Alfred Wolfenstein
Der Lebendige
Alfred Wolfenstein

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Die Wiederkunft

Er trat in seine Wohnung und in die Tür ihres Zimmers, und Hohn über die Rückkehr lag nicht in seinem Lächeln – – Die Frau schrie auf und sank in die Knie: O du –! Und zwischen Tränen und Umschlingung:

Nichts, diese Ewigkeit lang! – aber nun du selbst –

Doch schon nach kurzen Augenblicken sah sie unsicher zu ihm auf.

Die gleiche halbe Stille wie vor einem Jahre lag in der Luft, von den unbefangenen Klingeln, Türen, Geschirrklängen durchbrochen, und in ihrem sanften, vom Zweifel durchzogenen Gesicht.

Daß ich um die Erde reiste, sagte er und ging bei den Möbeln und Bildern herum, war nichts. Ich kannte sie – Ja, ich bin wie ich ging, und also müßte ich wieder fort, – aber es wäre umsonst. Ich bleibe, wo ich auch bin. Sie umklammerte ihn mit ratlosem Übermaß und sah wieder zu Boden.

Es wurde Nacht, während sie saßen und das Haus leer brauste.

Ich blieb, wohin ich auch fuhr, sagte er und die Stimme hallte von den unsichtbaren Wänden. Unbegreiflich, daß ich erst jetzt wiederkomme – ich wußte doch, als die Räder sich hier bewegten, die Reise schon voraus. Warum fuhr ich nach der ersten Stunde noch immer? Über dem kreisenden Zuge saß ich stumm zwischen den gleichen aufgereihten Gesichtern, während auch draußen die Dörfer, Felder sich eng wiederholten und rasch genug farblos an Horizonte anstießen. Wo war die Weite?

Aber ich besiegte die Traurigkeit alles Sehens, denn es gelang mir ja, unaufhörlich in berühmten Städten auszusteigen, und wieder einzusteigen, und ich stieg auch in 18 unscheinbaren, ärmlichen, dunklen und in Wäldern und irgendwo aus, als erwartete ich hier Abenteuer, das Schwebende, nie Gesehene. Aber es war nichts da als immer wieder Züge und Schiffe, um meine Seele mit stampfenden Füßen weiterzubefördern. Und die überraschten Augen rings um mich, die offenen Münder, die Menschen, die über ihre Welt staunend aufsprangen, jeder auf seiner eigenen Erdkugel von Entzücken –: die Bahn aus dem Tunnel hinaus in eine andere Jahreszeit, Gebirge aus dem Meer, Pyramiden in den Himmel –:

Ich sah diese Landschaften, Bauten, Bilder an –: mir war, als nickte ich kurz, jedesmal wieder mit einem und demselben schrecklichen Nicken. Diese Bewegung des Kopfes, oder was für eine unsichtbare Bewegung es sonst war, fühlte ich schaukelnd in meinem Nacken wachsen, wie einen immer höher geschüttelten Baum, gegen seinen Willen mit Früchten überhäuft, bis ich die Last des Bekannten nicht mehr ertrug. Die Länder, die Werke, die Farben, Gebärden, Erfindungen, alle traten sogleich so dicht vor mich hin – als kämen sie in Wahrheit schon aus mir hervor, sie waren schattenhaft nah, wie bloße Kopien längst von mir selbst erschaffener Dinge. Ich blickte in die Fabeln der Technik jenseits des Meeres –: und sah gespenstisch nur Gelenke, Antriebe, Linien sich nachziehen, die in mir schon konstruiert waren. Die Tänze der Verzückten, die Gott Nachrasenden, Nacktheit und Filigran des Südens wie die Keulen des Nordens: es waren die Möglichkeiten der Erde, die ich kennen lernte, aber ich blieb unverändert.

Nur so, als ob jemand aufgerufen würde, erhebt es sich in mir, meldet sich gleichmütig und setzt sich wieder hin.

19 Er schwieg – – und er hätte am liebsten sofort ihre Stimme sprechen gehört – – kindliche Worte, fernnah wie Sterne, ohne Tag und Nacht des absichtsvollen Lebens, ohne Geschäftigkeit und ohne Müdigkeit, schwebende Worte einer Liebesmusik, von denen auch die Erde noch einige haben mußte, wenn wirklich für Jeden Liebe in ihr war – –

Aber es schien, als rücke fast der Morgen nahe, so lange dauerte ihm die Stille. Das Wehen der inhaltslosen, immer schnelleren Zeit sog den Atem vom Munde. Endlich flüsterte sie:

Ich kenne die Welt noch kaum – aber wäre ich nicht vielleicht vor ihren größten Dingen ebenso stumm und unfähig, sie zu erfassen? Es käme vielleicht über mich wie Vergewaltigung, ich wäre ohnmächtig vor seinem Übermaß, und so bliebe es auch für mich fruchtlos wie für dich.

Wahrheit – Wahrheit –! sagte er, das einzige, was ich noch habe! Verschleiere nicht, daß dieses Schweigen für dich das Gegenteil, Erhebung bedeuten würde, selbst wenn du nichts begriffest. Ja, es macht gerade deine Freude aus, daß du es nicht begreifst, dies dichte Dunkel, das noch überall vor dir liegt, als seiest du erst geboren. Du spürst, wie ruhig du vor ihm stehst, du vertraust dich der Zeit an, der Nacht, die unendlich ist, doch nicht endlos – denn langsam wächst du, ohne dich selbst zu drehn, in einen Morgen hinein, der wieder hinabsinkt, damit dich die Erde vor immer frische Sonnen stellen kann. Ich aber dachte wohl geradeswegs bis zu höchstem Licht hinanzufliegen – – O, trösten kannst du mich nicht, denn alle deine Freuden vermag ich mir ja vorzustellen, aber es sind nicht die meinen.

20 Sie richtete sich zwischen seinen Knien auf, sein Gesicht stand mit feinstem leidendem Licht, wie ein Stern am Tage, vor ihr. Mit unzufrieden gewölbtem Munde sagte sie:

Ich hoffte ja in Wirklichkeit auf etwas anderes – Was sind denn alle Dinge, die man sieht – Nicht auf deine Reise hoffte ich, sondern auf die Rückkehr. Jetzt aber scheint es, auch unser Wiedersehen ist schon wieder tot und es wird nichts weiter daraus entspringen. Auch unsere Liebe berührt dich nicht neu. Du machst die Gefühle zunichte wie die Dinge.

Wen glaubst du zu lieben? sagte er. Du kennst mich nicht. Vielleicht gibt es Menschen, die sich an allen Oberflächen kalt anfühlen, nur weil sie allzusehr nach der anderen Seite der Seele zu glühen, nicht selbstsüchtig, sondern sehnsüchtig, nach dem unsichtbaren Wesen in den Körpern. Es sind vielleicht die reichsten, die ihr für arm halten würdet, – diese Wirklichkeit der Erde quält und verwirrt sie, weil sie nur ein allzukleiner Teil der Welt ist. Ihr Leben lang könnten sie abgeschlossen sein, in einem gütigen Gefängnis –: ihrem Geiste würde sich die ganze Welt darin drehn. Aber daß ich ahnungslos hinaustrat, begierig nach dem ganzen Leben, jung, erwartungsvoll in die Sternenwelt hinaustrat – – und mit Schaudern immer neuen Sand einer abgezirkelten Erde unter mir knirschen fühlte und bald überallher, von allen Rändern schnell wachsend die Gespenster des Bekannten auf mich zukommen sah –! Dies unwirkliche Leben, das sich aus Spiegeln vertausendfacht mir aufdrängte, das hob mich schnell unfaßbar zwischen seiner Doppelgängerschaft auf – Mein Denken und Tun, Liebe und Freude nahmen keine Zeit und Entwickelung mehr an, ich sah mit dem Beginn zugleich das 21 Ende. Fuß und Gipfel des Willens und des Geschehens verflossen in ziellose Flächen – Denn die Grenze dieses Sterns war allzu rasch abzuschreiten.

– Sie stand fern am grauen Fenster, nun vor den halben Schimmern des Ofens, vor gläsernen Bildern und weißen Türen glitt sie aus dem Dunkel, unruhig versank und tauchte sie im Zimmer auf –:

Jetzt sehe ich, daß nicht erst deine Rückkehr – – –

Für immer weiß ich, daß ich dir niemals nahe war. Vorbei auch die größte Hoffnung – – Nein, ein armes Kind, das traurig wäre wie du – – O ich verstehe, daß alles überflüssig scheint, nur nicht Menschen! viele, alle, dicht, und unmittelbar durch sie das Leben fühlen! Und einen und denselben, als sei er alle –: es gibt keine ewigere Spannung. Und ein Kind, durch mich zusammen mit mir auf der Welt, auch im Leben so nah wie in meinem Leibe. Nie abgestumpfte, aus gleichen Wurzeln verschwenderisch wachsende Dauer! Ja, dies Fühlen, daß mein Kind irgendwo unsichtbar in der Welt ist, macht mich auch die Dinge lieben, weil alles Sichtbare vielleicht dazu da ist, es einmal zu erschaffen –

Sie schrie plötzlich auf und floh hinter den Tisch und weiter durch das Zimmer, den Körper an die Wand gedrückt – aber da hörte sie ihn drüben sprechen – er hatte sich nicht bewegt:

Du fürchtest Gewalt? – so glaubst du also doch Leidenschaft in mir, nur daß du nicht ahnst, wie fern sie von Gewalt ist. Was ahnst du auch davon, was ich in Wahrheit von dir und dieser Rückkehr erhoffte – Aber ich weiß auch ohne deine Worte, wie sehr du dich gegen mich wehrst, die Gattung in dir gegen das Unsichtbare. 22 Und diese Furcht vor einer unbekannten Leidenschaft ist dennoch wahrer als wenn du mich kalt glaubst.

Angehäuft bin ich mit einem fremden Reichtum, der heimlich in das Haus meiner Seele gebracht ward und mir auf Erden zu meiner Qual nichts nützen kann – Ich besitze mit ihm die Erde so restlos –: mir ist, als hätte ich schon ein Mal auf ihr gelebt. Erinnerung staut mich mit allen Bildern an, und wie ein Automat des Schöpfers kann ich dies wohlbekannte Dasein nur noch abschnurren.

Doch innen, als sei ich bei meiner Geburt für einen anderen Stern bestimmt gewesen, wo ein neues Dasein mich erwartete, – treibt ungestillter, nie verbrauchter Drang mein wirkliches Wesen – hinaus – –

– Seine großen Schritte im Raume auf und ab hielten plötzlich an, als er merkte, wie er niemand traf. Sie war hinausgegangen.

Er stand an den schwarzen Scheiben; es war schön, daß noch immer keine Dämmerung heraufkam, es war volle Nacht und Stille, als führte an dem Hause keine Straße vorbei.

Endlich ging er in sein Zimmer und legte sich auf das Bett, ohne sich umzusehn. Nur auf den Möbeln schimmerte ein Rest von Licht aus unmerklichen Quellen. Es knackte schwer.

Ein unruhiger, teuflisch schwarzer Zorn wartete in ihm – Aber darüber schwebten in ihm engelhaft helle Flügel – Er schloß die Augen.

Doch er ertrug es nicht lange, Schlaf war nicht der Sinn dieser Nacht. Scham, auf diesem Bett zu liegen, Wahrheit, die mit unaufhaltsamem Firmament sich über den Decken wölbte, drängte ihn empor. Er ging durch die 23 Türen, in den Zimmern schienen Teppiche dumpf bis an die Decken zu liegen, er trat an ein Fenster, das vom Hof unter dem funkelnden Himmel eng ummauert war, und kam in das Zimmer, wo die Frau tief mit dem Pochen der Uhr atmete. Er ging noch ein Mal fort – Er sah, an ihr Bett zurückgekehrt, das schlafende Gesicht, das auch im Schatten des verhangenen Raumes rötlich leuchtete.

Du träumst – – doch wenn du stürbest – grauenhaft für dich – – aber für mich – welche lang entbehrte Spannung auf den Tod – deinen Tod – – Dein Gesicht schwiege endlich so schön wie es ist – ungestört dann von Irrtum, Hochmut und Abweisung. Dann – voll Zeichen von jener Welt, wo noch Unendliches wartet – wirst du mich verstehen, weiß wird dein Mund für mich flammen, blind, gewölbt werden deine Lider mich aufnehmen – nicht mehr lichtet dein Lächeln über mich ein falsches Dunkel. Jetzt erst trete ich zu dir herein, dich nach endloser Zeit wiederzutreffen – Wie wirst du aussehen – zum ersten Male mir nah –?

Er hob die Hand. Er näherte den Revolver langsam ihrer Schläfe. Ihr Leib bog sich unter der dünnen Decke. Aber woher stieg jetzt in ihm diese neue, mächtigere Spannung? von der Kugel abschwingend, von der steinernen Erdkugel – wohin? – Hier lag die gewölbte Gestalt, in Träumen von ihrer schönen Erde, in Träumen von ihrem Kind, – von Millionen Kindeskindern, Wald der Zukunft des Lebens, mit der Erde für immer fruchtbar verbunden –

Dort aber stieg vom Boden durch den Äther empor wache Nacht und winkte einem Manne – Tod stand dort und schnellte ihn mit letzter, mit erster beglückender Spannung 24 hinauf durch die Schwärze in immer heller und leichter funkelnde Schichten, Hauche, Sterne – Und höher – und höher abwärts – ins niemals Gesehene verdichtet sich nun eine neue und erfüllte Sphäre, sie erfüllt das Bewußtsein mit neuem Stoff, mit dem es nun lebendig, fruchtbar, heilig werden, begehren und schaffen kann –: Unendlich leuchtend nahte sich, ihn anders zu empfangen, ein Getümmel neuer Gestirne –

Und herrlich hinauf gestreckt – auf Erden noch – endlich voll seligen Augenblicks – mit federndem Fuß von Erwartung weit durchwinkt – Die Hand hatte sich herumgedreht und schoß in seine Stirn.

 


 


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