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2.
An Ferdinand

Köln, am letzten Juli.

Seit drei Tagen bin ich hier in dieser ehemaligen Reichsstadt, deren Anblick schon imponirt und die Thaten vieler Jahrhunderte erzählt. Wie ich geahnt, hat mich das Verlassen der heimathlichen, stillen Thäler nicht der Beruhigung hingegeben, vielmehr stürmt mit lauterem Getöse als je die fremde unbekannte Welt auf mich ein. Nur das Terrain ist ein anderes geworden. Früher wühlte ich mich still und verschwiegen in den Gram meines eignen Herzens, und pflegte die Angst sorgsam wie eine liebende Mutter ihr Kind, jetzt hat sich das Leid des Allgemeinen mir zu Füßen gestürzt und es sind mir Menschen theuer geworden in ihrer Qual, denen ich nur verwandt bin durch ein gleiches, menschlich reines Mitgefühl.

Ich habe viel erlebt in diesen kurzen drei Tagen. Eine Recapitulation desselben wird eine heilsame Medicin für Dich sein und mir selbst vielleicht einen Ausweg zeigen, so bald es gut ist, dieses Labyrinth eines unheimlichen Lebens zu verlassen. Ihr Friedsamen und in diesem Frieden so Glücklichen seid mit all Eurer Toleranz ungerechter gegen die Welt, als Ihr meint. Freilich ist das nicht sowol Eure Schuld, als die der Zustände, der Verhältnisse. Herz und Geist des Menschen sind zwei wunderliche Polypen. Sie wachsen und dehnen sich aus, je öfter sie verwundet und blutig geritzt werden, aber sie schrumpfen zusammen und werden eng, wenn sie in steter Sicherheit nur den kleinen Gram ihres eigenen stillen Selbst zu verarbeiten haben. Will man Gerechtigkeit lernen und Duldung üben, so muß man die Springfluth des jubelnden Lebens eben sowol, als das dumpfe Grollen des trauernden, um sich her toben gesehen haben. Ich fühle jetzt erst, wie erbärmlich wir denken und urtheilen in der Sicherheit unserer kargen Beschränktheit. Diese Enge, dieses ungetrübte Stück des Friedenshimmels macht uns frivol aus Gutmüthigkeit und purem Biedersinn. Gerecht gegen uns selbst zupft unser Eigendünkel die ewige Weltgeschichte bei der Nase, und meistert Gott und Schicksal. Es ist nichts so entsetzlich, als ein musterhaftes Leben in der Stille der Abgeschlossenheit. Darin liegt abermals ein Grund für unsern Untergang, namentlich für uns Deutsche. Es seufzt keiner mehr nach der gehäbigen Ruhe des Hauses als der Deutsche; es ist keiner mit größerer Mühe herauszuhetzen aus seiner Friedenshütte, als abermals der Deutsche. Wo denn um des Himmelswillen soll Rettung herkommen, wenn der große Sinn für Allgemeinheit unerschlossen bleibt? Nur Erdbeben, Zusammensturz der Himmelsdecke, können uns noch ermuntern und durch Vernichtung gegenwärtiger Ruhe eine schönere Zukunft sichern.

Von dem Verlauf der Reise von Koblenz bis hierher will ich schweigen. Ich gedenke noch mehrere Ausflüge zu machen an den Rhein und seine Umgebungen, und werde dann vielleicht nachholen, was von einigem Interesse für Dich sein dürfte. – Nur die Ankunft in Köln selbst darf ich nicht mit Stillschweigen übergehen. Sie war bedeutend, weniger für mich, als für meinen Begleiter Bardeloh, in dessen Hause ich wohne, wie Du Dir leicht denken kannst. Es schwankt ein düsteres Geheimniß um die Person dieses Mannes, und mein Herz zittert wie galvanisirt, so oft der entsagende Flammenblick seines Auges mit dieser unaussprechlichen, tief ironischen Melancholie auf mir ruht. Das Gefühl, unwillkürlich, wie durch Zaubergewalt, in die Lebenskreise eines Fremden hineingerissen zu werden, hat etwas entsetzliches, und doch liegt in der Tiefe der Verborgenheit auch wieder ein Reiz, der mit süßem Beben die Seele erfüllt. Nicht Neugier möchte ich diesen Rausch der Erwartung nennen, lieber ein schweigsames Forschen, ein psychologisches Experimentiren einer Seele mit der andern.

Die Fahrt, mannigfach belebt durch Menschen und Gegenstände, ward für mich zu einem Ereigniß. Rosaliens keusche Anmuth trug zu meiner Erheiterung eben so viel bei als der Zauber, womit Bardeloh sein Wort zu umspinnen versteht. In feenhafter Lebensbewegung quellen die Gedanken aus dem kristallenen Born seines Geistes herauf und schleichen sich mit hinreißender, ungesuchter Beredsamkeit in das Herz jedes Hörers. Wir sprachen viel, Heiteres, Scherzhaftes und tiefere Fragen der Zeit Berührendes. Bardeloh zeigte bei Allem gleiche Theilnahme; ein hoher, freier Weltton umhüllt mit hinreißender Grazie sein zwangloses Benehmen. Die Welt mag ihm viel gegeben haben und er ihr viel schuldig geblieben sein. So verstrich der Tag, das Bild von Köln dämmerte in duftiger Schöne am Horizont auf, als eben die Sonne tiefer hinabsank. Um den ungeheuren Torso mittelalterlicher Thatkraft, den Coloß des Domes, flammte zitternd bewegt, gleich Tagfaltern mit purpurnen Schwingen, die Abendröthe. Mein Auge hing mit jener unerklärlichen Sehnsucht an dem halbverwitterten Gestein, die immer das Ungeheure gegen unsern Willen in uns zu wecken pflegt. Da lief das Schiff in den Hafen. Geschrei, wildes, hastiges Durcheinanderrennen, Eigennutz und Geldgier tobten, schlugen, schimpften vom Quai in buntem, unterhaltenden Gemisch. Holländische Schiffsknechte, Hafenarbeiter und Packträger rumorten mit Püffen und Stößen durcheinander. Kaufleute und Aufseher bemühten sich Ruhe zu stiften und wurden verlacht. Dazu ein Dialect, den, gemischt aus einigen Sprachen und gründlichem Unsinn, nur ein Eingeweihter verstehen kann.

Mehrere Waarenkrahne mit ihren weit hinausragenden Tragebalken sind am Ufer erbaut und geben, fast immer in Thätigkeit, ein erfreuliches Bild regen Gewerbes. Es fiel mir schon von fern auf, daß auf einem dieser schieferbedeckten, hervorspringenden Arme ein colossaler Mensch von wildem Aussehen in völliger Unthätigkeit saß, um dessen wettergebräuntes Gesicht das Haar verworren hing und seine grotesken Züge zum Theil verdeckte. Große Wasserstiefeln an den Füßen war er nur bemüht, zu dem Geschrei der Lastträger und Hafenbeamten den Tact damit zu baumeln und jedem Ausgeschifften einen Gruß mit seinem formlosen Hut zuzuwinken.

Nicht fern von diesem Schifferknechte lehnte zwischen Ballen und Fässern die hohe Gestalt eines Juden, dessen feine, halb orientalische Tracht ihn als einen der Begünstigten seines Volkes bezeichnete. Theilnahmlos, mit gekreuzten Armen, den breitkrämpigen, feinen Castorhut auf dem Kopf, betrachtete er die Ankommenden. – Nach einigem Zanken und Schimpfen hatten sich die Lastträger endlich in unsere Koffer und Schachteln getheilt, Bardeloh wandte sich mit Rosalie und mir der Stadt zu, als mit einem Male, wie vom Wahnsinn ergriffen, der Schifferknecht herabstürzte von seinem Krahn, links und rechts mit Riesenkraft die Menschen auseinander warf und in wenig Augenblicken vor Bardeloh's Füßen niedersank. Mit der Inbrunst eines Büßenden küßte er Fuß und Kleid meines neuen Freundes, drückte dessen Hand an seine Lippe, und ein Blick – o Ferdinand! ein Blick flackerte aus dem Auge des Knieenden, der wie ein lautes Wehgeschrei gellend an mein Herz schlug und das Blut erstarren machte. Der knieende Mann sprach schnell einige Worte, aber in einem Jargon, der mir eben so unverständlich als das Arabische war. Bardeloh schien betroffen, sein blasses Gesicht röthete sich einen Augenblick, er hob den Armen liebreich auf und reichte ihm eine ansehnliche Gabe. Rosalie ergriff krampfhaft meine Hand. Sie zitterte heftig. Der Fischerknecht schwenkte johlend seinen Filz, und ehe ich mich noch recht besinnen konnte, saß die groteske Figur schon wieder auf dem Krahnarm, grüßte die Vorübergehenden und war bemüht dann und wann durch Ziehen an der Kette eine Art von Thätigkeit zur Schau zu tragen. Dieser seltsame Auftritt erregte einiges Aufsehen, obwol sehr Viele, namentlich von den Knechten und Matrosen, den ganzen Act mit lautem Gelächter begleiteten. Bardeloh suchte möglichst bald dem Gedränge zu entkommen. Schon hatten wir den Lärm hinter uns, da trat der Jude vor und grüßte Bardeloh mit herzlichem Händedruck.

»Der Friedrich kann's noch immer nicht begreifen,« sprach er, »daß ein Unterschied sein soll zwischen Mensch und Mensch. Wäre er ein Israelit, wie ich, er fände sich besser zurecht mit Zufall und Unglück.«

»Sie besuchen mich doch bald, Mardochai?« warf hastig Bardeloh ein. »Mein Haus, Sie wissen es, steht Ihnen jederzeit offen. Sie entschuldigen, meine Gattin ist angegriffen von der Reise – wir müssen uns beeilen. Auf Wiedersehn!«

»Ich werde nicht warten lassen auf mich,« erwiederte Mardochai, »und erlauben Sie es, so bringe ich den Friedrich mit. Es ist eine ehrliche Haut, und eine Seele steckt in ihm, die voller Narrheiten ist, wenn man ihm gestattet, sie herauszulassen. Der Gedrückte wird schüchtern, der Mensch zur Maus. Die Naturgeschichte hat überall einen auffallend engen Zusammenhang.«

Bardeloh gab durch ein stummes Zeichen seine Einwilligung und beschleunigte noch seine Eile. Vergebens richtete ich mehrere Fragen an Rosalie – ich erhielt keine Antwort. Nach ziemlich langem Herumgehen in die Kreuz und Quer erreichten wir Bardeloh's Wohnung, ein alterthümliches Gebäude, dessen Aeußeres mit der Miene des vierzehnten oder fünfzehnten Jahrhunderts auf das Grellste contrastirte mit seinem ganz nach dem modernsten Geschmack eingerichteten Innern.

Du kannst leicht ermessen, daß dies neue Begegniß am Hafen meine Theilnahme an Bardeloh und seiner Gattin noch vermehrte. Zwar weiß ich bis jetzt noch nicht, welcher Zusammenhang besteht zwischen diesem gebildeten Weltmanne und dem rohen Schifferknechte. Eben so wenig habe ich ermitteln können, was den Juden an meinen Gastfreund fesselt, daß aber ein geheimes Band, vielleicht gewunden aus Schmerz und Gram, diese Menschen sehr innig vereinigt, scheint mir gewiß.

Der Eintritt in Bardeloh's Haus war geeignet, die Welt nur von der glänzendsten Seite kennen zu lernen. In diesen saalähnlichen Gemächern weht eine aristokratische Luft, die schreiend contrastirt mit der republikanischen, bittern Skeptik ihres Besitzers. Gallonirte Diener empfingen uns, und – seltsam! – Bardeloh spielte mit so graziösem Anstande den vollendeten Aristokraten, daß eine argwöhnische Scheu höhnend an mein Herz rührte, als wolle sie mich mahnen vor dem Geheimnißvollen. Dies Alles hätte ich jedoch gern und leicht übersehen, wäre nicht dies zersplitterte Dasein von dem grausamsten Mißton der eigensten Art noch unbarmherziger zerrissen worden. Die breite, glänzende Treppe herab hüpfte jubelnd in seliger Freude ein bildschöner Knabe von etwa neun bis zehn Jahren. Dunkle, kastanienbraune Locken fielen in natürlichen Ringeln und dichter Fülle auf den antiken Nacken. Leben und Geist, Kindlichkeit und muntrer Jugendsinn leuchteten aus dem hellen Auge. Mit übersprudelnder Freude warf sich der Knabe in die Arme der Mutter, die ihn mit Küssen bedeckte, und riß sich ungeduldig wieder los, um wie ein Eichhörnchen an dem Vater hinaufzuklettern, und sich jauchzend wie die ewige, verkörperte Freude an seinen Hals zu hangen. –

Da zuckte wieder der mephistophelische Zug wie ein Giftzahn um den festgeschlossenen Mund Bardeloh's, und mit kaltem, schweigsamen Kuß der stürmischen Liebe des Kindes begegnend, riß er es von sich los und rief, den Knaben mir fast gewaltsam entgegenschiebend: »Da! dies ist ein liebes, frommes Kind, das meine Gattin mir geboren hat unter Schmerzen der Liebe. Und doch kann ich mich dieses Geschenkes des gütigen Gottes nicht freuen, weil meinen Ansichten zufolge dem Kinde die Gewißheit einer schönen Zukunft fehlt. Und das drückt schwer, sehr schwer einen liebenden Vater.«

Ich erschrak über diesen Seufzer, der Knabe schmiegte sich liebevoll an meine Seite, indem er ängstlich stotternd sprach: »Lieber Vater, Du brauchst nicht böse zu sein, ich habe den ganzen Hafen gezeichnet und auch den närrischen Friedrich mit seinen großen Stiefeln. Auch von den Aepfeln habe ich nicht mehr genascht, die mir doch so gut schmecken.«

Es gehört zu den Eigenthümlichkeiten Bardeloh's, Gegenstände, die bei genauerer Besprechung nur dazu beitragen können, eine Spaltung der Meinungen hervorzubringen, selten mehr als einmal zu erwähnen, so nahm er auch jetzt die Miene an, als habe er die Antwort seines Kindes gar nicht gehört, ertheilte den verschüchterten Dienern mehrere Aufträge und suchte sich in seiner Wohnung heimisch zu machen.

Felix, so heißt der anmuthige Knabe, vergaß bei seiner Lebhaftigkeit schnell die fast lieblose Aeußerung seines Vaters. Beschäftigt der schweigenden Mutter beim Auspacken zu helfen, schwatzte er ununterbrochen von dem, was ihm seither begegnet, oder merkwürdig erschienen war, und vermochte durch diese unschuldvolle Heiterkeit auch den verdüsterten Sinn Rosaliens etwas zu erhellen.

Bardeloh hatte sich sogleich in sein Zimmer zurückgezogen, das abgesondert von den übrigen nach dem freien Platze hinaussieht, über dem der ehrwürdige Dom heraufragt. Schon während der Rheinfahrt hatte ich dem geheimnißvollen Manne versprechen müssen, längere Zeit in Köln zu verweilen, und in dieser Zeit sein Haus als das meinige betrachten zu wollen. Lag dies auch nicht in meinem ursprünglichen Reiseplane, so ward ich doch durch die Art und Weise der gemachten Bekanntschaft an Bardeloh so innig gefesselt, daß es mir erwünscht schien, die Einladung wenigstens so lange zu benutzen, bis ich auf irgend eine Weise etwas Näheres über die Verhältnisse des Geheimnißvollen erfahren würde. Ohnehin vermag Köln mit seiner großen Vergangenheit, mit den Trümmern ehemaligen Glanzes und unermeßlichen Reichthums mich im Gedanken hinlänglich eine geraume Zeit zu beschäftigen. So entsagte ich denn meinem früheren Entschlusse nach England zu gehen, und überließ den ferneren Wechsel meines unruhigen Lebens ganz dem Zufall.

Bardeloh ließ mich bald durch einen Bedienten ersuchen, auf sein Zimmer zu kommen. Es geschah diese Einladung aber in einem Tone, der nicht geeignet war mich zu erheitern. Mein Stolz regte sich, ich war im Begriff, verneinend zu antworten. Rosalie ergriff meine Hand und flüsterte mir schnell zu:

»Kein hartes Wort, lieber Freund! Gehen Sie. Dieser Ruf beweist, daß Sie ganz besonders hoch in der Gunst meines Gatten gestiegen sind. Gewöhnen Sie sich an seine Wunderlichkeiten; dadurch ist es Ihnen vielleicht vergönnt, vielen Menschen nützlich zu werden.«

Den Bitten einer schönen Frau habe ich nie widerstehen können. Hier knüpfte sich noch die Ahnung zukünftiger Rettung daran, der sich – ich will es nicht leugnen, ein Schimmer von neugierigem Egoismus zugesellte. Ich trat in Bardeloh's Zimmer. Wie im ganzen Hause glänzte auch hier Reichthum mit Geschmack gepaart aus allen Ecken. Die Wände waren mit modernem Luxus decorirt, die Meubeln nach der neuesten Façon, englisches Comfort bot dem Leben jede Bequemlichkeit.

Grell stach dagegen die düstere Gestalt Bardeloh's ab, die bleich wie ein Geist unter den Trümmern zerstörter Ueppigkeit umherwandelte. Wir setzten uns. Da Keiner zuerst sprechen wollte, herrschte geraume Zeit ein ängstliches Schweigen. Endlich begann Bardeloh.

»Nicht wahr, es gefällt Ihnen in meinem Hause?«

»Selbst der verwöhnteste Aristokrat,« versetzte ich, »würde alle Gelüste befriedigt finden, die Erziehung und Vorurtheil ihm unentbehrlich gemacht haben im Leben.«

»Sehr wahr! Ein Aristokrat von Geburt würde so sprechen und danach handeln. Bei mir aber bringt es die entgegengesetzte Wirkung hervor.«

»Dann sehe ich nicht ein, weshalb Sie sich mit dem Glanz aller nur ersinnlichen Modeartikel umgeben?«

»Warum? – Hm! Sie sind ein sonderbarer Mensch.«

»Dasselbe würde ich von Ihnen mit Recht behaupten können.«

Bardeloh stand auf und drückte gegen eine Tapetenwand, die ohne Geräusch eine Thür öffnete. In der Nische brannte eine bläulich-rothe Spiritusflamme aus einem Todtenschädel; daneben lagen verschiedene Waffen.

»Das werden Sie weder modern noch aristokratisch-genußsüchtig finden,« sagte Bardeloh, indem er wieder neben mir Platz nahm.

Die Thür blieb jetzt geöffnet, die Spiritusflamme wehte ein unheimlich falbes Geisterlicht herein, und spottete mit dem Totenfahl ihres Flackerscheines das Leben weg aus unsern Mienen. Ich fragte, wozu diese Gegensätze dienen sollten.

»Sie enthalten die Doctrin des Hasses,« versetzte mit einiger Bitterkeit mein Gastfreund. »Liebe ist eine heilige, göttliche Lehre, aber auf Erden nicht jederzeit angewandt, so lange es noch Benennungen gibt, die einen Unterschied bedingen zwischen der ewigen Gleichheit des Menschen. Darum übe ich hier in stiller Abgeschlossenheit das Hassen, im Fall ich es für mich allein einmal nöthig haben sollte. Denn ohne die Möglichkeit des Hasses ist die Liebe bedeutungslos. Ich verachte und verspotte alle Launen, die der Aristokratismus mit raffinirtem Schönheits- und Geschmackssinn eingeschmuggelt hat in die Gesundheit des natürlichen Daseins. Darum umgebe ich mich damit, so viel es meine Mittel erlauben, und studire die Niedrigkeit dieser Gesinnungen in der Hoheit äußeren Scheines, womit der kahlgewordene Verstand prunkt, wenn er kein Urtheil mehr besitzt über Fragen, die das Leben mit allen seinen Zeugungsepochen an die Ewigkeit weltlicher und menschlicher Bildung stellt.«

»Diese Lebensansicht und Beurtheilung unserer Zustände ist eine outrirte,« entgegnete ich, »sie wird und muß Sie elend machen.«

»Sehr wahrscheinlich! Glauben Sie aber ja nicht, daß mein etwaiger und möglicher Untergang den Beweis für die Thorheit meiner Ansichten abgeben würde. Es müssen überall Märtyrer sein. Darum haben Sie Unrecht, wenn Sie meine Ueberzeugungen outrirt nennen, sie sind nur ungewöhnlich.«

»Wozu aber diese gespenstische Lampe, diese Spiegelfechterei, die das Nervenleben stachelt und matt kitzelt? Wollen Sie etwa durch dergleichen Vorrichtungen ebenfalls eine wollüstige Verspottung aristokratischen Sinnenreizes nachäffen?«

Der Blitz jenes mephistophelischen Lächelns setzte abermals momentan das ganze Gesicht meines so zweideutigen Freundes in Flammen. »Sie sollen beruhigt werden,« sprach er, und drückte die Tapetenthür wieder zu. »Ich kann es Ihnen nicht verargen, daß Sie einige Abneigung gegen so tödtlich drohende Vorrichtungen zeigen. Sobald wir uns näher kennen, will ich Sie über dieses unter Schloß und Riegel gelegte Geheimniß belehren.«

Er schellte, ein Diener zündete die Gaslampe an, die in geschmackvollen glänzenden Messingröhren das Zimmer mit feenhaftem Glanz erleuchtete. Bardeloh zog die rothseidenen Gobelins vor die Fenster und langte einige Produktionen der neuesten Literatur aus einem Mahagonischranke.

»Diese Werke kennen Sie ohne Zweifel,« fuhr er fort mit einer Ruhe, die eben so natürlich zu sein schien wie Alles an diesem außerordentlichen Menschen. »Um sie aber ganz zu verstehen, müssen Sie in Köln bleiben. Hier ist der Ort, dem Leben in's tiefste Herz zu blicken, vorausgesetzt, daß überhaupt ein Organ in Ihnen vorhanden ist, welches diesen Dienst verrichtet. Die Autoren dieser Bücher eifern gegen Gebrechen der Societät, die allgemein gefühlt, aber schwer geändert werden können. Man sollte nicht gegen Windmühlenflügel zu Felde ziehen, denn man macht sich lächerlich und verhaßt. Um die Wunden zu heilen, die an diesem Erd- und Menschenkörper aufklaffen, bedarf es zuerst des brennenden Eisens, damit das Gift verzehrt wird, das sie verursacht. Was helfen alle Medicamente und Binden der ganzen Welt, wenn man dem Uebel nicht auf den Grund geht? Ich kenne ein Mittel für all' diese Gebrechen. Wollte man es anwenden, so wäre der Gesellschaft geholfen.«

»Und dies besteht?« –

»In Vernichtung unserer Selbst.«

»Gewiß,« erwiederte ich bitter-verdrossen, »eine solche Radicalcur müßte zum Ziele führen. Wer den Menschen ausrottet, wird auch die Gesellschaft vertilgen; nur ist schwer zu begreifen, was an die Stelle der so exstirpirten Menschheit treten soll.«

»Sie sind von schweren Begriffen,« sprach Bardeloh. »Wer verlangt Vertilgung alles Lebens? Niemand und ich am allerwenigsten! Nur ein halbjähriges Ruhen der fortwachsenden Menschheit gebe ich zu bedenken; die Folgen würden nicht ausbleiben, und der Gesundheitszustand einer sehr merklichen Veränderung unterliegen.«

»Die Ausführung ist nur unmöglich.«

»Weil Ihr Weichlinge seid,« gegenredete mit schlechtverhehlter Heftigkeit der außergewöhnliche Weltverbesserer, warf die Bücher ungeduldig in den Wandschrank und wünschte mir eine glückliche Nacht.

So endigte meine erste Unterredung mit einem Manne, der ohne Widerrede einer der complicirtesten Charactere ist, den die Neuzeit aus den Conflicten ihres Wollens und Nichtkönnens geboren. Ich habe Dir mit Vorbedacht dieses Gespräch ausführlich erzählt, weil es mir zu bedeutsam schien für den Widerstreit in Bardelohs Brust. Ein solches Schwelgen in Glanz und Herrlichkeit der Welt aus reinem Ekel an der schimmernden Schale ist neu und charakterisirt das Carikirte an unserer Epoche. Es sucht Jeder seinen Gram auszutoben, aber die Wege und Mittel, die man ergreift, sind in der That noch unerklärlicher als das Uebel selbst. Nie bin ich einem solchen Gegner der Civilisation begegnet, wie er sich in diesem Bardeloh darstellt. Selbst gebildet bis auf den Gipfelpunct der feinsten Weltsitte, verachtet und haßt er diese Bildung, man möchte fast meinen, aus Idiosynkrasie. Ich will nicht zweifeln, daß Bardeloh alle Kraft in sich besitzt, Großes zu wirken, sich aber gelähmt fühlt in dem Zwange äußerer Schranken. Es gibt Geister, die nur dann in der Sonnenhelle ihrer innern Reinheit heraustreten können in die Welt, wenn auch der leiseste Schimmer eines behindernden Ansichhaltens verglommen ist. Sie sind zu klar in sich, um im Sturme eines wilden Genies, unbekümmert um den Erfolg, die flimmernden Meteore ihres Gedankenlebens von sich zu schleudern, und müssen dann leider eingesenkt in die Qual des schaffenden Gedankens, mit der unbezwinglichen Gluth einer großen Lebenskraft sich selbst elend verzehren. Unter diese Unglücklichen rechne ich Bardeloh. Seine ganze Gestalt, die verglühte Blässe des in Traum gestürzten Gedankens auf seinem Gesicht sind laute Verkündiger der Pein, die ihn sicher vernichtet. Und so muß ich ihm recht geben, wenn er, von sich auf Andere schließend, das Leben nur wie einen Fluch betrachtet, den das wandernde Geschlecht noch nicht völlig zu sühnen vermocht hat.

Mit dem Gefühl der Ohnmacht entfernte ich mich und schlich zurück auf mein Zimmer. Die Unterredung gab Stoff genug zu stillem Denken, und ließ ich einen Blick durch's Fenster auf den Dom fallen, der im Mondglanz still und hehr in den dunklen Nachthimmel emporstieg, ward die Geschichte lebendig in jedem Schnörkel und Säulenschaft, an denen Jahrhunderte mit derselben Sonne auf und niedergegangen sind. Wieder rief es laut in mir nach einer That, diesem einzigen Retter aus der Verwirrung gegenwärtiger, schlaffer Zustände. Möchte nur das Wie herabfallen in die Gemüther der Menschen wie ein schöner froher Traum! Denn mit all unserm Ringen wird der heilige Moment nicht erhascht, der doch unentbehrlich ist zum Gelingen.

Die Doctrin des Hasses baut Bardeloh an in der verschlossenen Einsamkeit seiner Zelle. In sie vergräbt er sich, wenn die Nacht mit heiligem Düster die halbzertrümmerte Stadt umfängt. Dann sitzt der äußerlich kalte, innerlich aber glühende Mann vor dem geöffneten Tapetenschranke und rechnet der Welt, beim Geistesflackern seiner Todtenlampe, die Secunden ihres armen Lebens nach. Dann brütet er still über der Möglichkeit einer That, die ihn und, wie er meint, auch die Gesammtheit retten könnte. Und draußen schleicht und klimmt der Mond wie das verspätete Grubenlicht des ewigen Bergmannes um die Ruine des Domes, diese im Entstehen zusammengebrochene That von sechs langen Jahrhunderten. Mein Gott, was keuchen wir Menschen des neunzehnten Säculums denn mit der Hast der Begehrlichkeit nach Thaten? Lehrt uns denn nicht der Spukgeist der Weltgeschichte da draußen, wohin es gekommen mit allem Ueberschwenglichen? Warum klettert von Jahrhundert zu Jahrhundert der Maurer um diese verwitterten Zinnen, wie der wimmernde Geist des ersten Baumeisters, der keine Ruhe findet im Grabe, weil er den riesigen Wunsch nicht ausführen konnte, und er nun unvollendet bleiben muß, bis ihn das Alter zerstört oder eine neue Erdrevolution? – Mich dünkt wir könnten etwas lernen aus diesem Torso einer Menschenthat, wir könnten auf weise Beschränkung hingewiesen werden, wenn ein genialer Uebermuth uns quälend Herz und Seele beengt! –

Bis tief in die Nacht hinein saß ich am offnen Fenster und lüftete alle Falten, die das Leben gebrochen hatte in mein Innerstes. Ich wollte mich bis in die geheimsten Tiefen durchforschen, um meines eignen Selbst habhaft zu werden. Nur den Menschen wollte ich rein behalten für mich und Alles von ihm ablösen, was Satzungen, Lehren und Leben als störenden Rost an ihn angesetzt hatten. Mir will es immer scheinen, als sei blos deshalb das Glück einer erfreulichen That von uns gewichen, weil wir uns an zu viel Fremdartiges hingegeben. Betrachte diese Demuth des Einzelnen wie der Gesammtheit einmal recht genau und vorurtheilsfrei, Ferdinand, und frage Dich dann, wo die Wahrheit und Tugend liegt, ob im Verschmähen des aus der Fremde Verabreichten oder im Annehmen desselben? Wir lassen die Kraft und tauschen dafür die Fürbitte, die Oberherrlichkeit einer demüthig scheinenden Maxime ein. Wie der Indianer den Rum ergreift, um die Freiheit seiner vollen Männlichkeit dem weißen Manne zu überlassen, und die grünen Jagdgründe für einen seligen Rausch aufopfert; so begeben wir uns der Selbstständigkeit und Gottähnlichkeit aus einer misverstandenen Demuth. Indem wir uns geistig für unmündig erklären, machen wir uns selbst zu Knechten. Diese von Kindesbeinen an nachäffende Gesinnung stürzt uns in's Unglück, schwächt die Kraft und erstickt alle Keime großer Thaten. – Ich fürchte Bardeloh hat ein wahres Wort gesprochen. Er grübelte noch, wie ich aus dem Lichtschimmer seiner Fenster vermuthete, als mich bereits Schmerz und Unruhe antrieben, in der Vergessenheit des Schlummers einen verdienstlosen Frieden zu suchen. –

 

Den 1. August.

Hättest Du mir auch nur scherzend zugerufen, daß sich hier die Fäden meines Lebens in ein dunkles Gewirr zusammenflechten würden, ich hätte es lächelnd hingenommen und wäre um so sehnsuchttrunkener fortgeeilt. Aber dem Menschen stürzt sich meist Leben und Geschichte unaufgefordert vor die Füße, und zwingt ihn selbst die Umrisse seiner Biographie zu schreiben oder durchzuleben, bis er geworden, wozu er bestimmt ist in dem Kettengliede der Geister.

Bardelohs Haus ist der Sammelplatz alles geistig Regsamen in Köln und der Umgegend. Hier finden sich die heterogensten Elemente zusammen, und ich bewundere den Gleichmuth oder vielmehr die jesuitische Freisinnigkeit meines Wirthes, womit er jede Meinung ruhig hinnimmt, und sich bis zu einem gewissen Grade die Freundschaft Aller zu erwerben weiß. Der Mann hätte am Ende doch Diplomat werden sollen. Bei seiner republikanisch-radicalen Grundgesinnung müßte ihm durch Ausbildung weltlichfeinen Umgangstones Alles möglich werden. Denn daß er es mit sich selbst und der Partei, dessen starrer, marmorgleicher Repräsentant er ist, ehrlich meint, davon bin ich fest überzeugt.

Seine Rückkunft aus dem Bade war kaum bekannt geworden, als eine Unzahl Besuchender ankamen, sich nach seinem Befinden zu erkundigen. Protestanten und Katholiken drängten sich im Vorzimmer, die höchsten Beamten fanden sich ein, und der Reichthum blieb eben so wenig aus als die Armuth, für die Bardeloh große Summen ausgeben soll. Auffallend war mir bei diesen Besuchen, daß nie auf den Rang Rücksicht genommen ward. Die Anfragenden folgten wie sie gekommen, und ich bemerkte, daß ein hoher Geistlicher bedeutend lange warten mußte, ohne sich dadurch beleidigt zu fühlen.

Bardeloh ist Katholik, von edler Abkunft, man sagt, der Neffe eines zum Christenthum übergetretenen Juden. Ich habe zwar noch keine Gewißheit darüber, aber ich glaube es, und kann mir in der Phantasie ein groteskes Bild seltsamer Schicksale construiren. Du kennst diese meine Liebhaberei an dem Phantastischen und wirst meinen Glauben sehr natürlich finden. Mich reizt nur die Möglichkeit einer poetischen Lebenslage; die erkannt poetische macht mir schon Langeweile. Wie unglücklich eine solche Manie für mich ist, fühle ich selbst, doch hat sie das Treffliche, daß sie mich jeden Moment glücklich benutzen läßt, und oft aus einem bloßen Traumbilde den bleibenden Trost kräftiger That gestaltet. Kann man sich anders retten aus dem Wirbel und Strudel des Tages? Ich lasse meine Sehnsucht sich ansaugen an den Stumpf einer fast zurückgelegten Epoche, und die spärlichen Tropfen gierig schlürfen, die Schmerz und Zwang ihr auspressen. Diese Art das Leben zu fesseln, hält mich allein noch über Wasser, und bildet selbst aus der Dunkelheit der um mich her taumelnden Gestalten etwas süß Bezauberndes, woran ich mich aufrichte. Ich werfe den Zahlpfennig meines individuellen Lebens in den großen Losungstopf des allgemeinen und hoffe dabei keine Niete zu ziehen.

Die Anzeichen sind vielversprechend, nicht günstig, aber interessant. Mein Herz klopft heftiger, denke ich an den gestrigen Abend, dessen mährchenhafte Glanzesfülle mich immer noch wie ein brandendes Lichtmeer umschäumt. Die Zukunft greift sich seltsam heran und spinnt an die Gegenwart ihre bestimmenden Fäden. Auch mich will sie nicht verschonen, und so werde ich hineingerissen in diesen Taumel nur schwach bewachter Leidenschaften, die, würgten sie ihre Wächter, in wilder Raserei das Leben unter die Guillotine schleppen könnten. –

Bardeloh's Reichthum läßt den Meinungsverschiedenheiten keinen freien Spielraum, daher kann man in seinem Hause die unversöhnlichsten Feinde ruhig und anscheinend in brüderlicher Liebe neben einander sehen. Ein solches Versöhnungsfest des weltlichen Gottes ward gestern Abend gefeiert. Die alte Stadt ließ alle Elemente einer gründlichen Weltbewegung in den schimmernden Sälen des Bardeloh'schen Hauses zusammenfließen. Der Anblick war seltsam genug, und streifte an eine rührende Komik. Dieses Selbstverleugnen und Beherrschen, dieses meinungslose Eingehen in die Ansicht jedes Dritten, dem es gerade passend schien ein Wort von sich zu geben; und nun dazwischen die diabolisch lächelnde Figur des bleichen Wirthes, dem es Vergnügen macht, Alle zu ärgern, und doch von Allen wie ein Gott verehrt zu werden, – wahrlich, es war zu abstoßend für einen der glücklicheren Gewöhnlichkeit angehörenden Menschen! –

Da Bardeloh Katholik ist, so fehlte natürlich die hohe Geistlichkeit nicht. Allein mein Gastfreund ist zu sehr Weltmann, als daß er dem Bekenntnisse die feine Sitte, den Anstand opfern sollte. Auch der Protestantismus ward durch mehrere Anwesende repräsentirt. An ihn schloß sich die Lehre Mosis – es fanden sich Juden ein in der halborientalischen Tracht, wie man sie auf Messen allerwärts erblickt. Schwerlich würde der Islam gefehlt haben, hätte sich ein Vertreter desselben in Köln gefunden. Unter diesen nun drängten sich wieder die Anhänger der neuen, unseligen Weltreligion, die Nichtgläubigen, während der Sectengeist in Pietisten und supernaturalistischen Schwärmern, nur mit Mühe gedämpft, den Anforderungen einer Salon-Andacht entsprach. Eine Schaar junger Mädchen, voll rheinischer Lebendigkeit und jener elastischen Grazie, die ihren Gliederbau vor andern ihres Geschlechts auszeichnet, scherzten mit naiver Bonhomie unter dieser barock-ernsthaften Gesellschaft, nur dem Uebermuth des Augenblickes sich hingebend.

Gewiß, Ferdinand, Du würdest von einem sinnlichen Taumel ergriffen worden sein, hättest Du zugleich mit mir nur diesen Reiz weiblicher Schönheit, diese Gotttrunkenheit eines weltlichreinen Glücks in dem gewölbten Himmel so vieler Jungfrauenaugen genießen können. Mir gebrach es nur an einer Kleinigkeit, oder vielmehr, ich hatte etwas Geringes zu viel, ich kannte Bardeloh! – Du lächelst und nennst mich wieder einen seltsamen, abenteuernden Phantasten. – Immerhin! Meine Ahnung war ein untrügliches Thermometer für die gemischten Empfindungen, die sich unter dem Deckmantel zahmer Geselligkeit feindselig genug stießen.

Es mochten schon einige Stunden unter Gespräch, Spiel und Gesang vergangen sein, als mich die Unruhe in eines der Nebenzimmer trieb. Hier fand mich bald darauf Rosalie, meine glühende Stirn in die Polster des Sopha gedrückt. Sie setzte sich zu mir.

»Was treibt Sie aus dem lustigen Getümmel so vieler Glücklichen in diese Einsamkeit?« redete sie mich an. »Ein junger Mann sollte sich nie zurückziehen, nie abschließen. Es wirkt nachtheilig, mein theurer Freund. Auch Sie werden dies zeitig genug erfahren.«

»Lieben Sie Maskenbälle, verehrte Frau?«

»Als ein Kind dieser Stadt muß ich daran Gefallen finden. Die Gewohnheit, alle Narrethei, die man während eines ganzen Jahres aufgestapelt hat, auf einmal in vollen Strömen überschäumen zu lassen, ist ein Vermächtniß mittelalterlichen Gutes, das man, wie manches andere in der Gegenwart, zu wenig achtet.«

»Es kann keinen größeren Verehrer alles Narrenthums geben auf Erden als mich, nur habe ich bisher an der Möglichkeit gezweifelt, auch ohne Kostüm eine Gesellschaft schreckenerregender Charaktermasken zu versammeln.«

Rosalie entfernte sich. Dumpf rauschte aus den nahe gelegenen Sälen das Leben der maskirten Menschheit, an die verschlossene Thür klopfte der Argwohn charakterloser Gesinnung.

Die Töne eines Fortepiano klangen in gedämpften Accorden herüber zu uns, eine schöne volle Mädchenstimme sang mit hinreißender Gluth die kunstlosen Verse eines Volksliedes.

»Gibt Bardeloh öfters ähnliche Gesellschaften?« fragte ich mehr aus Instinkt als aus Bedürfniß, denn eine doppelt drückende Atmosphäre wirkte betäubend auf alle meine Sinne.

»Das ist seine Schwäche,« seufzte Rosalie. »Ohne diese leidenschaftliche Lust, die haute volée der Stadt immer um sich zu versammeln, würde er glücklicher sein, und selbst den verderbten Grundsätzen alter Lebensweise mehr Gleichgiltigkeit als schweigende Wuth entgegensetzen. Diese Gesellschaften, zusammengeweht aus allen Winkeln der Stadt, verbittern ihm sein heiligstes Leben. Mit der Wollust eines Rasenden sucht er umher nach immer grelleren Gegensätzen, und je verbissener die Wuth der Geladenen sich in feiner Schmeichelei begegnet, desto glücklicher fühlt er sich in dieser Vernichtung alles Edlen im Menschen.« – »Mein Freund,« fuhr sie fort, »was Sie bei uns sehen, ist nur ein Experiment, an einem auserlesenen Gliede der Menschheit gemacht.«

»Getroffen!« unterbrach Bardeloh's sarkastisch schneidende Stimme dies Bekenntniß eines Wesens, das mit reinstem Edelmuth die versöhnende Liebe eines Engels verband. Er war von uns unbemerkt durch die Seitenthür eingetreten. Verwirrt stand ich auf, die Ueberraschung ließ mich umsonst nach einer Antwort suchen.

»Halten Sie mich für ein Kind,« sprach Bardeloh, als er meine Verwirrung bemerkte, »daß Sie zusammenfahren wie ein Knabe, weil ich Sie im Gespräch treffe mit meiner Frau? Nicht dieses Alleinsein, Ihr Stolpern über sich selbst könnte mich zornig machen. Wissen Sie, junger Mann, daß ich kein Purist bin, wie Sie einige finden dort in meinem großen Studirzimmer der Menschheit. Kommen Sie, mein Freund, und machen Sie mit mir einen Gang durch jene Schatten, die trotz aller Verstellung ihre Seelen doch nicht verstecken können. Ich halte allwöchentlich über sie Revue und erfreue mich meines Generalats. – Rosalie, besorge für mich und unsern Freund ein Glas Limonade.«

Wir traten in den Gesellschaftssaal, Bardeloh stellte mich den ausgezeichnetsten Personen vor und ergetzte sich merklich an den Komplimenten, die mir nach dem Gesetz der Convenienz gemacht wurden. An den Saal stieß ein halbkreisrundes Cabinet, von dem aus man das Gewühl der Anwesenden übersehen konnte. Dies kleine Apartement ward durch eine Glasthür von dem Saale geschieden, war nicht erhellt und lag in desto größerem Dunkel, je blendendere Lichtfülle die Gasflammen durch die übrigen Räume wehten. In dies kleine Gemach führte mich Bardeloh. Ungesehen von Andern konnten wir genau jeden Einzelnen beobachten.

»Hier, mein Freund, befinden wir uns in meiner psychologischen Warte,« begann Bardeloh und warf sich in die Polster einer Ottomane mit einer verächtlichen Lebensmüdigkeit. »Sehen Sie,« fuhr er fort, »sehen Sie nun einmal unverwandt auf diese gebildete Menge, beobachten Sie ihr Mienenspiel, ihr Muskelzucken, ihr Augenverdrehen, und sagen Sie dann noch, daß wir im Zeitalter der Civilisation leben.«

Er schwieg, ich antwortete nicht und beobachtete mit klopfendem Herzen die Gesellschaft. Da stand der stolze Prälat im traulichen Gespräch mit dem Mennoniten; daneben betete eine pietistisch gesinnte junge Dame mit dem Madonnaschnitt ihres Gesichtes zu der jugendlichen Kraft eines schönen Mannes, während der begehrerische Blick vergeblich nach jener süßen Andacht haschte, womit die geübte Sünderin die Natur eines gesunden Lebens zu bemeistern versteht. Am glänzend polirten Ofen lehnte der Jude Mardochai mit dem bleichen Ernst seiner Züge den orientalischen Tiefsinn schweigend hinaussendend in die um ihn rauschende Menschenwelle. Er stand allein und höhnisch flog zuweilen eine lächelnde Weltverachtung um den stolzen Mund. Dann griff er mit der schöngeformten Hand in den faltenreichen Talar von schwerer Seide, und warf spielend eine Menge neugeprägter Goldstücke in die sonnenhelle Atmosphäre. Der Verachtete zeigte kaum die Hostien aus der Monstranz des Gottes der Welt, so sanken auch schon die Herzen der Versammlung auf die Knie, und die civilisirte Menschheit betete an vor der Majestät moderner Weltheiligkeit. Viele traten an Mardochai heran und suchten mit ehrerbietigem Lächeln seine Unterhaltung. Aber der Sohn des Orients blieb ruhig und ernst. Er spielte von Zeit zu Zeit mit seinem Golde, antwortete höflich, erniedrigte sich aber nicht, dem zu schmeicheln, was er haßte. Einige katholische Patres drängten sich um einen protestantischen Geistlichen, den ich an den feingestickten Ueberschlägeln erkannte, die als Zeichen seiner Würde ein durchbrochenes Kreuz zur Schau trugen. Mit diesem ausgehängten Christenthume contrastirte die weltliche Tournüre und der mephistophelische Blick seines schwarzen Auges, das aus den tiefen Höhlen des eingesunkenen Gesichtes dialectische Fragen an alle Anwesende that. Dieser Mann ward mir unheimlich, weil ich den Schmerz um die verlorne Weltheiligkeit aus der dunklen Gluth des eingestürzten Auges herausflackern sah. Doch schien er froh, heiter gelaunt und voll Befriedigung mitten im Verkehr mit der glänzenden Welt. Seine pikanten Bemerkungen, nicht selten tiefdunkle Rosen auf die Wangen vorbeiwandelnder Mädchen zaubernd, sammelten stets einen bunten Kreis begieriger Hörer um ihn. Einige stille Jünglinge drängten sich sehr in die Nähe einer ältlichen Dame, die eben so bekannt war durch ihre Heiligkeit wie durch den Besitz zweier Nichten, deren Schönheit mehr Verehrer zu finden schien als ihre strengen Blicke. Die Jünglinge waren gut geschult, auch der Orthodoxeste hätte nichts an ihrer Haltung, Handbewegung, an Auge und Mund, aussetzen können. Weniger auffallend zeigten sich die jugendlichen Gestalten der anwesenden Damenwelt. Hier wetteiferte meistens nur die angeborne Koketterie des Geschlechts mit unverwüstlicher Herzlichkeit und sprudelnder Laune. Necken und Kichern lauschte aus den schönen frischen Augen, und die blühenden Lippen mochten nur dann stumme Lügen zerdrücken, wenn sie sich weigerten, einen begehrten Kuß zu erwiedern.

»Haben Sie die Menschheit gefunden in diesem Geschlecht?« unterbrach Bardeloh mein Schweigen. Rosalie brachte uns Limonade. »Unterhalte die Gesellschaft«, wandte er sich an die Gattin, »ich werde mit unserm Freunde bald folgen.«

»Sei nicht grausam, Richard,« bat das schöne Weib und verließ uns.

»Zweifeln Sie wol,« hob Bardeloh abermals an, »daß Sie da draußen im Saal die Blüthe europäischen Geistes versammelt sehen?«

Ich seufzte.

»O, schämen Sie sich, mißmüthige Seufzer auszustoßen, wenn die Freuden der Gesittung im schönsten Jubel um uns scherzen!« – Er schwieg und schlürfte die Limonade. »Mir wird immer seltsam lächerlich zu Muthe,« fuhr er fort, »wenn ich Gelehrte und Ungelehrte sich braunroth streiten höre und sehe über den Werth der Universitäten in unsern Tagen. Mein Gott, der Gegenstand ist ja nicht der Rede werth! Schickt die jungen Leute zu mir und gebt mir den zehnten Theil dessen, was nur eine Universität Deutschlands jährlich kostet, so unterrichte ich Euch die strebende studirende Jugend zehnmal besser als all' Eure Professoren. Hier, dies ist mein Katheder, dort das Auditorium. Eine Nacht – ich lese blos Nachts – in diesem Hör- und Sehsaale zugebracht, wiegt zehn Jahre mühsamen Studirens auf.

»Ist es nicht ein niederschlagender Anblick, den Menschen auf der Höhe der Cultur doch so tief gesunken zu erblicken? Diese Vornehmigkeit der Civilisation, die Sie dort draußen sich tummeln sehen, repräsentirt den Zustand unseres socialen Lebens. Sie finden dort alle Tugenden beisammen, die im Katechismus eines wolgesitteten Menschen aufgezählt werden, und doch bleibt Alles blos Lehre, Satzung, glänzende Angewöhnung. Die Natur ist dadurch verloren gegangen im Menschen, und er hat sich bewußtlos heraufgehoben auf den Gipfel der Gesellschaftlichkeit. Der Mensch ist dem Benehmen gewichen, die Natur der Schule!

»Soll man nun nicht darüber trauern und ernster, als es gewöhnlich ist, in die Zukunft blicken? Ist es die Aufgabe der Civilisation, das Geschlecht zu vervollkommenen, so darf in der Vervollkommnung selbst kein Rückschritt gethan werden. Lücken sind nirgends zu vermeiden, auch füllt die Lücke sich aus von selbst. Die Geschichte handelt hier instinktartig. In unserm Leben aber gibt es nicht bloße Lücken, hier sind tiefe Schlünde, über die man vergeblich die cultivirte Epoche Sprünge machen heißt. Der Mensch würde es wol versuchen, wenn anders die Kleidung, in die er sich selbst schnürte, es nur erlauben wollte. Oder meinen Sie etwa, dieser hehre Gott der Schöpfung werde unsere Gesellschaftsmenschen für sein Ebenbild anerkennen? Mit Seufzen muß ich meinen bescheidenen Zweifel in dieser Hinsicht gestehen. – Gut freilich hat man nachgeformt, Zwirn und Steifleinwand sind nicht gespart worden, um dem Urbilde eines Menschen analog sein nachgeahmtes auszustaffiren.

»Und auf diese Blüthe wollen Sie wirklich die schönere Zukunft der Welt basiren?« fuhr bewegt mein Gastfreund fort. »Wollen Sie mich noch der Unmoralität bezüchtigen, wenn ich behaupte, dieses Geschlecht sei nur zu erretten durch gewaltsames Ausschütteln des Menschlichen, das sich in leisen Funken noch erhalten hat zwischen den Trümmern, um die sich schmarotzend ein unbeachtetes Verderben rankt? Um die Welt verstehen zu lernen, müssen Sie die Meinungen zusammen sperren wie ich dort draußen. Dann erst erkennen Sie, wie selten eine hohe Gesinnung sich findet. Nicht die Hartnäckigkeit der verschiedensten Meinungen will ich tadeln, die farblose Charakterlosigkeit nur erbarmt mich, die zu schwach ist, um eine Meinung öffentlich auszusprechen, wenn der Andere ihr gegenüber mit einer heterogenen Ansicht debütirt. Dies nenne ich unmoralisch. Zusammengetrieben durch Visitenkarten rennen jene Gebildeten hin, wohin ich sie haben will, überall voll Heuchelei, voll Characterlosigkeit, voll Schmeichelns und Begutachtens, und nur darin einander gleich, sich selbst mit lächelndem Munde Buben zu schimpfen, ohne es zu bemerken. Sollte der tiefere Denker nicht aufgefordert sein, auf ein Mittel zu sinnen, um diesen Krebsschaden am allgemeinen Körper des großen europäischen Weltlebens operiren zu helfen, ehe er völlig unheilbar geworden ist! Es ist hart, daß eine Welt nicht eher todt ist, als bis auch das letzte Atom des Lebens in unsichtbaren Staub zerfällt. – Sind Sie davon überzeugt, und wünschen Sie einen Kranken zu heilen, selbst wenn er, dem Schwindsüchtigen ähnlich, das Umsichgreifen des Uebels für Gesundheit halten sollte, so sammeln Sie Ihre Gedanken und wagen Sie Alles daran, dem Getäuschten eine richtige Ansicht von seiner Lage beizubringen. Das ist jeder Edle seinem irrenden Bruder schuldig. Und ich meines Theils will nicht müßig bleiben, sonst würde ich vor Schmerz sterben.«

Richard stand auf und trat in den Saal, wo die erwähnte Krankheit in Gestalt liebreizender Masken, anmuthig scherzend, geistreich witzelnd, umhertobte.

Ein dumpfer Gram raubte mir fast die Besinnung. Bardeloh wandelte draußen im Saal unter seinen Gästen herum wie ein vor Zorn schweigender Gott. Jede Meinung zerfiel vor der seinigen, wenn es ihm beliebte, eine andere aufzustellen; denn der außerordentliche Mann hatte großes Vermögen. Ich kann diese Manie, sich selbst im tiefsten Elend der Zeit unterzutauchen, kaum begreifen. Mit einer Art Wollust sammelt dieser Mensch alle Strahlen der Lebenssonne und badet sich in ihrer fieberzeugenden Hitze. So viel unbestreitbar Wahres Bardeloh auch aussprach, und so gut es sein mag, die Schlechtigkeit der Welt kennen zu lernen, so ist es doch auch rathsam, sich vor raffinirter Lust daran zu hüten.

Ich bin wahrhaftig nicht glücklich und so manche Schmach des Jahrhunderts treibt mir die Schamröthe auf das Gesicht, das einzige Abendroth, das bei den Besseren noch als verklärender Schimmer über das Grab ihrer sterbenden Mutterwelt zittert. Doch so elend als Bardeloh bin ich noch nicht! Gottlob, noch wäre es mir nicht möglich, mein Kind dem Tode verfallen zu wünschen, noch eine so grauenhafte Gesellschaft zu bitten, blos um mich zu sättigen am Ekel. Ich fürchte, dieser große edle Geist kann verrucht werden aus Edelmuth. Er will sich anspornen zur That, und wählt, wie es scheint, ein gefahrdrohendes Mittel. Möge ihn die ewige Liebe beschirmen, die belebend durch die Nerven der Geschichte geht und noch keinen verlassen hat, der mit der Andacht tiefster Humanität sich ihr unbedingt hingab! –

Es war mir unmöglich, nach dieser Lection meines Wirthes in den Gesellschaftssaal zürückzukehren. Mir fehlte die Kraft der Heuchelei und Verstellung, die Bardeloh in einem bewundernswürdigen Grade besitzt. Diese Moral der Unmoralität ist leider ein Product der Civilisation, sobald sie zur Caricatur ihrer selbst geworden. Sie muß, wie die Verhältnisse sich gestalten, freilich vorhanden sein, nur soll man sie nicht als Mittel anwenden, um das wahrhaft Moralische wieder zu Ehren zu bringen. Dazu kann nur die reine Unschuld, die Zauberruthe des ewig Heiligen, gebraucht werden.

Wieder zu mir selbst gekommen, verließ ich die psychologische Warte Bardeloh's und ging auf einem Umwege in Rosaliens Zimmer zurück. Ich traf sie am Arbeitstisch Spielmarken zählend. Mit dem Lächeln einer tugendhaften Resignation reichte sie mir die Hand.

»Sie sind blaß,« sprach sie, »Richard hat Ihnen gewiß eine seiner Phantasien erzählt.«

»Es war mehr als bloße Phantasie, theure Freundin!«

»Werden Sie spielen?«

»Ich pflege es nicht zu thun.«

»Dann werden Sie eine Gesellschaft junger Damen unterhalten müssen. Ich will unterdeß zum Rechten sehen als Hausfrau, die auch bei den Studien ihres Mannes die Pflicht über sich hat, dem Störenden eine Seite abzugewinnen, die nicht aller Anmuth entbehrt.«

Rosalie verließ das Zimmer und trat in den Saal, dessen bisheriges Geräusch bald in eine flüsternde Stille zusammensank. Ich blieb einige Zeit allein, dann kam Felix, der schöne Knabe, hereingesprungen, dessen Name wie eine Satyre auf sein Leben klingt.

»Bist Du da, Sigismund?« rief er aus und kletterte behend an mir empor, um mit dem Zeigefinger mir sanft nach den Augen zu stechen. Ich weiß nicht, worin der Reiz dieser unschuldigen Spielerei für ihn liegen mag, er thut es aber bei Jedermann, dem er meint vertrauen zu dürfen, und je geduldiger man sich der sanften Berührung hingibt, desto fröhlicher wird das holde Kind. Als ich ihm seine Augenvisitationen endlich untersagte, war er sehr vergnügt, küßte meine Hand, und sprach: »Dich hab' ich gern, Sigismund, weil Du mich immer thun läßt, was ich muß.«

»Ei, wer treibt Dich denn zu Deinen wunderlichen Unternehmungen?«

»Das kann ich so eigentlich nicht sagen. Der Vater spricht: es sei das Gift der Civilisation, ich glaub's aber nicht, denn ich kenne dieses seltsame Gift nicht. Und der Vater mag sich's wol auch nur einbilden, denn letzthin, als ich Rattengift in der Apotheke holen mußte, fragte ich nach dem Civilisationsgifte, sie lachten mich aber nur aus und meinten, in ihrer Apotheke gäbe es keins.«

»Schuldloser Engel!« rief ich und drückte den braunlockigen Knaben an mein Herz.

»Höre, Sigismund, ich wollte, Du würdest mein Vater,« schwatzte der gemüthliche Kleine fort. »Das ist mir noch nicht passirt, daß der Vater mich so geherzt hätte wie Du. Und nach den Augen läßt er mich vollends gar nicht stechen, obgleich ich Niemand damit wehe thue. Die Mutter hat nichts dagegen, auch die hübsche Tante mag's gern leiden, wenn ich ihr ein bischen nach den Augen steche.«

»Wer ist denn Deine Tante?«

»Kennst Du meine Tante noch nicht? Wart', die soll gleich herkommen, und Du wirst nur sehen, wie hübsch sie ist. Ihr Beide solltet Euch eigentlich heirathen, weil Ihr so ganz nach einem Sinne seid. Laß mich! Gleich komme ich wieder mit Tante Auguste.«

Der allerliebste Schwätzer hüpfte mit einer Zierlichkeit hinaus, als ob er auf elastischen Sohlen ginge und kehrte auch sehr bald mit einer jungen Dame wieder zurück, deren Schönheit von dem süßen Zauber jungfräulicher Befangenheit noch erhöht ward.

»Der da ist's, Tantchen,« rief mit schalkhaftem Lächeln der Knabe, »den sollst Du zu Deinem Mann machen, so hab' ich mir's ausgedacht, und das wird gewiß ein prächtiges Brautpaar geben. O, wie freue ich mich, wenn Euch der Bischof mit dem schönen blauen Bande die Hände zusammenbinden wird!«

Ich kann Dir gestehen, Ferdinand, daß ich nicht weiß, wer von uns Beiden durch diese naive Prophezeihung mehr in Verlegenheit gesetzt wurde. Mein erstes Begegnen mit Auguste war sehr seltsam. Ich vermochte weder zu sprechen noch aufzusehen, aus reiner Albernheit präsentirte ich der jungen Dame einen Stuhl. Indeß verflog der Rausch momentaner Betäubung, und wir mußten beiderseits unsern sorgfältig verheimlichten Empfindungen Luft machen in einem herzlichen Gelächter. Felix war darüber ganz glücklich und hätte uns durch seine wiederholten Ausbrüche kindischer Freudigkeit bald auf's Neue in Verlegenheit gesetzt. Unablässig klatschte er in die Hände und rief mit kindlicher Innigkeit: »Sie lachen schon, Sie lachen schon! und Mutter sagt, was sich anlacht und neckt, das liebt sich.«

Auguste ist Rosaliens Stiefschwester und wie diese katholischer Religion. Noch ganz Mädchen besitzt sie nicht die stille Sanftmuth, die mehr ein Product weiblicher Ergebung in das Schicksal als reine Ausgeburt sittlichen Bewußtseins ist. Rosalie fesselt gleich der Madonna durch den lächelnden Schmerzenszug, der um die bleiche schöne Stirn einen Kranz weißer Rosen flicht, und mit verborgenem Stachel die schöne Dulderin verwundet; Auguste dagegen reißt hin durch die hohe Unschuld der Weiblichkeit, deren bewältigende Kraft alles Spröde glättet und ein geschworner Gegner des Gemeinen ist. Je länger ich in diese braunen Sterne blicke, die unter dem zarten Seidenflor der Wimper im milden Feuer hervorbrechen, desto fester wird in mir der Glaube, daß nur dem Weibe die Erlösung möglich werden könne im Leben. Eine unerschöpfliche Fülle von Kraft und Stärke liegt in dem keuschen Blick des Weibes, und ich möchte jedem feindlich gegenübertreten, der frech oder gemein genug ist, der Weiblichkeit die süßesten Reize zu rauben, und sie nur dann als begehrenswerth zu schildern, wenn die Psyche in ihr mit halbgebrochenem Fittig ein Emporschwingen zu erringen sucht. Das Weib ist die Erlösung, und so wenig ich mich einen Anhänger nenne alles dessen, was Dogma und Tradition im religiösen Leben als errettend aufgestellt haben, die weltpoetische Mythe von der Geburt des Erlösers könnte ich zum lebendigen Glauben erheben selbst als Muhamedaner. Nur die keusche Jungfrau konnte in der Poesie der Mythe Mutter werden des Welterlösers, nur sie kann auch in unsern Tagen, welche die Uebergesittung und der skeptische Hang des ausschweifend gewordenen Jahrhunderts zu dem blendenden Licht der Ungläubigkeit hinreißt, einzig wiederum Gebärerin werden des rettenden Erlösers! – Dürfte ich doch diese für mich zum Glaubensartikel gewordene Mythe ausbilden in meinem Sinne, unangefochten von dem Splitterrichter der Bigotterie oder der Angst des Diplomaten und Staatsmannes, die in jedem ausgehauchten Kusse des Herzens einen Dolchstoß fühlen, der die kalte Berechnung des Verstandes mordet! Mir, Ferdinand, ist die Erlösung keine abgeschlossene, sondern eine ewig fortdauernde. So lange das Weib noch webt in dem Himmelsäther ihres keuschen Daseins, zeugt sich in erhabener Sabbathstille von selbst die Welterlösung fort. Jeder Mann, den die Huld und Wonne des reinen, in junger Liebe erzitternden Weibes fesselt, baut an dem Dom dieser Erlösung. Das Weib allein in seiner Unschuld kann dem irrenden Geschlecht, dem zerrissenen Jahrhundert, wiedergeben, was es verloren hat. Darum heiligt die Liebe, die im Moment der Begeisterung die Gottheit zwingt, herabzusteigen auf die Welt! Scheidet zwischen dem Gelüst, das Abtödtung sucht, und der heiligen Gluth, die den sterbenden Gott beleben will und aus dem todähnlichen Schlummer küssen im Arm der Keuschheit! Lasset dem Weibe seine heiligen Schauer, seine ehrfurchtgebietenden Schutzengel – die Anmuth, die Grazie und die Sanftmuth, denen jede Kraft sich gern hingibt. Das Moralische des Weibes ist nur die Liebe, und die Liebe ist die Moralität aller Welt! –

Soll ich mich entschuldigen, daß die Einführung einer schönen Jungfrau mich hinriß zu einem Glaubensbekenntniß, dessen religiöse Weihe zwar noch keine Kirche sanctionirt hat? Ich überlasse es Deiner Discretion, entschuldigend oder verdammend darüber zu Gericht zu sitzen, hoffe aber, daß sich auch in Dir das menschliche Herz regen und von selbst eine Antwort geben wird auf Fragen, die in allen Sprachen auch ohne Dolmetscher verständlich sind.

Es war ein Glück für mich, daß nach dieser Introduction bald mehrere junge Damen eintraten. Einige Männer folgten, weniger vielleicht aus Neigung als um der Convenienz zu genügen. Von scherzenden Gesprächen, in die Felix seine naiven Burleskerien wie zischende Schwärmer warf, ging man zu geselligen Spielen über. Es mangelte nicht an beziehungsreichen Zufälligkeiten, die ein klopfendes Herz so gern für glückverheißende Zeichen hinnimmt. Der verhaltenen Stimme im Innern folgt der Blick, der mit sanft verschämtem Licht hinabsteigt in den feuchten Himmelsglanz des bewegten Auges. Es herrschte eine freudige Ungebundenheit in unserm Zirkel, die von ergreifender Wirkung gewesen sein würde, hätte man die ängstliche Hast dagegen gehalten, mit der im anstoßenden Saale Leidenschaft und Heuchelei die Karten zerknitterten.

Der muntere Felix scherzte von Mädchen zu Mädchen, hielt sich aber vorzugsweise an Auguste, die seinen Eigenthümlichkeiten am besten zu begegnen verstand.

»Ihr Andern,« sagte er, »seid mir zu geziert! Ihr lacht, wenn's gar nicht paßt, und bedankt Euch, wo ich lieber vor Aerger weinte. Tante Auguste aber spricht immer, wie's ihr im Auge liegt, und Sigismund hält's eben so. Darum nenn' ich sie Mann und Frau, was sie auch werden sollen, selbst wenn's der Vater zu seinem Gift der Civilisation rechnete.«

Es war uns Beiden sehr zu wünschen, daß der kleine Redner die Aufmerksamkeit Aller im hohen Grade erregte. Die Mädchen stritten sich um den braunlockigen Burschen und fragten ihn, welche von ihnen Allen er zur Frau haben wolle.

»Gar keine,« erwiederte er sehr bestimmt, »Ihr müßtet Euch denn ändern.«

Diese entscheidende Antwort brachte einen allgemeinen Aufstand unter den muthwilligen Mädchen hervor. Man haschte und jagte sich gegenseitig, um den Knaben zu fangen, und da sich Felix aus dem Staube machte, so war das Zimmer in kurzer Zeit leer. Ich saß allein neben Auguste, vertieft in ein Gespräch, dessen Inhalt sich schwerlich angeben ließe. Das Weib ist nie schöner, als wenn es sich ganz dem Liebreiz angeborner Natürlichkeit überläßt. Diese graziöse Negligenz, in der doch wieder so viel Würde und Zurückhaltung liegen, ist Augusten in hohem Grade eigen. Wenn sie spricht, theilt jedes Glied ihres Körpers die Bewegung, die aus der erregten Tiefe der Seele heraufzittert. Es ist eine Melodie der Schönheit im Körper des Weibes, die tönend herausbricht, sobald der Sonnenstrahl stillen Glückes mit goldenem Glanz Gesicht und Nacken übergießt. Auguste neckt und lockt wie der schmelzende Laut einer Nachtigall, wenn sie Erinnerungen der Kindheit in leisem Gespräch erweckt. Dann fluthet wie eine verdichtete Welle des Rheines das grünseid'ne Gewand um die schönen Formen, und die langen dunkeln Locken, die das Oval ihres Gesichts halb verstecken, ringeln sich schmeichelnd um den lebendigen Marmor des Nackens. Dann küssen unsichtbare Grazien ein lächelndes Lippenpaar in die vollen Schultern, und der Zug des Herzens verbindet der Enthaltsamkeit die Augen und läßt den Mund nach dem Geschenk der schalkhaften Göttin ein glückliches Suchen anstellen.

Bardeloh's Eintritt, der meist unerwartet und mit geisterhafter Geräuschlosigkeit erfolgt, störte unser Gespräch, von dem ich nichts mehr weiß, und ich hatte kaum Zeit Augusten einen Besuch in ihrer Wohnung zu versprechen.

»Wieder so ganz allein?« fragte mein Gastfreund. »Man wird Sie künftig an Ketten in die Welt hineinziehen müssen.«

»Das wird nicht schwer sein,« antwortete Auguste, »denn unser Freund ist von ungemeiner Elasticität.«

»Da haben Sie mehr entdeckt in wenig Stunden als ich seit mehreren Tagen.«

»Sie wissen ja, daß Entdeckungen meine Force sind,« fiel Auguste lächelnd ein, »und sind Sie es zufrieden, so nehme ich die Verpflichtung über mich, unsern Freund in jede Gesellschaft zu fuhren, sei sie nun in der großen oder kleinen Welt. Ich glaube, Sigismund wird diesen Antrag nicht unbedingt von sich weisen.«

Bardeloh sah mich mit seinem durchbohrenden Blicke an, der glühend und kalt zugleich ist. Ich führte Auguste's Hand an meine Lippen. »Der Antrag ist gut,« sagte Bardeloh, »nur seid keine Närrchen!«

Er reichte seiner Gattin, die eben eintrat, den Arm, ich fühlte Auguste's Herz an meiner Seite klopfen.

»Ersticken Sie die Gemüthlichkeit, diese Kleinbürgertugend aller Deutschen,« sprach Bardeloh zu mir, »und sein Sie einmal ein kalter Verstandesmensch. Wer seine Zeit und Zeitgenossen will kennen lernen, muß das Thermometer seines Herzens in der Gewalt haben.«

Wir traten in den Saal, die Gasflammen warfen blendende Helle auf die verschiedenen Gruppen der Gesellschaft.

»Spiel vereinigt,« flüsterte mir Bardeloh zu, »Spiel ist ein Versöhner alles Zwiespalts, weil es sicher neuen zu erwecken versteht. Als Gott die Versöhnung stiftete, erfand der Teufel das Spiel. – Mir rast allemal der Schauer wehmuthsüßer Verzückung durch Mark und Bein, wenn ich des Würfelspiels der Kriegsknechte gedenke unter dem Kreuze, an dessen Holz der blutende Versöhner Barmherzigkeit und Vergebung mit brechendem zum Himmel gerichteten Auge predigte. – Daß die Weltgeschichte so witzig, so grauenhaft witzig ist! Hier der sterbende Gott, dort der lachende Teufel, dessen Freude aus jedem Würfelauge triumphirt! – Sigismund, geben Sie Acht, ob das Spiel am Kreuzesstamme mehr Anhänger gefunden hat, als die weinende Mutter und das Stammeln um Vergebung!«

Wir gingen unbemerkt an den Gruppen der Spieler vorüber. Die katholische Geistlichkeit hatte sich zusammengesetzt. Sie war sehr vergnügt, das unsichtbare Haupt ihrer Kirche schien sie zu einigen. Diese Menschen spielten mit der Ruhe todtgeschlagener Leidenschaftlichkeit.

»Ich beneide diese Herren, weil ich ein Bedauern für sie empfinde,« sagte Bardeloh. »Wo sich dies regen kann, hat das Glück noch immer einen Stein im Bret.«

Jetzt standen wir in der Nähe des Tisches, an dem jener kleine, blasse protestantische Prediger Platz genommen hatte. Neben ihm saß die personificirte Heiligkeit in Gestalt eines demüthig frivolen Frömmlers. Gegenüber dem Geistlichen der Jude Mardochai. Auguste's voller Arm zitterte in dem meinigen. Ich drückte ihre Hand und suchte fragend ihr dunkles Auge.

»Diese drei Menschen sind entsetzlich,« rief sie mit unverhehltem Abscheu. »Wenn es deren viele in der Welt gäbe, würde gewiß in kurzer Zeit keine Tugend mehr zu finden sein.«

Bardeloh stieß mich an. Die drei Spieler waren so tief in ihre sogenannte Zerstreuung versunken, daß die Außenwelt für sie nicht vorhanden war.

»Diese Dreimänner lieb' ich,« sagte mit unverkennbarem Vergnügen Bardeloh. »Sie haben Charakter und repräsentiren die drei furchtbarsten Parteien der jetzigen Weltbewegung. Hier der Pietist mit seinen aphoristischen Bestrebungen, den Himmel zum Wohnort geistiger Invaliden zu machen, – er saugt seine religiösen Bedürfnisse aus dem Unterleibe, und redet nicht mit Engels- sondern mit ganz andern Zungen. Daneben der Unglaube, das Kind einer wilden Ehe, die das Raffinement der Civilisation eingegangen ist mit der Dialektik des ultrarationalen Protestantismus. Gegenüber endlich der Radicalismus religiösen Hasses, ein Produkt fanatischen Bekehrungseifers. Dieser Haß ist der Vater jener unerbittlichen Rache, die mit Schlangenklugheit und der Scheu einer schuldlosen Taube mittelst Küssen und Händedrücken am Christenthume nagt. Mardochai, ein Sohn des Orients in seinen Leidenschaften wie in seinen glühenden Phantasien, ist er doch immer ein Kind der Zeit, worin er lebt. Er wuchert heut' mit dem Aberglauben, nach dem die Bigotterie der orthodoxen Lehre Verlangen trägt, und verkauft das Bild des Gekreuzigten, an dessen Stamm seine Nationalität unter der Verwünschung des neuen Gottes in sich selbst zusammenbrach; und schachert morgen mit den Zetteln, worauf mitleidige Christen für die Emancipation des gottverfluchten Stammes stimmten, während er übermorgen die Ideen in seinen Bettelsack schnürt und damit hausiren geht vor den Thüren seiner Unterdrücker. Dies Alles thut er aus Consequenz, aus Haß, aus unergründlich blutigem Haß. Alles bringt ihm Gold – Gold, den Christus aller Welt! Wenn der Ostermorgen mit harmonischem Glockengetön den Auferstandenen verkündigt und die noch Gläubigen zur Anbetung ruft, schleicht der orientalische Rachegeist an die Pforten der Münsterkirchen und erhandelt von dem blöden Kinde des Glaubens für seine erschlaffende Demuth den Klang des Goldes, das ihm neue Rache erkauft, und auf dem gekrümmten Finger mit schmelzendem Kindeslaut das Geläut der Glocken travestirt – Diese Dreimänner, junger Freund, sind die Stützen unserer Epoche, weil sie die Schöpfung der Zukunft vorbereiten helfen. Wie gesagt, ich liebe sie. –«

Bardeloh zog die Uhr, Mitternacht war vorüber. Ein Zeichen des Aufbruches ließ die Gesellschaft schnell das Vergnügen einer stillen Raserei vergessen. Man empfahl sich. Bardeloh war wieder der liebenswürdige Wirth, der mit aristokratischer Feinheit sich in die weltliche Etiquette hineinzuleben verstand. – Der Jude Mardochai entfernte sich zuletzt, ich folgte dem Halborientalen, um Auguste nach Hause zu geleiten. Beim Weggange reichte mir Bardeloh den Hausschlüssel.

»Dies ist ein Instrument, das Sie von heute an brauchen werden,« sagte der wunderliche Mensch. »Köln hüllt sich in hellen Mondnächten in eine mährchenhafte Pracht. Ich hoffe, Sie werden nicht versäumen, in diesem Genusse zu schwelgen. Gute Nacht! –«

Da stand ich, den Schlüssel in der Hand, ehe ich noch recht begriff, wie ich dazu gekommen war. Auguste stützte sich schüchtern auf meinen Arm. Vor uns gaukelte, vom Monde verlängert, der riesenhafte Schatten des Juden, der dem Dome zuwanderte. Mir schien es, als breche ein höhnisches Lachen aus der tiefen Nachtstille und klimme verhallend an den Säulenschäften des gothischen Riesenbaues hinan. –

Was konnte wol Bardeloh für Absichten haben, mir einen so gefährlichen Freundschaftsdienst zu erweisen? Halbträumend, halb in süßem Entzücken schwelgend, geleitete ich meine schöne Begleiterin nach Hause. Ihre Wohnung liegt dicht am Rhein, mit der Aussicht auf den breiten, belebten Strom, das Städtchen Deutz und zur Seite auf die duftige Kette des Siebengebirges mit dem Drachenfels.

Als ich Abschied von meiner Begleiterin genommen, hörte ich vom Hafen her in zitternden Klängen eine Violine, die eine lustige Tanzmusik mit einer hinreißenden Virtuosität in die feierliche Nacht hineinjauchzte. Ich horchte lange und ängstlich. Das Licht erlosch im Fenster, an dem ich zuvor noch die Umrisse von Auguste's Gestalt vorüberschweben sah. Es ward still. Leise rauschte der Strom durch die Schiffsbrücke, ungewisse Töne schwirrten wie Gedanken, die leise Freiheitswünsche stammeln, vom andern Ufer herüber. Das Mondlicht schlief gaukelnd auf den Blüthen der Wellen, die lustig schaffend die Fluth aus der Tiefe hob. Ein feierlicher Friede zog durch die alt-katholische Stadt, nur in mir war es nicht still. Ich ging noch lange in den engen, winklichen Straßen umher, erst als der Tag im Osten das durchsichtige Augenlid zitternd aufzuschlagen suchte, trat ich den Fußweg an. In Bardeloh's Zimmer flatterte noch der bläuliche Glanz seiner melancholischen Lampe. Obwol ich eine unruhige Nacht verlebte, war ich doch sehr, sehr glücklich. –


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