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Friedrich Wilhelm, König von Preußen, vermählte sich als Kronprinz im Jahre 1706 mit Sophie Dorothea von Hannover. Sein Vater, König Friedrich I., hatte ihm die Wahl zwischen drei Prinzessinnen gelassen: der Prinzessin von Schweden, Schwester Karls XII., der Prinzessin von Sachsen-Zeitz und der Prinzessin von Oranien, Nichte des Fürsten von Anhalt. Dieser Fürst, der sich stets der innigsten Zuneigung des Kronprinzen erfreut hatte, glaubte nicht anders, als daß seine Nichte die Erkorene sein würde. Allein das Herz des Kronprinzen war für die Reize der Prinzessin von Hannover entflammt; er schlug jene drei Partien aus und wußte durch seine Bitten und Intrigen die Einwilligung seines königlichen Vaters zu dieser Ehe zu erlangen.
Ich muß einiges über den Charakter der Hauptpersonen am damaligen Hofe zu Berlin vorausschicken, und besonders über den des Kronprinzen. Dieser Prinz, dessen Erziehung dem Grafen Dohna anvertraut worden war, besitzt alle Eigenschaften, die einen großen Menschen kennzeichnen. Sein Geist ist edel und befähigt ihn zu den größten Taten; er hat eine leichte Auffassungsgabe, viel Urteilskraft und Fleiß und natürliche Güte; von seiner frühesten Jugend an bezeigte er stets eine entschiedene Vorliebe für das Militär; es war seine größte Leidenschaft, und er hat sie vollauf gerechtfertigt, indem er seine Armee in so vortrefflichen Stand setzte. Sein Temperament ist lebhaft und aufbrausend und hat ihn oft zu Gewalttätigkeiten hingerissen, die ihm später die heftigste Reue verursachten. Er neigte mehr zur Gerechtigkeit als zur Milde. Sein Hängen am Gelde war derart, daß man ihn einen Geizhals gescholten hat. Doch kann ihm dies Laster nur betreffs seiner selbst und seiner Familie vorgeworfen werden. Denn seine Günstlinge und die, welche ihm treu gedient hatten, überschüttete er mit Wohltaten.
Die wohltätigen Stiftungen und die Kirchen, die er errichtete, zeugten für seine Frömmigkeit; sie grenzte an Bigotterie. Er liebte weder Pomp noch Luxus. Er war mißtrauisch, eifersüchtig und oft falsch. Sein Erzieher hatte sichs angelegen sein lassen, ihn zur Verachtung des weiblichen Geschlechts anzuhalten. Er hatte eine so schlechte Meinung von allen Frauen, daß seine Vorurteile der Kronprinzessin, auf die er maßlos eifersüchtig war, viel Kümmernisse bereiteten.
Der Fürst von Anhalt darf als einer der größten Feldherren dieses Jahrhunderts gelten. In allen kriegerischen Dingen sehr erfahren, zeigt er sich auch in anderen Angelegenheiten außerordentlich gewandt. Sein brutales Aussehen ist furchterweckend, und seine Physiognomie entspricht seinem Charakter. In seinem maßlosen Ehrgeiz ist er aller Gewalttaten fähig, um zum Ziele zu gelangen. Er ist seinen Freunden treu, aber ein unversöhnlicher Feind und rachsüchtig bis aufs äußerste jenen gegenüber, die so unglücklich waren, sich seinen Zorn zuzuziehen. Er ist falsch und grausam, jedoch gebildet und angenehm im Verkehr, wenn es ihm beliebt.
Herr von Grumbkow gehört wohl zu den befähigtesten Ministern, die es seit langem gegeben hat; er ist sehr höflich, geistreich und redegewandt; er ist gebildet und schmiegsam und gefällt vor allem durch seine unerbittliche Spottlust, die ja in unserem Jahrhundert besonders geschätzt wird. Er weiß sich zugleich ernst und angenehm zu zeigen. All diese schönen Außenseiten verbergen ein tückisches, eigennütziges und verräterisches Herz. Sein Privatleben ist ein denkbar ungeregeltes, sein ganzer Charakter nur ein Gewebe von Lastern, die ihn zum Abscheu aller anständigen Leute gemacht haben.
Derart waren die zwei Günstlinge des Kronprinzen. Da beide intelligent und dabei eng befreundet waren, läßt sich leicht denken, daß sie sehr wohl einen verderblichen Einfluß auf das Herz eines jungen Prinzen ausüben, ja einen ganzen Staat umwälzen konnten. Ihren Plan, selbst zu regieren, sahen sie durch die Heirat des Kronprinzen vereitelt. Der Fürst von Anhalt konnte es der Kronprinzessin nicht verzeihen, daß sie den Sieg über seine Nichte davongetragen hatte. Er fürchtete, daß sie auf das Herz ihres Gemahls allen Einfluß gewinne; und um es zu verhindern, suchte er Zwietracht zwischen ihnen zu säen und machte sich den Hang des Kronprinzen zur Eifersucht zunutze, indem er sie auf seine Gemahlin zu lenken wußte. Die arme Fürstin litt unsäglich unter den Ausbrüchen des Kronprinzen; und ob sie noch so viele Beweise ihrer Tugend an den Tag legte, so vermochte sie doch durch Geduld allein ihn endlich von den Argwohn abzubringen, den man ihm eingeflößt hatte.
Die Prinzessin wurde inzwischen schwanger und genas im Jahre 1707 eines Sohnes. Der Jubel über dies Ereignis wandelte sich bald in Trauer, denn der Prinz starb ein Jahr darauf. Eine zweite Schwangerschaft rief wieder die Hoffnungen des ganzen Landes wach. Die Kronprinzessin gebar am 3. Juli 1709 eine Prinzessin, die sehr ungnädig empfangen wurde, da alles leidenschaftlich einen Prinzen wünschte. Diese Tochter ist meine Wenigkeit. Ich erblickte das Licht zur Zeit, als die Könige von Dänemark und Polen in Potsdam waren, um den Bundesvertrag wider Karl XII. von Schweden zu unterzeichnen und die Wirren in Polen beizulegen. Diese beiden Monarchen und der König, mein Großvater, waren meine Paten und bei meiner Taufe zugegen, die mit großem Pomp und viel Pracht und Zeremoniell vor sich ging. Man nannte mich Friederike Sophie Wilhelmine.
Der König, mein Großvater, gewann mich bald sehr lieb. Mit eineinhalb Jahren war ich den andern Kindern weit voraus, sprach verständlich deutlich, und mit zwei Jahren ging ich ganz allein. Die Possen, die ich trieb, machten diesem guten Fürsten Spaß, und er unterhielt sich ganze Tage lang mit mir.
Im folgenden Jahre gebar die Kronprinzessin wieder einen Prinzen, der ihr auch wieder entrissen wurde. Eine vierte Schwangerschaft führte im Januar des Jahres 1712 zur Geburt eines dritten Prinzen, der Friedrich genannt wurde. Man übergab uns, meinen Bruder und mich, der Pflege der Frau von Kamecke, Gemahlin des Oberhofmeisters des Königs, seines großen Günstlings. Als aber kurz darauf die Kronprinzessin zum Besuch ihres kurfürstlichen Vaters nach Hannover reiste, wurde ihr von Frau von Kielmannsegge, späteren Lady Arlington, deren Gesellschaftsdame als meine Erzieherin empfohlen. Diese hieß Leti und war die Tochter eines italienischen Mönches, der aus seinem Kloster entflohen war und sich in Holland niedergelassen hatte, wo er den katholischen Glauben abgeschworen; seine Feder verhalf ihm zu einem Unterhalt. Er verfaßte die Geschichte von Brandenburg, die vielfach kritisiert wurde, und schrieb das Leben Karls V. und Philipps II.
Seine Tochter hatte sich durch Zeitungskorrekturen ihr Brot verdient. Ihr Geist wie ihr Herz waren italienisch, das heißt sehr lebhaft, sehr schmiegsam und sehr schwarz. Sie war eigennützig, hochfahrend und heftig. Ihre Sitten verleugneten ihre Herkunft nicht, ihre Koketterie zog viele Liebhaber an, die sie nicht vergebens schmachten ließ. Ihre Manieren waren holländisch, das heißt sehr grob; aber sie wußte diese Fehler hinter so schönen Außenseiten zu verbergen, daß sie alle bezauberte, die sie sahen. Die Kronprinzessin ließ sich wie die anderen von ihr blenden und beschloß, sie bei mir als Fräulein anzustellen, jedoch mit der Vergünstigung, mich überallhin begleiten und an meinem Tische essen zu dürfen.
Der Kronprinz hatte seine Gemahlin nach Hannover begleitet. Die Kurprinzessin hatte dort im Jahre 1707 einen Prinzen geboren. Da unsere Jahre sich entsprachen, wollten unsere Eltern die Bande ihrer eigenen Freundschaft befestigen, indem sie uns füreinander bestimmten. Mein kleiner Liebhaber fing sogar damals schon an, mir Geschenke zu schicken, und es verging keine Post, wo sich die beiden Fürstinnen nicht über die zukünftige Vereinigung ihrer Kinder unterhielten. Schon seit einiger Zeit hatte mein Großvater, der König, zu kränkeln angefangen; man hoffte von einer Zeit zur andern, daß seine Gesundheit sich wiederherstellen würde, allein sein äußerst schwacher Organismus vermochte der Schwindsucht nicht lange standzuhalten. Er starb im Februar der Jahres 1713. Als man ihm seinen Tod ankündigte, fügte er sich mit männlicher Resignation in den Ratschluß der Vorsehung. Und als er sein Ende nahen fühlte, nahm er Abschied vom Kronprinzen und von der Kronprinzessin und legte ihnen das Wohl des Landes und seiner Untertanen ans Herz. Er ließ sodann meinen Bruder und mich zu sich rufen und erteilte uns seinen Segen um acht Uhr abends. Sein Tod erfolgte sehr bald nach dieser traurigen Zeremonie. Er verschied am 25., vom ganzen Königreich beklagt und betrauert.
Noch an demselben Tage ließ sich König Friedrich Wilhelm, sein Sohn, über den Bestand der Hofhaltung berichten und reformierte sie von Grund auf, mit der Einschränkung, daß vor der Beisetzung des Königs sich niemand entferne. Über die Pracht jener Trauerfeierlichkeiten will ich schweigen. Sie fanden erst nach einigen Monaten statt. Alles in Berlin nahm jetzt ein anderes Aussehen an. Die, welche bei dem neuen König in Gunst bleiben wollten, nahmen Säbel und Helm: alles wurde militärisch, und es verblieb keine Spur des früheren Hofes. Herr von Grumbkow übernahm die Staatsangelegenheiten und der Fürst von Anhalt die Verwaltung des Heeres. Diese beiden Persönlichkeiten eroberten sich das Vertrauen des jungen Monarchen und halfen ihm die Last der Geschäfte tragen. Das ganze erste Jahr wurde nur damit zugebracht, sie zu ordnen und die Finanzen zu regeln, die durch die beispiellose Verschwendung des verewigten Königs etwas zerrüttet waren.
Das folgende Jahr brachte ein neues Ereignis, das für den König und die Königin von großem Interesse war: den Tod der Königin Anna von England. Der Kurfürst von Hannover, durch die Enterbung des Prätendenten oder besser des Sohnes Jakobs II. ihr Nachfolger geworden, begab sich nach England, um den Thron zu besteigen. Der Kurprinz, sein Sohn, begleitete ihn und nahm den Titel Prinz von Wales an. Dieser ließ seinen Sohn, nunmehr Herzog von Gloucester, in Hannover zurück, da er ihn bei seinem zarten Alter nicht der Meerfahrt aussetzen wollte. Die Königin, meine Mutter, gebar um dieselbe Zeit eine Prinzessin, die den Namen Friederike Luise erhielt.
Mein Bruder zeigte sich indessen von sehr zarter Konstitution. Seine Schweigsamkeit wie sein Mangel an Lebhaftigkeit gaben zu berechtigten Besorgnissen für sein Leben Anlaß. Seine häufigen Erkrankungen begannen die Hoffnungen des Fürsten von Anhalt aufs neue zu beleben. Um seinen Einfluß zu befestigen und ihn zu vermehren, überredete er den König, mich seinem Neffen zur Frau zu geben. Dieser Prinz war ein rechter Vetter des Königs. Kurfürst Friedrich Wilhelm, beider Ahne, hatte zwei Frauen gehabt. Die Prinzessin von Oranien, seine erste Frau, schenkte ihm Friedrich I. und zwei Prinzen, die bald nach ihrer Geburt starben.
Die zweite Gemahlin, Herzogin von Holstein-Glücksburg, Witwe des Herzogs Karl Ludwig von Lüneburg, schenkte ihm fünf Prinzen und drei Prinzessinnen, nämlich Karl, der in Italien auf Befehl seines Bruders, des Königs, vergiftet wurde, Kasimir, der ebenfalls durch eine Prinzessin von Holstein vergiftet wurde, die er zu heiraten sich geweigert hatte, und die Prinzen Philipp, Albert und Ludwig. Der erste dieser drei Prinzen vermählte sich mit einer Prinzessin von Anhalt, Schwester des von mir geschilderten Fürsten. Sie schenkte ihm zwei Söhne und eine Tochter. Als der Markgraf Philipp starb, wurde sein ältester Sohn, der Markgraf von Schwedt, erster Prinz von königlichem Geblüt und nächststehender Thronerbe, falls die königliche Linie erlöschen sollte. In diesem Falle fielen alle Allodialländer und Freilehen mir zu. Da der König nur einen Sohn hatte, stellte ihm der Fürst von Anhalt, von Grumbkow unterstützt, vor, daß es aus politischen Gründen notwendig sei, mich mit seinem Vetter, dem Markgrafen von Schwedt, zu vermählen. Sie gaben vor, daß die zarte Gesundheit meines Bruders wenig Zuversicht für sein Leben gewähre und daß die Königin anfinge, so beleibt zu werden, daß sie schwerlich noch Kinder haben würde; daß der König beizeiten an die Erhaltung seiner Staaten denken müsse, die zerstückelt würden, wenn ich eine andere Partie einginge; und endlich, daß, falls er das Unglück haben sollte, meinen Bruder zu verlieren, sein Schwiegersohn und Nachfolger ihm an Sohnes Statt stehen würde.
Der König begnügte sich eine Zeitlang, ihnen unbestimmte Antworten zu geben; aber sie brachten es endlich zuwege, ihn zu Orgien zu verleiten, bei denen er, vom Weine erhitzt, ihren Forderungen nachgab. Es wurde sogar ausgemacht, daß der Markgraf von Schwedt nunmehr Zutritt zu mir haben solle und daß man auf alle erdenkliche Weise versuchen würde, eine Neigung zwischen uns zu erwecken. Die Leti, von der Anhaltschen Clique gewonnen, wurde nicht müde, mir unaufhörlich vom Markgrafen von Schwedt zu sprechen und ihn zu loben, immer mit dem Zusatz, er würde dermaleinst ein großer König und es wäre ein großes Glück für mich, wenn ich ihn heiraten könnte.
Dieser Prinz, im Jahre 1700 geboren, war sehr groß für sein Alter. Sein Gesicht ist schön, aber seine Physiognomie mitnichten einnehmend. Obwohl er erst fünfzehn Jahre zählte, zeigte sich schon sein böser Charakter, er war grausam und brutal, hatte rohe Manieren und niedrige Triebe. Ich hatte eine natürliche Abneigung gegen ihn und suchte ihm Streiche zu spielen und ihn zu erschrecken, denn er war ein Hasenfuß. Die Leti verstand hier keinen Spaß und strafte mich streng. Die Königin, welche den Zweck dieser Besuche nicht kannte, litt sie um so bereitwilliger, als ich auch die anderer Prinzen empfing und ihre Besuche bei meinem zarten Alter ohne irgendwelche Konsequenzen schienen. Trotz aller Bemühungen war es den beiden Günstlingen nicht gelungen, zwischen dem König und der Königin Zwietracht zu säen. Obwohl aber der König seine Gemahlin leidenschaftlich liebte, konnte er nicht umhin, sie unbillig zu behandeln, und ließ ihr keinerlei Anteil an staatlichen Dingen. Er verfuhr also, weil, wie er sagte, die Frauen in Zucht gehalten werden müßten, sonst tanzten sie ihren Männern auf der Nase herum.
Es blieb ihr jedoch nicht lange der Plan meiner Verheiratung verborgen. Der König vertraute ihn ihr an, und die Nachricht war für sie wie ein Donnerschlag. Ich muß hier eine Schilderung ihres Charakters und ihrer Person geben. Die Königin ist niemals schön gewesen, ihre Züge sind narbig und haben nichts Klassisches. Ihre Haut ist weiß, ihr Haar dunkelbraun, ihre Figur ist eine der schönsten, die es je gegeben hat. Ihre edle und majestätische Haltung flößt allen, die sie sehen, Ehrerbietung ein; ihre große Weltgewandtheit und ihr glänzender Geist deuten auf mehr Gründlichkeit, als ihr eigen ist. Sie hat ein gutes, großmütiges und mildreiches Herz; sie liebt die schönen Künste und die Wissenschaften, ohne sich allzusehr mit ihnen befaßt zu haben. Jeder hat seine Fehler, und sie ist nicht frei davon. Sie verkörpert allen Stolz und Hochmut ihres Hannoveranischen Hauses. Ihr Ehrgeiz ist maßlos, sie ist grenzenlos eifersüchtig, argwöhnischen und rachsüchtigen Gemütes und verzeiht nie, wo sie sich für beleidigt hält.
Das Bündnis mit England, das sie mittels der Heirat ihrer Kinder geplant hatte, lag ihr sehr am Herzen; sie hoffte, dadurch allmählich Einfluß auf den König zu gewinnen. Zudem suchte sie sich gegen die Ränke des Fürsten von Anhalt einen starken Rückhalt zu schaffen, und endlich strebte sie die Vormundschaft meines Bruders an, für den Fall, daß der König sterben sollte. Er war häufig unpaß, und man hatte der Königin versichert, daß er nicht mehr lange leben könnte.
Ungefähr um diese Zeit erfolgte die Kriegserklärung des Königs von Schweden. Die preußischen Truppen begannen im Monat Mai ihren Vormarsch nach Pommern, wo sie sich mit den dänischen und sächsischen Truppen vereinten. Der Feldzug wurde durch die Einnahme der Festung Wismar eröffnet. Die ganze vereinigte Armee, die sich auf 36 000 Mann belief, zog sodann auf Stralsund, um es zu belagern. Obwohl meine Mutter von neuem schwanger war, folgte sie meinem Vater auf diesem Feldzuge. Die Einzelheiten desselben will ich hier übergehen; er endete siegreich für meinen Vater, den König, der Herr über einen großen Teil von Schwedisch-Pommern wurde. Während der Abwesenheit meiner Mutter wurde ich ausschließlich der Obhut der Leti anvertraut; und der Frau von Roucoulles, die den König erzogen hatte, lag die Erziehung meines Bruders ob. Die Leti gab sich unendlich viel Mühe, um meinen Geist zu bilden; sie lehrte mich die Anfangsgründe der Geschichte und Geographie und suchte zugleich mir gute Manieren beizubringen. Die vielen Menschen, die ich sah, halfen dazu, daß ich bald weltgewandt wurde; ich war sehr lebhaft, und jeder unterhielt sich gerne mit mir.
Die Königin war bei ihrer Rückkunft über mein Aussehen sehr erfreut. Die Liebkosungen, mit welchen sie mich überhäufte, verursachten mir solche Freude, daß all mein Blut in Wallung geriet und ich von einem Blutsturz befallen wurde, der mich fast ins Jenseits befördert hätte. Ich erholte mich nur durch ein Wunder von diesem Unfall, der mich auf mehrere Wochen ans Bett fesselte. Kaum war ich genesen, als die Königin meine unerhört schnelle Auffassungsgabe ausnützen wollte; sie teilte mir verschiedene Lehrer zu, u. a. den berühmten La Croze, der sich durch seine Kenntnisse in der Geschichte, den orientalischen Sprachen und allen Gebieten des Altertums einen so großen Ruf erworben hatte. Ein Lehrer folgte dem andern; sie nahmen mich den ganzen Tag in Anspruch und ließen mir nur sehr wenig Zeit zur Erholung übrig. Obwohl fast alle Kavaliere zur Armee gehörten, wurde der Berliner Hof doch sehr gern von Fremden besucht, die sich zahlreich dort einfanden. Die Königin hielt in Abwesenheit des Königs jeden Abend Cercle. Der König befand sich zumeist in Potsdam, einer kleinen Stadt, die vier Meilen von Berlin entfernt liegt. Er lebte dort mehr als Edelmann denn als König; sein Tisch war auf das frugalste bestellt, es gab nur das Nötige. Seine Hauptbeschäftigung bestand darin, ein Regiment zu drillen, das er zu Lebzeiten Friedrichs I. zu bilden angefangen hatte und das aus sechs Fuß hohen Kolossen bestand. Alle regierenden Häupter Europas trugen bereitwillig zur Rekrutierung desselben bei. Man konnte dies Regiment den Gnadenkanal nennen; denn wer dem König große Soldaten zuführte oder verschaffte, der konnte von ihm verlangen, was er wollte. Nachmittags begab er sich auf die Jagd und verbrachte den Abend in der sogenannten Tabagie mit seinen Generalen.
Zu dieser Zeit befanden sich viele schwedische Offiziere in Berlin, die bei der Belagerung von Stralsund gefangen wurden. Einer dieser Offiziere, namens Cron, war durch seine astrologischen Kenntnisse sehr berühmt. Die Königin verlangte ihn zu sehen. Er weissagte ihr, sie würde von einer Prinzessin entbunden werden. Meinem Bruder weissagte er, daß er einer der größten Fürsten werden, viele Eroberungen machen und als Kaiser sterben würde. Meine Hand erwies sich nicht als so glücklich wie die meines Bruders. Er betrachtete sie lange und sagte kopfschüttelnd, daß mein Leben nur eine Kette widriger Schicksale sein würde, daß ich zwar von vier gekrönten Häuptern, denen Schwedens, Englands, Rußlands und Polens, zur Ehe begehrt, aber nie einen König heiraten würde. Diese Prophezeiung erfüllte sich, wie wir später sehen werden.
Ich kann nicht umhin, hier eine Anekdote zu berichten, die den Leser über Grumbkows Charakter aufklärt und, obwohl sie außer jeder Beziehung zu den Memoiren meines Lebens steht, ihn sicher unterhalten wird. Die Königin hatte unter ihren Damen ein Fräulein von Wagnitz, die um diese Zeit sehr bei ihr in Gunsten stand. Die Mutter dieses Fräuleins stand bei der Markgräfin Albert, der Tante des Königs, in Diensten. Frau von Wagnitz wußte sich mit einem Schein von Frömmigkeit zu umhüllen und führte dabei ein ganz skandalöses Leben. In ihrer Intrigensucht prostituierte sie sich und ihre Töchter an die Günstlinge des Königs und an einflußreiche Persönlichkeiten, so daß sie auf diese Weise die Staatsgeheimnisse erfuhr, welche sie alsbald an den französischen Gesandten Grafen von Rothenburg verkaufte.
Um ihre Ziele zu erreichen, verbündete sich Frau von Wagnitz mit Herrn Kreutz, einem Günstling des Königs. Dieser Mann war der Sohn eines Landvogtes. Vom Regimentsauditor stieg er zum Rang eines Finanzdirektors und Staatsministers auf. Seine Seele war so niedrig wie seine Geburt; er war ein Ausbund aller Laster. Obwohl sein Charakter große Ähnlichkeiten mit dem Grumbkows hatte, so waren die beiden dennoch geschworene Feinde, weil sie aufeinander eifersüchtig waren. Kreutz genoß die Gunst des Königs, weil er so große Sorge getragen hatte, die Schätze dieses Fürsten zu häufen und seine Einkünfte auf Kosten des armen Volkes zu vermehren. Er war von dem Plan der Wagnitz entzückt, der ganz seinen Absichten entsprach; indem er ihrer Tochter zu der Stellung einer Mätresse des Königs verhalf, sicherte er sich eine Stütze und konnte Grumbkow leicht in Ungnade bringen und allein Einfluß auf den König gewinnen. Er unterwies also die künftige Sultanin, wie sie sich zu verhalten habe, um zu siegen. Er hatte verschiedene Zusammenkünfte mit ihr, wobei er sich stark in sie verliebte. Er war mächtig reich. Die prachtvollen Geschenke, die er ihr gab, entwaffneten gar bald ihren Widerstand, ohne daß sie deshalb ihren eigentlichen Zweck aus dem Auge verlor. Kreutz hatte seine heimlichen Gewährsmänner beim König. Diese Elenden suchten durch mancherlei geschickt angebrachte Worte ihn von der Königin abzubringen. Man pries sogar die Schönheit der Wagnitz in seiner Gegenwart und pochte immer wieder darauf, wie glücklich doch der Mann zu nennen wäre, der ein so reizendes Wesen besitzen dürfte. Grumbkow, der überall seine Spione hatte, blieb nicht lange in Unkenntnis dieser Umtriebe. Er war ganz damit einverstanden, daß der König Mätressen hielt, doch wollte er derjenige sein, der sie ihm zuführte. Er beschloß daher, diese Intrige zu vereiteln und sich derselben Waffen zu bedienen, die Kreutz gewählt hatte, um ihn zu verderben. Die Wagnitz war engelschön, aber ihre Fähigkeiten waren nur untergeordnet. Sie hatte ein ebenso schlechtes Herz wie ihre Mutter, war schlecht erzogen und dabei von unerträglichem Hochmut. Ihre böse Zunge zeigte sich unerbittlich allen gegenüber, die das Unglück hatten, ihr zu mißfallen.
Es ist unnütz zu sagen, daß sie nur wenig Freunde besaß. Grumbkow, der sie ausspionieren ließ, erfuhr, daß sie lange Unterredungen mit Kreutz führte, die sich nicht immer um Staatsangelegenheiten drehten. Um Gewißheit zu erlangen, bediente er sich eines Küchenjungen, den er für aufgeweckt genug hielt, um die ihm zugedachte Rolle zu spielen. Er benützte die Zeit, während welcher der König und die Königin sich in Stralsund aufhielten, um seinen Plan ins Werk zu setzen. Eines Nachts, da alles im tiefen Schlaf lag, erhob sich im Schloß ein fürchterlicher Lärm. Alles glaubte, es sei Feuer ausgebrochen, und war nicht wenig überrascht, als es hieß, ein Gespenst habe den ganzen Lärm verursacht. Die Wachen, die vor meiner und meines Bruders Türe Posten standen, waren halbtot vor Schreck und sagten aus, sie hätten gesehen, wie dieses Gespenst der Galerie entlang glitt, welche zu den Gemächern der Hofdamen der Königin führte. Der diensthabende Gardeoffizier verstärkte erst die Posten vor unsern Türen und durchsuchte dann das ganze Schloß, ohne etwas zu finden. Sobald er sich jedoch wieder zurückgezogen hatte, erschien das Gespenst von neuem und erschreckte die Wachen so sehr, daß man sie ohnmächtig fand. Sie sagten, es sei der große Teufel, den die Zauberer aus Schweden sendeten, um den Kronprinzen umzubringen.
Am nächsten Tage war die ganze Stadt in Aufregung; man befürchtete irgendeine Nachstellung der Schweden, die mit Hilfe jenes Gespenstes wohl das Schloß in Brand stecken und meinen Bruder und mich entführen könnten. Man traf also alle Vorsichtsmaßregeln sowohl zu unserm Schutz, wie um das Gespenst zu erhaschen. Erst in der dritten Nacht fing man diesen angeblichen Teufel. Grumbkow wußte durch seinen Einfluß durchzusetzen, daß die Untersuchung durch seine Kreaturen geführt wurde. Er stellte dem König gegenüber die Sache als eine Lappalie hin und brachte ihn dazu, daß dieser Fürst die harte Strafe, die er dem Delinquenten zugedacht hatte, dahin umänderte, daß dieser drei Tage lang in seiner ganzen Gespenstertracht auf dem hölzernen Esel saß. Indes erfuhr Grumbkow durch den vorgeblichen Teufel, just was er wissen wollte, nämlich die nächtlichen Zusammenkünfte der Wagnitz mit Kreutz. Zudem teilte ihm die Kammerfrau dieser Dame, durch Geldgeschenke bestochen, mit, daß ihre Herrin bereits eine Fehlgeburt überstanden habe und gegenwärtig guter Hoffnung sei. Er wartete nur auf die Rückkehr des Königs nach Berlin, um ihm diese Skandalgeschichte zu unterbreiten.
Der König geriet in heftigen Zorn und wollte die Wagnitz auf der Stelle fortjagen, aber die Königin erreichte durch ihre Bitten, daß sie noch eine Weile bleiben dürfe, um unter irgendeinem Vorwand gnädig entlassen zu werden. Der König ließ sich nur ungern dazu überreden und verlangte, daß die Königin ihr jedenfalls noch selbigen Tages ihre Entlassung ankündige. Er vertraute ihr alle Intrigen dieser Person an und ihre Bemühungen, seine Mätresse zu werden. Die Königin ließ sie rufen. Sie hatte für diese Kreatur eine Schwäche, die sie nicht bemeistern konnte. Sie sprach mit ihr in Gegenwart der Frau von Roucoulles, welche die Königin in ihrem Zustand nicht allein lassen wollte, denn sie war schwanger. Die Königin teilte der Wagnitz den Befehl des Königs mit und wiederholte ihr alles, was der König gesagt hatte. Sie müsse sich seinem Willen unterwerfen; »ich werde in drei Monaten niederkommen,« fügte sie hinzu; »gebäre ich einen Sohn, so wird meine erste Sorge sein, Ihre Begnadigung nachzusuchen.« Weit entfernt, für die Güte der Königin erkenntlich zu sein, wollte die Wagnitz sie kaum zu Ende hören. Dann erklärte sie kurzweg, sie habe mächtige Stützen, die sie wohl verteidigen würden.
Die Königin wollte etwas erwidern; aber diese Person machte ihr eine heftige Szene, indem sie sich in tausend Verwünschungen auf die Königin und das Kind, welches sie unter dem Herzen trug, erging. Ihre Wut steigerte sich derart, daß sie in Konvulsionen geriet. Frau von Roucoulles führte die Königin, die sehr angegriffen war, hinaus. Diese Fürstin wollte den König von diesem Gespräch nicht in Kenntnis setzen, da sie ihn immer noch zu besänftigen hoffte, aber die Wagnitz selbst machte dieser freundlichen Gesinnung ein Ende. Sie ließ am folgenden Tage eine blutige Schmähschrift gegen den König und die Königin anschlagen. Ihre Urheberschaft war bald entdeckt. Der König verstand jetzt keinen Spaß mehr und jagte sie schmählich davon. Ihre Mutter folgte ihr kurz darauf. Grumbkow hinterbrachte dem König ihre Intrigen mit dem französischen Gesandten. Sie mußte froh sein, mit der Verbannung davonzukommen und nicht für den Rest ihres Lebens in einer Festung eingesperrt zu werden. Kreutz blieb in Gunst, trotz aller Bemühungen seines Rivalen, ihn zu verderben. Was die Königin betrifft, so tröstete sie sich bald über den Verlust dieser Person. Frau von Blaspiel kam jetzt an ihrer Stelle in die Gunst der Fürstin. Die Königin wurde bald nach dieser hübschen Geschichte von einem Prinzen entbunden. Die Freude war allgemein. Er erhielt den Namen Wilhelm. Dieser Prinz starb im Jahre 1719 an Dysenterie. Die Schwester des Markgrafen von Schwedt vermählte sich in diesem Jahre mit dem Erbprinzen von Württemberg. Die Launen dieser Fürstin tragen schuld, daß das Herzogtum Württemberg in die Macht der Katholiken fiel.
Ich will von diesem Jahre noch die Erfüllung einer der Prophezeiungen des schwedischen Offiziers berichten. Der Graf Poniatowski kam um diese Zeit inkognito nach Berlin; er war von Karl XII. gesandt. Da der Graf zu dem Großmarschall von Printz, mit welchem er zugleich in Rußland als Botschafter akkreditiert war, besonders nahe Beziehungen hatte, wandte er sich an ihn wegen einer geheimen Audienz beim König. Dieser verfügte sich bei anbrechender Dunkelheit zu Herrn von Printz, der damals im Schlosse wohnte. Herr von Poniatowski wartete mit sehr vorteilhaften Anträgen von seiten des schwedischen Hofes auf und schloß mit dem König einen Vertrag, der stets so geheimgehalten wurde, daß ich nur zwei Artikel daraus erfahren konnte. Der erste war, daß der König von Schweden Schwedisch-Pommern dem König abtreten und daß dieser hingegen eine sehr beträchtliche Summe als Entschädigung zahlen würde. Der zweite Artikel betraf den Beschluß meiner Vermählung mit dem schwedischen Monarchen; und es wurde beantragt, daß ich mit zwölf Jahren nach Schweden gebracht werden sollte, um dort erzogen zu werden.
Ich habe bisher nur Tatsachen berichten können, die mich nicht persönlich betrafen. Ich zählte erst acht Jahre. Mein zu zartes Alter gestattete mir keinen Anteil an den Dingen, die sich zutrugen. Ich war den ganzen Tag von meinen Lehrern in Anspruch genommen, und meine einzige Erholung war, mit meinem Bruder zusammen zu sein. Nie haben sich Geschwister so zärtlich geliebt. Er war geistreich, seine Gemütsart war finster. Er dachte lange nach, bevor er antwortete, aber dafür antwortete er richtig. Er lernte sehr schwer, und man erwartete, daß er einmal mehr Verstand als Geist an den Tag legen würde. Ich war hingegen außerordentlich lebhaft und schlagfertig und besaß ein erstaunliches Gedächtnis; der König liebte mich mit Leidenschaft. Keinem seiner andern Kinder zeigte er sich so aufmerksam wie mir. Meinen Bruder hingegen konnte er nicht leiden und malträtierte ihn, wo er seiner ansichtig wurde, so daß er ihm eine unüberwindliche Furcht einjagte, die sich bis ins Alter der Vernunft hinein erhielt.
Der König und die Königin machten eine zweite Reise nach Hannover. Der König von Schweden und der von Preußen hatten reiflich über die Heirat nachgedacht, die ihre Häuser vereinen sollte, und eingesehen, daß der Altersunterschied ein allzu großer war, so daß sie den Plan fallen zu lassen beschlossen. Der König von Preußen nahm sich vor, jenen schon früher gefaßten Heiratsplan mit dem Herzog von Gloucester von neuem aufzunehmen.
König Georg I. von England zeigte sich mit Freuden bereit, doch wünschte er, daß eine Doppelheirat die Bande ihrer Freundschaft noch enger verknüpfe, nämlich, daß mein Bruder die Prinzeß Amalie, zweite Schwester des Herzogs von Gloucester, heimführe. Diese Doppelheirat wurden zur großen Befriedigung meiner Mutter beschlossen, deren langgehegter Wunsch hiermit erfüllt werden sollte. Sie übergab uns, meinem Bruder und mir, die Verlobungsringe. Ich trat sogar mit meinem kleinen Liebhaber in Korrespondenz und empfing mehrere Geschenke von ihm. Die Intrigen des Fürsten von Anhalt und Grumbkows bestanden immer fort. Die Geburt meines zweiten Bruders hatte ihre Pläne zwar stören, aber nicht vernichten können. Nur war es nicht an der Zeit, ihnen Folge zu geben.
Die neue Allianz des Königs mit England schien ihnen kein sonderlich großes Hindernis. Da die Interessen des Hauses Brandenburg und des Hauses Hannover stets entgegengesetzte waren, so dachten sie gleich, daß ihr Bund nicht von langer Dauer sein würde. Das Temperament des Königs kannten sie von Grund aus und wußten, wie leicht er sich erregen ließ und daß der König nicht politisch handelte, wenn er in Leidenschaft geriet. Sie nahmen sich daher vor, ruhig abzuwarten, bis eine Gelegenheit sich böte, die ihren Projekten günstig wäre. In diesem Jahre entdeckte man eine geheime Verschwörung, die ein gewisser Clément angezettelt hatte. Er wurde der Majestätsbeleidigung angeklagt und überdies beschuldigt, die Unterschriften verschiedener mächtiger Fürsten gefälscht und Zwietracht zwischen den verschiedenen Großmächten gesät zu haben. Dieser Clément befand sich im Haag und hatte mehrmals an den König geschrieben. Sein schlechtes Gewissen hielt ihn dort zurück, und es gelang dem König nicht, ihn nach seinem Lande zu locken. Endlich wandte er sich an einen kalvinistischen Geistlichen namens Gablonski, um jenes Menschen habhaft zu werden. Gablonski, der mit ihm studiert hatte, begab sich nach Holland und wußte ihm so viel von der freundlichen Aufnahme und den Ehren, die ihm der König zugedacht habe, zu erzählen, daß er ihn endlich dazu brachte, mit nach Berlin zu kommen. Sobald Clément den Fuß über die Grenze gesetzt hatte, wurde er verhaftet. Man glaubte stets, daß dieser Mann von hoher Abkunft sei; die einen hielten ihn für einen natürlichen Sohn des Königs von Dänemark, und die andern für den des Herzogs von Orleans, Regenten von Frankreich. Die große Ähnlichkeit, die er mit letzterem Prinzen hatte, machte, daß man zu dieser Annahme neigte. Man begann mit seinem Prozeß, sobald er in Berlin anlangte. Es wird behauptet, daß er dem König alle Intrigen Grumbkows enthüllt und sich angeboten habe, seine Beschuldigung durch Briefe dieses Ministers, die er dem König übergeben wollte, zu beweisen. Grumbkow stand am Rande seines Verderbens. Aber zum Glück für ihn vermochte Clément die bewußten Briefe nicht vorzuweisen; daher wurde seine Anklage als Verleumdung angesehen. Die Einzelheiten seines Prozesses blieben stets so geheim, daß ich davon nur das wenige, was ich eben niederschrieb, erfahren konnte.
Der Prozeß zog sich sechs Monate lang hin, dann wurde das Urteil gesprochen. Er sollte zu drei Malen der Zangentortur unterworfen und dann gehängt werden. Mit heroischer Festigkeit und ohne eine Miene zu verziehen, vernahm er seine Verurteilung. »Der König«, sprach er, »ist Herr über mein Leben und meinen Tod. Ich habe diesen nicht verdient, sondern nur getan, was die Gesandten des Königs täglich gleichfalls tun. Sie suchen die Vertreter der andern Fürsten zu betrügen und zu übervorteilen und sind weiter nichts als ehrliche Spione ihrer Regierung. Wäre ich nur wie sie akkreditiert gewesen, so stünde ich jetzt wohl auf dem Gipfel meines Glückes, statt auf der Höhe eines Galgens meinen Wohnsitz zu finden.« Seine Standhaftigkeit verleugnete sich nicht bis zu seinem letzten Seufzer. Er darf unter die großen Geister gezählt werden; er wußte viel, sprach mehrere Sprachen und fesselte durch seine Beredsamkeit. Sie kam so recht in einer Ansprache zur Geltung, die er an das Volk hielt. Da sie gedruckt wurde, übergehe ich sie hier. Leman, einer seiner Mitschuldigen, wurde gevierteilt. Sie hatten noch einen andern Unglücksgefährten, der für ein anderes Verbrechen als das ihre bestraft wurde. Er nannte sich Heidekamm und war unter Friedrich I. geadelt worden. Er hatte gesagt und geschrieben, daß der König kein legitimer Sohn sei. Er wurde verurteilt, vom Henker ausgepeitscht zu werden, für degradiert erklärt und auf den Rest seiner Tage in Spandau eingesperrt.
Während der Haft Cléments erkrankte der König in Brandenburg an einer gefährlichen Nierenkolik und heftigem Fieber. Er schickte sofort eine Stafette nach Berlin, um die Königin zu sich zu berufen. Die Fürstin machte sich alsbald und so eilig auf, daß sie noch am selben Abend in Brandenburg anlangte. Der Zustand des Königs hatte sich sehr verschlimmert. Er war überzeugt, daß er sterben würde, und machte sein Testament; diejenigen, denen er seinen letzten Willen diktierte, waren Leute von erprobter Ehrenhaftigkeit und Treue. Er setzte darin die Königin zur Regentin des Landes während der Minderjährigkeit meines Bruders ein, und den Kaiser und den König von England zu Vormündern des jungen Fürsten. Grumbkow wie der Fürst von Anhalt blieben darin aus mir unbekannten Gründen unerwähnt. Er hatte ihnen jedoch einige Stunden vor der Ankunft der Königin eine Stafette geschickt mit der Order, sich zu ihm zu verfügen. Ich weiß nicht, welcher Zwischenfall ihre Abreise verzögerte. Der König hatte sein Testament nicht unterzeichnet; vermutlich hatte er sie berufen, um es ihnen mitzuteilen und vielleicht einige sie betreffende Klauseln hinzuzufügen. Er war so gereizt über ihre Verspätung, und seine Krankheit hatte sich so verschlimmert, daß er nicht mehr zögerte, es zu unterschreiben. Die Königin erhielt eine Abschrift davon, und das Original wurde in das Berliner Archiv gebracht. Kaum war die Urkunde vollzogen, als der König ruhiger wurde; sein Generalarzt Holtzendorff verordnete ihm noch im rechten Augenblick ein damals sehr beliebtes Medikament: die Brechwurzel. Dies Mittel rettete ihm das Leben. Fieber und Schmerzen ließen bis zum Morgen wesentlich nach, so daß alle Hoffnung für seine Genesung bestand. Von da ab datiert Holtzendorffs Glück und seine Gunst beim König, auf die ich später zu sprechen kommen werde.
Der Fürst von Anhalt und sein Spießgeselle kamen indes gegen Morgen an. Der König geriet in große Verlegenheit, da er ihrerseits heftiger Vorwürfe gewärtig war, weil er sie im Testamente nicht erwähnt hatte. Und er wußte sich nicht anders zu helfen, als indem er der Königin, den Zeugen und jenen, die das Testament ausfertigten, den Schwur abnahm, über den Inhalt ewiges Schweigen zu bewahren.
Trotz aller Vorkehrungen, die der König getroffen hatte, erfuhren die beiden Interessenten sehr bald, was sich zugetragen hatte. Daß man ihnen ein solches Geheimnis daraus machte, konnte ihnen die Wahrheit des Vorgangs nur bestätigen, um so mehr, als sie vernahmen, daß eine Abschrift des Testamentes in Händen der Königin wäre. Es war für sie ein vernichtender Schlag. Die Krankheit des Königs hatte sich gebessert, doch war er noch nicht außer Gefahr. Sie wagten nicht, ihm von der Sache zu sprechen; jede Gemütserregung hätte ihm das Leben kosten können. Aber ihre Sorge legte sich bald; das Übel besserte sich so schnell, daß er nach acht Tagen vollständig hergestellt war. Sobald er ausgehen konnte, fuhr er nach Berlin zurück. Von dort begab er sich nach Wusterhausen, wohin ihm die Königin folgte. Er wurde jetzt von Tag zu Tag mißtrauischer und argwöhnischer. Seit der Enthüllung der Clémentschen Intrigen ließ er sich alle Briefe vorzeigen, die in Berlin ein- und ausliefen, und legte sich nicht mehr zu Bett, ohne seinen Degen und ein Paar geladene Pistolen neben sich zu haben.
Der Fürst von Anhalt und Grumbkow konnten keinen Schlaf finden; die Testamentsgeschichte ging ihnen so stark im Kopfe herum, da sie ihre früheren Pläne noch nicht aufgegeben hatten. (Mit der Gesundheit des Königs und der meines Bruders war es damals nicht wohl bestellt, und mein zweiter Bruder lag in der Wiege.) Ihre Tücke ließ sie auf Mittel und Wege sinnen, um den Inhalt dieses wichtigen Schriftstückes zu erfahren und es vielleicht den Händen der Königin zu entreißen; gelang ihnen dies, so würden sie es sicher dahinbringen, daß das Testament für ungültig erklärt, der König endgültig mit der Königin entzweit würde und ihre Pläne gelängen. Sie fingen es folgendermaßen an: Ich habe schon den neuen Günstling der Königin, Frau von Blaspiel, erwähnt. Sie konnte für eine Schönheit gelten; ihr gründlicher und lebhafter Verstand erhöhte noch die Reize ihrer Person.
Ihr Herz war edel und aufrichtig, aber zwei große Fehler, die unglücklicherweise den meisten Frauen anhaften, verdunkelten ihre schönen Eigenschaften: sie war kokett und neigte zur Intrige. Ein sechzigjähriger gichtiger und unangenehmer Gatte war auch nicht eben etwas Verlockendes für eine junge Frau. Viele Leute behaupteten sogar, sie habe mit ihm gelebt wie die Kaiserin Pulcheria mit dem Kaiser Marcian. Der Graf von Manteuffel, sächsischer Gesandter am preußischen Hofe, hatte ihr Herz zu rühren vermocht. Sie hatten ihr Liebesverhältnis so geheimzuhalten gewußt, daß man bisher nicht den leisesten Zweifel an der Tugend der Dame gehegt hatte. Der Graf verreiste auf kurze Zeit nach Dresden. Um sich für die Trennung von der Geliebten zu trösten, schrieb er ihr mit jeder Post, und sie antwortete ihm. Diese unheilvolle Korrespondenz stürzte Frau von Blaspiel ins Unglück; ihre Briefe wie die ihres Geliebten fielen in die Hände des Königs.
Dieser witterte in seinem Argwohn eine Staatsintrige und berief Grumbkow zu sich, der als der Erfahrene in Liebesfragen sofort den wahren Sachverhalt vermutete. Doch ließ er sich nichts merken, denn dieser Zwischenfall kam ihm wie gerufen. Er war mit Manteuffel eng befreundet und beim König von Polen sehr in Gunst. Dieser Fürst hatte allen Grund, sich mit dem Berliner Hofe gutzustellen. Karl XII. von Schweden lebte noch, so daß stets neue Revolutionen in Polen zu befürchten waren; mit Hilfe meines Vaters konnte er sich dagegen schützen. Grumbkow versprach ihm die Unterstützung seines Ministeriums und sagte zu, stets zwischen den zwei Höfen volles Einverständnis zu erhalten, sofern der König von Polen auf seine Pläne eingehen und den Grafen von Manteuffel dementsprechend anweisen wollte. Der König zögerte nicht, seine Beistimmung zu geben, und schickte diesen Gesandten nach Berlin zurück. Grumbkow rückte jetzt mit der ganzen Testamentsgeschichte heraus und sagte ihm sogar, daß er von seinem Verhältnis zu Frau von Blaspiel wisse; man wünsche nun von ihm, er möge die Dame veranlassen, das Testament des Königs den Händen der Königin zu entziehen. Es war eine schwierige Angelegenheit. Manteuffel wußte, wie treu sie der Königin ergeben war. Dennoch wagte ers, ihr davon zu sprechen. Frau von Blaspiel brachte es nur schwer übers Herz, seinen Wunsch zu erfüllen; aber die Liebe zu Manteuffel ließ sie endlich vergessen, was sie sich selbst und ihrer Gebieterin schuldig war. Durch seine Versicherungen, wie treu er selbst der Königin ergeben sei, geblendet, glaubte Frau von Blaspiel, daß die Sache nicht von großer Bedeutung sei; sie wußte wohl, wie gänzlich sie das Herz der Königin beherrschte, und bald diese, bald jene Saiten aufziehend, vermochte sie sie endlich zu überreden, ihr das unselige Schriftstück anzuvertrauen, jedoch unter der Bedingung, es ihr, sobald sie es gelesen haben würde, zurückzugeben. –