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Zweiter Teil.
Marceline Desbordes-Valmore: Gedichte


Von den Gedichten der Marceline Desbordes-Valmore ist in dieses Werk nur eine verhältnismäßig enge Auswahl aufgenommen, und zwar aus künstlerischen Gründen. Die besondere Eigenart jener französischen Verse ruht nebst ihrer sehr zarten Melodik in ihrer Einfachheit, in den natürlichen brüsken, fast naiv offenbaren Ausbrüchen und Interjektionen, in dem unerhört Unmittelbaren, mit dem sich hier das Gefühl noch heiß und zitternd an die nachschwingende Strophe weitergibt. Jede Nachdichtung gerät da in Gefahr, entweder an das Banale des Ausdrucks oder an eine Künstlichkeit sich zu verlieren: nichts ist ja schwerer zu übertragen als die spontane Einfachheit. So wurden (im Gegensatz zur früheren Ausgabe) aus größerer Anzahl nur jene Verse gewählt, die auch in deutscher Übertragung das Ungekünstelte ihres Gefühls zu vollem dichterischen Ausdruck bringen, und außerdem die Anordnung so gefügt, daß in den Versen das Lebensschicksal sprechend zutage tritt. Mit Absicht habe ich zudem in der Einleitung zwei Gedichte und einige Strophen im Originaltext französisch belassen, damit der Vergleich mit der Urmelodie sich jedem handlich darbiete.

Die Übertragungen stammen (mit Ausnahme von »Vorahnung« und »Um das Kind einzuschläfern«, die Friderike Maria Zweig übersetzt hat) von Gisela Etzel-Kühn, der hochbegabten Dichterin, der wir auch eine außerordentliche Nachdichtung von John Keats verdanken. Ihre Absicht, das lyrische Werk der von ihr sehr bewunderten Marceline Desbordes-Valmore vollständig der deutschen Sprache zu gewinnen, machte ihr früher Tod zunichte. Sie ist im vierten Jahre des Krieges in Bern gestorben, mitten im Werke, dem sie viel von ihrer Kunst und ihre ganze Liebe gab.

Mein Zimmer

Mein Zimmer liegt fast
Schon im Wolkenbereich;
Der Mond ist sein Gast,
Immer ernst, immer bleich.
Mag's drunten nur läuten!
Denn was es auch ist,
Hat nichts zu bedeuten,
Da du es nicht bist!

Ganz still hier verborgen
Führ ich Nadel und Zwirn,
Ohne Zorn, ohne Sorgen,
Doch mit weinender Stirn;
Den blauesten Himmel,
Ihn seh ich recht gut
Und das Sternengewimmel –
Doch auch Stürme in Wut!

Ein Stuhl steht im Zimmer
Zu seinem Empfang;
Der seine war's immer,
Der unsre nicht lang.
Hier steht er auch eben,
Mit Schleifen geschmückt,
So starr und ergeben,
Wie ich, so bedrückt.

Vorahnung

Ich fühl's gewiß, ich werd' ihn wiedersehen,
Es brennt die Stirn, und süßer sind die Tränen.
Ich warte, horche auf, es stockt das Wort –
Ein Traum verkündet ihn und schwindet fort,
Erschauern treibt das Blut mir aus den Wangen.

Wie anders klingt der Glockenschlag der Frühe!
Den Tauber grüß ich: Liebe zu empfangen.
Brächt er sie nicht? ich bebe, o ich glühe!
Mit solchem Einsatz zahl ich seine Nähe;
Nur mählich lehrt mich Liebe glücklich sein:
Ich frier nicht mehr, wenn ich ihn nicht mehr sehe,
Denn schon schließt sein Herz meines in sich ein.

Dies Buch! ah, ich vermag nichts drin zu lesen
Als dieses eine nur: bald wird er bei dir sein!
Und kindisch schwank ich zwischen Lust und Schmerz –
Ja dies ist Hoffnung, kenn ich doch ihr Wesen,
Geduld, o Liehe! Gnade! Schon' mein Herz!

Zu grell ist Licht nach dunkelvoller Nacht –
Laß mich in Träumen noch zu dir mich neigen,
Laß stille stehen die Zeit, mach alles lind und sacht!
Flüsternde Weide, Bächlein, wollt ihr schweigen!
Horcht auf, beruhigt euch, lang wird es nicht dauern:
Er kommt! schon hör die Erde ich erschauern,
Wie damals unversehens, in der ersten Zeit.

Zu eng ward mir der Fenster Blätterschatten,
Ich floh hinaus. Was? Ist noch Sommerzeit!?
Und Menschen sind? In Blüte Feld und Matten?
Doch gestern! ohne ihn war alles trübe,
Ach gestern drang kein Strahl zu mir herein –
Gott! – Sommer, Licht und Himmel: er ist's ganz allein!

Ja du mein Leben! Alles lacht nun unsrer Liebe –
Du kommst! und Sommer, Himmel, Liebe, sie sind mein!
Ich fühle, wie sich Flügel in mir regen,
Ich schwing mich auf und fliehe dir entgegen!

Elegie

Ich war wohl dein von allem Anbeginn,
Mein Leben, kaum bewußt, dir schon verkettet!
Dein Name sagte mir's, der meinen Sinn
Verwirrend überfiel, in den gebettet
Dein Herz sich barg, das meine zu verlocken.
Ich hörte ihn – und er verführte tief;
Ich lauschte lange, bebend und erschrocken:
Da war's, daß deine Seele nach mir rief!
Hast du's gewußt, daß du, mir unbekannt,
Schon mein Geliebter warst für alle Zeiten,
Daß ich ein lang Gefundnes wiederfand,
Als du dann kamst, mein Leben zu begleiten?
Du sprachst – und unsre Seelen küßten sich,
Ich wurde bleich und schlug die Augen nieder;
Aus deinen Blicken rief dein Name mich,
Und Antwort gab mein Herz: »Da ist er wieder!«

Von neuem nahm sein Zauber mich gefangen;
Wie süßes Schicksal klang er meinem Ohr,
Ich sprach ihn immer, und ich sah voll Bangen,
Wie Glut und Hoffen sich an ihn verlor.
Ich las ihn überall, las ihn im meinen,
Ich gab ihm Tränen, gab ihm nie genug;
Oft wollt es meinem Blick, geblendet, scheinen.
Als ob er eine Krone trug.
Ich schrieb ihn nieder – doch verlor den Mut
Und wagte mehr nicht, als ihn stumm zu lächeln;
Er trug des Nachts in meinen Schlaf die Glut,
Und morgens weckte mich sein sanftes Fächeln.
Er lebt in mir, mein Seufzer schließt ihn ein,
Ich atme, und sein Hauch durchschwillt mein Herz:
Geliebter Name, meine Welt ist dein,
Wie ewige Inschrift und wie Erz in Erz!
Du gabst mir Leben, und du wirst im Sterben
Mit letztem Kuß mein letztes Sein erwerben.

Die Rosen von Saadi

Heut morgen wollt ich dir Rosen bringen,
Ich füllte mit ihnen den Gürtel zum Springen –
Der allzu bedrängte, er könnt sie nicht fassen.

Er brach auseinander; die Rosen verflogen
Im Wind und sind alle zum Meere gezogen.
Die Wogen, um die sie mich wirbelnd verlassen,
Erschäumen von rötlicher Glut übergössen,
Mein Kleid aber hält noch die Düfte verschlossen ...
Komm abends – ich will sie dich atmen lassen!

Herbstanfang

Gedenkst du noch, mein, Herz, mein armes Leben,
Des bleichen Herbsttags, der so traurig schien?
Die Wälder seufzten und beklagten ihn,
Der zögernd nur sein Lebewohl gegeben.
Die Vögel sangen keine Zuversicht –
Ein kalter Reif bedrängte ihre Schwingen –
Und wie sie stumm an kahlen Ästen hingen,
Ersehnte man die Blüten und das Licht.

Ich war allein, dem lauten Fest enteilt
Und deinem Blick, um zur Vernunft zu finden,
Doch Schwermut der Natur ist nichts, das heilt,
Wird nur mit unsrer Schwermut sich verbinden.
Ziellos und hoffnungslos und ganz versunken,
Mit langsam scheuen Schritten ging ich hin:
Nun schien der Herbsttag schwül und feuertrunken.
Denn dein geliebtes Bild trug ich im Sinn.

Mit letzter Kraft entfloh ich deinen Ketten
Und meinte so, mich vor mir selbst zu retten.
Mein Auge aber, das in Tränen glühte,
Empfand ein Wirken, das herübersprühte;
Und durch den Nebel kam es auf mich zu,
Ließ mich in Schreck und Zärtlichkeit erbeben:
Vom neuen Sonnenglanz verklärt, umgeben –
Die Himmel öffnen sich – erschienest du!
Ich wagte nicht zu reden; tief betört,
Vom Zauber der Begegnung heiß benommen,
Vermocht ich nicht zu reden, wie verstört,
Daß deine Seele nun zu mir gekommen.
Doch als du meine Hand, mit deinen Händen
Umspanntest und ein Schauer mich durchfloß,
Als Röte meine Stirne übergoß –

Mein Gott! Wie flog mein Blut in heißen Bränden!
Nichts mehr von Flucht und gar nichts mehr von Grauen;
Zum erstenmal gestandest du dein Herz.
Mein eignes Leid verband sich deinem Schmerz,
Und meine Seele gab dir ihr Vertrauen.
Ich weiß es noch! Weißt du es noch, mein Leben?
Die köstlich süße Pein
Der Worte, dir von Schwermut eingegeben:
»Ich leide, doch dies Leiden muß vom Himmel sein!«

Vom Walde brach kein andrer Laut das Schweigen.
Der Tag war unsrer Tage hellstes Glück;
Ob nah am Schwinden, hielt er noch zurück.
Und seine Flucht schien deine anzuzeigen!
Das Licht der Welt beglänzte unsern Frieden,
Doch eine Wolke schlang sein Feuer ein –
In unsern Herzen, ewig jetzt geschieden,
Blieb nichts zurück als nur der Widerschein.

Vor Dir!

Das Schicksal hatte schon dreimal die Runde
Im Teppich meines Lebens neu geflochten,
Drei Jahre, die ein Dank zu sein vermochten
Für meiner Mutter schmerzensreiche Stunde –
Als deine dich gebar; seitdem bestand
Von dir zu mir ein unsichtbares Band,
Das wies mich durch die Welt, nur dir entgegen,
Den gleichen Pfad, den du zu mir genommen:
Uns hieß das Leben zueinander kommen
Und führte uns auf vorbestimmten Wegen.
Wir fanden uns, und du erkanntest mich,
Dein Auge war mein Himmel, und ich liebte dich!

Es stirbt die Nachtigall am Übermaß der Lieder
Und hinterläßt der Brut doch nur das gleiche Los;
Als meine Mutter starb, da sah sie fassungslos
Auf mich, ihr Kind, das ihre Seele erbte, nieder.
Ihr Blick sprach Zuversicht, doch die besorgte Hand
Hielt innig lange Zeit die meine fest umspannt,
Als suche sie vom Erbe, das sie mir gegeben,
Mein junges Sein befreiend mit empor zu heben.
Und lange, lange Zeit beweint ich ihren Tod,
Trug ihr Geheimnis, das ich nicht zu deuten wußte,
Versiegelt in der Brust und litt gleich ihr und mußte
Gleich ihr, die Stirn gesenkt, bedrängt von bittrer Not,
Die allzu viele Liebe tief in mir bewahren:
Ich hatte noch kein Lied, mein Leid zu offenbaren!

Sein schwaches Schlagen, das der Zeiten Maß
Nur zögernd wiedergab, verriet, wie wenig Leben
In diesem Herzen war; und wie ein Kind, das eben
Halb eingeschlummert über seinen Büchern saß,
Hielt meine Hand mein Schicksalsbuch verschlossen;
Mein schwarzer Gürtel, meine dunkle Trauer band
Mich an der Mutter Grab – was hatte noch Bestand?
Die Welt war groß und leer; es fehlte ihr die Stimme,
Die einzige, die das wüste Lärmen und Gebraus
Zur Heimat machte; nein! die Welt war nicht mein Haus!
Ich scheute ihr Gesetz, ihr Urteil, ihre schlimme
Verlockung und Bedrohung – und von Angst gehetzt
Fand ich das Wort, den Ruf, das laute Lied zuletzt!

Doch als du sprachst: »Ich komme!« welch Geläute.
Verscheuchte da den Schlaf aus meinem Blick?
Mit gleichem Arm umschlang uns das Geschick
Und trug uns hoch empor; mein Herz, das heute.
Noch müd gewesen war und ohne Halt,
Es blühte auf und hatte nicht mehr kalt.
Gleich matter Blume, die im Licht von oben,
Ganz ohne Stütze, ohne Halt und Pfahl,
Nur an dem Sonnenkuß, dem rosigen Strahl,
Sich aufwärts reckt, ward ich von Glut erhoben. –
Und daß du aus den Höhen kamst – so tief!
Das war, weil meine Hoffnung dich auf Knieen rief!

Dann, seit dein Wille mich ergriffen hatte,
Warst du mein Himmel, meine Religion,
Und schweigend, nenn ich Bruder dich und Sohn
Und meine Seele, mein Gebet, mein Gatte.
Du wirst es niemals wissen, du, wie weit
In dich hinabgreift meine Innigkeit!
Und würdest du vom Tode mir entrissen –
Ich fände dennoch Augen, dich zu sehn,
Und Rufe, Tränen, die ins Dunkel flehn,
Und Helligkeit und Sieg für Hindernisse!
O selige Mutter, die als Kind dich kannte
Und schützend ihren Arm um deine Jugend spannte!

Sei nicht besorgt, siehst du mich schweigend und versonnen
Dich meiden; meine Liebe sinnt – und sehnt sich oft,
Und brächt es mir auch Tod: die Seele träumt und hofft
Und hat schon manche Frage heimlich fortgenommen.
So höre diese: als du damals mich erwählt –
Hast du dich mir auf Tod und Leben anvermählt?
Hast du so Ewiges gefühlt? – O sag mir's, sage!
Denn sieh, aus allen Tiefen fragt dich meine Frage.
Ich möchte, dir zur Lust, ein ganzes Weltall sein –
Und bin doch nur ein Weib und trage mehr an Jahren
Als du. So bitt ich dich, laß es mich nie erfahren,
Daß du's empfindest, nein, sei gütig, wehr dem Schein:
Ich weiß dir Dank dafür und will beim Schicksal werben,
Daß es mir gönnt, vor dir – vor deinem Tod – zu sterben!

Brief einer Frau

Da du es bist, der unser Bündnis neu
Verknüpfen will,
Da du es bist, der fleht: »Sei lieb, sei treu! –«
So höre still:
Der Schwur, der das, was süßer Traum sich malt,
Im Brief verspricht –
Da man den Schwur mit tausend Tränen zahlt,
So schreib ihn nicht!

Gleichwie die Landschaft, ist der Sturm vorbei,
In Sonne ruht.
Sei unser Auge hell, die Stirne frei
Und froh und gut.
Noch scheucht von meinem Weg dein liebes Wort
Die grauen Sorgen,
Doch sage nicht »auf ewig!« fort und fort,
Sag nur »auf morgen!«

Die hehren Tage, rein und anmutvoll,
Die blumigen Tage, –
Die schweren Tage, wild und dornenvoll,
Durchschrillt von Klage –
Nicht dieses Bild, das schmerzt, lähmt und erstickt!
Komm, sieh nicht hin;
Nein, Zuversicht, die kindhaft vorwärts blickt,
Trägt mehr Gewinn!

Ach, könnt es sein, daß neues Leben sich
Erschließen würde,
Um anders zu verketten dich und mich –
Und ohne Bürde –
Hier, dieses Wort, das wahrste Wort von mir,
Dir fliegt es zu,
Heut abend wacht ein Weib und träumt von dir,
Komm, nimm mich, du!

An meine Schwester

Das ist nun so! Ich liebte ihn, und er allein,
Nur er gefiel mir; seine Züge, seine Stimme,
Sanft wie die Liebe, fürchterlich im Grimme ...
(Erbarmen! Sieh, ich weihe dich in alles ein!)
Was er begehrt, gelobt – Gelöbnis gab ich wieder,
Ich liebte ihn, die Qual – anbetend kniet ich nieder.
Sein eifersüchtiger Vorwurf rührte mich noch mehr.
Ich starb an ihm und sagte nur: »Vergib!«
Ich war so unterjocht, daß mir kein Selbst verblieb.
Und hättest du ihn weinen sehn, du wärest sehr
Mir bös geworden; ja, du hättest nicht
Ihn hören können, ohne selbst zu weinen.
Begreifst du, daß mein Herz sich schuldig spricht
Und gerne stirbt – hinschmelzend in dem seinen? –
Das schwanke Schilf, von Sturm bedroht,
Sieht seinen Mut gebeugt; doch weht ein sanftrer Hauch,
Erhebt es sich, schaut auf aus seiner Not:
So heb an seinen sanftren Blicken ich mich auch.
Wenn dann mein Herz von neuem Leben fand –
Wie trostreich war sein Wort und wagte keine Klage;
Gleich ihm erbebend und entzückt, empfand
Ich nur des Sturmes Lust – vergaß die Niederlage!
Welch süßes Beieinander, Gott, welch irres Glück,
Wenn seine Stirn an meinem Herzen lehnte,
Wenn seine Träne sich nach meinem Lächeln sehnte –
Wenn ich ihn fühlte, mein und ganz zurück!
Mir war kein Leid geschehn, er weinte. – Doch die Zeit
Des Unrechts und der Tränen, Schwester, die ist weit;
Das Unrecht seiner Liebe, das von Reizen sprühte –
Jetzt wird mir nichts, als seine stumme Güte.

Die Güte des Unbeugsamen! Wie straft er hart,
Daß mich ein Tag genarrt,
An dem ich Macht besaß, an dem mein Friede starb,
An dem mein Glück für alle Zeit verdarb.
Für alle Zeit! Glaubst du? Sag, daß es Irrtum ist,
Daß er nur prüfen will, nicht grausam sein,
Mir wiederkehren wird – sag mir's zum Schein,
Doch sieh, daß er mich täuscht mit gleicher List.
Erbitte das von ihm, beschwöre ihn ... nein, bleibt
Uns trennt ein Stolz – ein Stolz so kalt wie Tod.
Du siehst, er flieht vor mir, du siehst auch meine Not.
Ein Mann ist grausam – daran stirbt ein Weib.
Mir bringt es Sterben – ihm war's Zeitvertreib!
Klag ihn nicht an; noch bin ich ihm ergeben,
Bin noch am Leben;
Und eh ich ihn verriete – Schwester, nein,
Viel lieber ewig stumm und ewig klaglos sein!

Nichts ist beständig, also auch nicht er.
Woher dies Murren und die herben Tränen?
Was nimmt die Liebe das Verschmähtsein schwer!
Nichts ist beständig – also auch nicht er.
Er flieht ein Glück, das ungerührt ihn ließ –
Ist's an der Liebe, ihm das vorzuhalten?
Mein Weh soll nur in dir sich neu gestalten,
Und sucht er deinen Blick, so sag ihm dies:
Sprich nur mit deinen Augen meinen Namen,
Stumm sei dein Vorwurf, dein bescheidnes Leid;
Verzeihe ihm wie ich zu jeder Zeit.
Ach, alle Flammen, die zum Sterben kamen,
Entzünden sich an keiner Reue neu!
Mag er ganz unbefangen mich beweinen
Und arglos, daß er schuldig sei,
Sein Trauern still mit deinen Tränen einen.
Sieh, Schwester, lang schon habe ich den Tod erkannt.
Denn plötzlich fiel auf ihn ein heller Strahl,
In jener Nacht, als aus erloschnem Brand
Des Liebsten kalter Blick sich zu mir stahl.
Wie schreckt die Seele auf, wenn ihr ein Wahn zerrinnt!
Der schwanke Halm erbebt nicht so im Wind,
Nicht so der Vogel, den ein Blitz erregte –
Ich fühlte, wie ein Unheil seine Netze legte.
Zum ersten Mal – wie stets voll Überlegenheit –
Schien er mein Sein von eignem Sein zu trennen:
Er sprach von Glück, doch ohne Zärtlichkeit,
Sprach von der Zukunft – ohne mich zu nennen!

Und seine Hand, die sonst wie er so freundlich tat,
Blieb kalt bei meinen Sorgen,
Sein Auge, das so oft ein Wiedersehn erbat,
Sprach nicht: »Auf Morgen!«
Bleich, fast auf Knieen, beschwörend sagte ich –
Ich sagte nichts; kann doch ein Schluchzen sprechen!
Ein stummer Schrei begehrte bitterlich
Den Busen, der ihn niederhielt, zu brechen.
Das dumpfe Schweigen, das viel eifrig spricht –
Ach, alles, alles bat in mir: er hörte nicht!
Es war zu Ende, Schwester. Unter Tränen kam
Ich zur Vernunft, doch nicht zurück zum Leben:
Ich lauschte ... bis ich seinen Schritt nicht mehr vernahm;
Ich war allein – ein Kindlein, das soeben
Verlassen von der Mutter, seine Stimme bricht
An zu viel Weinen, und dann reglos steht,
Bleich und erwartungsvoll; dies Kind fühlt nicht
Solch grauenvolle Pein, in der es untergeht,
Nicht solche dunkle Last wie würgend an der Kehle,
Nicht solche Not der Seele,
Nicht solch Gespenst, das drohend zu ihm findet,
Wenn seinem Blick der Tag – die Hoffnung, schwindet.

Was ist's, das jenen Vogel entsetzt zum Neste treibt?
Der Schatten meiner nahen Todesnacht steigt auf:
Sieh, wie er dort im Nebel schwarze Zeichen schreibt,
An meinen Fensterblumen windet sich's herauf.
O küß mich, Schwester! Seine dunklen Schwingen
Berühren mich, um mir den ewigen Schlaf zu bringen.
Der Strahl, der flieht, es ist der Tag nicht mehr,
Nicht mehr das Leid und auch die Liebe nicht;
Es ist mein letzter Blick: so kalt wie er
Ist mein Gedächtnis, wie ein Spiegel, der zerbricht.
Nichts ist beständig, Schwester, alles bleicht, vergeht –
Ich weiß, daß Friede oder Tod in meinem Herze steht.

Trennung

So ist es nicht für ihn, daß ich durch Tage,
Langheiße Tage, müde Schritte trage?
Nicht sein Erwarten, seine Liebe nicht,
Nicht seine sanfte Stimme voll Gewalt,
Die durch die Dunkelheit beschwörend spricht –
Nichts blieb mir, nichts! Nahm er mir alles fort,
Was ich geliebt? Die Welt ist leer und kalt;
Die Zeit steht still, die Stunde schlägt nicht mehr.
Und immer leben, immer, fort und fort!
So stirbt man nie, und diese Last, die schwer
Auf meine Seele drückt, ist Ewigkeit?
Endlose Nacht, was brütest du für Flammen!
Selbst Vogelseufzer schweigt zur Abendzeit,
Mein Jammer nur bricht nicht in Schlaf zusammen.
Die Glut erlosch – und dennoch fehlt der Schlummer!
Ist's doch nicht mehr für ihn, wenn meinem Kummer
Die Muse folgt und mit mir ruhlos schweift
Und über Blumen schreitend oder Moos
In meine Verse Duft und Tränen streift.
Er liest mein Lied nicht mehr; gedankenlos
Vermeint er, meine Seele sei erstorben;
Sein kaltes Herz, das einst um mich geworben,
Begreift die Qualen nicht, die in mir ringen.
Erfahr er's nie! Kann er mir Heilung bringen?
Sein Stolz soll nie die herbe Wollust kennen,
Daß meine Tränen die Gewalten nennen,
Die mich voll Anmaß ihm entgegenzwingen.
Was dankt ich meinem Schrei? Er wird erschrecken,
In Mitleid wiederkehren? Lieber Tod!
Wer kann ein ganz Zerstörtes neu erwecken?
Ist er denn noch das Glück? Er selbst zerbrach
Sein Bild und warf mein Herz in bittre Not.
Kann er die süße Unschuld wiedergeben
Und Unerfahrenheit, statt Schmerz und Schmach?
Die Liebe floh mit aller meiner Habe,
Und was ich gab, das ist verlorne Gabe.

Die Verzeihung

Ich sterbe, von der Pein des Schicksals übermannt;
Willst du des letzten Augenblicks Entsetzen lindern?
Leg wieder auf mein Herz die schuldige Hand –
Laß nichts dich hindern!

Sobald es aufgehört, dich flammend zu erleben,
Macht keine überflüssige Reue dir Beschwer;
Sprich nur: »Dies Herz, so zärtlich mir ergeben,
Es liebt nicht mehr ...«

Die Liebe flieht aus meiner wunden Brust; ich sterbe!
Schau an dein grausam Werk, schließ nicht die Augen zu:
Der Tod in mir ist nicht so kalt und herbe,
So Eis wie du!

Nimm hin dein Gut! Dies Herz, das nur für dich gewesen,
Hat keine andre Gabe als sich selbst bereit;
Zerreiß es! Und noch immer wirst du lesen,
Daß es verzeiht.

Schlafe

Dein Schicksalssturm bat mich ins Knie gebogen,
Und deine Tränen weinte ich mit dir;
Wie hoch du flogst, ich bin dir nachgezogen,
Dein Weheschrei fand Widerhall in mir.

Doch was ist Freundschaft dem, der Liebe fühlt?
Ich habe nichts geheilt und nichts erworben.
Verbrannter Boden, den die Woge kühlt,
Er bleibt verbrannt – so bleibt das Herz gestorben.

Ich liebe noch – o nein! Ich bin nicht tot!
Ich gleite vor dir her durch die Gelände;
Wie erster blasser Schein von Morgenrot
Erwärm ich deine Blicke, deine Hände.

Der Kranke fühlt in seinem Schlummer nicht
Den kühlen Hauch, der seine Leiden wendet,
Den sanften Traum, der Schmerz und Fieber bricht:
Ich bin der Traum, den Gott für dich gesendet.

Wie müder Cherubim, der das Gefunkel
Der goldnen Schwingen fest zusammenrafft,
Verhülle deinen Glanz – und durch das Dunkel
Geleite dich mein Licht und meine Kraft.

Gebet

Laß nicht mich sterben unterm Eis der Jahre,
Gott, der mein Herz aus reinem Feuer schuf.
Mich ängstet Nacht; gib mir in tagesklare
Und sturmdurchjagte Stunde deinen Ruf!

Und vor dem Tod des Einen sei's vollbracht,
Den ich geliebt; zu schwer ist andres Sterben!
Sein Atem hauche Glut in mein Verderben
Und dulde nicht, daß Frost mich fühllos macht ...

Seele und Jugend

Da meiner Kindheit Traum
So rasch entflieht
Wie Vogelflug vom Baum,
Der talwärts zieht –
Da mich des Schöpfers Gnade
In Irre wies,
Nur unbeständige Pfade
Und Hoffnung ließ –

So komm mit goldnem Flug,
Du Jugendzeit,
Die Seele ist zum Zug
Ins All bereit.
Komm, eine mit der andern,
Wie Duft und Licht,
Laß uns zusammen wandern
In Zuversicht.

Du Schöne bist das Kleid,
Der Perlbehang,
Mit dem Verborgenheit
Mich sanft umschlang.
Es schützt die scheue Meise
Der Rosenstrauch,
Du birgst und schützest leise
Mich Scheue auch.

O schmerzgebeugtes Haupt
Durch lange Nacht,
Die noch an Liebe glaubt,
Jugend, hab acht!
In Stürmen lebt die Liebe,
Und wer sie stellt,
Wie mutig er auch bliebe,
Wird leicht zerschellt.

Gott ist die Liebe; nur,
O Jugend, sieh,
Such ihre Flammenspur
Hier drunten nie:
Kein Blühn und keine Gabe
Uns bleiben kann;
Die Kränze ziehn zum Grabe,
Die Liebe himmelan.

Wie lange noch, und ich
Seh dich nicht mehr,
Die Wege trennen sich.
Wir weinen sehr.
Zu andrer Seele wendest
Du dich ohn' Frist,
Die du dich nie verschwendest
Und ewig bist.

Hin wo die Stunde schlägt,
Dein Flügel zieht,
Der Strom ins Weite trägt,
Der Tag entflieht –
O Jugend, froher Falter,
Dort schwebst du hin,
Da ich vom bleichen Alter
Ummauert bin.

Das Leben

Habt Mitleid! Süß war meine Welle,
Doch mich verschlang das gierige Meer;
Nun trag ich Bitternis einher,
Wohin mich stößt des Windes Schnelle.

Den nicht ich kannte – salziger Sand,
Rollt mit mir durch die grünen Fluren,
Gibt Gras und Blumen herbe Spuren,
Und leise klagt ihr Widerstand.

Ich stürzte wild von Bergen nieder,
Der Nachtduft, den ich droben trank,
Der tief in junge Wasser sank,
Dringt nie herab zu mir – nie wieder!

Froh flog ich hin, voll Übermut,
Und schwang, gleich Schleiern von Topasen,
In buntem Tanz Milliarden Blasen –
Wie anders stürmte meine Flut!

Aus Himmeln schauten Vögel leise
Ihr Bild in mir und liebten mich
Noch mehr als Wolkentrunk, denn ich
Erfrischte ihnen Lied und Weise.

Kein Ton erfreute mehr das Ohr
Mit Gruß und Lockung, hinzulauschen,
Mit melodiösem Sang und Rauschen,
Als meiner Strömung heller Flor:

Mein klangvoll klares Bachgeriesel,
Darüber grüne Kresse kroch;
Mein frohes Lied, es murmelt noch,
Doch winterdumpf, durch Sand und Kiesel.

Kein Jubel klingt auf meinen Pfad:
Der Vogel, dessen Durst betrogen,
Ist Wolkenzügen nachgeflogen;
Die Nachtigall kommt nicht zum Bad.

Des Himmels Glut und lichte Zier
Streut ich als Perlen unters Moos ...
Ach, süß war einst mein Wasserschoß –
Jetzt schlepp ich nur noch Salz mit mir!

An die Sonne

Du Freundin von Armut und Trauer,
Du ewiges Lächeln im Leid,
Du liebender, glühender Schauer
Der Güte, die sieht und verzeiht!
Deine Flamme hat nie mich betrogen,
Wie heftig der Sturmwind auch blies,
Dein Licht hat mich niemals belogen,
Wenn es Wiedersehen verhieß.

Den Wipfel der jungen Platane
Erhebst du zu Fülle und Glanz,
Meinem Fenster als Vorhang und Fahne,
Meiner Stirn als kühlenden Kranz.
Durch Italiens Pracht und Zypressen
Hinwandl ich, die Blicke gesenkt,
Und ob mich auch jeder vergessen –
Du, du hast Erbarmen geschenkt!

O gieß deine strahlenden Küsse
Vom Himmel herab in die Welt,
Leuchtfeuer durch Finsternisse,
Das Abgrund um Abgrund erhellt.
Hoch über den Bergen und Stegen,
Schau, Flammenseele, uns zu,
Auf fremden verworrenen Wegen
Bewach und beschütze uns, du!

Hüll Frankreich in goldene Ranken
Und die Herzen, die dort mir vertraun,
Und laß meinen Sohn in Gedanken
Das Auge der Mutter erschaun.
Gieß Licht in sein Suchen, sein Sehnen,
Doch weint er um mich, weint vor dir –
O Stern, so sammle die Tränen
Und schütte sie aus über mir!

Hab Dank, mein Gott

Ich kam auf Erden, wo ich schreite,
An mehr als eine Schlucht, ich fiel,
Dann rief mein heißer Schrei ins Weite,
Mein Gott, mein Vater war sein Ziel.
Und sanft und liebreich glitt hernieder
Ein Abgesandter deiner Huld
Und half mir aus dem Dunkel wieder –
Mein Gott, zahl du ihm meine Schuld!

Ich sah auf Erden, wo ich weine,
Manch Auge, drin ein Beten stand;
Gott selber sprach aus seinem Scheine –
Ich sah in dieses Himmelsland,
Darin viel heller Stern erstrahlte,
Und lernte Mitleid und Geduld
Und hatte nichts, womit ich zahlte.
Mein Gott, bezahle du die Schuld!

Ich fand auf Erden, wo ich singe,
Oft Herzen voller Harmonie;
Verborgne Muse, deren Schwinge
Gefaltet bleibt, so lauschen sie
In Nachsicht meiner armen Leier,
Und sind voll Sanftmut und Geduld;
Mein Lied ward stolz durch sie und freier –
Mein Gott, bezahle meine Schuld!

Ich traf jedweden Tag auf Erden
Das große Heer des Elends an,
Sah Waisenkinder bresthaft werden
Und todessiech und sterben dann.
Wie vieles Leid mußt ich erschauen!
Mein Blick erschrak und wandte sich,
Mein Herz jedoch spricht voll Vertrauen:
Sieh an, mein Gott, gib du für mich!

An jene, die weinen

Vor allem ihr, nehmt hin mein Mitgefühl,
Ihr Ungeliebten, Schwestern ihr im Leide!
Nehmt sie: den Traum, der Tränen Liederspiel,
Dies bittersüße, traurige Geschmeide.

Im Buch hier, seht, liegt eine Seele fest;
Macht auf und lest und zählt die Leidenstage!
Ihr Weinenden auf Erden, kommt und preßt
Aus dieser Asche Glut, die mit euch klage.

Singt! Frauensang bringt vielen Schmerz zur Ruh.
Liebt! Mehr als Liebe bringt der Haß Verderben.
Gebt! dem Erbarmen fliegt die Hoffnung zu:
Solang man geben kann, will man nicht sterben.

Vermögt ihr eure Tränen nicht wie ich
Zu schreiben – oh, dann schenkt sie diesen Zeilen.
Verzeihn ist Beten! So entschuldigt mich,
Daß diese Blätter eng mein Schicksal teilen.

Ihr meint, wer sein Gefühl in Worten sagt,
Der sei verächtlich, der sei nicht bei Sinnen?
Der Vogel singt – wird er drum angeklagt?
Mehr sanft als rasend scheint mir sein Beginnen.

Die Gefängnisse und die Gebete

Weint! Zählt die Namen der Verbannten Frankreichs;
Den großen Herzen, die so hoffend brennen,
Fehlt Luft und Freiheit. Legt die Trauerpalme
Zu Füßen ihrer Leiden hin und kommt!
Der Kerkermeister nur darf sie erblicken.
Kommt weiter! Unsre frommen Arme haben
Nicht Kraft noch Waffen, und wir können nicht
Dem Brudermorde das Gelübde weihn,
Doch wir sind Frauen, unser sind die Tränen
Und das Gebet –und Gott, der Gott des Volkes,
Will dies von uns. Seht hin, zum Kerker gleiten
Die heiligen Seelen; seid gegrüßt, die ihr
Hienieden eure Schwingen still verbergt!
Ihr blassen Fraun in dünnen feuchten Mänteln,
Viel Schmutz und Staub erlahmte euren Schritt.
Gegrüßet seid! Lebendige Tränen röten
Den Blick, der in die dumpfe Welt sich stürzt
Und drin ertrinkt. Ihr irrt umher wie einst
Im Hain Gethsemane; denn Christus leidet
Und Judas triumphiert; ja Christus leidet,
Denn viel Verbrechen fühlt sein Herz voraus.
Er, der die Ketten brach, obgleich sein Arm
Ans Kreuz genagelt war, er sieht von neuem
In seinem Blute viele Opfer bluten.
Er möchte nochmals sterben, um die Hölle
Nochmals zu schließen! Eilt, ihr Waisenkinder,
Steigt in die Wage, betet für die Bösen,
Die ohne Reue leben, und erkauft
Verzeihung aller Missetat mit Tränen,
In bittrer Flut wascht unsre Toten rein!
Und wir, laßt uns nicht mehr mit unsern Fahnen
Die Söhne senden in ruchlosen Kampf.
Soll die Scharpie, die unsre Hand gerichtet,
In unsres Herzens eignes Blut sich tauchen?
Erbarmen! Keine Zeit bleibt uns zum Haß,
Der bös und niedrig ist; es tagt, es tagt!
O Frankreich, sieh, dein Gott kann Liebe brauchen,
So sei in Liebe ohne Unterlaß,
So sei in Liebe, liebend sei's gewagt,
Geh hin, zerbrich die Ketten, daß es tagt!

Ein Neugeborener

An Hippolyte

Nun bist du da, mein Kind, mein junger Gast!
Seit einer Stunde da! Oh, wie erwartet,
Dein Leben wie erkauft! Kannst du dafür?
Nein, nein! Mein Schrei barg keinen Zorn zu dir.

Du, trugst du nicht schon Weh, bevor zum Tag
Du aufgewacht, und halfst du nicht dazu,
Daß wir uns endlich sehn? Mein Schatten du,
Du Kind aus meinem Sein geboren, das
In diesem Sein mich übermächtig hält,
Auch dir ward Schmerz in deiner engen Welt.

Des Tages trank mein Blick für dich die Sonne,
Ich ging des Nachts in deinen Kerker ein.
Aus meiner armen Seele suchte ich
Dir deinen Himmel aufzubaun und mied
Erinnerung an Böses wie ein Gift;
Ich wollte Gott erschaun, dich schön zu machen,
Dein Herz mit seiner Güte zu durchtränken,
Dem blinden Geist von seinem Licht zu schenken!

Vergiß das nicht: ich sprach zu dir von Gott;
Ich schuf dich aus Gebet, aus süßen Tränen,
Dein Ohr aus Echolaut der heiligen Stätte;
Vor unsrer Unrast barg ich dich lebendig,
Und trug mein Weinen hin zur Abendsonne,
Damit du rein und lieblich würdest, wie
Die Blumen sind, und schritt gedankenvoll
In grünes Schilf, um mit lebendigen Quellen
Dir Trank zu geben, die sich kühl ergossen
Und unser beider Fieberglut umschlossen.

Weißt du, wie oft, allein in hoher Kirche,
Wie lang die hellen Engel uns besahn?
Bedächtig schreitend trug ich dich dahin,
Dich Unsichtbaren, ihre schönen Züge
In deine unbestimmte Form zu meißeln.
Ich habe recht getan! Kein Kind hat je
Vom Himmel so viel Himmel mitgenommen
In seinem tiefen Blick, und keine Stirn
Erstrahlte je so lebensvoll und licht.
Was solch ein kleines Antlitz Bilder birgt!
Von allem, was ich liebte, zeigst du mir
Die lieben Züge, und entschwundne Engel
Wie viele lächeln mir nicht wieder zu
In deinem jungen Lächeln, Engel du!

Du warst das All! Ich hielt den Blick gesenkt,
Bedeckt von meiner Hand, und rief nach keinem,
Nach keinem in der grausam kalten Welt,
Mir Ruh zu geben, meinen Kopf zu stützen
Und meine Frucht vor Sturmeswut zu schützen.
Doch als ich meinen Blick in deinem Namen
Zum Himmel hob, da stahl dein Lächeln sich
In meine Tränen; in der bittern Woge
Erschien mir Gott und ließ in meiner Armut
Mich Mutter sein, und seligen Dank zu Gott
Barg nun des Weibes süßer Weheruf –
Des Weibes, dem Er einen Sohn erschuf.

Die Wiege, leer noch, gab den Stunden Leben;
Ein Engel atmete in mir durch Tag
Und Nacht; ich hegte sein Geschick, ich war
Sein gutes Haus, ich hielt ihn froh geborgen! ...
Wer könnte sterben, so voll Stolz und Sorgen?
Auch brach ich arm in meine Kniee nieder,
Als man mich hob – allein und allzu leicht –
Und suchte nach der lieben kleinen Last;
Denn ob du noch so nah mir bist, nun trennt,
Die gestern eins wir waren – doch die Luft,
Und ich muß weinen und – verzeih, mein Leben!
Du, dieser Welt durch mich, für mich, gegeben!

Leb wohl! Ich bin nicht mehr die frohe Larve,
Darin die Seele meiner Seele lag
Neun Monde lang; doch wenn ich deiner Blüte,
Der zarten, Schutz gewesen bin, so kehre
Als Mann zuweilen heim in meine Hut.
Ich bin die Mutter: ein Band hielt uns beide,
Die Liebe wird die Liebe suchen gehn.
Trennt je die Erde, was der Himmel bindet?
Im Leben oder Tod – er hilft, daß eins zum andern findet.

Um das Kind einzuschläfern

Wär ich das Kind, das liebste mein,
Dann weint ich nicht, bewahre, nein!
Ich wäre lustig und vergnügt
Und jede Träne rasch versiegt,
Ich horcht auf Uhrenschlag und Wind.
(Ich sag das für das liebste Kind.)

Wohnt ich in dieser Schaukelwiege,
So war ich brav, daß ich was kriege,
Brav und mild
Wie ein Bild,
Und leiser noch als Vöglein – flieget
(Ich sag's fürs Kindlein in der Wiege.)

Hört ich die Wölfe heulen im Ort,
Die Großen jagen sie schon fort!
Doch stolz wie ein Mann,
Der schnarcht was er kann,
Sagt ich: ich schlafe, ihr Herren, rasch fort!
(Ich sag das für die Wölfe im Ort.)

Nun hört man gar nichts mehr im Haus,
Das Spinnrad stummt, das Lied ist aus,
Die Mutter, selber voller List,
Tut so, als ob sie schlafen müßt,
Still sitzt sie über die Wiege geneigt,
Und rings nun alles ruht und schweigt.

Das Kopfkissen eines kleinen Mädchens

Du liebes kleines Kissen, angefüllt
Mit zarten Federn, weiß und warm bist du;
Wenn Wind und Wolf und Ungewitter brüllt –
Bei dir ist Schlaf für mich und gute Ruh.

Viel viele Kinder, arm, verwaist und blaß,
Kein Dach, kein Kissen hütet ihren Schlaf,
Und sie sind immer müd; o bittres Los!
Ach, Mutter, welch ein Unglück sie doch traf!

Da bete ich für all die Kleinen, die
Kein Kissen haben, und ich küsse meins;
In meinem Nest zu deinen Füßen, sieh,
Segn' ich dich, Mutter, und berühre deins.

Ich wache nicht, bevor der Morgen weht
Und fröhlich durch den blauen Vorhang lacht;
Jetzt sag ich leis mein innigstes Gebet,
Noch einen Kuß, Mama, und gute Nacht!

Gebet (als Abgesang)

Du Gott der Kinder, unter meinen Händen
Schlägt voll Gebet ein Mädchenherz; o hör!
Man spricht von Waisen, die kein Obdach fänden,
In Zukunft, Gott, mach keine Waisen mehr!

Laß abends einen Engel niederkommen,
Der Seufzer stillt und jedes Leid bewacht;
Und wem der Tod die Mutter fortgenommen,
Dem gib ein Kissen, das ihn schlafen macht.

An meinen Sohn

(vor seiner Reise in das Pensionat)

Ein Abend war, der Herdschein hellte sacht
Das Haus, von Arbeit und von dir belebt.
Großvater hielt mich träumend auf den Knieen
(Mit uns zu wachen wird er nimmer müde).
Er sprach: begann von Trennung, von der Schule,
Von Arbeit, vom Erfolg, der sie erleichtert –
Und dankbar, daß ihn einst, so jung er war,
Die Mutter hingebracht ... er sprach's für mich ...
Auch breitet' er vor deine Blicke Bilder,
Wies neue, weite Horizonte auf,
Erzählte, wie, so klein er war, er doch
Die Mutter unterwegs gestützt, geführt,
Als diese einsichtsvolle Frau ihn trotz
So inniger Liebe von sich fortgeleitet.
Sein Blick war feucht, der mich von unten streifte.

*

O ja, das Kind will stets voran, das weite
Gebiet der Welt durchziehn und heiß betrachten;
Sein Sinn ist gleich dem Vogel ohne Rast,
Der überall dem Tag entgegenfliegt.
Nun wußte ich, daß mir ein Traum zerronnen,
Daß alles Abschied nimmt, daß jedes Glück
Versiegt – und meine Pflicht verwirrte mich.
Doch tat ich sie? ... Mein Vater konnt es sehn!
Am andern Tag entführt ich eine Seele
Dem trauten Nest der Heimat, und vorbei
An unsrer Buchenhecke und den Tauben,
Die zusahn, wie wir gingen, wußt ich nicht
Die Türe hinter dir zu schließen; nein
Wie eine, dreimal willig umzukehren,
Im Glauben, irgend etwas sei vergessen –
So war ich dreimal zögernd, fortzugehn.
Der Wagenführer rief. Ich hört ihn ja,
Indes ich immer noch nach rückwärts sah!

Und du! Hell lachte deine Seele in die Welt
Und überall, wo unser Wagen hielt,
Du lieber Hüter meiner rauhen Pfade,
Stiegst du herab, mir zart die Hand zu reichen.
Man freute sich des so eilfertigen Pagen,
Des so ergebnen, liebevollen Kindes,
Und in mir sprach ein letzter Traum von Glück:
»Nie machst du ohne ihn den Weg zurück!«

Die wir auf Erden unsre Früchte tragen,
– Der Männer zarte Schwestern, aber stark
In Liebe – ach, wir Mütter, warum geben
Wir ihnen Leben, da man sie uns raubt?
Kaum sind sie unser, nimmt man sie uns wieder.
O Mütter, wißt ihr denn, was man sie lehrt?
Vor Herrenzorn erzittern und aus Pflicht
Im Jahr nur einmal bitten, uns zu sehn,
Und ihr Erinnern von uns abzuwenden.
Was aber wissen sie? Von fremden Sprachen,
Vom unterdrückten Aufstand armer Völker,
Auf die nur stets die Geißel niedersaust;
Und nur die Zeit wird sie das Rechte lehren.
Du Reinheit meines Kindes wirst vernichtet!
Und kehrt mein Sohn mir wieder, o, so ist
Er gar gelehrt und wird Lateinisch reden.
Mein armes Kind! Ich aber wage nicht
Wie früher deinen blonden Kopf zu kämmen.
Du wirst Lateinisch reden! Und du wirst
Mit mir kein lang Gespräch mehr führen können
Und wirst dir sagen, Mutter weiß ja nichts!
Geh doch! die Liebe selber weiß nicht mehr;
Sie leitet alles ohne Wort und Worte.

So viel, als meine Füße mich nur trugen,
Hab ich, um deine Tage zu bereichern,
Herbeigesucht, was deine Phantasie
Antreiben könnte; das ist unser Mühn
Und unsre Poesie. Auch goß ich manche
Recht ernste Lehre in dein weiches Herz,
Das meine sanften Lieder sonst gewiegt.
War's nicht genug für dein so junges Alter?
Noch hast du nicht zehn Jahre, kleine Seele!
Und schade ist es und gefahrvoll auch,
Schon deiner Jugend all die fremden Schrecken
So vieler Heimlichkeiten aufzudecken ...

Palmsonntag

Du Tag, der jedem Pilger Seligkeit verkündet,
Der jedem Leidensweg ein Morgenrot entzündet,
Du schöner Tag der Kinder, die mit grünen Zweigen
Die Straßen auf und ab sich sehr geschäftig zeigen
Und unterwegs den duftigen Reichtum gerne mehren,
Um Armevoll von frischem Glück nach Haus zu kehren ...

An jenem Tage sucht auch ich den jungen Ast,
Als Halt für meines Schicksals wintermüde Last.
Ich ging, ich schritt voran, auf trauervollen Wegen
Durch Sonne bald und bald durch grauen Regen,
Von Kerzenglanz verlockt, der unsre Andacht weiht
Und unserm Gottesdienst so holde Anmut leiht.
Die Chöre waren voll von hellem Kindersingen,
Das durch die Kirche zog auf unschuldsfrohen Schwingen;
Und Gott allein vernahm durch diesen lauten Sang
Ein Beten und ein Lied, das weinend aufwärts rang:

»Von einer Verbannung zur anderen ruhlos vertrieben,
Wahrhaftig, ich weiß keine Heimat, die je mir geblieben!
Die Bäume zumindest, sie haben doch Zeit, um zu blühn,
Um Früchte zu tragen, zu wachsen, zu Tode zu glühn,
Mir, mir ward nicht Zeit! Meine Pflicht will nicht warten und weilen,
Gott! Zwing mich nicht immer, aus Frieden in Fremde zu eilen;
Gott! Gönn mir im Schatten am Wegrand ein wenig Bestand,
Meine Kinder im Arm, meine Stirne gestützt in die Hand!

Ich kann nicht mehr gehn. Ich komme ... ich sah ... und ich falle,
Ich holte dort droben vom Berg eine Blume; ich walle
An rosenkranztragenden Gräbern vorbei wie gehetzt,
Die Füße vom steinigen Bergpfad erlahmt und verletzt.
Gott! bin ich der Vogel mit ewig gebreiteten Schwingen,
So laß mich noch einmal das Haupt meines Sohnes umschlingen;
Des blondfrohen Knaben, der ohne mich wandert und strebt,
Die ich sein Gemüt doch mit Seele und Sehnsucht durchwebt!
Du Gott der Bedrückten, – Gott! bist du wirklich mein Vater,
So sei du den Meinen ein Retter, sei mir ein Berater,
Laß nicht meine Sorgen die Boten des Kommenden sein,
Nein, zeig uns den Hafen und führ uns in Frieden hinein;
In Nacht, in verfrühte, laß endlich ein Morgenrot dringen,
Verbiete den Wegen, mich weiter und weiter zu zwingen,
Bezeichne für uns einen Ort, eine Heimat, die Ruh,
Und führe den knieenden Kindern den Vater zu!« –

Die Orgel schwieg; der Glanz erlosch, mein heißes Sinnen
Ward still, um tief im Herzen heimlich fortzuspinnen;
Im Herzen, das nun doch die neue Hoffnung trank,
Die aus dem Lied der vielen in mich niedersank.
Ein Greis beglückte mich mit einem schlanken Zweige,
Weihwasser tropfte durch das Grün in meinen Händen,
Und froh betrat ich meine winterkalten Steige,
Mit festem Schritt den Erdenweg zu enden ...

Entsagung

Vergib mir, Herr, mein trauerndes Gesicht,
Dem du zuvor die Anmut eingeschrieben;
Du gabst die heitre Stirn, doch gabst du auch
Die Tränen – sie allein sind mir geblieben.

Man neidet sie mir nicht, und doch sind sie
Vielleicht das beste Teil; mein junges Wähnen
Und meine Blumen, Herr, gab ich zurück.
Es blieb mir nichts, als nur das Salz der Tränen.

Die Blumen sind dem Kind, der Frau das Salz;
O mach daraus der Unschuld klare Fluten!
Und hat das Salz die Seele rein geklärt,
So gib dem Herzen neue Andachtsgluten.

All mein Verwundern hab ich schon durchlebt,
Mein Abschied ist getan, mein Herz bereitet,
Den Früchten nachzugehn, die Tod mir stahl,
Und dreist in unbekannte Nacht geleitet.

O Heiland! sei den andern Müttern gut!
Erbarme dich, aus Liebe zu der Deinen.
O taufe ihre Kinder in der Flut
Von unsern bittren Tränen, und die meinen,
Die stumm und starr zu deinen Füßen liegen –
Erhebe sie und laß sie heimwärts fliegen!

Suchende Seele

Ich bin das Gebet, das die Breiten
Der Erde besitzlos durchflieht,
Bin die Taube, die hoch in den Weiten
Zur Stätte der Liebe zieht.
Ich durchflog und durchspähte vergebens
An beiden Flanken der Welt,
Die fruchtbaren Wege des Lebens,
Das Gottes Atem erhält.

Der Atem weht meines Sanges
Vielklagende Inbrunst an,
Daß er hell und begeisternden Klanges
Die Armen erheben kann.
Dann preise ich deine Wonnen,
Erinnerung, ewige du,
Und kreise von Sonne zu Sonnen,
Unendlicher Zukunft zu.

Ich suche, die Schwingen zu baden,
Die Wasser der Wildnis auf,
Denn ich weiß, zu andern Gestaden
Steigt endlich ein jeder hinauf,
Die Völker, die drunten auf Erden
Der Hunger verstört und zerbricht,
Wie gefallene Engel werden
Sie heimberufen ins Licht.

Nehmt mich mit; ich bin Mutter, ich habe
Eine einzige Bitte zu tun,
Um die köstlichen Früchte im Grabe,
Um die Kleinen, die drunten ruhn.
Du Herr über Weinen und Wähnen,
Du Schöpfer von Leben und Glück,
Ich gebe dir all meine Tränen,
Gib mir meine Kinder zurück!

Der entblätterte Kranz

Ich gehe und trage hinauf in des Vaters Garten,
Wo jede zertretene Blume lebendig loht,
Meinen entblätterten Kranz; ich will knieen und warten:
Mein Vater hat viele geheime Arznei für den Tod.
Ich gehe und sage – und sei's nur mit schweigenden Tränen:
»Ich habe gelitten, sieh her!« Und da sieht er mich an:
Wie hohl auch die Wangen und bläulichen Schläfen gähnen,
Mein Vater schaut lange, und liebend erkennt er mich dann.
»Bist du es, verzweifelte Seele?« erhebt mich sein Fragen.
»So war deinen irrenden Füßen die Erde zu klein?
Blick auf, ich bin Gott! Wirf ab deinen Gram und dein Klagen,
Hier wartet dein Haus, hier wartet mein Herz – tritt ein!«
O Gnade! O Vater! O heilige Zufluchtsstätte!
Dein weinendes Kind – du hast es in Güte erhört!
Ach, wenn ich auf Erden die himmlische Hoffnung nicht hätte,
Daß du mich errettest, wie wär' ich vergrämt und verstört.
Du verwirfst nicht die Blume, nur weil ihre Schönheit vergangen,
Diese irdische Schuld – der Himmel sieht sie nicht an;
War treulos dein Kind, es wird dennoch Verzeihung empfangen,
Wenngleich es alles verschenkt und gar nichts gewann.


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