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Einleitung

Der Roman des gefeierten spanischen Dichters, welchen wir in deutscher Uebersetzung unserer Sammlung einverleibt haben, tragt im Original den Titel El niño de la bola: der Knabe mit der Weltkugel, wie das Christuskind in Spanien vielfach genannt wird. Das Hauptinteresse liegt in der Schilderung spanischer Verhältnisse: wer in diesem Romane, sozusagen, europäische Sitten und Anschauungen zu finden meint, wird sich enttäuscht finden. Es ist alles spanisch: wie der Held noch die andalusische Jacke und keinen Rock trägt, so hat alles den Stempel ausgeprägter Nationalität. Die beiden Liebenden wechseln in dem ganzen Romane kaum ein Wort! Die ganze Entwicklung in ihren sämtlichen Phasen spielt hauptsächlich, ja zum Teil ganz, auf der Straße: an allen Leiden und Freuden der beiden Hauptpersonen nimmt die ganze Stadt, die von allem aufs genaueste unterrichtet ist, den lebhaftesten Anteil.

Die Schilderung des spanischen Lebens ist dem Dichter in so ausgezeichneter Weise geglückt, weil ihm eine Kenntnis des Lebens seines Vaterlandes in allen seinen Höhen und Tiefen, eine so absolute Herrschaft über dieses ganze Material an Eindrücken, Kenntnissen, Erfahrungen und Beobachtungen zu Gebote steht, daß ihm der Leser augenblicklich sein Vertrauen schenkt, und stets seiner Sache völlig gewiß ist, hier keine erlogenen, gemachten Verhältnisse kennen zu lernen, sondern nur das, was sich jeden Augenblick ereignen kann, weil es aus dem innersten Leben des Volkes geschöpft ist.

Hierin unterstützt den Dichter eine seltne Herrschaft über die Sprache. Die Haupteigenschaften des Spanischen der guten Schriftsteller, körnige Einfachheit, schlagende, die Sache auf den Kopf treffende Ausdrücke, ein gewisser wohlthuender Mangel an affektierten, konventionellen Redewendungen, die besonders das Französische so mancher modernen Schriftsteller oft unerträglich erscheinen lassen – über alle diese Eigenschaften verfügt Alarcon in hervorragendem Maße.

Ein ganz besonderes Interesse gewinnt ferner der Roman noch dadurch, daß bis ans einen gewissen Grad die Geschichte Manuel Venegas' die eigne Leidensgeschichte Alarcons ist. Im Jahre 1833 in Guadix, einer Landstadt Andalusiens von etwa 11,000 Einwohnern, geboren, erhielt er zuerst eine priesterliche Erziehung. So ist denn die Schilderung der Jugend seines Helden ebenso naturwahr und dem wirklichen Leben abgelauscht, wie die maurische Stadt, welche er mit so rührender Liebe, so genauer Kenntnis und so glänzender Anschaulichkeit schildert, eben nichts anders als seine Vaterstadt Guadix ist. Wie die Venegas, so hatte auch seine eigne, altadelige Familie ihr Vermögen in dem Freiheitskriege verloren. Freilich hat er in dem Helden nur einen Teil seines eignen Ich geschildert: er hat gewissermaßen das aus sich herausgenommen, was er war, ehe er in die Welt eintrat – das, was er geworden wäre, wenn die Bildungseinflüsse des modernen Lebens auf seinen Charakter keinen Einfluß gewonnen hätten. Denn während Manuel in der Enge provinziellen Daseins sein heißes andalusisches Blut allein das Rätsel seines Daseins beantworten läßt, ohne sich daran zu kehren, daß die Welt die Bethätigung menschlicher Eigenart in die unübersteiglichen Schranken der Sitte und des Gesetzes einschließt – hat Alarcon nach Abwerfung des Seminaristenrockes als Journalist, dramatischer Dichter, Romanschriftsteller und Politiker die Welt nicht weniger kennen gelernt wie als Soldat: als Freiwilliger am afrikanischen Kriege von 1858 teilnehmend, dabei verwundet und mit einem Orden geschmückt, mehrfach in die Cortes gewählt und jetzt als einer der bedeutendsten Schriftsteller Spaniens allgemein gefeiert, verfügt er über eine reiche, das gesamte Leben Spaniens umfassende Welterfahrung.

F. Eyßenhardt.


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