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Nichts fürchten die bolivianischen Indianer des Pilcomayo mehr als den Stich der Schwarzen Wespe. Dabei ist das Gift, das dieses von den Weißen kaum beachtete Insekt in die Blutbahnen eines Menschen einfließen läßt, längst nicht von jener barbarischen Wirkung wie das der »Machacui« etwa. Die »Machacui« ist eine Art Schmetterling, herrlich gefärbt, aber blind und nur des Nachts in Bewegung. Die Indios wissen, wie entsetzlich ein von der »Machacui« Gebissener leiden muß (während der von der Schwarzen Wespe Gestochene, würde man ihn sachgemäß behandeln, nach zwölf Stunden die Geschwulst los wäre), aber für sie bedeutet der Wespenstich ein Unglück, das nicht nur die einzelne Person, sondern den ganzen Stamm betrifft.
Gewiß legt man auf die unscheinbare, kaum stecknadelkopfgroße Wunde, die der Biß einer »Machacui« verursacht, eine »ziehende Wurzel«. Und in neunundneunzig von hundert Fällen »zieht« der gelbe und klebrige Saft der von einem Schilf herstammenden Wurzel das Leben und nicht die Vergiftung aus dem Opfer heraus. Aber selbst wenn es auch für den Stich der Schwarzen Wespe etwas »Ziehendes« gäbe, eine Beere, ein Kraut, ein tierisches Exkrement . . . niemals würde ein Indianer dieses Stammes es zulassen, daß man ihm ein Mittel auflegt, um die Giftwirkung zu verhindern. Die etwa nußgroße und blaurote Beule im Nacken oder auf dem Oberarm bedeutet nach dem Glauben dieser nur zu einem kleinen Teil schon christianisierten Waldmenschen ein untrügliches Zeichen dafür, daß der Geist des Chamañao in das Menschenwesen gefahren ist und es also zeichnete. Um die Verfluchung wieder 22 auszutreiben, muß der von dem »Bösen Geist Besessene« ein Glied seines eigenen Leibes opfern: einen Finger, eine Zehe oder gar ein Auge. Er selber muß die Opferung vornehmen unter den Blicken seiner Stammesgenossen und die Wunde so lange bluten lassen, bis ihn die Ohnmacht von den Schmerzen erlöst. Dann erst beginnen die Beschwörungstänze, die eine ganze Nacht andauern und mit ihrem Lärm den Wald in Aufruhr bringen.
Eigentlich müßte ich jetzt und in diesem Bezug eine Gespenstergeschichte erzählen, die sich auf der Estancia »Tres Olmos« zugetragen hat und die zu den aufwühlendsten Erlebnissen gehört, die ich während der Reise durch den bolivianischen Wald gehabt habe. Ich bin aber nach dem Vorfall, der dem Estanciero den Verlust seines langjährigen Dieners eintrug, weniger dem Aberglauben der indianischen Leute nachgegangen, sondern habe mich vielmehr mit dem Insekt beschäftigt, das die Ursache der Tragödie war. Ich habe eine volle Woche damit verbracht, das Leben und Treiben der »Schwarzen Wespe« zu studieren. Dazu bot mir der Busch, der in einem Halbkreis die Lagune begrenzte, eine ausgezeichnete Gelegenheit. Allerdings war ich bei meinen Streifzügen durch das kaum noch an einen »echten« Urwald erinnernde Gehölz nicht ausschließlich hinter der Schwarzen Wespe her. Ich erlebte wieder einmal und oft sehr handgreiflich, daß die Natur, die »schöne, wilde«, nichts von jener Friedfertigkeit an sich hat, die einem Menschen, der vor der Bösartigkeit der gegenwärtigen Menschenwelt entsetzt geflohen war, vorschwebte, zumal er sich von den 23 ausgestandenen Schrecknissen der Zivilisation gründlich zu erholen gedachte und willens war, am »Busen der Natur« das Gleichgewicht in der Offenbarung göttlicher Erscheinungen wiederzufinden.
Ich fand das Teuflische in seiner urtümlichsten Form. Und ich erfuhr hier am »Quell des Lebens« all das wieder, und zwar in seiner einfältigsten Äußerung, was mir schon in den Ländern Mitteleuropas als das Leben zerstörend und naturwidrig erschienen war. Ich nahm, 24 ohne daß ein Blendwerk der Hölle mich etwa irritiert hätte, Kenntnis von der »sinnvollen Zweckmäßigkeit« des gegenseitigen Sichtotschlagens, des Einanderauffressens und des unablässigen Kampfes um die Erhaltung der Art. Und weil es zuletzt die Schwarze Wespe war, die für mein Gefühl den Gipfel der Grausamkeit erklomm, will ich meine Beobachtungen um die schließliche Erscheinung dieses Insektes so gruppieren, daß man die Schilderung wie eine Art Kriegsbericht lesen kann. Man wurde ja wieder daran gewöhnt, die Berichte von den Geschehnissen auf den Schlachtfeldern mit Spannung zu verschlingen und darüber nicht einmal den Verstand zu verlieren, geschweige die Freude an Essen und Trinken.
Den schwülen Duft des Waldes, diesen warmen Hauch eines Paradieses in Verwesung, verspürte ich schon in der ersten Nacht meines Aufenthalts auf der Estancia so stark und erregend, daß ich erst in der Morgenfrühe die Augen zu einem kurzen und dennoch unruhigen Schlaf schließen konnte. Vielleicht war die eingeatmete Essenz der tierischen und pflanzlichen Gerüche die Ursache, daß sonderbarerweise mein Körper über und über mit roten Flecken besät war. Eine Art Nesselfieber, wie es häufig Leute bekommen, wenn sie großen Temperaturschwankungen ausgesetzt sind, oder nach dem Genuß von Krebsen, Erdbeeren und überreifen Kakteenfeigen.
Als ich meinem Gastgeber davon Mitteilung machte, lachte er: »Schlechtes Blut, Señor! Es wird Ihnen jetzt hier augenscheinlich gemacht, was alles an verpesteter 25 Luft Sie in Europa eingeatmet haben. In acht Tagen werden Sie kuriert sein. Und in abermals acht Tagen werden Sie noch kein Indio geworden sein, aber von Europa noch ein bedeutendes Stück weiter entfernt.« 26
Mit einem spanisch sprechenden und auch des Schreibens und Lesens kundigen indianischen Knaben, an dessen zitternde Passivität den Weißen gegenüber ich mich nur allmählich gewöhnen konnte, durchstreifte ich zunächst die nähere Umgebung der 4000 ha großen Estancia. Der wie aus Mahagoni geschnitzte Bursche machte mich mit der Klapperschlange in Freiheit bekannt und seiner Geschicklichkeit, dieses äußerst angriffslustige Reptil ohne Waffe, nur mit dem sicheren Griff seiner Hand unschädlich zu machen. Er führte mich zu den Bauwerken der Biber in der Lagune und den luftigen Nestern der Kolibris. Er demonstrierte vor meinen Augen, wie man ein Gürteltier fängt und es an Ort und Stelle brät und verspeist. Er röstete die Eier der großen roten Ameise, die wie ranziger Parmesankäse schmecken, und preßte aus den Schößlingen einer rankenden Sumpfpflanze ein weinsaures, durstlöschendes Getränk. Er fing jeden Käfer oder Schmetterling, der mir gefiel. Er lehrte mich, die Stabheuschrecke von der Gottesanbeterin zu unterscheiden, ebenso die echte Orchidee von jenem am gleichen Baum wuchernden leuchtenden, roten Schwamm, den er sinnigerweise »Baum-Ohr« nannte. In den Kronen der Espinillen und Zedern, der Jacaranda und Pfefferbäume hockten die kleinen schwarzen Affen, die nachts so durchdringend lärmten, daß man sich Watte in die Ohren stopfen mußte. Sie bewarfen uns mit Früchten und Ästen.
Der Wald war auch am Tage voller Geräusche. Aber nur selten vermochte ich die Ursache oder die Urheber zu entdecken. Es war wirklich keine Großzügigkeit von meiner Seite, den Burschen die tollsten Geschichten von dem und jenem Tier erzählen zu lassen und geduldig zuzuhören. Ich verstand knapp die Hälfte von dem, was 27 er herunterschnurrte. Und schließlich hatte ich mich in das »neue Sehen und Erfahren« schon so hineingewöhnt, daß ich auf eigene Faust Entdeckungen vornahm und »Ochsenauge« – diesen Spitznamen führte der indianische Bursche – mich lediglich »beschattete« wie ein ortskundiger Hund, besser wie eine Schildkröte, die einen Blinden führt (was ich in einem indianischen Pueblo einmal beobachten konnte und worüber ich aus dem Kopfschütteln nicht herauskam).
Manchmal, wenn ich seiner Meinung nach mich allzulange mit einem Käfer, einer Pflanze oder einem Vogelnest abgab, setzte er sich auf einen umgestürzten Baumstamm, holte die Rohrflöte hervor und spielte eine schwermütige Weise, ein Lied, das immer wieder zu derselben Note zurückkehrt, sie langsam hinseufzen 28 läßt und dann trotzdem in ihr nicht den vollkommenen Ausdruck jener Trauer findet, die sie ausdrücken soll. Zu den Füßen des Knaben, ob von den Tönen des Liedes angelockt – wer vermöchte das zu beschwören? –, sah ich oft eine schwarzblanke Kröte hocken. Manchmal erklang auch ihre Stimme gleich einer Glocke, und in den schönen bernsteinhellen Augen des Tieres glänzte es feucht.
In dem Augenblick, als »Ochsenauge« das Nest der Schwarzen Wespe entdeckte, war es aus mit der Beschattung. Er sagte zwar nicht klar und deutlich, weshalb er jetzt unbedingt den Weg zur Lagune einschlagen müßte. Ich sah aber, wie er zitterte und im Drehen und Wenden immer wieder zu dem Wespennest hinstarrte. Und als ich schließlich den Zeigefinger reckte und fragte: »Du hast Angst davor?« lief er auf und davon. Es war auch nicht der Weg zur Lagune, sondern der direkte zurück nach den Wohngebäuden der Estancia. Gut, sagte ich mir, was der Indio fürchtet, braucht nicht in jedem Fall gleich der leibhaftige Teufel zu sein. Oft ist es nur ein kleiner, rotpunktierter Käfer, ein verkrüppelter Baum, zwei sich paarende Laubfrösche oder der Lachvogel. Hier war es die Wespe.
Ich begab mich auf den Anstand. Und wenn nichts anderes von mir übrigbleiben sollte als die blankpolierten Knochen . . . die wird man auch morgen noch früh genug finden. Die Richtung zu der Fundstelle des Wespennestes hat »Ochsenauge« bestimmt nicht aus dem Gedächtnis verloren, auch wenn es der Schauer ziemlich arg durcheinandergeschüttelt haben sollte. 29 Mein Beobachtungsstand war ein Baum, der die Wurzeln bis zur Höhe von drei Metern aus dem Boden emporgehoben hatte. Und von diesem Baum zu einem zweiten, der mit zwei Stämmen zugleich emporwuchs, waren es an die dreißig Schritte. Auf einem so kleinen Raum spielte sich die Schlacht ab, die ich nicht an einem Tage habe verfolgen können, sondern ich brauchte die ganze Woche, um schließlich festzustellen, daß die Mordlust ein Phänomen ist, das nie ausstirbt, solange das Kreatürliche atmet und der Sturm Bäume entwurzelt, die von Blüten überrinnen.
Das Nest der Schwarzen Wespe befand sich am Fuß einer Espinille. Wieviel Meter tief unter der Erde, das habe ich nicht festgestellt. Ich konnte auch nur eine Stelle entdecken, die den Insekten als Einflug diente, aber nie sah ich eines aus diesem Loch herausfliegen. Was hier vor meinen Augen herumschwirrte, schien vom Baum herunterzukommen. Sicher war der Baum hohl, denn die unteren Zweige hingen dürr und blattlos herab, von einer graugrünen Flechte bewachsen. Im Unterholz leuchteten scharlachrote Blüten und zwischendurch Beerenbüschel von schwefelgelber Farbe. Um diese Blüten und Früchte kreisten die Wespen in einem anmutigen Reigen. Selten setzten sie sich. Die dunklen, wie poliertes Metall schimmernden Flügel glitzerten in der Sonne. Im Flug zog der keulenförmige Hinterleib der Wespen die dünnen Beine nach wie einen Schwanz.
Vom Baum herunter fielen die Überbleibsel riesiger Heuschrecken. Was an den fetten Biestern freßbar 30 gewesen war, hatten die Elstern schon vertilgt. Als nun einmal eine noch von Leben zuckende, des halben Leibes aber schon beraubte Heuschrecke ins Kraut purzelte, stürzte sich sofort eine der Schwarzen Wespen darauf. Das war ein ungewöhnlicher Vorgang, denn für gewöhnlich gibt sich dieses elegant zwischen den Blüten hinflitzende Insekt nicht mit einem Kadaver ab. Es beroch die Heuschrecke, betastete sie eindringlich mit den Fühlern und drehte sie vom Rücken auf den Bauch. Die Wespe verspürte, daß in ihrem Leib die Eier reif zum Aussetzen waren. Und in diesem Zustand sucht sie emsig nach einem Objekt, das sich zur Ablage der Nachkommenschaft gut eignet. Wehe also dem Käfer und der Spinne, die sich zu widersetzen wagen. Der Stachel des Mutterwesens zuckt in seiner Hülle, und in den Drüsen gärt das Gift.
Die Heuschrecke war nicht geeignet, der Wespenbrut Wohnung und Nahrung zugleich zu geben. Auch die wie eine Kinderhand große Blattlaus und die mit langen roten Haaren versehene Raupe wurden von der flach am Boden hinschwirrenden Wespe verschmäht. Um Frösche und Kröten machte sie einen Bogen, als ekle sie sich vor diesen Wesen. Das helle, metallisch eindringliche Geschwirr verlor sich nicht mehr aus meinen Ohren. In der Abendsonne leuchteten Leib und Flügel der Wespe wie flüssiges Gold.
Um sie nicht zu stören und durch heftige Bewegungen auch nicht zu reizen, bewegte ich mich nur mit Vorsicht dorthin, wo das Insekt nach neuen Möglichkeiten das Unterholz oder Kraut absuchte. Mit einemmal hatte sie die beiden Lianenstränge entdeckt, zwischen denen weit aufgespannt wie ein verkehrt schwebender Fallschirm ein silberhelles Netz hing. Schmetterlinge und 31 große grüne Fliegen zappelten darin herum. Ein paar welke Blätter lagen wie das Muster eines Ornaments in dem Gemeng der klebrigen Fäden.
In einem weiten Kreise überflog die Schwarze Wespe das Netz. Von Minute zu Minute wurde der Zirkelbogen enger und die Flugbahn immer näher an das Gewirr der stellenweise zerrissenen Fäden herangedrückt. Nach einer Weile entdeckte die Wespe endlich, daß die Eigentümerin des Gespinstes nicht anwesend war. Sie ließ sich tief hinab, so daß sie die langen Beine auf eines jener an den Fäden klebenden Blätter aufsetzen konnte. Sie nahm mit der ihr eigenen scharfen Witterung den verhauchten Geruch der Spinne auf und berauschte sich daran. Denn endlich hatte sie das gefunden, was sie als den idealsten Futtervorrat für ihre Brut ansehen mußte. Sie flog wieder ein Stück in das Dickicht der Lianen hinaus und beschloß, dort oben in den blühenden Ranken einer Orchidee auf die Rückkehr der rothaarigen Vogelmörderin zu warten. Sie hatte Zeit, wenn es sein mußte auch die ganze Nacht. Dann und wann steckte sie den Saugrüssel in einen der unzähligen Honignäpfe und stärkte sich. Die Sonne verdampfte hinter einem von den Cordilleren herunterwuchtenden Gewölk in Farben, die von einem hellen Gold bis zu Scharlach und Violett hinüberwechselten. Aus dem Violett wurde ein dunkles Grün, und mit dem Verhauchen des Grüns in ein mattgraues Silber begann auch schon – ohne den Übergang einer Dämmerung – die Nacht.
Lange Minuten war der Wald von einer gespensterhaften Stille durchschauert. Es rührte sich kein Blatt. Weder eine Vogelstimme noch das Gequarr der Frösche war laut. Selbst die Zikaden schienen den Atem 32 verloren zu haben. Die Stille dauerte, bis schließlich der Mond rotgedunsen und ohne besonderen Auftrieb aus der Lagune emporstieg. Er ließ sich viel Zeit damit, der Landschaft von seinem Licht abzugeben. Erst als der Tau ins Glitzern kam und die hufnasigen Fledermäuse den Orion hochtrugen, warfen sich die Wipfel silberne Mäntel über. Das Unterholz fing davon einen Abglanz auf. Und der Wind streichelte das hohe, wie aus Kristall gegossene Fieberkraut.
Diese Atmosphäre des verhaltenen Lichtes und der Ruhe brauchte die Vogelspinne, um sich in ihrer ganzen Mordlust aufzublähen. Jedwedes Lebewesen im Unkraut und Gezweig, vom winzigen Laubfrosch bis zum Töpfervogel, wußte, was es von der unersättlichen Mordbestie zu halten hatte, deren saugendem Blick niemand entgehen konnte, selbst wenn die Möglichkeit einer Rettung so nahe lag, daß nur eine kleine Wendung nötig schien, um zu entkommen.
Die große rote Spinne mit den wolligbehaarten und muskelkräftigen Fangbeinen, dem häßlichsten Kopf, der je einem atmenden Geschöpf vom Schöpfer aller Dinge gegeben worden ist, und den grauenerregenden Augen war auf dem Wege zum Netz, das sie der prallen Mittagssonne wegen verlassen hatte, um einen Abstecher zum Wassergraben zu machen. Das Mittagsmahl dort war sicher nicht mager gewesen. Es gibt nur wenig Tiere, die die Spinne im Kampf zu fürchten hätte. Sie konnte sich in den meisten Fällen ganz und gar auf die Kraft der Arme verlassen. Und wenn diese Kraft nicht ganz ausreichte, dann kam der giftige Biß der wie Stahl schneidenden Kieferzangen hinzu.
Kurz vor dem Baum, von dem die Blüten herunterhingen, und den Lianen, zwischen denen das Netzwerk 33 aufgespannt war, sah ich die abscheulich glotzende Spinne herankrabbeln. Sie war von der Größe einer ausgewachsenen Männerhand und bewegte sich auf dem schmalen Weg des Waldes so hilflos wie eine auf den trockenen Ufersand geworfene Krabbe.
Eine Wühlmaus, die in der Angst vor dem Zusammentreffen mit der Spinne in einem Unkenloch Zuflucht gesucht hatte, wurde von der roten Mordbestie mit zwei, drei Griffen aus dem Versteck herausgeholt. Sie riß ihr den Bauch auf und strudelte das Inwendige mit einem 34 Geräusch heraus, als leere ein Menschenmund den Inhalt einer Flasche, in einer minderen Lautstärke natürlich, dem hellwachen Ohr jedoch deutlich vernehmbar. Auf dem bis zur Erde heruntergebogenen Blatt einer Agave blähte sich der kupferfarbene Regenrufer; ein Frosch von mindestens viertelpfündigem Gewicht und mit in der Dunkelheit phosphoreszierenden Flecken am Bauch. Er gab Töne von sich, die dem Geräusch eines kleinen chinesischen Tempelgongs glichen. Aus der Ferne kam die Antwort eines zweiten, nur heller klingenden Gongs. Stundenlang noch hätte diese Zwiesprache zweier Liebender andauern können, bis es zur Annäherung und Vermählung gekommen wäre. Die Vogelspinne jedoch bereitete dem Schmachten ein jähes und grausames Ende. Dort, wo das empfindsame Herz des männlichen Tierchens heftig pochte, saß mit einemmal der Biß der Giftzangen und blieb so lange haften, bis nur ein Stück Haut übrig war und schließlich wie ein Vogelkack auf den feuchten Erdboden plumpste. Siebenmal, achtmal, vielleicht sogar ein dutzendmal machte die am Boden herumzappelnde Spinne einem Lebewesen, das die Gefahr oft nicht einmal geahnt hatte, den Garaus, ehe sie ihre Behausung endlich erreichte, um hier sozusagen noch auf das Dessert zu warten.
Wie plump die rote Teufelin sich auch auf der ebenen Erde bewegte, elegant kletterte sie die Trossen des Gespinstes zum Nest empor. Sie hatte es nicht eilig. Mit den wie irisierendes Milchglas schimmernden Augen suchte sie jeden Knick im Geäst nach einem neuen Opfer ab. Wunderliche Schattenfiguren malte der Mond auf die glatte Rinde der Espinillen. Wenn ein leiser Windhauch die dicken Blätter eines Gummibaumes bewegte, 35 löschte für Sekunden das aufgegangene Licht aus. Unter der aufgerollten Trompete einer riesigen safrangelben Blüte hatte sich ein Kolibri verkrallt. Ob das Vögelchen die Spinne bis in den Schlaf hinein gewittert hatte oder ob das leise Zischen der unersättlichen Mörderin den Schlaf plötzlich auseinanderbersten ließ . . . wer hätte das in dieser erregenden Minute feststellen können?! Mit einem jähen Ruck ließ das kleine Federgeschöpf sich los, gedachte vielleicht hinunterzufallen und schoß in die Fangarme der Spinne.
Diesmal biß die infame Mörderin nicht sofort zu. Vielleicht war ihr Giftvorrat schon verbraucht. Aber die große Drüse am Unterleib öffnete sich, und Faden um Faden umgarnte das edelsteinblaue Gefieder des kleinen Blumenküssers. Wehrlos hockte der Kolibri in dem klebrigen Gespinst. Nach vielen Minuten erst schleppte die Spinne ihr letztes Opfer nach oben in das Netz. In aller Ruhe gedachte sie das süße Vogelblut zu schlürfen, um dann den Schlaf zu erwarten.
In dem Augenblick, als die Vogelspinne das warme Blut des Vogels bis zum letzten Tropfen getrunken hatte und die Mitte des Netzes aufsuchte, um sich behaglich zu krümmen und die Welt unveränderlich schön zu finden, verließ die Schwarze Wespe ihren Beobachtungsposten und näherte sich dem Netz. Vom Schlaf schon halb benommen, hörte die Spinne das ihr wohlbekannte und von ihr auf den Tod gehaßte Summen über sich. Mit aller Kraft richtete sie sich wieder auf, machte die Arme frei und erwartete den Angriff der Todfeindin. Der ließ auch nicht lange auf sich 36 warten. Meist von oben nach unten griff die Wespe an und wich geschickt den wütenden Schlägen der rotstachligen Fangarme aus. Oft streiften die langen, dünnen Beine der Wespe den Kopf der Spinne. Glasig stierten die Augen, und viele Male rissen die zuschnappenden Kiefer tiefe Löcher ins Leere. Die Schwarze Wespe war in ihren Bewegungen elegant wie ein Florettfechter, die dicke rote Spinne hingegen massiv wie eine Bulldogge.
Das Netz schaukelte hin und her, und zu dem immer heller werdenden Gesumm der unermüdlich angreifenden Wespe ertönte jetzt auch der Ruf eines Ochsenfrosches. Das brachte die in die Verteidigung gedrängte Spinne in Verwirrung. Sie übernahm sich in der Abwehrbewegung, und bei einer Drehung fiel sie auf die Vorderbeine und zerriß das Netz.
Wie ein Blitzstrahl fuhren in diesem Moment die dünnen, langen Beine der Schwarzen Wespe dem roten Nachtgespenst in den Nacken. Zugleich fuhr auch der von Gift strotzende Stachel aus der Scheide und bohrte sich der Spinne zwischen Kopf und Halswirbel mitten in das Nervenzentrum hinein. Der Stich ließ die Muskulatur der Fangarme sofort erlahmen. Wie eine leblose Masse hing das Knäuel aus klebriger Wolle und fettem, prall aufgedunsenem Fleisch in den Drähten des Netzes. Steinern glotzten die Augen den Mond an.
Länger als eine Viertelstunde umkreiste die Schwarze Wespe den bezwungenen Gegner, ehe sie sich wieder setzte, mit den Fühlern die gelähmte Masse betastete und sie dann aus dem Netz herauswarf. So schnell die Spinne fiel, genau so schnell flog die Wespe dem fallenden Körper nach. Es war der Stumpf eines Baumes, wohin er geplumpst war. Und von dort weg zerrte das mehr als dreimal kleinere Insekt die Spinne über eine 37 Strecke von sieben, acht Metern bis zu einem Erdloch. Dort blieb nun die nie mehr aus der Lähmung zu einer Bewegung sich aufraffende Vogelspinne so lange liegen, bis aus den Eiern, die die Wespe hineinlegte, die Maden herausgekrochen waren und sich von dem blutfrischen Fleisch der wehrlos gemachten Gefangenen nährten, sich schließlich verpuppten und diejenigen Wesen wurden, die die Indios des Pilcomayo den »Atem des Geistes Chamañao« nennen. Sie wissen vielleicht nichts davon, mit welcher Grausamkeit die Schwarze Wespe jene Lebewesen in einen lebenden Leichnam verwandelt, die sie zu einer fetten Weide ihrer Brut bestimmt hat. Sie wissen wahrscheinlich auch nichts von jener anderen Wespenart, die ihre Nachkommenschaft in das Fleisch einer Nachtschmetterlingsraupe legt, ohne ihr aber vorher das Nervenzentrum zu zertrümmern. Bei lebendigem Leibe und bei vollem Bewußtsein muß die Raupe sich nähren und mit dieser Nahrung die Larven der Wespe speisen, ihnen Wärme und Obdach geben, bis sie ausgewachsen sind und in die nächste Form der Verwandlung hinüberwechseln, vorher aber die »Ziehmutter« zum Dank für Kost und Logis so zurichten, daß nur eine leere Hülse zurückbleibt.
Nichts wissen die indianischen Leute von den mörderischen Vorgängen in der Natur. Und wenn sie darum wüßten . . . dann würden sie es sicher für höchst zwecklos halten, auch nur eine Sekunde Nachdenkens daran zu verschwenden. Sie kämen uns ganz gewiß nicht mit Erkenntnissen, die sie von Philosophen bezogen haben, und brächten uns auch nicht mit jener Frage in Verwirrung: ». . . nun gut, lassen wir die einander fressenden Insekten aus dem Spiel . . . wes Wesens aber ist der Mensch, vorzüglich der der weißen Rasse?«