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Achtundzwanzigstes Kapitel.

Der kleine Hofstaat war mit dem ersten Frühlingswetter nach der Favorite hinausgezogen. Markgräfin Sibylla lag matt und in finsterem Brüten auf ihrem weichen Ruhebett. Sie hätte so gern geschlafen! – Aber Schlaf? Wie qualvoll waren die Nächte, welche sie eine nach der andern durchwachte! – Sie hatte in der sonnigen Märzluft mit Laudrum einen stundenlangen Ritt durch die Berge gemacht.

Ganz erschöpft kam sie heim und hoffte endlich Schlaf zu finden. Ihre Augen hatten sich auch geschlossen und für eine kurze Viertelstunde entschlummerte sie wirklich, um dann, wie so oft, mit einem jähen Zusammenfahren und heftigem Herzklopfen zu erwachen. Was hatte sie in diesem Winter schweigend erduldet! Was hatte sie gelitten, wenn Laudrum ihr gemeldet, wie der schöne, der herrliche Siegfried die ersten Foltergrade mit stoischer Festigkeit überwunden und nichts – kein Wort gestanden, sondern fest und feierlich behauptet hatte, der Fürst Landin habe ihm im letzten Sommer gesagt, der Name Bilky sei in den südlichen Karpathen nicht selten und der eines adligen Geschlechts. Daraufhin habe er nach Ungarn gewollt. – Feierlich beteuert hatte Bilky, Markgraf Ludwig Wilhelm, sein väterlicher Freund und Beschützer, sei ein Ehrenmann gewesen und kein unwahres Wort sei aus seinem Munde gegangen!

O Himmel! Beschämte ihr Pflegesohn sie in seinem Vertrauen auf Ludwig Wilhelm? Sie fuhr aus ihrem Brüten auf, der Leibarzt ließ um Gehör bitten.

Sibylla sprang in einem sie plötzlich überkommenden Entsetzen empor. »Was ist, Doktor Vulnerius?«

»Durchlaucht – ich fürchte –! – Heftige, anhaltende Gemütsaffektion! – Die Prinzessin deliriert!«

Sibylla flog über die Gänge und Treppen nach den Gemächern ihrer Nichte.

Da stand sie am Bette Annas. Dieselbe war ohnmächtig niedergesunken, wie Charlotte sagte, während des Lesens eines Briefes, nach vorhergegangener verzweifelter Herzensunruhe, und jetzt schon lag sie, ohne ihre Umgebung zu kennen.

Der Schrecken Sibyllas hatte keine Grenzen. »Doktor! Doktor! Sie war gestern abend noch ganz gesund!« rief sie wiederholt.

Charlotte zerfloß in Tränen. »Es war zuviel, Durchlaucht,« flüsterte sie, »das trägt kein Herz! Heute früh hat sie es in jenem Briefe dort gelesen, daß der Fürst –«

Sibylla hatte den Brief schon in der Hand. Er kam von Anna Marias Rentamtmann aus Neuburg; ihn hatte die Prinzeß in ihrer Angst nach Wien geschickt, da von Bilky nicht das geringste Lebenszeichen kam. Dort hatte der Rentamtmann gehört, die Verlobung Landins werde für gewiß erzählt.

Unterdes stand der Doktor Vulnerius und beobachtete mit sorgenvollen Mienen seine Kranke.

»Um Gottes willen helft, Vulnerius«, bat Sibylla.

»Betet nur, Frau Markgräfin! Menschenwitz ist nichts in solchen Fällen, wir können höchstens lindern!«

Eine trostlose Zeit begann. Sibylla wich nicht aus dem Krankenzimmer. Und ein Tag nach dem andern verging, ohne Besserung zu bringen.

Dann kam eine andere Phase der Krankheit, wo die Prinzeß in dumpfer Betäubung Tag für Tag dalag.

Endlich meldete der Leibarzt eines Morgens der Markgräfin, er habe günstige Symptome bei der Prinzeß entdeckt, es zeige sich ein Hoffnungsschimmer. Vulnerius erklärte ihr freudestrahlend seine Gründe und sprach nur voll Sorge davon, ob die Kräfte der durchlauchtigen Kranken ausreichen würden, diese günstige Wendung entscheidend zu unterstützen.

Als sie dann, mehr als je in Sorge, nach ihrem Zimmer zurückgehen wollte, sah sie Laudrum in das Schloß treten. Er sah erregt aus, er brachte Wichtiges. Großer Gott, sollte denn für sie nie mehr Ruhe möglich sein? »Ew. Durchlaucht! Graf Bilky hat bekannt! Was ich immer gefürchtet, der Graf Eberstein ist sein Mitschuldiger, ihm hat er die Beweise seiner Geburt zur Aufbewahrung gegeben!« rief der Landvogt.

»Habt Ihr ihn von neuem torquiert? Ich verbot es Euch, Laudrum!« Ach, warum mußte sie den schönen, geliebten Pflegling so hart bestrafen? Sie weinte heiße Tränen und fragte bebend noch einmal, da Laudrum zögerte, ob Bilky sehr gelitten habe?

Laudrum begriff diese Stimmung nicht. Aber er sagte dann beruhigend: »Es bedarf der Folter nicht, Ew. Durchlaucht, seit seine Augen leiden, ist es vorbei mit seinem Trotz!«

»Und er bekennt?«

»Nichts! Er hat nur zornig erklärt, ich solle dem Grafen Eberstein das Päckchen abfordern – –.«

»Eberstein? Nicht möglich! Nicht möglich!«

»Freilich,« sagte der Landvogt, »Bilky behauptet, der Graf kenne den Inhalt des Päckchens nicht, aber das glaube wer will.«

»Unmöglich! Unmöglich!« rief Sibylla wie verwirrt immer wieder.

Da tönte ein Posthorn von fern. Sie horchte auf. Es kamen Gäste?

»Geht, Laudrum –! Ach, und wie soll ich nun Gäste empfangen?« klagte Sibylla.

»Und was befehlt Ihr in Bilkys Sache?« fragte der Landvogt.

In dem Augenblick fuhr sachte die große Reisekutsche über das Stroh, welches man auf das Steinpflaster gelegt hatte, aber sie wandte sich nicht vor das Schloß, sondern gleich nach den Ställen.

»Graf Eberstein!« hauchte Sibylla, und jedes Tröpfchen Blut wich aus ihrem Antlitz. Jetzt stand er vor ihr. Ein kalter, harter Blick lag in den Augen. Sibyllas Herz erbebte vor diesem Blick, plötzlich sah sie: der Graf hatte graue Haare bekommen. Laudrum zog sich zurück.

»Ich komme zu Ew. Durchlaucht als Abgesandter meines jungen Herrn Ludwig Georg, und höre zu meinem Bedauern, daß Ihr, Frau Markgräfin, in großen Sorgen um Prinzeß Anna Maria seid!« sagte Eberstein mit ruhiger Stimme, die Sibylla an das Klingen des Winterfrosts mahnte.

»Sind meine Söhne gesund? Haben sie den Brief nicht empfangen, worin ich von Anna Marias Krankheit nach Prag schrieb?«

Der Graf verneinte und antwortete schnell: »Gesund und glücklich, Ew. Durchlaucht. Ich habe Euch diesen Brief des Herrn Markgrafen zu übergeben, Euch zu bitten, ihn zu lesen und mich dann um alles weitere zu befragen.«

Sie nahm den Brief und öffnete ihn. Dann hatte sie sich mit kräftiger Willensanstrengung gesammelt und begann – sich unterbrechend zu manchem Ausruf – zu lesen.

Es war ein langer Brief. Ihr Sohn berichtete zuerst, daß der Kaiser ihn mit Auszeichnungen und Ehrenbezeugungen empfangen, welche weit über seinen persönlichen Wert hinausgehend, seinem hochseligen Herrn Vater noch im Grabe zur Ehre geschehen, Se. Majestät hatte ihn zum Generalfeldzeugmeister des Schwäbischen Kreises ernannt und ihm die Bestallung bei dieser ersten Audienz erteilt! Weiter hieß es in dem Briefe: »Und nun, teure Mutter, vergebet Eurem Sohne, wenn er Euch eine Überraschung bereitet, welche er Euch auf seinen Knien bittet mit gutem Herzen aufzunehmen. Gebt mir Euren mütterlichen Segen, angebetete Mutter, mir und meiner vielgeliebten Braut, der Prinzessin Maria von Schwarzenberg, welcher ich mich auf dem Schlosse unsers hochwürdigen Herrn Bischofs im vorigen Sommer zu ewiger Treue und einem will's Gott! glückseligen Ehebunde verlobte, indes ihre Frau Mutter und ihr Herr Großvater sich die kaiserliche und Eure Genehmigung vorbehielten.« Der Sohn bat ferner um das Opfer ihrer persönlichen Gefühle, schrieb von seinem jubelnden Glück usw.

Dann meldete er, sie seien in großer Sorge um Bilky, der in Wien nicht angekommen. Man müßte sofort Nachforschungen anstellen. »Sodann auch hätte ich Euch viel über den Fürsten Landin zu sagen, der Kaiser hat ihn mit den Herrschaften Raziesna und Botor belehnt, und so Landin in den Stand gesetzt, um Anna Maria zu werben. Da man dem Charakter des Fürsten hier nur Lob erteilt, so habe ich ihm zugesagt, bei Euch sein Fürsprecher zu sein.«

Schon längst las Sibylla nicht mehr. »Ein neuer Schicksalsschlag!« das war ihr erster Gedanke, und der zweite unsäglich bittere: »Füge dich darein! Am Kaiserhofe hat man deinen Sohn mit Ehren und Gnaden, mit Liebe und Freundlichkeit ganz und gar bestochen, und sein Herz besticht die Liebe!« Ähnlich sprach sie sich gegen Eberstein aus und setzte in ihrer Gereiztheit hinzu, daß er ihr kein Freudenbote sei!

»Das wußte ich und hätte Ew. Durchlaucht meinen Anblick gern erspart, wenn nicht des Markgrafen Bitten und die Sorge um Bilky mich getrieben!« sagte er verletzt und doppelt scharf.

Sie beachtete geflissentlich die Erwähnung Siegfrieds nicht. Was gab es für sie nicht alles zu fragen! Graf Eberstein erteilte ihr bereitwilligste Auskunft; und da er Sibyllas Art und Wesen kannte, so traf er geschickt immer das, was ihrem Stolze oder ihrem Herzen wohltat.

Dann aber drängte es ihn von neuem, über Landin, Anna Maria, Bilky zu sprechen. Er zürnte schon wieder Sibyllas Selbstsucht. Aber wie krank und bleich sah sie aus.

»Ich muß dies Neue, Schwere in mir zurechtlegen, Ihr begreift das und entschuldigt mich, Graf«, sagte sie, heimlich auf das tiefste verletzt von dem rein geschäftsmäßigen Tone, in welchem er zu ihr sprach.

Charlotte traf er in heißen Tränen. Siegfried nicht in Wien angekommen? »O helft uns, Graf – er liegt vielleicht erschlagen an der Straße.« Dann erzählte sie ihm von Anna Maria und wie dieselbe gelitten!

Eberstein durchschaute sofort, daß die Briefe zwischen Landin und ihr auf Befehl der Markgräfin aufgefangen worden waren. Aber wie reimte sich dazu Anna Marias Aussage, die Markgräfin habe sie vom Gegenteil versichert? In ernster Unruhe machte sich Graf Eberstein sogleich daran, die Schloßdienerschaft auszuforschen. Alle kamen sie, von Eifer und Teilnahme erfüllt, denn Graf Siegfried, »unser lieber, fröhlicher Herr Graf«, wie sie ihn nannten, war bei jedermann beliebt, und die dumpfe Sorge wurde jetzt zur allgemeinen Angst um ihn.

Wieviel Neues hörte zudem Graf Eberstein. Was war es denn mit Mustaphas Betrügereien? Und Laudrum einerseits, Pater Isidorus andererseits waren jetzt die Vertrauten der Frau Markgräfin? Und was hatte Laudrum, daß er so mürrisch jeder Begegnung mit Eberstein auswich? Wie teilnahmlos behandelte Sibylla das spurlose Verschwinden ihres Pflegesohnes?

Graf Eberstein erkannte in wenigen Tagen die tiefgreifende Veränderung, die sich in Sibylla und im ganzen Schlosse kundgab. – War die lebensfrohe Fürstin plötzlich zur Nonne – zur Büßerin geworden?

Anna Maria schlief den Schlaf der Genesung. Der Prinzessin, die man um ihrer Liebe willen so bitter hatte leiden sehen, war jetzt die allgemeine Teilnahme zugewendet. Daß sie, die Stolze, so zu lieben wußte, ließ den »Stolz« der Markgräfin noch schärfer hervortreten. Was Sibylla an Liebe und Verehrung unmerklich einbüßte, wandte sich Anna Maria zu.

»Der Graf Eberstein darf nicht ahnen, wo Bilky sich befindet; ehe ich die Beweise nicht habe, kann ich ihm den Prozeß nicht machen«, hatte Sibylla Laudrum angewiesen, als er fragte, was nun zu tun sei. Sollte – durfte er Eberstein verhaften? Oder wollte Ihre Durchlaucht demselben das bewußte Päckchen abfordern?

»Ich weiß es noch nicht! Laßt mir Zeit, nachzudenken!« war die Antwort der Markgräfin.


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