Ernst von Wolzogen
Die Gloriahose und andere Novellen
Ernst von Wolzogen

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Wasserscheu.

Ich kam aus einer langweiligen Gesellschaft und hatte einen ziemlich weiten Weg nach Hause. Eine Turmuhr schlug eins, als ich an den hell erleuchteten Spiegelscheiben des Café Kaiserhof vorbeischritt, in welchem die Genossen von der Feder einander am liebsten suchten und am sichersten finden ließen. Ich fror aufrichtig – ein Schälchen heißen Kaffees, das war ein schöner Gedanke! Vielleicht auch, daß sich noch ein gleichgestimmter Busen fand, bereit, den Ärger über die Öde dieses angebrochenen Nachmittags zu verscheuchen. Einen Augenblick noch zögerte ich und wollte erst nach bekannten Gesichtern auslugen: aber die weißen Vorhänge bedeckten die Spiegelscheiben so weit, daß ich nur jene seltsam ausgesetzten Schichten von Tabaksnebel sich langsam über den Köpfen der Gäste über- und ineinanderschieben sah.

So trat ich denn hinein. Meine Augengläser beschlugen sich, so daß mein Blick kaum auf zehn Schritt den dichten Nebel durchdringen konnte, und umnebelnd auf die Kopfnerven wirkte auch im ersten Augenblick der plötzliche Übergang aus der kalten Nachtluft in den feucht-warmen Treibhausbrodem, gemischt aus fein narkotischen oder spirituosen Dünsten und dem süßsäuerlichen Seelenphlegma frisch aufgetauter Menschen.

Nun saß ich in irgendeiner Ecke, putzte meine Gläser und schaute, blöd aufblickend, mich in meiner nächsten Nachbarschaft um. Wie ärgerlich! Kein bekanntes Angesicht ringsumher zu entdecken – auch nicht, als ich meine Augen wieder bewaffnet hatte. Nur an einem Nebentischchen saß ein einsamer kleiner Mensch, dessen Rücken mir bekannt vorkam. Diese breiten, geraden Schultern, die immer so hoch hinaufgezogen wurden, um die mangelhafte Weiße des Hemdkragens zu verbergen, diese etwas bedenkliche Kurve des Rückgrats, und vor allen Dingen diese auffallend dünnen Beine, die, als wollten sie ihrer Dünnheit dadurch eine wirksame Folie geben, gewohnheitsmäßig um die noch dünneren Stuhlbeine herumgewickelt wurden – und trotzdem in zwei höchst ausgewachsenen Plattfüßen endigten – alle diese besonderen Kennzeichen paßten auf meinen seltsamen Kollegen Robert Biener, den kleinen galizischen Juden, welcher diesen unverfänglichen Namen durch ein einfaches Permutationsverfahren aus der etwas genanten Grundform Reb Obertiner gewonnen hatte.

Robert Bieners Name stand zwar auf den neuesten Sternkarten des nördlichen Literaturhimmels verzeichnet, konnte aber nur von passionierten Planetensuchern mit den besten Instrumenten beobachtet werden, da er nur selten als Verfasser allerdings höchst geistvoller kritischer Aufsätze in wenig gelesenen Fachblättern auftauchte. Einem engeren Kreise literarischer Caféhausgäste war er mehr als durch seine Arbeiten durch seine seltsame Persönlichkeit bekannt. Die Schärfe seiner Kritik war imposant, seine Skepsis unheimlich, seine Rednergabe, wenn er gut aufgelegt war, glänzend. Im übrigen wußte man von seinem Tun und Treiben nur, daß er mit Anstand hungerte und mit Überzeugung das Wasser und die Seife haßte. Aus diesem Grunde konnten ihn die meisten Kollegen – nicht riechen.

Auch ich durfte mich nicht rühmen, zu seinen Intimen zu zählen und hatte ihn nur selten getroffen und gesprochen. Trotzdem aber und trotz meines elenden Personengedächtnisses hätte ich seine kleine Figur und sein geistvoll garstiges Gesicht immer und überall wiedererkannt. Wie gesagt, seine Rückseite war es, das da vor mir – es fehlte nur noch das lange, struppige, schwarze Haar, welches einige Zoll tief über den schmierig glänzenden Rockkragen herabfallen mußte – und dann war auch dieser Rock selbst so verwirrend neu und gutsitzend! Er hatte eine Zeitung vor sich und einen Haufen weiterer Zeitungen neben sich auf einem Stuhle. Da, jetzt wandte er, nach einem neuen Blatte greifend, sein Gesicht mir zu. Er war es, ohne Zweifel! Die spitz hervortretenden Backenknochen, der breite Mund mit den schmalen Lippen, die große, wenn auch nicht unbedingt semitische Nase, die tiefliegenden, stechenden Augen unter den buschigen Brauen und der graugelbe Teint. Nur der Bart machte mich noch einen Augenblick stutzig, indem er nämlich erst jüngst, und zwar beträchtlich gestutzt erschien.

Ich trat an seinen Tisch. »Herr Biener! Nicht wahr?« redete ich ihn an. »Wir haben uns so lange nicht gesehen – Sie werden sich vielleicht kaum mehr erinnern . . .«

»O doch! Gewiß erinnere ich mich! Herr . . .« Er suchte nach meinem Namen. Ich kam ihm lächelnd zu Hilfe, und dann fuhr er, scharf zu mir aufblickend und seine langen Nägel mit hörbarem Kratzen durch den struppigen Schopf schiebend, mit anmutigem Grinsen fort: »Freilich, freilich kenne ich Sie – natürlich, bitte sehr! Ich habe ja erst kürzlich Ihr neues Buch gelesen. Übrigens – nehmens Sie es mir nicht übel, wie können Sie solchen Quark schreiben?«

»Quark? Oh!?« Das kam mir doch etwas plötzlich, wie wenn mir jemand mit der freudigen Aufforderung, gefälligst Platz zu nehmen, einen kräftigen Stoß in die Kniekehlen versetzt und gleichzeitig den Stuhl weggezogen hätte. »Sie gestatten wohl, daß ich um nähere Begründung dieses harten Urteils bitte.«

Ich heuchelte vollständige Gemütsruhe, setzte mich aber doch recht fest auf den Stuhl, um den gefährlichen Folgen weiterer Angriffe gegen meine Kniekehlen vorzubeugen. Und nun setzte mir Reb Obertiner, alias Robert Biener, mit der liebenswürdigsten Sacksiedegrobheit sonnenklar und binnen fünf Bierminuten auseinander, daß ich zweifelsohne einer der windigsten Schmierfinken meines Jahrhunderts sei – wobei ich übrigens noch das süße Bewußtsein hatte, daß er aus persönlicher Wertschätzung sich eigentlich nur einer zart andeutenden Ausdrucksweise bediente. Sagte er: »Sie sind ja überhaupt nur ein schlecht verkappter Romantiker,« so meinte er entschieden: Cretin! Spottete er gutmütig über meinen Mangel an Logik, so meinte er: Idiot!

Ich war also gerichtet! Als Poet tot, maustot! Er hatte es mir ja mathematisch bewiesen – dagegen war nichts zu machen. Ich ergab mich in mein Schicksal und paffte nur etwas stärkere Rauchwolken aus meiner Zigarre, um wenigstens den sichtbaren Beweis meiner Fortexistenz als Weltbürger nach meinem künstlerischen Tode vor Augen zu haben.

»Und wie ist es Ihnen sonst ergangen?« fragte ich, um ihn auf etwas anderes zu bringen, nach einer kleinen Verdauungspause.

»Oh, toll genug!« rief er, seine gelben Zähne fletschend. »Ich kann Ihnen versichern, es ist mir lange nicht so gut gegangen. Noch in der letzten Woche habe ich zweimal warm gegessen – Zum Abgewöhnen, wissen Sie; denn es tut nicht gut, wenn man von den Fleischtöpfen Ägyptens sich so unmittelbar auf die trockene Semmel des Philosophen zurückzieht.«

»Wie das? Erzählen Sie doch! Wo haben Sie so lange gesteckt?«

»Ich war verreist«, erwiderte er geheimnisvoll, indem er seine dünnen Finger mit den langen Nägeln schlänkernd hoch über den Kopf reckte, als wollte er andeuten, er sei auf dem Monde gewesen. »Da oben, in höheren Sphären – auf der Menschheit lichten Höhen – hehe! Das heißt auf Deutsch: Ich war unter die Philister gefallen.«

»Eine Delila haben Sie auch gefunden, wie ich sehe«, ergänzte ich, auf seine unfrisierten, gekappten Haare deutend.

»Na ja. Machen Sie nur immer Ihre Witze, ich hab's verdient!«

»Erzählen Sie doch! Sie machen mich furchtbar neugierig!«

»Das glaube ich. Sie sind ja bekannt dafür, daß Sie überall nach Humoresken herumschnuppern. Also hören Sie zu – – ich schenke Ihnen den Stoff!«

Er ließ sich noch ein Glas Tee kommen, das er mich bat, für ihn auslegen zu wollen, da er zufällig nicht genug Geld beigesteckt habe, und dann begann er zu erzählen:

»Also sehen Sie, die Sache kam so. Ich habe gehungert, ich habe keinen ganzen Rock auf dem Leibe gehabt, und ich habe mir um erbärmlichen Lohn das Gehirn ausgepreßt und die Finger krumm geschrieben – und das war nicht einmal, das war nicht die Ausnahme, sondern das war die Regel. Man gewöhnt sich sogar an den Hunger, wenn man nur sonst imstande ist, dem Drange seiner eingeborenen Natur frei zu folgen. Ich dachte, was mir gefiel, und schrieb, was mir gefiel – wollten diese Esel von Redakteuren davon nichts wissen und nichts zahlen – nu, dann habe ich eben geschimpft und gehungert. Aber sehen Sie, da kommen die lieben Freunde, die guten, mitleidigen Menschenbrüder und liegen einem in den Ohren und hetzen einen gegen sich selber auf: Das geht nicht, lieber Freund, daß du lebst wie ein Hund bei deinem Talent; du mußt dich hinausbegeben, hinauswagen unter die Menschen, du mußt hinaufkraxeln auf die höchsten Misthaufen und dich droben spreizen und krähen: Kikeriki, seht, was ich für ein Haupthahn bin! Und dann mußt du ferner bedenken, daß ein so ausgemergelter Vogel mit einem so ruppig-struppigen Balg von keinem anständigen Federvieh für einen Haupthahn angesehen wird. Du mußt endlich einmal damit anfangen, dir auf irgendeine Weise soviel Geld zu verdienen, daß du dich wenigstens satt essen und mit einem reinen Hemde und einem reputierlichen Rock auf dem Leibe unter die Menschen gehen kannst. Trittst du in zerschlissenem Gewande, ungewaschen und unfrisiert auf den Plan, dann magst du Schiller, Goethe, Lessing und Schopenhauer in einer Person sein, die anständige Menschheit wird dir doch die Tür vor der Nase zuwerfen und dich anschnauzen: Hier wird nichts gereicht!‹ –

Der Mann, der mir das zu Gemüte führte, das war der Doktor Joelsohn, der Rechtsanwalt – Sie kennen ihn ja wohl auch? – Ich muß ihm recht geben und außerdem . . . er hat mir oft genug mit kleinen Beträgen ausgeholfen, mit einer so angenehmen Selbstverständlichkeit, obschon er selbst eigentlich nichts übrig hat – na, sehen Sie, so was rührt mich nun immer! Also ich war schwach und sagte zu ihm: ›Schön, lieber Freund, versuchen Sie Ihr Glück mit mir – Arbeit scheue ich nicht – wenn es Ihnen gelingt, aus mir einen sogenannten anständigen Menschen zu machen, dann will ich Sie für einen der talentvollsten Rechtsverdreher von unsere Leut erklären!‹ – Was Wunder, wenn dieser Köder ihn zu den großartigsten Anstrengungen in meinem Interesse anspornte? Schon nach wenigen Tagen kommt er gelaufen und schreit: ›Ich hab' was, ich hab' was! Unser berühmter Dichter, der geniale . . . mein Zartgefühl verbietet mir, Ihnen den Namen zu nennen – also der sucht so eine Art von Sekretär. Ich habe Sie aufs wärmste empfohlen. Zunächst ist's freilich nur Abschreibearbeit. Na, Sie schreiben ja eine saubere Hand. Aber später sollen Sie ihm auch helfen, historisches Material herbeizuschaffen, Auszüge aus Büchern machen und dergleichen mehr. So, nun seien Sie gescheit, kämmen Sie sich Ihre wüste Mähne durch, waschen Sie Ihre Hände in Unschuld, und beschneiden Sie Ihre Klauen – damit er nicht gleich den Löwen merkt und Angst kriegt. Und dann kommen Sie gleich mit. Vor seiner Haustür ziehen Sie meinen Sommerpaletot an und knöpfen ihn von oben bis unten zu – sonst werden Sie am Ende nicht hineingelassen!‹ – Ich war folgsam wie ein Lamm, betrug mich wie ein Schaf, und infolgedessen beehrte mich denn auch der große Mann mit seinem Vertrauen. Ich schleppte sein Manuskript nach Hause und wollte mich sofort an die Arbeit machen, denn das Honorar, das er in Aussicht gestellt hatte, war wirklich nobel! Um mich erst ein bißchen zu orientieren, fange ich an, in der Handschrift zu blättern. Gleich auf der ersten Seite stießen mir ein paar Dummheiten auf – aber so was kann ja vorkommen. Ich lese also weiter und weiter, und wie ich auf der letzten Seite angekommen bin – unterdessen war es Abend geworden – da packt mich der dreimal heilige Zorn über diesen großprotzigen Idiotismus . . . ich renne spornstreichs zu meinem berühmten Arbeitgeber zurück – notabene ohne Joelsohns Sommerpaletot! – um ihm sein elendes Geschmier . . . Der gnädige Herr war beschäftigt, ich mußte eine Viertelstunde antichambrieren. Na, da hatte ich denn Zeit, mich ein bißchen zu beruhigen und mir klar zu machen, daß es doch eigentlich undankbar gegen den guten Kerl, den Joelsohn, handeln hieße, wenn ich diesen Cretin da gar so unsanft vor dem Kopf stoßen wollte. Und wie nun der Ölgötze endlich so gnädig ist, mir sein Eselsohr zu leihen, lasse ich mich herbei, ihm eine ganz höfliche Verbeugung zu machen, und sagte: Sie entschuldigen, verehrter Herr, wenn ich Sie störe. Ich möchte mir nur erlauben, bevor ich die Abschrift in Angriff nehme, Sie auf einige kleine Irrtümer aufmerksam zu machen – na, und so weiter. Ich schlage das Manuskript auf und weise bloß auf einige der ärgsten Schandflecke hin, Albernheiten, die für Witz gelten wollen, stilistische Ungeheuerlichkeiten, skandalöse Bildungslücken, haarsträubende Geschmacklosigkeiten und noch ein paar Kleinigkeiten. ›Sehen Sie, lieber Herr‹ sage ich, ›wozu soll ich das abschreiben? Nehmen Sie lieber die Sache erst noch mal gründlich vor, oder am besten, Sie fangen noch einmal von vorne an – obwohl ich freilich gestehen muß, daß es kaum der Mühe lohnen dürfte, indem nämlich eine eigentliche Idee mir überhaupt nicht vorhanden und der ganze Vorwurf von vornherein ziemlich Quatsch zu sein scheint.‹ – Da packt doch den Menschen eine Wut . . . ich sage Ihnen, so etwas hab' ich mein Lebtag noch nicht gesehen – und ich hatte mich doch so höflich und schonend ausgedrückt, wie ich es irgend verantworten konnte! Er schwillt auf wie ein Frosch, wird rot im Gesicht wie ein kalekuttischer Hahn und pfaucht und schnaubt mich an, daß mir ordentlich bange um ihn wurde. Und dann stürzt seine Frau herein und sein Dienstmädchen, und ein paar Kinder fangen nebenan zu heulen an vor Schreck – und dann kriegt er mich beim Kragen und schmeißt mich positiv die Treppe hinunter. Unten hilft mir der Portier wieder auf die Beine und ist so freundlich, mich aus der Haustür hinauszugeleiten, wofür ich dem braven Mann ein Trinkgeld in die Hand drückte, mit dem Auftrag, den Herrn Doktor von mir zu grüßen, und ich ließe ihm sagen, für ihn schriebe ich nie wieder eine Zeile ab, und wenn er sich auf den Kopf stellt!«

»Unglaublich!« warf ich ein, äußerst ernsthaft, innerlich schadenfroh. »Wie kann man bloß so empfindlich sein, so undankbar gegen einen wohlgemeinten, guten Rat?«

Er blickte mich scharf von der Seite an. Natürlich war es ihm nicht entgangen, wie vergnügt es mir um die Mundwinkel zuckte – natürlich hatte er mich durchschaut! Es war unmöglich, diesem unheimlichen Menschen etwas vorzumachen. Er schlürfte seinen Tee halb aus und fuhr dann fort, ohne meine Bemerkung weiter zu beachten: »Mir tat's ja nur um meinen Freund Joelsohn leid, daß er sich so vergeblich für mich bemüht haben sollte. Daß er die Sache ganz falsch auffaßte und mir allein die Schuld für den mißglückten Versuch beimaß, das brauche ich Ihnen wohl nicht besonders zu versichern! Aber es gibt eben Menschen, die selbst durch Schaden nicht klug werden wollen. Schon nach wenigen Tagen hat sich dieser unverwüstliche Menschenfreund von seinem Schreck erholt und macht mir einen neuen Vorschlag. Mit einem ebenso triumphierenden als geheimnisvollen Lächeln drückt er mir einen Zeitungsausschnitt in die Hand. Da stand ungefähr zu lesen: Eine Dame wünscht behufs fortdauernder geistiger Anregung mit einem philosophisch gebildeten Herrn in Korrespondenz zu treten. Spätere persönliche Bekanntschaft nicht ausgeschlossen. Offerten unter so und so. – »Na, was soll ich denn damit?« fragte ich, natürlich einigermaßen verwundert. – »Das ist doch ganz klar,« versetzte er, »das ist natürlich irgendeine bildungswütige alte Schachtel, die in der Wolle sitzt und nichts zu tun hat, außer die Hoffnung zu hegen, daß sie vielleicht doch noch einen Mann bekommen könnte. Sie lassen sich mit ihr in einen Briefwechsel ein, imponieren ihr selbstverständlich ganz gewaltig und – wer kann wissen, was draus wird? Im Himmel werden ja die seltsamsten Ehen geschlossen.« – »Pfui Teufel, Sie wollen mich doch nicht etwa verheiraten?!« rufe ich ganz entsetzt. »Mit Frauenzimmern lassen Sie mich gefällig aus, ich muß schon bitten!« – Da zieht der Mensch einen Brief aus der Tasche – und was war's? Er hatte schon auf eigene Faust der unbekannten Philosophin meine Bereitwilligkeit erklärt, und das war die Antwort darauf! Ich riß ihm den Wisch wütend aus der Hand und fange an zu lesen. – Ich beruhige mich – interessiere mich – lese weiter – vier Seiten, acht Seiten, zwölf Seiten – sechzehn Seiten schrieb das Frauenzimmer, und ich kann Ihnen sagen: gar nicht dumm! Alle Achtung! Natürlich etliche Begriffsverwirrungen, falsche Voraussetzungen, mondsüchtige Phantasien; aber es steckte doch Geist dahinter, gesunde Skepsis, Sehnsucht nach Erleuchtung. Die Geschichte reizte mich – dieser suchenden Seele mußte geholfen werden! Ich sage meinem Schadchen schönen Dank und lieh mir ein bißchen Kleingeld von ihm, um mir sofort einen Vorrat von feinem Briefpapier und eine große Flasche violetter Salontinte anzuschaffen. Und noch am selben Abend antwortete ich meiner Heloise, wie sie sich innig unterschrieb, auf ihre sechzehn Seiten deren zwanzig, natürlich mit der Unterschrift: Ihr hochachtungsvoll ergebener Abälard.

Wissen Sie, ich als Philosoph, als Mann der unerbittlichen Logik, habe die Weiber nie ausstehen können. Ich habe sie nur als notwendiges Übel angesehen und für meinen geistigen Menschen existieren sie überhaupt nicht. Aber meine unbekannte Heloise – ich schäme mich gar nicht, es einzugestehen, die tat es mir dermaßen an, daß ich, nachdem die Korrespondenz so ein paar Wochen im Schwange gewesen war, ganz vergessen hatte, daß sie ein Frauenzimmer sei und sie einfach für meinesgleichen ansah. Ich kann Ihnen sagen, es war eine Freude, sich mit ihr herumzuzanken – und mit der bin ich nicht so sanft und höflich umgegangen, wie mit unserem berühmten Dichter! Aber sie nahm mir nichts übel und gab auch nicht leicht eine Partie auf. Harte Nüsse hat sie mir zu knacken gegeben, das weiß der liebe Himmel, und mehr als einmal hat sie mich nicht übel ins Bockshorn laufen lassen. Unsere sogenannten Briefe waren bald zu förmlichen Broschüren angewachsen – na, sie wagte auch bald einige schüchterne Andeutungen, daß sie sich ein Gewissen daraus mache, meine kostbare Zeit in solcher Weise in Anspruch zu nehmen. Das war ja nun sehr hübsch von ihr; aber ich konnte doch unmöglich so schofel sein, mir von ihr die Briefe etwa bezahlen zu lassen, die ich ja doch auch rein zu meinem Vergnügen schrieb. Es ging mir ja freilich damals gerade über alle Begriffe miserabel, und ich mußte schließlich sogar mein schönes Federbett, das meine Mutter so allmählich aus den weißen Brüsten galizischer Gänse für mich zusammengerupft hatte . . . ach Gott ja, das mußt' ich versetzen, um wenigstens zweimal in der Woche in der Volksküche essen und das Porto für meine Doppelbriefe bezahlen zu können. Trotz alledem wäre noch alles ganz schön gewesen, wenn nicht mein hinterlistiger Freund Joelsohn sich wieder in meine Privatangelegenheiten gemischt hätte.

»Also denken Sie: eines schönen Tages überfällt mich der Mensch wieder in größter Aufregung mit einer sogenannten Freudenbotschaft. »Sie sollen kommen,« schreit er, »sofort sollen Sie sich aufmachen und hin!« – »Wieso, wohin?« frage ich. – »Na, zum Grafen natürlich, nach Schloß Kluczewo. Herrgott, Mensch, sehen Sie mich doch nicht so an, als ob Sie von gar nichts wüßten!« – »Was soll ich wissen von einem Grafen und einem Schloß?« fahre ich auf; denn ich denke, er will mich foppen. – »Nu wie heißt: hat sie Ihnen nicht geschrieben, daß sie bei dem Grafen ist und darauf brennt, Sie persönlich kennen zu lernen?« – »Was, meine Heloise will mich kennen lernen, von Angesicht zu Angesicht? Nein, den Schmerz wollen wir ihr doch lieber nicht antun«, sagte ich und schneide ihm eine Fratze, daß ein anderer gleich Reißaus genommen hätte. Aber was tut er, Joelsohn? Er greift in seine Tasche und holt ein Röllchen, in Papier gewickelt, heraus und zählt mir, so wahr ich hier sitze, zehn blanke Doppelkronen auf den Tisch. So viel Geld hatte ich noch nie auf einem Haufen gesehen – in meiner Behausung wenigstens nicht! Ich kann Ihnen sagen, mir zitterten die Knie, und es lief mir eiskalt den Rücken hinunter. Mir war zumute, als wollte mich jemand mit dem Mammon bestechen, daß ich meiner leiblichen Mutter, die mich geboren hat, soll Gift in die Schokolade schütten. »Gehen Sie,« keuchte ich, »gehen Sie raus! Wofür halten Sie mich, Herr Joelsohn? Ich bin ein ehrlicher Mensch!« – Und was sagt er? »Ein Narr sind Sie,« sagte er, »wenn Sie nicht gleich das koschere Geld einstecken und dem Herrn Grafen schreiben, zu welcher Stunde er Ihnen seine Equipage an die Bahn schicken soll.« Und nun klärte er mir den Zusammenhang auf. Meine Heloise war seit zehn Jahren Erzieherin in dem Hause des Grafen und wurde jetzt noch, obschon die Kinder bereits alle erwachsen waren, als eine werte Freundin dort behalten. Aber das untätige Wohlleben befriedigte sie nicht, und ihr reicher Geist fand in der Einsamkeit des Landlebens zu wenig Nahrung. So war sie auf den Gedanken gekommen, jene Annonce in die Zeitung setzen zu lassen. Und dann war wirklich eingetreten, was mein weiser Freund Joelsohn vorhergesehen hatte: ich imponierte ihr, und sie empfand das brennende Bedürfnis, mich persönlich kennen zu lernen. Der Graf, der den lebhaften Wunsch hegte, sich der geistvollen Erzieherin seiner Kinder dankbar zu erweisen, hatte ihr Geheimnis erraten und sich darauf mit Joelsohn als dem ersten Vermittler in Verbindung gesetzt. Und da hatte dieser Mensch sich nicht entblödet, ihm die ganze hundsgemeine Wahrheit über mich zu enthüllen! Von diesem Gelde sollte ich mich äußerlich rehabilitieren und außerdem die Reise bestreiten.

Nun, Sie werden selbst sagen müssen, es wäre schnöder Undank gewesen, die in einer so feinen Form angebotene Hilfe zurückzuweisen. Ich raffte also all meinen Mut zusammen, und dann sprang ich mit drei Schritten Anlauf auf den Tisch los und strich die zehn Doppelkronen ein. Ich werde den Moment nie vergessen – es wird mir auch wohl nicht zum zweitenmal passieren! Ich kam mir vor wie Faust mit dem Hexentrunk im Leibe; – vierundzwanzig Stunden später hätten Sie mich nicht wiedererkannt! Mein Freund Joelsohn schleppte mich aus einem Laden in den andern und kleidete mich nach seinem Geschmack vom Kopf bis zu den Füßen neu ein. Erst ging's zum Kleiderhändler, dann zum Wäschehändler, dann zum Barbier und endlich gar . . . nein, hören Sie, das letzte war entsetzlich. Bisher hatte mir die Geschichte Spaß gemacht, das muß ich gestehen. Der kaffeebraune Kammgarnrock und die papageigrün gestreiften Hosen hatten, weiß der Teufel, mein philosophisches Herz höher schlagen machen, als wäre ich ein Backfisch, der sein erstes Ballkleid anprobiert. Auch den Barbier erduldete ich gutwillig, der mir die Perücke kappte und zwei hohle Hände voll Öl an meine schwarzen Borsten verschwendete. Aber dann kam das Entsetzliche! Mein Freund maß mich mit einem unendlich wehmutsvollen Blicke und flüsterte voll zärtlicher Schonung: »Jetzt nur noch eins, lieber Robert! Sie müssen sich taufen lassen!«

Na, das versteht sich ja am Rande: mir ist es gleich, ob man mich Christ, Jud oder Moslem nennt. Ich bin ein freier Geist und lasse mich weder vom Rabbi, noch vom Pfaffen, noch vom Mufti an der Nase herumführen; aber einen gelinden Schrecken kriege ich doch. »Verlangt das meine Heloise wirklich?« stotterte ich. – Und er darauf: »Verlassen Sie sich drauf, sie verlangt's; aber nicht so, wie Sie denken, lieber Freund. Eine Handvoll Wasser tut's nicht bei Ihnen – Sie müssen ein Vollbad nehmen!« Ich muß Ihnen gestehen, hätte er mich nicht fest beim Arm gepackt und mit Gewalt hineingeschleppt in die nächste beste Badeanstalt, ich wäre davongelaufen; denn es war mir ein fürchterlicher Gedanke, nachdem ich nun schon so arg Haare gelassen hatte, auch noch die alte Haut, die in Ehren auf meinem Leib ergraut war, zu Markte tragen zu sollen. Sehen Sie, ich muß sagen: die Reinlichkeit ist in meinen Augen eine ganz banausische Tugend. Der gemeine Mann findet eine Statue am schönsten, wenn sie ganz golden in der Sonne funkelt, wogegen der Kenner sie erst schätzt, wenn sie eine recht dicke grüne Patina angesetzt bat. Die alten Griechen bemalten ihre Marmorstatuen, weil das kalte Weiß ihren Schönheitssinn verletzte. Und so ist auch der Reinlichkeitsfanatismus nur eine beklagenswerte Verirrung unserer nervenschwachen Hyperkultur. Liegt etwa Charakter in einer gleichmäßig glatten, rosenroten Menschenhaut? Würde es die Schönheit des Waldes erhöhen, wenn man den Bäumen jeden Samstag die Borke glatt hobelte? Na also! –

Der Unmensch, dieser Joelsohn, stieß mich also wirklich mit roher Faust in eine Badezelle hinein. Eine Gefängniszelle wäre mir lieber gewesen! Aber was half's? Der Gedanke an meine Heloise machte mir Mut. Es geschah ja doch nur ihr zuliebe. Da sehen Sie, wie sehr es das Frauenzimmer mir angetan hatte! Schinden ließ ich mich für sie, um würdig zu sein, ihr Sklave zu heißen. Einfach schmachvoll, nicht wahr? Ja, die Weiber, die Weiber! Aber es soll auch wahrhaftig nicht wieder vorkommen. – Das heißt, um der Wahrheit die Ehre zu geben: wie ich dadrin saß in der warmen Flut, das war eigentlich ganz nett und mollig; aber nachher! Mir klappern die Zähne noch, wenn ich daran denke! Es war doch so gut, als hätte ich mein warmes Unterzeug versetzen müssen – und sonst war ich nur so leicht, so sommerlich gekleidet. Joelsohn war mir so fatal geworden, ich konnte den Menschen nicht mehr sehen! Ich rannte wie ein Besessener auf meine öde, elende Bude, riegelte mich da ein und warf mit zitternd aufs Bett. Aber, o Gott, meiner Mutter schöner Daunensack befand sich ja noch auf dem Leihamte. Ich hatte bisher einfach in meinen Kleidern geschlafen – und in meiner Patina und mich dabei immerhin leidlich behaglich gefühlt. Nun aber fror ich wie ein Hund und schämte mich noch überdies in meinen neuen Kleidern wie ein Mensch, der unter seinem gestohlenen Bratenrock verbergen will, daß er kein Hemd auf dem Leibe hat. Ja, wahrhaftig, ich kann es nicht anders bezeichnen, ich kam mir vor wie ein neugeborenes Kind, so nackt und bloß und hilflos und gebrechlich. Erst als es völlig dunkel geworden war, wagte ich mich wieder auf die Straße hinaus und rannte wie ein Besessener, um mich zu erwärmen. Und dann, wie ich in das feine Viertel kam, mit all den glänzenden Schaufenstern, den aristokratischen Hotels und Restaurants, da packt mich plötzlich mit dämonischer Gewalt die Lust und die Begierde, mich auch einmal zu Gaste zu laden an der üppigen Tafel der oberen Zehntausend und meinen inwendigen Menschen zu erwärmen durch den Nektar, den die feile Natur sonst nur für diese Auserwählten wachsen läßt. Ich hatte ja ein neues Hemd und einen neuen Rock auf dem Leibe und echtes Gold in der Tasche! Ich steige also in ein unerhört vornehm aussehendes Restaurant hinein und lasse mir auftischen – Gerichte, die ich kaum vom Hörensagen kannte, und Weine . . . ah, wie mir das heiß durch die Adern rieselte! Das war eine Feuertaufe meiner Seele, ein Vollbad meines Magens, das ich mir gern gefallen ließ. Wieviel nachher die Rechnung betrug, das weiß ich nicht zu sagen – ich weiß überhaupt von dieser ganzen wüsten Orgie nichts mehr zu sagen, als daß ich am anderen Morgen auf der Pritsche einer Polizeiwachtstube erwachte! Und als ich meine Barschaft zählte, da betrug sie noch sechs Mark und fünfundsechzig Pfennige. Ich kaufte mir für fünf Mark antiquarisch den Spinoza, den ich schon lange gern besessen hätte – und damit zog ich mich, weltentfremdet, in meine Klause zurück. Doch allein war ich nicht – denn unter dem Bett hervor stierten mich die feurigen Augen eines ungeheuren Katers an. Oh, dieser Kater. Ich sah nie seinesgleichen. Lassen Sie mich schweigen davon!

Da ich mich von meinen neuen Kleidern nicht sogleich wieder zu trennen vermochte und doch etwas Geld zum Leben haben mußte, so verfaßte ich ein paar kleine Aufsätze – haarsträubend pessimistisch, wie Sie sich denken können! Und damit ging ich dann hausieren bei den Redaktionen. Oh, es war ein tiefer Sturz in finstere Nacht, nachdem ich einen Tag lang auf der Menschheit lichten Höhen gewandelt war. Und das Schlimmste war: meine Heloise schrieb nicht mehr! Sie hatte mich gewiß aufgegeben, seit ich ihr Vertrauen so schmählich getäuscht. Vielleicht hatte sie mich gar selbst mit dem Landauer des freundlichen Grafen, Viere lang, mit einem gallonierten Lakaien auf dem Bocke, am Bahnhof erwartet. Und ich elender Abälard hatte nicht einmal abdepeschiertl Noch niemals im Leben war ich mit der Welt und mit mir selbst so unzufrieden gewesen. – Wozu hatte ich nur ein Vollbad genommen, da sie mir nun doch verloren war. – Es war mir nicht gelungen, für irgendeinen meiner Aufsätze einen kleinen Vorschuß zu erhalten. Es blieb mir also nichts anderes übrig, als wieder in meine alte Haut zurückzufahren und mein Löwenfell sukzessive zum Trödler zu tragen. Ich breitete meine ganze Aussteuer vor mir aus, die schöne weiße und wollene Wäsche, den Reisekoffer, die pikfeinen Toilettengerätschaften, den hechtgrauen Paletot, den Bratenrock mit der weißen Piquéweste und der papageigrün gestreiften Hose und endlich den billigen, aber noch hochanständigen Reiseanzug. Nach längerer Überlegung packte ich diesen letzteren in den Reisekoffer, da der Gesellschaftsanzug mir doch von größerem Werte schien, um mich bei den Redaktionen in Respekt zu setzen. Zur Sicherheit, falls der Reiseanzug zu schlecht bezahlt wurde, nahm ich noch den Paletot über den Arm, und so trat ich auf die Straße hinaus. Wie ich nun beim Schlesischen Bahnhof vorbeikomme, renne ich – wem in die Arme? Natürlich meinem lieben Freunde Joelsohn! – »Mensch, wo kommen Sie her?« schreit mich der an. »Von Kluczewo? Verlobt?« – Was half mir alles Sträuben, die Wahrheit mußte ja schließlich doch an den Tag kommen! Ich gestand ihm also alles. – Na, die Strafpredigt, die mir mein Freund hielt, werden Sie sich ungefähr vorstellen können! Aber wenn Sie meinen, daß er nun etwa gesagt hätte: Fahre hin! Ich rühre keinen Finger mehr für dich, ewig verlorenes Lieb! dann irren Sie sich. O nein, so leicht ist Joelsohn nicht loszuwerden! Er schleppte mich mit sich zum Essen, pumpte mir zehn Mark, und nahm mir das Versprechen ab, ohne sein Wissen nichts von meiner neuen Garderobe zu versetzen.

»Fünf Tage später tritt er des Morgens in aller Frühe in mein Zimmer, heißt mich mit der strengen Amtsmiene eines Kriminalpolizisten aufstehen, mich waschen, ein reines Hemd anlegen, meinen grauen Anzug anziehen und meinen Koffer packen. Dann schleppt er mich gewaltsam auf die Straße hinaus und nach dem Schlesischen Bahnhof. – Alles ohne ein Wort der Erklärung. Dort löste er mir eine Fahrkarte dritter Klasse nach Tarnowitz, und händigt mir noch fünf Mark bar ein, wovon ich mir in Tarnowitz ein Billett zweiter Klasse nehmen sollte, nach der an der polnischen Grenze belegenen Station für Kluczewo. – Er hatte dem Grafen die ganze Wahrheit geschrieben, worauf dieser Menschenfreund noch einmal das Reisegeld zweiter Klasse eingesandt hatte, mit der Bedingung, daß ich nichts davon in die Hand bekommen sollte. Von der Ersparnis durch die dritte Klasse zog er sich seine zehn Mark ab, das übrige wollte er mir per Postanweisung nachschicken, sobald er hörte, daß ich leibhaftig in Kluczewo angekommen sei. – Und denken Sie sich, ich reiste wirklich, ich langte lebendig an der Endstation um halb zwölf des Nachts an und wurde in einer geschlossenen Kutsche, allerdings nur mit zwei Pferden davor, aber mit einem unheimlich imposanten Kutscher und einem niederträchtig vornehmen Livreebedienten auf dem Bocke, auf das stolze Grafenschloß befördert. In rasender Geschwindigkeit ging es auf holprigen Landwegen durch die Nacht. Das mächtige Herrenhaus lag finster und schweigend da, als man mich vor der Freitreppe absetzte. Die Herrschaften waren alle schon zu Bett gegangen. Man ging hier früh zu Bett und stand früh auf. Weiter erfuhr ich vorläufig nichts von den Hausbewohnern. Ein leise auftretender Diener geleitete mich schweigend in mein Schlafgemach, und ich schlich mit Herzklopfen und auf Zehenspitzen hinter ihm her. »Befehlen Sie vielleicht noch warmes Wasser zum Waschen?« fragte der Mann mit ernster Miene. Und als ich ziemlich verwirrt und erschrocken verneint, wünschte er mir gute Nacht und ließ mich in meinem prächtigen Schlafgemach allein. Prächtig, sage ich, obwohl es nur ein einfaches, kleines Zimmer war, ohne jeden Prunk; dennoch hatte ich noch nie im Leben so vornehm gewohnt. Dieses mit Blumen bemalte Waschgeschirr von mächtigen Dimensionen, dieses Bett mit seinen feinen Bezügen, so schneeig weiß und eisglatt geplättet, daß mich bei dem Anblick fröstelte! Aber ich war jämmerlich müde von der langen, anstrengenden Reise, ich zog mich hastig aus und legte mich nieder. Hu, war das kalt! Mir klapperten die Knochen wie ein Mühlwerk. Denn ich hatte nur eine dünne Steppdecke zum Zudecken, außen Atlas und innen frisch gewaschene Leinwand. Oh, wie sehnte ich mich nach den galizischen Gänsedaunen meiner Mutter! Das entsetzliche Vollbad war noch nicht lange genug her, als daß ich mich in meiner Haut schon hätte wohlfühlen können. So kam es, daß ich trotz meiner Müdigkeit erst sehr spät einschlief.

Am andern Morgen erwachte ich von einem seltsamen Geräusch in meinem Zimmer. Und als ich blinzelnd die Augenlider hob, erkannte ich den Diener von gestern abend, der damit beschäftigt war, eine große Wachstuchdecke mitten auf dem Fußboden auszubreiten und sodann ein unförmliches, riesiges Blechgefäß hereinschleppte und mitten auf die Wachstuchdecke stellte. Dann bemächtigte er sich meines Anzuges und meiner Stiefeln und schlich damit hinaus. Ich begann ein wenig ängstlich und infolgedessen ganz munter zu werden. Ich muß gestehen, ich war sehr neugierig, was sich nun noch alles ereignen sollte. Es dauerte eine ziemlich lange Zeit, ehe der Diener wieder erschien. Gott sei Dank, er brachte mir meinen Anzug wieder, legte die einzelnen Bestandteile in weiser Berechnung der Reihenfolge, in welcher man sie benutzt, über einen Stuhl und stellte die Stiefel, die Hacken zusammen und die Spitzen nach auswärts, davor auf den Teppich. Durch den herzförmigen Ausschnitt im Fensterladen fiel ein Sonnenstrahl gerade auf die Spitze des linken Stiefels. Ich wandte geblendet die Augen ab – noch nie hatten sie derartig blankgewichste Stiefel erschaut. Der Diener war durch meine Bewegung aufmerksam geworden und bemerkte, daß ich nicht mehr schlief. Sofort nahm er eine militärische Haltung an und fragte mit derselben leisen Stimme und derselben ernsten Miene, wie am Abend vorher: »Befehlen Sie vielleicht warmes Wasser zum Waschen?« – »Ja, bitte sehr, wenn Sie so freundlich sein wollen.« Denn warmes Wasser ist ja doch etwas ganz Angenehmes und benahm mir die Furcht, mich nach dieser frostigen Nacht durch die Morgenwäsche abermals der Gefahr einer Erkältung auszusetzen. Der Mann verschwand und kehrte nach wenigen Minuten zurück, in der einen Hand eine Blechkanne mit Deckel und der englischen Aufschrift: Hot water, in der andern einen großen Eimer, den er, als sei das die selbstverständlichste Sache von der Welt, auf die Wachstuchdecke neben dem rätselhaften Blechzober niederstellte. Darauf blickte er mich erwartungsvoll an, ich ihn desgleichen. Worauf, zum Teufel, mochte der Mann wohl warten! Ich ließ ihm Zeit, seine etwaigen Wünsche zu äußern. Da er aber beharrlich schwieg, so raffte ich mich endlich auf und nickte ihm lächelnd zu: »Bitte, ich möchte jetzt aufstehen.«

Meine Freundlichkeit tat ihm offenbar wohl, diesem in Dressur erstarrten Sklaven. Denn auch sein glattrasiertes Gesicht verzog sich jetzt zu einem Lächeln, und er versetzte in entschieden wärmerem Tone: »Bitte gehorsamst, sich nicht zu genieren, Herr Doktor! Der Herr Graf und unsere Damen lassen sich jeden Morgen einen Eimer kalt Wasser über den Kopf gießen, und Herr Graf haben mir befohlen, mich Ihnen zur Verfügung zu stellen.« – Einen Eimer kalt Wasser über den Kopf! Nein, da hörte denn doch wirklich die Gemütlichkeit auf! So was Verrücktes war mir denn doch noch mein Lebtag nicht vorgekommen! Und ich lehnte, energisch dankend, ab. – »Vielleicht sind der Herr Doktor eine Zimmerdouche gewöhnt? Die haben wir auch. Wenn Sie sich eine Viertelstunde gedulden wollen, sie steht auf dem Boden.« – »Ich muß auch dafür danken,« versetzte ich, nun schon etwas gereizt. »Ich bin stark erkältet und kann so was heute nicht riskieren.« – »Oh, der Herr Doktor können auch ein warmes Vollbad bekommen; aber das dauert allerdings ein kleines Stündchen, bis es fertig ist, und die Herrschaften sitzen schon beim Frühstückstisch.« – »Was, schon so spät!« rief ich erleichtert aus. »Dann muß ich allerdings für heute verzichten.« – Jetzt entfernte sich endlich mein dienstbeflissener Quälgeist, und ich konnte ungeniert Toilette machen. Nein, dieser Reinlichkeitsfanatismus. Sie glauben es gar nicht! Da hingen an dem Riegel ein dünnes, feines, ein gröberes, rotbesticktes und ein türkisches Frottierhandtuch und daneben über einem besonderen Ständer auch noch ein Badelaken. Ich kann Sie versichern, daß ich mich wusch, so gründlich wie lange nicht, obschon ich ja vor kaum zehn Tagen erst ein warmes Vollbad genommen hatte! Aber dennoch färbte von dem verwünschten Eisenbahnruß noch etwas auf das schöne, weiße Handtuch ab, was mich höchlichst betrübte – denn was sollte mein Kammerdiener von mir denken, wenn er gleich am ersten Morgen mein Handtuch in diesem Zustande fand! Ich machte mich also daran, nunmehr dieses Wäschestück in integrum zu restituieren. Wasser hatte ich ja genug dazu – Herrgott, ich hätte mich bequem darin ertränken können! Freilich ging mit allen diesen ungewöhnlichen Manipulationen viel Zeit verloren, und so kam es, daß ich endlich gegen neun Uhr so weit war, daß ich den Herrschaften meine Aufwartung machen konnte.

»Mir zu Gefallen waren sie noch bis jetzt im Frühstückszimmer sitzengeblieben. Sie mochten wohl auf den Abälard ebenso neugierig sein, wie ich auf die Heloise. Ich stotterte einige Entschuldigungen über mein Zuspätkommen, die mir der Graf auf die liebenswürdigste Weise abschnitt, um mir alsdann seine Frau, seine drei Töchter, im Alter von zweiundzwanzig bis siebzehn Jahren, und endlich Fräulein Gabriele vorzustellen: unsere liebe Freundin und einstige Erzieherin unserer Kinder, wie er sich ausdrückte. – Das war sie also! Ja, wie soll ich sie Ihnen beschreiben? Ich verstehe von Weibern nicht viel. Man sagt, daß die schönsten gewöhnlich die dümmsten wären. Und diesen Grundsatz umkehrend, hatte ich es gar nicht anders erwartet, als daß meine superkluge Heloise ein ganz ungewöhnlich garstiges Frauenzimmer sein werde. Aber nein, das war sie gar nicht. Sie war einen Kopf größer als ich, gut gewachsen, sehr nett und einfach gekleidet und meinem Geschmack nach geradezu hübsch und dabei noch gar nicht einmal alt. Ich taxierte sie auf höchstens hoch in den achtunddreißig, so praeter propter zehn Jahre älter als mich selbst. – Na, wenn die mich haben will, mit Vergnügen! Das war mein erster Gedanke. Meinem Scharfblick wollte es zwar erscheinen, als ob sie beim ersten Anblick meiner zufälligen Erscheinungsform einen gelinden Schreck gekriegt hätte. Aber als man uns dann allein ließ, und wir in höchst tiefsinnigen und erbaulichen Gesprächen den Park durchwandelten, da glaubte ich bald zu bemerken, daß ich wieder geistig zu wirken begann. Sie sah mich mit immer freundlicheren Augen an und ich desgleichen, dieweil ich zu meiner großen Freude erkannte, daß sie nicht nur schriftlich, sondern auch mündlich ein ganz famoser Kerl sei. Ich glaube wirklich, ungefähr so, wie mir damals, muß es einem zumute sein, der in ein ganz gewöhnliches Frauenzimmer verliebt ist.«

Hier machte Nobert Biener in seiner lebhaft und anschaulich vorgetragenen Erzählung eine Pause und starrte mit einer gewissen hämischen Wehmut vor sich hin auf sein leeres Teeglas.

»Darf ich nicht noch ein Glas für Sie bestellen?« unterbrach ich sein Sinnen. Und dann, als er dies Anerbieten dankend angenommen hatte, fügte ich hinzu: »Na – und – Sie haben sie nicht geheiratet?«

Er seufzte tief auf, kratzte eine ganze Minute lang auf das grausamste auf seinem interessanten Schädel herum, und dann fuhr er endlich düster fort: »Es war alles so nett – es hätte so hübsch werden können! Auch der Graf ein so wohlmeinender Herr, so ein rosiger Graukopf mit fabelhaft wohlgepflegten Händen, und die Komtessen schöne, große, gutgenährte junge Damen – aber die ganze Familie duftete dermaßen nach Seife, daß man ganz übel werden konnte; auch Fräulein Gabriele – Gott sei's geklagt! Und dann hatten sie eine Manier, einem hinter die Ohren zu gucken und auf die Hände und dann schamhaft zu erröten, wenn sie irgend etwas Ungehöriges entdeckt zu haben glaubten, einen schmalen Trauerrand unter den Nägeln oder dergleichen. Es war zum Auswachsen! Die jungen Mädchen hatten außerdem noch die unangenehme Eigenschaft, sich fortwährend zuzublinzeln oder gar anzustoßen, wenn ich bei Tische irgendein Verbrechen beging, das Gemüse mit dem Messer zu Munde führte, den Fisch schnitt oder den Zucker mit den Fingern nahm. Ich gab mir zwar alle mögliche Mühe, ihnen ihre albernen, gezierten Manieren beim Essen und Trinken abzugucken, obwohl solche Dummheiten eigentlich eines Philosophen unwürdig sind; aber das half alles nichts. Ich habe zu wenig Talent zum Affen! – Am Abend pflegte dann Fräulein Gabriele oder eine von den Komtessen etwas Französisches oder Englisches vorzulesen. Natürlich kann ich Englisch und Französisch – ich lese jedes Buch. Aber wenn diese Damen vorlasen, verstand ich kein Wort, solch eine verrückte Aussprache hatten sie. Das war mir natürlich einigermaßen unangenehm. Aber ich hätte mich gern über solche Kleinigkeiten hinweggesetzt, wenn mich nicht auf Schritt und Tritt diese verwünschte Reinlichkeitsmanie verfolgt hätte. Morgens, mittags und abends hieß es: ›Befehlen Sie nicht vielleicht warmes Wasser zum Waschen?‹ oder: ›Sie werden sich gewiß ein wenig zurückziehen wollen, Herr Doktor, um etwas Toilette zu machen?‹ oder ›Schwimmen Sie nicht? Wir haben kaum ein Stündchen von hier einen sehr hübsch tiefen See‹ und so weiter und so weiter.

Am zweiten Morgen weckte mich der Diener, um mir zu sagen, daß das gewünschte warme Bad bereit sei. Es half mir nichts, ich mußte hinein. Stellen Sie sich vor: innerhalb vierzehn Tagen zweimal! Und außerdem mußte ich mich doch noch täglich waschen; denn ich mußte fürchten, daß der Diener es dem Grafen hinterbringen würde, wenn das viele, viele Wasser unbenutzt blieb. Am dritten und am vierten Tage polterte der Kerl auch richtig wieder mit seiner großen Sitzwanne herein und erkundigte sich immer eindringlicher, ob ich auch heute noch kein kaltes Bad vertragen könnte. Es war, um aus der Haut zu fahren, wenn ich mir nicht schon wie aus der Haut gefahren vorgekommen wäre!

Hatte ich bisher noch eine leise Hoffnung gehabt, daß diese Wasserwut ein Erbübel der gräflichen Familie, und meine Heloise als Philosophin über ein so kleinliches Vorurteil erhaben sei, so schwand auch die, als ich eines Tages mit der Frau Gräfin allein blieb, und sie mir Fräulein Gabrieles Lob in allen Tonarten zu singen begann. Und da erfuhr ich denn zu meiner schmerzlichen Überraschung, daß gerade sie es gewesen war, welche die Reinlichkeit als vornehmstes Erziehungsprinzip aufgestellt und damit diese sichtbaren, außerordentlichen Erfolge erzielt hatte. Sie glaubte auch an Jägers Seelentheorie und behauptete, einem jeden Menschen seine sämtlichen Tugenden und Laster anriechen zu können. Ein so gescheites Weib – unfaßlich! Und am fünften Tage meiner Anwesenheit nimmt mich der wackere Graf mit sich in sein Zimmer, bietet mir eine vorzügliche Zigarre an und eröffnet mir darauf folgendes: Fräulein Gabriele habe an meinem Geiste ein so großes Gefallen gefunden, daß sie sich wohl entschließen würde, über den Mangel auffallender Körperschönheit hinwegzusehen. Sie habe sich immer nichts Besseres gewünscht, als einmal die Gattin eines stillen Gelehrten zu werden, dessen Lebensarbeit sie bei ihrem reichen Wissen zu folgen und vielleicht gar zu fördern imstande wäre. Sie kenne meine dürftige Lage und sei bereit, das Ihrige mit mir zu teilen. Sie habe sich in den achtzehn Jahren, die sie in seinem Hause zugebracht, ein ganz hübsches Sümmchen gespart und außerdem noch eine ganz angenehme Erbschaft gemacht, so daß wir zwei bei bescheidenen Ansprüchen wohl damit unser Auskommen hätten, zumal wenn wir beide noch durch Schriftstellerei etwas verdienten. – So weit war alles sehr schön, und mir war so selig zumute, als hätte ich das große Los gezogen. Aber nun kam das große Aber. Der Graf fuhr fort: »Fräulein Gabriele ist nur in einem Punkte etwas eigen – Sie gestatten mir, ganz offen zu reden. Sie hat mich natürlich nicht beauftragt, Ihnen das zu sagen; aber sie hat mit meinen Damen davon gesprochen, und auf diesem Umwege habe ich es wieder erfahren. Also ganz unter uns Männern, sans gêne et compliment: sie hat nämlich eine sehr feine Nase, Fräulein Gabriele, und da glaubt sie zu bemerken . . . da fürchtet sie gewissermaßen, ah, wie soll ich mich ausdrücken? – ich meine – das heißt sie meint: Sie wären vielleicht ein wenig – wasserscheu! Nun, mein Gott ja, hehe – es ist eben nicht jedem Menschen angeboren – und Sie haben ja auch nicht Fräulein Gabriele zur Gouvernante gehabt. Aber glauben Sie mir, es ist riesig gesund, es hält Leib und Seele zusammen – zum Beispiel diese kalten Abreibungen morgens. Mein Diener sagte mir, Sie hätten seine Hilfeleistung bisher verschmäht – das sollten Sie wirklich nicht tun, mein lieber Herr Doktor!« Und dann erzählte er mir eine lange Geschichte von seinen vergangenen Leiden und wie alle gewichen seien, seit er auf Fräulein Gabrieles Betreiben sich die täglichen Sturzbäder angewöhnt hätte. Und zum Schluß nahm er mir das Versprechen ab, daß ich von morgen an auch damit beginnen wolle. Unter dieser Voraussetzung dürfe ich sicher darauf rechnen, daß mir meine Heloise ihre schöne, weißgewaschene Hand nicht versagen werde. – Können Sie sich meine Aufregung vorstellen! Die ganze Nacht durch tat ich kaum ein Auge zu und fror mehr denn je unter der dünnen Steppdecke.

Ich lag schon seit einer halben Stunde wach und klapperte in banger Erwartung mit den Zähnen, als der grimme Friedrich mit seinen Marterwerkzeugen in mein dämmeriges Gemach hineinschlich. Ganz leise rollte er die Wachstuchdecke auf, postierte den Blechzuber genau in die Mitte und den Wassereimer rechts daneben. Dann trat er an mein Bett heran und räusperte sich. Vergeblich versuchte ich, mich schlafend zu stellen, um die Exekution noch ein wenig hinauszuschieben. Er hatte mich vorher schon blinzeln sehen und sagte nun mit eisiger Ruhe: »Herr Graf haben angeordnet, daß der Herr Doktor heute doch ein kaltes Bad wünschen« – »Jawohl, lebhaft!« schrie ich ihn an und fahre mit dem Mute der Verzweiflung mit beiden Beinen gleichzeitig aus dem Bette. Was tut man nicht, um ein Weib mit Geist und Vermögen zu erringen! – Ein Ruck, und hüllenlos war das zerbrechliche Gefäß meines Geistes den Augen dieses Sklaven preisgegeben. Sind diese Aristokraten nicht eine schamlose Gesellschaft, denen so was zur täglichen Gewohnheit werden kann? Ich biß die Zähne aufeinander und nahm in dem weißen Zuber Platz. Kaum aber hatte mein Körperliches den kalten Blechboden berührt, da schoß auch schon der eisige Wasserfall über mein Haupt hinweg. Der Atem verging mir, das Herz trat mir in die Kehle, und alle meine Muskeln kontrahierten sich so plötzlich, daß ich, wie von einer gewaltigen Feder emporgeschleudert, aus der Wanne herausflog. Ich wollte um Hilfe schreien, aber die Stimme versagte mir. Ich wollte fliehen, hinaus in die Wälder, über die russische Grenze vielleicht, wo es doch noch fühlende Menschen gibt. Aber der Friedrich, dieses Ungeheuer, hielt mich fest, wickelte mich in das Frottiertuch ein und schrubbte mich ab mit der Erbarmungslosigkeit einer Köchin, die einen Aal bei lebendigem Leibe schindet. Ich war fertig, hin, schachmatt – aber mein Entschluß war gefaßt. Nie wieder – und könnte ich mir dadurch eine königliche Prinzessin zur Gemahlin erwerben! An allen Gliedern zitternd, kroch ich in meine Kleider hinein, und dann hinaus, fort aus diesem unheimlichen Hause, auf Nimmerwiedersehen! Dem frech grinsenden Friedrich, der mir im Garten begegnete, rief ich zu, ich wollte vor dem Frühstück noch einen kleinen Spaziergang machen. Und dann, als ob der Tod mit der Hippe hinter mir her wäre, nach dem Bahnhof. Am Tage vorher hatte mir Joelsohn glücklicherweise den Rest von dem Reisegelde geschickt. Es langte gerade noch zu einem Billett vierter Klasse bis nach Berlin. Ich kann Ihnen sagen, ich dankte meinem Schöpfer, als ich wieder in meinen kahlen vier Wänden saß!« – –

»Alle Wetter!« sagte ich, nachdem ich mich einigermaßen gefaßt hatte. »Man sollte es nicht glauben, daß es dergleichen noch gibt. Sie sind ja ein Idealist . . . o verzeihen Sie, beinahe hätte ich gesagt: vom reinsten Wasser!«

Dieses ist die wahrheitsgetreue Geschichte des Reb Obertiner, genannt Robert Biener, so wie er sie mir geschenkt hat.



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