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1. Fahrt nach Brczwezmcisl.

Ich zweifle gar nicht, das Jahr 1796 mag wohl manche schreckliche Nacht gehabt haben, zumal für die Italiener und Deutschen. Es war das erste Siegesjahr Napoleon Bonapartes und die Zeit von Moreaus Rückzug. Damals hatte ich in meiner Vaterstadt auf der Universität die akademischen Studien beendigt: war Doktor beider Rechte und hätte mich wohl unterstanden, den Prozeß sämtlicher europäischer Kaiser und Könige mit der damaligen französischen Republik zu schlichten, wenn man mich nur zum Schiedsrichter verlangt hätte.

Ich war indessen bloß zum Justizkommissar einer kleinen Stadt des neuen Ostpreußens ausersehen. Viel Ehre für mich. Mit dem einen Fuß schon im Amte, mit dem andern fast noch im akademischen Hörsaale heißt seltenes Glück. Das dankte ich der Eroberung oder Schöpfung eines neuen Ostpreußens und dem Falle Kosciuszkos. Man macht es zwar dem hochseligen Könige – wir andere Christen sterben nur schlechtweg selig und die Bettler vermutlich nur tiefselig; man sagt, im Tode sind wir einander alle gleich, ich beweise im Vorbeigehen das Gegenteil! – also man macht ihm zwar zum Vorwurf, an einer schreienden Ungerechtigkeit teilgenommen zu haben, da er ein selbständiges Volk verschlingen half; aber ohne diese kleine Ungerechtigkeit, ich möchte sie gar nicht schreiend nennen, wären tausend preußische Musensöhne ohne Anstellung geblieben. In der Natur wird eines Tod das Leben des andern; der Hering ist für den Magen des Walfisches, und das gesamte Tier- und Pflanzenreich, auch das Steinreich, wenn es nicht zuweilen unverdaulich wäre, für den Magen des Menschen da. Übrigens läßt sich sehr gut beweisen, daß ein Mädchen, welches seine Ehre, und ein Volk, welches seine Selbständigkeit überlebt, an ihrem eigenen Unglücke schuld sind. Denn wer sterben kann, ist unbezwingbar, und eben der Tod ist der feste Stützpunkt eines großen, ruhmreichen Lebens.

Meine Mutter gab mir ihren besten Segen, nebst Wäsche und Reisegeld, und so reiste ich meiner glänzenden Bestimmung nach Neuostpreußen entgegen, von dem die heutigen Geographen nichts mehr wissen, ungeachtet es doch kein Zauber- und Feenland war, das auf den Wink eines Oberon entsteht und verschwindet. Ich will meine Leser mit keiner langen Reisebeschreibung ermüden. Flaches Land, flache Menschen, schlechte Postwagen, grobe Postbeamte, elende Straßen, elender Verkehr, und nebenbei jedermann auf seinen Misthaufen stolz, wie ein Perser-Schah auf seinen Thron. Es ist einer der vortrefflichsten Gedanken der Natur, daß sie jedem ihrer Wesen ein eigenes Element anwies, worin es sich mit Behaglichkeit bewegen kann. Der Fisch verschmachtet in der Luft, der polnische Jude in einem prunkvollen Damengemache.

Also kurz und gut, ich kam eines Abends vor Sonnenuntergang nach, ich glaube, es hieß Brczwezmcisl, einem freundlichen Städtchen; freundlich, obgleich die Häuser rußig, schwarz, die Straßen ungepflastert, kotig, die Menschen nicht säuberlich waren. Aber ein Kohlenbrenner kann in seiner Art so freundlich aussehen wie eine Operntänzerin, deren Fußtriller von Kennern beklatscht werden.

Ich hatte mir das Brczwezmcisl, meinen Berufsort, viel schrecklicher vorgestellt; vermutlich fand ich's gerade deswegen freundlicher. Der Name des Orts, als ich ihn zum ersten Male aussprechen wollte, hatte mir fast einen Kinnbackenkrampf zugezogen. Daher mochte meine heimliche Furcht vor der Stadt selbst stammen. Der Name hat immer bedeutenden Einfluß auf unsere Vorstellung von den Dingen. Und weil das Gute und Böse in der Welt weniger in den Dingen selbst, als in unserer Vorstellung von ihnen liegt, ist Veredlung der Namen eine wahre Verschönerung des Lebens.

Zur Vergrößerung meiner Furcht vor der neuostpreußischen Bühne meiner Rechtskunst mochte auch nicht wenig der Umstand beigetragen haben, daß ich bisher im Leben noch nicht weiter von meinem Geburtsorte gekommen war, als man etwa dessen Turmspitze sehen konnte. Ungeachtet ich wohl aus den Lehrbüchern der Erdbeschreibung wußte, daß die Menschenfresser ziemlich entfernt wohnten, erregte es doch zuweilen mein billiges Erstaunen, daß man mich unterwegs nicht ein paarmal totschlug, wo Ort und Zeit dazu gelegen waren und weder Hund noch Hahn um mein plötzliches Verschwinden vom Erdball gekräht haben würden. Wahrhaftig, man gewinnt erst Vertrauen auf die Menschheit, wenn man sich ihr, als Fremdling und Gast, auf Gnade und Ungnade überläßt! Menschenfeinde sind die vollendetsten, engherzigsten Selbstsüchtlinge; Selbstsucht ist eine Seelenkrankheit, die aus der Stetigkeit des Aufenthalts entspringt. Wer Egoisten heilen will, muß sie auf Reisen schicken. Luftveränderung tut dem Gemüte so wohl als dem Leibe.

Als ich mein Brczwezmcisl vom Postwagen hinab zum ersten Male erblickte – es schien in der Ferne ein aus der Ebene steigender Kothaufen zu sein; aber Berlin und Paris stellen sich mit ihren Palästen dem, der in den Wolken schifft, wohl auch nicht prächtiger dar – klopfte mir das Herz gewaltig. Dort also war das Ziel meiner Reise, der Anfang meiner öffentlichen Laufbahn, vielleicht auch das Ende derselben, wenn mich etwa die in Neuostpreußen verwandelten Polacken, als Söldner ihrer Unterdrücker, bei einem Aufruhr niederzumachen Lust bekommen haben würden. – Ich kannte dort keine Seele, als einen ehemaligen Universitätsfreund namens Burkhardt, der zu Brczwezmcisl als Obersteuereinnehmer, aber auch erst seit kurzem, angestellt war. Er wußte von meiner Ankunft; er hatte mir vorläufig eine Wohnung gemietet und das Nötige zu meinem Empfange angeordnet, weil ich ihn darum gebeten. Dieser Burkhardt, der mir vorzeiten ein ganz gleichgültiger Mensch gewesen, mit dem ich auf der Universität wenig Umgang gehabt, den ich sogar auf Anraten meiner Mutter gemieden hatte, weil er unter den Studenten als Säufer, Spieler und Raufer berüchtigt war, gewann in meiner Hochachtung und Freundschaft, je näher ich an Brczwezmcisl kam. Ich schwor ihm unterwegs Liebe und Treue bis in den Tod. Er war ja der einzige von meinen Bekannten in der wildfremden polnischen Stadt; gleichsam der Mitschiffbrüchige, welcher sich auf dem Brette aus den Wellen an die wüste Insel gerettet hatte.

Ich bin eigentlich gar nicht abergläubisch; aber doch kann ich mich nicht enthalten, dann und wann auf Vorbedeutungen zu halten. Wenn keine erscheinen wollen, mache ich mir sie. Ich glaube, man tut dergleichen im Müßiggang des Geistes; es ist ein Spiel, das für den Augenblick unterhaltend sein kann. So nahm ich mir vor, auf die erste Person achtzuhaben, die mir aus dem Tore der Stadt entgegenkommen würde. Ich setzte fest, ein junges Mädchen sollte mir zum glücklichen, ein Mann zum üblen Vorzeichen dienen.

Ich war noch nicht mit der Anordnung der verschiedenen möglichen Zeichen fertig, als ich schon das Tor vor mir sah, aus welchem eine, wie es schien, sehr wohlgebaute, junge Brczwezmcislerin hervortrat. Vortrefflich! Ich hätte mit meinen von dem preußischen Postwagen pflichtmäßig zerstoßenen und zermalmten Gliedern hinabfliegen und die polnische Grazie anbeten mögen. Ich faßte sie scharf ins Auge, um mir ihre Züge tief einzuprägen, und wischte meine Lorgnette – denn ich bin etwas kurzsichtig – vom letzten Sonnenstäubchen rein.

Als wir aber einander näher waren, bemerkte ich bald, die Venus von Brczwezmcisl sei etwas häßlicher Natur, zwar schlank, aber schlank wie eine Schwindsüchtige, dürr, eingebogen, mit platter Brust. Auch das Gesicht war platt, nämlich ohne Nase, die durch irgendeinen traurigen Unfall verloren gegangen sein mochte. Ich hätte geschworen, es wäre ein Totenkopf, wenn nicht seltsamerweise zwischen den Zähnen ein Stück Fleisch hervorgehangen hätte. Ich traute meinen Augen kaum. Als ich's jedoch näher durch die Brille betrachtete, merkte ich wohl, die patriotische Polin streckte vor mir zum Zeichen des Abscheus die Zunge heraus. Ich zog geschwind den Hut ab und dankte höflich für das Kompliment. Das meinige war der Polin vermutlich so unerwartet, als mir das ihrige. Sie nahm die Zunge zurück und lachte so unmäßig, daß sie fast am Husten erstickte.

Unter diesen scherzhaften Umständen kam ich in die Stadt. Der Wagen hielt vor dem Posthause. Der preußische Adler über der Tür, ganz neu gemalt, war, vermutlich von patriotischen Gassenbuben, mit frischen Kotflecken beworfen. Die Klauen des königlichen Vogels lagen ganz unter Unrat begraben, entweder weil das vielgepriesene Raubtier mit den Klauen ebensoviel als mit dem Schnabel zu sündigen pflegt, oder weil die Polen zu verstehen geben wollten, Preußen habe am Nordostpreußischen so viel erwischt, als der gemalte Adler zwischen den Pfoten trage.


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