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3. Die Schildwache.

Ich glaube an keine Gespenster; des Nachts aber fürchte ich sie. Sehr natürlich. Wer wollte auch alles mögliche glauben? Aber man hofft und fürchtet leicht alles mögliche.

Die Totenstille, die alten, zerlumpten Tapeten in dem großen Saal, das Unheimliche und Fremde, der Tote über meinem Haupte – der Nationalhaß der Polacken – alles trug dazu bei, mich zu verstimmen. Ich mochte nicht essen, ungeachtet mich hungerte; ich mochte nicht schlafen, so ermüdet ich auch war. Ich ging ans Fenster, um zu versuchen, ob ich im Notfalle auf diesem Wege die Straße gewinnen könne; denn ich fürchtete, mich in dem gewaltigen Hause und in dem Labyrinth von Gängen und Zimmern zu verirren, ehe ich den Hausflur erreichte. Allein starke Eisenstäbe verrammelten den Ausweg.

In dem Augenblicke ward alles in der Starostei lebendig; ich hörte Türen auf- und zugehen, Tritte nah und fern schallen, Stimmen dumpf ertönen. Ich begriff nicht, woher plötzlich dies rege Leben und Treiben. Aber eben das Unbegreifliche versteht man immer am schnellsten. Eine innere Stimme warnte mich und sprach: »Es gilt dir! Der dumme Peter hatte die Mordanschläge der Polacken verraten – rette dich!« Ein kalter Fieberschauer ergoß sich durch meine Nerven. Ich sah die Blutdürstigen, wie sie untereinander die Art meines Todes verabredeten. Ich hörte sie näher und näher kommen. Ich hörte sie schon in den Vorzimmern, die zu meinem Saale führten. Ihre Stimmen flüsterten leiser. Ich sprang auf, verriegelte die Tür, und in demselben Augenblicke versuchte man, die Tür von außen zu öffnen. Ich wagte kaum zu atmen, um mich nicht durch das Geräusch meines Atemzuges zu verraten. An der Sprache der Flüsternden vernahm ich, daß es Polen waren. Zum Unglück hatte ich gleich nach Empfang meiner Berufung zum Justizkommissariat soviel polnische Worte gelernt, daß ich ungefähr auch verstand, man spreche von Blut, Tod und Preußen. Meine Knie bebten; kalter Schweiß rann mir von der Stirn. Noch einmal ward von außen der Versuch gemacht, die Tür meines Saales zu öffnen, aber es schien, als fürchte man, Geräusch zu machen. Ich hörte die Menschen sich wieder entfernen oder vielmehr davonschleichen.

Sei es, daß die Polacken es auf mein Leben oder nur auf mein Geld abgesehen hatten; sei es, daß sie ihre Anschläge ohne Lärmen ausführen oder den Versuch auf andere Weise erneuern wollten; ich beschloß sogleich, mein Licht auszulöschen, damit sie es nicht von der Straße erblicken und mich daran erkennen möchten. Wer stand mir gut dafür, daß nicht einer der Kerle, wenn er mich wahrnahm, durchs Fenster schoß?

Die Nacht ist keines Menschen Freundin, darum ist der Mensch ein angeborner Feind der Finsternis, und selbst Kinder, die noch nie von Geistererscheinungen und Gespenstern gehört haben, scheuen sich im Dunkeln vor etwas, was sie nicht kennen. Kaum saß ich im Finstern da, die ferneren Schicksale dieser Nacht einsam erwartend, so stiegen vor meiner erschrockenen Einbildung die abscheulichsten Möglichkeiten auf. Ein Feind oder ein Unglück, das man sehen kann, sind nicht halb so entsetzlich als solche, denen man sich blindlings überliefern muß, ohne sie zu kennen. Umsonst suchte ich mich zu zerstreuen; umsonst beschloß ich, mich auf das Bett zu werfen und den Schlaf zu suchen. Ich konnte nirgends ausdauern. Das Bett hatte den widerlichen Geruch von Leichenmoder; und saß ich im Zimmer, so erschreckte mich von Zeit zu Zeit ein Knistern in meiner Nähe, wie von einem lebenden Wesen. Am meisten schwebte mir die Gestalt des ermordeten Obersteuereinnehmers vor. Seine kalten, steifen Gesichtszüge erschienen mir so grausenhaft beredt, daß ich endlich alle meine beweglichen Güter darum gegeben hätte, wäre ich nur im Freien oder bei guten, freundlichen Leuten gewesen.

Die Geisterstunde schlug. Jeder Schlag der Turmuhr erschütterte mich bis ins Innerste. Zwar schalt ich mich selbst einen abergläubischen Narren, einen furchtsamen Hasen, aber mein Schelten besserte mich nicht. Endlich, sei es aus Verzweiflung oder Heroismus, denn diesen qualvollen Zustand konnte ich nicht länger ertragen, sprang ich auf, tappte durch die Finsternis den Saal entlang zur Tür, riegelte sie auf und war entschlossen, sollte es auch mein Leben kosten, ins Freie zu gelangen.

Als die Tür aber aufging – Himmel, welch ein Anblick! Ich taumelte erschrocken zurück; denn solch eine Schildwache hatte ich da nicht erwartet.


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