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IV.

Es war Juha zuerst wie ein Unglück erschienen, als habe sich Marja irgendwohin verlaufen, von wo er ihren Ruf nicht hören konnte, von wo sie sich nicht zurückfinden konnte, wie ein Tier im Moor oder tief im Walde. Als er aber in seinem Boote saß und ruderte und ruderte, wurde ihm allmählich klar, was geschehen war. Marja war ja geraubt worden, ein fremder Mann hatte sie gewaltsam entführt, hatte ihm sein Weib entführt. Aber wenig kann der mit Gewalt von Marja erreichen. Der kannte Marja nicht, wenn er meinte, er könne sie durch einen Druck mit der Hand gefügig machen. Nicht durch Schläge und nicht durch Gewalt. Alles hatte ihre Schwiegermutter seinerzeit in der Art versucht. Was konnte denn Marja tun, als sie der Räuber am Strande überrumpelte, und auch noch im Boote? Aber Juha glaubte zu sehen, wie es ging, wenn der Dieb ans Land stieg und sich ihr zu nähern begann. Nichts antwortet Marja, blickt nicht auf, stellt sich taub. Er geht auf sie ein, Marja beißt, tritt nach ihm. Er schlägt sie in seiner Wut, Marja zuckt nicht mit dem Munde, obwohl ihr vor Schmerz das Wasser in die Augen steigt. Halt dich tapfer, Marja, halt dich tapfer, es kommt Hilfe, es kommt Hilfe!

Juha ruderte, nickte, in gleichem Takt vor dem Wind und gegen den Wind, über Seenflächen, durch Sunde; wenn sich ein Dullenring durchgescheuert batte, steckte er einen neuen an; wenn er Hunger verspürte, hielt er nicht an, er biß beim Rudern in seinen Ranft, legte ihn auf die Bank, nahm ihn wieder auf, zerbrach ihn an der Bank, legte ihn wieder hin, biß wieder einen Happen ab und ruderte weiter, auf dem Gesicht Vertrauen und Entschlossenheit, auf den Lippen dann und wann ein zitterndes Lächeln, wenn er bei sich dachte: »hab keine Angst, ich komme mit den Männern« – und Marja läuft ihm entgegen, fliegt ihm an den Hals, fliegt ihm endlich auch einmal an den Hals und sagt: »du kommst ja, Juha, – hast mich ja nicht im Stich gelassen«.

Vornüber dehnte sich ein inselloser See, und an dessen anderem Ende lag der alte Stammhof. Dort auf einer Landzunge sah man schon die Windmühle. Juha steuerte mit der Spitze seines Bootes darauf zu, und achteraus lag die Anhöhe bei seinem Gehöft, die immer noch matt dahinten blaute.

Es war Jahre her, seit er dort gewesen. Schlecht hatten sie dort Marja von klein auf behandelt, die Waise hatte keinen anderen Freund gehabt als mich. Und so boshaft waren sie gewesen, daß sie uns keine Hochzeit zurichteten, zu zweien mußten wir zur Trauung gehen, auf der Rückfahrt ruderten wir vorbei zum Rajavaara-Berg, vorbei damals und vorbei auch später. Marja hatte danach das Gehöft mit keinem Fuße mehr betreten.

Soll ich lieber geradeaus zum Kirchdorf rudern? Aber es ist ja recht und billig, daß ich auch aus dem Elternhof etwas bekomme. Ich habe mein Erbteil nicht von ihnen verlangt, habe sie nicht zur Bauarbeit bemüht. Habe nichts anderes erhalten als die Quälereien der Mutter in jedem Sommer. So viel darf ich doch wohl fordern, daß mir die Brüder in dieser Not beistehen. Zum erstenmal bitte ich um etwas. Und ich will sie auch jetzt nicht bitten, wenn sie mir nicht von selbst etwas anbieten.

Je näher Juha seinem alten Elternheim kam, desto schwerer wog das Ruder. Ich will mich doch ein wenig ausruhen, dann werde ich ja sehen, wie sie sich dazu stellen.

Groß und alt war das Anwesen, von dessen Strand Juha zum Hof hinanstieg. Groß die Netzhütten, lang die Häuserreihe, zahlreich die Speicher, breit, glatt, fett die Aecker. Hier haben sie es ja gut, schön wäre es hier auch für mich mit Marja gewesen, und Platz hätten wir gehabt und Land zum Roden näherbei, und ich hätte die junge Frau nicht fern von der übrigen Welt in die einsame Oede zu führen brauchen – und dann wäre auch dies nicht geschehen.

Erschöpft und niedergedrückt betrat Juha das Wohnhaus. Sie saßen beim Abendessen an dem langen Tisch, eine große Menge Männer und Frauen, da waren Leute des Gehöftes, waren Fremde. Sie aßen, schmatzten, zogen Gräten aus der Fischsuppe durch den Mund und legten sie in großen Haufen vor sich. Als sie hörten, was geschehen war, hielten sie einen Augenblick mit dem Essen inne, schwiegen, fuhren aber wieder fort. Wie: – Was war das? – Nichts! – Aßen weiter, standen dann nach und nach auf, jenachdem wie sie sich gesättigt fühlten, steckten ihre Löffel in den Wandspalt und kamen, um Juha die Hand zu geben.

»Das sind so Geschichten mit den karelischen Männern,« sagte der älteste Bruder aufstoßend.

»Die haben sie ja früher auch gemacht,« sagte ein anderer.

»Die haben sie ja früher auch gemacht, die Schurken,« sprach ein dritter.

Und da wurde davon geschwatzt, was früher geschehen war, in Kriegszeiten und auch während des Friedens. Sie haben sich die einen geholt um sie zu ihren Frauen, die anderen, um sie zu ihren Leibeignen zu machen; dort sind sie verschwunden, und nicht viele sind zurückgekommen, ob sie nun alle gewollt haben. Aber es hat ja auch welche gegeben, die gern dageblieben sind. Das war ein Verschlagener ... wirft sie einfach in sein Boot und stößt das Boot in die Strudel, da weiß man ja, daß keiner herausspringt. Aus dem Schlitten kann man springen und sich da herumwälzen, aber springe mal einer in der schäumenden Stromschnelle aus einem Boot! Was ist sie dem aber auch an den Strand nachgegangen?

»Sie ist vor der Mutter davongelaufen, weil die sie gleich bei ihrer Ankunft schimpfte.«

»Was brauchte sie das so übel zu nehmen,« sagte eine krummhalsige Schwägerin von der Ofenbank her.

»Marja kann das Geschimpf nicht vertragen.«

»Muß sie denn so hochmütig sein, wenn ein älterer Mensch sie ein wenig zurechtweist.«

»Nun ist sie wohl der ihr Geschimpf los,« sagte Juha.

So ging das Schwatzen und Reden weiter, und das Ereignis wurde von allen Seiten beschaut, aber es geschah nicht und schien auch nicht geschehen zu wollen, was Juha doch erwartet hatte: daß sich die Brüder nach dem Essen schnell erhoben, ihre Gürtel umschnallten, ihre Büchsen und Aexte ergriffen und sofort in die Nacht hinausgingen, und daß auch in die anderen Gehöfte Boten gejagt wurden.

»Du bist nicht hinterher gegangen?«

»Was hätte ich allein mit ihnen gemacht, wenn ich sie auch eingeholt hätte?«

»Ja, freilich, einer allein kann ja da nichts.«

Nun sah Juha aus allem, daß ihm aus diesem Gehöft kein Beistand kam. Die waren nicht die Männer dazu, schickten sich an zur Ruhe zu gehen. Da war für ihn nichts mehr zu tun, er stand auf und verließ das Haus.

»Wohin gehst du denn?« fragte ihn der älteste Bruder.

»Ins Kirchdorf.«

Der Bruder kam hinter ihm her, holte ihn auf dem Weg zum Strande ein.

»Gehst du wegen dieser Sache ins Kirchdorf?«

»Es bleibt mir ja nichts anderes, wie die Dinge stehen.«

»Nein, gewiß nicht. Hast wohl gedacht, von uns wäre jemand mitgegangen.«

»Habe ich darum gebeten?«

»Nein doch.«

»Was sprichst du dann davon?«

»Es wäre ja zu helfen gewesen – deshalb bist du ja wohl doch gekommen. Aber du wirst selbst verstehen, daß es nichts nützt, wenn nur die Männer eines Gehöftes mitgehen.«

»Wenn es nichts nützt, dann nützt es nichts.«

»Es sind auch eilige Sommerarbeiten, muß geschwendet werden und sonst.«

Juha hatte nicht die Absicht gehabt noch mehr zu sagen, konnte es aber nicht zurückhalten:

»Man hat sich nicht um eilige Sommerarbeiten gekümmert, wenn einmal der Bär unter dem Vieh gewütet hat.«

»Es ist nun doch ein Unterschied zwischen einer Bärenhatz und einer Jagd auf die Schemeikkas in Karelien.«

»Und um eine Kuh ist es mehr schade als um einen Menschen? Mancher ist schon um Geringeres nach Karelien gegangen. Aber ich wußte ja schon, als ich kam, daß Marja hier kein Schaf wert ist, geschweige denn eine Kuh. Nur angenehm ist es euch, daß sie einem Wolf in den Rachen gefallen ist.«

Juha stieß sein Boot vom Lande, setzte sich an die Ruder und fuhr davon.

Er ruderte so, daß vorn die Wellen schäumten und der Strudel des Ruders gelb aufleuchtete wie das Auge eines wütenden Ochsen. Tief drückte er ein, und lang zog er aus. Er wird Marja doch retten. Der Propst wird helfen. Der Propst, der alte Mann, hat selbst eine junge Frau. Er kündigt es in der Kirche ab, läßt vielleicht sogar den Botenstab umgehen, bringt aus jedem Gehöft einen Mann auf die Beine, um die Gefangene zu befreien. Der ist ein Mann, der ist doch ein anderer Mann als all die anderen. Ist doch ein tüchtiger Mann in der Welt! Wenn der hilft, dann bedarf es des Beistands der anderen nicht mehr. Wenn der Alte mit dem Fuß auf den Boden stampft, dann eilen die Männer herbei wie zu einer Feuersbrunst.

Es ging auf den Morgen zu, als Juha in einer Enge zwischen zwei großen Seeflächen dahinruderte; er zog die Ruder aus dem Wasser, ruhte aus und ließ das Boot von der Strömung treiben.

Der Propst hat selbst eine junge Frau, nahm sie in demselben Jahre, wo ich die Marja heiratete. »Kehr dich nicht daran, was die Leute sagen. Nimm nur die, die dir gefällt. Sieh nicht auf ihre Armut. Jugend ist besser als Reichtum.« Und als er uns getraut hatte, kam er und gab uns die Hand. »Möget ihr glücklich werden,« sagte er zu Marja, und »Möget ihr glücklich werden,« sagte er zu mir und lächelte. Die anderen warnten vor einer Jungen: »nimm kein Kind,« der Propst wünschte uns Glück, und der mußte es besser wissen, da er selbst eine Junge genommen hatte... Dort auf der Landzunge waren wir die Nacht, die erste Nacht nach der Trauung ... wie neben ihrer Mutter schlief das Mädchen, die Hand an meinem Hals, auf den Nadelzweigen beim Holzfeuer. Wo mag sie jetzt sein? Hockt vielleicht irgendwo, an einen Baum gebunden, weint nicht, denkt aber: »komm und hilf, Juha, komm und hilf, Juha, solange es noch Zeit ist.«

Ich komme, ich komme! Der alte Propst wird uns helfen.

Die Nacht hindurch ruderte Juha. Die Morgensonne stach ihm in die Augen, auf dem Spiegel des Wassers blinkend, als er schließlich am Ufer des Pfarrhofs anlangte. Im Hause schliefen sie noch. Er setzte sich auf die Treppe eines Speichers. Von dem Rudern während eines Tages und zweier Nächte ermattet, verfiel Juha für eine Weile in Halbschlaf. Als er sich daraus aufgerüttelt hatte, begann er auf und ab zu gehen, um nicht wieder einzuschlafen. Er kam zur Kirche, die da in der Nähe lag. Sie sah hart und unfreundlich aus, Türen und Luken geschlossen, in den Fenstern etwas Kaltes und Gleichgültiges, wie im Blick eines Wildfremden.

Es mochte auch hier keine Hilfe zu finden sein. Der Propst wird gewiß die Männer hier vor der Treppe der Sakristei um sich versammeln. »Dem Juha hier hat ein Wolf sein Einziges genommen, solltet ihr euch nicht mitsammen aufmachen und dem Diebe nachjagen?« Sie sagen kein Wort, schauen nur mit stumpfen Blicken drein. Was kümmre ich sie, wo nicht einmal die eigenen Brüder ..? Was liegt ihnen an Marja und mir? Wieviele kennen uns? Was bin ich überhaupt hierher gekommen? Hätte doch allein gehen sollen.

Im Pfarrhaus klirrte ein Fenster, und in der Sonne blitzte eine Scheibe. Der Propst war aufgestanden, öffnete seine Tür und rief Juha herein.

Und als der alte Mann seine Erzählung vernommen hatte, da geriet er in Eifer, seine Augen schwollen, und er wurde über seinen ganzen kahlen Scheitel rot, während er mit kleinen Schritten auf und ab ging:

»Welche Gemeinheit! Der eine bewahrt ihn davor, daß er von Banditen ausgeraubt wird, gibt ihm Speise und Trank und macht ihm in seinem eigenen Speicher ein Lager und behandelt ihn als seinen besten Gast ... und der spielt den Freund ... und nimmt das Beste, was der andere hat, sein Einziges, seine junge Frau, sein Allerliebstes ...«

Juha wurden die Augen von Tränen schwer, und in seinem Gesicht riß es, aber zugleich hätte er vor Freude lachen können, als er den Propst so sprechen hörte.

»Sie war mir, sie war mir lieb. Eher hätte er mein Haus leeren und in Asche legen können ...«

»Hätte er nicht in seiner Heimat so viele gehabt, wie er sich wünschen konnte? Da kommt er und raubt und schleppt mit Gewalt eines anderen Weib fort! Eines anderen Weib! Fangen die hinter der Grenze schon wieder an umzugehen wie früher in den Kriegsjahren? Nun kann ja niemand mehr sicher sein, daß sie ihn mit sich nehmen – beim Beerensuchen oder auf der Weide ... muß doch auch unseren Weibsleuten ein für allemal verbieten mit den Kindern in die Beeren oder auf den See zu gehen.

Der Propst schritt, in dieser Weise anklagend, auf und ab und wurde immer aufgeregter. Gleich sagt er es, gleich verspricht er seinen Beistand, da er schon für seine eigene Frau fürchtet. Gleich sagt er es, da brauche ich gar nicht zu bitten. Aber der Propst fuhr nur fort:

»Ja, das ist nun eine traurige Geschichte, armer Juha.«

Der Propst dachte nach, sah Juha an ... Jetzt sagt er es! Aber der Propst sagte:

»Wenn er sie aber freigelassen hat, nachdem er –«

»Nachdem er was?« bebte Juha zusammen.

Der Propst wich aus, sagte etwas anderes, als er beabsichtigt hatte:

»Nachdem – ja, nachdem sich Marja gesteift hat.«

»Da müßten sich auch andere steifen, nicht bloß Marja.«

Immer verstand ihn der Propst noch nicht, er sagte nur:

»Was meinst du, Juha?«

Da kam es fast überstürzt aus Juhas Munde:

»Ob die Männer des Kirchspiels zulassen wollen, daß sie hier so was verüben?«

»Du meinst –?«

»Das muß einen Krieg geben!«

Juha sah sofort aus den Mienen des Propstes, daß nichts mehr zu machen war.

»Einen Krieg kann das nun doch wohl nicht geben.«

»Nein, gewiß nicht, gewiß nicht ...«

»Nein, lieber Mann, doch keinen Krieg – bist du deswegen gekommen?«

»Zuerst war mir der blödsinnige Gedanke durch den Kopf geschossen, daß der Herr Propst den Botenstab herumschicken möchte, damit die Männer herbeikämen – wi–wie zu einer Wo–Wolfsjagd.«

Juha versuchte zu lachen, aber das Kinn zuckte ihm, und in den Augenwinkeln riß es.

»Nein, lieber Mann, das kann ich ja nicht, das geht durchaus nicht, zumal, da vom König der Befehl gekommen ist, daß Grenzstreitigkeiten vermieden werden sollen, weil Friede zwischen den Reichen herrscht.«

»Ja gewiß ...«

»Darum ist es nicht möglich ... gar nicht möglich von meiner Seite.«

»Nein, gewiß nicht ... also nicht?«

Also war auch hier keine Hilfe. Dann kam sie auch anderswoher nicht.

Juha fühlte, wie ihn eine unsägliche, schmerzende Trauer erfüllte, als hätte er ohnmächtig umsinken müssen. Es mochte so kommen, daß er Marja in seinem Leben nicht wiedersah. Sollte es so kommen? Deswegen, weil zwischen den Reichen Frieden gehalten werden sollte? Wann ist früher nach so etwas gefragt worden? Und fragte wohl der karelische Räuber danach?

»Ich dachte, dies wäre eine gemeinschaftliche Sache, eine, die das ganze Kirchspiel anginge.«

»Das schon, das schon, aber –«

Juha saß noch da, obgleich er wohl schon hätte gehen sollen. Es wurde nichts mehr gesprochen. Der Propst schaukelte sich in seinem Stuhl und blickte hinaus.

»Dann muß ich wohl allein hingehen,« sagte Juha.

»Aber wenn dir unterwegs etwas zustößt?«

»Wenn auch, aber versucht werden muß es.«

»Es lohnt sich nun doch nicht, das Leben dabei aufs Spiel zu setzen.«

»Wenn ich Marja nicht zurückbekomme ... dann mag es hingehen.«

»Ist sie dir so lieb?«

»Gar so lieb, Herr Propst.«

Die Augen brannten ihm; der tiefe blaue, weiche Grund des Auges brannte glühend unter den buschigen Brauen.

»Der Herr Propst wüßte es ... wenn es ihm selbst einmal so ergangen wäre.«

Der Propst war gerührt.

»Ja gewiß, ich ... gewiß, ja ... und ich hätte ja geholfen, Juha, kannst es glauben, daß ich geholfen hätte, wenn ich es könnte. Aber du wirst verstehen, daß man sich dem Befehl der Obrigkeit nicht widersetzen darf.«

»Nein, gewiß nicht ...«

Es trieb Juha fort, vor seiner eigenen Rührung fort, um das Zittern seines Kinns zu verbergen. – Nein, gewiß nicht, gewiß nicht! Er glaubte, was der Propst gesagt hatte. Es war ja doch nichts zu machen, wo es der Befehl des Königs war. Der war wohl da, der war wohl da. Was hätte er es sonst gesagt, wenn er nicht dagewesen wäre.

Juha saß wieder in seinem Boot, mit der Spitze nach seinem Gehöft zu, mit der Kirche und der Pfarre achteraus.

... Das trifft sich doch seltsam, daß das Verbot der Obrigkeit gerade kommen mußte, wo sie mir Marja weggeholt haben. So etwas hat es früher nicht gegeben.

Der Pfarrhof war nicht mehr zu sehen, das Kirchdorf war hinter dem Wald verschwunden. Ein starker Gegenwind wehte von der großen Seefläche in den Eingang des Sundes. Die Dullen knarrten, die Spitze des Bootes platschte von einer Welle auf die andere.

Vergebliche Mühe, vergebliche Fahrt, verlorene Zeit. Das ist es nicht, es gibt keine solchen Befehle und Verbote. Es ist ihnen gleichgültig, wenn sie es auch nicht sagen mögen. Was liegt ihnen an Marja? Höhnen in ihrem Sinn, daß es so gekommen ist. »Das ist das Ende vom Lied!« Wäre es die Frau des Propstes oder auch nur irgendeine reiche Bäuerin, dann wäre schon die Hälfte des Kirchspiels hinter dem Wolfe her. Was liegt irgend jemand an Marja – der Fremden, Dunkeln. Gehörte sie einem anderen und nicht dem Kajakorpi-Juha, dem krummbeinigen, mürrischen, der nicht zu schwänzeln und zu scharwenzeln versteht ... Aber ich brauche ihre Hilfe nicht, ich hole sie mit eigenen Händen zurück, ich schlage den Schemeikka tot, ich drehe ihm den Hals um wie einem Schaf, daß er die Zunge aus dem Maule speit, ich zerbreche ihm die Beine, mit einem Knacks ...! Und die Spitze des Bootes sagte dazu, in die Wellen stoßend: tu das, tu das! – Einer von uns, er oder ich! Und einerlei, wenn auch beide – wenn ich Marja nicht lebendig finde ... wenn er ihr etwas angetan hat ...

Und während Juha ruderte, wurde es ihm allmählich klar, was er zu tun hatte. Man ist früher in den Kriegsjahren auch den Spuren der gefangen Weggeschleppten gefolgt, nach Zeichen, die sie am Wege hinterließen. Auch Marja konnte solche hinterlassen haben, auch andere Zeichen, da sie schon ihr Tuch am Ufer gelassen hatte. Am Ziele angelangt, spürte man früher wochenlang nach – das kann ich ja auch tun. Gehöfte wurden in Brand gesteckt, ich kann sie auch anstecken. Da wird Marja schon erraten, wer sie angezündet hat ...

Als Juha heim kam, sah er, daß sich seine Mutter da schon als Wirtin eingerichtet hatte, daß sie Marjas Arbeiten besorgte wie ihre eigenen. Sie bemühte sich auch nicht, ihre Zufriedenheit zu verbergen. Die Magd trippelte in ihrer Angst hin und her, die Augen voll Tränen.

Nachdem Juha ein wenig gegessen hatte, holte er seine Büchse und sein übriges Jagdzeug aus dem Speicher in die Stube und begann es zurecht zu machen. Danach suchte er seine Dachsfelltasche hervor und reichte sie seiner Mutter:

»Füll sie – so viel, wie hineingeht – Renntierzunge und gedörrtes Hafermehl.«

»Gehst du auf die Jagd?«

»Nein.«

»Ich dachte, weil du dich so rüstest.«

Als die Mutter die gefüllte Tasche gebracht hatte, sagte Juha:

»Ich gehe jetzt und kann vielleicht ausbleiben. Seht hier solange nach dem Rechten. Besorgt mit Kaisa, was zu tun ist, und wenn ihr Hilfe brauchen solltet, dann nehmt sie. Dort ist der Schlüssel zum Kornspeicher, im Kasten ist Roggen, womit ihr den Lohn bezahlen könnt.«

»Du willst doch nicht hinter der hergehen?«

»Hinter der? – Hinter der gehe ich her.«

»Allein?«

»Ich habe sie auch einmal allein hierher gebracht.«

»Hast wohl keinen gefunden, der mitgeht?«

Juha hatte die Tasche über die Achsel gehängt und seine Büchse ergriffen, und er war schon an der Tür, als ihm die Mutter nachrief:

»Du wirst sie dort nicht mehr finden ... kommst nur um deinen Kopf.«

»Ist ja mein eigen, worum ich komme. Aber dann geht auch dem anderen sein Kopf hin.«

Die Mutter sah und hörte, daß Juha es beschlossen hatte und nicht zurückzuhalten war. Der kommt nicht wieder – wegen der, dem Mensch, dem Russenweib ... jetzt geht er, jetzt läuft er dem Tod in die Arme, jetzt geht er ...

»Geh nur!« rief sie, Juha auf den Flur nachfolgend, durch dessen Tür Kaisa in demselben Augenblick hereinschlüpfte. – »Kaisa, hast du's gehört? Er geht Marja suchen.« – »Geh nur, aber du kriegst sie nicht mit fort, wenn du sie auch findest!«

»Was?«

Juha war auf der Flurtreppe stehen geblieben.

»Was sagst du?« drängte Juha, näher kommend.

»Nicht, Frau ...,« sagte Kaisa, sich das Gesicht bedeckend.

»Die geile Petze läßt sich nicht von der Straße locken!«

»O, o ihr!« wimmerte Kaisa.

»Sie ist gern gegangen!« rief die Alte, immer mehr in Wut geratend. »Hat sich ihm an den Hals geworfen!«

»Das ist eine Lüge!«

»Kaisa hat's gesehen, frag sie!« und mit einem gellenden Lachen zog sich die Alte in die Stube zurück. Die Magd hatte sich auf die Diele gekauert.

»Was hast du gesehen?« schrie Juha, sie an den Schultern rüttelnd.

»Ich habe nichts gesehen.«

Zugleich aber flossen ihr die Tränen aus den Augen.

»Sag, was du gesehen hast.«

Die Magd weinte nur. Juha stürzte in die Stube.

»Was hat sie gesehen?«

»Sie hat gesehen, wie das Boot stromabwärts sauste und in die Bucht abbog, als Marja am Ufer entlang nachlief und, wie um es anzuhalten, das Tuch schwenkte. Da legte er an und breitete die Arme aus, und Marja warf sich hinein. Er schleuderte sie ins Boot und sprang selber nach, und dann ging es los, und deine Marja hat gar nicht gerufen. Wer mit Gewalt entführt wird, der ruft.«

»Das lügst du,« keuchte Juha.

»Frag sie selbst! Komm, Kaisa, und sag, ob ich lüge.«

Das Mädchen kam nicht und antwortete nicht, man hörte nur ihr Weinen und Jammern in der Ecke des Flures. Sie hat nicht gelogen, wer weint, der lügt nicht.

Die Mutter stand beim Herd, halb abgewandt, mit höhnischem Gesicht über die Achsel blickend, Juha mit herunterhängenden Armen, ein wenig vornüber gebeugt.

»Sie ist gern gegangen, und meinetwegen konnte sie auch gehen!«

Aber da schoß Juha das Blut zu Kopfe. Es lag die Futterstampfe auf dem Fußboden. Er packte sie am Griff wie eine Holzkanne, schwang sie um den Kopf und schlug sie vor seiner Mutter nieder, daß ein Dielenbalken zerbrach.

»Das lügst du!«

Und stürzte aufbrüllend hinaus.

Die Mutter hatte sich, indem sie sich segnete, auf die Bank geduckt. Die Magd war in die Stube geflohen, als Juha an ihr vorbei durch den Flur rannte.

»Ist dem wohl jetzt nicht die Lust vergangen? Da sind auch die Waffen geblieben!«

»Ach, was habt ihr getan,« wimmerte die Magd. »Es wäre besser für ihn, ihr hättet ihm das Messer ins Herz gestoßen.«

»Dem ist die Lust vergangen.«

 


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