Ludolf Wienbarg
Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden?
Ludolf Wienbarg

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Vorwort.

Wenn die Patrioten bisher über die Kluft der Stände, die Rohheit und Unempfänglichkeit Volkes in Niedersachsen mit Recht bittere Klage führten, oder im Großen Verbesserungspläne entwarfen, so stand ihnen die niedersächsische oder plattdeutsche Volkssprache nur sehr im Hintergrunde und kam weder im Guten, noch im Bösen so recht in Betracht. Ich glaube nachzuweisen, ja mit Händen greiflich zu machen, daß sie die Wurzel alles Uebels, der Hemmschuh alles Bessern ist.

Gehe hin, meine kleine Schrift, und spreche! Drei Dinge wünsche ich dir, Flügel, Feinde und Freunde. Die Flügel wünsche ich dir, damit du dich nach allen Seiten verbreitest, die Feinde und Freunde, damit du nach alten Seiten besprochen wirst. –

Bekanntlich sprechen die Bewohner Niedersachsens plattdeutsch und hochdeutsch; ersteres als Volkssprache, letzteres als Sprache der Bildung. Das Hochdeutsche redet man dialektlos, das heißt Aussprache und Schreibung stimmen buchstäblich überein.Doch auch mit Ausnahme gewisser örtlicher und provinzieller Variationen, wie in Hamburg, Westphalen, Dithmarsen, wo selbst die Gebildeten, von deren Aussprache hier eigentlich die Rede ist, sich der Lokaltinten nicht enthalten. Anders in Mittel- und Süd-Deutschland. Göthe sprach das Hochdeutsche wie ein geborner Frankfurter, Schiller wie ein Wirtemberger und noch gegenwärtig hört man's der Sprache der Gebildeten Süd-Deutschlands ab, in welcher Provinz sie zu Hause gehören. Daher kann man wol behaupten, daß mancher niedersächsische Handwerker reiner hochdeutsch spricht, als der Würzburger Professor, der Badische Deputirte oder der Bewohner der Provinz Meissen selbst, dessen Aussprache doch zu seiner Zeit von Gottsched mit dem Privilegium der Klassizität begabt worden ist. Allein man darf nicht vergessen, daß diese Reinheit eine abstrakte und keine lebendige ist, da der Norden fein hochdeutsch im eigentlichen Sinn des Worts aus Büchern, zumal aus der lutherischen Bibelübersetzung gelernt, nicht aber wie Mittel- und Süd-Deutschland durch lebendig uralte Tradition von Mund zu Mund empfangen hat.

Ist doch die hochdeutsche Sprache selbst keine Sprache provinzieller Beschränktheit, keine bloße Mundart Alt-Meissens, sondern im höheren Sinn ein Kunstwerk des großen Reformators, der aus den beiden Hauptdialekten des Nordens und Südens, schon ohnehin im Sächsischen sich berührend eine Sprache schuf, die, wenn auch mit Vorwalten des süddeutschen Elements, jedem deutschen Ohr zugänglich und verständlich sein, die eine gemeinsame Sprache aller Deutschen vorbereiten sollte. Aus den edelsten Metallen des unerschöpflichen deutschen Sprachschachtes gegossen, ward sie in Luthers Händen die Glocke, welche die Reformation, den dreißigjährigen Krieg, die ganze neue Geschichte eingeläutet hat.

Mehr als den Griechen der Sänger der Odyssee und Ilias muß uns Deutschen, Katholiken wie Protestanten, der Uebersetzer der Bibel gefeiert sein. Die altionische Sprache gehörte nicht dem Dichter, sondern der Nation an. Die Sprache der Bibelübersetzung aber mußte sich erst geltend machen durch die Gewalt des Genius, sie gehörte Luther an in dem Sinn, wie man nur irgend auf diesem Gebiet das Eigentumsrecht für eine Person in Anspruch nehmen darf.

Denkt euch, Luthers Sprache wäre nicht durchgedrungen. Zerrissen wäre das mächtigste Band, das Süd und Nord umschlingt. Der Norden würde nichts vom Süden, der Süden nichts vom Norden wissen.

Die theuersten Namen, die jetzt im Herzen der ganzen Nation wiederklingen, würden hie und da in einem Winkel Deutschlands genannt werden und etwa die Eitelkeit ihrer Landsleute aufblähen, alle großen Männer, die in unserm Vaterlande die Sprache Luthers geredet, alle Genien der ernsten und fröhlichen Wissenschaft, auf die wir unsern Stolz setzen, ja welche die Vorsehung selbst uns zum erhebenden Selbstgefühl erweckt zu haben scheint, würden mit vergeblicher Sehnsucht ihre Flügel über Deutschland ausgebreitet haben, wären von ihrer Geburt an zur Verschrumpfung und Lähmung bestimmt gewesen. Es ist so viel Unglück seit Luther über dieses arme Land hingegangen, daß man zweifeln könnte, ob nur der Name Deutschland, Deutscher, ehre. Luthers Schriftsprache, dieses Schwerdt, das Wunden schlug und heilte, über dem unsäglicher Wirrwarr sich schwebend erhalten hatte.

Das kaiserliche Reichsschwerdt ist zerbrochen, Luthers Sprache ist Reichsschwerdt geworden, glanzvoller, schwungreicher, mächtiger, gefürchteter, als je eins in der Hand eines Hohenstaufens oder Habsburgers geblitzt hat.

Sprache Luthers, kaiserliches Schwerdt, der Muth hat Dich gestählt, die Freiheit Dich geschliffen, der Kampf Dich erprobt.

Sprache Luthers, kaiserliches Schwerdt, rein bist Du von den Blutflecken der Religionskriege, rein und gesäubert vom Geifer theologischer Streithähne, vom Rost des gelehrten und amtlichen Pedantismus.

Führt es ihr Söhne des Lichts, denn ihr seid unüberwindlich mit dieser Waffe.

Berührt es nicht, ihr Kinder der Nacht, denn es ist scharf und fährt zurück auf eure eigenen Schädel.



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