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Zweites Buch.

Vorhergehendes.

1.

Spinne und Fliege.

In dem denkwürdigen Jahre 1808 lebte in der mehrfach erwähnten Stadt ein ehrenhafter und ritterlicher Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren, verwaist und unverheiratet, mit Namen Don Rodrigo Venegas, der sich rühmen konnte, von jenem Reduan Venegas abzustammen, der als Maurenkönig mit einer Ader christlichen Blutes der romantischen Verbindung eines Abkömmlings des fürstlichen Hauses Luque mit der schönen Prinzessin Cetimerien, die zu den Nachkommen des Propheten Mohammed gehörte, sein Dasein zu verdanken.

Jedenfalls hatte unser Rodrigo von seinen Vorfahren ein großes Vermögen und einen uralten und weitläufig gebauten Palast geerbt, über dessen Thor das Wappen der erlauchten Familie prangte, welches in seiner symbolischen Sprache von Thaten redete, die man jetzt in Spanien nicht mehr thut. So saß er, ein Mann hohen Sinnes und edler Vorsätze, in jener zurückgebliebnen und philisterhaften Stadt, ohne zu wissen, was er mit seinem Gelde und seinem Blute anfangen sollte, so entschlossen er auch war, beides für große und erhabne Zwecke dahinzugeben.

Man kann sich daher leicht vorstellen, welchen Eindruck auf ihn der plötzliche Ausbruch des Freiheitskrieges machte. Als Spanier, wenn auch in Wahrheit von ungetauften Spaniern abstammend, ergriff er sogleich die Waffen gegen die Franzosen; da er jedoch nicht der Mann war, sich mit dem zu begnügen, was jeder andre ebenso thun konnte, so trieb er den Patriotismus so weit, auf eigne Kosten während der nächsten vier Jahre eine Abteilung freiwilliger Reiter zu bewaffnen, auszurüsten und zu unterhalten. An der Spitze derselben bedeckte er sich in zahlreichen Gefechten mit Ruhm. Die Folge hiervon war, daß er, als er nach dem Siege bei Salamanka und dem Einzuge unsrer Armee in Madrid in seine Vaterstadt zurückkehrte, um seine fünfte Wunde heilen zu lassen, ohne daß er irgend eine Belohnung der Regierung angenommen hatte, seine Kornhäuser leer, sein Vieh gefallen, seine Ländereien seit 1809 unbeackert und seine Oel- und Weinberge von den rachesüchtigen Soldaten Sebastianis mit Stumpf und Stiel vernichtet fand. Doch damit war der Verlust an Vermögen noch nicht erschöpft. Er war außerdem noch dem reichsten und erbarmungslosesten Wucherer der Stadt (von dem er nach den Tagen von Bailén, Ocanna und Talavera hatte Geld borgen müssen, um seine glorreichen Freiwilligen erhalten zu können) die Summe von viertausend spanischen Thalern schuldig, und die Zinsen und Zinseszinsen dieser Summe beliefen sich auf nicht weniger als zehntausend Thaler, gemäß der für die Wucherer so ersprießlichen Zinseszinsenrechnung.

Alles dies ertrug der hochherzige Rodrigo mit Geduld, ja mit derselben stolzen Freude, mit welcher er zwei Schieß- und drei Stichwunden bei der Verteidigung des Vaterlandes empfangen hatte. Weniger geduldig waren einige einflußreiche Freunde Rodrigos, die den Darleiher kannten und von ihm, ohne von Rodrigo irgendwie dazu veranlaßt zu sein, verlangten, er solle etwas von den Wucherzinsen, mit Rücksicht auf den edeln Zweck, nachlassen, zu welchem der tapfre Rodrigo das Geld gebraucht hatte.

Der Wucherer war einer von den herz- und gefühllosen Menschen, von denen niemand weiß, warum sie reich sind, oder auch nur, warum sie leben. So gab es denn auch kein menschliches Mittel, um ihn zu bewegen, auch nur einen Maravedi nachzulassen, oder ihm den Gedanken beizubringen, daß Rodrigo besondre Berücksichtigung verdiente. Don Elias (so hieß er nämlich, während das Volk ihn Kaiphas nannte) erwiderte, er verstehe nichts vom Vaterlande, sondern nur etwas von Zahlen; er fordere keinen Heller mehr, als das, was ihm der verschwenderische Hidalgo schulde, und zwar gemäß der Dokumente, die er so sorgfältig wie Gold aufbewahrte. Natürlich hatte sein Schuldner, als er dieselben unterzeichnete, nicht berechnet, wie hoch sich die Zinsen belaufen würden, wenn er die Zahlungstermine versäumte. Die Folge war, daß Rodrigo die Schuldverschreibungen der durch die Zinsen auf vierzehntausend gestiegnen ursprünglichen viertausend Thaler auf zehn Jahre erneuern und andre sechstausend dazu borgen mußte, um seine Oelgärten und Weinberge wieder instandzusetzen. Aber auch diese sechstausend sah er sich genötigt, von Elias zu borgen, und zu diesen zwanzigtausend Thalern kamen nun noch fünftausend als Zinsen des ersten Jahres, so daß er ihm fünfundzwanzigtausend Thaler schuldig war, ohne doch mehr erhalten zu haben, als zehntausend!

Von 1813 bis 1823 quälte sich Rodrigo redlich, um seine Schuld allmählich zu tilgen, oder wenigstens die jährlichen Zinsen zu bezahlen und so den Ruin einer nochmaligen Zinseszinsberechnung zu vermeiden. Und wirklich bekam er es in einigen Jahren fertig, von seinen Einkünften zehn- bis zwölftausend Realen dem Wucherer (der ihm übrigens nie etwas abverlangte) einzuhändigen. Aber im folgenden Jahre bezahlten ihm seine Pächter wenig oder gar nichts. Als Grund figurierten zum Teil wirkliche, zum Teil fingierte Dürre, Hagelschlag, Heuschreckenplage oder irgend ein andres Unglück, und statt seinem Gläubiger Geld zu geben, mußte er neue Summen von ihm borgen, um sich bis zur nächsten Ernte durchzuhelfen. Alles dies geschah natürlich unter um so härteren Bedingungen, je dringender die Not war.

Das Einzige, woran Venegas während dieser ganzen Zeit auch nicht im Traume dachte, war, zu arbeiten, Handel zu treiben, neue Industriezweige zu schaffen, Fabriken anzulegen, kurz auf irgend eine Weise zu versuchen, durch sich selbst Geld zu verdienen. Wehe ihm, wehe seinem Namen, wehe seiner Ehre, wenn er das versucht hätte! Derartige Beschäftigungen, derartiger Schacher (so sagte man damals) waren in jener Zeit (und sind es bis ganz vor kurzem geblieben) eines andalusiscben Edelmannes unwürdig. Ein solcher Mann war augenscheinlich nur dazu geboren, spazieren zu gehen und sich des Ruhmes und der Thaten seiner Vorfahren zu erinnern, schnell und fröhlich das auszugeben, was jene erworben hatten, und dann vor Hunger in dem äußersten Winkel des verschuldeten Palastes seiner Ahnen zu sterben, ohne einen andern Zeugen seines Todeskampfes als ein oder das andre alte, dem Auseinanderfallen nahe Möbel, wie es jetzt der neue Geldadel mit Gold aufwiegt und wie es damals selbst von den betrognen Wucherern verschmäht wurde.

Was wir gesagt haben, ist (wenn es auch nicht ganz auf Rodrigo paßt, von dem wir ja wissen, daß er etwas Großes und Edles gethan hatte) so streng der Wahrheit gemäß, daß noch gestern früh, wie man zu sagen pflegt, in den Städten wie auf den Dörfern Andalusiens alles, was Handel oder Industrie trieb, aus Santander, Galizien, Katalonien oder der Rioja stammte. So war auch der alte Wucherer, den das Volk Kaiphas nannte, um zu verstehen zu geben, daß man in sein Haus nur eintrat, um gekreuzigt zu werden, aus der Rioja in Altkastilien. Er war nach der Stadt gekommen, um »für fremde Rechnung« Tuchwaren aus Ezcaray und Pradoluengo zu verkaufen, und that dies mit solchem Geschick, daß er nach zwei Jahren »für eigne Rechnung« ein großes Magazin mit allen möglichen Waren eröffnete. Nach vier Jahren sprachen ihm die Gerichte Besitzungen zu, auf die zahlungssäumige Edelleute von ihm Geld geborgt hatten. Nach sechs Jahren baute er sich ein schönes Haus, so groß wie ein Schloß, und trat seinen Laden einem Landsmanne ab, um sich ganz den Geldgeschäften zu widmen. Nach zwanzig Jahren war er Besitzer der Hälfte des einst den Mauren abgenommnen und von Ferdinand und Isabella den sogenannten ersten Einwohnern aufgeteilten Landes.

Um zu Rodrigo zurückzukehren – wenn wir uns auch nicht weit von ihm entfernt haben, da er sich ja in den Klauen des Wucherers befand – so hatte er sich in der Zeit zwischen seiner Rückkehr aus dem Kriege und dem Zeitpunkte, wo seine Verbindlichkeiten gegen Elias ihm über den Kopf wuchsen, mehr aus Mitleid als aus Leidenschaft mit einem armen und verwaisten Mädchen aus sehr vornehmer Familie verheiratet. Bald nach der Geburt eines Sohnes, als das Mitleid sich schon in Liebe verwandelt hatte, war er Witwer geworden. Auf den Rat seiner klugen Gemahlin hatte er allmählich seinen frühern Luxus eingeschränkt, Pferde, Juwelen, kostbares Hausgerät, reiche Stoffe, große Mengen Silbergeschirr verkauft, Diener entlassen und seine Ausgaben so weit beschränkt, als die Rücksicht auf seinen Stand erlaubte. Doch in diesem seinem Stande wie in der ganzen Stadt wurde er um so mehr geliebt und geachtet, je ärmer er wurde.

Auf der andern Seite verwandelte sich die allgemeine Abneigung, die man, wie gegen alle die, welche mit den Schmerzen und dem Leiden ihrer Nebenmenschen Handel treiben und dabei gedeihen, so gegen Elias stets gehegt hatte, im Jahre 1823 geradezu in lebhaften Haß und allgemeine Verwünschung, da sich voraussehen ließ, daß der von dem Wucherer immer noch genährte Krebsschaden jener unbezahlbaren Schuld die ganze reiche Erbschaft des Hauses Venegas verschlingen würde. So lebte also der reiche Geizhals eingeschlossen in seinem Hause, ohne es jemals zu verlassen; selbst zur Messe wagte er nicht zu gehen, da er die Verachtung der ganzen Bevölkerung und besonders die Beschimpfungen des gemeinen Volkes und der Kinder fürchtete, welche ihn ins Gesicht Kaiphas nannten. Monate brachte er mit der einzigen Beschäftigung zu, auf die gute Frau, die früher seine Dienerin gewesen war und die er dann geheiratet hatte, zu schimpfen und zu brummen, und ein reizendes Mädchen von acht Jahren, das Kind seines Alters, zu liebkosen und mit Perlen und Brillanten zu schmücken: sie liebte er mit allen Kräften seiner Seele, oder dem, was man bei andern Menschen Seele nennt.

Als so die Sachen standen und bei der letzten Abrechnung Don Rodrigo die Summe von 147,209 Thalern (das heißt etwa drei Millionen Realen oder zwischen sieben und achtmalhunderttausend Franks) schuldete, als der unglückliche Edelmann berechnen konnte, daß alle seine Pachthöfe, Weinberge und Oelgärten zusammen mit seinem alten Palaste, öffentlich verkauft, selbst bei guter Bezahlung noch lange nicht jene Summe einbringen könnten; als er, mutig und geduldig wie immer und vor allem auf die Zukunft seines Sohnes bedacht, schon daran dachte, sich zur Belohnung für seine Dienste im Freiheitskriege (im Alter von einundvierzig Jahren!) eine Stelle als Fähnrich zu erbitten und gegen jene andern Franzosen zu kämpfen, die damals den Boden des Vaterlandes entheiligten – begab es sich, daß eines Morgens das einzeln stehende Haus des Geldmannes in Flammen stand.

Es kostete dem Wucherer große Mühe, sich und seine halberstickte Tochter aus den Flammen zu retten; seine entsetzte Frau folgte ihnen, aber es war nicht möglich, weder Hausgerät noch Kleinodien, noch bares Geld, noch selbst die kostbaren Papiere zu retten, welche seine großen Forderungen an Don Rodrigo und verschiedne andre Personen dokumentierten. Das Schlimmste an der Sache war, daß die Feuersbrunst nicht für zufällig entstanden gelten konnte und auch von niemand dafür gehalten wurde. Ja die ganze Bevölkerung sah sie mit großem Vergnügen oder eisigkalter Teilnahmslosigkeit an. Die Zünfte der Tischler und Zimmerleute (damals wußte man in der guten Stadt noch nichts von Spritzen und Feuerwehr) machten nur sehr geringe Versuche, das Feuer zu löschen, so sehr auch die Obrigkeit dazu ermahnte. Ja, der wütende Don Elias, der sich in das Haus des Alkalden geflüchtet hatte, rief laut aus, das Feuer sei von seinen Schuldnern angelegt, die auf diese Weise ihre Schuldscheine hätten vernichten wollen.

So ernste Begebenheiten und Anklagen weckten an jenem Morgen den edeln und mutigen Venegas aus dem Schlafe. In fliegender Hast, fortgerissen mehr von seinem edeln Impulse, als von der Furcht vor elender Verleumdung, eilte er nach dem brennenden Hause, ermunterte einige Tischler, warf sich mitten in den Rauch und die Flammen hinein, kletterte auf einem Treppengeländer in den ersten Stock, eilte in das Zimmer des Don Elias, welches mit das am meisten bedrohte war, drang gegen den Rat der Arbeiter, die ihm geholfen hatten die Thüre zu sprengen, in dasselbe ein, ergriff eine alte Schatulle, in welche er den Wucherer häufig Wertpapiere und Quittungen hatte legen sehen, und warf sie durch das Fenster auf die Straße. Bald darauf kam auch Venegas, begleitet von den Beifallsrufen der Volksmenge, aus jenem Vulkan heraus mit schrecklichen Brandwunden an Gesicht und Händen und in zerrissnen und rauchenden Kleidern. Trotzdem dachte er nicht daran, für seine Wunden zu sorgen, sondern untersuchte den Inhalt der durch den Fall zerschmetterten Schatulle, nahm alle ihn betreffenden Dokumente an sich und eilte atemlos in das Haus des Alkalden.

»Nehmen Sie, Sennor Don Elias,« sagte er zu seinem verruchten Gläubiger, der sich, als er ihn so ankommen sah, entsetzt hatte, weil er glaubte, er wolle ihn töten, »nehmen Sie, hier sind alle meine Schuldscheine und Quittungen: Sie können nun mit meinem Vermögen machen was Sie wollen.«

Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, so stürzte er in den entsetzlichen Zuckungen des Starrkrampfes zu Boden.

Wenige Stunden nachher war er eine Leiche.

2.

Abrechnung

Wir brauchen den Schmerz nicht zu beschreiben, den in der Stadt und der ganzen Umgegend der Tod des ritterlichen Edelmannes hervorbrachte. Ebenso verzichten wir auf eine Beschreibung des großartigen Begräbnisses, welches ihm seine Standesgenossen um so lieber veranstalteten, als es nichts dabei zu bezahlen gab, selbst die Musik der Domkapelle spielte umsonst, der Wachslichthändler verzichtete auf jede Bezahlung und die Kirchspiele stritten sich darum, welches die Ehre haben sollte, dem ruhmreichen Toten umsonst die letzte Stätte zu gewähren. Nur eins wollen wir erwähnen, damit man sich eine Vorstellung von der allgemeinen Begeisterung machen kann, daß am Nachmittage des Tages der Leichenfeier – der übrigens der Wucherer nicht beiwohnte – kein Mensch daran zweifelte, Kaiphas selbst werde, um die Heldenthat Rodrigos zu belohnen, sich damit begnügen, die zehn- oder zwölftausend Thaler, die er wirklich ausgezahlt hatte, mit mäßigen Zinsen für sich in Anspruch zu nehmen, und den Rest des Vermögens dem armen verwaisten Knaben überlassen, der im Alter von zehn Jahren allein in der Welt blieb, einzig angewiesen auf das Mitleid guter Seelen.

Schnell jedoch wurde den Bethörten ihr Irrtum genommen. Elias wartete nicht einmal, bis sein abgebranntes Haus aufhörte zu rauchen (übrigens hatte er beiläufig gesagt nichts weiter verloren, als den Wert des Hauses, sechs- bis achttausend Thaler an Kleidern, Hausgerät und Juwelen seiner Tochter und etwas bares Geld), sondern präsentierte an demselben Tage, an welchem Rodrigo begraben worden war, auf dem Gerichte die Schuldverschreibungen und Quittungen des Verstorbenen, indem er die gesamte Schuld, das heißt etwa drei Millionen Realen, einklagte.

Es kostete dem Richter große Ueberwindung, den Anspruch des Wucherers für gerechtfertigt zu erklären. Aber derselbe hatte den Strick so fest angezogen und der edle Schuldner hatte sich so fest binden lassen, daß es unumgänglich notwendig war, das ganze Besitztum Rodrigos öffentlich meistbietend verkaufen zu lassen. Es fehlte von seiten andrer Edelleute und wohlsituierter Männer nicht an gutgemeinten Vorschlägen, Vereinigungen, Reden und selbst Beschlüssen, in denen man einstimmig die Notwendigkeit anerkannte, bei der Auktion zu erscheinen, die einzelnen Lose möglichst hoch im Preise zu treiben und dann gemeinsam den eventuell entstehenden Schaden zu tragen, damit man dem jungen Venegas auf anständige Weise ein Stück Brot verschaffte: – aber man weiß ja, wie es bei solchen Gelegenheiten zu geschehen pflegt. Es wurde so viel gesprochen, daß aus den Reden Zerwürfnisse zwischen den verschiedenen Wohlthätern entstanden. Man stritt sich darüber, wer zu den größten Opfern bereit sei, über die geheimen Beweggründe eines jeden, über das, was in einem ähnlichen Falle einst geschehen war, über die politischen Ansichten und Thaten des Verstorbenen in der stürmischen Epoche der Freiheitskriege; und aus all diesen Zänkereien entstanden derartige Unannehmlichkeiten, daß sich viele, besonders solche Leute von dem Unternehmen zurückzogen, die selber dem Geldmanne bedeutende Summen schuldig waren. So gingen die Tage dahin und die Subhastation fand statt, ohne daß der Termin von andern als dem Wucherer besucht war. Es mußte also zu großem Bedauern des Publikums von Rechts wegen dem Gläubiger der Zuschlag erteilt werden, und Weinberge, Oelgärten, Palast, das Hausgerät, die Kleidung, ja selbst der Degen des ruhmreichen Edelmannes ging im Werte von hunderttausend und etlichen Thalern in Elias' Besitz über.

»Ich verliere eine Million!« sagte der entsetzliche Alte, Während er das Subhastationsprotokoll unterzeichnete. – »Aber was hilft es! Die Güter des verschwenderischen und unordentlichen Venegas sind keinen Heller mehr Wert als ...«

»Nichts verlieren Sie; Sie verdienen hierbei etwa zwei Millionen!« antwortete ernst einer von den Gerichtspersonen. »Freilich werden Sie dafür, wie es alle Welt erwartet, dem unschuldigen, verwaisten Knaben eine bedeutende Summe aussetzen, seine Erziehung bestreiten, für seine Zukunft sorgen, und ...«

»Ich? Für seine Zukunft sorgen? Was sagen Sie? Ich habe schon genug daran, für meine Tochter zu sorgen! Was die Geschenke bedeutender Summen anlangt, so werden sie wohl die Bewunderer des toten Helden am jüngsten Tage besorgen! Es ist sehr leicht aus andrer Leute Tasche Geschenke zu machen!«

»Aber bedenken Sie doch, daß dann der Knabe darauf angewiesen ist, zu betteln!«

»In seinem Alter bettelte ich selber!« erwiderte der Wucherer und drehte seinem Ratgeber den Rücken.

Die allgemeine Wut gegen Elias erreichte den Gipfel, als man diese Einzelheiten erfuhr, und der schlaue Riojaner konnte von Glück sagen, daß er, da sein Haus in Asche lag, noch in dem des Alkalden wohnte: sonst wäre es ihm wohl schlimm ergangen. Da es aber nichts Stärkeres auf Erden gibt als einen Wucherer, der sich auf das Gesetz stützt, und da auf der andern Seite der brave Kaiphas von Natur nicht feige, sondern nur geneigt war, sich seine Millionen klug zu bewahren und mit Genuß zu vermehren, so beschloß er auf der Stelle, den Palast der Venegas als sein nunmehriges Eigentum zu beziehen. Deswegen ließ er einige wenige Arbeiten darin vornehmen, die sich darauf beschränkten, das Haus mit Riegeln, Schlössern und Sicherheitsstangen wohl versehen zu lassen.

Man sprach nun wohl auch bei dieser Gelegenheit davon, die Arbeiter würden sich verbinden und verpflichten, nichts in dem ehrwürdigen Hause zu arbeiten, aber als Elias, sowie er davon hörte, bekannt machte, er werde einen etwas höhern als den gewöhnlichen Taglohn zahlen, weil das Brot gerade jetzt so teuer sei, so erhielt er durch dieses einfache Mittel Arbeiter im Ueberfluß und konnte sehr bald mit Frau und Tochter seine neue Wohnung beziehen. Er benutzte dazu eine Nacht, in der es, wie man in Spanien sagt, Kannen regnete und in welcher man keinen Menschen auf der Straße sah.

Einmal in dem alten Palaste und hinter verschlossnen Thüren, atmete er erleichtert auf, wie jemand, der in den nächsten vier oder fünf Jahren den Fuß nicht über die Schwelle setzen will, und sagte zu seiner Frau:

»Gleich morgen will ich an meinen Bankier in Madrid schreiben, damit er mir für das Mädchen für fünftausend Thaler Kleider, Juwelen und Spielzeug schickt. Wir beide können uns mit noch so wenig behelfen.«

Dann gab er seiner Tochter ein Dutzend Küsse und legte sich in das Bett, dessen Kissen noch den Eindruck der Leiche Rodrigos bewahrten. Die Frau des Geizhalses wollte in diesem Bette nicht die Stelle derjenigen einnehmen, die vor Jahren die glückliche Gattin des Ehrenmannes gewesen war. Sie schützte viele Arbeit vor und brachte die Nacht auf einem Stuhle nickend zu.

Endlich Soledad, des Kaiphas verzogne Tochter, brachte die Nacht in dem Bette zu, welches einst dem unglücklichen Sohne Rodrigos gehört hatte.

3.

Der Verwaiste.

Was war inzwischen aus dem armen Waisen, dem enterbten Kinde, dem Knaben geworden, in dessen prächtigem Bett die achtjährige Millionärin von den versprochnen Spielsachen träumte?

Manuel – so hieß der Knabe – war an dem Schreckensmorgen, an welchem sein Vater ihn schlafend verließ, um sich in das Feuer zu stürzen, welches das Haus des Wucherers verzehrte, ein allerliebster Knabe, weiß und rot wie der schönste Sommermorgen, lustig und ausgelassen wie ein unbeobachtetes, junges Reh. Rodrigo hatte ihn mit der grüßten Sorgfalt erzogen, ihm jedoch keine litterarische Bildung geben wollen. Nicht einmal lesen und schreiben hatte er ihn lernen lassen, denn dazu sei, meinte er, noch immer Zeit – sondern vor allem stärkte und befestigte er seine so schon große Körperkraft, indem er ihn schwere Uebungen in Geschicklichkeit und Anstrengung vornehmen ließ. Er lehrte ihn reiten und schwimmen, ließ ihn lange Tage mit endlosen Jagden zubringen, erklärte ihm die Geheimnisse des Gebirges, die Pflanzenwelt der Berge, die Heilkunde der Landleute, die Sternkunde der Hirten, die Gewohnheiten aller Tiere, die Kunst mit ihnen zu kämpfen und sie zu töten, oder lebendig zu fangen und zum Gehorsam zu bringen – und viele andre Geheimnisse des Land- und Gebirgslebens. Die Folge dieser Erziehung war, daß Vater und Sohn stets beisammen waren, und sich so liebten und so miteinander verkehrten, als wären sie nicht Vater und Sohn, sondern Brüder, Kameraden, Gefährten gewesen.

So wußte der mit solcher Liebe aufgezogne Knabe nichts von dem gänzlichen Ruin und den damit zusammenhängenden Sorgen seines Vaters, der ihn, eben weil er seine Zukunft kannte, für das Leben eines armen Mannes erziehen wollte. Seine Jugend verlief ruhig, glücklich und lustig, soweit dies bei einem Kinde möglich ist, das seine Mutter nicht gekannt hat. Da mit einem Schlage stürzten auf ihn alle Unglücksfälle ein, die den Menschen treffen können. An einem Tage, binnen wenig Stunden, sah er seinen Gott, seinen Herrn, seinen Gefährten, den einzigen Freund seines Lebens, verbrannt und bewußtlos in das Haus tragen, wohnte seinem schrecklichen Tode bei, ohne auch nur einen Blick seiner unbeweglichen Augen, einen Rat oder einen Kuß von seinen zuckenden Lippen erhalten zu können, – erfuhr, daß es einen Kaiphas gab, vernahm die furchtbare Tragödie der Feuersbrunst und was damit zusammenhing, – hörte, daß er so arm sei wie die barfüßigen Bettler, die von Haus zu Haus gehen und um Almosen bitten, – begriff, daß er für immer dem Hause seiner Ahnen mit allem was es enthielt, mit allem was ihn an seinen Vater erinnerte, Lebewohl sagen mußte, – betrachtete wie im Traume die Nachbarn, die sich bei dem Leichnam Rodrigos in seinem Hause versammelten, indem sie den Verstorbnen ansahen, als gehörte er ihnen, bis man die Bahre aufhob und wegtrug, wobei man dem Knaben viele Küsse gab, und Worte sagte, die er nicht verstand, – und blieb verlassen, schweigend, betäubt in einem Winkel des Sterbezimmers sitzend zurück, wie jemand, der von niemand auf Erden etwas hofft.

Als endlich die Nacht, die erste Nacht der Verwaistheit, gekommen war, die Glocken nicht mehr läuteten und die ferne Trauermusik nicht mehr hörbar war, als die Finsternis ihn daran erinnerte, daß er allein auf Erden war, als er anfing sich einzubilden, daß auch er gestorben und begraben sei, – hörte er eine heisere und rauhe Stimme, die eines dicken, häßlichen Priesters, der ihm traurig zurief:

»Junge, wo bist du? Warum hast du kein Licht angezündet? Komm mit mir! Ich nehme dich in mein Haus. Gottes Wille geschehe! Komm, geh mit mir!«

Manuel folgte ihm wie ein willenloses Geschöpf, wie ein Hund, der seinen Herrn verloren hat.

4.

Der Pfarrer.

Don Trinidad Muley war einer jener Pfarrer nach alter spanischer Art, welche alle ihre Pfarrkinder und wer sie sonst kennt, ohne Unterschied der religiösen oder politischen Parteistellung, lieben und verehren. Diese Pfarrer sind niemals liberal gewesen, oder haben vielmehr nie aufgehört es zu sein. Ueber das, was des Kaisers ist, haben sie nie eine Ansicht gehabt, wohl aber stets eine hohe Idee von dem, was Gottes ist. Die Liebe und Achtung, die sie besaßen, haben sie niemals verloren, weder in dem Unabhängigkeitskriege, der 1808 ausbrach, noch in der Reaktionsperiode von 1814, noch in dem Revolutionssturm von 1820, noch bei dem Einmarsch Angoulèmes, noch bei irgend einer der Begebenheiten der folgenden Zeiten, die so reich an Zwistigkeiten zwischen Kirche und Staat waren. Diese sozusagen eingebornen Geistlichen lieben ihr Vaterland wie jeder andre Spanier, ohne irgend einen kosmopolitischen, europäischen, selbst ohne irgend einen ultramontanen Anstrich zu haben. Deswegen liest man ihre Namen selten in der Geschichte. Sie gehören zu jener alten Schule von Geistlichen, die nichts von Politik und Philosophie verstehen, keine theologischen Gedanken über die Absichten des Schöpfers der Welt weder selbst besitzen, noch von andern verlangen, und sich mit keinen festen Schulbegriffen über die menschliche Gesellschaft und die Staatsregierung abgeben, sondern nur mit der praktischen Ausübung aller christlichen Tugenden.

Der Mann, von dem wir sprechen, war so natürlich und einfach von Charakter, so offnen Sinnes, so guten Herzens, so menschlich und mutig, so sehr ein wahrer Seelenhirte in jedem Sinne, daß er, der Pfarrer von Santa Maria de la Cabeza war und als solcher so viel Gutes in geistiger wie materieller Beziehung that, als er konnte, ebensogut ein jüdischer, muselmännischer, protestantischer oder chinesischer Priester hätte sein können und seinen Pfarrkindern in jeder andern Religion ebenso zur Erbauung gereicht haben würde. Um also seine sämtlichen Eigenschaften zusammenzufassen, so war er ein wahrhaft tugendhafter Mann, voll von angeborner Nächstenliebe, erleuchtet durch das Wort Gottes, fest auf ein andres, besseres Leben hoffend, wie jeder Mann von Herz, unfähig, es sich an den eiteln Freuden dieser Welt genügen zu lassen, arm an litterarischer Bildung, aber nicht an Kenntnis der Welt und des menschlichen Herzens, von geringer Einbildungskraft, aber gesunder Vernunft und klugem Menschenverstande. Vielleicht war er nicht imstande, gut über einen dogmatischen Lehrbegriff zu predigen (was er übrigens für ganz überflüssig hielt), aber er verstand es, von der Kanzel herab seine Gemeinde zu fesseln und zu bessern durch sein väterliches Wohlwollen, seine liebevollen Ermahnungen und sein eignes Beispiel. Er gehörte nicht zu der Klasse des heiligen Augustin, Thomas oder Ignatius von Loyola, wohl aber zu der des Cajetanus und Diego von Alcalá, wenn er auch weniger gelehrt und gebildet als diese Heiligen, sowie die Mehrzahl der Geistlichen seiner Diözese war.

Es lag aber gar nicht an dem guten Willen der Pfarrers, daß er nicht mehr Stellen aus der Bibel und den Kirchenvätern wußte, oder es vermeiden konnte, sie, wenn er einmal ganz besonders gelehrt predigen wollte, verkehrt vorzubringen – sondern an seinem schlechten Gedächtnisse, welches sich dem Studium gar nicht fügen wollte. Niemand begriff, wie der gute Muley (ein maurischer Name, der in jener Gegend noch heute existiert) genug Latein hatte lernen können, um sich zum Priester weihen zu lassen, und jedermann bewunderte nachträglich die Geduld des seligen Schulmeisters, der in jenen harten Kopf – ohne Zweifel mit Stock und Rute – musa, musae hereingebracht hatte. Dies war alles Schlechte, was man von Don Trinidad sagen konnte. Auf der andern Seite gab es weder in der Stadt noch auf hundert Meilen im Umkreise jemand, der es ihm darin zuvorgethan hätte, Kranke zu pflegen, Bett und Mahlzeit einem obdachlosen Armen abzutreten, Stunde um Stunde mit heitrem Gespräche und heilsamen Ratschlägen bei den Gefangnen im Kerker zuzubringen, bei Schneefall all sein Geld darauf zu verwenden, den barfuß herumlaufenden Kindern Schuhe von Spartgras zu kaufen, arme alte Leute aus ihren erbärmlichen Hütten am Arme herauszuführen, damit sie sich sonnen könnten, mit Thränen oder freundschaftlichen Faustschlägen entzweite Ehegatten und Gegner, die schon die Messer gezückt hatten, zur Versöhnung, und die Reichen den Armen nahe zu bringen, wenn das Brot teuer und eine Empörung zu fürchten war. Einen jeden versöhnte er mit seinem Unglück, den Traurigen mit dem Leiden, den Kranken mit dem Schmerze, den Verurteilten mit der Strafe, den Sterbenden mit dem Tode. So glich denn die Verehrung, welche man für ihn in der Stadt hegte, einem Kultus, trotzdem daß er gegen Alt und Jung offen, freimütig, ja zu Scherz und Neckereien aufgelegt war, sobald kein Grund vorhanden war, ernst zu sein. Alle achteten selbst seine Unwissenheit wie eine Unschuld, ebenso wie wir die rauhen Berge bewundern, weil auf ihnen alles natürlich, kunstlos und wie aus der Hand Gottes, ohne menschliche Ueberlegung und Kunst, hervorgegangen ist.

So rechtfertigte es sich denn auch, daß der Bischof ihn gerade zum Pfarrer von Santa Maria de la Cabeza gemacht hatte, der Kirche, welche dem unruhigsten und hauptsächlich von Arbeitern bewohnten Stadtviertel den Namen gab. So wird man auch leicht die hohe Achtung begreifen, die der verstorbne Don Rodrigo und der gute Don Trinidad, ohne sich viel zu sehen, vor einander gehabt hatten, und auf diese Weise erklärt es sich, daß der Priester Rodrigos Sohn wie seinen eignen annahm, ohne sich mit irgend jemand zu beraten.

5.

Des Wucherers Schuldner.

Der arme Knabe war infolge der schrecklichen Schicksalsschläge, welche ihn getroffen hatten, wie zu Eis erstarrt. In diesen Stunden nahmen seine Züge jene todesbleiche Farbe an, die ihn nachher nie mehr verließ. Niemand hatte im ersten Augenblicke des Schmerzes darauf geachtet, daß der Unglückliche weder seufzte, noch weinte, noch sprach. Als man endlich auf ihn achtete, fand man ihn erstarrt wie einen vor Schmerz Versteinerten, wenn er auch ging, hörte, sah, und seinen sterbenden Vater fortwährend küßte. Keine Thräne hatte er später vergossen, weder während des Todeskampfes des geliebten Vaters, noch als er seinen erkalteten Mund küßte, noch als man die Leiche forttrug, noch als er das Haus verlassen mußte, in dem er geboren war, noch als er sich aus Mitleid in einem fremden sah. Manche lobten seine Standhaftigkeit, andere tadelten seine Geichgültigkeit. Die Mütter bemitleideten ihn innig, indem sie instinktmaßig die grausame Tragödie ahnten, die sich in der Seele des Verwaisten abspielte, da ihm ein zärtliches und mitleidiges Wesen fehlte, mit dem er hätte weinen können.

Aber auch nach dem Tode des Vaters sprach Manuel kein Wort. Auf die liebevollen Fragen des Priesters, der ihn in sein Haus führte, antwortete er nicht. In den ersten drei Jahren, welche er bei demselben zubrachte, hörte niemand seine Stimme. Alle glaubten, er sei für immer verstummt, bis der Küster einmal hörte, wie er, von einem schönen Bilde des jugendlichen Christus mit der Weltkugel, welches in der Kirche seines Beschützers verehrt wurde, in traurigem Tone sagte:

»Jesus, warum sprichst auch du nicht?«

Manuel war gerettet. Der Schiffbrüchige hatte das Haupt aus den Wellen seines Jammers hervorgehoben. Sein Leben war in keiner Gefahr mehr. Dies wenigstens glaubte man jetzt allgemein.

Seit jenem Tage fing der Knabe an, wenn auch nur selten und wenige Worte, mit dem Pfarrer und seiner Haushälterin zu sprechen, um ihnen seine Dankbarkeit, Liebe und Gehorsam auszudrücken. Von seinem unvergeßlichen Unglücke sprach er kein Wort. Dies alles schien dem Priester, dem Küster und den Chorknaben von guter Vorbedeutung.

Was seinen Geisteszustand betraf, so hatte niemand während jener drei Jahre freiwilliger oder unfreiwilliger Stummheit einen Argwohn. Die Haushälterin war die einzige, welche von Anfang an behauptete, dem Knaben sei, weil er bei dem Tode seines Vaters nicht hätte weinen können, eine Ader – nichts als eine Ader – von Irrsinn geblieben.

Was fremde Personen anlangte (von denen er bei jeder Begegnung Zeichen von Mitleid und Zuneigung erhielt), so hüllte der verwaiste Knabe sich fortwährend in seine eiskalte Zurückhaltung. Seine stehende Redensart war: »Lassen Sie mich!« gesprochen im Tone schmerzlichster Bitte. Dann ging er seines Weges weiter, nicht ohne bei dem, mit welchem er gesprochen hatte, abergläubische Furcht zu erwecken.

Noch weniger legte er bei jener heilsamen Krisis die tiefe Traurigkeit und die frühzeitige Herbe seines Charakters ab. Ebenso behielt er die Hartnäckigkeit, mit welcher er an gewissen Gewohnheiten festhielt. Diese Gewohnheiten bestanden darin, daß er den Pfarrer in die Kirche begleitete, auf den Feldern wohlriechende Blumen oder Kräuter pflückte, um das Bild des Christuskindes mit der Weltkugel, vor welchem er oft stundenlang in einer Art Verzückung weilte, damit auszuschmücken, und dieselben Blumen und Kräuter auf der Höhe der nahen Sierra suchen ging, wenn er sie bei der Winterkälte oder Sommerhitze nicht in der Ebene fand.

Diese Verehrung, wenn auch in Einklang mit den religiösen Grundsätzen, die ihm sein verstorbner Vater eingeflößt hatte, war doch, selbst für sehr mystisch angelegte Naturen, weit über das Menschliche und Natürliche hinausgegangen. Es war nicht allein fanatische Anbetung, Verehrung, Liebe – es war eine Liebe wie die eines Bruders, eines Unterthanen, wie die, welche er gegen seinen Vater gehegt hatte; eine Mischung von Vertrauen, Beschützung und Anbetung, wie sie wohl die Mütter großer Männer gegen ihre ruhmreichen Sühne empfinden. Es war der ehrfurchtsvolle, zärtliche Schutz, den der starke Krieger dem jungen Fürsten gewährt; es war Identifizierung des eignen Selbst mit dem Gegenstände seiner Verehrung; es war froher Stolz wie der, den man über sein Eigentum empfindet. Man hätte denken können, jenes Bild stelle sein eignes tragisches Geschick dar: seine edle Abkunft, seine frühe Verwaistheit, seine Armut, seine Leiden, die Ungerechtigkeit der Menschen, die Einsamkeit, in der er zurückgeblieben war, ja vielleicht sogar eine Vorahnung künftiger Leiden. Doch damals konnte der Unglückliche nichts von all dem erkennen und unterscheiden. Dazu war das Gedankengewirr zu groß, welches dieser knabenhaften, unveränderlichen, ausschließlichen Verehrung zu Grunde lag. Für ihn gab es weder Gott noch die Jungfrau Maria, weder Heilige noch Engel, sondern nur das Kind mit der Weltkugel, ohne irgend einen Zusammenhang mit einem religiösen Geheimnisse, sondern nur für sich allein in der Manuel gegenwärtigen Gestalt, mit seinen schönen Zügen, seinem Kleide von Goldbrokat, seiner Krone von falschen Steinen, seinem blonden Haupte und der blauen Weltkugel in der Hand, über welcher sich ein silbernes, vergoldetes Kreuz erhob, zum Zeichen, daß die Welt erlöst worden war.

Dies war der Grund, warum zuerst die Chorknaben von Santa Maria de la Cabeza, dann die ganze Jugend der Stadt, und endlich auch die angesehensten und ernstesten Leute Manuel mit dem so äußerst seltsamen Namen des Knaben mit der Weltkugel bezeichneten. Wir wissen nicht, ob es geschah, um ihren Beifall für seine leidenschaftliche Verehrung auszudrücken und ihn dem Schütze des Christkindes zu empfehlen – oder als ironischen Gegensatz (dient doch dieser Name in jener Gegend oft dazu, besonders glückliche Menschen zu bezeichnen) – oder als Prophezeiung des Mutes und der allgemeinen Furcht, welche dereinst der Sohn Rodrigos einflößen sollte, da ja die größte Uebertreibung, die man in jener Stadt und deren Gebiet zu gebrauchen pflegt, um die Kraft und den Mut eines Mannes zu bezeichnen, darin besteht, daß man sagt: der fürchtet selbst den Knaben mit der Weltkugel nicht!

Wie dies auch sei, so nannte man den mutigen Knaben allgemein, als er im Alter von dreizehn Jahren den Gebrauch der Sprache wieder erlangte. Zu dieser Zeit nahm er eine neue Gewohnheit an, die ebenso unveränderlich und festsitzend war wie seine frühern, ihn jedoch in etwas sich von seiner mystischen Anbetung entfernen und die Bewohner der Stadt traurige und bedeutende Folgen ahnen ließ.

Er setzte sich nämlich jeden Nachmittag zu derselben Stunde auf die steinerne Bank eines Hauses gerade gegenüber dem alten Palaste des Venegas, in dem jetzt der Wucherer Don Elias wohnte. Dort saß er einsam und schweigend von zwei Uhr nachmittags bis Sonnenuntergang, die Augen auf die großen Balkone oder das Wappenschild über dem Portal gerichtet. Die wenigen Neugierigen, die über jenen einsamen Platz (meist nur in der Absicht, diese merkwürdige Art von Schildwache zu sehen) gingen, lenkten seine Aufmerksamkeit nicht ab. Die Straßenjugend seines Alters kannte seine eiserne Faust und wagte es nicht, sich dort sehen zu lassen. Auch die Bitten und Befehle des klugen Don Trinidad Muley hatten es nicht vermocht, ihn von dieser gefährlichen Monomanie abzubringen.

Die Fenster des alten Palastes waren bis auf eins sämtlich mit Läden verschlossen. Jenes eine dagegen ließ seine Scheiben und dahinter weiße Vorhänge sehen. Doch die Vorhänge bewegten sich nicht, und niemals erblickte man jemand hinter den Scheiben.

Ebensowenig ging jemals um diese Zeit ein menschliches Wesen durch das große Thor in den Palast oder kam aus demselben heraus. Es blieb verschlossen, als ob niemand darin lebte, und als ob dahinter nicht noch ein zweites Thor mit seinem Thürklopfer gewesen wäre.

Endlich sah Manuel eines Tages einen alten Mann in ärmlicher Kleidung aus dem Palast heraus- und nach einiger Zeit wieder in denselben hineingehen, den er sich erinnerte, einigemale in dem Zimmer seines Vaters gesehen zu haben, wo er große Haufen Geld zählte. Ohne Zweifel war dies der Diener und Kassierer des Wucherers.

Auch der Alte mußte den Knaben kennen oder wenigstens von ihm wissen. Denn beim Herausgehen und Zurückkommen machte er einen großen Bogen, um ihm nicht nahe zu kommen. Er sah ihn von der Seite mit einer gewissen Furcht an, wandte den Kopf oft zurück, um sich zu vergewissern, daß er ihm nicht folgte, – kurz, schien ihn zu betrachten, wie die Abergläubischen eine Seele aus dem Jenseits.

Am folgenden Nachmittag bemerkte Manuel, daß hinter den erwähnten Vorhängen sich ein Schatten bewegte. Darauf sah er, wie man einen derselben etwas beiseite zog und sich durch das Glas das strenge Profil eines andern alten Mannes sehen ließ, den er nicht kannte, und welcher auf ihn zwei Augen, stechend wie Dolchspitzen, richtete.

»Das ist mein Henker!« sagte Manuel und that einen Satz wie den eines wilden Tieres vorwärts nach jenem Teile des Palastes hin.

Aber der Vorhang wurde wiederum zugezogen und die Erscheinung verschwand.

Der Knabe kehrte auf seinen Sitz zurück, indem seine Wut so schnell verschwand, als sie ausgebrochen war. Alles in ihm hatte diesen Charakter plötzlicher, löwengleicher Impulse und ebensolcher Kraft. So war es mit ihm im Zorn wie in der Ruhe, im Schmerze wie im Troste, im Angriff wie in der Verzeihung.

Die Art Belagerung, welche sein knabenhafter Gegner über ihn verhängte, mußte die Hausordnung ebenso wie vielleicht das Gewissen des Wucherers nicht wenig stören. Er schien von ihm sein Vermögen, das Haus, in welchem er geboren war, das Leben seines Vaters und das Wappenschild seiner Vorfahren zurückzufordern. Wie mußten sich die Frauen des Hauses fürchten, wenn sie ihn dort Stunden und Stunden sitzen sahen, wie einen stummen Rechtsanspruch, eine lebendige Anklage, einen ewigen Protest, eine Verkündigung unvermeidlicher Rache!

Zwei oder drei Tage, nachdem der erste Blick ewigen Hasses zwischen dem Wucherer und seinem Opfer gewechselt war, trat aus dem alten Hause eine Frau von etwa fünfzig Jahren heraus. Sie war noch immer schön, wenn auch gelähmt und gebeugt. Ihr Aeußeres war nicht distinguiert, aber würdevoll. Sie war gekleidet mehr wie eine reiche Pächterin als wie eine Dame. Es war Maria Josepha, die einstige Dienerin, jetzige Gemahlin des Wucherers.

Manuel erriet es, obgleich er sie niemals gesehen hatte. Wir wissen nicht, ob es feiner Instinkt bei ihm war, oder der Umstand, daß er während der letzten drei Jahre häufig von den guten Eigenschaften der armen Frau und ihrem Mitleid mit dem Unglück, welches auf ihm lastete, hatte sprechen hören – kurz er empfand bei ihrem Anblick keine Abneigung und keinen Haß.

Als die Frau des Wucherers sich vergewissert hatte, daß niemand an den Fenstern oder auf der Straße sie beobachte, schritt sie entschlossen auf ihn zu und setzte sich an seine Seite. Aber Manuel empfand eine unbeschreibliche Beklemmung und erhob sich, um fortzugehen.

Doch die Frau hielt ihn zurück und sagte:

»Gehe nicht fort, Manuel, ich will dir wohl. Ich komme in guter Absicht. Sage mir, mein Kind, was suchst du hier? Brauchst du etwas? Warum trägst du diese Kleider, die sich nicht für deinen Stand schicken? Willst du Geld haben?«

Der Knabe trug eine Jacke; denn als ihm die Kleider, in welchen er in das Haus des Priesters gekommen war, zu klein wurden und Don Trinidad ihm andre von derselben Art machen lassen wollte, widersetzte er sich energisch und sagte: »Nein, Herr Pfarrer, ich darf nicht Kleider wie ein Kaballero tragen. Lassen Sie mir Kleider machen wie sie arme Leute tragen.« Doch gab er der Frau seines Feindes weder diese noch irgend eine andre Erklärung, sondern statt zu antworten oder sich hinzusetzen, schrieb er mit der Fußspitze etwas auf den Boden und betrachtete aufmerksam was er geschrieben hatte.

Die Frau fuhr nach einer Pause fort:

»Ich will gar nicht sagen, daß die Jacke dir schlecht steht. Dir steht alles gut, denn du bist ein schöner Knabe mit zwei Augen wie Sonnen, und außerdem hält dich der Herr Pfarrer (möge Gott es ihm vergelten!) sehr sauber und ordentlich. Aber ich möchte gern etwas für dich thun, dir viele Sachen kaufen, dir eine Laufbahn in Madrid eröffnen. Mit einem Worte, ich habe schon mit Don Trinidad gesprochen und er meint, das seien Dinge, über die wir beide zuerst einig werden müßten. Deswegen sprich du mit ihm, wie ich dir sage, damit du dich überzeugst, daß ich dich nicht täusche; und wenn du dich entschließest, mein Freund zu werden, so wirst du sehen, daß es uns allen besser gehen wird. Antwortest du mir nicht, Manuel? Woran denkst du?«

Auch hierauf antwortete der Knabe nichts, sondern fuhr fort, auf den Erdboden zu schreiben. Er hatte den Namen seines Vaters hingeschrieben.

»Was schreibst du da?« fragte nach einer andern Pause die Frau. »Ich kann nicht lesen, aber ich habe mich sehr darüber gefreut, daß du endlich den Gebrauch der Sprache wieder erlangt hast. Antworte mir also! Wenn du alle Nachmittage hierher kommst, so willst du irgend etwas! Sage es mir freimütig, oder vielmehr nimm hier ... das ist noch besser ... du kannst es zu dem verwenden, was du brauchst.«

Mit diesen Worten gab sie ihm eine gehäkelte rote Börse, zwischen deren durch das Gewicht auseinandergezognen Maschen viele Goldstücke sichtbar waren. Sie mußte wenigstens sechstausend Realen enthalten.

Manuel wischte mit dem Fuße den Namen Rodrigo aus und schrieb den der Mutter hin, die er nicht gekannt hatte: Manuela. Die Börse würdigte er nicht einmal eines Blickes, nur steckte er, um zu verstehen zu geben, daß er nichts nehmen wolle, die Hände in die Hosentaschen.

»Du bewahrst deinen Groll lange, oder du bist sehr stolz, Manuel!« sagte darauf Maria Josepha. – »Du glaubst offenbar, daß unser ganzes Haus dir feindselig gesinnt ist. Darin irrst du dich. Stelle dir vor, daß ich eine Tochter habe, die ich ebensosehr liebe, wie einst dein armer Vater dich. Diesen Morgen sagte sie nach dem Frühstück zu meinem Manne: ›Schau, Papa, du mußt dem schönen Knaben verzeihen, der alle Nachmittage mir gegenüber sitzt, und zu dem, was er von dir will, ja sagen. Ach, er thut mir so leid! Man erzählt, er sei einmal reicher gewesen als wir, und daß das Bett, in dem ich schlafe, einst das seine war!‹ – Du siehst, selbst meine Soledad nimmt Anteil an dir!«

Manuel hatte das Haupt erhoben und hörte auf zu schreiben.

»Sagen Sie mir, Sennora,« erwiderte er darauf gelassen, »wie alt ist das Mädchen?«

»Sie wird bald zwölf Jahre alt sein,« antwortete die Mutter mit unbeschreiblicher Sanftmut.

Manuel verfiel wieder in seine Zerstreutheit und schrieb auf den Boden: Soledad.

»Also hast du dich davon überzeugt, daß du diese Kleinigkeit nehmen kannst,« fügte die gute Frau hinzu, indem sie ihm das Geld hinhielt.

Manuel trat einen Schritt zurück und sagte kalt:

»Sennora, wir haben genug gesprochen!«

Er wandte sich auf dem Absatz um und entfernte sich langsam, bis er hinter einer Ecke verschwand.

Die Gattin des Wucherers ließ die Hand, welche das unnütze Gold hielt, in den Schoß fallen und blieb in traurigem Nachdenken zurück. Darauf erhob sie sich mit einem tiefen Seufzer und ging in das Haus zurück, von dem wir nicht wissen, ob sie es wagte, es das ihrige zu nennen.

Was den Knaben anbetrifft, so vergingen kaum fünf Minuten, ehe er wieder auf der Bank saß.

6.

Soledad.

Zwei Tage nach der eben beschriebnen Szene änderte Manuel die Stunde, zu welcher er sich auf der Plazuela de los Venegas einzufinden pflegte.

Statt nachmittags kam er jetzt morgens, nach Beendigung des gewöhnlichen Gottesdienstes in seiner Kirche, um neun und blieb bis ein Uhr.

Warum diese Aenderung? Glaubte der Knabe, es werde zu dieser Zeit mehr Verkehr in dem Hause seines Feindes sein und er deswegen für seine Beobachtungen größeren Spielraum haben? Oder hatte er sichere Nachricht erhalten, daß es ihm auf diese Weise leicht sein werde, jenes Mädchen zu sehen, von welchem die Mutter zu ihm gesprochen hatte, jene zwölfjährige Verteidigerin, die ihn so sehr bemitleidet, jene unvergeßliche Soledad, die ihn schön gefunden hatte?

Am Morgen nachher sah Manuel den Diener und Kassierer des Wucherers mehreremale aus dem Palaste kommen und wieder hineingehen, bald allein, bald in Begleitung von Gerichtsschreibern und andern, mehr oder weniger angesehenen Bürgern der Stadt. Etwa um zwölf Uhr kam der Diener noch einmal heraus und begab sich, nachdem er viele Umwege gemacht und lange gezögert hatte, in ein Mädchen-Pensionat, welches am entgegengesetzten Ende des länglichen Platzes lag, etwa hundert Schritte von dem Portale des Palastes, wie von der gegenüberliegenden Stelle entfernt, wo der Belagerer sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte.

Das Herz des verwaisten Knaben pochte in der Brust. Sein Instinkt als Jäger, und die Gewohnheit, die er in der Sierra angenommen hatte, sich nach Anzeichen und Vermutungen zu richten, sagten ihm, daß er die Tochter des Wucherers sehen würde.

Und wirklich trat einige Augenblicke nachher der furchtsame Diener aus der Mädchenschule heraus, indem er an der Hand ein reichgekleidetes Mädchen führte, deren stattlicher Gang und ebenso lebhafte als graziöse Bewegungen, verbunden mit ihrem heitern Lachen und dem Silberklange einer Engelsstimme, den Sohn Rodrigos sogleich in Erstaunen versetzten.

»Warum, mein Gott,« mochte er sich wohl fragen, »ist dieses Mädchen nicht traurig, während ich es bin?«

Das Mädchen verstummte plötzlich, entweder weil der Diener sie auf Manuel aufmerksam gemacht, oder weil sie ihn in diesem Augenblicke bemerkt hatte. So herrschte auf dem Platze tiefes Schweigen, welches der Verwaiste mit dem des Todes verglich. Soledad schritt, ohne zu lachen und zu sprechen, mit einer Fassung und einem Ernst einher, welches den, der es verursacht hatte, noch trauriger stimmte, als ob er, seinen Stolz vergessend, darin eine neue Ungerechtigkeit erblickte.

Darauf bemerkte der melancholische Knabe, daß die Tochter des Wucherers ihn verstohlen betrachtete und daß sich ein gewisser heimlicher Kampf zwischen ihr und dem alten Diener entsponnen hatte. Der Alte zog sie bei der Hand, um sie so nahe als möglich an dem Bürgersteige vor dem Palaste festzuhalten, das Mädchen strebte darnach, sich allmählich der gegenüberliegenden Seite zu nähern, um dicht bei dem geheimnisvollen Knaben vorüberzugehen.

Der Knabe betrachtete sie fester und unverwandten Blickes mit dem feurigen und wilden, aber zugleich ruhigen Blick, mit welchem der gesättigte Löwe eine ängstliche Gazelle bei seiner Höhle vorbeieilen sieht. Vieles lag in dem Auge und ging in dem Herzen Manuels vor, wovon damals noch kein deutliches Bewußtsein in ihm lebte. Er empfand die Bewunderung, welche die seltne Schönheit des unschuldigen Mädchens in ihm hervorrief, den Stolz, den die Erinnerung daran erweckte, daß dieses reizende Geschöpf ihn freiwillig verteidigt, in der schmeichelhaftesten Weise gelobt und ihm das zarteste Mitleid gespendet hatte, endlich Reue und Schmerz darüber, daß sie seinetwegen aufgehört hatte, zu lachen und zu sprechen. Ja, er empfand eine Art von Zärtlichkeit, die aus derselben edelmütigen Reue entstand, er hätte ihr weniger feindlich erscheinen mögen, und begann eifersüchtig auf diejenigen zu werden, die nicht wie er unfähig waren, die Heiterkeit und das Zutrauen des Mädchens zu genießen. Mit einem Worte, durch ein Wunder frühzeitiger Reife, wovon es viele Beispiele gegeben hat, entsprang in den Augen und dem Herzen des Knaben in dem Augenblick, in welchem er zum erstenmale die Tochter des Henkers seines Hauses erblickte, der starke Keim einer übermächtigen und dem Unglücke geweihten Liebe, einer Liebe, in die ein trauriges Verhängnis die ganze Leidenschaft gelegt hatte, mit der die Väter sich gehaßt hatten, und die um so zäher und unüberwindlicher war, als sie ihre Wurzeln in den Felsen der Unmöglichkeit geschlagen hatte, und bestimmt war, mit den Stürmen eines stets feindlichen Geschickes zu kämpfen.

Wir wiederholen, daß unser dreizehnjähriger Knabe sich fast von keiner dieser Regungen Rechenschaft gab. Er that nichts, als jenes reizende Kind starr ansehen, dessen schwarze, ausdrucksvolle Augen, lockiges kastanienbraues Haar, schön geformter Mund, rosiger Teint und anmutige Gestalt ein dereinst außerordentlich schönes Weib ahnen ließen. Ja noch mehr, den halbwilden Knaben, der halb in der Sierra und halb in der Sakristei aufgewachsen, eine Mischung von Jäger und Chorknabe war, fast niemals mit Knaben und noch viel weniger mit Mädchen gesprochen hatte, und keine andre als die strenge Gesellschaft seines energischen Vaters und des rauhen Pfarrers von Santa Marin de la Cabeza kannte – blendete förmlich der für ihr Alter übertriebene Luxus, mit welchem das Mädchen gekleidet war; die Brillanten, die in ihren Ohren und an ihrem Halse glänzten, das schöne Schuhwerk, und selbst die kostbare, buntgestickte Tasche, worin sie ihre Handarbeit und ihre Bücher trug.

Erst dann wußte Manuel, was er empfand, als die zwölfjährige Eva in ihrem Kampfe den Sieg davontrug und so dicht bei ihm vorbeiging, daß sie ihn fast streifte. Das Mädchen warf ihm einen Blick zu, der, gemischt aus weiblicher Neugierde und unbeschreiblicher Sanftmut, ihn wie bezauberte und ihm den Atem beraubte. Darauf wandte sie sich entschlossen ihrem Hause zu, mit einer so anmutigen Bewegung frühreifer und siegesgewisser Koketterie, daß sie Manuel völlig bethört hätte, wenn er nicht schon wahnsinnig vor Bewunderung und Schreck gewesen wäre.

Doch hörte Soledads Verwegenheit bei jenem ersten Zusammentreffen hiermit noch nicht auf. Zweimal wenigstens wandte sie beim Ueberschreiten des Platzes den Kopf nach dem Knaben um, der ihr sicher hier nicht weniger schön erschien, als von den Fenstern des Palastes aus. Und zuletzt, ehe sie in dem Portale verschwand (welches sich schon einige Zeit vorher für sie geöffnet hatte), warf sie ihm einen letzten und noch längeren Blick zu, der vollständig für einen Gruß gelten konnte.

Manuel blieb wie vernichtet und betäubt unter dem Drucke seiner seltsamen und verwirrten Gedanken zurück und erhob die Augen nicht eher vom Boden, als bis die Glocke des Domes ein Uhr schlug. Dann stand er mit solchem Widerwillen von seinem Sitze auf, wie am Tage vorher die Frau des Wucherers, und schritt dem Hause des Pfarrers zu, taumelnd wie ein Betrunkener oder Mondsüchtiger.

Simson hatte Delila kennen gelernt.

7.

Verschiedene Ansichten des Pfarrers.

Manuel hatte noch genug Willenskraft, um lange Zeit nicht nach dem Platze oder seiner Nachbarschaft zurückzukehren, wenn auch der Entschluß hierzu nicht allein von ihm ausging.

Als Don Trinidad Muley sah, daß er an dem erwähnten Tage keine Speise zu sich nahm, in der folgenden Nacht nicht schlief und am nächsten Morgen mit Fieberhitze erwachte, ihn ausgefragt und alles, was geschehen war, erfahren hatte, sagte er:

»Du bist auf dem graden Wege zum Verderben. Ich habe es dir schon gesagt, als ich dich davon abbringen wollte, dich auf die verdammte Bank zu setzen. Aber du wolltest nicht hören. Jetzt siehst du die Folgen. Die Freundinnen der Schlange des Paradieses fangen früh an dir zu gefallen! Doch würde ich dich nicht deswegen tadeln – können doch nicht alle Männer meinem Beispiele folgen, sonst hörte ja das menschliche Geschlecht auf zu existieren! – wenn es sich nicht um die Tochter des grausamsten Feindes deines Vaters handelte. Aber da dies nun einmal der Fall ist, so begreife ich, daß deine Gewissensbisse darüber, daß sie dir gefallen hat, dir Schlaf und Gesundheit gekostet haben, wie es allen geht, die eine Todsünde begehen. Deswegen beschwöre ich dich im Namen Don Rodrigos Venegas (möge er in Frieden ruhen!) und selbst im Namen Gottes, jenen Platz nicht mehr zu betreten, wenn du nicht meine Liebe, die Achtung der Menschen, ja deine Seele verderben willst!«

Etwas ganz Aehnliches hatte sich Manuel in seinem Innern auch schon gesagt. Als er nun die entschlossne Sprache hörte und die liebevollen Thränen seines ihm über alles teuren Beschützers sah, so gab er sein Ehrenwort, den Platz nicht eher wieder zu betreten, als bis ihn Don Trinidad von seinem Versprechen entbinden würde.

So vergingen denn nicht weniger als drei tötlich lange Jahre, ohne daß Manuel Soledad sah.

Während jener Zeit lebte der seltsame Knabe fast nur in der Kirche, mehr als je seiner alten Freundschaft mit dem Christuskinde hingegeben. Er schenkte ihm allerhand Dinge, küßte es häufig, ja pflegte ihm ins Ohr zu sprechen, wie um ihm seine Leiden mitzuteilen. Nur eins vermochte er selbst in den Augenblicken größter Hingebung nicht, nämlich zu weinen. Die Gabe der Thränen blieb dem Unglücklichen völlig versagt.

Als er so sechzehn Jahre alt geworden war und der wachsame Don Trinidad (der ihn übrigens nie darnach fragte) schon glaubte, er habe seine knabenhafte Leidenschaft vergessen, änderte er plötzlich seine Lebensweise und fing an, weite Ausflüge ins Gebirge zu machen. Manchmal blieb er wochenlang aus, ohne daß er doch irgend jemand in der Sierra kannte. Ja er vermied es, sich Stellen zu nähern, wo Menschen waren, nahm aber anderseits nie Waffen oder Mundvorrat mit.

»Junge,« sagte eines Tages der Geistliche zu ihm, »wie machst du es denn mit dem Essen?«

»Herr Pfarrer,« antwortete er, »in der Sierra gibt es alles.«

»Ja, ich weiß wohl, daß es dort wilde Früchte und Gemüse, sowie großes und kleines Wild gibt. Aber wie kannst du es ohne Büchse jagen?«

»Hiermit!« erwiderte Manuel, indem er ihm eine Schleuder zeigte, die er am Gürtel hängen hatte. »Und mit Baumzweigen, und mit dem Arme, und mit den Zähnen, wenn es nötig ist!«

»Junge, du bist ein wahrer Teufel!« antwortete der Pfarrer, dem im Grunde das rauhe Leben im Gebirge besser behagte als das zivilisierte in der Stadt, und der keine Ader von Feigheit in sich hatte.

So that er nichts, um die neue Leidenschaft seines Pfleglings einzuschränken. Ja, er billigte es, daß der Verwaiste eine Mutter in der Einsamkeit und eine Freundin in der Natur suchte, wie er einen Bruder in dem Christuskinde gefunden hatte.

»Was sollen wir thun?« pflegte er zu seiner Haushälterin zu sagen. »Wenn er in diesem Hundeleben, das er führt, nichts Gutes lernt, so wird er wenigstens auch nichts Schlechtes lernen. Wenn er niemals dazu kommt, Latein zu verstehen, so wollen wir ihn ein Handwerk lernen lassen, und damit Gott befohlen!«

Manuels Ausflüge wurden immer länger, und jedesmal kam er schweigsamer und trauriger zurück. Er sah, wenn er nach monatelanger Abwesenheit zurückkehrte, schrecklich genug aus: von Sonne und Regen gebräunt, Hände und Füße durch das Klettern in unzugänglichen Felsenlabyrinthen zerrissen, manchmal von den Zähnen eines Wolfes, eines Ebers oder andrer wilder Tiere verwundet, aber immer mit dem Felle dieser seiner Widersacher bekleidet – denn dies war das Einzige, was der neue Nimrod von seinen ungleichen Kämpfen zurückbrachte.

Aber ach, was wollten alle diese Wunden bedeuten im Vergleich mit dem Unglück, welches eine hartnäckige Leidenschaft in der kranken Seele des Unglücklichen stiftete? Was halfen dem diese Anstrengungen, der in ihnen Ruhe und Vergessen suchte und ein Heilmittel gegen tiefe und tötliche Sorgen zu finden hoffte?

Denn wir müssen es aussprechen: in Wahrheit kämpfte Manuel in jenen wilden Einöden, ohne jedoch den Sieg erlangen zu können, mit seiner unfreiwilligen und unzerstörbaren Liebe zu Soledad, wie er – ebenso ohne Erfolg – mit ihr in der Kirche der Jungfrau Maria unter dem Schutze des Knaben mit der Weltkugel gekämpft hatte. – Er war sechzehn Jahre alt, in seinen Adern floß arabisches Blut, und in seiner feurigen und hartnäckig zähen Einbildungskraft glänzte heller und bezaubernder als je das Bild des ihm versagten Mädchens, der verbotnen Frucht, des unmöglichen Glückes, während sein ängstlich zartes Gewissen stündlich größeren Widerwillen gegen diese verbrecherische, schändliche, gotteslästerliche (denn so bezeichnete er sie damals) Leidenschaft empfand, die ja so viele Pläne von Vergeltung und Gerechtigkeit vereitelt hatte, die der Verwaiste in den drei Jahren stummen Nachdenkens hatte reifen und zeitigen lassen. Er stellte sich vor, sein Vater vom Jenseits aus werde die Liebe verfluchen, die der Teufel ausgesonnen habe, um den Tod des besten und ritterlichsten Mannes ungerächt zu lassen. Der Jüngling machte unerhörte Anstrengungen, um Soledads Namen aus seiner Seele zu reißen, den liebevollen Blick ihrer Augen im Geiste nicht zu sehen, den Ton ihrer süßen Stimme nicht zu hören, die, welche sie sahen, um das Glück ihres Lächelns nicht zu beneiden, mit einem Worte, jenen wahnsinnigen Wunsch zu töten, der ihn trieb, auf ewig ihr Freund und ausschließlich ihr Freund zu sein, jenen Wunsch, der in seiner stolzen Seele gerade aus der Unmöglichkeit entstanden war, ihn zu befriedigen.

Wir wissen nicht, wie weit es mit Manuel gekommen sein würde, ob ihm wirklich endlich ein Fell wie den wilden Tieren gewachsen wäre, und er angefangen haben würde, auf vier Beinen zu gehen – wie nämlich die Haushälterin prophezeite – wenn es dieser guten Person nicht geglückt wäre, Don Trinidad davon zu überzeugen, daß der künftige Nebukadnezar die Tochter des Wucherers mehr als jemals liebe, daß dies der Grund des unglücklichen Lebens sei, welches er führte, und daß diese unüberwindliche Leidenschaft, wenn man ihr nicht freien Lauf ließe, die geringe Vernunft, die der Unglückliche noch hätte, ihm vollständig nehmen würde. Dann aber könnten Don Elias, seine Frau, seine Tochter und wer sich ihm sonst in den Wege stellte, anfangen zu zittern!

Don Trinidad sah dies alles ein und bemühte sich einen Weg zu finden, wie er die Liebe Manuels zu Soledad mit den ewigen Grundsätzen der Sittlichkeit und Gerechtigkeit in Einklang bringen könne, jene Liebe, die ihm drei Jahre vorher so verabscheuenswürdig vorgekommen war. Nach langem Nachdenken in schlaflosen Nächten und vielen Beratungen mit seiner Haushälterin, einer sehr gescheuten Schwester derselben und der Gattin des Wucherers selber (die den guten Pfarrer zu besuchen pflegte, wenn Manuel in der Sierra war), hielt er sich endlich selber eine Rede, deren hauptsächlichste Gesichtspunkte folgende waren:

Daß erstens Don Elias Perez y Sanchez, alias Kaiphas, wenn auch habsüchtig und grausam von Natur, doch bei seinen Geschäften mit Don Rodrigo Venegas y Karrillo de Albornoz immer streng gesetzlich gehandelt, ihn auch niemals dazu angereizt oder verlockt habe, sich Geld von ihm zu borgen, noch andre Zinsen von ihm verlangt habe, als die feierlich beiderseits stipulierten; –

Daß zweitens der Umstand, daß Don Rodrigo zu seinem großen pekuniären Schaden eine Abteilung Freiwilliger gegen die Franzosen ausgerüstet und unterhalten hatte, ihm zum größten Ruhme gereichte, so daß, wenn Elias ihm, wie indiskrete Vermittler gewünscht hatten, einen Teil seiner Schuld erlassen hätte, er die Bedeutung der patriotischen That des tapfern Edelmannes vermindert haben würde, da dann sein Name mit weniger Glanz in den Jahrbüchern der Geschichte stehen müßte; –

Daß drittens ja nicht der Wucherer Feuer an sein Haus gelegt hatte, sondern seine aufs Aeußerste gebrachten Schuldner, unter denen ja Rodrigo die erste Stelle einnahm; dieser also, wenn er starb, um seine Schuldverschreibungen seinem Gläubiger wieder zu verschaffen, sich von der schmachvollen Anklage eines Brandstifters, die auf den andern sitzen blieb, reinigte und so einen neuen Ruhm erwarb, der gerade darin bestand, daß jene heldenmütige Handlung ebenso freiwillig als uneigennützig erschien; – folgerechterweise also dieser ihr Charakter in dem Augenblick verloren ging, in welchem Don Elias Perez y Sanchez dem Rodrigo oder seinem verwaisten Sohne irgend welche Schenkung gemacht oder irgend welchen Teil der Schuld erlassen hätte: – (denn dann würde sich in der Meinung Uebelwollender die Heldenthat in eine kühne Spekulation, einen bezahlten Dienst, ein freches Mittel, sich oder seinem Sohne Geld zu verschaffen, verwandelt haben, alles Dinge, die der Edelmann in dieser wie in jener Welt weit von sich gewiesen haben würde); –

Daß man viertens und letztens infolge dieser Voraussetzungen und unter genauer Berücksichtigung der hierüber vom Konzil von Trient getroffenen Bestimmungen, um größeres Uebel zu vermeiden und die Einwilligung der in Betracht kommenden Parteien vorausgesetzt, die Entscheidung dahin treffen könne, daß es kein sittliches oder kanonisches Hindernis dafür gebe, daß die Tochter des Don Elias die Verlobte, und wenn die Sachen gut gingen, die Ehefrau des Sohnes Don Rodrigos würde, möge nun das klatschsüchtige und gewissenlose Publikum sagen was es wolle, welches sich ja immer nach fremdem Unglück und Trübsal sehne, um dann die bequeme Rolle des Zuschauers oder Klageweibes zu übernehmen.

Man kann sagen, daß diese Rede dem Don Trinidad die meiste Mühe von allen gekostet hatte, die er in seinem Leben ausgedacht hatte. Umsomehr war er damit zufrieden, rief den unglücklichen Jüngling herbei und setzte ihm die erwähnten Gründe in sehr verständlichen, wenn auch nicht sehr logischen Worten auseinander, indem er mit einer Umarmung und mit Thränen schloß, seinem Hauptargument in schwierigen Fällen.

Schließlich erhob sich der gute Priester nach Beendigung dieser gewissermaßen offiziellen Rede von dem mit Leder überzognen Sessel, der ihm zum Katheder gedient hatte, und sagte, indem er sich zu einer einfacheren und gewöhnlicheren Redeweise bequemte, als hätte der Jüngling bis dahin nichts verstanden, sozusagen als Ergänzung für das Haus:

»Du siehst also, Einfaltspinsel, daß dich nichts hindert, deine Absicht auszuführen, dich mit Soledad und ihrer Familie zu befreunden, oder sie gar nach einigen Jahren, wenn du das Alter haben wirst, um an solche Thorheiten zu denken, zu heiraten, vorausgesetzt, daß das Püppchen dich dann ebenso wie jetzt liebt, wie mir soeben die Mutter sagte. Was reißest du die Augen so weit auf? Glaubst du, ich lasse Gras unter meinen Füßen wachsen, wenn es sich um die geringste deiner Launen handelt. Nun also: ja, Maria Josepha, die eine vortreffliche Frau ist, glaubt, daß ihre Tochter dich liebt, und würde sich in der Seele freuen, wenn der Handel zwischen Elias und deinem Vater durch einen Segen sein Ende nehmen würde, den ich mit Vergnügen über euch beide aussprechen würde. – Die Sache ist die, daß die arme Frau, die nicht grade das Pulver erfunden hat, manchmal Gewissensbisse darüber bekommt, ob fünfundzwanzig Prozent nicht ein etwas zu hoher Zinsfuß ist und Zinseszinsen überhaupt unter Christen zulässig sind. Und um es kurz zu sagen, das sind alles Dummheiten: was geht das Geldinteresse Gott und das Glück unsrer Seele in dieser und jener Welt an? Was hat dein Vater sich je einen Pfifferling darum gekümmert? Also jetzt heißt es vernünftig sein, dick werden, sich anziehen wie ein vernünftiger Mensch, und keine Thorheiten mehr begehen! Hier hat dir Polonia einen neuen, gar nicht übeln Anzug besorgt, damit du heute deinen siebzehnten Geburtstag feiern sollst. Jetzt bist du ein Mann! Was Don Elias anbetrifft, so wird er freilich sehr halsstarrig sein. Denn er hat einen harten Schädel, und dein Vater und du seid daran schuld, daß er in der ganzen Stadt gehaßt wird und sich wie ein Aussätziger in seinen vier Pfählen halten muß; wobei du übrigens wirklich unrecht gethan hast, wie ich dir schon damals gesagt habe, denn es war eine Unbescheidenheit, sich alle Nachmittage vor jenem Fenster hinzusetzen, und Maria Josepha hat mir gesagt, daß er darüber – übrigens mit gutem Grunde – außer sich gewesen ist. Aber trotzdem behaupte ich, daß wir ihn zahm machen werden, wenn du erst zwanzig oder fünfundzwanzig Jahre alt sein wirst. Jetzt bist du ja noch ein Kind! Die Hauptsache ist, daß das junge Ding dich lieb behält, denn sie wird bei ihrem Vater, wie gewöhnlich, durchsetzen, daß er zu allem Ja und Amen sagt. Ist sie doch ein Weib! Gott sei gelobt! Also gehe, wasche dich, ziehe deine neuen Sachen an und lasse dich dann von mir betrachten, damit ich sehe, wie schön du aussiehst. – Polonia wird dir helfen, diese Bärenzotten zu kämmen. Gott sei's geklagt, was für Mühe hat man doch damit, einen Menschen zu erziehen!«

Man kann sich leicht denken, in welche Aufregung diese Worte Manuel versetzten! Soledad liebte ihn! Ihre Mutter begünstigte diese Liebe und träumte davon, die Liebenden einst zu verheiraten. Der Pfarrer, der ehrenhafteste Mann auf Erden, fand nichts Tadelnswertes in dieser Heirat! Endlich: er konnte sich einen neuen Anzug anziehen, sogleich auf die Plaza de los Venegas gehen und versuchen, Soledad nach so langer Trennung wieder zu sehen! Sie mußte schon erwachsen sein, sie, die den Knaben schön gefunden hatte, als er es sicher nicht so sehr war, wie jetzt als Jüngling!

So mußten der Egoismus und die Eitelkeit Manuels als Antwort auf die Schlußworte des Geistlichen sprechen. Wir brauchen also nicht hinzuzufügen, daß mehr der Schluß der Rede, als die logischen Deduktionen ihn überzeugt hatten, er habe sich ohne Grund gepeinigt und könne jetzt seine Leiden enden, indem er in dem neuen Anzug einen friedlichen Feldzug unternähme, um – nach fünf Jahren oder, wenn möglich, schon viel früher – die Hand Soledads zu erhalten!

Es schlug elf Uhr vormittags, als er das Zimmer seines Beschützers verließ, und noch war es nicht elf und ein halb Uhr, als er sich schon im vollsten Staate auf dem stillen Platze befand, der seinen Namen trug. Aber diesesmal setzte er sich nicht auf die Bank, die mit so bittern Erinnerungen für ihn verknüpft war, sondern ging demütig vor der Thür des Pensionates auf und ab, die Sekunden zählend, die noch an zwölf fehlten, und hoffend, Soledad würde immer noch die Anstalt besuchen.

Wie seine eigne entschuldbare Eitelkeit es dem bartlosen Liebhaber gesagt hatte, die Schönheit, die ihn als Knaben auszeichnete, hatte sich, als er zum Manne heranwuchs, außerordentlich vermehrt. Trotz der Härte seines rauhen Lebens in der Sierra, oder vielmehr gerade in Folge davon, hatte er fast schon die Gestalt und Kraft eines Mannes und jenen Stempel männlicher Majestät und Stärke, der elf Jahre später die Bewunderung aller erregen sollte, die ihn auf dem Wege nach seiner Vaterstadt sahen. Trotzdem verlieh der Reiz der Jugend damals seinen Zügen eine bezaubernde Milde und jungfräuliche Frische, welche durch den leisen Schatten des kaum beginnenden Bartes eher gehoben als vermindert wurde. Mit einem Worte: er war zugleich Knabe und Mann, so daß ein halbes Kind, wie Soledad, ihn vielleicht nicht der Beachtung wert hielt, ihn jedoch jedes Mädchen und jede Frau nicht ohne Entzücken betrachten konnte.

Der schöne Jüngling ging vor der Thüre des Pensionats auf und ab, sehr zufrieden mit seinem Anzug aus blauem Tuch, seinem neuen Hut und dem roten Seidentuch, welches ihm Polonia mit der Nadel festgesteckt hatte, die sie dem Kuraten an dem Tage geschenkt hatte, an welchem er die erste Messe las (sie war nämlich, ehe sie seine Haushälterin wurde, seine Amme gewesen, und sagte zu ihm, wenn sie allein waren: »Siehst du, Junge!«), als die Domglocke zwölf schlug und die Thüre der Schule sich öffnete, um Soledad und ihre Mitschülerinnen – ebenso wie die des Palastes der Venegas, um den uns schon bekannten Alten herauszulassen.

Die andern Mädchen entfernten sich von Soledad mit geheimnisvoller Miene, als sie den Jüngling, den sie ohne Zweifel erkannten, auf sie zutreten sahen. Der Diener, der ihn ebenso erkannte, blieb am Portal des Palastes stehen, indem er ein Unglück befürchtete, und Soledad – wir brauchen nicht zu bemerken, daß sie eher als die andern alles gesehen hatte – wurde scharlachrot und versuchte ihren Weg fortzusetzen.

»Höre, Mädchen,« sagte mit ungewöhnlicher Milde der sonst so rauhe Manuel, indem er unter Bezeigung der größten Achtung in den Weg trat – »ich muß dir eine Botschaft an deinen Vater geben ...«

Soledad blieb stehen und heftete ihre großen milden Augen ohne den geringsten Ausdruck von Schrecken oder Erstaunen auf Manuel. Auch sie war sehr gewachsen. Ihre Mutter that nicht wohl daran, sie noch in die Schule zu schicken, man konnte sich nichts Anziehenderes und Geheimnisvolleres, als das poetisch schöne Gesicht dieses Mädchens denken, dessen tiefer aber verschlossner Verstand die lebhafteste Neugier und den heftigsten Wunsch erweckte, in die Tiefen ihrer Seele einzudringen. Was die plötzliche Röte betrifft, die die unerwartete Begegnung bei ihr hervorrief, so verschwand sie mit derselben Schnelligkeit, ohne ein andres Anzeichen zu hinterlassen, durch welches man in ihrem Herzen hätte lesen können, als jene unendliche Weichheit des Blickes.

Manuel blieb wie bezaubert stehen und war nicht imstande, seinen Satz zu Ende zu bringen, so sehr blendeten ihn die neuen Reize des schönen Geschöpfes, dem er seit der Kindheit seine Seele verlobt hatte, daß er einen Augenblick die Augen zu Boden senkte.

»Soledad,« fuhr der Halbwilde dann mit so sanfter und melodischer Stimme fort, daß er den größten Wüterich erweicht hätte, »sage deinem Vater von Manuel Venegas, daß es von dir abhängt, daß er und ich Freunde werden. Sage ihm, daß ich dich mehr als mein Leben liebe, daß ich bereit bin, ihm zu verzeihen, wenn er einwilligt, uns, sobald wir das Alter dazu haben, zu verheiraten! Dann werden unsre alten Rechnungen ausgeglichen sein und viel Unglück vermieden werden! Sage ihm, daß ich mich bis dahin bemühen will, ein ordentlicher Mann zu werden, und sage ihm endlich, daß deine Mutter und Don Trinidad Muley mit Freuden zu diesem Friedensschluß die Hand bieten.«

Und ich? konnte das Mädchen fragen. Aber sie hütete sich wohl so zu fragen.

Ebensowenig antwortete sie irgend etwas; nur hätte man leicht bemerken können, daß sie, als Manuel sagte, daß ihre Mutter und der Pfarrer mit ihm einverstanden seien, die Augen niederschlug und sich auf die Lippen biß, wie um ihre Bewegung zu verbergen oder zu unterdrücken.

Nachdem Manuel seine kurze Rede beendet hatte, versuchte Soledad von neuem, ihren Weg fortzusetzen, doch der Jüngling vertrat ihr denselben nocheinmal mit der größten Höflichkeit und fügte hinzu:

»Morgen zu derselben Stunde werde ich dich hier erwarten, damit du mir die Antwort deines Vaters geben kannst.«

Hierauf grüßte er sie höflich, indem er den Hut abnahm, und gab ihr den Weg frei.

Darauf war es Soledad, welche stehen blieb, weil sie es selber wollte. Sie heftete auf Manuel einen langen Blick voll von Liebe und Verdruß, einen Blick, der einem Tadel gleichkam; bewegte die Lippen, wie um ihm etwas Liebevolles zu sagen, bereute es aber wiederum und senkte mit etwas spät kommender Verlegenheit ihre verwegnen Augen. Endlich fing sie wie über ihre Kühnheit oder ihre Furcht an zu lächeln und lief mehr als sie ging dem Palaste zu.

Es war Zeit: denn in diesem Augenblick hörte man schon eine schreckliche Stimme innerhalb des Palastes donnern, die furchtsame Maria Josepha kam heraus, um ihre Tochter zu holen, und man konnte sehen, wie der entsetzte Diener dem im Innern Tobenden entschuldigende Erklärungen gab.

Mitten in der unendlichen Verwirrung, in welche der Blick des Mädchens, mit allem, was er enthielt, Manuel versetzt hatte, fühlte er in seinem Innern heftigen Zorn entbrennen und war schon im Begriffe, nach dem Palaste zu eilen. Doch sogleich bezwang er sich, zuckte die Achseln und ging mit majestätischer Langsamkeit nach der entgegengesetzten Seite fort, ohne sich auch nur umzuwenden, um zu sehen, was hinter ihm auf dem Platze vorging. In dem Augenblicke, in welchem er ihn verließ, hörten die Stimmen auf und das Thor schloß sich.

»Morgen werden wir ja sehen!« sagte er mit der Ruhe der Gerechtigkeit und der Kraft.

8.

Entwickelung.

Am folgenden Tage um elf Uhr morgens befand sich Manuel schon vor der Thüre des Pensionates, indem er die Antwort des Vaters erwartete. Bis zu dem Augenblick, in welchem das Mädchen das Heiligtum verlassen mußte, in welchem ungebildete Mädchen und dumme Lehrerinnen (so pflegen Verliebte zu denken) das Glück genossen, sie nähen zu sehen und ihre Aufgaben zu verherrlichen, als wäre sie eine Sterbliche wie die andern, ging der arme Verliebte soweit als möglich von dem stummen Hause entfernt auf und nieder, indem er zum hundertstenmal im Gedächtnis alle Worte wiederholte, die er gestern der Königin seiner Gedanken gesagt hatte, sowie alle Thorheiten und verwegnen Gedanken noch einmal überdachte, welche ihm das Erröten, der Blick, der Unwille, die Furcht, das Lächeln und das Forteilen des unerschrocknen und schweigsamen Mädchens verursacht hatte.

Eins konnte er nicht bezweifeln und bezweifelte es nicht, daß Soledad ihn liebe: nicht deswegen, weil Don Trinidad Muley es ihm gesagt hatte, er, der es von der Mutter des Mädchens erfahren hatte, – sondern weil es ihm ihr ganzes Wesen sagte, welches von einer Freude und einem Glück verklärt war, über welches seine offne Seele nicht im Zweifel sein konnte, sobald er einmal den Blick aufgefangen hatte, der ihm ein süßes und längst geahntes Geheimnis enthüllte und mit welchem das zum Weibe gewordne Kind den Knaben in einen Mann verwandelt hatte.

Was die Antwort des Wucherers anlangte, so war Manuel seiner Sache vollkommen gewiß. »Welchen bessern Ausweg gibt es für den in seinem Hause eingepferchten Kaiphas?« so sprach der Jüngling zu sich selbst, indem er überfloß von Glück, Stolz und Selbstvertrauen, »als mit mir zu verhandeln, meinem Zorn zu entgehen und seinen Frieden mit dem Geiste meines Vaters, mit der Menschheit und mit Gott zu machen? Es gibt nichts Besseres für ihn! Soledad ist mein! Meine Leiden sind zu Ende! Morgen fange ich an zu arbeiten und in vier bis fünf Jahren bin ich reich genug, um die Geliebte heimzuführen!«

Endlich war es nahe an zwölf Uhr, aber der Kassierer verließ den Palast nicht, um das Mädchen abzuholen. Sollte heute kein Unterricht gewesen sein? Die Minuten erschienen dem ungestümen Jüngling wie Jahrhunderte, und bald fing er an, die Festigkeit des Gebäudes zu bezweifeln, welches seine Hoffnungen ihm erbaut hatten und das ihm kurz vorher so unzerstörbar erschienen war.

Endlich läuteten alle Glocken der Stadt die drei Ave-Maria und die Mädchen fingen an, zuerst in Gruppen, dann einzeln, die Schule zu verlassen. Soledad war die einzige, die nicht herauskam, und auch der Diener war nicht gegangen, um sie abzuholen!

Manuel konnte sich nicht länger bezwingen, er näherte sich einer Schülerin von fünf oder sechs Jahren, die etwas zurückgeblieben war und dicht bei ihm vorbeiging, und fragte mit erkünstelter Gleichgültigkeit:

»Sage mir, Mädchen, kommt Soledad heute nicht aus der Schule?«

»Nein, Herr,« antwortete die Kleine, »man hat sie zur Strafe aus der Schule genommen.«

»Warte, alter Schurke!« rief Manuel aus, indem er sich mit geballter Faust nach dem Palaste umdrehte, als wollte er die Mauern einreißen und Don Elias unter ihren Ruinen begraben.

In diesem Augenblick erblickte er Don Trinidad Muley, der sich schon vor einigen Augenblicken zwischen seinen betäubten Zögling und den Palast gestellt hatte.

»Du hast recht, es ist ein Schurke! Deswegen bin ich gekommen, um dich zu holen,« sagte der Geistliche und ergriff ihn am Arme.

»Herr Pfarrer!« rief Manuel in Verzweiflung, wenn auch ehrerbietig aus, »warum ließen Sie mich nicht an dem Tag sterben, an dem mein Vater begraben wurde?«

»Junge! was sagst du? Das ist Gotteslästerung!« antwortete der Priester schaudernd, »komm, laß uns fortgehen, wir müssen miteinander reden. Der Tag ist schön. Wir wollen in der Gartenstraße etwas in der Sonne spazieren gehen. Hier ist jetzt doch niemand!«

Manuel hatte den Kopf auf die Brust gesenkt und war in tiefes Nachdenken verfallen.

»Komm, komm,« fuhr der Priester fort, »verliere den Mut nicht! Auf Erden gibt es für alles Mittel, besonders wenn man ein Christ ist! Ich werde dir sagen, welchen Weg du mit dem alten Fuchse einschlagen mußt. Komm, hier wird es schon kalt.«

Der junge Mann folgte seinem Beschützer, ohne den Kopf zu erheben, und ohne Zweifel mehr mit den kühnen Plänen beschäftigt, die er selber an diesem Tage ersann, als mit dem, was ihm der Pfarrer sagen konnte.

Als sie in der nahe gelegnen Gartenstraße ankamen, stand Don Trinidad Muley – von dem wir vergessen haben zu sagen, daß er, obgleich erst siebenunddreißig Jahre alt, doch sehr dick war, still wie ein auf den Sand laufendes Schiff, nahm den ungeheuern Hut ab, trocknete sich den Schweiß mit einem geblümten Taschentuche ab, holte zwei- oder dreimal tief Atem und sagte:

»Was sollen wir viele Umschweife machen? Du mußt Soledad vergessen! Ihr Vater haßt dich wie die Sünde und wird sie dir nie geben! ›Nenne mir seinen Namen nicht, lieber will ich sie tot sehen!‹ sagte er gestern als Antwort auf deine Botschaft. Und gleich darauf schickte er nach der Schule und ließ den Stuhl und die andern Sachen des Mädchens holen und der Lehrerin sagen, Soledad sei schon zu groß, um noch in die Schule zu gehen. Alles dies hat mir soeben Maria Josepha mit Thränen in den Augen erzählt. Sie ließ mir heute morgen sagen, ich solle um halb zwölf Uhr jemand erwarten, der mit mir reden wollte. Die arme Frau wollte dich nicht sehen, und wußte, du würdest um diese Zeit vor der Thüre der Schule sein. Also Punktum! Du mußt mir dein Wort geben, ja du mußt es mir zuschwören, daß du nicht mehr an Soledad denken willst!«

Manuel hielt immer noch den Kopf auf die Brust gesenkt und fragte, als der Pfarrer aufgehört hatte zu reden:

»Sagen Sie mir, was hat Soledad ihrem Vater geantwortet?«

»Nichts. Was sollte sie antworten?«

»Hat sie denn aber keine Betrübnis gezeigt? Nicht geweint?«

»Soledad ist wie du: sie weint nicht. Ich habe ihre Mutter danach gefragt.«

Manuel fragte weiter:

»Und was sagte Maria Josepha? Glaubt sie immer noch, daß ihre Tochter mich liebt? Denkt sie, daß Soledad sich dem Willen ihres Vaters fügen wird?«

»Junge, nimm dich in acht!« antwortete der Pfarrer erschrocken. »Wir sind nicht hierher gekommen, um von Soledad, sondern um von dir zu sprechen. Quäle mich nicht mit unnützen Fragen!«

»Sie wollen mir also nicht sagen, was ihre Mutter denkt!« rief der Jüngling in Aufregung aus.

»Nein, durchaus nicht!«

»Gut! Was soll ich thun? Sie sind mein zweiter Vater: ich muß mich fügen und sehen, was zu thun ist!«

»Nimm dich in acht, Manuel, du liebst mich nicht. Du fängst schon an, Drohungen auszustoßen. Der verdammte Stolz wird noch dein Verderben sein!«

»Sie irren sich, Herr Pfarrer! Ich liebe Sie wie meinen Vater, aber ich liebe außerdem Soledad mit allen Kräften meiner Seele!«

»Du darfst sie aber nicht lieben, und wenn es dir noch so schwer wird! Du mußt sie vollständig vergessen! Ich befehle es dir, ich bitte dich darum!«

»Unmöglich, Don Trinidad, unmöglich!« antwortete Manuel mit einer Ruhe und Sanftmut, die seinen Worten mehr Energie gab, als wenn er sie in der Hitze der Leidenschaft ausgesprochen hätte. »Mir raten, daß ich von Soledad lassen soll, heißt das Blut in meinen Adern fordern. Ja, wenn ich es vergießen und dafür meinem Körper neues Blut geben könnte, ihr würde es gehören, sobald es mein Herz berührte! Vater, mein Herz gehört ihr, wie der Stein dem Erdboden, auf den er, noch so weit weggeworfen, immer wieder zurückfällt. Drei schreckliche Jahre habe ich in der Sierra zugebracht, mit mir selber kämpfend, um die Wurzeln dieser Liebe aus meiner Seele und meinem Herzen zu reißen. Ich habe meinen Leib der Wut der entfesselten Orkane auf der Höhe der Berge preisgegeben, indem ich hoffte, sie würden diese Leidenschaft heraustreiben! Statt dessen haben mich diese fortwährenden Kämpfe nur stärker und stärker gemacht! Sagen Sie mir: was bleibt mir übrig? Sterben? Mich töten? – Nein ich will nicht sterben, denn dann müßte ich Soledad verlassen.«

»Junge, du bist ein wahrer Satan! Du sprichst, wie die von der Kirche verbotnen Bücher! Von wem hast du das gelernt? Und das Schlimmste ist, daß ich nicht weiß, was ich dir antworten soll! Also sage mir deine Absicht: denn du hast gewiß eine...«

»Eine Absicht?« antwortete Manuel mit der Ruhe des Fanatismus. »Ich weiß nicht, was sich morgen ereignen wird, oder wie ich die Kette zerreißen werde, die mich fesselt: nur eins weiß ich, daß Soledad mein sein wird!«

»Wenn sie dich nun aber nicht liebt?«

»Hat Ihnen ihre Mutter das gesagt?«

»Ach was! Laß mich in Ruhe! Ihre Mutter hat es mir freilich nicht gesagt, sondern gerade das Gegenteil. Die arme Frau glaubt immer noch, ihre Tochter würde sich sehr freuen, wenn der Alte mit dir Frieden schlösse. Aber – gesetzt den Fall – wenn das Mädchen dich nun vergäße?«

»Sie wird mich nicht vergessen, Herr Pfarrer!«

» Gut, aber wenn Don Elias sich, ohne daß irgend wer eine Ahnung davon hat, plötzlich entschlösse, sie mit jemand anders zu verheiraten?«

»Das ist eben so unmöglich.«

»Warum unmöglich? Wäre es nicht möglich, daß irgend ein reicher, angesehner Mann um sie anhielte?«

»Niemand wird um sie anhalten! Alles das ist meine Sorge.«

»Manuel!«

»Herr Pfarrer!«

»Du jagst mir Angst ein!«

»Und mit Recht! Manchmal habe ich vor mir selber Angst!«

»Was willst du thun?«

»Gott weiß es! Soledad gehört mir und ich suche sie zu verteidigen. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen!«

»Aber ich kann nicht zugeben und werde nicht zugeben, daß du dich von dem teuflischen Stolze fortreißen läßt, den ich an dir entdecke. Merke es dir! Ich bin Christ und bin Priester. Ich liebe die Mutigen, aber nicht die Wütenden, und also ...«

»Ich verstehe. Sie wollen mich aus Ihrem Hause weisen. Es ist nur billig, und ich kann nichts dagegen sagen.«

»Gehe zum Teufel! Wer spricht von so etwas? Was ich sagen will, ist dies: ich werde niemals zugeben, daß du etwas gegen Gottes Gebot thust. Ich glaube auch nicht, daß du dazu fähig bist. Aber wenn du so etwas thätest, nachdem ich mir so viel Mühe gegeben habe, dich zu erziehen, so würde ich vor Gram darüber sterben, daß du nicht mein leiblicher Sohn bist – in diesem Falle könnte ich dich nämlich wenigstens tot prügeln – und vor Scham darüber, nichts Besseres aus dir gemacht zu haben ...«

»Beruhigen Sie sich, lieber Vater,« antwortete Manuel mit dem Ernste, den er nicht seinen Jahren, sondern seinem traurigen Leben verdankte; »ich will nichts als Gerechtigkeit, Gerechtigkeit für alle! Ich will mein Recht verteidigen und die ganze Welt zwingen, es zu achten. Ich will die Freiheit des armen Mädchens verteidigen, und verhindern, daß ihr Vater sie opfert, wie er mich geopfert hat. Und durch dieses einfache Mittel – zweifeln Sie nicht daran – werde ich bewirken, daß Soledad meine Gattin wird!«

»Nun, du wirst wissen, was du zu thun hast. Ich werde dich nicht aus den Augen verlieren! Die Sache hat gar keine Eile. Wir haben noch lange Zeit! Du selbst bist, wenn du auch plötzlich lang aufgeschossen bist, noch nicht alt genug, um ans Heiraten zu denken.«

9.

Strategische Operationen.

Von diesem traurigen Tage an bis zu dem Ereignisse, welches ihn zwang, die Stadt zu verlassen, um acht Jahre abwesend zu bleiben, führte Manuel mit bewunderungswürdiger Konsequenz und Charakterstärke das weitläufige Programm aus, welches er sich in der Gartenstraße ausgedacht hatte, und dessen Einzelheiten dem guten Pfarrer auseinanderzusetzen er für überflüssig hielt – ein um so kühneres und verwickelteres Programm, als es drei parallel laufende Handlungsweisen enthielt, eine in seinem Verhältnis zu sich selbst, die zweite in dem zum Publikum, und die dritte in dem zu Don Elias und Soledad.

Was ihn selbst anlangte, so war er entschlossen, zu arbeiten, Geld zu verdienen und sich eine unabhängige Stellung zu erwerben, nicht nur um seinem Beschützer nicht weiter lästig zu fallen, sondern auch um der Geliebten eine Heimat anbieten zu können, indem er sicher war, sie würde mit Freuden Don Elias und seine übel erworbnen Millionen verlassen, um dafür die reinen Freuden der Liebe und der Tugend einzutauschen.

Die Sierra, jener Schatz, der damals keinem gehörte und auf den daher alle einen Anspruch hatten, war auch bei dieser Gelegenheit das weite Feld, auf dem der Jüngling eine mächtige, ja riesenhafte Thätigkeit entfaltete. Aber jetzt setzte er sich nicht mehr unnötigen Gefahren aus, oder genoß ohne Nebengedanken das freie Leben in der Natur, sondern er zog großen Nutzen aus den weisen Lehren, die ihm einst sein Vater gegeben hatte, und aus der eignen Kenntnis der Geheimnisse und Reichtümer dieses wunderbaren Gebirges, welches man die Mutter Andalusiens nennen kann.

Industriezweige, die seit der Vertreibung der Mauren vergessen, die seit dem Tode Karls III. in Verfall geraten waren, sowie allerhand Kunstgriffe und Ausbeutungen der Natur, die erst in allerneuester Zeit die Aufmerksamkeit wieder auf sich gelenkt haben, wurden das Ziel der staunenswerten Erfindungskraft und riesenhaften Thätigkeit Manuels, der ohne Hilfe, – um seine Geheimnisse nicht verraten zu müssen – gleichzeitig Kräutersammler, Jäger (des Pelzwerkes wegen), Sammler seltener und kostbarer Hölzer, seltener Schlangen und Steine, endlich Goldwäscher wurde.

Besonders die drei zuletzt erwähnten Beschäftigungen brachten ihm viel ein. Das Gold findet sich in bedeutender Menge in dem Sande eines von jenen Höhen herunterstürzenden Flusses, und wenn dieser Goldreichtum das Land noch nicht in ein neues Peru verwandelt hat, so liegt es daran, daß die Arbeit, den Sand herauszuholen und zu waschen, so langwierig und mühsam ist, daß ein Mann in zwölf Arbeitsstunden kaum genug Gold gewinnt, um sein tägliches Brot zu bezahlen. Was die Steine (z. B. Jaspis und Serpentin) anlangt, so liegen sie zwar in den von ewigem Schnee umgebnen Schluchten offen da, aber ihre Gewinnung ist so schwierig und gefährlich, daß man sich nur selten und nur zur Ausschmückung von kostbaren Kirchen den Mühsalen derselben unterzogen hat. Aber was wollten diese Schwierigkeiten für eine Natur wie die Manuels bedeuten? Wo hatte man jemals so viel natürlichen Verstand, so viel Körperkraft, so viel Behendigkeit und so viel unerschütterliche Beharrlichkeit vereinigt gesehen? Wer kannte die Sierra so wie er? Wer war so an ihr rauhes Klima gewöhnt, so eingeweiht in das Labyrinth ihrer Pfade, so fähig, ohne Anstrengung ihre Gipfel zu erklettern und in ihre tiefen Abgründe hinabzusteigen? So leitete er die Bäche aus ihrem Bette ab, baute Wehre und Schleusen, kondensierte durch Abklärung die Goldatome, wie man heutzutage in Kalifornien zu thun pflegt, und erntete auf diese Weise in manchen Wochen mehr als fünfzehn Quentchen Gold. Um die Jaspis und Serpentine, ohne sie zu zerbrechen, an den Fuß der Sierra zu schaffen, umwickelte er die großen Steine mit Gras und wohlbefestigtem Laubwerk und stürzte sie die unwegsamsten Rinnsale schmelzenden Schnees hinab. Er selbst sprang unter Lebensgefahr diesen künstlichen Lawinen nach, während die schwere Last von Fels zu Fels stürzte und der Gießbach sich in einen Wasserfall zu verwandeln schien.

Endlich, um die kostbarsten, medizinisch wichtigen Kräuter oder die sonst nur nördlichen Klimaten eignen Tiere zu bekommen, deren Felle mit den höchsten Preisen bezahlt werden – um zu erhalten, was diese bevorzugte Gegend noch sonst hervorbringt (denn in ihr herrschen gleichzeitig die vier Jahreszeiten und es gedeiht ebenso das Isländische Moos wie der Indigo, die Tanne wie das Zuckerrohr, der Wermut wie der Kaffee, die Kastanie wie der Honigapfel) – hatte er unglaubliche Anstrengungen zu ertragen. Er mußte in den Regionen ewigen Schnees übernachten, zu schauerlichen, nie besuchten Sümpfen herabklettern, nie erstiegne Höhen ersteigen, mit einem Worte ein wahrer Herkules werden.

Wenn Manuel seine fünftägige Ernte gehalten hatte, begab er sich jeden Freitag in irgend einen nahe gelegnen Seehafen und verkaufte dort alles, was er selbst hatte transportieren können, oder traf Vorkehrungen zum Herabschaffen der Hölzer, der Serpentine und der Jaspis, die er vorher an einer vergleichsweisen niedrigen und zugänglichen Stelle des Gebirges aufbewahrt hatte. Sonnabend früh traf er in seiner Vaterstadt mit einer hübschen Summe Geldes ein. Er teilte dieselbe in drei gleiche Teile. Einen übergab er der Haushälterin, damit sie ihm reiche, wenn auch bürgerliche Kleidung besorgte, den zweiten Don Trinidad, damit er seinen Lebensunterhalt (denn jetzt nahm er Lebensmittel mit in die Sierra) und die Verehrung und den Schmuck des Christuskindes mit der Weltkugel davon bestritte, den dritten Teil behielt er für sich, um einen kleinen Schatz zusammenzubringen. Auf diese Weise sammelte er gleichzeitig zwei Schätze, denn der würdige Priester hob das ihm anvertraute für Manuel auf und bestritt die Kosten für das Christuskind aus seiner Tasche.

In der Stadt blieb er bis Montag früh, kleidete sich auf das eleganteste und spielte die Rolle, die er dem Publikum gegenüber anzunehmen sich entschlossen hatte. Sie bestand in dem, was er Don Trinidad Muley gegenüber nannte, Gerechtigkeit zu schaffen, und womit er bezweckte, sich allmählich – nicht das Mitleid und die Liebe seiner Mitbürger, denn diese besaß er schon – sondern ihre Achtung, ihre Ehrfurcht, ihren Gehorsam, ja (im guten Sinne des Wortes) ihre Furcht zu erwerben, und das zu werden, was er in Wahrheit sehr bald war, der Herr, der König, der Diktator der Stadt.

Die Gerechtigkeit war allerdings für Manuel das einzige Mittel, um jene Stellung zu erlangen, aber die Gerechtigkeit, die sich auf die Stärke stützte, der keiner entgehen und gegen die niemand Berufung einlegen konnte. Ihre Ausübung stützte sich auf das persönliche Ansehen Manuels und fand den Beifall und die Zustimmung der öffentlichen Meinung. Um deutlicher und einfacher zu sprechen, Manuel wandte während dreier Jahre die beiden letzten Wochentage dazu an, Eisenfresser ihres Ansehens zu berauben, Tyrannen zu unterdrücken, die Schwachen, wenn sie recht hatten, gegen die Starken zu schützen, die Herrschaft des Gesetzes zu befestigen, das Gesetz in den Fällen zur Geltung zu bringen, wo seine Diener es nicht anwenden wollten oder konnten, und jeden Mißbrauch, jede Ungerechtigkeit, jede den Wohlgesinnten verhaßte Gewaltthätigkeit abzustellen. Er suchte die tapfersten und bekanntesten Schnapphähne der Stadt mitten in ihren Quartieren und inmitten ihres Hofes von Besiegten und Bewunderern auf, indem er ihnen ihre Uebelthaten und Frevel vorhielt und anzeigte, er werde sie nicht dulden. Hierbei ging er stets unbewaffnet, und wenn auch einer ihn mit dem Dolch in der Hand angreifen wollte, was hilft der Dolch gegen einen Löwen, und was macht dem Löwen das bißchen Eisen aus, welches der Mensch in der Hand hält? Schnell wie der Blitz stürzte sich Manuel auf einen solchen Gegner, warf ihn allein durch die Gewalt des Sprunges zu Boden, ergriff den Arm des Hinterlistigen mit der Zange seiner Hand und zerbrach ihn, als wäre es schwaches Rohr. Dann wandte er sich gegen die andern – doch sie alle waren seine Unterthanen geworden und klatschten ihm Beifall zu, während sie den Gefallnen, der eben noch ihr Schrecken gewesen war, mit Schmähungen überhäuften.

Auf diese Weise unterwarf sich der waghalsige Jüngling fast alle Raufbolde der Stadt. Wo es Streit und Unruhen gab, war er, sobald er erschien, der Schiedsrichter. Ein Blick seiner Augen oder ein kaum ausgesprochnes Wort seiner Lippen genügte dazu, daß die Feigen ruhig und die Mutigen tapfer davongingen. Und da er außerdem oft aus seiner eignen Tasche Prozesse schlichtete und gethanen Schaden ersetzte, ja in der Selbstverleugnung, womit er die Armen unterstützte und ihr Unglück und ihre Schmerzen teilte, fast Don Trinidad Muley gleich kam, da er bei Bränden, Seuchen und Ueberschwemmungen mehr als einem das Leben gerettet hatte, so erschien seine Herrschaft, statt demütigend, allen angenehm und gerecht, so daß sie Verehrung und Ehrerbietung erntete.

Ganz verschiedne Ursachen trugen hierzu bei. Seine erlauchte Geburt, die Erinnerung an seinen heldenmütigen Vater, sein eignes Unglück, sein exzentrisches Leben, seine Identifikation mit dem Christuskinde mit der Weltkugel, seine Schweigsamkeit und vorzeitige Strenge, seine stolze Höflichkeit gegen die Wohlgesinnten, seine Schönheit, seine elegante Tracht, das günstigste Vorurteil, welches ein so beliebter Beschützer, wie Don Trinidad, für ihn erweckte, seine Freiheit von allen Lastern, der Gedanke, daß Soledad ihn liebte, und endlich selbst die Ahnung, daß er dereinst den Kaiphas für das Verderben so vieler Opfer seines unersättlichen Golddurstes züchtigen werde, – alles dies diente dazu, ihn in den Augen des Volkes zu heben, sein Ansehen zu vergrößern, und ihn zu einem der Männer zu machen, über die man Geschichten erzählt und Romanzen dichtet.

Wirklich hatte auch dieser Halbwilde viel Sagenhaftes und Ungewöhnliches, wenn auch nichts Uebermenschliches, an sich. Die Heldenseele, die er von seinem Vater geerbt hatte, war sich zwar aus Mangel an wissenschaftlicher Erziehung selbst überlassen geblieben, aber durch die Einsamkeit, den Schmerz, die Naturbetrachtung und die glühende Frömmigkeit der drei wie in Verzückung zugebrachten Jahre geläutert worden. Immer in jenen beiden Tempeln (der Kirche und der Sierra) nachdenkend und schweigend, bald dem Schmerze über seine Verwaistheit, bald dem Hasse gegen den Henker seines Hauses, bald seiner Liebe für Soledad hingegeben, bald jene drei Gefühle gleichzeitig hegend, war er zu einer großen Kenntnis der Kräfte seiner Seele gelangt, und niemand konnte sich wundern, daß er, obgleich noch so jung, die andern beherrschte. Es ging ihm wie Jakob nach seinem Kampfe mit dem Engel.

Endlich hatte Manuel noch das Glück, im Alter von neunzehn Jahren eine Riesenthat auszuführen, die ihn mehr als alle frühern in der abergläubischen Meinung des Volks hob und verherrlichte. Es begab sich (und hiermit beschließen wir die endlose Reihe der Thaten Manuels), daß in dem sehr kalten Winter von 1831 auf 1832 ein ungeheurer Bär sich aus den Gebirgen Asturiens in die südlich auslaufenden Schluchten der oft erwähnten Sierra verirrte, sei es, daß ihn der Hunger trieb, sei es, daß er vor dem dichten Schnee flüchtete, der sämtliche andern Gebirge der Halbinsel bedeckte. Er richtete großen Schaden unter den Herden, ja auch unter den Menschen an: denn wenn er keine Beute mehr in den Schafhürden fand, stieg er in die Ebene herab und fiel die Wanderer an. Alle Obrigkeiten der ganzen Gegend setzten einen hohen Preis auf sein Fell, aber wie viele auch immer ausgingen, ihn zu erlegen, alle kamen entweder übel zugerichtet oder sehr glücklich darüber zurück – daß er sie nicht erlegt hatte. Während so die Sachen standen und keiner aus der Stadt mehr wagte – nicht den Bären zu erlegen, sondern auch nur die wichtigsten Geschäfte auf dem Lande zu verrichten, fand man eines Morgens die Bestie, mit Dolchstichen getötet, mitten auf dem Marktplatze liegen.

Ohne Zweifel – dies folgte aus den Blutspuren – war das Tier aus der Sierra herabgeschleppt worden, aber man wußte nicht, wer die Heldenthat vollführt hatte, und niemand nahm die versprochne Belohnung in Anspruch.

Trotzdem sagte die Volksstimme: Manuel Venegas ist es gewesen! Er allein hat den Mut dazu!

Und wirklich wurde bald bekannt, daß Manuel in der vergangnen Nacht mit Blut bedeckt im Pfarrhause angekommen war, und daß der Barbier ihm drei große Wunden an den Schultern verbunden hatte.

Nur mit Mühe brachte man den Jüngling dazu, zu gestehen, daß er den Bären getötet hatte, und den schrecklichen Kampf zu erzählen, den er, da er damals die Manie hatte, keine Feuerwaffen zu gebrauchen, die er für hinterlistig erklärte, mit ihm hatte bestehen müssen. Jedoch war es nicht möglich, ihn zur Annahme der ausgesetzten Belohnung zu bewegen.

»Ich schenke sie unsrer Frau de la Soledad, der ich im Augenblick der höchsten Gefahr Leib und Leben befohlen habe. – Man soll ihr einen neuen Mantel kaufen und ein großes Fest ihr zu Ehren feiern!«

Leicht läßt sich die Begeisterung begreifen, die diese That in der Stadt hervorrief. Die ganze Bevölkerung besuchte ihn während der fünf Wochen, die seine Heilung dauerte, und bei jedem Besuche wurden die Heldenthaten des Vaters mit der Tapferkeit des Sohnes verglichen, der seinen Ruhm fortsetze. Und als er zuerst das Haus verließ und sich in die Kirche des heiligen Antonius begab, um der Jungfrau de la Soledad ein Dankgebet darzubringen, so empfing er von allen nicht nur Grüße, sondern auch Beifallsklatschen und Zurufe.

Und Kaiphas? Und seine Tochter? Was sagten sie zu alledem? Wie verhielt es sich mit dem Haß und der Furcht des einen, und der Liebe und der Hoffnung der andern bei dem fabelhaften Anwachsen der Gestalt, die für sie wichtiger war als für irgend einen andern? Niemand wußte etwas davon, da weder Vater noch Tochter geneigt waren, ihre Gedanken andern mitzuteilen, auch Maria Josepha sich nicht mehr im Hause des Pfarrers hatte sehen lassen. Wir beschränken uns also vorläufig darauf, anzudeuten, welches Benehmen ihnen gegenüber Manuel annahm.

In den drei Jahren, von denen die Rede ist, sah unser Verliebter Soledad jeden Sonntag eine Stunde lang. Er stellte sich morgens ihrem Hause gegenüber auf und wartete, bis sie mit ihrer Mutter in die Messe ging. Die letztere war streng kirchlich gesinnt und deshalb außer stande, ihrer Tochter die Vernachlässigung ihrer religiösen Pflichten zu gestatten, auch wenn sie auf diese Weise die Folgen der neuen Belagerung des jungen Mannes auf sich nehmen mußte. Freilich versuchte Elias alles Mögliche, um seine Frau und Tochter zu hindern, das Haus zu verlassen: aber es gibt keinen häuslichen Tyrannen, der stark genug wäre, die Frauen seines Hauses an der Erfüllung der Gebote der Religion zu verhindern, und außerdem war der Wucherer, wenn er auch selbst (aus Furcht sich auf der Straße sehen zu lassen) nicht zur Beichte und Messe ging, doch katholisch, apostolisch, römisch gesinnt, oder wollte wenigstens so erscheinen.

Glücklicherweise gehörte es vorläufig nicht zu Manuels Programm, Elias in irgend einer Weise feindlich gegenüber zu treten, oder irgend einen direkten Schritt zu thun, um sich Soledad zu nähern. Er beschränkte sich darauf, sie zu erwarten, vorübergehn zu sehen, ihr aus der Entfernung zu folgen und sich in der Kirche einen Platz zu suchen, von welchem aus er sie nach Gefallen betrachten konnte, sie darauf am Portal zu erwarten, und endlich wieder zu begleiten, bis er sie in dem Palaste verschwinden sah. Wenn er auch nur immer dies und nie mehr oder weniger that, so genügte es doch – und dies war seine Absicht – um der Tochter des Wucherers eine Leere zu schaffen, und die Furcht und Achtung, in welche er sich bei der Menge zu setzen gewußt hatte, genügte, um zu bewirken, daß Soledad als sein Eigentum erschien, daß niemand es wagte, zu ihr die Augen zu erheben und sich der gefürchteten Macht seines Armes und seines Mutes gegenüberzustellen.

Mutter und Tochter gingen stets ernst und traurig bei ihm vorüber, ohne ihn jemals anzusehen (denn das war ihnen verboten), aber nie ohne ihn zu sehen: bemerken doch die Frauen immer das, was sie zu sehen wünschen. Aber Manuel war nicht darüber betrübt, daß sie ihn weder ansahen noch grüßten: sein treues Herz sagte ihm, daß diese Traurigkeit selbst eine Art von Gruß war. Er konnte sich leicht die strengen Befehle denken, welche sie von dem Wucherer bekommen hatten, auf dessen Rechnung er auch diesen Posten setzte, und bemitleidete sie von Herzen, ohne ihnen etwas übelzunehmen. War er doch ihrer Liebe und ihres Mitgefühls vollkommen sicher! Hierzu kam, daß er einigemal bemerkt zu haben glaubte, daß ihn Soledad verstohlen anblickte!

Das Mädchen war an Anmut und Lieblichkeit gewachsen und hatte sich zu einer so außerordentlich schönen Frau entwickelt, von so geheimnisvoll poetischem Ausdruck der Züge, so schlanker verführerischer Gestalt, so melancholischen, von langen seidenartigen Wimpern beschatteten schwarzen Augen, einer so anziehenden bleichen Gesichtsfarbe, so weißen schönen Händen, und solcher Distinktion in ihrem ganzen Auftreten wie in ihrer ebenso ernst gehaltenen als kostbaren Kleidung, daß die Einbildungskraft der Menge allerhand Beinamen für sie zu erfinden anfing. Bald hieß sie das Mädchen von Silber, bald die Perle des Juden, bald die gestohlene Perle, bald das Stück Zucker, oder irgend etwas Aehnliches, bis endlich der Name der Schmerzensreichen als der für sie passendste ihr blieb. Wirklich sah sie aus wie eine Dolorosa, ein Bild der Jungfrau de los Dolores. Freilich war ihre Traurigkeit keine Betrübnis und hatte mehr Stolz als Sanftmut in sich. Aber ihr schwarzes Kleid, der weiße Kopfputz und der Gold- und Brillantenschmuck, welchen sie immer trug, stimmten vollständig zu jenem Beinamen.

Die Popularität, welche Manuel genoß, übertrug sich auf das Mädchen seiner Liebe und alle betrachteten sie mit einer Achtung und einem Wohlwollen, das ebenso groß war wie der Haß und das Uebelwollen gegen ihren Vater. Ja – wir müssen es aussprechen – das Volksbewußtsein hat oft so sonderbare Schwachheiten, daß selbst die Millionen, die nun doch einmal nicht zerstört oder ihrem Inhaber weggenommen werden konnten, eine gewisse Verehrung für sich zu gewinnen begannen. Besitzen, sagt ein juristischer Grundsatz, ist eine Art des Erwerbes. Auch muß man sich vergegenwärtigen, daß Elias das Vermögen der Venegas jetzt nun schon neun Jahre in Frieden und Ruhe besaß und Herr mehrerer andrer Millionen war. Der Tag, an dem ihm die öffentliche Meinung verzeihen würde, mußte also schon nahe sein, und inzwischen lastete keine Verwünschung auf dem unschuldigen Mädchen (an welchem man ja auch die Schuldlosigkeit des zweiten Besitzers anerkennen mußte), ebensowenig wie je eine auf Maria Josepha gelastet hatte, an welcher das Volksbewußtsein – gewissermaßen um Eintritt in das Haus des Millionärs zu erlangen – einen andern Grund zur Achtung anerkannte, nämlich den, daß sie wirklich eine herzensgute, mitleidige und über die Härte ihres Mannes tiefbetrübte Frau war. Mit einem Worte, sei es aus diesen Gründen, sei es aus Achtung vor Manuel, sei es wegen ihrer eignen Schönheit und Anmut, sei es aus allen diesen Gründen zusammen – Soledad genoß die Verehrung, die Liebe, das Mitgefühl der ganzen Nachbarschaft, mit Ausnahme einiger Altersgenossinnen, die sie vor allem um die romantische Liebe des Sohnes von Don Rodrigo Venegas beneideten, besonders als derselbe anfing, Geld zu haben, sich elegant zu kleiden und ein Reitpferd zu halten.

Unser Held hörte nicht auf, das reizende Mädchen jedesmal, nachdem sie den Palast verlassen hatte, auf dem Wege nach der Kirche und während der Messe mit einer Unbefangenheit und Offenheit zu betrachten, die eigentlich mehr für einen wilden als für einen zivilisierten Menschen paßte. Es war, als ob er sich einbildete, seine Verehrung für die Dolorosa entbinde ihn von der Pflicht der Aufmerksamkeit bei dem Meßopfer. Soledad dagegen verwandte die Augen nicht von dem Altar und betete knieend vom ersten Augenblick bis zum letzten, soweit man nach der leichten Bewegung ihrer Lippen und dem häufigen Herabgleiten der Perlen ihres Rosenkranzes urteilen konnte. Doch wer weiß, wo ihre Seele weilte? Dem verliebten Jüngling sagte sein Herz, daß sie den Himmel um den Triumph ihrer gegenseitigen Liebe anflehte. Wir selber können nichts Bestimmtes darüber sagen, wissen sogar nicht einmal, ob sie wirklich betete. Gibt es nicht Leute, die die Gabe haben, das nicht zu sehen, was sie erblicken, und das zu bemerken, was ihre Augen nicht sehen? Wer will also behaupten, daß Soledad nicht, während ihre Augen auf den Altar geheftet waren, die stattliche Figur Manuels betrachtete?

Eins nur wissen wir, daß der Verliebte, dessen Instinkt ihn nie täuschte, stets halb wahnsinnig vor Liebe und Glück und voll von den heitersten Hoffnungen die Kirche verließ.

10.

Vorladung.

Als der schlaue und vorsichtige Elias bemerkte, daß Soledad das einzige Wesen, welches er jemals ohne Hintergedanken geliebt hatte, ihm als Verteidigungsschild gegen den Zorn Manuels und den Haß und Spott der Menge dienen konnte – als er sah, wie leidenschaftlich der junge Venegas sie liebte und verehrte, und wie hoch das Volk sie achtete und bewunderte (Gefühle, die notwendigerweise auch dem zu gute kommen mußten, der nun einmal ihr Vater war), so nahm er plötzlich eine vollständige Veränderung in seiner ganzen Lebensweise vor.

Er fing damit an, in die Messe zu gehen, was er schon lange gern gethan hätte, um sich vor den Schimpfnamen Jude, Ketzer und andern liebenswürdigen Bezeichnungen des Pöbels zu befreien. Dann begann er im Freien spazieren zu gehen, was für seine Gesundheit nach dem Urteil des Hausarztes nötig war. Endlich ließ er sich auf dem öffentlichen Spaziergange und bei Volksfesten sehen wie jeder andre. Freilich benutzte er hierzu im Anfang die Zeit, während welcher Manuel infolge seines Kampfes mit dem Bären das Haus hütete.

Außerdem ist zu bemerken, daß ihn bei allen seinen Gängen stets Soledad und niemals Maria Josepha begleitete. Gegen seine Frau zeigte der Millionär ebensoviel Verachtung, wie fanatische Anbetung gegen seine Tochter. Aber seiner Tochter verdankte er einen Vorteil und »es gibt Leute,« pflegte die Schwester der Haushälterin des Pfarrers zu sagen, »die selbst die heiligsten Gefühle nicht rein empfinden können.« Die Messe hörte er im Dome, als der ersten Kirche der Stadt. Um spazieren zu fahren, hatte der Wucherer einen uralten Wagen der Venegas, den er in einem Holzschuppen entdeckt hatte, wieder herrichten lassen. Wenn eine Prozession oder ein Feuerwerk zu sehen war, so fand sich immer irgend ein Schuldner, der ihm einen Balkon anbieten mußte, und dessen Haus er zur Vorsicht durch eine Hinterthür von einer einsamen Gasse aus betreten konnte.

So war die Erscheinung des Wucherers mit seiner Tochter an einem Fenster oder auf einem Balkon, von dem man das Fest und die Menschenmenge sehen konnte, stets – weil unerwartet, von einer gewissen Wirkung. »Die Dolorosa, die Dolorosa!« hörte man von allen Seiten rufen. »Wie reizend sieht sie aus! Wie schön hat sie sich angezogen! Was für Perlen hat sie! Ihr Anzug ist ein Vermögen wert!« Erst nach einiger Zeit fing man an, Don Elias Perez zu betrachten (denn Kaiphas konnte man ihn kaum mehr nennen). Einige fanden ihn sehr gealtert, andre wohl konserviert, einige besser gekleidet und weniger widerwärtig als im Jahre 1823, alle aber meinten, er verdiene nach so langen Jahren der Einschließung endlich Verzeihung und Vergessen. »Wenn er gefehlt hat,« schien die Haltung des Chores zu sagen, »so hat er sein Vergehen bitter gebüßt! Wir wollen ihm wenigstens den nachsichtigen Empfang bewilligen, den niemand den Verbrechern abschlägt, die ihre Strafzeit vollbracht haben. Ueberdies war Don Rodrigo Venegas wirklich ein Verschwender, der doch im Hospital gestorben wäre, und auch Manuel ist offenbar nicht dazu geboren, ein Finanzminister zu werden! Kaum hat er ein bißchen Geld, so kauft er sich ein Reitpferd! Es ist schwerer reich zu werden, als arm zu sterben!«

Das erste Mal, daß unser Held den Vater der Geliebten deutlich sah, war an dem Tage, an welchem er der Jungfrau de la Soledad den Dank für seine Genesung abzustatten gegangen war. Um den Aeußerungen der Begeisterung, die ihn auf der Straße betäubten, und den Besuchen zu entgehen, die das Haus des Pfarrers noch immer überschwemmten, ging er nach einem nahegelegnen Pachthofe, der einst seinem Vater gehört hatte, wo eine Quelle existierte, deren Wasser für Rekonvaleszenten sehr heilsam sein sollte. Dort traf er ganz allein und in tiefes Nachdenken versunken neben dem Brunnen stehend einen alten Mann von hohem Wuchs, dessen ernste und strenge Züge und kalten durchdringenden Blick er sich erinnerte vor Jahren durch die Scheiben eines Fensters seines ehemaligen Hauses gesehen zu haben.

»Soledads Vater!« dachte der Jüngling, indem er einen Schritt zurücktrat.

Don Elias erhob in demselben Augenblick das Antlitz, sah und erkannte Manuel, und wurde gelber als Wachs, ließ sich jedoch durch keine Bewegung merken, welchen Eindruck diese Begegnung auf ihn machte.

Manuel trat wieder vor und betrachtete den Alten von allen Seiten mit jenem freien und offnen Blick, der sich nur mit dem des Stieres vergleichen läßt, welcher auf dem Weideplatz einen Eindringling erblickt, und noch nicht entschlossen ist, ob er ihn niederwerfen oder in Frieden lassen soll.

Der stolze Alte blieb unbeweglich stehen, indem er nach der andern Seite blickte, ohne jedoch den Jüngling aus dem Gesicht zu verlieren, dessen Augen einen rötlichen Glanz anzunehmen begannen.

In dieser Lage der Dinge, die nicht lange so weiter dauern konnte, hörte man aus dem nahen Oelgarten eine sanfte Frauenstimme heiter ausrufen:

»Papa, wo bist du hingegangen?«

» Sie!« dachte Manuel, indem er begann zu zittern, wie ein Arbeiter in den Quecksilberbergwerken. Von neuem trat er zurück, diesmal aber nicht einen Schritt, sondern viele, jedoch mit träger Langsamkeit.

Der alte Mann antwortete seiner Tochter nicht und rührte sich nicht von der Stelle. Als er jedoch Manuel (immer rückwärts gehend) verschwinden sah, so lächelte er in schwer zu beschreibender Weise und wandte sich nach der Richtung, in welcher er die Stimme derjenigen gehört hatte, die Königin und Herrin dieser beiden feindlichen Seelen war.

Manuel stellte sich am Wege auf, um das Mädchen zurückgehen zu sehen und aus der Entfernung zu begleiten, ob es nun dem Vater angenehm war oder nicht. Doch er hatte nicht an die wieder in Gebrauch genommne Kutsche seiner Vorfahren gedacht, die im Karriere und in Staubwolken gehüllt bei ihm vorbeijagte und ihn nichts von der Geliebten erblicken ließ.

Niemand konnte bezweifeln, daß ein scheinbar so unbedeutender, in Wahrheit aber so bezeichnender Vorfall viel dazu beitrug, daß Don Elias und der junge Venegas nach einigen Wochen die schwere Unbesonnenheit begingen, die einen neuen Abgrund zwischen ihnen öffnen sollte. Der Grund war, daß beide nach dieser ohne schlimme Folgen abgelaufnen Begegnung davon abließen, sich für solche Todfeinde anzusehen, was sie in Wirklichkeit doch immer noch waren. Sie gewöhnten sich daran, einander auf der Straße und im Dom ohne besondre Aufregung zu begegnen, und in Folge davon platzten sie, als sie am wenigsten daran dachten, und unter den schlimmsten Umständen an einander, welche der Teufel ersinnen konnte, um sie für immer und in unversöhnlicher Weise zu verfeinden.

Die Sache war folgende:

Im April desselben Jahres setzte Soledad es bei ihrem wiederauflebenden Vater durch, daß er sie, wie er es schon längst versprochen hatte, zu der Feierlichkeit mitnehmen sollte, welche damals alljährlich die Brüderschaft des Christuskindes mit der Weltkugel in der Kirche der heiligen Jungfrau de la Cabeza feierte.

Die Feierlichkeit bestand damals und besteht noch heute in einer Messe mit Ausstellung des Allerheiligsten, Predigt und Abendmahl am Sonntag früh, feierlicher Prozession durch das ganze Stadtviertel an demselben, und Lotterieball am folgenden Nachmittag. Bei diesen Feierlichkeiten pflegte der junge Venegas seit drei Jahren, als Mitglied der Brüderschaft und persönlicher Freund und Namensvetter des Christkindes mit der Weltkugel, eine wichtige Rolle zu spielen. Deshalb wunderte man sich allgemein in diesem Jahre, daß Manuel, obgleich in der Stadt anwesend, und während er sonst keine Gelegenheit versäumte, die Dolorosa zu sehen, weder der Messe noch der Prozession beiwohnte, wo er doch wie alle Welt die Schönheit, Anmut und kostbare Kleidung der Tochter des Wucherers hätte bewundern können, die an jenem Tage zwei verschiedne Anzüge trug, die von der ersten und vornehmsten Schneiderin in Madrid gemacht waren und von denen einer reicher, geschmackvoller und schöner war als der andre.

So kam der Tag der Lotterie oder des Lotterieballes heran, der damals (wie heute) vor der Stadt in einer Art von Kellerviertel gefeiert wurde. Diese Keller gehen in einen amphitheatralischen Hügel von massiver Thonerde hinein, und in ihnen lebt die ärmste Bevölkerung der Stadt. Dort setzen die Mütter der Mägde, die in der Umgegend dienen, jede vor die Thür ihrer Hütte alle Stühle, die sie besitzen, damit die Herrschaften ihrer Töchter, die ausdrücklich hierzu eingeladen werden, darauf Platz nehmen. Die Damen halten viel darauf, hier einen guten Platz zu bekommen, um sich in der freien Luft unterhalten zu können, ihren Staat sehen zu lassen und dem Balle zuzuschauen. Selbst die Stolzesten lassen sich zu der ersehnten Gelegenheit herbei, hier ein wenig tanzen zu müssen, wie die ärmsten Mädchen niedrigen Standes.

Wir müssen nämlich hier erwähnen (und fügen dabei der genauen Wahrheit dessen, was in dieser wie in andern spanischen Provinzen noch heute geschieht, nichts hinzu), daß bei solchen Bällen, die vor einem tragbaren Altar des gefeierten Heiligen, der Jungfrau Maria oder Gottes, stattfinden, das Publikum vollständige Freiheit hat, zu verlangen und mittelst einer Verlosung oder Subhastation durchzusetzen, daß Frau oder Fräulein so und so mit Herrn so und so tanzt oder nicht tanzt, und daß Herr so und so Frau oder Fräulein so und so ein- oder noch einmal küßt oder nicht küßt. Hier nämlich ist immer getanzt worden und wird noch getanzt der echte, unverfälschte Fandango, der ja pflichtmäßigerweise, wie jeder weiß, stets mit einem unerläßlichen Kusse für jedes Paar endigt. Diejenigen nun, welche nicht wünschen, daß der von einem andern gewünschte und bezahlte Tanz zur Ausführung kommt, müssen der Brüderschaft oder deren Heiligen eine größere als die erstgebotne Summe Geldes geben. Durch diese – mit Recht so genannte – Verlosung bringt man bedeutende Summen für die Verehrung des betreffenden Heiligenbildes zusammen. Hat es dort einst einen gewissen Korregidor fünfundzwanzig Dukaten gekostet, daß seine Frau nicht mit dem öffentlichen Ausrufer tanzte!

An dem erwähnten Nachmittag begann die Lotterie und der Ball unter um so größrer Lebhaftigkeit und Fröhlichkeit des Publikums, als die Dolorosa zum erstenmale dem Feste beiwohnte. Sie hatte einen bevorzugten Platz vor dem Keller, in welchem der Majordomus der Brüderschaft und Don Trinidad Muley, der Pfarrer des Kirchspiels, ihr Hauptquartier aufgeschlagen, das heißt den Altar des Christuskindes mit der Weltkugel aufgestellt hatten. Vielleicht trug zu der allgemeinen Zufriedenheit auch der Umstand bei, daß der gefürchtete Namensvetter des gefeierten Heiligen sich noch nicht hatte blicken lassen. Alle gewöhnten sich schon an den Gedanken, ihn nicht bei der Feierlichkeit zu sehen, und einige waren innerlich darüber erfreut, da sie jetzt die schöne Tochter des Millionärs nach ihrer Bequemlichkeit betrachten, ja ihr wohl gar Komplimente sagen konnten. Andre benutzten die Gelegenheit, mit dem Vater von den wichtigen Dingen zu sprechen, die nun einmal auf Erden von dem Geldbedürfnis unzertrennlich sind. So kam es, daß Don Elias so vergnügt war wie alle andern. Die Umstehenden behandelten ihn freundlich, ja höflich, er lachte selbst manchmal gegen seine Gewohnheit. Es war, als ob der arme Alte sich über den Strahl später Popularität freute, der den Winterabend seines Lebens erleuchtete. Ach, wie viel Dank war er der Tochter seines Herzens schuldig! Mit welcher Zärtlichkeit wandte er sich zu ihr und betrachtete sie, indem er in jedem Augenblick zu ihr sagte:

»Was siehst du dir da an? Gefällt dir dieser Anzug? Willst du, daß ich dir einen ähnlichen kaufe?«

Plötzlich verschwand jenes Licht des Glücks auf seiner Stirn, um nie wieder darauf zu erscheinen.

»Manuel Venegas kommt! Da ist der Knabe mit der Weltkugel,« hörte man unter der Menge murmeln.

Ein trauriges Vorgefühl betrübte einige, andre empfanden ein wenig beneidenswertes unbestimmtes Behagen.

Manuel kam von der Stadt hergeschritten, und schon von weitem konnte niemand seine männliche schöne Gestalt verkennen. Er drang in das dichteste Gedränge hinein mit weder stolzer noch demütiger Miene, ohne dem Anscheine nach das Aufsehen zu bemerken, welches er hervorrief, und nur mit leichtem Kopfnicken oder kurzen Worten die zahlreichen Grüße erwidernd. So gelangte er bis zu dem Tisch, welcher dem Christusknaben zum Altar diente, küßte dem Heiligen die Füße, dem Pfarrer die Hand, und richtete dann den Blick mit der unschuldigen und offnen Verwegenheit auf Soledad, die ihm eigen war, als sähe er das Mädchen für sein Eigentum, seine Gattin, Schwester oder Tochter an.

Don Elias war grün geworden; doch rührte er sich nicht und fuhr fort, mit einem Landmann zu sprechen, der ihn, Hut in der Hand, ( nota bene, sowie er Manuel Venegas kommen sah, setzte er ihn schnell wieder auf) angeredet hatte.

Soledad, auf die aller Augen gerichtet waren, blieb viel unbeweglicher als ihr Vater, da sie nicht einmal die Farbe wechselte. Damit sich ihr Blick nicht mit dem des unbesonnenen Jünglings oder der gleichgültigen Menge kreuzte, richtete sie ihn auf das Heiligenbild, mehr wie in Zerstreutheit, als um eine plötzliche Andacht zu erheucheln.

Jeden Kenner der Welt und des menschlichen Herzens hätte der starke Wille erschrecken müssen, der notwendig jener Gleichgültigkeit oder Verstellung zu Grunde lag, welche von den herrlichen Augen des Mädchens jede Spur von Erregung zurückhielt, während ein Trauerspiel sie und ihren Vater bedrohte. Aber Manuel liebte sie so. Er hatte den Glauben, die Ueberzeugung, die Gewißheit, daß jene unergründliche Seele ihm gehörte. Was den Chor anlangte, der immer ein mehr künstlerisches als menschliches Interesse hegt, so begnügte er sich, die bezaubernde Gestalt der unbeweglichen Dolorosa zu bewundern, ohne sich auf andre Erwägungen einzulassen.

Bei dieser Lage der Dinge, und als die Zuschauer schon anfingen ungeduldig zu werden, da kein Kampf begann, über den man hätte erschrecken müssen, wandte Manuel sich in ruhiger Haltung zu der Kommission, welche die Feierlichkeit überwachte und sagte, auf Soledad deutend, mit lauter und deutlicher Stimme:

»Hundert Realen, um mit dieser Dame zu tanzen!«

Die »Dame« that, als habe sie es nicht gehört, aber Don Elias stand auf und erwiderte, rot vor Wut, auf der Stelle:

»Tausend Realen, damit er nicht mit ihr tanzt!«

Ein lautes Murmeln, wie der Donner vor einem ausbrechenden Gewittersturme, lief durch das ganze Amphitheater. Die entfernter Stehenden näherten sich, um diese schreckliche Auktion mit anzuhören.

Soledad lenkte ihre Blicke von dem Heiligen ab, richtete die Augen auf den Boden und zog ihren Vater am Rock, wie um ihn zu bewegen, daß er sich setzen und den Streit nicht fortsetzen sollte.

Manuel hatte schon geantwortet:

»Hundert Thaler, um mit ihr zu tanzen!«

Er band sich hierbei schon den Gürtel ab und nahm aus seinem einen Ende eine Handvoll Goldstücke heraus.

Die Zuschauer stießen einen Schrei des Beifalls aus.

Der Geizhals schwankte einen Augenblick, alle bemerkten es, und man fing an, sich anzusehen und boshaft zu lächeln.

»Hundertundzehn, damit sie nicht tanzt!« rief endlich der arme Elias aus.

»Vorwärts, Manuel, ich helfe dir!« riefen einige wohlhabende Männer aus.

»Vorwärts, mein Sohn! Ich gebe dir meinen Monatssold!« sagte ein pensionierter, graubärtiger Hauptmann, »ich habe mich bei Talavera an der Seite deines Vaters geschlagen!«

Manuel lächelte ruhig, nahm eine andre Handvoll Goldstücke heraus und sagte:

»Fünfzehnhundert Thaler, daß sie mit mir tanzt!«

»Gut, gut!« riefen fast alle Zuschauer. Ja man hörte sogar Händeklatschen und Lebehoch, die dem Christuskinde ausgebracht wurden.

Soledad, welche durch ihre Gesten, die um so wirksamer wurden, je höher das Gebot Manuels stieg, erreicht hatte, daß ihr Vater sich setzte, stand auf, und fing an, ihre Mantille von den Schultern zu nehmen, als wollte sie tanzen.

Der Riojaner wollte sie festhalten, aber tausend Stimmen riefen in allen möglichen verschiednen Tonarten aus:

»Das kann man nur mit Geld verhindern!«

»Die Brüderschaft darf sich das nicht gefallen lassen!«

»Das Christuskind darf die gebotnen zehntausend Realen nicht verlieren!«

»Sie müssen mehr bieten, oder die Dolorosa tanzt mit Manuel Venegas!«

»Nehmen Sie Ihre Millionen heraus, Don Elias! Für wen heben Sie sie auf?«

»Laß einmal deine Freigebigkeit sehen, Herr Kaiphas!«

Der Wucherer saß in Todesschweiß da, aber nach einem schrecklichen Kampfe vermochte der Haß mehr als der Geiz. Zornig stand er auf und rief mit wütendem Tone:

»Genug der Scherze! Wir wollen einmal mit der Sache aufhören! Zweitausend Thaler, daß er nicht mit meiner Tochter tanzt. Soledad, komm nach Hause! Herr Majordomus, Sie können das Geld sogleich einkassieren!«

Dies hohe Gebot war der Dolchstoß des Feiglings; sicher tötlich und rettungslos. Manuel hatte nicht so viel erspart.

Er sah es ein und stand wie betäubt.

»Laß ihn, laß ihn! In der Höhe wird er alle seine Sünden zusammen bezahlen müssen! Manuel, laß dich nicht weiter mit ihm ein! Er will dich nur dazu bringen, etwas zu bieten, was du doch nicht bezahlen kannst! Komm, Manuel, das Mädchen hat mit dir tanzen wollen und das ist die Hauptsache!« sagten jetzt dieselben zu dem aufgebrachten Jüngling, die ihn vorher hatten unterstützen wollen.

Nur der pensionierte Hauptmann rief, zitternd vor Zorn, aus:

»Ich gebe dir meinen Sold von zwei Monaten! Lieber will ich lebendige Teufel fressen als ...«

Manuel hörte nichts von alledem. Die Umstehenden fingen an, ihn für vernichtet, besiegt, bedauernswert zu halten ...

Aber Don Trinidad Muley kannte seinen Zögling besser als die andern. Als er ihn unbeweglich, stumm, mit weißen Lippen dastehen und alle Bewegungen des Wucherers betrachten sah, als wartete er nur auf die Gelegenheit, sich auf ihn zu werfen und ihn zu zerreißen, eilte er zu ihm und rief ihm im Tone stärksten Befehls zu:

»Manuel, geh nach Haus, ich befehle es dir!«

Der Jüngling knirschte wie ein wildes Tier, wenn es das glühende Eisen seines Bändigers fühlt, und antwortete mit schrecklicher Demut:

»Ohne diesen Menschen zu töten?«

»Manuel, geh nach Hause!« antwortete der Pfarrer.

»Er hat mich mit dem Gelde besiegt, das er meinem Vater gestohlen hatte!« fuhr jener fort, indem er bei jedem Worte wütender wurde, »mir, dem Nachkommen der Venegas, dem Sohne des Mannes, welcher gestorben ist, um ihm seine schlecht erworbnen Millionen wiederzugeben, hat er nicht erlauben wollen, mit seiner unschuldigen Tochter zu tanzen und ihr den Kuß zu geben, der den Frieden zwischen unsern beiden Familien besiegelt hätte! Ah, Räuber, Mörder, Henker! Du sollst es mit deinem Blut bezahlen!«

»Höre, höre!« rief unterdessen der Wucherer seiner Tochter zu, die sich an seinen Hals geschmiegt hatte, wie um ihm zum Schilde zu dienen, »höre, wie mich der Mensch beleidigt und bedroht, der deiner Mitgift nachstellt! Höre, auf welche Weise dich der Bettler gewinnen will, statt mir die Millionen zu bezahlen, die er mir schuldig ist!«

Manuel, den der Pfarrer nur mit Mühe zurückhielt – hatte er doch das Heiligenbild zu Hilfe rufen müssen, welches er ihm mit Worten und Zeichen feierlicher Beschwörung zeigte – hörte die letzten Worte seines Feindes, und statt noch zorniger zu werden, beruhigte er sich plötzlich mit jenem schnellen Uebergange, der ihm stets eigentümlich war. Er stand ruhig, erwartend, kalt da wie eine Bildsäule von Marmor, und sagte endlich im Tone der edelsten Einfalt:

»Ich? ich? ich bin Ihnen eine Million schuldig?«

»Weißt du es etwa nicht?« antwortete Don Elias tapfer, wie einer, der nun auf sein Feld gekommen ist, »war mir dein Vater nicht drei schuldig? Habe ich nicht bloß zwei bekommen? Bleibt nicht eine übrig? Und du, edler Jüngling, der du sein Erbe bist, der du seine Erbschaft angetreten hast, schuldest sie mir ebenso wie ich meine Seele Gott! Also meine Herren,« fuhr er fort, zu der Brüderschaft gewandt, »die ganze vorherige Lotterie ist nichtig und gilt für gar nichts, da das Geld, welches euch dieser Mann anbot, mir gehört, wie alles, was er in dieser Welt erwerben wird, bis er mir meine Million bezahlt hat!«

»Welcher Mensch! Was für Schändlichkeiten sagt er! Und das Schlimmste ist, daß er recht hat! Ist keiner hier, der ihn totschlägt?« fingen sogar die Furchtsamen an zu murmeln.

»Niemand soll ihn anrühren!« rief Manuel in strengem Tone aus. »Die Sache nimmt ein andres Aussehen an. Jetzt ist es meine Pflicht, sein Leben zu beschützen. Ich wußte nicht, daß ich sein Schuldner war. Jetzt weiß ich, daß ich es bin: lese ich es doch deutlich genug in Ihrer aller Mienen, meine Herren! Ich will nicht, daß irgend jemand glaubt, ich wünsche den Tod dieses Scheusals, um meine Schuld nicht zu bezahlen! Ich werde sie bezahlen! Niemand braucht sich über das zu wundern, was ich verspreche! Ich werde sie bezahlen! Ich bin meiner Sache absolut sicher! Ich weiß, was ich vermag! – Lebe ruhig und in Frieden, schlauer alter Fuchs! Wenn Don Rodrigo Venegas lieber in den Flammen sterben, als den Verdacht aufkommen lassen wollte, daß er dich beraubt habe, – so wird sein Sohn etwas noch Schrecklicheres und Schmerzlicheres thun, und nicht eher zu deiner lieblichen Tochter zurückkehren, als bis er die Million erworben hat, die du von ihm forderst! – Ich verlasse die Stadt, meine Herren,« fuhr er, zu den Umstehenden gewandt, in feierlichem Tone fort, »ich verlasse Spanien! Aber ich werde zurückkommen, und zwar mit genug Gold, um meine Schuld zu bezahlen und meinen Gläubiger in Goldunzen zu ersticken. Ich werde zurückkommen, und hier an derselben Stelle – bei der Seele meines Vater schwöre ich es! – auf das Glück bieten, den Engel in meine Arme nehmen zu können, den der schändliche Jude dem Himmel gestohlen hat! Wehe dem, der inzwischen die Unglückliche, die sich seine Tochter nennt, auch nur anzublicken, geschweige denn nach ihrer Hand zu streben wagt! Soledad ist mein! Ich werde wiederkommen und den Verwegenen töten, der es wagen sollte, sich zwischen uns beide zu drängen! Was dich anlangt, Seele meiner Seele, ich weiß, daß du auf mich warten kannst! Lebe wohl, Soledad meines Lebens! Lebt wohl, Herr Pfarrer! Lebe wohl, mein Christuskind! Vergeßt Manuel Venegas nicht!«

So sprechend riß er sich aus den Armen des Pfarrers, warf mit der Hand einen Kuß Soledad und einen andern dem Heiligenbilde zu, eilte dem Innern der Stadt zu und verschwand.

Soledad blieb äußerlich ruhig von dem Augenblick an, wo das Leben ihres Vaters nicht mehr in Gefahr schwebte. Als sie sich aber zum Fortgehen erheben wollte, fehlte ihr die Kraft, sich zu bewegen, und man mußte sie auf einem Sessel in den ehemaligen Wagen der Venegas tragen.


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