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Am nächsten Tage erschien Narcisse Habert verzweifelt bei Pierre, um ihm zu sagen, daß sein Vetter, Monsignore Gampa del Zoppo, der Geheimkämmerer, sich für leidend ausgebe und zwei bis drei Tage Zeit verlange, ehe er den jungen Priester empfangen und sich mit seiner Audienz beschäftigen könne. Pierre war also zur Unbeweglichkeit verurteilt, da er nicht wagte, auf anderem Wege einen Versuch zu machen, um den Papst zu sehen; man hatte ihn derart erschreckt, daß er durch einen ungeschickten Schritt alles zu verderben fürchtete. Und unbeschäftigt wie er war, begann er, da er seine Zeit ausfüllen wollte, Rom zu besichtigen.
Sein erster Besuch galt den Ruinen des Palatin. Schon um acht Uhr morgens, bei klarem Himmel, ging er ganz allein fort und begab sich zu dem in der Via S. Teudoro befindlichen Eingang, einem Gitter, das von den Pavillons der Wächter eingefaßt wird. Sofort trat einer derselben herzu und bot sich als Führer an. Er hätte vorgezogen, seiner Phantasie nachzugehen, sich auf gut Glück seinen Entdeckungen und seinem Traum zu überlassen, aber es war ihm peinlich, das Anerbieten dieses Mannes zurückzuweisen, der sehr deutlich und mit einem guten, gefälligen Lächeln französisch sprach. Es war ein kleiner, stämmiger Mann, ein ehemaliger Soldat, etwa sechzig Jahre alt, mit einem viereckigen, rötlichen, von einem dicken weißen Schnurrbart geteilten Gesicht.
»Wenn der Herr Abbé mir also folgen will ... Ich sehe, der Herr Abbé ist Franzose. Ich bin Piemontese und kenne die Franzosen sehr gut: ich war mit ihnen bei Solferino. Ja, ja, man kann sagen, was man will, das vergißt man nicht, wenn man einmal verbrüdert war. Bitte, hier rechts.«
Als Pierre die Augen hob, erblickte er die Linie der Zypressen, die die Plattform des Palatin auf der Tiberseite begrenzen. Er hatte sie am Tage seiner Ankunft vom Janiculus aus gesehen. In der so zart blauen Lust erschien das tiefe Grün der Bäume wie eine schwarze Franse. Außer ihnen war nichts zu sehen; der Abhang streckte sich kahl und nackt, schmutzig staubgrau hin, bestreut mit einigen Buchsbaumstauden, in deren Mitte die oberen Enden antiker Mauern aufschimmerten. Das war die Verwüstung, die aussätzige Trübseligkeit des Ausgrabungsterrains, an dem sich nur die Gelehrten begeistern.
»Die Häuser des Tiberius, des Caligula und der Flavier sind dort oben,« fuhr der Führer fort. »Aber wir heben sie uns bis zuletzt auf; wir müssen der Reihe nach gehen.«
Dennoch wendete er sich einen Augenblick nach links und blieb vor einer Höhle, einer Art Grotte in der Flanke des Berges stehen.
»Das ist das Lupercale, wo die Wölfin Romulus und Remus säugte. Früher war noch am Eingang der Feigenbaum Nominal zu sehen, der die Zwillinge schützte.«
Pierre konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, so einfach und überzeugt gab der alte Soldat seine Erklärungen, und so stolz war er außerdem auf all diesen antiken Ruhm, der sein Eigen war. Aber als der würdige Mann ihm neben der Grotte die Spuren der Roma quadrata, die Mauerreste gezeigt hatte, die wirklich bis auf die Gründung Roms zurückzuführen schienen, wurde sein Interesse wach und eine erste Erregung ließ sein Herz klopfen. Gewiß kam das nicht daher, weil es ein wunderbares Schauspiel war, denn es handelte sich nur um einige Blöcke behauener und ohne Zement oder Kalk über einander gelegter Steine. Aber eine Vergangenheit von siebenundzwanzig Jahrhunderten erstand hier und diese zerbröckelten, geschwärzten Steine, die ein so mächtiges Gebäude von Pracht und Allmacht getragen halten, nahmen eine außerordentliche Majestät an.
Sie setzten ihren Rundgang fort und schritten wieder nach rechts, stets an der Flanke des Berges entlang. Die Ausläufer der Paläste mußten bis hieher gereicht haben: Reste von Portilen, von zusammengebrochenen Sälen, noch aufrechtstehende Säulen und Friese begrenzten den holperigen Weg, der sich zwischen wirren Kirchhofsgräbern hinzog. Der Führer, der das, was er wußte, so gut hersagte, weil er es seit zehn Jahren täglich wiederholt hatte, fuhr fort, die unsichersten Hypothesen aufzustellen, indem er jedem der Trümmer einen Namen, eine Verwendung, eine Geschichte beilegte.
»Das Haus des Augustus,« sagte er zuletzt mit einer auf den Erdschutt deutenden Handbewegung.
Diesmal wagte Pierre, da er absolut nichts sah, zu fragen:
»Wo denn?«
»Ach, Herr Abbé, es scheint, daß man noch zu Ende des vorigen Jahrhunderts die Fassade davon sah. Der Eingang war von der andern Seite, von der Sacra Via aus. Auf dieser Seite befand sich ein riesiger Balkon, der auf den Zirkus Maximus ging. Von ihm aus konnte man den Spielen beiwohnen. Uebrigens ist der Palast, wie Sie konstatiren können, noch immer fast gänzlich unter dem großen Garten da oben, dem Garten der Villa Mills begraben. Aber wenn man das Geld für die Ausgrabungen haben wird, wird man ihn wieder finden, das steht fest, gerade so wie den Tempel des Apollo und den der Vesta, die ihn begleiteten.«
Er wandte sich nach links und trat in das Stadium, den kleinen Zirkus für die Wettläufe, der sich dicht an der Flanke des Palastes des Augustus hinzog. Jetzt begann der Priester gepackt und begeistert zu werden. Nicht, daß sich hier eine genügend erhaltene Ruine von monumentalem Aussehen befunden hätte – keine Säule war auf ihrem Platze geblieben, bloß die rechten Mauern erhoben sich noch, aber der ganze Plan war wieder gefunden worden, die Pfeiler an jedem Ende, der Portikus rings um die Bahn, die kolossale Loge des Kaisers, die, nachdem sie links im Hause des Augustus gewesen, dann in den Palast des Septimius Severus eingelassen wurde und sich nach rechts geöffnet hatte. Und der Führer schritt immer weiter durch diese zerstreuten Trümmer, gab reichliche und genaue Erklärungen und versicherte, daß die Herren von der Direktion der Ausgrabungen ihr Stadium bis in die kleinste Einzelheit festgestellt hatten, so daß sie im Begriffe waren, einen genauen Plan davon zu machen, mit der Reihenfolge der Säulen, der Statuen in den Nischen, der Natur des Marmors, von dem die Mauern bedeckt waren.
»O, die Herren sind ganz ruhig,« schloß er und sah dabei beseligt aus. »Die Deutschen werden nichts zu sticheln haben und werden hier nicht alles auf den Kopf stellen, so wie sie es am Forum gemacht haben, wo man sich nicht mehr auskennt, seit sie mit ihrer Wissenschaft darüber gekommen sind.«
Pierre lächelte und sein Interesse wuchs noch, als er ihm über zerbrochene Treppen und über die Holzbrücken, welche die Löcher überspannten, in die riesigen Ruinen des Palastes des Septimius Severus folgte Der Palast erhob sich an der südlichen Spitze des Palatin und beherrschte die Via Appia und die ganze Campagna bis in unabsehbare Ferne. Nichts ist davon übrig als der Unterbau, die unterirdischen Säle, die von den Bogen der Terrassen geschützt wurden, mit denen man die zu eng gewordene Plattform des Berges erweitert hatte. Und diese aufgedeckten Unterbauten genügen, um eine Idee von dem prunkhaften Palast zu geben, den sie trugen, so ungeheuer und mächtig sind sie in ihrer unzerstörbaren Masse geblieben, hier erhob sich das berühmte Septizonium, der Turm mit den sieben Stockwerken, der erst im vierzehnten Jahrhundert verschwand. Hier befindet sich noch eine von cyklopischen Arkaden getragene Terrasse, von der sich ein wunderbarer Ausblick darbietet. Dann kommt nichts als eine Anhäufung dicker, halb zerfallener Mauern, gähnende Abgründe inmitten von zusammengestürzten Decken, Reihen endloser Korridore und ungeheurer Säle, deren Verwendung unbekannt ist. Alle diese von der neuen Administration in gutem Stand erhaltenen, gefegten und vom Unkraut befreiten Ruinen haben ihre romantische Wildheit verloren, um eine kahle, düstere Größe anzunehmen. Aber die Strahlen der lebenden Sonne vergoldeten die alten Mauern, drangen durch die Breschen in die Tiefe der schwarzen Säle und belebten mit ihren blendenden Stäubchen die stumme Schwermut dieser toten Majestät, die aus der Erde ausgegraben ward, wo sie seit Jahrhunderten geschlummert. Ueber das alte rötliche, aus mörtelbelegten Ziegeln gebildete und seiner prunkvollen Marmorbekleidung beraubte Mauerwerk legte der Purpurmantel der Sonne von neuem eine kaiserliche Glorie.
Pierre wanderte nun bereits seit anderthalb Stunden umher und hatte noch die Masse der vorderen Paläste auf der Plattform selbst, gegen Norden und Osten, zu besichtigen.
»Wir müssen zurückgehen,« sagte der Führer. »Sie sehen, die Garten der Villa Mills und das Kloster S. Bonaventura verlegen uns den Weg. Man wird erst durchgehen können, wenn die Ausgrabungen diese ganze Seite bloßgelegt haben werden. Ach, Herr Abbé, wenn Sie vor kaum fünfzig Jahren auf dem Palatin spazieren gegangen wären! Ich habe die Pläne aus jener Zeit gesehen. Da waren nichts als Weingärten, nichts als kleine, von Hecken durchschnittene Gärten, die richtige Campagna, eine wahre Wüste, wo man keiner Menschenseele begegnete. Wer hätte gedacht, daß alle diese Paläste da drunten schliefen!«
Pierre folgte ihm; sie schritten aufs neue an dem Hause des Augustus vorüber, gingen zurück und traten in das Hans der Flavier. Es war ungeheuer groß, noch zur Hälfte unter der benachbarten Villa verborgen und bestand aus einer Menge von großen und kleinen Sälen, über deren Bestimmung man noch immer stritt. Der Thronsaal, der Gerichtssaal, der Speisesaal, das Peristyl schienen festgestellt zu sein. Aber das übrige ist alles nur Spiel der Phantasie, besonders was die schmalen Räume der Privatgemächer betrifft. Außerdem ist nicht eine Mauer ganz; man sieht nichts als hervorschauende Fundamente, verstümmelte Grundmauern, die am Boden den Plan des Gebäudes bezeichnen. Die einzige wie durch ein Wunder erhaltene Ruine ist das Haus, das man für das der Livia ausgibt; es nimmt sich neben den ungeheuren, benachbarten Palästen ganz klein aus und drei Säle davon mit ihren Wandmalereien, Blumen und Früchten von seltsamer Frische sind noch unversehrt. Was das Haus des Tiberius betrifft, so ist kein Stein davon sichtbar. Seine Ueberreste sind unter dem herrlichen öffentlichen Garten verborgen, der auf der Plattform die alten farnesischen Gärten fortsetzt; und von dem Hause des Caligula, daneben, über dem Forum existiren so wie von dem Hause des Septimius Severus nichts mehr als ungeheure Unterbauten, Strebepfeiler, über einander gehäufte Stockwerke, hohe Arkaden, die den Palast trugen, ungeheure Kellergeschoße, wo die Dienerschaft und die Wachposten wohnten und sich fortwährenden Schmausereien hingaben. Diese ganze, die Stadt beherrschende Höhe bot also nichts als kaum kenntliche Spuren, ausgedehnte, graue und kahle, von der Haue durchfurchte und mit einigen Mauerstücken bestreute Terrains, und es bedurfte der Anstrengung einer Gelehrtenphantasie, um die antike kaiserliche Pracht wieder erstehen zu lassen, die hier geherrscht hatte.
Der Führer setzte nichtsdestoweniger seine Erklärungen mit ruhiger Ueberzeugung fort, indem er ins Leere wies, als ob die Monumente sich noch vor ihm erheben würden.
»Hier sind wir auf dem Palatinplatz. Sie sehen, links ist die Fassade des Palastes des Domitian, rechts die Fassade des Palastes des Caligula. Und wenn Sie sich umdrehen, haben Sie gerade vor sich den Tempel des Jupiter Stator. Die Sacra Via ging bis auf diesen Platz und durch die Porta Mugionis, einem der drei alten Thore des ursprünglichen Rom.«
Er unterbrach sich und deutete mit der Hand auf den nordwestlichen Teil des Berges.
»Sie bemerken, daß die Cäsaren auf dieser Seite nichts gebaut haben. Offenbar mußten sie sehr alte, noch vor der Gründung Roms bestandene und vom Volke verehrte Denkmäler respektiren. Das waren der von Evander und seinen Arkadiern gebaute Siegestempel, das Lupercale, das ich Ihnen zeigte, die bescheidene, aus Rohr und Erde gebildete Hütte des Romulus. All das ist wieder gefunden worden, Herr Abbé, und es ist kein Zweifel daran, mögen die Deutschen sagen, was sie wollen.«
Aber plötzlich rief er mit einer Miene, als hätte er das Interessanteste vergessen:
»Zum Schluß müssen wir den unterirdischen Gang ansehen, wo Caligula ermordet wurde.«
Und sie stiegen in einen langen gedeckten Korridor hinab, in den die Sonne heutzutage durch Breschen fröhliche Strahlen hinabsendet. Einige Stück Zieraten und Mosaiken sind noch sichtbar. Der Ort ist deswegen nicht weniger düster und einsam, für tragisches Grauen wie geschaffen. Die Stimme des alten Soldaten klang dumpfer; er erzählte, wie Caligula, von den palatinischen Spielen zurückkehrend, die Laune gehabt habe, allein in diesen Gang hinab zu steigen, um den heiligen Tänzen beizuwohnen, die junge Asiaten dort an diesem Tage übten. Und so kam es, daß der Führer der Verschworenen, Chereas, ihn als erster im Dunkeln in den Bauch stechen konnte. Der Kaiser wollte heulend fliehen. Aber da warfen sich die Mörder, seine Kreaturen, seine geliebtesten Freunde alle auf ihn, schleuderten ihn zu Boden, zerhackten ihn mit Stichen, während er, wahnsinnig vor Furcht und Wut, den dunklen, dumpfen Gang mit seinem Geheul erfüllte, wie ein Tier, das abgeschlachtet wird. Als er tot war, trat wieder Stille ein und die Mörder flohen entsetzt.
Der Besuch der klassischen Ruinen des Palatin war zu Ende. Als Pierre wieder oben war, hatte er nur einen Wunsch, nämlich seinen Führer los zu werden und allein in diesem heimlichen, träumerischen Garten zu bleiben, der den Gipfel des Rom beherrschenden Berges einnahm. Seit bald drei Stunden lief er herum und summte diese dicke, eintönige Stimme an seinem Ohr vorüber, ohne ihm auch nur einen einzigen Stein zu erlassen. Jetzt kam der Wackere wieder auf seine Freundschaft zu Frankreich zurück und schilderte weitschweifig die Schlacht von Magenta. Er nahm mit einem guten Lächeln das Silberstück, das der Priester ihm gab und ging dann an die Schlacht von Solferino. Das drohte kein Ende zu nehmen, als der Zufall eine Dame herführte, die eine Auskunft haben wollte. Sofort begleitete er sie.
»Guten Abend, Herr Abbé. Sie können durch den Palast des Caligula hinaus. Und Sie wissen, daß eine geheime, in die Erde gegrabene Treppe von diesem Palast in das Haus der Vestalinnen, da unten, auf das Forum führte. Man hat sie nicht aufgefunden, aber sie muß da sein.«
Ach, welch köstliche Erleichterung, als Pierre endlich allein war und sich einen Augenblick auf eine der Marmorbänke des Gartens niederlassen konnte! Es gab hier nur einige Baumgruppen, Buchs, Cypressen, Palmen, aber die schönen, grünen Wintereichen, unter denen die Bank sich befand, verbreiteten einen dunklen, köstlich frischen Schatten. Der Zauber rührte auch von der träumerischen Einsamkeit, der schauernden Stille, die von diesem alten Boden ausging, der von der Geschichte, von der aufsehenerregendsten, in der vollen Pracht eines übermenschlichen Stolzes prangenden Geschichte getränkt war. Einst hatten die sarnesischen Gärten diesen Teil des Berges in einen angenehmen, mit Hainen geschmückten Aufenthalt verwandelt; die stark beschädigten Gebäude der Villa bestehen noch und zweifellos hat der Ort eine eigene Anmut bewahrt. Der Hauch der Renaissance streicht noch immer wie eine Liebkosung durch das glänzende Laub der alten Wintereichen. Man befindet sich da inmitten der Vergangenheit, inmitten des leichtbeschwingten Volkes der Visionen, unter dem schwebenden Atem zahlloser, in dem Rasen schlafender Generationen.
Aber das in der Ferne, rings um den erhabenen Hügel zerstreute Rom lockte Pierre so lebhaft, daß er nicht sitzen bleiben konnte. Er erhob sich und näherte sich der Brustwehr einer Terrasse. Unter ihm breitete sich das Forum aus und am Ende erschien der Monte Capitolino.
Es war nichts weiter als eine Anhäufung von grauen Gebäuden, ohne Schönheit oder Größe. Man sah nichts als die den Berg beherrschende Rückfassade des Senatorenpalastes, eine flache Fassade mit schmalen Fenstern, die den hohen, viereckigen Campanile überragte. Diese große, kahle, rostfarbene Mauer verbarg die Kirche S. Maria in Aracoeli, den Gipfel, wo einst der Tempel des Jupiter Capitolinus, übermenschlichen Schutz gewährend, königlich prangte. Weiter links, auf dem Abhang des Monte Caprino, wo im Mittelalter die Ziegen weideten, erhoben sich häßliche Häuser, während die paar schönen Bäume des von der englischen Botschaft bewohnten Palastes Cassarelli mit ihrem Grün den Gipfel des alten Tarpejischen Felsens bedeckten, der heute beinahe unauffindbar, unter den Stützmauern verloren, verschwunden ist. Das also war dieser Monte Capitolino, der glorreichste aller sieben Hügel, mit seiner Festung, mit seinem Tempel, dem die Herrschaft der Welt verheißen war, der Sankt Peter des antiken Rom – dieser gegen das Forum zu abgedachte, gegen das Marsfeld spitz aussteigende Berg von schrecklichem Aussehen, dieser Berg, den der Blitz besuchte, den der Asylwald mit seinen heiligen Eichen in der fernsten Zeit mit geheimnisvollen Schauern vor dem grimmigen Unbekannten erfüllte. Später hatte die römische Größe hier ihr Tabularium, ihr Staatsarchiv. Die Triumphatoren stiegen herauf, die Kaiser wurden hier Götter, hier standen ihre Marmorstatuen. Und nun fragte das Auge mit Erstaunen, wie so viel Geschichte, so viel Ruhm auf so wenig Raum Platz finden konnte, auf diesen bergigen, wirren Inselchen kleinlicher Dächer, einem Maulwurfshaufen, der nicht großer, nicht höher war, als ein kleiner, zwischen zwei Thälern gebetteter Marktflecken.
Die nächste Ueberraschung war für Pierre das vom Kapitol ausgehende und am Fuße des Palatin sich hinziehende Forum: ein enger, zwischen den benachbarten Hügeln eingepreßter Platz, ein Untergrund, auf dem das wachsende Rom, da es an Raum fehlte, die Gebäude zum Ersticken anhäufen mußte. Man hat tief graben müssen, um unter den fünfzehn Metern der von den Jahrhunderten herbeigeführten Alluvialschichte den ehrwürdigen Boden der Republik wieder zu finden. Jetzt sieht man nichts mehr als eine lange, weißliche, reinlich gehaltene Grube ohne Dornen oder Epheu, wo gleich Knochenresten Bruchstücke des Pflasters, Säulensockel, Grundmauern sichtbar sind. Die gänzlich wieder hergestellte Basilika Julia sieht einfach wie die Projektion eines architektonischen Planes aus. Auf dieser Seite hat nur der Bogen des Septimius Severus seine ganze Breite bewahrt, während die paar vom Tempel des Vespasian übrig gebliebenen, vereinzelten und durch ein Wunder inmitten der Zusammenbrüche aufrecht stehenden Säulen eine stolze Eleganz, die majestätische Kühnheit des Gleichgewichts angenommen haben und fein und vergoldet in den blauen Himmel ragen. Auch die Phokassäule steht da noch aufrecht und von der Rednerbühne daneben sieht man, was davon mittelst der in der Umgegend entdeckten Stücke wieder hergestellt ward. Aber man muß weiter gehen, als bis zu den drei Säulen des Tempels von Castor und Pollux, weiter als bis zu den Spuren des Hauses der Vestalinnen, weiter als bis zum Tempel der Faustina, in der sich die christliche Kirche S. Lorenzo so breitgemacht hat, weiter als bis zu dem runden Tempel des Romulus, um die außerordentliche Empfindung des Ungeheuerlichen zu fühlen, die die Basilika des Konstantin mit ihren drei gewaltigen, gähnenden Gewölben verursacht. Vom Palatin aus gesehen konnte man sie für Vorhallen für Riesen halten; so dick war das Mauerwerk, daß ein von den Arkaden herabgefallenes Stück wie ein von einem Berge losgelöster Block am Boden liegt. Und hier, in diesem berühmten, so engen und so unbegrenzten Forum hat sich jahrhundertelang die Geschichte des größten aller Völker abgespielt – seit der sabinischen Legende, die die Römer und Sabiner versöhnt, bis zur Verkündigung der Volksrechte, welche die Plebejer langsam von den Patriziern erobert hatten. War es nicht gleichzeitig der Markt, die Börse, das Tribunal, der Saal der politischen Versammlungen, offen, im Freien? Hier hatten die Gracchen die Sache der Armen vertreten, hier schlug Sylla seine Prostkriptionslisten an, hier sprach Cicero und hier ward sein blutendes Haupt aufgehängt. Dann verdunkelten die Kaiser den alten Glanz und die Jahrhunderte begruben die Monumente und Tempel unter ihrem Staube, so daß das Mittelalter keine andere Verwendung dafür hatte, als hier einen Ochsenmarkt einzurichten. Jetzt ist die Ehrfurcht wiedergekehrt; es ist eine grabschänderische Ehrfurcht, ein Neugierde- und Wissenschaftsfieber, das durch Hypothesen gesteigert wird. Es geht auf diesem historischen Boden, wo Generationen über einander liegen, in die Irre und schwankt zwischen den fünfzehn bis zwanzig Rekonstitutionen des Forums, von denen eine so annehmbar ist wie die andere. Für einen einfachen Vorübergehenden, der weder ein Forscher noch ein Gelehrter von Beruf ist, der nicht tags zuvor die römische Geschichte wieder durchgelesen hat, verschwinden die Einzelheiten; er sieht in diesem nach allen Seiten durchgegrabenen Terrain nichts als den Kirchhof einer Stadt, wo ausgegrabene alte Steine bleichen, wo die große Schwermut toter Völker aufsteigt. Von Ort zu Ort sah Pierre das von den Rädern der Wagen ausgehöhlte Pflaster der Sacra Via, die immer wieder zum Vorschein kommt, sich wendet, hinab- dann wieder hinansteigt; und er dachte an den Triumph, die Auffahrt des Triumphators, den sein Wagen so hart auf diesem rauhen Pflaster des Ruhmes schütteln mußte.
Aber gegen Südosten erweiterte sich der Horizont und er bemerkte jenseits des Titusbogens und des Konstantinbogens die große Masse des Kolosseums. Ah, dieser Koloß, von dem die Jahrhunderte wie mit einem ungeheuren Sensenhieb nur die Hälfte abgerissen haben, bleibt in seiner Ungeheuerlichkeit, in seiner Majestät bestehen! Mit seinen Hunderten von leeren, in das Himmelsblau gähnenden Fenstern gleicht es einer Spitze aus Stein. Es ist eine Welt von Vorhallen, Treppen, Treppenabsätzen, Korridoren, eine Welt, in der man sich inmitten der Einsamkeit und der Stille des Todes verliert. Im Innern gleichen die zerbrochenen, von der Lust verwitterten Stufen den ungestalteten Staffeln eines alten, erloschenen Kraters, einer Art natürlichem Zirkus, den die Macht der Elemente mitten in den unzerstörbaren Felsen geschnitten. Aber die heiße Sonne von achtzehnhundert Jahren hat diese Ruine verbrannt und rot gefärbt; sie ist, seit sie ihrer Vegetation, der ganzen Flora beraubt wurde, die diesen Winkel zu einem Stück Urwald machte, in den Naturzustand zurückgekehrt, ist nackt und vergoldet wie die Flanke eines Berges. Und nun, was für eine Vision, wenn die Phantasie dieses tote Knochengerüst wieder mit Fleisch, Blut und Leben bekleidet, den Zirkus mit den neunzigtausend Zuschauern füllt, die er fassen konnte, die Arenaspiele und Kämpfe vorüberziehen läßt und eine ganze Zivilisation, vom Kaiser und seinem Hof bis zu dem hohlen See der Plebs in all der Erregung und dem Glanz eines ganzen, von Leidenschaft entstammten Volkes unter dem roten Widerschein des gigantischen Purpurvelums zusammenhäuft! Weiterhin am Horizont befand sich noch eine zweite cyklopische Ruine, die Thermen des Caracalla; auch sie sind als Spur einer von der Erde verschwundenen Rasse von Riesen übrig geblieben. Da sind Säle von übertriebener und unerklärlicher Weite und Höhe, zwei Vorhallen, in denen man die Bevölkerung einer Stadt empfangen kann, ein Frigidarium, dessen Becken auf einmal fünfhundert Badende aufnehmen konnte, ein Tepidarium, ein Caldarium von gleichem Umfang, der Sucht nach dem Ungeheuerlichen entsprossen. Und die erschreckende Masse des Monumentes, die Dicke der Pfeiler, wie keine Festung ihresgleichen hat – diese ganze Unendlichkeit, in der die Besucher wie verirrte Ameisen aussehen! Es ist ein so außerordentliches Schwelgen in Mörtel und Ziegeln, daß man sich fragt, für welche Mengen dieses ungeheuerliche Gebäude wohl erbaut worden sein mochte, heutzutage könnte man sie für uralte, von irgend einer Höhe herabgestürzte Felsen halten, die hier zum Baue einer Titanenwohnung zusammengehäuft wurden.
Pierre wurde von der maßlosen Vergangenheit, in der er nun untertauchte, überwältigt. Von allen Seiten, von allen vier Richtungen des ungeheuren Horizontes wurde die Geschichte wieder lebendig und stieg wie eine überschäumende Flut zu ihm auf. Diese bläulichen, unabsehbaren Ebenen im Norden und Osten, das war das alte Etrurien; im Westen zeichneten sich die zackigen Kämme des Sabinergebirges ab, während gegen Süden das Albanergebirge und Latium sich unter dem Goldregen der Sonne ausdehnten. Auch Alba Longa war da, und der eichengekrönte Monte Cavo mit seinem Kloster, das den alten Jupitertempel ersetzt hat. Dann, zu seinen Füßen, jenseits des Forums, jenseits des Kapitols breitete sich Rom selbst aus. Gegenüber lag der Esquilin, zu seiner Rechten der Coelius und der Aventin; die anderen, die er nicht sehen konnte, der Quirinal, der Viminal, befanden sich links, hinter ihm, am Ufer des Tiber, lag der Janiculus. Und die ganze Stadt erzählte ihm einstimmig die Geschichte ihrer toten Größe.
Da fand in ihm eine unwillkürliche Beschwörung, eine Auferstehung statt. Der Palatin, den er eben besichtigt hatte, dieser graue und düstere, gleich einer verfluchten Stadt geschleifte, mit einigen zusammenbrechenden Mauern bestreute Palatin, belebte, bevölkerte sich mit einemmale, erstand wieder mit all seinen Palästen und Tempeln. Hier war die Wiege Roms. Auf diesem, den Tiber beherrschenden Gipfel hatte Romulus seine Stadt gebaut, während die Sabiner das Kapitol gegenüber einnahmen. Die sieben Könige der zweiundeinhalb Jahrhunderte der Monarchie hatten ihn sicher bewohnt, eingeschlossen von hohen, starken Mauern, in die nur drei Thüren geschlagen waren. Dann rollten sich die fünf Jahrhunderte der Republik ab; es waren die größten, die glorreichsten, diejenigen, welche die italienische Halbinsel und dann die Welt der römischen Herrschaft unterworfen hatten. Während dieser siegreichen Jahre voll sozialer und kriegerischer Kämpfe hatte das wachsende Rom die sieben Hügel bevölkert; der Palatin mit seinen Tempeln war nur noch die ehrwürdige Wiege geblieben und die Privatbauten erstreckten sich allmälich auch auf ihn. Aber dann triumphirte Cäsar, die Verkörperung der Allmacht der Rasse, nach Gallien und Pharsalos im Namen des gesamten römischen Volkes; er war Diktator, Kaiser, nachdem er die gewaltige Aufgabe erfüllt hatte, die sich die fünf nächsten Jahrhunderte des Kaiserreiches so prunkvoll, in dem Galopp aller losgelassenen Begierden zu nutze machten. Und Augustus konnte die Macht ergreifen; der Ruhm Roms stand auf seinem Gipfel, die Milliarden warteten im Hintergrunde der Provinzen nur auf das Gestohlenwerden. Die kaiserliche Pracht begann sich in der Hauptstadt der Welt vor den Augen der fernen, geblendeten und besiegten Völker zu entfalten. Cäsar war auf dem Palatin geboren, und nachdem der Sieg von Actium ihm die Kaiserwürde geschenkt hatte, setzte er seinen Stolz darein, von der Höhe dieses heiligen, vom Volke verehrten Berges zu regieren. Er kaufte sich dort Privathäuser und erbaute mit bisher unbekanntem Luxus einen Palast. Es gab da ein von vier Pilastern und acht Säulen getragenes Atrium, ein Peristyl, das von sechsundfünfzig Säulen jonischer Ordnung umgeben ward, ringsum Privatgemächer, ganz aus Marmor – eine verschwenderische Fülle von Marmor, mit großen Kosten aus der Fremde herbeigeschafft, in den lebhaftesten Farben, gleich Edelgesteinen funkelnd. Und er hauste nun mit den Göttern zusammen; er hatte dicht neben seiner Wohnung den Apollotempel und einen Tempel der Vesta erbaut, um sich das göttliche, ewige Königtum zu sichern. Von nun an war der Same der kaiserlichen Paläste gesät; sie wuchsen, wucherten auf und bedeckten den ganzen Palatin.
Ach, diese Allmacht des Augustus, diese vierundvierzig Jahre einer vollständigen, unbedingten, übermenschlichen Herrschaft, wie kein Despot je ihresgleichen gekannt hat, selbst nicht im Wahnsinn seiner Träume! Er ließ sich alle Titel verleihen, er vereinigte in seiner Person alle hohen Aemter. Als Kaiser und Konsul befehligte er die Armeen und übte die Exekutivgewalt aus; als Prokonsul besaß er die Suprematie in den Provinzen; als lebenslänglicher Zensor und Princeps herrschte er über den Senat, als Tribun war er der Herr des Volkes. Und er ließ sich zum Augustus ausrufen; er war geheiligt, ein Gott unter den Menschen, hatte seine Tempel, seine Priester, wurde zu Lebzeiten angebetet wie eine auf Erden wandelnde Gottheit. Und zuletzt wurde er Großpontifex, vereinigte die religiöse Macht mit der staatlichen. Damit verwirklichte er durch einen Geniestreich die Vollständigkeit der höchsten Herrschaft, zu der ein Mensch gelangen kann. Da der Großpontifex kein Privathaus bewohnen darf, hatte er sein Haus für Staatseigentum erklärt. Da der Großpontifex sich nicht vom Tempel der Vesta entfernen darf, baute er in seinem Hause einen Tempel dieser Göttin und überließ den Vestalinnen die Hut des alten Altares am Fuße des Palatin. Nichts war ihm zu teuer; denn er fühlte wohl, daß in dieser in einer Person vereinigten Doppelmacht, in dem zugleich König und Priester, Kaiser und Papst Sein, die menschliche Souveränität, das Inderhandhalten der Menschen und der Welt lag. Der ganze Saft einer starken Rasse, alle angehäuften Siege und alle noch zerstreuten Reichtümer entfalteten sich unter Augustus zu einer einzig dastehenden Pracht, wie sie nie mehr in solchem Glänze erstrahlen sollte. Er war wirklich der Herr der Welt; sein Fuß ruhte auf der Stirne der eroberten und pacificirten Völker, ein unsterblicher, künstlerischer und literarischer Ruhm umgab ihn. Es scheint, daß in jenem Moment in ihm der alte, gierige Ehrgeiz seines Volkes, der jahrhundertelange, geduldige Kampf, den es geführt hatte, um das erste Volk zu werden, seine Befriedigung fand. Es ist das Römerblut, es ist das Augustusblut, das endlich in kaiserlichem Purpur rot aufleuchtet. Es ist das Blut des Augustus, des göttlichen, triumphirenden, unumschränkten Herrschers über die Leiber und die Seelen, das Blut eines Mannes, in dem das Erbe von sieben langen Jahrhunderten nationalen Stolzes gipfelt, von dem eine Nachkommenschaft universellen, unzählbaren und endlosen Stolzes durch die Jahrhunderte ausgehen sollte. Denn von nun war es geschehen; das Blut des Augustus sollte in den Adern aller Beherrscher Roms wieder erwachen und pochen, indem es sie mit dem sich ewig erneuenden Traum von der Weltherrschaft verfolgte. Einen Augenblick war dieser Traum verwirklicht worden: Augustus, der Kaiser und Pontifex, hat die Menschheit besessen, in der Hand gehalten – gänzlich, rückhaltslos, wie einen eigenen Besitz. Später, nach dem Verfall, als die Macht sich spaltete und wieder zwischen König und Priester geteilt ward, haben die Päpste keinen andern leidenschaftlichen Wunsch, keine andere, jahrhundertelange Politik gekannt, als die Staatsgewalt, die gesamte Herrschaft wieder zurück zu erobern. Das atavistische Blut, die rote, gierige Flut des Ahnenblutes, brannte in ihrem Herzen.
Dann – nachdem Augustus tot und sein Palast geschlossen, geheiligt, zum Tempel geworden war – sah Pierre den Palast des Tiber aus dem Boden steigen. Es war an dieser selben Stelle, unter seinen Füßen, unter den schönen Wintereichen, die ihn beschirmten. Er dachte ihn sich mit Hosen, Portiken, Sälen, fest und groß – trotz der finstern Laune des Kaisers, der fern von Rom, inmitten eines Volkes von Angebern und Wüstlingen lebte. Die Macht hatte ihm Herz und Gehirn bis zum Verbrechen, bis zu den außerordentlichsten Wahnsinnsanfällen vergiftet. Dann stieg der Palast des Caligula empor, eine Vergrößerung des Tiberianischen Palastes. Man hatte Arkaden angebracht, um den Bau zu erweitern, über das Forum eine auf das Kapital mündende Brücke geschlagen, da der Fürst im Stande sein wollte, nach seinem Gefallen mit dem Jupiter reden zu können, für dessen Sohn er sich ausgab. Der Thron hatte auch ihn wild, zu einem wütenden, in der Allmacht zügellosen Narren gemacht. Dann kam noch Claudius Nero, der, alle überbietend, den Palatin nicht groß genug fand. Er verlangte einen ungeheuren Palast und bemächtigte sich der köstlichen, bis zum Gipfel des Esquilin hinaufteigenden Gärten, um dort sein goldenes Haus zu errichten – einen Traum von ungeheuerlicher Pracht, den er nicht zu Ende führen konnte. Die Ruinen dieses Palastes verschwanden rasch während der Unruhen, die dem Leben und Tode dieses vom Hochmut bethörten Ungeheuers folgten. Dann fielen binnen anderthalb Jahren Galba, Otho, Vitellius einer über den andern in den Kot und in das Blut, nachdem der Purpur auch sie zu Ungeheuern und Dummköpfen gemacht, nachdem sie sich am kaiserlichen Troge gleich unreinen Tieren mit Genüssen vollgestopft hatten.
Nun kommt mit den Flaviern anfangs die Ruhe der menschlichen Vernunft und Güte; Titus, Vespasian bauen wenig auf den Palatin, aber dann beginnt mit Domitian wieder der düstere Allmachtswahnsinn unter der Herrschaft von Furcht und Angeberei, von absurden Greueln, Verbrechen, unnatürlichen Ausschweifungen. Bauten von wahnsinniger Eitelkeit entstanden, deren Pomp mit dem der Tempel der Götter wetteiferte: so das von dein Palaste Tibers durch ein Gäßchen getrennte Haus des Domitian, das sich gewaltig wie eine Apotheose erhob, mit seinem Audienzsaal mit dem, goldenen Thron und den sechzehn Säulen aus phrygischem und numidischem Marmor, den acht mit wunderbaren Statuen geschmückten Nischen, mit seinem Tribunal – seinem großen Speisesaal, seinem Peristyl, seinen Gemächern, die von Granit, Porphyr, Alabaster strotzten. Die Steine wurden von berühmten Künstlern bearbeitet und verschwendet, um die Welt zu blenden. Dann, Jahre später wurde noch ein letzter Palast der ungeheuren Masse hinzugefügt, der Palast des Septimius Severus, wieder ein Bau der Hoffart. Bogen trugen hohe Säle, Stockwerke erhoben sich über Terrassen, Türme beherrschten die Dächer. Ein ganzes babylonisches Getürme erhob sich hier an der äußersten Spitze des Berges, gegenüber der Via Appia, damit, wie es hieß, die Landsleute des Kaisers, die aus Afrika, seinem Geburtslande, kommenden Provinzbewohner, schon vom Horizont aus sich über sein Glück wundern und ihn in seiner Glorie anbeten könnten.
Und nun sah Pierre alle diese im hellen Sonnenlicht heraufbeschworenen, auferstandenen Paläste aufrecht und glanzvoll vor sich; nun hatte er sie vor sich, um sich. Sie waren wie zusammengeschweißt, einige nur durch schmale Gänge getrennt. Durch den Wunsch der Erbauer, keinen Zollbreit von diesem heiligen Hügel zu verlieren, waren sie in einer gedrängten Masse ausgeschossen, wie eine ungeheuerliche Blüte regelloser Kraft und Macht; nur Millionen genügten für sie, und für den Genuß eines einzelnen mußte die Welt bluten. In Wirklichkeit war alles nur ein einziger Palast, der unaufhörlich wuchs, indem der verstorbene Kaiser zum Gott wurde und der neue Kaiser, die geheiligte, zum Tempel gewordene Wohnung verlassend, wo vielleicht der Schatten des Toten ihn erschreckte, das gebieterische Bedürfnis empfand, sich ein eigenes Haus zu bauen, das unzerstörbare Andenken seiner Regierung in den ewigen Stein zu hauen. Alle hatten diese Bauwut an sich; sie schien dem Boden, dem Thron, auf dem sie saßen, anzuhaften und wurde in jedem von ihnen mit wachsender Stärke neu geboren. Sie wurden von dem Bedürfnis verzehrt, wettzueifern, einander durch immer dickere und höhere Mauern, durch immer außerordentlichere Anhäufung von Marmor, Säulen, Statuen zu übertreffen. Alle beherrschte derselbe Gedanke an ein glorreiches Ueberleben; sie wollten den verblüfften Generationen das Zeugnis ihrer Größe hinterlassen, sich in den unvergänglichen Wunderwerken fortpflanzen, für ewig mit dem ganzen Gewicht dieser Kolosse auf der Erde lasten, wenn der Wind bereits ihre leichte Asche davongetragen haben würde. Und so war die Plattform des Palatin nichts mehr gewesen als die ehrwürdige Grundlage eines wunderbaren Monumentes, einer kräftigen Vegetation von neben einander gestellten, über einander gehäuften Gebäuden. Jeder neue Baukörper war ein eruptiver Anfall des Hochmutfiebers und die ganze Masse krönte zuletzt mit dem Schneeglanz des weißen Marmors, mit den lebhaften Tönen des bunten Marmors Rom und die gesamte Erde mit dem außerordentlichsten und übermütigsten Herrscherhause, Palast, Tempel oder Dom, die sich je in den Himmel erhoben.
Aber in diesem Uebermaß von Kraft und Ruhm lag der Tod. Siebeneinhalb Jahrhunderte Monarchie und Republik hatten Rom groß gemacht, und in den fünf Jahrhunderten des Kaiserreiches sollte das erste Volk bis auf den letzten Muskel verzehrt werden. Das kam daher, weil das ungeheure Territorium, die fernsten Provinzen nach und nach geplündert, erschöpft worden waren, weil der Fiskus alles auffraß, den Abgrund des unvermeidlichen Bankerotts aushöhlte; es kam auch daher, weil das Volk entartet, von dem Gifte der Schauspiele genährt, in den schwelgerischen Müßiggang der Cäsaren verfallen war, während Mietlinge die Schlachten kämpften und den Boden bearbeiteten. Seit Konstantin hatte Rom eine Nebenbuhlerin, Byzanz. Die Zerstückelung geschieht durch Honorius und nun genügen zwölf Kaiser zum Vollenden des Zersetzungswerkes, zum Zerreißen der sterbenden Beute – bis zu Romulus Augustulus, dem letzten, dem elenden Schwächling, dessen Name gleichsam eine Verhöhnung der ganzen glorreichen Geschichte, ein doppelter Schlag gegen die Gründer Roms und die Gründer des Kaiserreiches ist. Auf dem verlassenen Palatin triumphirte noch immer der gewaltige Haufen von Mauern, Stockwerken, Terrassen und hohen Dächern. Doch hatte man bereits Zierate abgerissen und Statuen entfernt, um sie nach Byzanz zu schaffen. Das christlich gewordene Kaiserreich schloß dann die Tempel, verlöschte das Feuer der Vesta, respektirte jedoch noch das uralte Palladium, die goldene Viktorstatue, das Symbol des ewigen Rom, das ehrfürchtig im Zimmer des Kaisers selbst bewahrt wurde. Aber im fünften Jahrhundert stürzen sich die Barbaren auf Rom, plündern, zünden es an und schleppen Karren voll der von den Flammen verschonten Beute weg. So lange die Stadt von Byzanz abhängig war, hatte ein Oberverwalter in den kaiserlichen Palästen gewohnt und den Palatin bewacht. Dann geht alles unter, bricht alles in der Nacht des Mittelalters zusammen. Es scheint, daß die Päpste fortan langsam den Platz der Cäsaren einnahmen; sie waren ihre Nachfolger in dem verlassenen Marmorhause und dem noch immer lebendigen Herrscherwillen. Sie haben sicherlich den Palast des Septimius Severus bewohnt und im Septizonium ist ein Konzil abgehalten worden, so wie später Gelasius II. in einem benachbarten Kloster auf diesem vergötterten Berge gewählt ward. Wieder war es Augustus, der sich aus dem Grabe erhob – wieder war er mit seinem heiligen Kollegium, das den römischen Senat auferstehen ließ, Herr der Welt. Im zwölften Jahrhundert gehörte das Septizonium Mönchen, die es der mächtigen Familie Frangipani abtraten. Diese verstärkten es, sowie sie das Kolosseum, den Triumphbogen des Konstantin und des Titus verstärkt hatten, zu einer riesigen, den ehrwürdigen Berg, die Wiege, beinahe ganz einnehmenden Festung. Und die Gewaltthaten der Bürgerkriege, die Verwüstungen der Invasionen gingen darüber hinweg wie Orkane, schlugen die Mauern zu Boden, schleiften die Paläste und Türme. Später kamen Generationen, die die Ruinen an sich rissen, sich darin mit dem Recht des Finders und Eroberers niederließen, daraus Keller, Fourageboden, Ställe für die Maultiere machten. Auf dem Erdschutt, der den Mosaikboden der kaiserlichen Paläste bedeckte, entstanden Gemüsegärten, wurden Weingärten gepflanzt. Von allen Seiten schossen Nesseln und Dornen auf, die diese einsamen Felder verstopften, und der Epheu fraß vollends die am Boden liegenden Portiken. Und ein Tag kam, wo der gewaltige Haufe von Palästen und Tempeln, wo die glänzende Behausung der Kaiser, denen der Marmor Ewigkeit hätte verleihen sollen, in den Staub des Bodens zurückzukehren schien; alles verschwand unter der Schlagwelle von Erde und Vegetation, die die gefühllose Natur darüber wälzte. Unter den Feldblumen, in der brennenden Sonne war nichts mehr zu sehen als große Summfliegen, während die Ziegenherden frei in dem Thronsaal des Domitian und dem zertrümmerten Heiligtum des Apoll herumschweiften.
Pierre fühlte, wie ein heftiger Schauer ihn überlief. So viel Kraft und Stolz, so viel Größe – und so rasch zerfallen, für immer hinweggefegt! Welch neuer, barbarischer, rächender Hauch hatte über diese glänzende Zivilisation streichen müssen, um sie so auszulöschen, in welch tiefen, erquickenden Schlaf, in was für eine kindlich wilde Unwissenheit mußte sie gefallen sein, um so plötzlich mit ihrem Gepränge und ihren Meisterwerken unterzugehen! Er fragte sich, wie es möglich war, daß ganze Paläste samt ihren bewunderungswürdigen Skulpturen, Säulen und Statuen nach und nach versinken, verschwinden konnten, ohne daß es jemand einfiel, sie zu beschützen. Diese Meisterwerke, die man später unter einem allgemeinen Aufschrei der Bewunderung ausgrub, waren nicht von einer Katastrophe verschlungen worden; nein, sie waren gleichsam ertrunken, von der steigenden Flut an den Füßen, dann um die Mitte, dann um den Hals gepackt worden, bis zuletzt eines Tages auch der Kopf untersank. Wie läßt es sich erklären, daß Generationen unbekümmert dem beiwohnten und nicht einmal daran dachten, eine Hand auszustrecken? Ein schwarzer Vorhang scheint plötzlich über die Welt gezogen zu werden; eine neue Menschheit hebt an, mit einem neuen Gehirn, das neu gestaltet und neu bereichert werden muß. Rom hatte sich geleert; was Schwert und Flamme beschädigt hatten, wurde nicht wieder ausgebessert, eine außerordentliche Gleichgiltigkeit ließ die zu großen, nutzlos gewordenen Gebäude zusammenbrechen – ganz abgesehen davon, daß die neue Religion die alte verfolgte, ihre Tempel stahl und ihre Götter stürzte. Zweifellos vollendeten Verschüttungen das Unheil; denn der Boden stieg beständig, die Alluvialerde der jungen christlichen Welt bedeckte und nivellirte die alte heidnische Gesellschaft. Und nachdem man die Tempel, die Bronzedächer, die Marmorsäulen gestohlen hatte, wurden aus dem Kolosseum und dem Theater des Marcellus auch noch die Steine gestohlen, herausgerissen, die Statuen und Basreliefs mit dem Hammer zerschlagen und in den Ofen geworfen, um den Kalk für die neuen Monumente des katholischen Rom zu liefern.
Es war beinahe ein Uhr. Pierre erwachte wie aus einem Traum. Die Sonne fiel wie ein Goldregen durch das glänzende Laub der Wintereichen. Rom war zu seinen Füßen in der großen Hitze eingeschlummert. Er entschloß sich, den Garten zu verlassen; ungeschickt, noch verfolgt von blendenden Visionen, stolperte sein Fuß über das ungleiche Pflaster der Via Triumphalis. Um den Tag zu vervollständigen, hatte er sich vorgenommen, am Nachmittag die alte Via Appia zu besichtigen. Da er nicht in die Via Giulia zurückkehren wollte, frühstückte er in einem Vorstadtwirtshaus, in einem riesigen, halbdunklen Saal, wo er ganz allein, von Fliegen umsummt, mehr als zwei Stunden in Erwartung des Sonnenunterganges verträumte.
Ach, diese Via Appia, diese antike Königin der Landstraßen, welche die Campagna in einer langen, geraden Linie mit der Doppelreihe ihrer stolzen Gräber durchschneidet, war für ihn nur die triumphirende Fortsetzung des Palatin! Dasselbe Bedürfnis nach Pracht und Herrschaft, dasselbe Bedürfnis, das Andenken der römischen Größe in Marmor zu verewigen, sprach sich darin aus. Die Vergessenheit war besiegt, die Toten wollten nichts von Ruhe wissen und blieben zu beiden Seiten dieses von Menschen aus der ganzen Welt betretenen Weges für ewig aufrecht zwischen den Lebenden stehen. Und die vergötterten Bilder jener, die nichts mehr als Staub waren, sahen noch heute die Vorübergehenden mit ihren leeren Augen an; die Inschriften reden noch heute und verkünden die Namen und Titel. Vom Grabe der Cäcilia Metella bis zum Grabe Casale Rotondo zog sich die Doppelreihe der Gräber ehemals auf dieser flachen, direkten Straße kilometerlang ununterbrochen hin; es war eine Art Doppelfriedhof, der Länge nach angelegt, wo die Eitelkeit der Reichen und Mächtigen mit einander wetteiferte, wer wohl das größte, mit der luxuriösesten Verschwendung geschmückte Mausoleum hinterlassen würde. Diese Sehnsucht nach Ueberleben, dieser pomphafte Wunsch nach Unsterblichkeit, dies Bedürfnis, den Tod durch die Aufstellung in Tempeln zu vergöttlichen, hat sich in der gegenwärtigen Pracht des Campo Santo von Genua und des Campo Verano von Rom gleichsam fortgeerbt. Welche Vision maßloser Gräber zur Rechten und Linken des glorreichen Pflasters, über das die römischen Legionen bei der Rückkehr von der Eroberung der Welt stampften! Dort das Grab der Cacilia Metella mit seinen enormen Blöcken, den Mauern, die so dick waren, daß das Mittelalter daraus die zinnengekrönte Warte einer Festung machte! Dann alle folgenden modernen Bauten, die errichtet wurden, um die in der Umgegend entdeckten Marmorfragmente wieder an ihrer ursprünglichen Stelle anzubringen, alte, ihrer Skulpturen beraubte Pilaster aus Mörtel und Ziegeln, die gleich halbzerfressenen Felsen aufrecht geblieben sind, entblößte Blöcke, die noch Formen andeuteten, Edicules in Tempelform, Cippen, auf Sockeln ruhende Sarkophage. Eine erstaunliche Reihe von Reliefs stellte die Porträts der Toten in Gruppen zu dreien oder fünfen dar; stehende Statuen ließen die Toten in einer Apotheose neu aufleben; in den Nischen standen Bänke, wo die Wanderer sich niederlassen und die Gastfreundschaft der Toten segnen konnten, und lobpreisende Grabschriften feierten die Toten, die bekannten und die unbekannten – die Kinder des Sextus Pompejus Justus, die Marcus Servilius Quartus, die Hilarius Fuscus, die Rabirius Hermodorus, abgesehen von den Gräbern, die auf gut Glück dem Seneca, den Horatiern und Curiatiern zugeschrieben wurden. Und zuletzt, am Ende lag das außerordentlichste, das riesigste aller dieser Gräber, das sogenannte Casale Rotondo. Es ist so groß, daß ein ganzes Gehöft samt einem Olivengehölz auf den Substruktionen Platz finden konnte. Diese Substruktionen trugen eine doppelte, mit korinthischen Pilastern, großen Kandelabern und Bühnenmasken geschmückte Rotunde.
Pierre, der zu Wagen bis zum Grabe der Cäcilia Metella gefahren war, setzte dann seinen Spaziergang zu Fuß fort. Er schritt langsam bis zum Casale Rotondo. Stellenweise kam das alte Pflaster zum Vorschein; man sah große, flache Steine, Lavastücke, die sich mit der Zeit geworfen hatten und über die der beste Wagen nur schwer fahren konnte. Rechts und links ziehen sich zwei Streifen Rasen hin, welche die Gräberruinen umgrenzen; es ist vernachlässigtes Kirchhofsgras, von der Sommersonne verbrannt und mit dicken lila Disteln und hohem, gelbem Fenchel bestreut. Eine kleine, ohne Mörtel aufgeführte Mauer, die so hoch ist, daß man sich darauf stützen kann, schließt auf jeder Seite diese rötlichgelbe, von dem Gezirpe der Maden erfüllte Einfassung ab; und jenseits zieht sich unabsehbar, ungeheuer und kahl die römische Campagna hin. Kaum daß man an den Rändern, in großen Zwischenräumen da und dort eine Schirmpinie, einen Eukalyptus, von Staub weiße Oel- und Feigenbäume erblickt. Auf der linken Seite zeichnen sich die Reste der Acqua Claudia mit ihren rostfarbenen Arkaden von den Wiesen ab; magere Felder, Weingärten mit kleinen Gehöften dehnen sich in die Ferne bis zum Sabinergebirge und dem violett-blauen Albanergebirge, wo Frascati, Rocca di Papa, Albano helle Flecken bilden, die immer größer und weißer werden, je mehr man sich ihnen nähert. Rechts dagegen, aus der Seeseite erweitert und setzt sich die Ebene in riesigen Wellenlinien fort, ohne ein Haus, ohne einen Baum, in einfacher, außerordentlicher Grüße. Sie bildet eine einzige, ganz flache Linie, einen ozeanartigen Horizont, den eine gerade Linie, von einem Ende zum andern, vom Himmel trennt. Im Hochsommer brennt alles; die grenzenlose Prärie stammt in einer fahlen Glut wie ein Kohlenfeuer. Von September an beginnt dieses Grasmeer grau zu werden und verliert sich in der Ferne im Rosa und Lila, im blendenden, golddurchschossenen Blau schöner Sonnenuntergänge.
Und Pierre spann, ganz allein, seine Träume weiter. Er ging mit langsamen Schritten die endlose, flache Straße entlang, deren schwermütige Majestät aus Einsamkeit und Stille besteht. Sie zieht sich ganz kahl, ganz gerade ins Unendliche, in die Unendlichkeit der Campagna. In Pierre wiederholte sich die Auferstehung des Palatin; die Gräber zu beiden Seiten erhoben sich von neuem in dem blendenden Glanze ihres Marmors. Hatte man denn nicht hier, am Fuße dieses Ziegelpfeilers, der die seltsame Form einer großen Vase besitzt, den Kopf einer Kolossalstatue, vermischt mit Bruchstücken ungeheurer Sphinxe, gefunden? Und er sah die kolossale Statue zwischen den ungeheuren, kauernden Sphinxen wieder vor sich. Weiterhin, in der kleinen Zelle einer Grabstätte, war eine schöne, kopflose weibliche Figur entdeckt worden; er sah sie in ihrer Vollständigkeit, mit einem dem Leben voll Kraft und Anmut zulächelnden Gesichte vor sich. Von einem Ende zum andern ergänzten sich die Inschriften; er las sie, verstand sie ohne Mühe und fühlte sich brüderlich mit diesen seit zweitausend Jahren Gestorbenen wieder aufleben. Auch die Straße bevölkerte sich; Wagen rollten dröhnend einher, Armeen zogen schweren Schrittes vorüber, das Volk aus dem nahen Rom drängte sich in der fieberhaften Erregung großer Städte. Unter den Flaviern, unter den Antoninen, in der großen Zeit des Kaiserreiches war es, als die Via Appia sich mit dem ganzen Prunk ihrer gleich Tempeln gemeißelten und gezierten Riesengräber schmückte. Welch eine monumentale Bahn des Todes, welche Zufahrt war diese schnurgerade Landstraße, wo die großen Toten den in Rom Ankommenden mit dem außerordentlichen Pomp ihres die Asche überlebenden Stolzes empfingen und zu den Lebenden geleiteten! Zu welchem erhabenen, weltbeherrschenden Volke mußte man kommen, da es seine Toten mit der Aufgabe betraut hatte, dem Fremden zu sagen, daß nichts bei ihm ein Ende nehme, selbst nicht die Toten, die in übergroßen Monumenten glorreich verewigt wurden? Grundmauern einer Citadelle, ein Turm von zwanzig Meter im Durchmesser, um darin eine Frau zu betten! Pierre hatte sich umgedreht und bemerkte deutlich ganz am Ende der prächtigen, blendenden, von den marmornen Trauerpalästen begrenzten Straße den sich in der Ferne erhebenden Palatin mit dem funkelnden Marmor der Kaiserpaläste, dem ungeheuren Haufen der Paläste, deren Allmacht die Welt beherrschte.
Aber nun fuhr er leicht zusammen; zwei Karabinieri, die er in dieser Wüste gar nicht bemerkt hatte, erschienen zwischen den Ruinen. Die Gegend war nicht sicher; daher wachten die Behörden sogar bei hellem Tage diskret über die Touristen. Weiterhin hatte er noch eine Begegnung, die ihn erregte. Es war ein Geistlicher, ein hochgewachsener Greis in einer schwarzen, rotbortirten und rotgegürteten Sutane, in dem er zu seiner Ueberraschung den Kardinal Boccanera erkannte. Er hatte die Landstraße verlassen und schritt nun langsam auf dem Rasenstreifen inmitten des hohen Fenchels und der großen Disteln einher; er hielt den Kopf gesenkt und wanderte so vertieft zwischen den Gräberruinen, an die sein Fuß streifte, daß er den jungen Priester gar nicht sah. Dieser wandte sich höflich ab; er war ganz betroffen, ihm ganz allein und so weit entfernt von Rom zu begegnen. Dann aber erkannte er die Ursache; er entdeckte nämlich hinter einem Gebäude eine schwere, mit zwei Rappen bespannte Karosse, neben der ein Lakai in dunkler Livree unbeweglich wartete, während der Kutscher seinen Sitz nicht einmal verlassen hatte, und erinnerte sich, daß die Kardinäle, da sie in Rom nicht zu Fuß gehen durften, in die Campagna hinausfahren mußten, wenn sie sich etwas Bewegung machen wollten. Aber welche stolze Trauer, welche einsame und gleichsam abgesonderte Größe umgab diesen großen, träumerischen Greis, der, ein Fürst bei den Menschen wie bei Gott, gezwungen war, in die Wüste, unter die Gräber zu gehen, um etwas frische Abendluft einzuatmen!
Pierre hatte bereits lange Stunden zwischen den Gräbern zugebracht; die Dämmerung senkte sich herab und er wohnte noch einem bewundernswerten Sonnenuntergang bei. Auf der linken Seite nahm die von gelblichen Wasserleitungsbogen durchschnittene und in der Ferne von dem in duftigem Rosa sich verflüchtigenden Albanergebirge abgeschlossene Campagna eine schiefergraue Färbung an; rechts dagegen, gegen das Meer zu, ging das Gestirn unter kleinen Wolken, einem ganzen Archipel von Gold unter, das einen Ozean erstorbener Glut besäte. Und über dieser unendlichen, flachen Linie der Campagna war sonst nichts – nichts als dieser mit Rubinen gestreifte Saphirhimmel. Sonst nichts – kein Hügel, keine Herde, kein Baum. Nichts als die schwarze Silhouette des zwischen den Gräbern stehenden Kardinals Boccanera, die sich in vergrößertem Maßstabe von der letzten Purpurglut der Sonne abhob.
Früh am nächsten Morgen kehrte Pierre, von der fieberhaften Begierde ergriffen, alles zu sehen, in die Via Appia zurück, um die Katakomben des St. Calixtus zu besichtigen. Es ist dies der größte und merkwürdigste der christlichen Friedhöfe, und hier sind auch mehrere der ersten Päpste begraben. Man steigt zwischen Oelbäumen und Cypressen, einen von der Sonne halbverbrannten Garten hinan, gelangt zu einer aus Brettern und Mörtel bestehenden elenden Hütte, in der ein kleiner Laden mit religiösen Gegenständen errichtet wurde, und steht dann vor einer modernen Treppe, die einen verhältnismäßig bequemen Abstieg gestattet. Pierre war froh, hier französische Trappisten zu finden, die diese Katakomben bewachen und den Touristen zeigen müssen. Eben war ein Bruder im Begriffe, mit zwei Damen, Französinnen, Mutter und Tochter, hinab zu steigen. Die Tochter war von entzückender Jugend, die Mutter noch immer sehr schön. Beide lächelten, wenn auch etwas furchtsam, während der Mönch die dünnen, langen Kerzen anzündete. Er besaß eine höckerige Stirne, die breiten, festen Kinnbacken eines störrischen Gläubigen, und seine blassen, hellen Augen verrieten die kindliche Unschuld seiner Seele.
»Ach, Herr Abbé, Sie kommen gerade zu rechter Zeit ... Wenn die Damen nichts dagegen haben, können Sie sich uns anschlichen. Es sind nämlich schon drei Brüder mit Besuchern unten; da müßten Sie zu lange warten ... Es ist setzt die hohe Reisesaison.«
Die Damen neigten höflich den Kopf; er reichte dem Priester eine der kleinen, schmalen Kerzen. Weder Mutter noch Tochter mußten fromm sein, denn sie hatten einen Seitenblick auf die schwarze Sutane ihres Begleiters geworfen und waren plötzlich ernsthaft geworden. Die Gesellschaft stieg hinab und gelangte zu einer Art sehr engen Korridors.
»Geben Sie acht, meine Damen,« wiederholte der Mönch, indem er den Boden mit seiner Kerze beleuchtete. »Gehen Sie langsam; es gibt hier Hügel und abschüssige Stellen.«
Nun begann er mit heller Stimme und der Kraft einer außerordentlichen Gewißheit seine Erklärungen. Pierre war schweigend hinuntergestiegen; seine Kehle war zusammengeschnürt, sein Herz klopfte vor Erregung. Ach, wie oft hatte er in der unschuldigen Seminarzeit von den Katakomben der ersten Christen, diesen Zufluchtsstätten des ursprünglichen Glaubens, geträumt! Und noch kürzlich, während er sein Buch schrieb – wie oft hatte er an sie gedacht, an diese älteste und ehrwürdigste Spur der Gemeinde der Armen und Einfältigen, deren Rückkehr er predigte! Aber sein Gehirn war ganz erfüllt von den Schilderungen der Dichter, der großen Prosaiker, die die Katakomben beschrieben haben. Er sah sie durch das Vergrößerungsglas der Phantasie und stellte sie sich ungeheuer groß, gleich unterirdischen Städten, vor – mit breiten Straßen und weiten Sälen, die große Menschenmengen fassen konnten. Und nun? In welche armselige, bescheidene Wirklichkeit geriet er!
»Ach ja,« antwortete der Bruder auf die Fragen von Mutter und Tochter, »es ist nicht mehr als einen Meter breit, zwei Personen könnten nicht neben einander gehen. In welcher Weise man sie gegraben hat? O, das war ganz einfach. Stellen Sie sich vor, eine Familie, eine Bestattungs-Gesellschaft eröffnete eine Begräbnisstätte. Nun also, dann grub sie mit der Haue den ersten Gang in dieses sogenannte weiche Tuffsteinlager. Sie sehen, es ist eine rötliche, weiche und zugleich widerstandskräftige Erde; sie ist sehr leicht zu bearbeiten, vollständig wasserdicht, kurz, wie zu diesem Zweck geschaffen, und hat die Leichname wunderbar erhalten.«
Er unterbrach sich und zeigte bei der schwachen Flamme seiner Kerze die rechts und links in die Wände eingegrabenen Nischen.
»Sehen Sie, das sind die Loculi... Man grub also einen unterirdischen Gang, in dem man zu beiden Seiten diese über einander liegenden Nischen anbrachte, und legte die Toten, zumeist in ein einfaches Schweißtuch gehüllt, hinein. Dann schloß man die Oeffnung mit einer Marmortafel, die sorgfältig vorgekittet wurde. Nun ist alles klar, nicht wahr? Wenn andere Familien sich den ersten anschlossen, wenn die Gesellschaft sich ausbreitete, so setzten sie den Gang, je nachdem er gefüllt war, weiter fort; sie eröffneten auch andere, rechts, links, nach allen Richtungen, ja, sie schufen auch ein tiefer gelegenes, zweites Stockwerk. Sehen Sie, da sind wir in einem Gang, der gute vier Meter in der Hohe mißt. Natürlich fragt man sich, wie man die Leichen so hoch hinaufhissen konnte. Aber sie wurden nicht gehißt; im Gegenteil, man stieg immer tiefer hinab, fuhr fort, den Boden immer mehr zu durchwühlen, sobald die untersten Nischen voll waren. So kam es, daß hier zum Beispiel in weniger als vier Jahrhunderten Gänge in der Länge von sechzehn Kilometern gegraben wurden, wo mehr als eine Million Christen beerdigt sein müssen. Nun gibt es Dutzende solcher Katakomben; die ganze römische Campagna ist so untergraben. Bedenken Sie das und berechnen Sie es.«
Pierre hörte gepackt zu. Einst hatte er ein belgisches Kohlenwerk besichtigt; hier fand er dieselben engen Gänge, dieselbe erstickend schwere Luft, ein Nichts von Dunkelheit und Stille wieder. Nur die kleinen Kerzen flimmerten durch das dichte Dunkel, das sie nicht erhellen konnten. Nun begriff er endlich die Arbeit dieser Totengräbertermiten, diese aufs Geratewohl gegrabenen Rattenlöcher; sie waren den Bedürfnissen gemäß, ohne Kunst, ohne Symmetrie fortgesetzt worden – so wie das Werkzeug eben hingeriet. Bei jedem Schritt hob und senkte sich der holperige Boden, die Wände gingen ganz schief; man hatte wohl nichts mit der Lotschnur, mit dem Winkelmaß gearbeitet. Es war bloß ein Werk der Notwendigkeit und Barmherzigkeit von naiven, freiwilligen Totengräbern, von unwissenden Arbeitern, die in die Unbeholfenheit der Dekadenz verfallen waren. Das merkte man besonders an den auf den Marmorplatten eingegrabenen Inschriften und Sinnbildern. Man hätte sie für kindische Zeichnungen halten können, wie sie Gassenjungen auf Mauern anzubringen pflegen.
»Sie sehen, zumeist ist nur ein Name vorhanden,« fuhr der Priester fort, »manchmal nicht einmal der Name, bloß die Worte in pace. Ein andermal ist es ein Sinnbild: die Taube der Reinheit, die Palme des Märtyrers oder auch der Fisch, dessen griechischer Name aus fünf Buchstaben besteht, die die Anfangsbuchstaben der fünf Worte: ›Jesus Christus, Sohn Gottes, Heiland‹ sind«.
Er näherte die kleine Flamme abermals der Wand und man konnte nun die Sinnbilder unterscheiden; die Palme, ein einziger Mittelstrich, an den andere kleine Striche stachelförmig angesetzt waren; die Taube oder den Fisch, aus einer Kontur gebildet, der Schwanz durch ein Zickzack, die Augen durch einen runden Punkt dargestellt. Die Buchstaben der kurzen Inschriften waren schief, ungleich, formlos. Es war die plumpe Handschrift der Unwissenden und Einfältigen.
Aber nun war die Gesellschaft bei einer Krypta, einer Art von kleinem Saal, angelangt, wo man die Gräber mehrerer Päpste wieder gefunden hatte; darunter befand sich auch das Sixtus' II., eines heiligen Märtyrers, zu dessen Ehren Papst Damasius eine prächtige metrische Inschrift angebracht hatte, die noch zu sehen war. Dann, in einem ebenfalls schmalen Nebensaale, einem später mit naiven Wandmalereien geschmückten Familiengrabe, zeigte man den Ort, wo der Körper der heiligen Cäcilia entdeckt worden war. Der Mönch setzte seine Erklärungen fort, erläuterte die Malereien und stützte darauf die unwiderlegliche Bestätigung aller Sakramente und aller Dogmen – des Dogmas der Taufe, des Abendmahls, der Auferstehung, des aus dem Grabe hervorgehenden Lazarus, des vom Fische ausgespieenen Jonas, Daniels in der Löwengrube, Moses, wie er das Wasser aus dem Felsen schlug, des wunderwirkenden, unbärtigen Christus der ersten Jahrhunderte.
»Sie sehen, alles ist da,« wiederholte er, »da gibt es nichts Vorbereitetes und nichts kann authentischer sein.«
Auf eine Frage des immer mehr erstaunten Pierre räumte er ein, daß die Katakomben ursprünglich einfach Friedhöfe waren und daß keinerlei religiöse Zeremonie dort vorgenommen wurde. Erst später, im vierten Jahrhundert, als man die Märtyrer verehrte, benützte man die Grüfte für den Kultus. Auch wurden sie erst während der Verfolgungen eine Zufluchtsstätte, zur Zeit, da die Christen genötigt waren, die Zugänge zu verbergen; bis dahin hatten sie frei und gesetzlich offen gestanden. Ihre wahre Geschichte bestand also in folgendem: vier Jahrhunderte waren sie Friedhöfe, wurden dann während der Unruhen Zufluchtsstätten und verwüstet, hierauf bis ins achte Jahrhundert verehrt, alsdann ihrer heiligen Reliquien beraubt, und zuletzt gerieten sie während mehr als sieben Jahrhunderten in eine solche Vergessenheit, daß die ersten Forschungsarbeiten im fünfzehnten Jahrhundert sie wie einen außerordentlichen Fund ans Licht brachten, als ein historisches Problem, dessen letztes Wort erst in unseren Tagen gesprochen wurde.
»Bücken Sie sich gefälligst, meine Damen,« fuhr der Bruder dienstfertig fort, »Sie sehen, in dieser Nische befindet sich ein vollständiges, unberührtes Skelett. Es liegt hier seit sechzehn bis siebenzehn Jahrhunderten. Daraus können Sie wohl ersehen, wie die Körper gebettet wurden ... Die Gelehrten sagen, daß es eine Frau ist, zweifellos ein junges Mädchen. Das Skelett war noch voriges Jahr vollständig, aber Sie sehen, der Schädel ist zerbrochen. Ein Amerikaner hat ihn mit dem Stock zerschlagen, um sich zu überzeugen, ob der Kopf nicht falsch sei.«
Die Damen hatten sich gebückt, und bei dem schwachen, tanzenden Licht drückten ihre blassen Gesichter ein mit Schrecken gemischtes Mitleid aus; besonders die so lebensvolle Tochter mit ihrem roten Munde, ihren großen schwarzen Augen sah einen Augenblick kläglich und schmerzlich aus. Dann versank alles wieder ins Dunkel; die kleinen Kerzen richteten sich auf und wanderten in dem schweren Dunkel die Galerien entlang. Die Besichtigung dauerte noch eine ganze Stunde, denn der Führer, der gewisse Winkel besonders liebte, erließ nicht ein einziges Detail; der Eifer trieb ihn an, als hatte er an der Rettung der Touristen zu arbeiten.
Pierre schritt immer weiter vorwärts und eine tiefe Wandlung vollzog sich in ihm. Nach und nach, je mehr er sah und begriff, verkehrte sich seine erste Verblüffung über die von der Verschönerung der Erzähler und Dichter so verschiedene Wirklichkeit, seine Enttäuschung über diese so roh in die rötliche Erde gegrabenen Maulwurfslöcher in eine brüderliche Bewegung, in eine Rührung, die sein Herz erregte. Es war nicht der Gedanke an die fünfzehntausend Märtyrer, deren heilige Gebeine hier geruht hatten; nein, aber was für eine sanfte, ergebene und im Tode hoffnungsvolle Menschheit war das! Für die Christen bedeuteten diese niedrigen, dunklen Gänge nur einen zeitweiligen Ruheort. Wenn sie die Leichen nicht gleich den Heiden verbrannten, wenn sie sie begruben, so geschah das, weil sie von den Juden den Glauben an die Auferstehung des Fleisches übernommen hatten; und dieser glückliche Gedanke an ein Schlummern, an ein gutes Ausruhen nach einem gerechten Leben in Erwartung des himmlischen Lohnes bildete den ungeheuren Frieden, den unendlichen Zauber der finstern, unterirdischen Stadt. Alles darin verkündete eine dunkle und stille Nacht, alles darin schlief in entzückter Unbeweglichkeit, alles geduldete sich bis zu dem fernen Erwachen. Gab es etwas Rührenderes, als diese Tafeln aus Terracotta oder Marmor, die nicht einmal einen Namen, nur die Worte in pace, in Frieden, trugen? Endlich in Frieden sein, endlich in Frieden schlafen, nach vollendeter Aufgabe in Frieden auf den künftigen Himmel hoffen! Dieser Frieden erschien um so köstlicher, als er in tiefer Demut gekostet wurde. Freilich gruben die Totengräber aufs Geratewohl, mit der Unregelmäßigkeit ungeschickter Arbeiter; freilich konnten die Künstler nicht mehr einen Namen graviren, noch eine Palme oder eine Taube meißeln. Alle Kunst war verschwunden. Aber wie hell erhob sich die Stimme der jungen Menschheit aus dieser Armut und dieser Unwissenheit! Die Armen, die Geringen, die Einfältigen, das wuchernde Volk ruhte, schlief unter der Erde, wahrend die Sonne oben ihr Werk fortsetzte. Welche Nächstenliebe, welche Brüderlichkeit im Tode! Gatte und Gattin lagen oft beisammen, mit dem Kinde zu ihren Füßen; die überströmende Flut der Unbekannten ließ die Persönlichkeit, den Bischof, den Märtyrer untergehen, und die rührendste Gleichheit, die der Bescheidenheit, herrschte am Grunde dieses Staubes, der gleichen Nischen, der schmucklosen Platten. Dieselbe Naivität, dieselbe Verschwiegenheit vermischte die endlosen Reihen der schlummernden Häupter. Kaum daß die Inschriften sich ein Lob gestatteten, und auch dann war es so vorsichtig, so zart: die Männer sind sehr würdig, sehr fromm, die Frauen sind sehr sanft, sehr schön, sehr keusch. Der Duft der Kindheit stieg von hier auf, eine unbegrenzte und echt menschliche Zärtlichkeit, der Tod der ersten christlichen Gemeinde – dieser Tod, der sich verbarg, um wieder aufzuleben, der nicht mehr von der Herrschaft der Welt träumte.
Und plötzlich sah Pierre im Geiste die Gräber von gestern wieder vor sich, diese prunkvollen Gräber, die er zu beiden Seiten der Via Appia heraufbeschworen, die im vollen Sonnenlicht den Herscherstolz eines ganzen Volkes zur Schau stellten. Sie dehnten sich mit ihren gewaltigen Dimensionen, ihren Anhäufungen von Marmor, ihren indiskreten Inschriften, ihren Meisterwerken der Bildhauerkunst, ihren Friesen, Basreliefs und Statuen in prahlerischer Pracht hin. Ach, welchen außerordentlichen Gegensatz bildete diese pomphafte Todesstraße mitten auf der flachen Campagna, die wie eine Triumphstraße in die königliche ewige Stadt führte, zu der unterirdischen Stadt der Christen, dieser verborgenen, sanften, schönen, keuschen Totenstadt! Hier war nichts mehr als Schlaf, als die ersehnte und anerkannte Nacht, als eine heitere Ergebung, die sich in Erwartung der Seligkeit des Himmels gerne der guten Ruhe im Dunkeln anvertraute; und alles, bis zu dem sterbenden, seine Schönheit verlierenden Heidentum, bis zur Unbeholfenheit der Arbeiter erhöhte den Reiz dieser armseligen, fern von der Sonne, in der Nacht der Erde gegrabenen Friedhöfe. Millionen von Wesen hatten sich demütig in diese wie von klugen Ameisen durchbohrte Erde zur Ruhe gelegt; sie hatten dort jahrhundertelang geschlafen und würden noch jetzt, von Schweigen und Dunkel gewiegt, geheimnisvoll dort schlummern, wenn die Menschen nicht gekommen wären und ihre Sehnsucht nach Vergessenheit gestört hätten, ehe die Posaunen des Gerichtes die Auferstehung verkündeten. Der Tod hatte nun vom Leben gesprochen; es gab nichts Lebendigeres, als diese vergrabenen Städte voll unzähliger, namenloser, unbekannter Toten. Einst war von ihnen ein ungeheurer Odem ausgegangen – der Odem einer neuen Menschheit, die die Welt erneuern sollte. Mit der Demut, mit der Verachtung des Fleisches, mit dem entsetzten Haß der Natur, dem Verzicht auf irdische Genüsse, der Sehnsucht nach dem Tode, der befreit und das Paradies eröffnet, begann eine neue Welt. Und das Blut des Augustus, so stolz in feinem königlichen Purpur, so glanzvoll in seiner höchsten Herrschaft, schien einen Augenblick zu verschwinden, als hätten die dunklen Grüfte der neuen Erde es hinabgetrunken.
Der Bruder bestand darauf, den Damen die Treppe des Diocletian zu zeigen, und erzählte ihnen ihre Legende.
»Ja, es war ein Wunder ... Unter diesem Kaiser verfolgten die Soldaten Christen, die sich in diese Katakomben flüchteten; und als die Soldaten ihnen folgen wollten, brach die Treppe, und alle stürzten hinab ... Die Stufen sind noch heute zerbrochen. Bitte, sehen Sie es sich an; es sind nur ein paar Schritte.«
Aber die Damen waren ganz zerbrochen und durch dieses Dunkel und diese Totengeschichten zuletzt von einem solchen Unbehagen ergriffen, daß sie unbedingt hinauf wollten. Ueberdies näherten sich die dünnen Kerzen ihrem Ende; alle waren ganz geblendet, als sie sich endlich wieder in der Sonne, vor dem kleinen Laden mit frommen Gegenständen befanden. Das junge Mädchen kaufte einen Briefbeschwerer; es war ein Stück Marmor, auf dem der Fisch, das Symbol von »Jesus Christus, Sohn Gottes, Heiland« eingeschnitten war.
Am Nachmittag desselben Tages besichtigte Pierre die Basilika von St. Peter. Er kannte davon noch nichts als den großartigen Platz mit den Obelisken und den zwei Springbrunnen, über den er einmal gefahren war. Der ungeheure Rahmen der Kolonnaden Berninis, dieses aus Säulen und Mastern bestehenden Viereckes, umgibt ihn mit einem Gürtel von monumentaler Majestät. Im Hintergrunde erhebt sich die Basilika; sie wird durch ihre Fassade verkleinert und schwer gemacht, erfüllt aber doch mit ihrem erhabenen Dom den Himmel.
Unter der brennenden Sonne zogen sich kieselbestreute, einsame Abhänge hin, und eine niedrige, abgenützte, verblaßte Stufe folgte der andern. Ganz am Ende trat Pierre ein. Es war drei Uhr, und breite Strahlen fielen durch die hohen, viereckigen Fenster; links in der Capella Clementina begann eine Zeremonie, zweifellos die Vesper. Aber er horte nichts; nur die ungeheure Grüße des Schiffes fiel ihm auf. Mit langsamen Schritten, die Augen in die Höhe gerichtet, durchwanderte er seine maßlosen Dimensionen. Da waren gleich beim Eingang die riesigen Weihwasserkessel mit ihren Engeln, die so dick wie Amoretten waren; da war das Mittelschiff, das gewaltige, mit Deckenfeldern geschmückte Tonnengewölbe; da waren vor allem bei der Kreuzung die vier cyklopischen Pfeiler, die den Dom stützten; da waren die Querschiffe und das Chor, die einzeln so groß wie eine unserer Kirchen sind. Auch der stolze Pomp, das blendende, niederdrückende Gepränge packte ihn. Die Kuppel glänzte gleich einem Stern in den lebhaften Tönen und dem Gold der Mosaiken. Der Prachtbaldachin, dessen Bronze aus dem Pantheon stammt, krönt den Hochaltar, der über dem Grabe des heiligen Petrus errichtet ist; von dort geht die Doppeltreppe der Konfession aus, die von siebenundachtzig ewig brennenden Lampen erhellt wird. Und welcher Reichtum, welche Verschwendung von seltenem Marmor – weißer Marmor, farbiger Marmor neben einander und über einander. Ach, dieser polychrome Marmor, in dem Bernini toll-üppig schwelgte! Aus Marmor besteht das herrliche Pflaster, in dem das ganze Gebäude sich spiegelt, die Bekleidung der Pfeiler, die mit den Medaillons der Päpste geschmückt sind, abwechselnd mit der Tiara und den Schlüsseln, die von pausbackigen Engeln getragen werden; aus Marmor bestehen die mit Sinnbildern überladenen Wände, aus denen sich überall die Taube Innocenz' X. wiederholt, die Nischen mit ihren gewaltigen Statuen in barockem Geschmack, die Loggien und deren Ballone, die Rampe und die Doppeltreppe der Konfession, die reichen Altäre und die noch reicheren Gräber! Alles: das große Mittelschiff, die Seitenschiffe, die Querschiffe, das Chor waren aus Marmor, strotzten vor Marmor, strahlten im Reichtum des Marmors, ohne daß man einen handtellergroßen Fleck finden konnte, der nicht die übermütige Prahlerei des Marmors gezeigt hätte. Und so triumphirte die Basilika, unbestritten anerkannt und bewundert als die größte und die üppigste Kirche der Welt, als die Verkörperung des Ungeheuren und der Pracht.
Pierre ging immer weiter; er irrte durch die Schiffe und schaute betäubt um sich, ohne etwas unterscheiden zu können. Einen Augenblick blieb er vor dem heiligen Peter aus Bronze stehen, der in steifer, hieratischer Haltung auf seinem Marmorsockel stand. Einige Gläubige näherten sich und küßten die große Zehe des rechten Fußes. Einige wischten sie vor dem Küssen ab, andere küßten sie, ohne sie abzuwischen, lehnten die Stirne darauf und küßten sie abermals. Dann wandte Pierre sich in das linke Querschiff, wo sich die Beichtstühle befanden. Hier sitzen jederzeit Priester bereit, die Beichte in allen Sprachen abzunehmen. Andere warten mit einem langen Stäbchen bewaffnet und schlagen damit leicht auf den Schädel der niederknieenden Sünder, was diesen einen dreißigtägigen Ablaß verschafft. Aber es befanden sich sehr wenige Leute in der Kirche; die Priester vertrieben sich in den engen Holznischen die Wartezeit, indem sie wie zu Hause schrieben und lasen. Dann stand er wieder vor der Konfession, deren siebenundachtzig gleich Sternen funkelnde Lampen ihn interessirten. Der Hochaltar, an dem nur der Papst allein zelebriren darf, stand mit der stolzen Wehmut der Einsamkeit unter dem riesigen, blumengeschmückten Baldachin, dessen Hauptstück und Vergoldung mehr als eine halbe Million kostete.
Dann erinnerte er sich an die Zeremonie, die in der Capella Clementina zelebrirt wurde, und er geriet in Staunen, da er schlechterdings nichts hörte. Er glaubte, daß sie schon zu Ende sei, und wollte sich davon überzeugen. Aber je mehr er sich ihr näherte, um so stärker drang ein Hauch, der fernen Flötentönen glich, an sein Ohr; sie verstärkten sich, aber erst als er vor der Kapelle stand, erkannte er sie als Orgelmelodien. Rote Vorhänge, die vor die Fenster gezogen waren, dämpften das Sonnenlicht; so war die Kapelle ganz von einem hellen, roten Feuerschein und von den tiefen Klängen einer ernsten Musik erfüllt. Aber wie klein war sie, wie verlor sie sich in dem ungeheuren Schiff, da man auf sechzig Schritte Entfernung weder die Stimmen noch das Dröhnen der Orgel vernehmen konnte!
Beim Eintreten hatte Pierre geglaubt, daß die ungeheure Kirche vollständig leer und tot sei; dann wurde er inne, daß sich in der Ferne einige Wesen befanden. Es waren Leute da, aber so wenige und in so weiten Zwischenräumen, daß es den Eindruck machte, als wären sie nicht da. Touristen schlenderten mit dem Reiseführer in der Hand mit müden Beinen umher. In der Mitte des großen Mittelschiffes nahm ein Maler an seiner Staffelei eine Ansicht auf, gerade so wie in einer öffentlichen Galerie. Dann kam ein ganzes französisches Seminar vorüber, geführt von einem Prälaten, der die Gräber erklärte. Aber diese fünfzig, diele hundert Personen zählten nichts; sie machten in dem weiten Räume kaum den Eindruck einiger verirrten, schwarzen Ameisen, die erschreckt den Weg suchen. Von nun an hatte er das ausgesprochene Gefühl, als befände er sich in einem Riesengalasaale, in dem Vorsaale eines maßlos großen Empfangspalastes. Die breiten Sonnenstrahlen, die durch die hohen, viereckigen, vorhanglosen Fenster hereinfielen, erhellten die Kirche mit blendendem Licht und erfüllten sie durch und durch mit einer Glorie. Keine Bank, kein Stuhl war zu sehen, nichts als das prächtige, nackte, unendliche Pflaster; es war ein Pflaster wie in einem Museum, und die tanzenden Sonnenstrahlen spiegelten sich in ihm. Nirgends ein Ort der Sammlung, nirgends ein geheimnisvoller, dunkler Winkel, um niederzuknieen und zu beten. Ueberall herrschte die lebhafte Helle, der Glanz, die Majestät und Pracht des hellen Tages. Und in diesen verlassenen, in Gold und Purpur flammenden Opernsaal trat nun er, der nur den Schauer gotischer Kathedralen kannte, wo düstere Mengen zwischen dem Walde der Pfeiler schluchzen! Er, der die schmerzhafte Erinnerung an die abgezehrte Architektur und Bildhauerkunst des Mittelalters, die ganz Seele ist, mit sich brachte, er geriet nun in diese prunkende Majestät, in diesen ungeheuren, leeren Pomp, der ganz Körper war! Vergebens suchte er eine arme, knieende Frau, ein gläubiges oder leidendes Wesen, das sich im schamhaften Halbdunkel dem Unbekannten hingab, geschlossenen Mundes mit dem Unsichtbaren sprach. Er sah hier nichts als das müde Kommen und Gehen der Touristen, die geschäftigen Mienen der Prälaten, die die jungen Priester zu den vorgeschriebenen Stationen führten, während in der Kapelle links die Vesper ihren Fortgang nahm, ohne daß ein Geräusch an das Ohr der Besucher drang; kaum daß eine wirre Tonwoge, das Schwingen einer Glocke von außen durch das Gewölbe hallte.
Pierre begriff, daß dies das Gerippe eines monumentalen Kolosses sei, den das Leben verließ. Um ihn zu füllen, um ihm seine wirkliche Seele einzuhauchen, bedurfte es der ganzen Pracht des religiösen Pompes; es bedurfte der achtzigtausend Gläubigen, die das Schiff fassen kann, der großen päpstlichen Zeremonien, der Pracht des Weihnachts- und Osterfestes, der Aufzüge, die den heiligen Staat mit den Dekorationen und der Inscenirung einer großen Oper entfalteten. Und er beschwor herauf, was er von dieser Pracht wußte: eine anbetende Menge überfüllte die Basilika, der übermenschliche Zug zog zwischen den zur Erde gebeugten Stirnen einher, Kreuz und Schwert eröffneten die Prozession, die Kardinäle schritten zu zweien wie Plejadengötter, gekleidet in das Chorhemd aus Spitzen, den Talar und den Mantel aus rotem Moiré, dessen Schleppe die Schleppträger hielten. Und zuletzt kam der Papst. Er saß wie ein mächtiger Jupiter aus einem Schilde von rotem Sammet in einem Lehnstuhl aus rotem Sammet und Gold, und war mit weißem Sammet, dem goldenen Chorrock, der goldenen Stola, der goldenen Tiara bekleidet. Die roten, goldgestickten Mäntel der Träger der Sedia gestatoria funkelten, die Flabelli bewegten über dem Haupte des alleinigen, souveränen Pontifex die großen Federfächer, die sich einst vor den Götzenbildern des antiken Rom wiegten. Und welch blendender, glorreicher Hof umgab diesen Triumphsessel! Die ganze päpstliche Hausgenossenschaft, die Flut der assistirenden Prälaten, die Patriarchen, die Erzbischöfe und Bischöfe, alle in goldenen Ornaten und Mitren! Die bestallten Geheimkämmerer in violetter Seide, die wirklichen Kämmerer im schwarzen Sammetkostüm mit goldener Kette und Krause! Dann das zahllose geistliche und weltliche Gefolge, dessen Aufzählung hundert Seiten der Gerarchia nicht erschöpfen würde, die Protonotare, die Kapläne, die Prälaten aller Klassen und Grade, ganz abgesehen von dem militärischen Hausstande – den Gendarmen in der Bärenmütze, den palatinischen Garden in den blauen Beinkleidern und dem schwarzen Mantel, den Schweizergarden in dem gelb, schwarz und rot gestreiften Silberküraß, den Nobelgardisten, die in ihren hohen Stiefeln, ihren weißen Lederkollern, ihren roten, goldgestickten Mänteln, den goldenen Epauletten und den Goldhelmen einen prächtigen Anblick boten! Aber seitdem Rom die Hauptstadt Italiens war, wurde das Thor nicht mehr weit geöffnet, sondern im Gegenteil mit eifriger Sorgfalt verschlossen; und wenn, was selten geschah, der Papst erschien, um zu zelebriren, um sich als der höchste Erwählte, als die Verkörperung Gottes auf Erden zu zeigen, da füllte sich die Basilika nur noch mit eingeladenen Gästen. Man mußte eine Karte haben, um Einlaß zu finden. Es war nicht mehr die zufällige Flut des Volkes, die fünfzigtausend, die sechzigtausend Christen, die herbei eilten, sich herbeidrängten, sondern eine Auswahl von befreundeten Zuschauern, die bei besonderen geschlossenen Feierlichkeiten besonders ausgesucht wurden. Selbst wenn Tausende hier versammelt wurden, so war es doch nur immer ein beschränktes, zu einem Monstrekonzert geladenes Publikum.
Je länger Pierre durch dieses im harten Glanze des Marmors schimmernde, kalte und majestätische Museum wanderte, desto mehr durchdrang ihn das Gefühl, daß er sich in einem heidnischen, dem Gotte des Lichtes und der Pracht errichteten Tempel befinde. Ein großer Tempel des antiken Rom hatte gewiß ähnlich ausgesehen; er besaß dieselben mit polychromem Marmor bekleideten Wände, dieselben kostbaren Säulen, dieselben Gewölbe mit vergoldeten Deckenfeldern. Dieses Gefühl sollte er noch deutlicher beim Besuche der anderen Basiliken empfinden, der ihn zur Erkenntnis der unbestreitbaren Wahrheit brachte. Da war erstens die christliche Kirche, die sich in aller Ruhe und Gemütlichkeit in dem heidnischen Tempel breitmachte: so S. Lorenzo in Miranda, der im Tempel des Antonin und der Faustina ganz wie zu Hause war, und dessen seltenen Portikus aus Cippolino und den schönen Sims aus weißem Marmor beibehalten hatte. Zweitens die christliche Kirche, die aus dem gefällten Stamm, dem zerstörten antiken Gebäude wieder ausgewachsen war; so zum Beispiel der jetzige Dom S. Clemente, unter dem in Schichten Jahrhunderte entgegengesetzter Religionen, ein sehr altes Denkmal aus der Zeit der Republik, ein anderes, in dem man einen Mithratempel erkannt hat, aus der Kaiserzeit, und endlich eine altchristliche Basilika liegen. Drittens die christliche Kirche, die wie S. Agnese fuori le Mura genau nach dem Vorbilde der forensischen Basilika der Römer, dem Tribunal und der Börse, gebaut war, die sich aus jedem Forum fanden; und viertens insbesonders die christliche Kirche, die mit den aus den Tempelruinen gestohlenen Materialien gebaut wurde. So die sechzehn herrlichen Säulen dieser selben Kirche S. Agnese aus verschiedenartigem Marmor, der offenbar mehreren Göttern geraubt wurde; die einundzwanzig Säulen jeglicher Ordnung von S. Maria de Trastevere, die einem Tempel des Ifis und Serapis entrissen wurden, deren Figuren sich noch auf den Kapitälern befinden; die sechsunddreißig weißen Marmorsäulen jonischer Ordnung von S. Maria Maggiore, die aus dem Tempel der Juno Lucina kommen; die an Material, Höhe und Arbeit ganz verschiedenen zweiundzwanzig Säulen von S. Maria d'Aracoeli, von denen die Legende behauptet, daß einige dem Jupiter selbst aus dem Tempel des Jupiter Capitolinus entrissen wurden, der sich auf demselben Platze, auf dem heiligen Hügel erhob. Noch heute werden die Tempel der reichen Kaiserzeit in den prächtigen Basiliken von S. Giovanni de Laterano und S. Paoli fuori le Mura wieder lebendig. War nicht die Basilika von S. Giovanni, die Mutter und das Haupt aller Kirchen, mit ihren fünf, von vier Säulenreihen geteilten Schiffen, mit ihren zwölf kolossalen Apostelstatuen, die wie eine doppelte Reihe von Göttern zu dem Herrn der Götter führte, mit ihren Basreliefs, Friesen, Simsen, der Ehrenpalast einer heidnischen Gottheit, deren üppiges Reich von dieser Welt war? Und findet man nicht in der eben vollendeten St. Paulskirche, in dem neuen, spiegelgleichen Glanz des Marmors die Wohnung der olympischen Unsterblichen wieder? Es ist der typische Tempel mit der majestätischen Kolonnade unter der flachen, mit vergoldeten Feldern versehenen Decke, dem marmornen Pflaster von unvergleichlicher Schönheit des Materials und der Arbeit, den Pilastern mit den lila Basen und den weißen Kapitalen, dem weißen Sims mit lila Friesen und der überall vorherrschenden Mischung dieser beiden Farben, die von so göttlich fleischlicher Harmonie ist, daß man an die erhabenen, von der Morgenröte gebadeten Körper der großen Göttinnen denken muß. Ebenso wenig wie in St. Peter war hier ein dunkler, ein geheimnisvoller, dem Unsichtbaren geöffneter Winkel zu sehen. Und doch blieb St. Peter, kraft seines Rechtes als Koloß das größte dieser großen Ungetüme. Er war das maßlose Zeugnis dessen, was die Sucht nach dem Ungeheuerlichen vermag, wenn der menschliche Stolz mit Hilfe von verschwendeten Millionen Gott in der allzu großen und allzu reichen Steinwohnung unterbringen will, wo der Mensch in seinem Namen triumphirt.
Zu diesem Prunkkoloß hatte also nach so vielen Jahrhunderten die Inbrunst des ursprünglichen Glaubens geführt! Es fand sich in ihm jener Saft des römischen Bodens wieder, der zu allen Zeiten in unvernünftigen Monumenten aufgeschossen ist. Es scheint, daß die unumschränkten Herren, die nach einander dort regierten, diese cyklopische Bauwut mit sich brachten, aus der Heimaterde, auf der sie aufgewachsen schöpften; denn sie haben sie sich ohne Unterbrechung von Zivilisation zu Zivilisation vererbt. Es ist ein unaufhörliches Wachstum der menschlichen Eitelkeit; alle hatten das Bedürfnis, ihren Namen auf eine Mauer zu schreiben, und nachdem sie Herren der Welt gewesen, eine unzerstörbare Spur, einen greifbaren Beweis dieser Eintagsglorie, das ewige Gebäude aus Bronze und Marmor zurückzulassen, das bis ans Ende der Zeiten für sie zeugen würde. Im Grunde steckt dahinter nur die Eroberungslust, der stolze Ehrgeiz der Rasse, die stets um die Weltherrschaft ringt; und wenn alles zusammengebrochen ist, wenn eine neue Gesellschaft aus den Ruinen wieder geboren wird, von der man annehmen kann, daß sie vom Hochmut geheilt und zur Demut zurückgekehrt ist, so erweist sich das wieder nur als ein Irrtum. Das alte Blut braust in ihren Adern; sie unterliegt von neuem dem übermütigen Wahnsinn der Ahnen und wird, sobald sie groß und stark geworden ist, eine Beute aller ererbten Heftigkeit. Es gibt nicht einen berühmten Papst, der nicht bauen wollte, der nicht die Ueberlieferung der Cäsaren weiter geführt hätte, die ihre Regierung in Stein verewigten und sich nach ihrem Tode Tempel errichten ließen, um unter die Götter zu steigen. Dieselbe Sorge um die irdische Unsterblichkeit gibt sich wieder kund; man wetteifert, wer das größte, festeste, prächtigste Monument hinterlassen wird. Die Krankheit ist so heftig, daß die weniger glücklichen, die nicht bauen konnten, die sich mit Ausbesserungen begnügen mußten, sich darin gefielen, den Generationen das Andenken ihrer bescheidenen Arbeiten zu hinterlassen, indem sie Marmortafeln mit pomphaften Inschriften anbrachten. Daher begegnet man fortwährend diesen Tafeln; keine Mauer wird befestigt, ohne daß ein Papst sein Wappen darauf drückt, keine Ruine hergestellt, kein Palast wieder in Stand gesetzt, kein Springbrunnen gereinigt, ohne daß der regierende Papst das Werk mit seinem römischen Titel Pontifex Maximus zeichnet. Es ist ein Spuk, eine unfreiwillige Ausschweifung, die verhängnisvolle Blüte dieser seit mehr als zweitausend Jahren aus Trümmern gebildeten Düngererde. Unaufhörlich steigen Monumente aus diesem Staube von Monumenten auf. Und man fragt sich, ob Rom überhaupt je christlich war – Rom in seiner Verderbtheit, mit der der alte römische Boden fast allsogleich die Lehren Jesus befleckte, mit seiner Herrschsucht, seinem Verlangen nach irdischem Ruhm, die durch die Verachtung der Schwachen und Reinen, der Brüderlichen und Einsaitigen des Urchristentums, den Triumph des Katholizismus bewirkt haben.
Da mit einemmale, infolge einer plötzlichen Erleuchtung, flammte in Pierre die Wahrheit auf. Es geschah in dem Augenblick, als er zum zweitenmale die Runde um die ungeheure Basilika machte und die Päpstegräber bewunderte. Ach, diese Gräber! Drüben in der flachen Campagna, im hellen Sonnenlichte, zu beiden Seiten der Via Appia, die, gleichsam das Triumphthor Roms, den Fremden aus den erhabenen, von einer Krone von Palästen umgürteten Palatin geleitete, erhoben sich die gigantischen Gräber der Mächtigen und Reichen in einem künstlerischen Glänze, einer Pracht ohne gleichen, die den Stolz und den Pomp einer starken, weltbeherrschenden Rasse im Marmor verewigte.
Dann, dicht daneben, unter der Erde, in der verschwiegenen Nacht, am Grunde der armseligen Maulwurfslöcher, verbargen sich andere Gräber – die der Geringen, der Armen, der Leidenden; sie waren kunst- und schmucklos, und ihre Bescheidenheit verkündete, daß ein Hauch von Liebe und Ergebung über die Erde gestrichen, daß ein Mensch gekommen war, um Brüderlichkeit und Liebe, das Aufgeben der irdischen Güter für den ewigen Frieden des künftigen Lebens zu predigen. Er hatte den guten Samen seines Evangeliums der neuen Erde anvertraut und die verjüngte Menschheit gesät, die die alte Welt verwandeln sollte. Und nun waren aus diesem seit Jahrhunderten in dem Boden liegenden Samen, nun waren aus diesen bescheidenen, unbekannten Gräbern, wo die Märtyrer in Erwartung des glorreichen Erwachens ihren süßen Schlaf schlummerten, andere Gräber hervorgesproßt, die ebenso riesig, ebenso prunkvoll waren wie die zerstörten antiken Gräber der Götzendiener. Ihr Marmor erhob sich in der heidnischen Pracht eines Tempels und verkündete denselben übermenschlichen Stolz, dieselbe wahnsinnige Sucht nach der Weltherrschaft. In der Renaissance wird Rom wieder heidnisch. Das alte Kaiserblut steigt wieder auf, führt gegen das Christentum den schärfsten Angriff, den es bisher zu erleiden hatte, und reißt es mit sich fort. Ach, diese Gräber in St. Peter – wie trotzen sie in ihrer übermütigen Verherrlichung, in ihrer sinnlichen und üppigen Ungeheuerlichkeit dem Tode und versetzen die Unsterblichkeit auf diese Erde! Da sind riesengroße Päpste aus Bronze, da sind allegorische Figuren, da sind zweideutige Engel, die schön sind, wie schöne Mädchen, wie begehrenswerte Frauen, mit den Hüften und dem Halse von Göttinnen. Paul III. sitzt auf einem hohen Piedestal, während die Gerechtigkeit und die Klugheit halb zu seinen Füßen gelagert sind. Urban VIII, befindet sich zwischen der Klugheit und der Religion, Innocenz XI. zwischen der Religion und der Gerechtigkeit, Innocenz XII, zwischen der Gerechtigkeit und der Barmherzigkeit, Gregor XIII. zwischen der Religion und der Kraft. Der knieende Alexander VII, hat neben sich die Klugheit und die Gerechtigkeit, vor sich die Barmherzigkeit und die Wahrheit; daneben erhebt sich ein Skelett mit der leeren Sanduhr. Clemens XIII., ebenfalls knieend, triumphirt auf einem monumentalen Sarkophag, auf den sich die Religion, die das Kreuz hält, stützt; während unter dem rechts lehnenden Genius des Todes sich zwei ungeheure Löwen befinden, die Sinnbilder der Allmacht. Die Bronze verkündete die Ewigkeit der Figuren; der weiße Marmor prangte wie schönes, üppiges Fleisch; der farbige Marmor schlang sich zu reichen Behängen und erhob unter dem hellen, goldenen Licht der ungeheuren Schiffe die Monumente zu einer Apotheose.
Und Pierre ging von einem zum andern; er schritt immer wieder durch die von der Sonne beschienene, herrliche, einsame Basilika. Ja, diese Gräber schlössen sich mit kaiserlichem Prunk denen der Via Appia an. Ja, das war Rom – der Boden Roms, wo Stolz und Herrschsucht wie das Kraut des Feldes ausschießen, dieser Boden, der aus dem demütigen Urchristentum den siegreichen, mit den Mächtigen und Reichen verbündeten Katholizismus gemacht hat, diese für die Eroberung der Völker errichtete riesige Regierungsmaschine. In den Päpsten waren die Cäsaren wieder erwacht. Das ferne Erbe wirkte; das Blut des Augustus schoß von neuem hervor, floß in ihren Adern und verbrannte ihr Gehirn mit maßlosem Ehrgeiz. Nur Augustus hatte die Herrschaft der Welt verwirklicht, indem er zugleich Kaiser und Pontifex, Herr der Körper und Seelen war. Von daher stammt der ewige Traum der Päpste. Sie sind verzweifelt, weil sie nur die geistliche Herrschaft besitzen, und wollen hartnäckig nichts von der weltlichen abtreten; denn sie hegen noch immer die uralte, nie aufgegebene Hoffnung, daß der Traum sich noch einmal verwirklichen kann und aus dem Vatikan einen zweiten Palatin machen werde, von wo aus sie als unbeschränkte Despoten die eroberten Nationen beherrschen werden.