationen, unter denen sich (nach seinem Ausdruck) die Stimme des Himmels nicht habe hören lassen, keinen bessern Rath geben könne, als »in die Wälder zu den Orang-Utangs und den übrigen Affen, ihren Brüdern, zurückzukehren, aus welchen sie eine unselige Kette von Zufällen zu ihrem Unglücke herausgezogen habe.«
Man braucht die Schriften dieses sonderbaren Mannes nur mit einer mittelmäßigen Gabe von Gutherzigkeit gelesen zu haben, um sich gern überreden zu lassen, daß vielleicht niemals ein Schriftsteller von der Güte seiner Absichten und von der Wahrheit seiner Grillen so überzeugt gewesen sey, als Rousseau. Man kann sich nicht erwehren, dem Manne gut zu seyn, der die verhaßten Paradoxen mit einer so aufrichtigen Miene von Wohlmeinenheit vorbringt, – mit einer so ehrlichen Miene die seltsamsten Fehlschlüsse macht und uns 166 aus der Fülle seines Gefühls zuschwört, daß Alles gelb sey, ohne den kleinsten Verdacht zu haben, daß doch wohl vielleicht er selbst mit der Gelbsucht behaftet seyn könnte.
Und, gesetzt auch, der Zusammenhang seiner Grundsätze und der dogmatische Ton, den er, aller seiner Protestationen ungeachtet, aus so vollem Munde anstimmt, könnte einige Zweifel – –
Doch nein! Wir haben kein Recht, an der Aufrichtigkeit seiner Versicherung zu zweifeln; und niedrig wär' es, den Mann, der uns Gutes thun will, mit Vorwürfen zu verfolgen, weil er das Los aller Sterblichen erfahren und sich auf seinem Wege verirrt hat. Lassen wir die Anmaßung – die Herzen der Schriftsteller aufzureißen, um die geheimen Absichten derselben vor einen unbefugten Richterstuhl hervorzuziehen, lassen wir diese verwegene Anmaßung jener verachtenswürdigen Art von Gleißnern, welche unter dem scheinbaren Vorwande, die gute Sache zu vertheidigen, ihre eigenen lichtscheuen Absichten an der Vernunft und ihre Dummheit an dem Witze, wie der Affe seine Mißgestalt am Spiegel, rächen wollen.
Die Freiheit, zu philosophiren (welche, solange wir nicht mit dem Rousseauischen Menschen in die Wälder, oder, was noch ein wenig schlimmer wäre, solange wir nicht in die Barbarei der Gothen und Vandalen zurückzukehren gedenken, eine der stärksten Stützen der menschlichen Wohlfahrt ist), muß sich auf Alle erstrecken, welche von Gegenständen, die innerhalb des menschlichen Gesichtskreises liegen, ihre Meinung mit Bescheidenheit sagen, wie seltsam und widersinnig auch immer ihre Meinung scheinen mag. Wie oft ist etwas in der Folge als eine ehrwürdige und nützliche Wahrheit befunden worden, was anfangs alle Stimmen gegen 167 sich hatte! – Und auch der Irrthum selbst, diese nicht allezeit vermeidliche Krankheit der Seele, gibt Gelegenheit, den Mitteln besser nachzuforschen, wodurch er geheilt werden kann, und wird dadurch wohlthätig für das menschliche Geschlecht.