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Einmal, als mit seinen Lockern,
Seinem Netz und seiner Beute
Hunold heim vom Berge kehrte,
Sah er übern Tünderanger
Auf sich zu geraden Weges
Einsam einen Wandrer kommen.
Dieser hatte mit dem Hirten,
Der nun heimwärts trieb die Heerde,
Erst gesprochen und schritt langsam
Jetzt dem Vogeler entgegen,
Dessen Falkenauge prüfend
Bald des Raths gewitzten Schreiber
In dem Nahenden erkannte.
Ethelerus rief dem Spielmann
Einen Gruß zu, den ihm dieser
Auf das Höflichste zurückgab,
Und dann schritten sie ein Weilchen
Munter plaudernd mit einander.
Der Herr Secretarius lobte
Hunold's Fang, frug dies und jenes
Von der Kunst des Vogelstellens,
Doch ihm brannte augenscheinlich
Etwas Andres auf der Seele,
Worauf Hunold lauernd paßte,
Und nach manchem Umweg rückte
Auch der Schreiber sachte näher
Und begann, er habe so viel
Wunderbares über Hunold,
Ueber seine schönen Lieder,
Seine Klugheit und Erfahrung
Von den Leuten schon vernommen,
Daß es dringend ihn verlange,
Aus des Spielmanns eignem Munde
Ueber sein vergangnes Leben
Noch ein Mehreres zu hören.
»Heute Abend nach der Weinglock,
Sprach er, kommt zum Herrenkeller
Unterm Rathhaus, wo ich freundlich
Euch zu einem Trunke lade;
Dort ein kleines Hinterstübchen
Weiß ich, wo uns Niemand höret,
Wenn wir nach dem Letztenläuten
Noch ein Kännlein Malvasier
Aus dem Mutterfasse zapfen.
Einen alten Freund noch bring' ich,
Einen Treuen mit zur Stelle,
Der Kanonikus im Stifte
Und kein Spielverderber, immer
Eine wahre Herzensfreude
Hat an lustigen Geschichten,
Altem Wein und neuen Liedern.
He? Ihr kommt doch, Singuf? bitt' Euch!«
Hunold blieb nichts Andres übrig,
Als in die gebotne Rechte,
Für die zugedachte Ehre
Dankbar, willig einzuschlagen,
Und so trennten sich die Beiden.
Nach den letzten Glockenschlägen
Ließ vorsichtig in der Herberg
Hunold eine kurze Spanne
Zeit verstreichen noch, bevor er
Nach dem Herrenkeller aufbrach.
An der Thür dort harrte seiner
Schon ein Stubenknecht und führte
Ihn durch tiefe Kellergänge
In's gewölbte, kleine Stübchen,
Das so traulich und behaglich
Wie ein Brautgemach im Hause
Und verschwiegen wie das Grab war;
Seine dicken Wände hatten
Keine Ohren, keine Augen,
Ohne Fenster, wie geschaffen
War's zu einer frohen Mette
Mit dem Kruge, mit dem Liebchen
Oder auch wohl zur Verschwörung.
Hunold fand den Rathstuhlschreiber
Ganz vergnügt mit Isfried Rhynperg,
Dem Kanonikus, schon sitzen
An dem derben Kreuzbeintische,
Der mit schönem Trinkgeschirre
Aus gebranntem Thon besetzt war.
Hohe Kannen, mächt'ge Humpen
Und der dickgebauchte Mischkrug,
Um den Wein sich zu verdünnen,
Standen da, und durch das Zimmer
Wallte Duft vom Traubensafte.
Ueberm Tische von der Decke
Hing ein ellenlanges Messer,
An der Spitz' ein ehern Glöcklein
Und ein Riemen an dem Stiele;
Daran ward zum Scherz gezogen,
Daß das Glöcklein mahnend tönte,
Wenn beim Wein der Gäste einer
Mit zu großem Messer aufschnitt
Und den Andern Märchen aufband.
Ethelerus' hagrer Körper
Mit den spitzen, scharfen Zügen
Und den röthlich blonden Haaren,
Dünn genug schon auf dem Scheitel,
Sah als wär's der halbe Schatten
Des Kanonikus, der rundlich,
Gut genährt vom Klosterfutter,
An dem Tische präsidirte.
Aber auf dem mächt'gen Körper
Saß auch ein gewalt'ger Schädel;
Ueber einer starken Nase
Wölbte sich gefurcht und knochig
Eine hohe Denkerstirne;
Aus dem vollen, rothen Antlitz
Sahn zwei große, helle Augen,
Und ein Doppelkinn hing stattlich
An der dicken Unterlippe,
Die gebogen und geschweift war,
Als ob durch den häuf'gen Ansatz
Nur des Bechers diese Ründung
Sich gebildet und geschliffen.
Froher Willkomm ward dem Spielmann,
Und nachdem gefüllt die Humpen,
Stieß der Schreiber an mit Hunold:
»Hoch! die Ratten sollen leben!«
»Sollen leben? – sollen sterben,
Mein' ich!« war des Spielmanns Antwort.
»Fangt mir nur nicht an mit Sterben!«
Warf mit einem kräft'gen Baße
Der Kanonikus dazwischen.
»Richtig! also dann die Weiber,
Kommt! die Weiber sollen leben!
Seid Ihr damit einverstanden?«
Rief des Rathes lust'ger Schreiber;
»Meinetwegen denn die Weiber!
Machen oft uns mehr zu schaffen,
Als die Ratten,« lachte Hunold.
»Ja! doch soll es eins von beiden
Schon mal sein, so will ich lieber
Doch das jüngste Weibchen streicheln,
Als das Fell der ältsten Ratte,
Beißen können sie ja beide,«
Sprach der wackre Herr vom Stifte.
Hunold schwieg und blickte trinkend
In des Humpens tiefen Abgrund.
»Nun, wie schmeckt Euch der? frug Isfried,
Hm?! nicht wahr? ja seht, der liegt Euch
Manches Jährchen schon im Keller;
Eins erstaunt mich von dem Weine:
Daß er von den schlechten Reden,
Dem Gewäsche und Gezänke,
Das grad' über seinem Kopfe
Hier im Haus vom Rath verübt wird,
Nicht längst sauer schon geworden.«
»Sagt doch, Singuf, wie gefällt Euch
Unsres Raths wohledle Weisheit?«
Forschte nebenher der Schreiber;
»Ja, mit Gunst! versetzte Hunold,
Als ich während Eurer Sitzung
Auf dem Gange draußen harrte,
Hört' ich drinnen laute Stimmen,
Als ob da ein heiß Scharmützel
Mannhaft ausgefochten würde,
Und ich dachte: mit der Eintracht
Scheint es nicht weit her im Rathe.«
»Kann mir's denken, sprach der Stiftsherr,
Wart wohl wieder an der Ecke,
Wo der Knüppel liegt beim Hunde?«
»Freilich, lachte Ethelerus,
Kennst ja unsre tapfren Hähne,
Wie sie mit geschwollnen Kämmen
Auf einander kräh'n und hacken,
Und wenn nicht der Rechenmeister,
Unser Tausendgüldenkraut,
Jeden Pfennig dreimal umdreht',
Eh' er ihn dahin läßt springen,
Ging's nach flotter aus dem Vollen.«
»Bist ein Knicker worden, Jakob,
Hast dein Schäfchen längst im Trocknen,
Und auf deine alten Tage
Fängst du auch noch an zu knausern;
Laßt eu'r Geld doch lustig rollen,
Wozu habt ihr's denn im Kasten?«
»Kasten! hat sich was im Kasten!
Der ist leer wie eure Kirche,
Wenn der Probst besteigt die Kanzel,
Was ja, Gott sei Dank! so selten
Kommt im lieben, langen Jahre,
Als wie unser Bürgermeister
Gruwelholt die Feder ansetzt.«
»Hast du immer noch die Pike
Auf den Alten? brummt er? oder
Ist er freundlicher geworden?«
»Manchmal ist er gnädig, manchmal
Spielt er den gestrengen Meister
Und läßt dann nicht mit sich spaßen;
Mich mag er nun gar nicht leiden,
Weiß es wohl, doch Eines lob' ich
An dem Alten: mit den Zünften
Zu liebäugeln wie die Andern
Das verschmäht er fest und standhaft;
Denn dies freche Schurzfellpack
Ist' ne wetterwend'sche Sorte,
Jeder Schreihals in der Stube,
Wenn sie trinken, dünkt sich weise,
Denkt, er muß regieren helfen;
Bilden sich was ein aufs Handwerk
Und sind doch nur eitel Pfuscher,
Die sich zanken und beneiden
Wie die Hunde um den Knochen
Und nur einig sind im Schimpfen
Auf den Rath und die Geschlechter.«
»Ja der Rath und die Geschlechter,
Höhnte der Kanonikus,
Sind nur selber selten einig,
Sind halb Fulda'sch und halb Mindisch,
Grad' wie eure Stadt getheilt ist,
Und in ihren Köpfen nistet
Eine Hoffart und ein Hochmuth,
Als wenn Jeder nur den Andern
Sucht' im Stolz zu übertrumpfen.«
»Hast wohl Recht, sprach Ethelerus,
Wo Gelegenheit ich finde,
Tränk' ich's ihnen ein und schlage
Ihnen gar zu gern ein Schnippchen;
Singuf, eh' Ihr alle Ratten
Sammt den Mäusen eingefangen,
Könnt Ihr sie nicht erst noch alle
Ein paar Tage oder Nächte
Bei den Rathsherrn einquartieren?
Oder wenn Ihr in die Falle
Lockt die vielen Hunderttausend,
Ist es da nicht einzurichten,
Daß sie alle miteinander
Ihren Weg durch Bürgermeisters
Haus und Hof und Bette nehmen?«
»Welch' ein Christenwunsch! rief Isfried,
Läßt den Aerger deutlich merken,
Daß Regina dich verschmähte;
Hilft nun doch nichts mehr, Regina
Freit den Heribert des Schultheiß.«
»Still doch, alte Kesselpauke!
Bat ich dich, das auszutrommeln?«
Grollt' erröthend Ethelerus
Und verbarg im Krug das Antlitz,
»Höret, Singuf, nicht auf Jenen,
Ich ersuch' Euch, hier beim Trunke,
Wie Ihr neulich mir versprochen,
Uns von Euren Wanderfahrten
Jetzt ein wenig zu erzählen,
Und wie Ihr hierher gekommen;
In der Sitzung oben spracht Ihr,
Daß Euch unbekannt die Eltern
Und in einer Alten Obhut
Ihr dann aufgewachsen wäret;
Laßt nun weiter von Euch hören.«
Hunold füllte aus dem Mischkrug
Sich den Humpen, trank und sprach dann:
»Wo ich hergekommen, fragt Ihr?
Weiß ich's selbst doch kaum zu sagen;
Jene Alte, die mich aufzog,
Meine Großmutter vermuthlich,
Nahm mich Jungen manche Jahre
Auf ein unstät, rastlos Wandern.
Bettelnd zogen wir im Reiche
Hin und her stets, kleine Lieder
Mußt' ich zur Quinterne singen;
Kräuter suchte sie und Wurzeln,
Sagte wahr mit dunklen Sprüchen,
Heilte auch an Vieh und Menschen
Maledij und sonst Gebresten.
Dafür fanden wir ein Obdach
Wohl im Stalle bei dem Landvolk
Und manch schmalen, schlechten Bissen,
Doch zumeist war unser Lager
Hinterm Dorfzaun, und beim Hunger
Waren wir bekannte Gäste.
Vieles schnappt' ich ihr vom Munde,
Freie Künste, Vogelsprache
Und sonst kleine Heimlichkeiten.
Einstmals fuhren wir im Wasgau,
Und ein Fähnlein Knechte schwenkte
Just um eine Waldesecke
Auf uns zu, voran ein Ritter:
»Seht den Igel! seht die Eule!«
Rief der Eine, und sie lachten,
Doch die Alte warf den Kecken
Einen wilden Fluch entgegen.
»Spießt die Eule, und den Jungen
Nehmt mit auf die Burg! so hieß es,
Brauchen Einen für die Rüden!«
Einer von den Knechten rannte
Mit dem Spieß die Alte nieder,
Auf den Gaul hob mich ein andrer,
Und recht gutgemeinte Püffe
Sollten mein Geschrei betäuben.
Also kam ich auf die Dachsburg,
Mußte da die Bracken füttern,
Die bald meine besten Freunde,
Mußte mit hinaus zur Wildbahn,
Die verschoßnen Bolzen suchen,
Mich des Nachts auf Kundschaft legen
Und mit allerlei Hantirung
Knecht und Magd zu Diensten sein.
Da gab's Fehde vor der Dachsburg;
Angesteckt und ausgeräuchert
Ward das Nest nach heißem Sturme,
Unser Ritter ward gefangen
Mit den Frauen und den Knechten,
Die noch lebten, fortgeführt;
Ich erhielt mit einem Fußtritt
Meinen Laufpaß in das Weite.
Stets der Nase nach durch Franken
Lief ich fürbaß bis nach Bamberg,
Ward dort Troßbub bei dem Bischof.
Unterm Krummstab lebt sich's lustig;
War ein strammer Bursch geworden,
Wurde prächtig ausstaffiret
Wie ein Edelknecht und Page,
Durfte auf die Baize reiten
Mit der schönen Provençalin,
Die des Bischofs traute Freundin;
Oft mit ihr allein auch ritt ich,
Mußte ihr dann Lieder singen,
Mußt' ihr in den Sattel helfen
Und sie aus den Bügeln heben.
Als wir einst von langem Ritte
Und von vielem Liedersingen
Heimgekehrt zum stillen Schloßhof
Und ich sie vom Roß herabhob,
Schlang sie rasch um mich die Arme,
Küßte heiß mich auf den Mund.
Doch der Bischof sah's vom Fenster,
Andern Tags war ich entlassen.«
Ethelerus griff zum Riemen,
Der vom Messerstiel herabhing,
Und das Glöcklein tönte leise;
»Auf das Wohl der Provenzalin!
Sprach er lachend, dieses Eine
Hatt' ich nur hier einzuschalten,
Kommt, stoßt an! und dann nur weiter!«
Hunold trank und fuhr dann fort:
»Keinem dritten Herrn noch dienst du,
Sagt' ich mir in trotz'gem Muthe,
Ward mein eigner Herr und Spielmann.
Drei Jahr hielt ich Wort und schweifte
Frank und frei durch alle Lande;
Bald am Meer, bald vor den Alpen,
Bald am Rhein, bald an der Donau
Sang ich meine lust'gen Lieder,
Hatte immer neue Kleider,
Freien Trunk und frohe Minne.
Eines durst'gen Tages klopfte
Ich an die verschloßne Pforte
Kloster Michelstein's im Harzwald,
Und da man nicht hurtig aufthat,
Fing ich draußen an zu singen.
Das verschaffte mir den Einlaß,
Herberg und die beste Pflege,
Und sieh da! ich blieb im Kloster,
Wurde Cantor, sang und spielte
Bald zur Litanei der Mette,
Bald zum Abendtrunk der Brüder.
Sang ich meine Liebeslieder,
Zwinkerten sich die Geschornen
Mit den Augen zu und stießen
Leis' sich mit den Ellenbogen,
Und der Abt gebot nicht Einhalt,
Wenn auch Mitternacht vorüber
Und der Bruder Kellermeister
Einen Bessern dann noch anstach.
Freiheit hatt' ich, wie ich wollte,
Bald im Wamms, bald in der Kutte
Ging ich aus und ein im Kloster,
Und besonders gerne legt' ich
Auf den Fang mich der beliebten,
Rothgesprenkelten Forellen,
Die im klaren Goldbach schwammen.
Unser Abt Ulricus trug mir
Auf geheime Botengänge,
Sandte mich mit manchem Brieflein
An die Pröbstin von Wendhusen!
Das im Thal liegt an der Bode.
Sie war jung und schön und lustig,
Und ich selber war viel jünger,
Als der Abt von Michelstein.
Und da kam's, daß ich allmälig
In Herrn Ulrich's warme Stelle
Bei der schönen Nonne rückte.
Damit meine Botengänge
Ohne Unterbrechung blieben,
Traf Luitgardis schlaue Fürsorg,
Hielt ihn mit latein'schen Brieflein
Hin, die schleunig Antwort heischten.
Langt' ich an zu später Stunde,
Durft' ich Nachts im Kloster bleiben
Und schlief nicht auf harter Steinbank.«
Jetzt griff der Kanonikus
Nach der Schnur am großen Messer,
Und die Glocke klang vernehmlich;
Einen scharfen Blick warf Hunold
Auf den Stiftsherrn: »Nichts für ungut!
Lachte dieser, doch ich meine,
Müssen auch mal wieder trinken;
Bei dem fleißigen Erzählen
Wird Euch ja die Kehle trocken,
Wenn Ihr sie nicht mehr befeuchtet;
Also diesmal auf die Pröbstin!«
Wieder klapperten die Krüge
Dreimal aneinander, Isfried
Hielt in bodenlosem Zuge
Noch den seinen an den Lippen,
Als der Schreiber sprach: »Ich rath' Euch,
Nicht darauf zu warten, Singuf,
Bis der Stiftsherr ausgetrunken,
Und auch nicht es zu versuchen,
Mit ihm Strich zu halten, Keinen
Kenn' ich, der das je vermochte;
Doch ich bitt' Euch, fortzufahren.«
»Endlich kam der Abt dahinter,
Nahm das Wort nun wieder Hunold,
Wie sein jüngster Laienbruder
Seine Gänge ausgerichtet,
Und verwettet schien mein Leben.
Burggraf und Gerichtsherr nämlich
Auf der Heimburg, nah dem Kloster,
War des Abtes ältrer Bruder;
Der ließ in den Thurm mich werfen
Und mit Holz und Eisen schließen
Statt auf Kultern und Plumiten
Lag ich nun auf faulem Stroh.
Dein vergessen eine Weile
Werden sie nun, dacht' ich, oder
Du schaust bald durchs hanfne Fenster
Meister Seilers und verwünschte
Bald die Pfaffen, bald die Weiber,
Die die Einen wie die Andern
Nur des Teufels Bölze fiddern.
Als ich manche lange Woche
Hatt' in Stock und Pflock gelegen,
Daß ich kaum ein Glied noch fühlte,
Holten sie mich aus dem Loche,
Hießen mich das Land verschwören
Sieben Jahre und drei Tage
Auf fünf Tagreis' in die Runde,
Und nach harter Leibesstrafe,
Die ich zähneknirschend aushielt,
Stießen sie mich aus dem Burghof. –
Sollt's, Herr Isfried, Euch gelüsten
Wieder nach dem Klang des Messers,
So schaut her! ein Messer war es,
Was mir dies hier abgeschnitten.«
Seine langen Haare streifte
Hunold rückwärts, und da sahn sie,
Daß das linke Ohr ihm fehlte.
»Donner's Wetter!« schrie der Stiftsherr,
Und auch Ethelerus ruckte
Unwillkürlich mit dem Schemel,
Doch die Glocke rührte Keiner.
»Ja, wie Ihr jetzt Euch entsetzet,
Wich mir Mancher scheu zur Seite,
Bis das Haar mir lang gewachsen,
Das den Makel dann verdeckte,
Sagte Hunold; füllt den Krug mir,
Trinkt mit mir jetzt zum Beweise,
Daß Ihr mich drum nicht verachtet.«
Und sie hoben auf und tranken.
»Wenn Ihr aber glauben solltet,
Fuhr er fort, daß mich die Strafe
Abgeschreckt von den Amouren,
Würdet Ihr gewaltig irren.
Künftig schlauer zu verfahren,
Nicht ertappen mich zu lassen,
Nahm ich mir als einz'ge Lehre
Aus der Schmach, und nach dem Grundsatz:
In der allergrößten Keckheit
Liegt die größte Sicherheit auch,
Wagte ich in meinem Leben
Auch das andre Ohr noch manchmal.
Eine schlanke Maid, der Liebe
Aus den Augen blitzt und schäkert,
Die sich freut, wenn sie geküßt wird,
Rund an Wangen, Brust und Schultern,
Daß man so den Arm recht voll hat –«
»Und zwei stramme Waden, Spielmann,
Nicht vergessen!« lachte Isfried, –
»Hol's der Kukuk! darauf trink ich –
Malvasier! du feurig süßer,
Recht an Frauenlieb' gemahnst du!«
Heftig stieß er mit dem Humpen
Auf den Tisch, und hoch ihn schwingend
Setzte er ihn an die Lippen.
»Halt! wir trinken mit! rief Isfried,
Hoch die Weiber!« – »Doch versteht sich
Nur die schönen, sprach der Schreiber,
Die nicht spröde thun und schüchtern.«
Aber Hunold trank den Humpen
Diesmal ohne abzusetzen,
Und die andern Beiden folgten.
Als die stattlichen Gefäße
Neu gefüllt, erzählt' er weiter:
»Um es endlich kurz zu machen,
Laßt nur dies Euch noch berichten.
An dem unvergeßlich heißen,
Blutigen Spätsommertage
Kämpfte ich im Lederkoller,
Dienstmann eines schwäb'schen Ritters,
Auf dem Marchfeld, wo sein Leben
Ottokar der Böhmenkönig
Für den Treubruch lassen mußte.
Meinen Sold erhielt ich pünktlich,
Und so theilt' ich denn auch ehrlich
Meine Streiche aus nach Kräften.
Von dem Heere nahm ich Urlaub,
Denn man wollt' ihn mir nicht geben,
Und zog wieder durch die Lande
Als ein freier, froher Spielmann.
Dann zu Augsburg auf dem Reichstag
War ich, wo der Kaiser Rudolf
Mit des Böhmenkönigs Ländern
Seine Söhne nun belehnte.
Auch dem großen Magdeburger
Pfingstspiel wohnt' ich bei, wo Speerkrach
Tönt' im Rennen; der Turnierdank
War ein schönes fahrend Fräulein,
Das ein alter Herr aus Goslar
Sich gewann und reich beschenkte.
Da gab's Lustbarkeit und Kurzweil,
Spielmanns Beutel klang und krachte,
Und die Kehle blieb nicht trocken.
Daher komm' ich nun und hörte
Von der großen Plage Hameln's.
Eingedenk der feinen Künste,
Die ich von der Alten lernte,
Schlug ich langsam von der Elbe,
Hier und dort nach Laune weilend,
Mich zur Weser, kam nach Hameln
Endlich, – und das Andre wißt Ihr.«
Einen tiefen Zug that Hunold
Aus dem Krug, als er geendet.
»Singuf, sprach der Rathstuhlschreiber.
Eure Wanderschaft erinnert
Mich an manches heitre Stücklein,
Das wir zwei, ich und der Stiftsherr,
Die als fahrende Scholaren
Und Bacchanten auch vor Zeiten
Lustig durch das Reich gepilgert,
Ausgeführt; weißt du noch, Isfried,
Als wir auf dem Rennsteig zogen
Und nach Ohrdruf Mittags kamen,
Wo das Eselsfest man abhielt,
Und des Esels halben Schwanz du
Abschnittst und in's Rauchfaß warfest?«
»Und was thatest du, Geselle?
Laß uns lieber davon schweigen,
Sprach der Stiftsherr, mich verlangt es,
Aus dem liederfrohen Munde
Singuf's jetzt ein Lied zu hören;
Vorne, in dem Herrenzimmer
Hängt ja eine alte Laute,
Wird verstimmt zwar sein vom Alter,
Könnt sie doch einmal versuchen,
Hol' sie, Jacob! mittlerweile
Füllen wir uns frische Krüge.«
Als der Schreiber mit der Laute
Wiederkehrte, nahm sie Hunold,
Klimperte darauf und stimmte,
Trank noch einmal und dann sang er:
Wenn der Stern überm Kirchthurm steht
Mitten in der Nacht,
Weiß ich, wo der Weg hingeht
Mitten in der Nacht.
Mägdlein, das wartet mein,
Wartet mein zum Stelldichein,
Giebt mir in Kauf
Alle seine Lieb' und Huld,
Ach! du liebe Ungeduld!
Sternlein zieh' auf!
Klingling! ans Fensterlein
Ueberm Spalier,
Klettre wie die Katz hinein
Uebers Spalier,
Und in meinem Sinn voraus
Mal' ich mir die Freude aus,
Freuden zu Hauf,
Lös' ihr alle Zöpfelein,
Nestel' ihr alle Knöpfelein –
Fensterlein auf!
Im Stübchen mit knapper Noth,
Warm ist's und nett,
Herzt mich das Mädel halb todt,
Warm ist's und nett.
Liebchen, sei gut und fromm,
Daß ich zu Athem komm'
Und mich verschnauf',
Küß' nicht so laut, mit Gunst!
Weckst ja den Nachbar sunft,
Mägdlein, hör' auf!
»Ha! das muß ich loben, Meister!«
Rief der Mönch, deß volles Antlitz,
Weil er seinen Malvasier
Immer weniger verdünnte
Und zuletzt ganz unvermischt trank,
Schon wie eine Rose glühte,
»Seht, mir lacht das Herz im Leibe,
Wenn ich so ein Liedlein höre;
Habt Ihr mehr noch? singt noch eines!«
»Zur Genüge! sprach der Sänger,
Also höret nun das nächste.«
Wirth, hast du nicht ein volles Faß?
Das wollen wir heut anstechen,
Hier unter Bäumen auf grünem Gras
Giebt das ein lustig Zechen.
Der beste Trank, den Einer kennt,
Der wird der gute Wein genennt
So hier, so da,
So dort, so allenthalben.
Wo hab' ich denn den Durst nur her?
Er steckt mir in der Kehle,
Und wenn das Trinken Sünde wär',
Bei meiner armen Seele!
Auf Erden ließ' ich's nimmer doch
Und tränk' auch in der Hölle noch,
So hier, so da,
So dort, so allenthalben.
Komm, Pfäfflein, komm, du Reitersmann,
Du Waidmann und du Ferge,
Ihr Wegemüden, haltet an!
Hier rinnt ein Quell vom Berge;
Sitzt nieder auf dem grünen Plan,
Ersäuft den Wurm im hohlen Zahn
So hier, so da,
So dort, so allenthalben.
Geh' nicht vorüber, Mägdelein,
Du fehlst noch in der Runde,
Es fällt in's Herz wie Sonnenschein
Ein Gruß von rothem Munde;
Komm, jeden Kuß, verschämt und still,
Mit Küssen ich dir vergelten will
So hier, so da,
So dort, so allenthalben.
Ho! Spielmann, Spielmann, schnell herbei!
Woher, wohin die Pfade?
Hier lebt sich's lustig, fromm und frei,
Schau' an die Gottesgnade!
Rückt hin, Gesellen, seht! er winkt,
Er kommt, nun lacht und singt und trinkt
So hier, so da,
So dort, so allenthalben.
»Spielmann, Pfäfflein, Heil euch beiden!«
Rief der Schreiber nun und schwenkte
Seinen Krug den zwei Gesellen;
»Und wo bleibst denn du? frug Isfried,
So ein Scribifax ist freilich
Nicht bei vollem Faß zu brauchen,
Als daß er am Hahnen sitze
Und den Andern fleißig zapfe.«
»Wenn du mittrinkst, sprach der Schreiber.
Dank' ich aber für den Posten!«
»Wenn und aber! lachte Isfried,
Wenn ein frisches Faß man ansticht,
Bin ich aber auch zur Stelle,
Und wenn du den Hahnen umdrehst,
Drehe aber ich den Krug um
So hier, so da,
So dort, so allenthalben!«
»Drei sind aller guten Dinge,
Singuf! meinte Ethelerus,
Also sing' uf nun das Dritte.« –
Immer lust'ger ward die Weise,
Die der Spielmann präludirte;
Wie ein Liebchen hielt die Laute
Er im Arme, schlug den linken
Fuß auf's rechte Knie und lehnte
Weit zurück sich auf dem Schemel,
Sang in übermüth'ger Laune.
Und habe ich gestern zu viel getrunken,
So trinke ich heute noch mehr,
Und bin ich gestern in's Bächlein gesunken,
So stürz' ich mich heute in's Meer,
Ihr Tropfen und Wellen, heraus und herein,
Das Wasser sieht grün aus und gülden der Wein,
Ob unter dem Regen, ob unter der Traufe,
Lieb Brüderlein, haltet mich über die Taufe:
Willekumm heiß' ich.
Hab' ich gestern zu tief in dein Auge gesehn,
Heut guck' ich erst recht mal hinein,
Wenn' ich gestern nicht wußte, wie mir geschehn,
Heut weiß ich es: Schatz, ich bin dein!
Und wenn du nun denkst, daß du Nein sagen wirst,
Wenn ich komme und frage, so sag' ich: du irrst,
Du liebst mich ja schrecklich mit Zittern und Beben,
Gesteh' es doch, kannst ja nicht ohne mich leben,
Willekumm bin ich.
Was soll nun draus werden? ich sollte mich bessern?
Ach! Liebchen, ich bin doch so gut!
Bei niedlichen Mädchen und neidlichen Fässern
Wächst mir wie ein Riese der Muth,
Ich wanke nicht, schwanke nicht, fühl' auch kein' Reu,
Ich glaube wahrhaftig, ich bleibe dir treu
Und thue vielleicht auch, laß mir nur Muße,
In deinen Armen zerknirscht einmal Buße,
Willekumm bleib' ich.
Und wenn einmal nichts mehr zu haben ist,
Kein Bissen, kein Kuß und kein Trunk,
Wenn der Todtengräber begraben ist,
So thu' ich den letzten Sprung;
Und kommt dann der Tod um die Ecke herum
Und wackelt und fiedelt Hop-Heidideldum!
So sag' ich: Gevatter, ich komme schon eben,
Aber hübsch war es doch, Gevatter, das Leben!
Willekumm! sag ich.
»Hop-Heidideldum! Hop-Heiwillekumm!
Gestern in's Bächlein, morgen in's Meer,
Was soll nun draus werden heraus und herein?
Gevatter sieht grün aus und gülden der Wein,
Hop-Heidideldum! Hop-Heiwillekumm!«
So sang Isfried, sprang und tanzte,
Hob so hoch empor die Knie,
Wie's der dicke Bauch erlaubte,
Nahm das ellenlange Messer
Aus dem Bügel, dran es schwebte,
Strich damit als Fiedelbogen
Auf dem großen, leeren Mischkrug
Und sang hopsend immer wieder:
Hop-Heidideldum! Hop-Heiwillekumm!
Jacob Ethelerus stimmte
Auch mit ein, und Hunold lachte,
Daß er sich mit seinen Händen
Beide Seiten halten mußte.
Als die beiden tapfern Zecher,
Ethelerus und der Stiftsherr,
Erst mal Blut geleckt mit Singen,
Hielten sie nicht länger an sich,
Und der Schreiber sprach: »Jetzt, Isfried,
Laß uns unsre alte Mette,
Die wir als Schnarenzer sangen,
Auch einmal zum Besten geben.«
Und mit fürchterlichen Stimmen,
Daß es in der Wölbung dröhnte,
Sangen sie das Lied und schlugen
Mit den Krügen auf dem Tische
Auch den Takt, daß die Begleitung
Hunold's, die er auf der Laute
Balde fand, ganz übertönt ward.
Durch die Welt mit Sang und Klang
Ziehen wir in Schaaren
Kreuz und quer auf guten Fang,
Fahrende Scholaren,
Wittern das Vergrabne gleich
Wie den Fuchs die Meute,
Sind im ganzen Röm'schen Reich
Bestbeschrie'ne Leute.
Rillus Rallus
Prillus Prallus
Hier herein und da hinaus,
Schlagt dem Faß den Boden aus!
Weh! für uns im Rauche hängt
Nichts zu hoch beim Bauern,
Und wo sich ein Marder zwängt
Durch Stakett und Mauern,
Bohren wir uns auch durchs Fach
Tags und Nachts um zwölfe
Wie der Blitz durchs Scheunendach,
Hungrig wie die Wölfe.
Rillus Rallus
Prillus Prallus
Hier herein und da hinaus,
Schlagt dem Faß den Boden aus!
Zahn und Klinge sind gewetzt,
Ausgepicht die Kehlen,
Wo wir uns mal festgesetzt,
Fängt's bald an zu fehlen.
Erst das Huhn und dann das Ei
Oder umgekehret,
Uns ist Alles einerlei,
Wie's der Herr bescheeret.
Rillus Rallus
Prillus Prallus
Hier herein und da hinaus,
Schlagt dem Faß den Boden aus!
Die in Seide, die in Flachs,
Hold sind uns die Dirnen,
Unsre Herzen sind von Wachs,
Ehern unsre Stirnen.
Statt daß wir am Rosenkranz
Paternoster plappern,
Springen wir im Ridewanz,
Und die Würfel klappern.
Rillus Rallus
Prillus Prallus
Hier herein und da hinaus,
Schlagt dem Faß den Boden aus!
Fürchten Tod und Teufel nit,
Wissen ihn zu bannen,
Fahrender Schüler Schritt und Tritt
Führt zu Krug und Kannen.
Wir sind geistlich, fromme Kind,
Arme, tumbe Knaben,
Wenn wir erst mal Bischof sind,
Woll'n wir's besser haben.
Rillus Rallus
Prillus Prallus
Hier herein und da hinaus,
Schlagt dem Faß den Boden aus!
Jetzo mit verschlafner Miene
Trat der Stubenknecht in's Zimmer:
»Mit Verlaub, Herr Secretarius,
Sprach er, habt mir anbefohlen,
Euch zu melden, wenn des Tages
Zweite Stunde sei verronnen.«
»Danke, Adam! sprach der Schreiber.
Isfried, auf! du mußt in's Kloster,
Daß du mir die erste Hora
Nicht versäumst, nicht wahr, darüber
Wärest du gewiß untröstlich?«
»Rillus Rallus!« sagte Isfried.
»Kannst du dich allein wohl finden?
Oder soll der Adam mitgehn?«
»Prillus Prallus! Adam mitgehn,«
Lallte Isfried. »Nun so bring' ihn
Gut nach Haus, laß ihn nicht fallen,«
Sprach zum Stubenknecht der Schreiber
Dessen so gelenke Zunge
Auch ein wenig schwer geworden,
Ob er schon zu seinem Weine
Aus dem Muschkendlin mehr Wasser,
Als die Andern sich gegossen.
Von den Dreien auf den Füßen
Stand am sichersten der Spielmann,
Und zu diesem sprach der Schreiber:
»Singuf, nicht zum letzten Male
Haben wir uns heut gesehen,
Danke Euch, daß Ihr gekommen,
Und wenn Ihr im Rathe oben
Einen Freund gebraucht und Helfer,
Denkt an mich, ich kann Euch nützen.«
Also trennten sich die Zecher;
Ethelerus eilte; Hunold
Warf noch einen Blick zum Monde:
»Also übermorgen!« sprach er
Und schritt langsam dann zur Herberg.
Arm in Arm mit Adam schwankte
Der Kanonikus von dannen,
Und vergnüglich summt' und brummt' er:
»Hier herein und da hinaus,
Schlagt dem Faß den Boden aus!«