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»Wo mag der Friedel nur sein? Ich suche ihn seit einer Stunde schon!« fragte Markgraf Ludwig Georg seinen jüngeren Bruder.
»Ich sah ihn mit dem Landvogt reden!« entgegnete dieser.
»So kommt, Grunthal, wir wollen den Flüchtling suchen.«
Die beiden Herren plauderten im Gehen. »Aber nun sagt mir einmal, werter Freund,« fragte der Markgraf, »Ihr habt für die Markgräfin einen Brief nach dem Wildbad schreiben müssen? Mit wem korrespondiert die Frau Mutter denn daselbst? Es waren wohl hochwichtige politische Geheimnisse?«
»Ach, durchlauchtiger Herr! Wenn Eure Frau Mutter dächte wie Ihr! Mir gibt man Einladungen zu schreiben, Briefe an Fürstinnen ohne Land, Witwen ohne Importance. – Die sind gut genug für mich!«
»Also eingeladen habt Ihr die Frau Fürstin Schwarzenberg? Ihre Kinder auch?«
»Nun, cela va sans dire, Durchlaucht! Die Kinder sind aus den Windeln heraus! Mir ist befohlen, von den durchlauchtigsten Kindern zu schreiben.«
»So, so! Nun, lieber Grunthal. Meldet mir Euren Erfolg. Es interessiert mich höchlich, Eure Verdienste in das rechte Licht gestellt zu sehen, und werde ich nicht ermangeln, derselben zu gedenken!«
Unterdes hatten sich die Gruppen verschoben. Prinzeß Augusta kam am Arme Markgraf Karls daher. Des alten Herrn gute Laune war inzwischen noch erheblich gestiegen durch manch herzhaften Trunk.
»Ich begreife Eure Frau Mutter nicht, Augusta, daß sie Euch nicht längst einen Gemahl aussuchte. Ich weiß einen Gemahl für Euch, Kindlein – ist ein Nachbarssohn! – Mir geht da allerlei im Kopf herum! – Der Laudrum hat mir's erzählt, daß dort droben in den Bergen eine ganze Haushaltung mit Dienern und allem Zubehör sich eingerichtet hat. – Nicht für taube Nüsse, Kleine! Und wenn ich nicht irre, so hat der Bischof seine Finger dazwischen! – Na – schön und alt genug sind wir, und dort drüben der Nachbar hat sich immer gern deutsche Prinzessinnen geholt!«
Das Herz des gepeinigten Mädchens schlug wie ein Hammer. Der Markgraf plauderte fröhlich fort, bis eben jetzt der Erbprinz daherkam.
»Da ist der lose Bursche, da ist er und läßt seine Braut allein! Wo hast du dein Liebchen? Die ist eine, die Anna! Hat mir sehr gefallen, sehr! Wird den Herrn Sohn schon in Zucht und Zaum halten! Hat uns arg zu schaffen gemacht, mit ihrer Sprödigkeit, die Anna! Habe die Mutter gekannt, war just so, ganz ebenso!« lachte der alte Herr dem Sohne entgegen. Dieser schwieg und nickte Augusta beruhigend zu. Hier war nicht der Ort zu Erklärungen.
*
Draußen, wohin der Glanz des Festes nicht drang, lag die Nacht dunkel über der Erde.
An der Tür der Scholastika klopfte es. Das Klopfen wiederholte sich in bestimmten Pausen. Es war der junge Graf, der ihr neulich die Fatme gebracht. Fluch über das alte, halb irrsinnige Geschöpf, das ihm längst begrabene Geschichten verraten und Scholastikas Namen dabei genannt hatte. Nun mußte sie wohl oder übel dem Grafen den Willen tun, denn der wußte jetzt alles, und ein halbes Wort von ihm konnte sie verderben. Ach, hätte sie nur flüchten können! Aber – nach viel unstetem Umherziehen saß sie nun schon zehn Jahre in diesem Hüttchen, hatte das bequeme, gute Leben liebgewonnen und – der Laudrum – selbst wenn sie all ihr Geld aus der Erde grub! – Er schickte ihr die Landreiter nach und Fatme und – Mustapha – »ihr Heiligen helft!« – brachten sie –.
Wie ein schreckliches Bild stand der Nachsatz vor der Seele der Scholastika, als sie die Tür öffnete. Richtig, er war es.
»Alle guten Geister! Der Herr Graf!« stieß sie in ihrer Angst hervor.
Er trat schweigend und finster in das Haus und in den Schein des Lämpchens.
»Euer Rat, die Fatme hier zu lassen, weil man sie so nahe nicht suchen werde, war schlecht, Weib; man ist ihr auf der Spur! Die Markgräfin weiß ihren Aufenthalt; – bis morgen nur habt Ihr Frist – heute hat niemand Zeit für die Alte.«
»Gerechter Gott! Und wenn man sie fängt! – Sie plaudert alles aus – sie verschweigt nichts!« schrie die Scholastika auf in wildem Entsetzen.
Er sah sie mit Ekel und Abscheu an.
»Euch gönnt' ich's von Herzen, Weib! Aber um der Frau Markgräfin willen darf's nicht sein!« sagte er.
»Ach, Herr Graf, wenn Ihr nur schweigen wolltet, was ist der Fatme das Leben nütz? Uns allen wäre geholfen!«
»Elende! Uns allen? Nenne mich nicht mit dir zusammen, menge deine gottverfluchte Tat nicht mit dem Namen der Durchlaucht! – Bei allen Heiligen! – Geschieht der Fatme ein Leid, so bist du verloren! Her mit den Dingen, welche die Alte Beweisstücke nennt! Ich glaube Euch beiden nicht, kein Wort! – Aber meine ganze Lebenszeit kann ich's nicht lohnen, was die edle Frau Sibylla an mir getan – ob ich nun« – es lief wie ein Grauen über sein Antlitz! – »bin, was Ihr und die Fatme sagt – oder ob ich ein Recht auf meinen Namen habe!«
Es lag ein wilder, verzweifelter Zorn in dem Antlitz des jungen Mannes.
»Ach, ich Unglückselige! Ich tat es ja nur auf den durchlauchtigsten Befehl, der Mustapha ist mein Zeuge«, wimmerte das schlechte Weib und wand sich, ein widerwärtiger Anblick, zu seinen Füßen.
»Du niederträchtiges Weib! Jedes Wort, was du sagst, ist Gift. Tu' den Mund nicht mehr auf. Gehorche schweigend. Und nun, her mit dem Büchlein, her mit dem Geschmeide!«
Sie kroch nach der Kammer nebenan. Dort hörte er sie eine ganze Weile – sie war mit Zange und Hammer im Gange; – sie lockerte eine Diele des Fußbodens.
Endlich kam sie wieder, und mit einem scheuen Blick in die todbleichen und aufgeregten Mienen ihres Gastes, die Hand mit dem, was sie darin trug, angstvoll auf die Brust gedrückt, sagte sie furchtsam: »Ihr verspracht mir Geld!«
Er warf ihr eine Anzahl Goldstücke hin.
»Ich gebe dir Bezahlung; du weißt gut genug, daß du's dem Richter umsonst geben müßtest!«
»Ich konnt's auch verbrennen!« zischte sie giftig.
Er nahm das kleine, kostbar in Gold gepreßtes Leder gebundene Buch; es war mit vergoldeten Klammern geschlossen. Dann gab sie ihm einen großen, funkelnden Ring und zwei andere, jedoch minder wertvolle Schmuckstücke.
»Ist das alles, was die Fatme bei sich getragen, da sie von Böhmen kam?« fragte er.
»Alles, Herr, alles! Gnade, Gnade! Verratet mich nicht. Warum habe ich seit Jahr und Tag die Heiligen so reich beschenkt?«
»Nicht einen Finger rühre ich für dich, du Elende! Aber sie, die Herrliche, die beste aller Frauen, sie soll vor der Trübsal bewahrt bleiben! Das ist's! das ist's, weshalb ich nicht hingehe, dich dem zeitlichen Richter zu überliefern!«
»Und der Herr Graf könnte doch Vorteil haben, wenn er sich melden tut!« rief sie höhnisch und rachsüchtig.
Diesmal hob er die Faust, sie zu schlagen – sie wich ihm aber aus und begann wieder zu winseln. Er keuchte und rang nach Atem und Ruhe. Endlich begann er wieder:
»Wecke die Fatme und bringe sie in den Fremersberger Wald, dort, wo das kleine Jagdhaus steht. Kleide sie mit deinem Zeug – ich bezahl's. Dann warte dort meiner an dem Weg zur Yburg. Ich reite, sobald das Fest aus ist, miete eines Bauern Knecht und Wagen und der schafft mir die Fatme nach Straßburg. Ich selber eile voran und sehe dort zu, sie bei einer braven Witwe in die Kost zu tun. Will schon allerlei Ausreden für ihr Geschwätz geben; – daß sie halb wirr im Kopf ist – sieht ohnedies jedes Kind. Du aber kehrst eilend zurück, sobald die Fatme auf dem Wagen sitzt, und tust, als ob nichts vorgefallen sei. Für dich wird's auch kein Schade sein, wenn du dir anderwärts einen Unterschlupf suchst, hier könnte mich dein Gesicht doch verleiten, dir den Henkersknecht auf den Hals zu schicken.«
Die Alte schrie furchtbar auf. Die Augen ihres Gegners blickten sie in grimmiger Verachtung an. Dann ging er ohne Wort und Gruß. Das alte Weib sah ihm zitternd an allen Gliedern und doch mit giftigem Lachen nach.
»Ja, ja! Einer wie der andere! Solange er unterducken mußte bei Hofe, als armes Waisenkind, so lange war der Herr Graf das goldigste Herrlein unter der Sonne, sanft, gut und freigebig! Und da muß der Satan es fügen, daß die Fatme ihm das ganze Geheimnis an den Kopf wirft, die verwünschte Närrin!«
*
Sibylla wünschte einige Augenblicke des Alleinseins. Die Nachricht, welche sie von einer möglichen Werbung des Regenten von Frankreich für seinen Sohn empfangen, regte sie sehr auf.
Nahe Schritte störten die auf einem einsamen, offenen Platze auf und ab gehende Markgräfin in ihrem Nachdenken. Da schritt der Kommende mit gesenktem Kopfe und tiefernster Miene an ihr vorüber, prallte aber neben ihr erschrocken zurück.
»Bilky, du? Und so einsam? so melancholisch?« fragte sie ihn ernst, aber gütigen Tones.
Sie strich leise mit der Hand über sein blondes Haar. Es war eine so sanfte, mütterliche Art, die sie mit ihm hatte! Wie ins Herz getroffen sank er plötzlich vor der Erschrockenen auf die Knie, und ihre Hände an seine Lippen, an seine Augen ziehend, brach er in ein krampfhaftes Schluchzen aus.
»Ihr Heiligen! Siegfried? Was ist mit dir?« fragte sie und suchte ihn emporzuziehen.
»Laßt mich hier knien, Ew. Gnaden, laßt mich Euch danken, was ich ewig nicht danken kann und – und – gestattet mir – gebt mir Urlaub, laßt mich fort – sogleich – mir brennt der Boden unter den Füßen!« bat er in leidenschaftlicher Aufregung.
»Fort? – Wohin, Siegfried? Was ist dir? Warum willst du fort?« fragte sie in tiefem Ernst, denn unverkennbar lag da ein schweres Geheimnis.
»Sprich, Siegfried – was treibt dich fort?«
»Fragt nicht, Herrin, laßt mich gehen; – ich tauge nicht mehr hierher!« wiederholte er, jetzt wieder auf den Füßen stehend, und sie hörte, wie er vor Aufregung bebte.
Sollte er? Mein Gott – Augusta und er? – Aber sie hatte sich ja so oft lächelnd bei ihrem Anblick gesagt: »Diese Kinder!«
»Ich will gerechten Wünschen nicht entgegen sein, Siegfried Bilky; – aber nicht heute. Geh jetzt – später – später reden wir davon in Ruhe! – – Geh – ich will allein sein, und nicht wahr, Friedel – Arges treibt dich nicht von dannen?«
»O, Frau Markgräfin!« Es lag in dem Ton aus der Tiefe des Herzens dringender Protest, der sie beruhigte. Sie hieß ihn gehen; in letzter Zeit war sie, zu ihrer eigenen Verwunderung, so leicht eine Beute aufregender Gedanken.
Auch heute. Siegfried war gewiß brav; – sie zweifelte nicht daran; – sollte er Augusta lieben und die Versuchung fliehen wollen? Dann wieder trat der Name ihres Pflegesohns wider ihren Willen mit dem der Leila und ihrer halb verwirrten Mutter Fatme in Verbindung. Nein, nein! Das war Lüge, Hirngespinst. Der Erbprinz! Er bevorzugte ihre Tochter offen. Doch waren beide so sichtlich harmlos und unbefangen – eben wie Gespielen es zu sein pflegen. Ach, wenn nur erst dies alles geordnet sein würde, wie wollte sie aufatmen und ausruhen. Doch sie mußte zurück zu ihren Gästen.
In diesen Gedanken hatte sie sich doch jetzt wieder dem Festplatze genähert. Da, eben als sie sich unter die Menge mischen wollte, sah sie zwei schlanke Gestalten um die Ecke des Schlosses verschwinden. Anna Maria! Landin! Kein Zweifel! Und hinter ihnen her schlich Sabine!
Das Blut stieg der Markgräfin heiß in die Stirn. Nun wußte Sabine um ein Geheimnis, welches ihrem Stolze schimpflich dünkte.
»Jetzt geht sie mich benachrichtigen!« dachte Sibylla und atmete erleichtert auf, daß Sabine sie nicht finden werde und nie ahnen solle, wie sie jetzt, sofort, stehenden Fußes dieser schimpflichen Liebelei ein Ende machen wollte. Also nur rasch! Dieser Fürst Landin! Nun, er würde wissen, daß ihm schleunigste Abreise geboten war.
Sibylla hatte, von dem Gebüsch verdeckt, die Seitentür erreicht und eilte über das kleine Vestibül den Gang hinab und die Stiege hinauf.
Aber wo? Wo sollte sie suchen?
Die ganze Flucht der Zimmer war leer, die übrigen Gemächer auch. Aber da! Diese Tür? Wer hatte sie benutzt, sie stand angelehnt und knirschte leise in den Angeln.
Welcher Gedanke! Auf dem flachen Dache waren sie! Schlau ausgesonnen.
Nun stand die Markgräfin auf dem Dache. Sie sah in einer Minute genug, um in bitterster Empörung ihren Schritt gerechtfertigt zu finden. Anna Maria in Landins Armen, mit glühenden Liebesbeteuerungen überschüttet und sie erwidernd. Die beiden hatten ihrer gar kein Arg. Da schraken sie plötzlich aus ihrem Taumel jäh auf. Eine feste Hand legte sich schwer auf die Schulter der Prinzessin.
»Anna Maria!« rief eine zornbebende Stimme dicht an ihrem Ohr.
Die Angerufene wandte im Todesschrecken den Kopf und blieb, völlig erstarrt vor Entsetzen, sprachlos, fassungslos eine Sekunde stehen, um dann mit einem lauten Schrei wankend nach einer Stütze zu greifen.
Einen Augenblick hatte auch der Fürst diesen Schrecken geteilt. Er sah bleich aus, bis auf die Lippen. Dann aber, als er die Geliebte sinken sah, fing er sie in seinen Armen auf und schloß sie, von der Markgräfin hastig zurücktretend, an die Brust.
»Mein Engel, meine Geliebte, fasse dich!« flüsterte er ihr zu, und dann erst, kühn und furchtlos die Markgräfin ansehend, sagte er in seiner kecken Weise höhnisch, wenn auch mit noch vor Schrecken bebender Stimme:
»Ew. Durchlaucht haben eine wunderbare Manier, die Leute in Erstaunen zu setzen!«
»Das Kompliment, wenn es eins sein soll, mein Fürst, gebe ich Euch voll zurück, denn wahrlich, ich dachte nie, daß ein Mann Eures Ranges und Eurer Qualität imstande wäre, zu der Unritterlichkeit noch die Impertinenz hinzuzufügen!« erwiderte sie mit Ruhe und Kälte.
»Frau Markgräfin! Ihr seid als Dame geschützt vor der Verantwortung Eurer Worte!« sagte Fürst Landin. »Da Ihr aber unsern Eröffnungen in so unvorhergesehener Weise zuvorkommt, durchlauchtige Frau, so mögt Ihr zu unserer Entschuldigung wissen, daß Eure Nichte und ich eines Sinnes sind, uns für immer anzugehören. Wir lieben einander, und wenn Ihr die edle Frau seid, welche alle Welt in Euch verehrt, so flehen wir Euch um Schutz und Gnade an, denn, wir wissen es wohl, unsere Lage ist mißlich.«
»In der Tat, mein Fürst, Eure Lage ist sehr mißlich, ich möchte nicht vor Euch stehen, wie Ihr jetzt vor mir!« erwiderte sie in bitterem, höhnischem Zorn.
Er flammte von neuem auf, aber Anna von Neuburg, beide Arme um des Geliebten Hals werfend und an seiner Brust Zuflucht suchend, rief:
»Höre nicht auf sie, Yanko, sie ist im Zorn; laß uns bitten! Wir lieben einander, und keine Macht der Welt reißt mich von deinem Herzen.«
Sibylla wurde jetzt erst sich der Sachlage voll bewußt und in bitterem Tone rief sie: »Anna! Anna! Das willst du mir antun?«
Die Worte, der Ton verfehlte ihre Wirkung nicht. Beide jungen Leute warfen sich vor ihr auf die Knie!
»Wir sahen uns, und die Liebe war da!«
»Sie ist eine göttliche Macht, wer kann ihr widerstehen? Habt Mitleid, Ew. Durchlaucht, ich will Euch danken.«
»O Tante, wenn du je geliebt, so weißt du, daß wir zusammengehören und nicht mehr leben können ohne einander!« rief Anna.
»Du wirst dich besinnen, Anna Maria, und den Weg gehen, der einer Prinzessin von Neuburg ziemt! Laß mich nicht länger sehen, was du meinen Augen geboten, du hast des Erbprinzen Werbung lächelnd gutgeheißen und beginnst im selben Augenblick eine Liebelei mit –«
»Gnaden Tante! Ich bin ein Fürstenkind wie Ihr, ich verbiete Euch, mir von Liebelei zu reden! Nicht mich entwürdigt Ihr!« fuhr Anna von Neuburg flammenden Auges zu ihr herum. Aber in demselben Augenblick lag sie auch schon wieder vor der Markgräfin und bat in den weichsten Tönen:
»O Tante, sei ein Weib in dieser Stunde, wirf den Hermelin ab und fühle mit mir! Was will ich denn? Mein Yanko ist ein ebenbürtiger Kavalier! Reich genug bin ja ich für uns beide, und des Kaisers Gunst –!«
Hätte sie nur nicht davon geredet! Sibyllas wundeste Stelle im Herzen berührte sie damit. Und da trat Landin stolz neben die Geliebte!
»Ich komme nicht als Bettler, Ew. Durchlaucht, Euch die reiche Erbin zu stehlen.«
»Nein, als Gast meines Hauses stehlt Ihr mir das teuerste anvertraute Gut!« rief Sibylla in vollstem sich vergessenden Zorn.
Aber Fürst Landin hörte den Ton nicht. »Wie allemal der Bräutigam das Schönste aus dem Elternhause hinwegstiehlt«, sagte er mit warmer Stimme.
»Genug der Worte! Übergenug!« wehrte die Markgräfin ihn ab. »Hört! Man ruft! Man sucht mich; da, sie kommen!«
In der Tat stürmten Laudrum und Bilky mit angstvollen Gesichtern die Stufen zum Dache hinan.
»Gott sei Dank, Ew. Durchlaucht! Gott sei Dank! Da seid Ihr ja!« keuchte Bilky, und Laudrum war an die Balustrade des Daches gestürzt.
»Gefunden! Gefunden!« rief er hinab. »Ihre Durchlaucht wünschten hier in Ruhe das Schauspiel zu sehen, Verzeihung, daß wir störten, eine heftige Unruhe befiel Ew. Durchlaucht Freunde, da man Euch schon länger vermißte! Der Zufall ließ den Grafen Bilky die offene Tür sehen«, stammelte er dann atemlos, sich an die Markgräfin wendend.
»So ist es, lieber Laudrum, wir wünschten das Schauspiel hier in der Stille zu genießen, die Prinzessin und ich, und Fürst Landin war so liebenswürdig, uns seine Kavalierdienste anzubieten«, lächelte Sibylla mit bebenden Lippen und alle Mühe habend, Fassung zu erheucheln.
»Dank, lieber Siegfried! Und nun geht hinab, ihr Herren, und sagt, daß wir längst des Beginns des Feuerwerks harren. Auch Euch, mein Fürst, halte ich ferner nicht«, fuhr sie fort und winkte Landin mit entlassender Gebärde.
»Pardon, meine allergnädigste Frau Markgräfin, ich bin zu stolz und glücklich über die mir widerfahrene Ehre, und die Devise meines Hauses heißt: ›Ich halte fest!‹« lächelte dieser, seinen langen Schnurrbart drehend; ebenso wie sie, blaß, aber mit solcher Festigkeit, daß sie, um einen Eklat zu vermeiden, ihm nachgab. Laudrum und Bilky waren gegangen.
»Ihr habt eine siegreiche Art, mein Fürst, gegen welche ich als Dame und als Schloßherrin wehrlos bin«, zürnte sie jetzt.
»Nennt es nicht Zudringlichkeit, Ew. Durchlaucht, ich fühle mich frei davon. Als Mann stehe ich vor Euch und kann mich nicht wie ein Schulbube davonjagen lassen. Zwischen uns, Frau Markgräfin, muß es zum Austrag kommen, ob Ihr meine Werbung um die Hand der Prinzeß Anna von Neuburg, seit drei Tagen meine teure Braut, annehmen wollt –.«
»Drei Tagen?« wiederholte Sibylla erschreckt.
»Oder ob Ihr in ungerechtem Groll unserer Liebe in den Weg treten und den Kampf mit mir wollt? Ich fürchte den Kampf nie, Ew. Gnaden, aber ich würde mit Schmerzen bedauern, gegen Euch, eine Dame, eine edle Fürstin und die liebevolle Tante meiner Braut, ihn aufnehmen zu müssen. Das wisset aber, durchlauchtige Frau, ich halte sie fest, die Geliebte, nicht Himmel noch Hölle sollen uns trennen!«
Der Fürst Yanko Landin war kein schöner Mann, und doch imponierte der Ausdruck seiner Züge, seiner funkelnden Augen der Markgräfin in hohem Grade.
Anna von Neuburg aber rief jauchzend: »Ich gehöre dir für nun und Ewigkeit, mein Yanko, mein Held!«
»Ich wähle den Kampf, Fürst Landin! Mit meinem Willen werdet Ihr die Hand der Prinzeß Anna Maria von Neuburg, über welche ich laut Testament ihrer Mutter zu verfügen habe, nicht erlangen. Und nun kein Wort weiter!«
Die Markgräfin hatte mit kalter Ruhe und feindseliger Schärfe gesprochen. Drunten im Park begann jetzt das Knattern und Prasseln des Feuerwerks, dessen Pracht für diese drei völlig verloren ging.
»So lebe wohl, mein geliebtes Herz! Treue um Treue! Weine nicht! Sei tapfer und mutig. Wir sehen uns wieder in Glück und Freude!« flüsterte der Fürst, die schluchzende Prinzeß in seinen Armen haltend. »Sei eine Heldin, mein Liebling! Brich mir nicht das Herz mit deinen Tränen!«
Anna Maria richtete sich auf. »Ich will deiner wert sein, Yanko! Und nun geh, geh!« sagte sie mit exaltierter Miene.
»Ich scheide mit dem Dank für die glückseligsten Tage meines Lebens, Frau Markgräfin, und bedauere, als Euer Gegner zu scheiden. Ihr selbst wollt es so!« verneigte er sich vor dieser, die stumm und zitternd vor Mitleid und Aufregung an der Balustrade lehnte und immer, eingedenk ihrer Repräsentationspflichten, mit dem Tuche herabwinkte, während von unten herauf das: »Heil unserer Frau Markgräfin! Heil! Heil!« von tausend jubelnden Stimmen ertönte.
Stumm winkte sie Landin den Abschied. Er grüßte und ging. Eine minutenlange Stille herrschte zwischen beiden Frauen. Draußen stiegen Feuergarben und Raketen gen Himmel, sie sahen es nicht. Jede hatte mit sich zu tun. Dann trat Anna von Neuburg mit funkelnden Augen vor die fürstliche Verwandte.
»Ihr habt den Kampf gewählt, Frau Tante! Es sei! So wisset denn aber nun auch, daß Ihr in mir nicht das wehrlose Opfer finden werdet, wie Ihr es etwa von Eurer Umgebung, Euren Kindern erwarten dürftet. Eure Feindin bin ich, denn ich bin Yanko Landins Braut mit Herz und Seele, und gewärtigt von mir nicht etwa, daß ich die Hand küsse, die mich schlägt!«
»Anna Maria, denke an deine Mutter! O Magdalena! Du siehst in mein Herz!« schluchzte Sibylla auf.
Die Prinzessin blieb ungerührt und fuhr hastig fort: »Ihr habt Macht über mich, Tante Sibylla, aber bis zum Zwang geht Eure Macht nicht! Der Erbprinz –«
»Zwingen? Will ich dich denn zwingen? Deine bessere Einsicht sollst du brauchen, die Prinzessin von Neuburg soll sich nicht wegwerfen an den landlosen Abenteurer!«
»Tante Markgräfin! Ihr vergeßt Euch! Nehmt das Wort zurück oder –«
»Nimmer! Nimmer! Was ist dieser Mensch, daß –«
»Seid gewärtig, Frau Tante, daß ich in dem Kampfe mit Eurem Hochmut und Eigenwillen nicht die Unterliegende sein werde!« zischte es fast über die Lippen der Prinzessin.
Sibylla fühlte, daß noch ein Schritt weiter die allzu straff gespannten Saiten zerreißen würde.
»Wir sind beide außer uns, Anna Maria«, sagte sie, sich gewaltsam beherrschend. »Laß uns so nicht fortfahren! Vergib mir die zornigen Worte, indem du meiner Lage gedenkst gegenüber den Durlacher Verwandten. Gedenke auch deiner Schuld gegen mich. Und nun komm; keine Seele darf ahnen, was hier vorging, das siehst du selbst ein! Wir müssen uns gemeinsam meinen Gästen zeigen, das Fest geht zu Ende, Gott sei Dank! Und dann, später, morgen werde ich, werden wir ruhiger sein, überlegen. Ach, Kind, so glaube wenigstens, daß ich mit mütterlicher Liebe urteile!«
Die Prinzessin schwieg mit finster zusammengezogenen Brauen. Aber sie legte ihren Arm in den der Markgräfin, und so gingen sie hinab, beide schweigend bemüht, ihre Mienen zu glätten, ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern.
Sofort wurden sie umgeben von dem ganzen Kreise. Sibyllas Kinder, die Durlacher Herren, Plittersdorff, Eberstein, letzterer noch ganz aufgeregt aussehend, versicherten sämtlich, wie sie nach und nach besorgt geworden und wie froh sie gewesen, als Bilky herbeigestürzt sei mit der Versicherung, er habe eben an der Balustrade des Daches Gestalten, das purpurseidene Gewand der Markgräfin bemerkt.
Die Markgräfin beruhigte lächelnd, aber sie sah, wie Ebersteins Augen bis in ihre Seele zu dringen suchten, sah sogar, wie ein eifersüchtiges Glühen in ihnen lag. Der Tor! Als ob sie Zeit hätte für Liebesromane, in denen sie selbst die Heldin wäre – Zeit und Lust!
*
In einem der Gänge des Parkes trafen sich Siegfried Bilky und Landin etwa eine halbe Stunde später.
»Ich danke Euch von Herzen, mein Fürst, daß Ihr Eure leider so plötzliche Abreise um meinetwillen verschoben habt«, sagte Bilky, diesem entgegentretend.
»Ihr sagtet mir von einer Herzenssache, Graf, und Eurem Gesicht sah ich die geheime Not an; da verzögerte ich die Abreise gern. Wenn es Euch recht ist, mir brennt der Boden dieses Parkes unter den Füßen! So geht mit mir nach Rastatt zu, wir lassen den Wagen nachfahren, und Ihr redet Euch vom Herzen, was Euch zu mir treibt!« sagte Landin mit der scharfen Stimme und dem harten Akzent, die heute nicht gemildert wurden durch die ihm sonst eigentümliche sanfte Sprachweise.
Bilky fiel dies auf, aber er war zu sehr mit sich beschäftigt, um weiter darüber nachzudenken.
Arm in Arm gingen sie aus dem Park, der Fürst gab seinem Diener den Befehl, mit dem Wagen langsam nachzukommen.
»Und nun laßt mich wissen, wenn's Euch beliebt, Graf Bilky, womit ich Euch zu Diensten sein kann«, fuhr Landin aus dem Nachdenken auf.
»Es wird Euch bekannt sein, mein Fürst, daß ich von dem in Gott ruhenden Markgrafen Ludwig Wilhelm erzogen bin, ein Bettler, wenn Ihr so wollt, eines erschlagenen ungarischen Magnaten und seiner unbekannten Gemahlin Kind, nach Aussage meines Wohltäters«, begann Bilky.
»So hörte ich, Graf. Es gibt der Bilky viele in Ungarn!«
»Wie? Ihr wißt das, Fürst? Meines Namens, meines Hauses wohl gar? Wo? Wo? Ich habe, so oft ich konnte, geforscht, und immer sagte man mir, mein Name sei dort unbekannt!«
»So könnt Ihr nur Leute gefragt haben, welche den Teil des Ungarlandes, den die obere Theiß durchzieht, nicht kannten!«
»Wie selten trifft man hierzulande solche Gelegenheit!« sagte Siegfried Bilky aufgeregt.
»Nun? Und ich soll wohl wegen Eurer Familie daselbst Nachfrage halten?«
»Fürst Landin! Wenn Ihr mir diesen größten Dienst erweiset, den ich von einem Sterblichen erbitten kann, so fordert mein Leben, ich bringe es Euch zum Opfer, sobald ich der Welt sagen kann: Hier, dies ist meines Vaters Name, dort stand sein Haus, und meine Mutter war sein ebenbürtiges Weib!«
»Ich begreife Euren Wunsch sehr wohl und habe, wie kein zweiter, die Mittel, Euch zu Diensten zu sein, denn in der Hofburg gehen die edelsten Geschlechter Ungarns aus und ein, und diese Magnaten werden Eures Vaters Namen kennen, werden Nachforschungen anstellen. Ihr aber, erzählt mir, was für Zeichen und Nachrichten Ihr habt, in welcher Feste man Euch fand und in welchem Jahre!«
»Das kann ich, das kann ich! Alles, alles habe ich gesammelt, was ich je davon hörte und was man mir jetzt als Lüge darstellt, indem man mich zu – – nun wohl, Fürst, man will mir Beweise geben, ich sei ein unehelich Kind!«
»Was? Wie?« Der Fürst stand still.
»Nun! Fühlt den Gedanken nach und sagt mir, ob ich Euch nicht mit Freuden in die Hölle folge, wenn Ihr mich rettet vor ihm! Ich will mir nicht das Bild des Mannes zuschanden machen lassen, das wie ein Götterbild vor meiner Seele steht!« rief Bilky außer sich.
»Beruhigt Euch! Ich gebe Euch mein Wort zum Pfande, daß ich für Euch handeln will, als wäre es für mich, Ihr müßt mir aber meinen Dank vorweggeben, Bilky, denn auch ich habe eine große Bitte!«
»Alles was Ihr wollt, was Ihr wollt!«
Und nun sprach seinerseits Yanko Landin und sah es nicht, daß Siegfried Bilky die Farbe wechselte in jähem Schrecken, seiner Wohltäterin entgegenhandeln zu sollen. Aber, wenn Prinzeß Anna und Landin sich liebten, sich Treue geschworen hatten, wie konnte die Markgräfin den Bund zweier Herzen lösen wollen, welche das Recht hatten, einander anzugehören? Landin sprach mit dem ganzen Feuer eines Liebenden, den der Widerstand nur noch mehr entflammt, und in Bilkys Herzen fanden seine Worte ein warmes Verstehen.
»So versprecht mir also, Graf, daß Ihr der Armen, die ich liebe und jetzt schutzlos allen Kabalen der beiden Höfe ausgesetzt lassen muß, ein treuer, wenn auch heimlicher Freund sein wollt! Versprecht mir, daß Ihr unsern Briefwechsel besorgen werdet, daß Ihr mir Nachricht gebt, wenn sie es nicht kann, und daß sie an Euch einen Beschützer findet, wenn sie dessen bedarf! Gebt mir Euer Wort, Schwur um Schwur, wir stehen einer für des andern Sache!«
»Wort und Schwur! Ich bin der Eure! Was immer komme, die Prinzessin darf auf meine Hilfe bauen wie auf die eines Bruders.«
»Und ich gebe Euch das Versprechen, daß ich Nachrichten für Euch erlange, wenn es deren gibt.«
Fast unmittelbar vor dem Tore von Rastatt trennten sie sich; dort wollte Landin übernachten, um andern Tages über Stuttgart nach dem Wildbad und dann zum Bischof zurückzureisen. Wie lange er dort noch weilen könne, ehe er nach Wien zurückkehre, hänge von den spanischen Damen ab, sagte er, ohne sich weiter zu erklären.