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Aus Zilles Lehrzeit.

Selten erkennen die Eltern die Eigenarten ihrer begabten Kinder. Viele sehen ihre Sprößlinge als Wunderkinder an und verhimmeln sie – um später zu erfahren, daß die »Wunder« nichts weiter als ein Echo, ein Abklatsch von irgendwelchen Dingen der Umgebung der Kinder waren und jede Eigenart, jedes eigene Können fehlt. Das Wunder fällt ab. Das Kind bleibt. Wenn solche Wunderkinder hinaus kommen in die Welt, platzt ihr Genie wie eine Seifenblase. Sie sind die unglücklichsten Wesen auf der Welt, besitzen oft nicht die geringsten Elementarkenntnisse. Die Eltern sagten einst: »Unser Junge kann schon alles! Von wem soll der noch was lernen ...«

Und nun kann er gar nichts. –

Darum war es bei Zille vielleicht sehr gut, daß man ihn nicht zu Hause verhimmelte, trotzdem er schon bei seinem alten Zeichenlehrer Spanner in der Mansarde in der Krautstraße recht gute Fortschritte gemacht hatte. (Siehe Kapitel »Zille als Künstler«.)

Er sollte, vierzehn Jahre alt, zu einem Schlächter in die Lehre. Ja, er führte sogar einmal einen Hammel an der Leine in die Linienstraße und legte ihn auf den Block. Aber er konnte das Tierabschlachten nicht mitmachen. – Er, der jeden frechen kleinen Spatz füttert und der von einer ganzen Schar hungriger Sperlinge gequält wird, wenn er ihnen nicht zur rechten Zeit Futter streut! –

In der ärmlichen Dachstube in der Blumenstraße hatte ihm der alte Spanner immer wiederholt:

»Wenn du Lithograph wirst, sitzt du gut angezogen mit Kragen und Schlips in der Stube. Du schwitzt nicht und bekommst keine dreckigen Hände. Was willst du noch mehr?«

Sein Lehrer vermittelte ihm die Lehrstelle beim Lithographen Hecht in der Alten Jakobstraße. Zille schreibt:

»Bei diesem Lithographen wurden die deutschen Heerführer und Fürsten dutzendweise in allen Größen fabriziert, ebenfalls nach Photographien, verstümmelte und geheilte Soldaten für medizinische Werke auf Stein gezeichnet, Heiligenbilder, Madonnen mit blutendem Herzen, der Gekreuzigte und so weiter, die dann in den Wohnungen der armen Leute rechts und links neben dem Regulator hingen. Darunter baumelten die Kriegsgedenkblätter und Kriegsmedaillen der gefallenen oder verstümmelten Väter und Söhne. Wir hatten damals ein merkwürdiges Kunstgewerbe, der Triumph in der Möbelarchitektur war der Muschelaufsatz, all das frühere Gute ist seit jener Zeit aus den Wohnungen der kleinen Leute verschwunden.

Denn bis 1870 waren die klein-bürgerlichen Wohnungen trauliche Räume mit praktischem, man kann sagen, stilvollem Hausrat. Jetzt kam der Aufschwung der Industrie: Polstermöbel, Wandteller, – Abzahlungsgeschäfte.

War auch die Arbeit am Tage nicht so erfreuend, um so mehr waren es die Abende in der Kunstschule und später im Abend-Akt-Saal. Ich ging die Woche zweimal in den Unterricht zum alten guten Professor Hosemann in die Kunstschule, die damals in der Akademie war, ebenso zweimal die Woche zum Professor Domschke, Anatomie, der sehr grob war und die vollste Klasse hatte. ›Wenn Se nich mehr kenn', dann setzen Se sich mit Ihr Brett auf die Treppe un nehmen nich hier die hoffnungsvollen Jünglinge, die bald nach Italien wollen, den Platz weg!‹ – Aber die Klasse war übervoll, die jungen Leute freuten sich über den alten Herrn, der so wie der olle Schadow sprechen sollte – nach ihm hat's P. Meyerheim verstanden, das Berlinern weiter auszubilden. Der alte Hosemann ließ mich in seiner Wohnung, Luisenstraße am Neuen Tor, ganz gern seine Skizzen und Zeichnungen ansehen und auch abmalen, sagte aber: ›Gehen Sie lieber auf die Straße raus, ins Freie, beobachten Sie selbst, das ist besser als nachmachen. Was Sie auch werden

 

185. Blick auf Stralau über den Rummelsburger See. 1875.

Nach der unveröffentlichten Original-Bleistiftzeichnung aus Zilles Lehrzeit. Seine Eltern wohnten damals in Rummelsburg.

 

– im Leben können Sie es immer gebrauchen; ohne zeichnen zu können, sollte kein denkender Mensch sein.‹«

*

»In dieser Zeit, also nach dem Krieg 1870/71, setzte eine Hochflut von auf den Stein gezeichneten Kriegsbildern ein. Fürsten, Feldmarschälle, Generäle, Schlachtenbilder wurden Tag und Nacht gezeichnet und gedruckt – die Kriegsgreuel verherrlicht und verewigt. Der ›Öldruck‹ war damals erfunden, meisten wurden nun die Bilder bunt gedruckt – die ›Ölgemälde der Armen‹. Die Bilder waren billig, ›zierten‹ die Wohnung und deckten zugleich die vielen Flecke von den an den Wänden zerquetschten Wanzen zu. Ab und zu wurden die Rückseiten abgesucht, die Bilder dienten damit zugleich als ›Wanzenfalle‹. Ich sehe noch immer – in einer erbärmlichen Stube, wo sieben Menschen hausten – sich das Porträt des alten Kaiser Wilhelm I. leise bewegen – – – – so viel Wanzen krabbelten hinter dem Bilde.

Es war die ›Gründerzeit‹, die Bauwut setzte ein, viele Stadtteile entstanden – Wände waren genug da für Bilder. Die Druckereien konnten nicht genug liefern. Die Lithographenlehrlinge wurden mit großen Versprechungen entführt und als Gehilfen hoch bezahlt. Viele Gehilfen fuhren nur mit Droschke ›erster Güte‹(Klasse) zum Arbeitsplatz.

Ich kam in viele Wohnungen, wo die Bilder, an denen ich mitgearbeitet, hingen, zu armen kranken Menschen, Bedauernswerten, die ihre Gesundheit auf den Schlachtfeldern von 1864, 1866, 1870/71 gelassen hatten. Die mit dem Leierkasten gingen und die man ›Krüppel‹ nannte. Der ›Weltkrieg‹ hat das Wort ›Kriegsverletzte‹ erfunden, das nicht so weh tut. Da regte sich so nach und nach in mir der Wunsch, dies armselige Leben zu zeichnen, zeichnen zu können – Gesehenes aus der Erinnerung wiederzugeben. Ich dachte an die Kinderzeit, an häßliche und heitere Erlebnisse, versuchte diese aufs Papier zu bringen, mit Ernst und Humor zu versehen. Wie anders als das Abzeichnen von Vorlagen und Photographien für den Steindruck! Keine Stunde ließ ich unbenutzt, beobachtete und strichelte drauf los und konnte, trotzdem ich im graphischen Gewerbe war und damit mein Brot verdienen mußte, manchen Beitrag für Zeitschriften mit Erfolg loswerden – auch in Ausstellungen meine Zeichnungen zeigen. Als ich als Fünfundsechzigjähriger mich ganz von meiner Zeichnerei ernähren mußte, das graphische Gewerbe verlassen hatte, meinen Lieblingswunsch, ›Die Vergessenen‹ zu beschreiben und zu zeichnen, ausführen konnte, da wurde so sachte der Armeleutemaler fertig, und ich kam wirklich zu meinem ›Schicksal‹.« –

 

186. Titelblatt zu einem, erotischen Büchlein, das eine Szene im Orpheum, dem berühmten Tanzlokal der Gründerzeit darstellt.

Nach der zeitgenössischen Lithographie. Solche Bücher wurden damals auf den Bahnhöfen verkauft.

 

Weiter erzählt Zille aus seiner Lehrzeit:

›Als ich Lithograph lernte, kam ich auch wieder ins ›Milljöh‹. Ich lernte in der Alten Jakobstraße. In dem Hause war das berühmte und berüchtigte Ballokal ›Das Orpheum‹. Zum Frühstück mußte ich Bier holen – bei den Kellnern der Tanzsäle. Sie hatten eine eigene Kantine und putzten vormittags den Fußboden, die Spiegelscheiben und was zu solchen Lokalen dazu gehört. Wenn ich hinein kam, lagen noch betrunkene Männer und Weiber in den Nischen und Logen auf den Plüschsofas: die Glücklichen der Gründerzeit, die die Ernte der Kriegserfolge von 1870 einheimsten.

Ich kam mal dazu, wie die Kellner ein betrunkenes dickes Frauenzimmer über den Stuhl gelegt hatten und auf ihrer entblößten Kehrseite einen Dauerskat kloppten ...«

*

»Monatelang habe ich Lithographien koloriert. Meistens Hosemanns. Da gab's ein paar Drucker in Berlin, die mit solchen kolorierten Drucken handelten. Von denen kauften die Buchhändler und Papierhändler die bunten Bildchen. Auch andere Geschäftsleute hingen manchmal solche Bildchen in ihre Schaufenster. Die waren ja meistens noch viel kleiner als heute. Und da fiel solch Bildchen auf. Das war damals ein Reklametrick.

Damals war das Kolorieren noch Heimarbeit. Für jedes Blatt gab's 'n paar Pfennige – manchmal auch noch weniger. Damit hat sich manches arme Mächen sein trocken Brot verdient. Manche Familie hat bis in die Nacht um den Tisch rum gesessen und gepinselt. Jeder hatte seine bestimmte Farbe aufzutragen. Aber man lernte ein bißchen sehen dabei.«

»Als Kind und als Stift hatte ich auch manchmal im neuen

 

187. Modeblatt aus den siebziger Jahren. Kostüm mit dem »Cul de Paris«, der sogenannten Tonhalle.

Nach der Lithographie aus Zilles Lehrzeit.

 

Industriegebäude in der Kommandantenstraße zu tun. Das war damals eine alte Kaserne. Und die Soldaten aus dieser Kaserne exerzierten auf dem Dönhoffplatz, der kahl war und nur eine Reihe Bäume am Rande hatte. Irgendein großer Häuserspekulant, der nach dem siebziger Kriege viel umbaute – das viele Geld floß doch ins Land, die Milliarden aus Frankreich – dieser Unternehmer kaufte die alte Kaserne und schlug der Bauordnung ein Schnippchen. Wenn er die alten Gebäude niedergerissen hätte, dann hätte er viel Gelände abtreten müssen. Nun baute er auf den alten Kabachen erst Dächer auf – und dann erst mauerte er die untern Stockwerke um, brach Läden aus und richtete Cafés und Kneipen ein.

Und in diesem neuen Gebäudekomplex, der im damaligen altväterlichen Berlin wie ein Monumentalbau wirkte, richtete auch der Berliner Künstlerverein seine erste Bleibe ein. Die Künstler wohnten ja damals noch nicht alle im Westen. Viele hausten noch in der Ritterstraße und auch in der Innenstadt.

Und im unfertigen Bau, zwischen Schutt und Mörtelhaufen hatte sich eine Papierhandlung aufgetan. Bei der mußte ich Papier holen. Hinten, auf dem Hof ging eine eiserne Wendeltreppe zum Verein der Künstler rauf. Und im Eingang hing eine große eingerahmte Lithographie von dem berühmten Lithographen Lelio de Maaß aus der Neanderstraße.

Der wohnte da noch in einem kleinen alten Haus. Das wurde auch umgebaut nach dem Milliardensegen. Er saß da in einer kleinen Stube an einem Fenster, das auf einen grünen Garten ging, auf einem alten durchgesessenen Rohrstuhl – 'ne alte Hose ohne Hosenboden hatte er über die Beine und einen verschlissenen Schlafrock über.

Bei dem Alten war ich auch ein paarmal. Da kriegte man Respekt vor'm Können.

So'n alter Mann! Aber immer noch beim Schaffen ...«

 

188. Titelblatt zu einem zweideutigen Büchlein, das von Erlebnissen im Chambre séparée erzählte.

Nach einer Originallithographie aus Zilles Lehrzeit.

 

Wie wenn Zille von einem zwar nicht gewollten aber doch befolgten und verehrten Vorbild spricht, so klingen die Worte von dem alten Lithographen.

Zille ist ja nun auch ein alter Künstler. Aber auch er ist immer noch beim Schaffen. Wenn er oft auch müde und schlapp ist: kramt er in seinen Mappen und Studien, dann wird er immer wieder lebendig, verbessert wohl hin und wieder hier und da, zeigt die Blätter und schüttelt den Kopf, wenn er sich erinnert, von wo und von wann es ist – und sagt wohl auch:

»Ja – ja, die Lehre! .... Da muß man arbeiten lernen!

... meine Lehrzeit! – – –«


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