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Der Staat Puebla ist durch ein Plateau von mehr als fünf und zwanzig Meilen im Umkreis gebildet, durch welches sich die hohen Cordilleren von Anahuac ziehen.
Die Ebenen, von denen die Stadt umgeben ist, fallen stark ab, sind von Schluchten durchzogen, mit Hügeln übersäet und am Horizont von Bergen begrenzt, die mit ewigem Schnee bedeckt sind.
Unabsehbare Aloefelder, wahrhafte Weingärten dieser Gegenden, da aus dieser Pflanze der Pulque, das bei den Mexikanern so sehr beliebte Getränk bereitet wird, dehnen sich vor unsern Blicken aus.
Es giebt nichts Imposanteres als diese ungeheuren Aloeen, deren mit fürchterlichen Stacheln besetzte dicke, harte und glänzende Blätter eine Länge von sechs bis acht Fuß erreichen.
Beinahe zwei Meilen von Puebla, auf dem Wege nach Mexiko befindet sich die ehemals sehr wichtige Stadt Cholula, die heute, ihres früheren Glanzes beraubt, nur noch zwölf- bis fünfzehntausend Einwohner zählt.
Vor der Zeit der Azteken wurde das Gebiet, welches heute den Staat von Puebla bildet, von den Einwohnern als ein bevorzugtes Land und als das Heiligthum der Religion angesehen. Bedeutende und überdies vom archäologischen Gesichtspuncte aus sehr merkwürdige Ruinen bestätigen noch jetzt die Wahrheit unserer Behauptungen.
Drei Hauptpyramiden erheben sich auf einem sehr beschränkten Raume, ohne von den Ruinen zu sprechen, denen der Reisende fortwährend begegnet.
Von diesen drei Pyramiden ist überhaupt eine mit Recht berühmt, es ist diejenige, welcher die Bewohner Landes den Namen Monte hecho a mano geben, ein von Menschenhand errichteter Berg oder großer Teocali von Cholula.
Diese mit Cypressen gekrönte Pyramide, auf deren Gipfel sich heute eine der Nuestra Sennora de los remedios erhebt, ist ganz von Stein erbaut; sie hat eine Höhe von 170 Fuß und ihre Basis erreicht nach Humboldt's Berechnungen eine Länge von 13055 Fuß, etwas mehr als das Doppelte der Basis der Pyramide Cheops.
Herr Ampère macht mit vielem Tact und Feinheit bemerklich, daß die Einbildungskraft der Araber die für ihn unbekannte Wiege der ägyptischen Pyramiden mit Wunderwerken umgeben hat, deren Erbauung er bis auf die Sündfluth zurückführt, und daß es ebenso in Mexiko gewesen ist; bei dieser Gelegenheit erwähnt er einer im Jahre 1566 von Pedro del-Rio erhaltenen und in seinen jetzt im Vatican befindlichen Schriften aufbewahrten Tradition über die Pyramiden von Cholula.
Wir entleihen diesem berühmtem Gelehrten diese Tradition und werden sie hier so wiedergeben, wie sie in seinen »Spaziergänge in Amerika,« enthalten ist.
»Zur Zeit der großen Ueberschwemmung war das Land Anahuac (das Plateau von Mexiko) von Riesen bewohnt. Alle Diejenigen, welche bei diesem Unglück nicht umkamen, wurden in Fische verwandelt, ausgenommen sieben Riesen, die sich in Höhlen flüchteten, als die Gewässer sich verliefen. Einer dieser Riesen, Xelhua Chelhua mit Namen, der Baumeister war, errichtete bei Cholula, zur Erinnerung an den Berg Tlaloc, welcher ihm und seinen Brüdern als Zufluchtsstätte gedient hatte, eine künstliche Säule in pyramidaler Form. Die Götter, eifersüchtig über dieses Gebäude, dessen Gipfel bis in die Wolken reichte, und gereizt durch die Kühnheit Xelhua's schleuderten himmlisches Feuer auf die Pyramide, woher es kam, daß viele der Bauenden umkamen und das Werk nicht vollendet werden konnte. Es wurde Qualzalcoatl, dem Gott der Luft, geweiht.«
Sollte man nicht glauben, die biblische Erzählung von dem Thurmbau zu Babel zu lesen?
In diesem Bericht findet sich ein Irrthum, den man nicht dem berühmten Professor zuschreiben kann, den wir indessen, trotz unserer bescheidenen Eigenschaft als Romanschreiber, zu berichtigen für nützlich halten.
Quetzalcoatl, – die mit Federn bedeckte Schlange, wovon die Wurzel ist Quetzalli, Feder, und Coatl: Schlange und nicht Qualzalcoatl, was nichts bedeutet und nicht einmal mexikanisch oder besser gesagt, aztekisch ist, – ist der Gott der Luft, der vorzugsweise Gesetzgebende Gott: er war weiß und bärtig, und erschien in schwarzem Mantel mit rothen Kreuzen übersäet, in Tula, dessen Hoher-Priester er war; die Männer, welche ihn begleiteten, trugen schwarze Kleider in Form von Soutanen und waren, wie er, weiß.
Er kam durch Cholula, um sich nach dem geheimnißvollen Lande zu begeben, woher seine Vorfahren stammten, als die Cholulaner ihn baten, sie zu regieren und ihnen Gesetze zu geben. Er willigte ein und blieb zwanzig Jahre unter ihnen; dann, als er seine provisorische Aufgabe für beendet ansah, ging er bis an die Mündung des Flusses Huasacoalco, und dort verschwand er plötzlich, nachdem er den Cholulanern versprochen hatte, daß er eines Tages wiederkehren werde, um sie zu regieren.
Es ist kaum ein Jahrhundert her, daß die Indianer, sobald sie ihre Opfergaben nach der auf der Pyramide errichteten der Jungfrau geweihten Capelle trugen, Quetzalcoatl, den sie noch immer gläubig erwarteten, um seine Rückkehr baten; wir wagen nicht zu behaupten, daß dieser Glaube heutigen Tages vollständig erloschen ist.
Die Pyramide von Cholula gleicht in keiner Weise denjenigen, die man in Aegypten trifft, überall mit Erde bedeckt, ist sie ein bewaldeter Hügel, dessen Gipfel man eben so leicht zu Pferde wie zu Wagen erreichen kann.
An gewissen Stellen hat die herabrollende Erde die an der Sonne gebrannten Steine, welche zur Erbauung dienten, unbedeckt gelassen.
Eine christliche Kapelle erhebt sich auf dem Gipfel der Pyramide auf derselben Stelle, wo der dem Quetzalcoatl geweihte Tempel stand.
Wir bedauern, daß gewisse Autoren behauptet haben, eine Religion der Liebe habe einen barbarischen und grausamen Cultus ersetzt: es wäre logischer gewesen zu sagen, eine wahre Religion sei an die Stelle einer falschen getreten.
Niemals ist der Gipfel der Pyramide von Cholula mit Menschenblut getränkt worden, niemals ein Mensch dem Gott, welchen man in dem jetzt zerstörten Tempel anbetete, geopfert worden, aus dem einfachen Grunde, weil dieser Tempel Quetzalcoatl geweiht war und die einzigen auf dem Altar dieses Gottes dargebrachten Gaben in Erzeugnissen der Erde bestanden, wie Blumen oder Erstlinge der Ernte, und dies auf den bestimmten Befehl des gesetzgebenden Gottes, – ein Befehl, den seine Priester zu übertreten nicht gewagt haben würden.
Es war gegen vier Uhr Morgens; die Sterne begannen am tiefen Himmelszelte zu verschwinden, der Horizont färbte sich mit breiten, gräulichen Streifen, welche unaufhörlich wechselten und allmählich alle Farben des Regenbogens annahmen, um sich endlich in eine blutrothe Schattirung zu verschmelzen. Der Tag brach an, die Sonne ging auf. In diesem Augenblicke kamen zwei Reiter von Puebla und sprengten im raschen Trabe auf dem Wege von Cholula daher.
Beide waren sorgfältig in ihre Zarape gehüllt und schienen gut bewaffnet zu sein.
Ungefähr eine halbe Meile von der Stadt, machten sie eine rasche Wendung nach rechts und schlugen einen schmalen Fußweg ein.
Dieser, wie alle Communicationswege in Mexiko, sehr schlecht unterhaltene Pfad bildete unzählige Krümmungen und war von vielen Schluchten und Schlammlöchern durchschnitten, so daß man denselben nur mit der größten Schwierigkeit passiren konnte, wenn man nicht riskiren wollte, in zehn Minuten wohl zwanzig Mal den Hals zu brechen. Hier und da befanden sich Wasserlachen, welche das Pferd, bis zum Bauche im Wasser, durchwaten mußte; dann wieder ging es bergauf und bergab; endlich, nach einem schweren Ritt von wenigstens zwanzig Minuten, erreichten die beiden Reisenden den Fuß einer Art grob von Menschenhand errichteten Pyramide, die sich ungefähr vierzig Fuß über dem Boden der Ebene erhob.
Dieser künstliche Hügel trug auf seinem Gipfel einen Vaquero-Rancho, zu welchem man vermittelst Stufen gelangte, die in gewissen Entfernungen in die Seitenwände des Hügels gehauen waren.
Dort angekommen, hielt der Unbekannte sein Pferd an und stieg ab, sein Gefährte folgte seinem Beispiel.
Darauf überließen die beiden Männer ihre Pferde sich selbst; stießen den Lauf ihrer Flinten in eine Vertiefung am Grunde des Berges und bedienten sich ihrer Waffen als Hebel, indem sie auf den Kolben einen Druck ausübten.
Obwohl der Druck nur leicht war, so löste sich dennoch ein ungeheurer Stein, der vollständig mit dem Boden verwachsen schien, langsam los, drehte sich auf unsichtbaren Angeln und enthüllte den Eingang eines unterirdischen Ganges, der sanft abschüssig unter dem Erdboden hinlief.
Dieser unterirdische Gang empfing wahrscheinlich Luft und Licht durch eine große Menge unbemerkbarer Spalten, denn er war trocken und vollkommen hell.
»Geh, Lopez,« sagte der Unbekannte.
»Geht Ihr dort hinauf?« antwortete der Andere.
»Ja, Du wirst mich in einer Stunde aufsuchen, wofern ich nicht schon früher zurück bin.«
»Zu Befehl.«
Darauf pfiff er den Pferden, diese liefen herbei und auf ein Zeichen Lopez' traten sie ohne die geringste Schwierigkeit in den unterirdischen Gang.
»Auf baldiges Wiedersehen,« sagte Lopez.
Der Unbekannte machte eine bejahende Bewegung, der Diener trat ebenfalls in den Gang, ließ den Stein hinter sich zurückfallen, der sich so vollständig wieder auf den Felsen fügte, daß nicht die geringste Trennung des Zusammenhangs zu bemerken war und es unmöglich gewesen wäre, den Eingang, welchen er verbarg, selbst wenn man von seinem Dasein Kenntnis gehabt, wiederzufinden.
Der Unbekannte war stehen geblieben und schaute auf die ihn umgebende Ebene, offenbar wollte er sich vergewissern, ob er allein sei und keine indiscreten Blicke zu fürchten habe.
Sobald der Stein wieder an seiner Stelle lag, warf er seine Flinte über die Schulter und begann langsamen Schrittes, anscheinend in tiefes Nachdenken verloren, die Stufen zu erklimmen.
Von dem Gipfel des Hügels hatte man eine weite Aussicht: auf der einen Seite Zapotecas, Cholula, Haciendas und Dörfer; auf der andern Puebla mit seinen zahlreichen gemalten, runden Kuppeln, die es einer orientalischen Stadt vergleichbar machten; weiterhin irrte der Blick über Aloe- und indische Getreidefelder, durch welche sich, wie eine gelbe Linie, die Straße von Mexiko schlängelte.
Der Unbekannte überblickte einen Augenblick nachdenklich die zu dieser frühen Stunde vollständig öde Ebene, welche die ersten Strahlen der Sonne mit ihren leuchtenden Reflexen zu vergolden begann; ein erstickter Seufzer rang sich aus seiner Brust, er stieß die mit Ochsenhaut bedeckte Hürde, welche dem Rancho als Thür diente auf, und trat ein.
Der Rancho hatte von Außen den Anschein einer elenden, fast in Trümmer zerfallenen Hütte; indessen war das Innere comfortabler eingerichtet, als man es in einem Lande, wo die Anforderungen des Lebens, für die niedrige Volksclasse überhaupt, auf das Nothwendigste beschränkt sind, mit Recht erwarten konnte.
Das erste Zimmer, denn der Rancho hatte deren mehre, diente als Empfangs- und Speisesaal, der mit einem außen angebauten Verschlage, welcher als Küche diente, verbunden war. Die weißen Kalkwände dieses Saales waren nicht mit Gemälden, aber mit sechs bis acht ausgemalten Kupferstichen geschmückt, die in Epinal, der Stadt, die das ganze Weltall damit überschwemmt, fabricirt worden waren. Sie stellten verschiedene Episoden aus dem Kriege des Kaiserreiches dar, und waren sauber unter Glas und Rahmen gebracht. In einer Ecke befand sich, in einer Höhe von ungefähr sechs Fuß eine, die Nuestro Sennora de Guadalupe darstellende Statue, welche auf einer Palissanderconsole stand, auf deren am Rande befindlichen Leuchterdillen drei gelbe Wachskerzen brannten. Sechs Equipals, vier Butaccas, ein mit verschiedenem Hausgeräth besetztes Büffet, und ein ziemlich großer, mitten im Saal stehender Tisch vervollständigten das Meublement dieses durch zwei mit rothen Vorhängen versehene Fenster noch heiterer erscheinenden Zimmers.
Der Fußboden war mit einer Matte von sehr sinniger Arbeit bedeckt.
Wir haben ein wegen seiner Seltenheit ziemlich wichtiges Meubel zu erwähnen vergessen, dem man an einem solchen Orte zu begegnen nicht erwartet haben würde; dieses Meubel war eine Schwarzwälder Kuckuksuhr, über welcher sich der genannte Vogel befand, dessen Ruf den Ablauf der ganzen und halben Stunden verkündete.
Diese Kuckuksuhr befand sich gerade zwischen den beiden Fenstern, der Eingangsthür gegenüber.
Eine Thür zur Rechten führte in die innern Gemächer.
In dem Augenblick, wo der Unbekannte in den Saal des Rancho trat, war derselbe leer.
Er lehnte seine Flinte in eine Ecke des Gemachs, seinen Hut auf den Tisch, öffnete ein Fenster und nahm vor demselben in einer Butacca Platz, dann drehte er eine Cigarette von Maisstroh, zündete sie an und begann so ruhig und mit solcher Gemächlichkeit zu rauchen, als befände er sich in seiner Behausung. Bald darauf warf er einen Blick auf den Kuckuk und murmelte:
»Halb sechs Uhr! gut, ich habe Zeit, er wird noch nicht kommen.«
So zu sich selbst redend, lehnte sich der Unbekannte in seine Butacca zurück; seine Augen hatten sich geschlossen, seine Hand die Cigarette entgleiten lassen, und einige Minuten später war er in einen tiefen Schlaf gesunken.
Sein Schlaf dauerte seit ungefähr einer halben Stunde, als eine Thür hinter ihm geöffnet wurde und eitle reizende junge Frau, von höchstens drei und zwanzig Jahren, mit blauen Augen und blondem Haar, mit leisen Schritten in den Saal trat, neugierig den Kopf vorstreckte und auf den Schläfer einen wohlwollenden, fast zärtlichen Blick heftete.
Das Gesicht der jungen Frau drückte Heiterkeit und Spott aus, welche mit außerordentlicher Güte gepaart waren; ihre Züge, ohne regelmäßig zu sein, bildeten ein coquettes, anmuthiges Ganze, welches auf den ersten Blick gefiel; ihre außerordentlich weiße Hauptfarbe unterschied sie von den andern Rancherosfrauen, die meistens kupferfarbene Indianerinnen waren; ihre Tracht bestand in derjenigen, welche ihrer Classe zukam, aber sie war von bemerkenswerther Reinlichkeit und wurde mit einer herausfordernden Coquetterie getragen, die ihr zum Entzücken stand.
So gelang sie ganz leise zu dem Schläfer, den Kopf nach rückwärts gewendet und den Finger auf den Mund gelegt, um ohne Zweifel den beiden Personen, – ein Mann und eine Frau – die ihr folgten, anzuempfehlen, so wenig wie möglich Geräusch zu machen.
Diese beiden Personen hatten, die Frau das fünfzigste, der Mann beinahe das sechszigste Jahr erreicht; ihre ziemlich gemeinen Züge hatten nichts Hervorragendes, außer einem Ausdruck energischen Willens, der ihren Physiognomien aufgeprägt war.
Die Frau trug die Kleidung der mexikanischen Rancheras; ihr Mann dagegen war ein Vaquero.
Als alle Drei bei dem Unbekannten angelangt waren, blieben sie schweigend vor ihm stehen und blickten den Schläfer an.
In diesem Augenblick drang ein Sonnenstrahl durch das offene Fenster und traf das Gesicht des Unbekannten.
»Wahrhaftig!« rief er in französischer Sprache, indem er die Augen öffnete und rasch aufsprang, »ich glaube, der Teufel hol' mich, daß ich eingeschlafen bin!«
»Ei! Herr Olivier,« antwortete der Ranchero in derselben Sprache, »was ist da Uebles dabei?«
»Ah! da seid Ihr, meine lieben Freunde,« sagte er mit einem heitern Lächeln, indem er ihnen die Hand reichte; »ein freudiges Erwachen für mich, da ich Euch an meiner Seite finde. Guten Morgen, Louise, mein Kind, guten Morgen Mutter, Therese und Du, mein alter Loïck! Ihr habt so Glück verheißende Gesichter, die man mit Vergnügen sieht.«
»Wie betrübt bin ich, daß Ihr so aus dem Schlafe gestört seid, Herr Olivier,« sprach die reizende Louise.
»Um so mehr, als Ihr ohne Zweifel sehr ermüdet seid,« bekräftigte Loïck.
»Bah! ich denke nicht mehr daran; Ihr erwartetet nicht, mich hier zu finden, nicht wahr?«
»Entschuldigt, Herr Olivier,« versetzte Therese, »Lopez hat uns von Eurer Ankunft benachrichtigt.«
»Dieser Bursche Lopez kann seinen Mund nicht halten,« bemerkte Olivier heiter, »er muß immer schwatzen.«
»Ihr werdet doch mit uns frühstücken, nicht wahr?« fragte die junge Frau.
»Ist das eine Frage, mein Kind,« sagte der Vaquero; »es wäre schön, wenn Herr Olivier es uns abschlüge.«
»Nun, Murrkopf, zanke nicht,« scherzte Olivier, »ich werde mit Euch frühstücken.«
»Ah! das ist gut« rief die junge Frau.
Und von Therese, ihrer Mutter, unterstützt, begann sie Alles zum Morgenimbiß vorzubereiten.
»Aber Ihr wißt,« sagte Olivier, »nichts Mexikanisches; ich will von der schauderhaften Küche des Landes nichts wissen.«
»Beruhigt Euch,« antwortete Louise lächelnd; »wir werden auf französische Art frühstücken.«
»Bravo, das verdoppelt meinen Appetit.«
Während die beiden Frauen ab und zu gingen, um das Frühstück zu bereiten und den Tisch zu decken, waren die beiden Männer am Fenster geblieben und plauderten mit einander.
»Seid Ihr noch immer zufrieden?« fragte Olivier seinen Wirth.
»Ja, noch immer,« versetzte dieser, »Don Andrès de-la-Cruz ist ein guter Herr, überdies komme ich wenig in Berührung mit ihm, wie Ihr wißt.«
»Das ist wahr, Ihr habt nur mit Leo Carral zu thun.«
»Ich beklage mich nicht über ihn, er ist ein würdiger Mann; wir verstehen einander vollkommen.«
»Um so besser! ich wäre untröstlich gewesen, wenn es anders wäre, überdies da Ihr auf meine Empfehlung diesen Rancho bewilligt erhalten habt, würdet Ihr wenn es Etwas gäbe ...«
»Würde ich nicht zögern, Euch, Herr Olivier, davon in Kenntniß zu setzen; aber was Das anbetrifft, so geht Alles gut.«
Der Abenteurer blickte ihn fest an.
»Es giebt also etwas Anderes, wo es nicht so gut geht?« fragte er.
»Ich sage Das nicht, Herr,« stammelte verwirrt der Vaquero.
Olivier schüttelte den Kopf.
»Erinnert Euch, Loïck,« sagte er streng, »welche Bedingungen ich Euch auferlegte, als ich Euch Verzeihung bewilligte.«
»Oh! ich vergesse sie nicht, Herr.«
»Ihr habt nicht gesprochen?«
»Nein.«
»Also Dominique glaubt noch immer ...«
»Ja, noch immer,« antwortete er, indem er den Kopf senkte, »aber er liebt mich nicht.«
»Was läßt Euch dies voraussetzen?«
»Ich bin dessen nur zu gewiß, Herr, seid Ihr ihn in die Prairien gebracht habt, ist sein Charakter vollständig verändert; die zehn Jahre, welche er fern von mir zugebracht hat, haben ihn vollkommen gleichgültig gemacht.«
»Vielleicht ist dies ein Vorgefühl,« murmelte dumpf der Abenteurer.
»Oh! sagt dies nicht, Herr!« rief er mit Schrecken, »das Elend ist eine schlechte Rathgeberin; ich bin sehr schuldig gewesen, aber wenn Ihr wüßtet, wie ich mein Verbrechen bereut habe.«
»Ich weiß es und deshalb habe ich Euch verziehen. Die Gerechtigkeit wird einst den wahrhaft Schuldigen treffen.«
»Ja, Herr, und ich Elender, ich zittere, mich in diese unheilvolle Geschichte, deren Entwicklung schrecklich sein wird, gemischt zu haben.«
»Ja wohl schrecklich, in der That,« sagte mit aller Energie der Abenteurer, »und Ihr werdet dabei sein, Loïck.«
Der Vaquero stieß einen Seufzer aus, der dem Andern nicht entging.
»Ich habe Dominique noch nicht gesehen,« begann er, plötzlich den Ton wechselnd, »schläft er noch?«
»Oh! nein, Ihr habt ihm zu gute Anleitung gegeben, Herr; er ist von uns Andern immer der Erste wach.«
»Wie kommt es, daß er dann nicht hier ist?«
»Ah!« antwortete zögernd der Vaquero, »er ist ausgegangen; ei, er ist Herr seiner Handlungen, jetzt er zweiundzwanzig Jahre zählt!«
»Schon!« murmelte der Abenteurer mit düsterer stimme. Dann, rasch den Kopf schüttelnd, setzte er hinzu:
»Laßt uns frühstücken!«
Die Mahlzeit begann unter ziemlich traurigen Auspicien, aber Dank den Anstrengungen des Abenteurers trat die frühere Heiterkeit bald wieder ein und das Ende des Frühstücks war so munter, als man es nur wünschen, konnte.
Plötzlich trat Lopez rasch in den Rancho.
»Sennor Loïck,« sagte er, »hier kommt Euer Sohn; ich weiß nicht, was er mit sich bringt; aber er kommt zu Fuß und führt sein Pferd am Zügel.«
Alle erhoben sich und verließen den Rancho.
Auf Schußweite in der Ebene bemerkte man in der That einen Mann, der sein Pferd am Zügel führte; ein ziemlich umfangreiches Bündel war auf dem Rücken des Thieres befestigt.
Die Entfernung verhinderte zu unterscheiden, von welcher Art dieses Bündel war.
»Das ist seltsam,« flüsterte Olivier mit leiser Stimme, nachdem er den Näherkommenden einige Augenblicke aufmerksam betrachtet hatte, »sollte er es sein? Oh! ich will sogleich klar darüber werden.«
Und nachdem er Lopez ein Zeichen gegeben, ihm zu folgen, eilte der Abenteurer die Stufen hinunter und ließ den Vaquero und die beiden Frauen bestürzt zurück, die ihn bald in der Ebene, von Lopez gefolgt, Dominique entgegen laufen sahen.
Dieser hatte die beiden Männer bemerkt und machte Halt, um sie zu erwarten.