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Laurette allein.
Meine Sachen gehen vortrefflich! Buchen ist von allem genau unterrichtet und antwortet auf sein Stichwort. – Sternau macht eine höchst komische Figur in seiner neuen Eigenschaft als gekränkter Gatte. Er geht mit großen Schritten im Zimmer auf und ab, setzt sich nieder, geht wieder auf und ab und spricht wie Macbeth, der den König erschlagen, nur von Zeit zu Zeit: »schauderhaft! höchst schauderhaft!« Dabei folgen mir, wenn ich durch das Zimmer gehe, seine Augen so unwillkürlich; seine Blicke ruhen so wehmüthig auf mir, als wollten sie mir zu verstehen geben, daß die Wunden seines Herzens einige Linderung erhalten könnten durch den Balsam meiner Liebe! – Die Männer sind doch durch die Bank die ausgemachtesten Spitzbuben, die sich nur denken lassen! Dieser erzürnte Theseus zum Beispiel, der eben aus seiner fünfzehnjährigen Ruhe aufgeschreckt ist, der sich geberdet wie ein ergrimmter Löwe, die Stirne runzelt, die Mähne schüttelt, den Rachen aufreißt, um sein treuloses Weib zu verschlingen: sieht mich doch selbst, seit er glaubt, daß ich ihn liebe, so ganz anders, so bedeutsam aus dem Winkel seiner zornflammenden Augen an, daß ich es eben für kein Riesenwerk halten möchte, ihn in acht Tagen gerade so straffällig in der Wirklichkeit zu sehen, als er seine Frau in diesem Augenblicke irriger Weise glaubt. Und doch liebt Sternau seine Gattin wahrhaft, und die Stadt, die von allen Menschen Uebles spricht, weiß nichts Uebles von dieser langjährigen Ehe zu sagen. Sollte man das nun wohl glauben? und doch ist es so! – Aber es steckt ein eigener Teufel der Unbeständigkeit in dem ganzen Geschlechte, und wie die Teufelchen in den gläsernen Flaschen, weiß man weder, wie er hinein gerathen, noch ist man im Stande, ihn je mehr heraus zu bekommen. – Ha, ich höre die Tritte unsers Kranken in der Einbildung, der sehr leicht an einem Uebel sterben könnte, das er nicht hat. (Sie zieht sich in den Hintergrund.)
Laurette. Sternau aus der Seitenthüre.
Sternau. Das ist ein Gefühl, das ich meinem ärgsten Feinde nicht wünsche. Ich habe weder Ruhe noch Rast, – O Weiber! Weiber! – Fünfzehn Jahre an die Tritte eurer Füße geheftet seyn, fünfzehn Jahre Einen Athem mit euch hauchen, und man kennt euch noch so wenig als am ersten Tage der Schöpfung! – Wer hätte das von Louisen geglaubt? von dem offensten, wahrsten, unverstelltesten Wesen, das geboren wurde! – Aber ist es denn auch gewiß? – Laurette sagt es mit einer Bestimmtheit, die keinen Zweifel übrig läßt; sagt es in einem Augenblicke, wo das eigene, überströmende Gefühl – – Das ist auch ein neues Unglück! – Das Mädchen hat da eine Leidenschaft gefaßt, die tiefer als eine gewöhnliche Neigung liegt. Hier scheint die ganze Gewalt der ersten Liebe sich eines Herzens bemeistert zu haben, dem ein hartes Loos bestimmt ist, da es hoffnungslos empfindet. – Es ist doch sehr traurig! – Dort fünfzehnjährige Liebe und Treue mit Füßen getreten, die innigste Hingebung vergessen, das edle Gepräge meines Werthes einem Wüstling hingeworfen – und hier begründen eben diese nichts geachteten Vorzüge die Leiden eines harmlosen Mädchens, das ihrem Eindrucke nicht widerstehen konnte! – Da ist die Unglückliche!
Laurette (thut als ob sie durch das Zimmer gehen wollte.)
Sternau. Laurette!
Laurette. Was befehlen Sie?
Sternau. Kommen Sie näher, Laurette!
Laurette. Ach, lassen Sie mich, Herr Sternau!
Sternau. Ich wünsche einige Worte mit Ihnen zu sprechen, die unsere beiderseitige Lage nöthig macht.
Laurette. Wozu soll noch ein Gespräch zwischen uns führen? Für mich gibt es nur Einen Weg: dieses Haus so schnell als möglich zu verlassen.
Sternau. Uebereilen Sie nichts, Laurette! Ihre Lage flößt mir so viel Theilnahme ein, als der furchtbare Gemüthszustand, in dem ich mich selbst befinde, nur immer möglich macht.
Laurette. Ich konnte von Ihrem Zartgefühle nicht weniger erwarten. Aber je edler Sie sich mir zeigen, je drückender fühle ich mein Geschick. – – Sie nannten mich einst Du, Herr Sternau.
Sternau. Ich muß gestehen, es ist mir kaum möglich, Sie in Ihrem vorigen Verhältnisse zu denken. Ein Mädchen von Ihrer Bildung, von Ihren Vorzügen, verdient jedes Zeichen edler Achtung zu erhalten. Ich kann Sie unmöglich mehr Du nennen.
Laurette. Thun Sie es dennoch, Herr Sternau! mir ist leichter dabei. Jede geänderte Beziehung berührt mich nur um so schmerzlicher.
Sternau. Wenn du es wünschest, Laurette, dann mag es geschehen. – Wir haben beide ein hartes Loos, Laurette!
Laurette. Ja wohl!
Sternau. Fünfzehn Jahre habe ich nur in den Blicken meiner Frau gelebt, fünfzehn Jahre habe ich jeden ihrer Wünsche belauscht, kein Wörtchen, kein Hauch hat unsern Himmel getrübt – und nun auf Einmal – o, es ist schrecklich!
Laurette. Wie dauern Sie mich, armer Verrathener!
Sternau. Aber ist es denn auch so, Laurette? – Nicht, als ob ich an deinen Worten zweifelte; du, ich weiß es, du bist wahr; – aber könntest du dich denn nicht vielleicht geirrt haben?
Laurette. O nein! Ich habe das nur zu lange schon bemerkt. – Habe ich denn nicht, wie die Henne auf die Brut, meine Augen auf allem gehabt, was Sie betrifft? – Doch was kann ich Ihnen mehr sagen? Herr von Buchen hat es mir heute doch selbst eingestanden und mich zur Vertrauten dingen wollen.
Sternau. O schändlich! schändlich! Was hab' ich ihr gethan, um solchen Undank von ihr zu verdienen? – Nun geht mir über viele Dinge ein ganz anderes Licht auf. Darum also ist meine Frau so über die Räthin Tritthahn aufgebracht, – die zwar etwas stark geschminkt, aber sonst doch eine ganz artige Frau ist. – Die Eifersucht, die gekränkte Liebe sprach aus jedem Worte. Wie konnte ich das nicht gleich sehen! Aber meine Arglosigkeit! – Sich eine so lange Zeit so zu verstellen! wer kann da auf einen solchen Gedanken kommen? – O, es ist entsetzlich!
Laurette. Ihr Leiden geht mir sehr, sehr nahe! Wie gern würde ich Ihnen Trost spenden, aber ich bedarf ihn selbst. Ich muß Sie verlassen, Herr Sternau; ich kann nicht länger in Einem Hause mit Ihnen leben; dieser beständige Kampf verzehrt mich.
Sternau. Nein, Laurette! bleibe, gehe nicht von mir. Mein gebrochenes Herz braucht Trost und ein Herz, dem es sich anschließen kann. Die Welt hat einen Grad von Verderbtheit erreicht, der unglaublich ist; aber in deinem Stande ist noch Tugend und Unschuld. Die höheren Klassen sind durchaus verpestet; da sucht man umsonst ein lauteres, schönes, rein menschliches Gefühl. – Wir dürfen uns freilich nicht lieben, Laurette, dein schöner Sinn fühlt das wie ich; aber wir dürfen zusammen klagen und uns trösten. Ich darf mein sorgenschweres Haupt an deine treue, liebevolle Brust lehnen, deine liebe Hand auf mein wundes Herz halten, an meinen Mund drücken –
Laurette. Dürfen Sie das, Herr Sternau?
Sternau. Ja, liebe Laurette.
Laurette. Ach, ist diese zärtliche Nachgiebigkeit nicht eine allzu große Schwäche von meiner Seite? – Nein, lassen Sie meine Hand! Wer kennt alle Falten des menschlichen Herzens? Ach, ein liebendes Mädchen darf seinem Gefühle nie trauen.
Sternau. Doch, doch, liebe Laurette! Bei der Freundschaft zweier reiner Seelen, die gemeinsames Leiden verbindet, haben diese harmlosen Vertraulichkeiten keinen Blick irgend eines Auges zu scheuen.
Laurette. Madame Sternau!
Sernau. (läßt schnell Laurettens Hand los). Die Schlange!
Vorige. Louise.
Louise. Ich habe dich gesucht, lieber Mann.
Sternau. Haben Sie? Sie werden mich noch zu früh finden. (Geht schnell ab.)
Louise. Um's Himmels willen, was ist denn meinem Manne? Er sprach ja mit dir, Laurette, als ich eintrat; was ist geschehen?
Laurette. Herr Sternau rief mich zu sich und machte mir mit einer Art Wuth die fürchterlichsten Vorwürfe, daß ich Ihnen behülflich sey, ihn zu verrathen. Er wollte mich nöthigen, allerlei zu gestehen, wovon er aber schwerlich etwas erfahren würde, wenn ich auch selbst mehr davon wüßte, als es der Fall ist. Er behauptet, von einem Verhältnisse zwischen Ihnen und Herrn von Buchen Kenntniß zu haben, nannte mich Ihre Helfershelferin, und will mich nicht länger in seinem Dienste wissen.
Louise. Mein Mann? Wie fällt ihm das ein? Ich bin stumm vor Erstaunen!
Laurette. Er behauptet steif und fest, Herrn von Buchens Bewerbungen seyen auf Sie und nicht auf Fräulein Herminen gerichtet.
Louise. Mein Gott, wie kommt mein Mann auf diesen Gedanken? Ich begreife ihn nicht! Seit fünfzehn Jahren ist es ihm auch nicht ein einzigesmal in den Sinn gekommen, den Eifersüchtigen zu spielen, zur Zeit, wo ich allenfalls hübsch genug war und Bewunderer genug fand, um einige Besorgnisse der Art verzeihlich erscheinen zu lassen; und nun unsere Ehe anfängt grau zu werden, bricht er die erste beste, ja, die allerunglaublichste Gelegenheit vom Zaune, geberdet sich wie ein Rasender und macht mich starr vor Erstaunen! Was muß ihm in den Kopf gesetzt worden seyn!
Laurette.. Ei nun, Madame, so ganz vom Zaune gebrochen ist die Gelegenheit doch wohl nicht. – Daß Herr von Buchen Sie zum Gegenstand seiner Verehrung gewählt habe, ist von ihm ja doch nicht auf eine so versteckte Weise geheim gehalten worden, daß man sich darüber aller Bemerkungen enthalten konnte – das wäre auch einem blöderen Auge als dem eines eifersüchtigen Ehemannes nicht lange verborgen geblieben.
Louise. Faselst du?
Laurette. Ich bin Ihnen sehr ergeben, Madame, und gewiß weit entfernt, Herrn Sternau in seinem Argwohn zu bestärken; auch wollte ich einen Eid schwören, daß Sie bis diesen Augenblick nicht daran gedacht haben, Herrn von Buchen irgend eine Hoffnung zu geben; aber warum wollen Sie den Eindruck läugnen, den Sie auf sein Herz gemacht haben?
Louise. Eindruck gemacht? – was fällt dir ein? – Buchen liebt Herminen, oder gibt wenigstens vor, sie zu lieben; welchen Eindruck soll ich auf sein Herz gemacht haben?
Laurette. Gibt vor, sie zu lieben, ganz recht! Das ist der wahre Ausdruck! Aber niemand im ganzen Hause glaubt an dieses Vorgeben; und Sie selbst, Madame, wenn Sie es eingestehen wollen, wissen es gewiß eben so gut, daß Fräulein Hermine Herrn von Buchen nur zum Vorwande dient, hinter dem er seine Neigung für Sie verbergen will. So was bleibt ja nicht verborgen, man merkt es auf den ersten Blick.
Louise. Bin ich im Tollhause? Erst geberdet sich mein Mann wie ein Verrückter, und nun plaudert diese Thörin eine Stunde lang Unsinn! Ich weiß in der That kaum selbst noch, ob ich wache oder träume.
Laurette. Nun, wenn Madame es nicht Wort haben wollen –
Louise. Was nicht Wort haben? – Bist du besessen? Du warst ja sonst eine ganz verständige Person, wie kann dir einfallen, eine solche Albernheit zu glauben?
Laurette. Etwas Albernes kann ich daran nicht finden. Es wäre lächerlich, Ihnen schmeicheln zu wollen, indessen sehe ich nicht ein, wie Sie, selbst bei aller Bescheidenheit, es unbegreiflich finden, daß Ihre Liebenswürdigkeit Eindruck auf einen Mann gemacht hat, der sich darauf versteht.
Louise. Es ist lächerlich, eine Frau wie mich zur Rivalin eines blühenden, jungen Mädchens, wie meine Nichte, zu machen.
Laurette. Madame haben jung geheirathet. Zudem ist es ja nicht immer die Jugend, die heftige Liebe erregt; ja, bedeutende Kenner wollen sogar behaupten, daß große Leidenschaften nur selten der Antheil der ersten Jugend sind. Das Gefühl sucht viel öfter ein Herz, das die Lebensbeziehungen in einem tieferen Sinne aufzufassen vermag, und was das Verliebtseyn rechtfertigt, begründet darum noch nicht die Liebe.
Louise. Mamsell Laurette philosophirt für ein Kammermädchen sehr gelehrt über die Natur dieser Leidenschaft. Indessen, ich vergesse, daß du in einer französischen Kostschule erzogen bist. Auf mich bezogen, find aber deine Voraussetzungen dennoch vollkommen unrichtig, Herr von Buchen denkt nicht an mich, ich, dem Himmel sey Dank, noch viel weniger an ihn. Mein Mann ist ein Narr, du eine Närrin, und ich muß nur gehen und sehen, ob ein Aderlaß nöthig ist, ihn wieder zur Vernunft zu bringen.
Laurette. Was werden Sie aber sagen, Madame, wenn Buchen Ihnen selbst dieses Geständniß macht?
Louise. Daß er der größte Narr von euch Dreien ist.
Laurette. Oder Ihre Liebenswürdigkeit eben so groß als Ihre Bescheidenheit.
Louise. Gut, daß deine Complimente an mich, und nicht an meinen Mann gerichtet sind. Sternau ist, bei vielen guten Eigenschaften, etwas eitler als erlaubt ist; bei mir aber gilt deine Waare nach ihrem ächten Weiche. (Geht ab.)
Laurette. allein.
Es ist unrecht, gegen eine so liebe Frau zu intriguiren, man sollte sie vielmehr selbst in das Geheimniß ziehen, um so mehr, da sich hoffen ließe, sie durch Gründe auf unsere Seite zu bringen. – Man will Buchen Herminens Hand verweigern, weil er in dem Rufe der Flatterhaftigkeit steht! Ein schöner Einwurf! Wenn das für einen Grund gelten sollte, die Hand eines Mannes auszuschlagen, wie viele Mädchen würde man denn da unter die Haube bringen? Auch ist es mit diesen verrufenen Flatterhaften nicht so gefährlich; nachdem sie lange genug um Alle geschwärmt haben, hören sie gewöhnlich damit auf, sich um so fester an Eine zu hängen. Ein kluges, gutes, verständiges Mädchen, wie Hermine, kann es immerhin mit ihnen wagen. Und käme nur ein solcher Flatterhafter zu mir, ich wollte mir eben so gut ein Herz fassen und schon mit ihm fertig werden.
Laurette. Bastian.
Bastian. Diesen Brief bat der Jäger von Herrn von Buchen für Mamsell Laurette abgegeben.
Laurette. Gib her, lieber Bastian. Hat jemand den Jäger gesehen?
Bastian. Nein, Mamsell. Er gab mir den Brief unten am Hausthore.
Laurette. Schon gut. (Bastian geht ab.) Der Brief nebst seinem Einschlusse soll seine Wirkung nicht verfehlen, dafür steh' ich! – Da kommt der Mann wie gerufen!
Laurette. Sternau.
Sternau. Ich bin in der sonderbarsten Stimmung von der Welt. Mich peinigen alle nur denkbaren Zweifel, liebe Laurette, – Du hast die bestimmte Ueberzeugung von dem Einverständnisse meiner Frau mit Buchen, du hast sie beobachtet; Buchen selbst hat dich zu seiner Vertrauten machen wollen, und doch glaub' ich immer noch, daß irgend ein Irrthum in der Sache obwalte. Meine Frau war diesen Augenblick bei mir: ihre Haltung war keinesweges die einer Schuldbewußten; und als ich endlich nicht länger an mich halten konnte, und ihr die Gräuelthat vorrückte, fing sie an zu lachen und nannte mich einen Narren.
Laurette. Welche Verstocktheit!
Sternau. Soll ich dir offen gestehen: je forschender ich sie ansah, und je mehr ich mich bemühte, irgend ein Zeichen ihres bösen Gewissens an ihr wahrzunehmen, je argloser und unbefangener erschien sie mir.
Laurette. Ach, wie täuschend ist oft die Außenseite der Sünde! Wie oft nimmt Verstellung die Maske der wahren Liebe an und mißbraucht das harmlose Vertrauen.
Sternau. Wohl wahr. Indeß, ich, liebe Laurette, bin in diesem Falle schwer zu hintergehen; ich weiß, wie wahre Liebe sich kund gibt.
Laurette. Doch das wußten Sie nicht, wie sie leidet und schweigt. – Ach, wohin gerathe ich wieder? – Hier handelt es sich, Ihnen ein falsches Herz zu entlarven, nicht die Hülle von den Schmerzen eines liebenden zu ziehen. – Lesen Sie diesen Brief, ich empfing ihn vor wenig Augenblicken von Herrn von Buchen.
Sternau. (liest). Ich mußte Sie heute so schnell verlassen, daß es mir unmöglich war, Sie, liebe Laurette, ausführlich über die Angelegenheit meines Herzens zu sprechen. Aber Ihre Güte läßt mich Ihres Beistandes gewiß seyn, und meine Dankbarkeit wird dieser Güte gleich kommen. Der Ueberlästige, der zwischen uns steht, wird uns nicht immer stören –«
Laurette. Bemerken Sie den Ueberlästigen?
Sternau. Ja, ja, der bin ich; das ist klar. (Liest weiter.) Ich bitte Sie dringend, das eingeschlossene Billet an Madame Sternau zu übergeben. Diese liebenswürdige Frau hat sich meines ganzen Herzens bemächtigt, und es müßte unglücklich gehen, wenn es uns mit Ihrem Beistande nicht gelänge, dem bewußten Herrn den Kopf zurecht zu setzen, und ich bin überzeugt, Madame Sternau wird sehr gerne die Hand dazu bieten.«
Laurette. Haben Sie gehört, Herr Sternau? Wissen Sie, was das heißt? Bleiben Ihnen noch Zweifel über die Wahrheit?
Sternau. Nun ist alles klar wie Wasser! – Es ist himmelschreiender Verrath! Es ist die ärgste Missethat, die je erdacht worden ist!
Laurette. Armer Freund! Wie leidet das Herz Ihrer Laurette bei diesem Unglück!
Sternau. Nicht wahr, Laurette, ich bin sehr beklagenswerth? Aber ich will mich rächen! ich will Dinge thun, daß das Land davon reden soll!
Laurette. Uebereilen Sie nichts; denken Sie an den Flecken, den Sie Ihrem Namen anheften. Was Sie auch unternehmen, thun Sie nichts ohne meinen Rath. Lassen Sie sich durch die Liebe leiten. Mein Herz wird mich Mittel lehren, das Ihre zu heilen.
Sternau. Vortreffliches Geschöpf!
Laurette. Mein Glück zählt dabei für nichts; nur Ihre Ruhe, Ihr Friede beschäftigt mein Herz, O, welch ein Mann sind Sie! Wie edel selbst im Unglück! – Welch schöne Plastik in Ihrem Schmerze! Ihr ganzes Wesen hat etwas wahrhaft Erhabenes in diesem Augenblicke! Es ist die großartige Ruhe der Antike in Ihnen, die den Ausdruck des Leidens nicht über die Linie des Schönen hinaustreibt. Ach, wie soll mein liebendes Herz in Ihrer Nähe Fassung behalten?
Sternau. Schöne, weiche Seele!
Laurette. Behalten Sie dieses Dokument in Ihren Händen, es zählt mit den übrigen Beweisen.
Sternau. Diesen Brief an meine Frau will ich nicht eröffnen; sie soll ihn aus meinen Händen erhalten. Man soll nicht sagen, ich sey ein eifersüchtiger Narr. Aber wenn ich Gericht halte, dann sollen die Schuldigen zittern!
Laurette. Recht so! Uebereilen Sie nichts, lassen Sie die ganze Sache erst vollkommen reif werden, dann treten Sie auf in der ganzen Würde des beleidigten Gatten. Bis dahin lassen Sie uns vorsichtig seyn. Vertrauen Sie sich ganz Ihrer unglücklichen, aber um so ergebeneren Laurette. – Die Liebe wacht! – (Geht ab.)
Sternau. (allein). Herrlicher Charakter! – Es ist auffallend, was die Vorzüge eines ausgezeichneten Mannes auf ein edles weibliches Gemüth für tiefe Eindrücke machen können! Ich werde mich durch die Beleidigung, die mir meine Frau angethan hat, nicht von meinen Grundsätzen entfernen; ach, ich liebe die Verbrecherin nur zu sehr! – Laurette wird keine Gegenliebe finden; aber ich muß gestehen, daß die Theilnahme dieses gefühlvollen, vortrefflichen Mädchens meinem Schmerz eine wahre Linderung verschafft.
Sternau. Hermine
Sternau. Wieder eine arme Betrogene!
Hermine. Ich suche Sie auf, um mir von Ihnen Geduld zu erbitten, wenn ich Ihre Beschlüsse in Bezug auf einen Gegenstand zu ändern versuche, den Sie vielleicht schon als ganz abgemacht anzusehen wünschen. – Ich rede von Buchen.
Sternau. Buchen ist ein Verräther!
Hermine. Sie thun ihm Unrecht, lieber Oheim. Gewiß, das ist Buchen nicht. Er war leichtsinnig, flatterhaft, unbeständig, aber er war es nur so lange, bis er wahrhaft liebte. Nun gehört mir sein Herz ausschließlich, darauf können Sie rechnen.
Sternau. Wie schändlich wird mit deiner Unerfahrenheit gespielt! Ich weiß besser, wem sein Herz gehört, oder auch nicht gehört; denn der Henker mag wissen, wie viele Herzen ein solcher Corsar auf Einmal in Brand steckt.
Hermine. Lassen Sie mich es darauf wagen, guter Oheim. Es ist eine innere Summe, die mir sagt, daß ich diesen Corsaren nöthigen werde, seine Flagge zu streichen, und sich mir auf Diskretion zu ergeben.
Sternau. Du bist das Kind meiner geliebten Schwester, ich liebe dich wie mein eigenes, darum bin ich verpflichtet, auf dein Wohl zu achten. Ich bin in genauer Kenntnis von Buchens schändlichen Umtrieben, das kannst du mir glauben. Es ist nicht Eigensinn oder Laune, was mich bestimmt hat, deinen Wünschen in den Weg zu treten. Vor mir liegt eine Masse von Gräuelthaten ausgebreitet, daß mir die Haare zu Berge stehen!
Hermine. Lassen Sie mich sie wissen.
Sternau. In dem Augenblicke, in dem du so fest auf Buchens Aufrichtigkeit und Treue bauest, unterhält er einen Liebeshandel mit einer Andern.
Hermine. Das ist Verleumdung! Das ist unwahr! – Verzeihen Sie, lieber Oheim!
Sternau. Ich bin davon überzeugt. Ich bin im Besitze des ganzen Geheimnisses, ich habe das Wort der Charade.
Hermine. So nennen Sie mir die Person, mit der Buchen einen Liebeshandel unterhält.
Sternau. Nennen? – Ich könnte Sie nennen; allein Rücksichten – die Verhältnisse der Begebenheit – der Zustand – kurz, die Person kann ich dir nicht nennen, aus mir allein bekannten, erheblichen Ursachen.
Hermine.. Dann erlauben Sie, daß ich so lange die ganze Geschichte für eine Fabel halte.
Sternau. Ich schwöre dir, es ist furchtbare Wahrheit!
Hermine. Ich bin überzeugt, daß meine Tante minder hartherzig seyn wird. Sie wird meinen Gründen nachgeben.
Sternau. Deine Tante? Eben die – Nein, nein, Kind, deine Tante am allerwenigsten wird in diese Verbindung einwilligen; deine Tante weiß sehr genau, daß Buchen dich nur zum Deckmantel braucht, um die Augen der Welt von seiner geheimen Liebesgeschichte abzulenken.
Hermine. Nein, Onkel, das ist zu arg! Den armen Buchen so schändlich zu verleumden!
Sternau. Hier ist von keiner Verleumdung die Rede; ich habe alle Beweise in den Händen.
Sternau. Ich habe Buchens eigene Handschrift. Was ich sage, steht hier auf diesem Blatte.
Hermine. Das ist unmöglich!
Sternau. Du kennst Buchens Schrift. Ich kann dir den ganzen Inhalt des Briefes nicht mittheilen, von wegen der mir allein bekannten Ursache; aber du kannst seine Hand sehen, und ich betheure dir, daß der Inhalt den schwärzesten Verrath gegen mich – gegen dich, will ich sagen – enthält. Hier sieh die Schrift selbst.
Hermine. Es ist seine Schrift; aber seine Schrift beweist nichts. Ich muß den Inhalt des Briefes wissen.
Sternau. Ich halte mit meiner Hand den Namen zu und lasse dich den Schluß selbst lesen.
Hermine. (liest.) »Madame – wird sehr gerne die Hand dazu bieten, ihrem Gemahle den Kopf zurecht zu setzen.«
Sternau. Weißt du nun den Inhalt? weißt du nun, um was es sich handelt? Um den Kopf eines Gemahls.
Hermine. Onkel, Sie sind grausam! Nein, und dennoch glaub' ich es nicht! – Wie kam dieser Brief in Ihre Hände?
Sternau. Eine sehr achtbare Person, die wußte, wie Buchen mich – dich, wollte ich sagen – hintergeht, hat Mittel gefunden, mir die Augen zu öffnen.
Hermine. Ich weiß nicht, wie die Sache mit dem Briefe zusammenhängt, aber selbst wenn ich es aus Buchens eigenem Munde hörte, würde ich es nicht glauben. Die ganze Geschichte ist eine Erfindung, mich von Buchen abwendig zu machen, und Sie, Onkel, Sie sind der Erfinder! Es ist abscheulich! (Geht ab.)
Sternau. (allein). Da sieht man, wie arglos die Liebe ist! – Ich habe auch nichts gesehen, nichts gehört, nichts geglaubt, bis ich es schwarz auf weiß in den Händen habe. Ha, da kommt der Basilisk!
Sternau. Louise.
Louise. Nun, mein lieber Sternau, bist du endlich in der Verfassung, ein vernünftiges Wort anzuhören und wie ein vernünftiger Mensch zu antworten?
Sternau. Wenn du glaubst, dieser unbefangene Ton reiche hin, mich zu täuschen, so kann ich dir versichern, daß du irrest. Ich kann nur um so tiefere Verachtung für dich fühlen.
Louise. Nein, mein Freund, nun wird die Sache denn doch etwas zu arg! Ich habe Geduld wie Eine; aber nun ist sie zu Ende. Es ist eine Schande, wenn ein Mann in deinen Jahren anfängt, den Verstand zu verlieren!
Sternau. Mein Verstand war nie in besserer Verfassung als eben jetzt. Damals hatt ich den Verstand verloren, als ich auf deine Treue vertraute.
Louise. Dann wundert es mich, daß du so lange keinen Abgang gespürt hast; denn fünfzehn Jahre ist es dir noch nicht eingefallen, daran zu zweifeln.
Sternau. Louise. Leider! Aber niemand entgeht seinem Schicksale, der Eine früher, der Andere später. Meine Stunde ist nun gekommen.
Louise. Dein Betragen ist im höchsten Grade lächerlich! Ich stürbe vor Scham, wenn irgend jemand nur eine Ahnung davon hätte.
Sternau. Dann mußt du bald dazu sehen, sonst wird es zu spät; denn morgen soll es die ganze Stadt erfahren. Ja, man soll meine Schmach kennen, aber auch meine Rache!
Louise. Welcher Wahnsinn hat dich befallen? Buchen denkt nicht an mich.
Sternau. Buchen denkt nicht an dich? – Sehen Sie diesen Brief, Madame?
Louise. Nun, was soll dieser Brief beweisen?
Sternau.. Dieser Brief enthält das Zeugniß deines Verbrechens.
Louise. Dieser Brief?
Sternau. Ja, dieser Brief.
Louise. Aber, guter Sternau! lasse doch diesen durchaus ungegründeten Verdacht fahren. Es ist vielleicht sonderbar, dir das jetzt zu sagen, nach einer so langjährigen Ehe; auch habe ich Unrecht, einen ohnedieß schon genug eitlen Mann durch mein Geständniß noch eitler zu machen: ja, du verdienst es durch dein gegenwärtiges Betragen gegen mich gar nicht; aber ich bin nun schon einmal schwach genug, es zu bekennen: ich habe das Gefühl meiner früheren Jahre nicht gegen dich geändert, ich liebe dich noch immer.
Sternau. Gehorsamer Diener! Sehr verbunden! – Geben Sie sich keine Mühe, Madame, alles das kann Ihnen nichts nützen. Die Hülle der Scheinheiligkeit ist von Ihnen gefallen, Sie stehen in Ihrer ganzen Blöße vor mir, und ich kann Ihnen sagen, Madame, Sie kommen mir abscheulich vor.
Louise. Mein Gott! wenn er etwa gar – wenn sein Verstand – Lieber Sternau, Du bist vielleicht krank? Du siehst so erhitzt aus! Ich bin über allen Ausdruck besorgt! –
Sternau. Niederträchtig! Schändlich! – Wollen Sie der Welt glauben machen, ich habe den Verstand verloren? Nein, Madame! ich bin nicht krank, auch nicht toll; ich habe alle meine Sinne. Wie lange ich sie noch haben werde, weiß ich nicht; aber doch hoffentlich so lange, bis ich Sie und Ihren Anbeter für Ihren Verrath gezüchtigt habe!
Louise. Wohlan denn! Alles hat seine Gränzen, auch meine Nachgiebigkeit und Schwäche gegen Sie hat die ihren. Glauben Sie, was Sie wollen, es gilt mir gleich, ich werde mir nicht mehr die Mühe geben, Ihre Meinung zu berichtigen, mir genügt an meinem Bewußtseyn, und so werde ich es der Zeit überlassen und in Geduld erwarten, bis es Ihnen beliebt, sich eines Bessern zu belehren.
Sternau.. Ich bin belehrt, aber spät.
(Lange Pause.)
Louise. Ich bin sehr elend!
Sternau. Das könnte wahr seyn.
Louise. (heftig). Es steht Ihnen gut an, den Ferdinand Walter zu spielen.
Sternau. Wollten Sie lieber, daß ich den Kalb spielte?
Louise. Sie sind ein eben so boshafter als alberner Narr!
Sternau. Madame, was noch zu geschehen hat, soll, wenigstens von meiner Seite, mit Anstand geschehen. – Nehmen Sie diesen Brief, der für Sie hier abgegeben worden. Sie sehen, wie schnell ich mich in meine neue Würde zu finden weiß; denn ich selbst bin der Ueberbringer dieses Billet doux. Ein Zufall, oder vielmehr eine Fügung, brachte ihn in meine Hände. Sie werden begreifen, daß Ihr Läugnen nichts gegen so glaubwürdige Documente vermag! – Madame, ich klage auf Scheidung! (Geht ab.)
Louise. allein, nachdem sie den Brief gelesen.
Nein, nun weiß ich doch fast selbst nicht, was ich glauben soll! Früher meinte ich, daß es mit Sternau's Kopfe nicht ganz richtig sey, nun aber möchte ich fast an meinem eigenen zweifeln. Die Eifersucht meines Mannes, die mir wie aus den Wolken gefallen schien – Laurettens Aeußerungen – alles das hielt ich für grundlose Einbildungen; doch hier ist nun wirklich ein Brief von Buchen an mich, und zwar eine Liebeserklärung in der besten Form. – In der That, nichts Wunderbareres hätte mir im Traume einfallen können, als daß ich die glückliche Rivalin seyn sollte, um die meine arme Nichte verrathen wird! – Eines aber ist wahrhaft empörend: die bodenlose Schlechtigkeit dieses Männervolkes! – Die Zartheit unseres Geschlechtes hat nicht einmal einen Begriff von der Unzartheit des andern. Kein Verhältniß ist ihnen heilig. – Wie ist denn Buchen nur auf einen solchen Gedanken gekommen? Ich bin ja gar nicht mehr hübsch genug zum Verlieben. – Wie sehe ich denn aus? (Sie tritt vor einen Spiegel) Auch auf meine Toilette wende ich ja keine besondere Aufmerksamkeit; ich gehe weiß, damit gut. – Freilich hat mich ein einfacher Anzug von jeher am besten gekleidet. – Den Kopf etwas mit Geschmack geordnet, ein Band – ein Tuch – das ist alles. – – Im Ganzen habe ich mich seit einigen Jahren nicht sehr geändert. – – Ich finde es aber doch sehr unverschämt von Buchen. Was denkt der Mensch von mir? – So wahr ich lebe, da ist er selbst!
Louise. Buchen.
Buchen. Verzeihen Sie, Madame, wenn ich trotz der unfreundlichen Zumuthung Ihres Herrn Gemahls mir dennoch die Freiheit nehme, in diesem Hause zu erscheinen. Männer, wenn sie eifersüchtig sind, haben sonderbare Grillen, daran muß man sich, wie ich glaube, nicht kehren, und so noch einmal: entschuldigen Sie meine Freiheit.
Louise. Nach allen Freiheiten, die Sie sich schon genommen haben, Herr von Buchen, kann man sich kaum noch über eine neue verwundern. – Der Brief, den Sie sich unterfingen, mir zu schreiben –
Buchen. Sie haben ihn erhalten? Vortrefflich! Er überhebt mich aller langweiligen Einleitungen. Ich kann ohne Vorbereitung sogleich von dem sprechen, was mir allein wichtig ist. – Sie kennen die Gefühle, die ich für Sie hege, liebenswürdige Frau! Der sanfte, gefühlvolle Blick Ihres Auges sagt mir, daß sie Ihnen nicht unangenehm sind.
Louise. Mein Herr, Sie sind in Ihren willkürlichen Auslegungen etwas zu vorschnell. Wenn meine Blicke in der That nur halb ausdrücken, was ich empfinde, so werden Sie sich bewogen finden, mich augenblicklich zu verlassen und mir die Ehre Ihrer Gegenwart heute zum letztenmale zu schenken.
Buchen. Warum diese angenommene Strenge, diese erzwungene Kälte, die Ihnen nicht Ernst ist? Auf dieser schönen offenen Stirne ist kein Platz für Stolz und Verachtung; dieses liebliche Lächeln, das Sie mit Gewalt von Ihren Lippen wegscheuchen, will seinen gewohnten Sitz nicht verlassen. Das sanfte Feuer dieser Augen kann wohl leuchten, aber nicht blitzen. Der Zorn findet keinen Ausdruck in der schönen Harmonie dieser Züge.
Louise. Ersparen Sie sich alle Ihre poetischen Bilder, Herr von Buchen! Ich bin so wenig geeignet, das Zierliche, das sie enthalten mögen, zu würdigen, daß Sie diesen Aufwand sinnreicher Vergleichungen ganz ohne Nutzen verschwenden würden.
Buchen. Warum wollen Sie mir nicht erlauben, die offene ungekünstelte Sprache meines Herzens fortzusetzen?
Louise. Sie haben sich längere Zeit den Anschein gegeben, eine ernsthafte Neigung für meine Nichte Hermine zu zeigen –
Buchen. Ja, so schien es.
Louise. Damals hatte ich nur das Urtheil der Stadt vernommen, und fand es bedenklich, das Glück meiner Nichte mit einem Manne von solchem Rufe auf das Spiel zu setzen. Nun hat mich meine eigene Erfahrung belehrt, daß Sie noch ohne Vergleich schlechter als Ihr Ruf sind. Ein Mann, der im Stande ist, einem braven Mädchen Dinge in den Kopf zu setzen, an die er nicht denkt, und dabei dreist genug, in demselben Hause unverhohlen ein eben so unschickliches als strafbares Verständniß mit einer andern Frau anknüpfen zu wollen, mit was kann er ein Betragen dieser Art auch nur vor sich selbst entschuldigen?
Buchen. Mit der Liebe, Madame! Ich habe Fräulein Hermine nicht geliebt, doch kann ich nicht läugnen, daß sie mir einige Augenblicke gefallen hat; aber mein Gott, was will das sagen? – Dieses vorübergehende Wohlgefallen mußte einer entschiedenen Neigung weichen. – Ich habe mir noch einige Zeit nachher den Schein gegeben, Fräulein Herminen den Hof zu machen, um mit mehr Unbefangenheit im Hause erscheinen und den Eindruck beobachten zu können, den ich auf Sie machen würde. Nun ich bemerkt habe, daß dieser Eindruck günstig ist, da ich mir schmeicheln darf, daß ich Ihrem Herzen nicht gleichgültig geblieben bin –
Louise. Herr von Buchen, Sie sind der vollendetste Geck, den ich je gekannt habe. Ich kann es mir nicht vergeben, daß ich Sie mehr als einmal sah, und diese Bemerkung nicht im ersten Augenblicke machte.
Buchen. Pace mio tesoro! – Sie haben genug für den Anstand gethan – Sie haben alle herkömmlichen Vertheidigungsmittel erschöpft – aber nun, schöne Frau, die Capitulation! – Sie sind eine Frau von Geist, Sie kennen die Welt, Sie wissen, daß man heutzutage die langweilige Methode, Liebesangelegenheiten einzuleiten, nur noch vom Hörensagen kennt. – Also die Capitulation! die Capitulation!
Louise. Ich habe viel von der Unverschämtheit der Männer gehört, aber es war mir bis heute vorbehalten, selbst ein Beispiel davon zu erleben, und zwar eines, das, wie ich zur Ehre des Geschlechtes hoffe, zu den seltenen gehört. – Glauben Sie in der That, mein Herr, daß ein Mann, der erst meiner Nichte den Hof machte, der allen Frauen der Stadt –
Buchen. Nun sind Sie verrathen, nun hilft kein Läugnen! Eifersucht? – Nun ist es ausgemacht, daß Sie mich lieben! Ja, das kann keine Frau auf dem Herzen behalten! Wo die Eifersucht im Spiele ist, nützen keine Vorsätze, keine Förmlichkeit, kein Ansichhalten. – Ihr Gefühl hat Sie verrathen. Nun weiß ich ganz bestimmt, Madame, daß Sie mich lieben. – Warum sollten Sie mich auch nicht lieben? Ich bin ein angenehmer Mann, Sie sind eine liebenswürdige Frau. Die Langweiligkeit des Ehestandes will denn doch durch etwas gemildert werden; die durch das ewige Werkeltagswesen verblichenen und abgegriffenen Lebensfarben brauchen doch manchmal einen Firniß, um ein wenig Glanz zu bekommen. Eine Frau von Ihrem Verstande wird das fühlen.
Louise. Herr von Buchen, ich weiß nicht, womit ich es verdient habe, daß Sie die Achtung, die Sie, ich will nicht sagen, mir, die Sie dem Geschlechte schuldig sind, auf eine solche Weise auf die Seite setzen können! Was hab' ich gethan, das Sie berechtigt, sich gegen mich ein Betragen zu erlauben, das keine Entschuldigung zuläßt? Ich habe keine Waffen, die ich gegen die Ihrigen mit Würde brauchen könnte. Es mag Ihnen daher an dem Triumphe genügen, daß es Ihnen gelungen ist, eine Frau auf das schmerzlichste zu verletzen, die Ihnen nie etwas zu Leide gethan hat; die sich bewußt ist, nie einen Anlaß gegeben zu haben, gering von ihr zu denken. – Und nun, Herr von Buchen, wenn noch eine Gegend in Ihrem Herzen ist, wo ein Gefühl für Schicklichkeit Raum hat, so lassen Sie es bei dieser Kränkung bewenden.
Buchen. Nein, Madame, das ist gegen die Verabredung. So dürfen Sie mir nicht kommen. – Sie haben zwar, wie ich weiß, von meinem Verstande etwas verfänglich gesprochen, ich hatte Ursache, empfindlich zu seyn, aber mein Herz sollen Sie nicht in Zweifel ziehen. – Hören Sie alles! Aber nach dem, was ich bereits gesagt habe, bei dem hohen Grade von Mißfallen, den ich mir dadurch zugezogen habe, kann ich noch auf Ihre Verzeihung hoffen? Sehen Sie mich knieend zu Ihren Füßen! – Gnade, Madame! Gnade einem sehr großen, aber sehr reumüthigen Verbrecher! –
Vorige. Sternau. Laurette.
Laurette. (heimlich). Da sehen Sie!
Sternau. Auf den Knieen!
Louise. Sternau! – Das ist entsetzlich! Was wird er denken?
Buchen. Herr Sternau, Sie finden mich zwar –
Sternau. O, keine Umstände! keine Umstände! Brauchen Sie Ihre Gelegenheit. Ich bin zwar noch etwas neu in solchen Dingen, aber ich bin ein galant-homme, ich werde mich schon hinein finden. Kein Othello, kein Gutierre, kein Spanier; ein ehrlicher Deutscher, ein ehrlicher Deutscher! (Stürzt ab.)
Louise. Sternau! Sternau! (Sie folgt ihm.)
Laurette. Unsere Sachen gehen vortrefflich!
Buchen. Nicht durch mein Verdienst; ich war eben daran, Madame Sternau unsern ganzen Plan zu gestehen.
Laurette. Warum nicht gar! – Welcher Bock für einen Professor!
(Der Vorhang fällt.)