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Es ist mir nicht genau bekannt, ob die schöne Friederike Bantes ungefähr etwas Ähnliches geschworen haben mochte, wie die übrigen Adventsnonnen zu Herbesheim. Doch so viel ist gewiß, sie sah Waldrichen nicht freundlicher an als jeden anderen; denn sie war huldreich jedem.
Der Kommandant lebte im Bantesschen Hause einen wahrhaften Paradiessommer. Er stand da wie ein Sohn in der Familie. Die alten Verhältnisse seiner Kindheit, nur etwas behaglicher, stellten sich unerwartet so ganz wieder ein, daß er den Herrn und die Frau Bantes, wie ehemals, Vater und Mutter hieß; daß Herr Bantes ihn von Zeit zu Zeit abkanzelte (so nannte es Herr Bantes, wenn er seinem Verdruß oder seiner üblen Laune in Sittensprüchen Luft machte); daß Frau Bantes jedesmal, wenn der Kommandant einen Schritt aus dem Hause tat, zuvor seinen Anzug musterte, für seine Kleider und Wäsche sorgte, ihm das Mangelnde gab, als wäre er noch Mündel wie sonst; sogar Rechnung über sein Taschengeld hielt und ihm, wenn er sich schon anfangs sträubte, den Geldbeutel zu keinen Ausgaben allmonatlich mit kleiner Münze versah. Waldrich komandierte nicht nur in der Stadt, sondern auch im Hause; gab zu allen Angelegenheiten sein Wort und halt entscheiden, wo man stritt. Auch zwischen Friederiken und ihm, wie sie sich allmählich zueinander gewöhnt und sie gleichsam vergessen hatten, daß sie groß geworden waren, erneuerte sich ganz unabsichtlich der Ton der Kinderzeit. Sie lebten einander, wie damals, gefällig; zankten aber auch, wie damals, nicht selten miteinander, und zwischen dem höflichen Sie sprang oft ganz unberechnet ein Du hervor, nichts weniger als das Du der Zärtlichkeit, sondern das mürrische Du des Vorwurfs.
Zwar in der Stadt machten alte und junge Frauen, auch alte und junge Mädchen, wie es so zu geschehen pflegt, ihre frauen- und mädchenhaften Anmerkungen über Waldrichs Verhältnisse. Denn die Herbesheimerinnen hatten ein Vorurteil, das sonst in anderen Städten dem weiblichen Geschlecht gar nicht eigen ist: daß nämlich ein junger Mann von achtundzwanzig und ein hübsches Mädchen von zwanzig Jahren schlechterdings keine vier Wochen miteinander unter einem Dache wohnen könnten, ohne zuletzt, wenn sie einander sähen, Herzklopfen zu haben. Unter dem Dache des Herrn Bantes war aber so wenig vom Herzklopfen die Rede, daß man tagelang beisammen oder getrennt sein konnte, ohne zu empfinden, wo das Herz sei. Dies war auch so auffallend, daß sich selbst die Herbesheimerinnen zuletzt überzeugten, hier gelte statt der Regel die Ausnahme; denn kein Blick, kein Mienenzug, keine Bewegung, keine eigene Betonung der Stimme, und was die Liebe sonst für Buchstaben in ihrem Alphabet haben mag, verriet etwas anderes als einen reinen geschwisterlichen Stand der Dinge aus der Knaben- und Kleinen-Mädchen-Zeit.
Am frühesten würde der Feinblick der Frau Bantes allfälligen Herzensunfug erlauscht haben – Frauen haben dafür einen eigenen Sinn, der den Männern fehlt – aber sie erlauerte nichts, und blieb beruhigt. Herr Bantes dachte an solche Möglichkeiten gar nicht. Er selbst hatte in seinem Leben von dem, was man Liebe nennt, keine Vorstellung gehabt, und würde ebenso leicht gefürchtet haben, seine Tochter könne einmal wahnsinnig werden, als sie könne einmal irgendeinen jungen Mann um seines Selbsts willen leidenschaftlich lieben. Er wußte, daß Frau Bantes schon seine Braut gewesen, ehe sie ihn nur von Angesicht zu Angesicht gesehen hatte. Und er war Bräutigam geworden und hatte dem Vater sein Jawort gegeben, sobald er wußte, seine Zukünftige sei ein braves Mädchen, Tochter eines soliden Hauses, und bringe dreißigtausend Taler mit und habe noch weit mehr durch Erbschaft zu erwarten.
Dies Verfahren in Ehestands- und Verlobungsgeschäften, von dem ihm seine Erfahrung den unleugbarsten Beweis der Zweckmäßigkeit gegeben – denn er war einer der glücklichsten Ehemänner und Hausväter – schien ihm daher das Vernünftigste. Er hätte seine Tochter längst vermählen können; an Freiern fehlte es nie. Allein teils mochte er sich nicht gern von dem Mädchen trennen, denn er hing mehr an ihm, als er sich bewußt war; teils gab es bei den Abrechnungen mit den Freiern oder Werbern Anstößigkeiten. Er behauptete, die Welt bestehe lediglich durch das Gleichgewicht ihrer Soliditäten, sonst wäre sie schon vor Jahrtausenden zusammengefallen, und eben darum stellte er das Gleichgewicht des gegenseitigen Vermögens als wesentlichen Grundsatz einer ehelichen Verbindung auf. Sowohl Frau Bantes als Friederike hatten dies bisher vollkommen billig gefunden.
Nun aber war Friederike bald volle zwanzig Jahre alt. Der Alte bedachte, daß er seine Gattin bekommen, da sie noch weit jünger gewesen, und er dachte ernster an die Verheiratung seiner Tochter. Frau Bantes hatte eingestimmt, und Friederike es ebenfalls ganz billig gefunden. Eine junge zwanzigjährige Frau – der Ausdruck läßt sich hören; es ist etwas Zartes darin. Allein ein junges zwanzigjähriges Mädchen – man kann dies kaum sagen, ohne in Gedanken zu fragen: »Wie lange will denn das jung bleiben?« Herr Bantes fühlte dies sehr gut, und traf danach seine Anstalten.