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Politik und Poesie. – Leben auf den Herrensitzen. – Baronin Stampe aus Nysöe. – Die gräfliche Familie Danneskjold- Samsö auf Eisselfeld. – Graf Moltke auf Bregentved. – Winterleben in Kopenhagen. – Das Collin'sche Haus. – Oehlenschläger. – Thorwaldsen und sein Empfang in Kopenhagen. – Das Schloß Charlottenborg. – Thorwaldsen auf Nysöe. – Ole Luköie« der Sandmann. – Thorwaldsen's Tod.
Das politische Leben pulsirte zu dieser Zeit in Dänemark in höherem Grade mit seinen guten und seinen schlechten Seiten. Die Beredsamkeit, welche früher halb unbewußt sich auf die Weise jenes Philosophen geübt hatte, indem sie die kleinen Steine des Alltagslebens in den Mund nahm, bewegte sich jetzt freier im Kreise größerer Interessen. Ich fühlte indessen durchaus keine Neigung und keine Nothwendigkeit, mich in diese Angelegenheiten zu mischen, wie ich auch glaube, daß die Politik unseres Zeitalters ein großes Unglück für viele Dichter ist; Frau Politika ist eine Venus, welche sie in ihren Berg lockt, wo sie zu Grunde gehen. Es geht mit den Liedern dieser Dichter wie mit den täglichen Zeitungen: man ergreift sie, man liest sie, man wird von ihnen erbaut, und man vergißt sie. In unserem Zeitalter wollen Alle regieren, die Subjectivität versucht ihrer Macht Geltung zu verschaffen, aber die Meisten erinnern sich nicht, daß Vieles, was sich theoretisch denken läßt, sich deshalb noch nicht praktisch ausführen läßt; man vergißt, daß es anders aussieht, wenn man einen Gegenstand von oben oder von unten betrachtet. Wer von edler Ueberzeugung, gleichviel ob Fürst oder Mann aus dem Volke, getrieben wird, wer nur das Beste will und Talent dazu besitzt, vor dem beuge ich mich. Politik ist nicht meine Sache, auf diesem Gebiete vermag ich nichts auszurichten; Gott hat mir eine andere Gabe verliehen, das fühlte ich und fühle es noch heute.
Ich kam in die sogenannten ersten Familien des Landes, einige freundliche, herzliche Menschen, welche das Gute an mir schätzten, mich in ihre Kreise aufnahmen und mich in ihre reichen Sommerresidenzen an ihrem Glücke theilnehmen ließen. Dort konnte ich mich, ganz unabhängig, vollständig der Natur, der Waldeinsamkeit und dem Leben auf den Herrenhöfen ergeben; dort erst lebte ich mich ganz in die dänische Natur hinein, dort dichtete ich die meisten meiner Märchen und den späteren Roman » Die beiden Baronessen«. An den Villen, Seen, in den Wäldern, auf den grünen Grasmatten, wo das Wild vorübersprang und der Storch auf seinen rothen Beinen einherschritt, hörte ich nichts von Politik oder einer Polemik und hörte Niemand Hegel Georg Wilhelm Friedrich Hegel, geboren den 27. Aug. 1770 in Stuttgart, ward in Jena 1801 Doctor der Philosophie, 1816 Professor in Heidelberg und kam 1818 als solcher nach Berlin, wo er ein eigenes philosophisches System, das nach ihm bekannt worden ist, gründete. Er starb den 14. November 1831. Der Uebers. nachsprechen. Die Natur um mich und in mir wies mir meine Mission an.
Von der Baronin
Stampe auf Nysöe
Gestorben im Juni 1878. Der Uebers. wurde ich bei der Familie
Danneskjold auf
Gisselfeld
Die gräfliche Familie
Danneskjold gehört jetzt zu den angesehensten des Landes. König Christian V. hatte eine Geliebte, Namens
Sophie Amalie Moth, mit der er mehrere Kinder zeugte, darunter Graf Christian Gyldenlöve, der Stammvater der Grafen Danneskjold-Samsö, ihren Nachkommen sogar von Geburt an den Titel »Excellenz« verleihend, auch ihnen gestattend, daß ihre Dienerschaft
carmoisinrothe Livrée tragen dürfe, während die Bedienung des Königs
charlachroth trägt. Christian V. belehnte die Frau Moth mit der im Kattegat gelegenen Insel
Samsö, die bis dahin (1676) dem unglücklichen Kanzler Graf Griffenfeldt (siehe Band I. Seite 201) gehört hatte. Sie errichtete daraus eine Grafschaft für ihre Nachkommen und seitdem heißt die Familie
Danneskjold-Samsö. – Wie recht
Andersen übrigens hatte, auf die freundliche Aufnahme der Gräfin Danneskjold besonderes Gewicht zu legen, geht daraus hervor, daß diese Dame als sehr stolz im Lande bekannt war. So brüstete sie sich einst in einer großen Gesellschaft, daß ihre Familie im ganzen Lande allein das Recht habe, neben der königlichen Familie »rothe Livrée« führen zu dürfen. Ein sehr geistreicher Cavalier erlaubte sich jedoch, die Frau Gräfin darauf aufmerksam zu machen, daß ihr
Roth nicht »ganz echt« sei. – Wegen der Insel Samsö siehe Band I. Seite 191. –
Gisselfeld-Schloß, gelegen in einer von prachtvollen Buchen bestandenen, hügeligen und von Binnenseen erfüllten Gegend des südöstlichen Theils der fruchtbaren Insel Seeland, ist von 1547-1575 von dem berühmten Reichshofmeister
Peder Oxe unter Frederik II. erbaut und von Gräben umgeben. Später (1699) kam das Gut Gisselfeld an den General-Feldmarschall-Lieutenant, den obgenannten Grafen Christian Gyldenlöve, den Anführer der dänischen Hülfstruppen in Italien unter Prinz Eugen. Durch eine Urkunde, datirt Dresden den 19. September 1701 und Verona den 18. September 1702 errichtete Gyldenlöve aus seiner Besitzung ein Kloster für adlige Jungfrauen, wozu noch später die Töchter von Beamten der ersten Rangklassen hinzugekommen sind. Der jedesmalige Besitzer der Grafschaft Samsö ist als solcher Oberdirector des Klosters und hat dort eine hochherrschaftliche Wohnung. In der Nähe des Schlosses befindet sich ein schöner Hain, woselbst mehrere Mitglieder der Familie Danneskjold – Samsö beerdigt worden sind.
Eine charakteristische Anekdote mag hier ihren Platz finden. Als Graf Christian Gyldenlöve früh starb, hinterließ er eine junge Wittwe, Dorothea Krag, die sich gar bald wieder mit Hans v. Ahlefeldt zu Buckhagen vermählte. Als man ihr darauf den Unwillen des Königs über diese Mesalliance mittheilte, antwortete Sie: »Sagen Sie dem Könige, daß mir ein lebendiger Hund (das Helmzeichen der Familie Ahlefeldt) weit lieber ist, als ein todter Löwe.« Der Uebers. eingeführt. –
Das Weihnachtsfest hier auf dem alten klösterlichen Hofe war nordisch herrlich. Die alte Gräfin
Danneskjold, eine liebe, vortreffliche Dame, nahm mich nicht wie ein armes Kind aus dem Volke, nein, wie einen freundlich empfangenen Gast auf. – Jetzt beschatten Buchenbäume ihr Grab draußen am Walde in der freundlichen Natur, an der ihr Herz hing.
Von Gisselfeld kam ich nach dem prächtigen, heimischen Bregentved, wohin der damalige Finanzminister, Graf Wilhelm Moltke Eine halbe Meile nördlich von dem ebengenannten Gisselfeld ist das Gut Bregentved, der gräflichen Familie Moltke gehörend, gelegen. Bregentved wird schon im 14 Jahrhundert genannt und gelangte nach und nach in den Besitz der angesehensten Familie, bis König Frederik V. (1740) dasselbe an seinen Liebling Adam Gotlob von Moltke, geboren in Mecklenburg 1710, gestorben 1792, schenkte. Dieser Moltke entstammt derselben Familie wie der berühmte Feldmarschall Carl Bernhard Graf v. Moltke (geboren den 26. Oct. 1800 in Parchim in Mecklenburg) Er kam als armer Edelmann nach Dänemark, 1750 in den Grafenstand erhoben, starb er als der reichste Gutsbesitzer im Lande, nachdem er die bedeutendsten Stellungen im Staate und am Hofe eingenommen hatte. Ihm folgte sein Sohn Joachim Godske Moltke, (geboren 1746, gestorben 1818), der gleich dem Vater Wissenschaft und Künste unterstützte. Auch er erreichte die höchsten Stellungen, trat 1784 als Minister zurück und erst 1813, als die Finanzen des Staates dem Bankerot nahe waren, als der Krieg auf allen Seiten des Landes wüthete und als der übermüthige Feind die Grenzen des Landes zu überschreiten drohte, nahm der bereits 67 jährige Mann die Verwaltung der Finanzen in die Hand. – Sein Sohn, der hier von Andersen erwähnte Graf Adam Wilhelm Moltke (geboren den 25. Aug. 1785, gestorben den 15. Februar 1864) wurde 1831 Finanzminister, 1845 Präsident der Rentekammer; das Jahr 1848 mit seinen Umwälzungen berief ihn als Minister-Präsident an die Spitze der Verwaltung, dann wurde er Minister des Auswärtigen und trat erst 1852 von der Regierung zurück, sich der Verwaltung der eigenen Angelegenheiten widmend. – Sein ältester Sohn Graf Frederik Georg Julius, geboren den 27. Februar 1825, gestorben den 1. October 1875, übernahm nach seinem Vater die Verwaltung der Klöster Ballö und Vemmetoste und gehörte dann eine Zeit lang der Gesandtschaft in London an. 1865 repräsentirte er Dänemarks König in Brüssel bei der Beisetzung des Königs Leopold und 1872 bei der Krönung Oscar's II. von Schweden. 1866 trat er als Deputirter in den Reichstag ein und wurde Anfangs des Jahres 1875 im Estrup'schen Ministerium Minister der auswärtigen Angelegenheiten, bis ihn der frühe Tod ereilte. Sein ältester Sohn (geboren 1853), Graf Frederik Christian, ist jetziger Besitzer der Grafschaft Bregentved. Der Uebers. und seine indessen verstorbene liebenswürdige und liebevolle Gattin mich einluden. Die Gastfreiheit, die ich hier fand, das glückliche Leben, das ich in diesem Hause verlebte, hat Sonnenschein in mein Dasein geworfen.
Während verschiedener längerer Besuche auf Nysöe, führte ich ein glückliches Beisammensein mit Thorwaldsen, für den dort im Garten ein Atelier erbaut war, und hier lernte ich ihn recht als Künstler und Mensch schätzen. Es war mir eine höchst interessante Zeit, eine Zeit, die ich noch eingehender besprechen werde.
Das ganze Hineinleben in die verschiedenen Kreise wurde von großem Einfluß auf mich. Bei den Fürsten, beim Adel und bei den Aermsten im Volke habe ich das Edle, Menschliche gefunden; in dein Guten, in dem Besten gleichen wir Alle einander.
Die meiste Zeit verbrachte ich indessen in Kopenhagen, in dem Hause der Excellenz Collin; bei seinem verheirateten Sohn und seiner Tochter, wo ein Kinderkreis emporwuchs, wuchs ich ebenfalls fest. Und mit dem genialen Hartmann wurde meine Freundschaft viel inniger; seine seelen- und lebensvolle Frau zauberte dort ein Heim so inhaltsreich, so sonnenbeleuchtet hervor; sie selbst war eine eifrige, geniale und wunderbar naive und liebenswürdige Natur.
Excellenz Collin war im praktischen Leben mein Rathgeber. Oersted wurde es bei jeder neuen Arbeit, und immermehr näherten wir uns und verstanden einander; seinen Einfluß auf meine Natur und seine Bedeutung für mich werde ich später noch näher zu besprechen Gelegenheit haben.
Indessen war das Theater jeden Abend, wenn ich mich so ausdrücken darf, mein Clubsaal; dort ging ich stets hin. Gerade während dieses Jahres hatte ich meinen Platz in dem sogenannten Hofparquet erhalten, das nur durch eine eiserne Stange von dem übrigen ersten Parquet getrennt war. Damals war es eine Vorschrift, daß jeder Verfasser, der der Bühne ein Stück lieferte, dadurch einen Freiplatz im Parterre erhielt, zwei Stücke gaben ihm ein Recht für das erste Parquet, und drei führten ihn zum Hofparquet. Natürlich mußten diese Stücke die ganzen Abende ausfüllen oder so viele kleine Stücke geliefert werden, daß sie, zusammengefaßt, drei ganze Abendvorstellungen ausfüllen konnten, und dann erhielt man Eintritt zu dem Theil des Parquets, wo der König seinen Cavalieren, Diplomaten und ersten Beamten Plätze verlieh.
Man erzählt, daß einem Dichter, der damals Schauspieler war und durch seine dramatischen Arbeiten ein Recht erlangt hatte, in's Parquet zu kommen, gesagt wurde: »Ja, sie müßten eigentlich den Platz haben, aber seien sie bescheiden; es kommen dort so viele vornehme Leute!«
Ich erreichte auf solche Weise diese Ehre. Hier befanden sich damals Thorwaldsen, Weyse, Oehlenschläger u. A. Thorwaldsen wünschte, daß ich bei ihm sitzen, mit ihm sprechen und ihm über dies und jenes Auskunft geben möchte, und ich war, so lange er lebte, stets gern an seiner Seite. Auch Oehlenschläger war oft mein Nachbar. Und während mancher Abendstunde – Niemand träumte gewiß davon – beschlich meine Seele eine fromme Demut, gerade wenn ich bei diesen großen Männern des Geistes saß. Die verschiedenen Perioden meines Lebens von der Zeit an, als ich auf der hintersten Bank oben in der Loge der Figuranten in der dritten Reihe gesessen hatte, bis zum heutigen Tage, schwebten an meinem geistigen Auge vorüber.
Thorwaldsen, den, wie ich früher erzählte, ich zum ersten Male in Rom im Winter 1833/34 kennen lernte, wurde im Herbst 1838 in Dänemark erwartet, und zu dem Behufe wurden große Vorbereitungen getroffen; es sollte ein wahres Nationalfest werden. Boote, geschmückt mit Blumen und Flaggen, schaukelten zwischen der »langen Linie« und den »Drei Kronen« Die » Lange Linie« ist eine reizende Promenade am Strande der Ostsee bei Kopenhagen, wo sich während der Saison die vornehme Welt zwischen 2-4 Uhr ergeht. Dieser Promenade gegenüber erhebt sich aus dem Meere das bedeutende Seefort » Tre Kroner«, welches die Einfahrt zur inneren Rhede, die von der »Langen Linie« einerseits und anderen Seeforts begrenzt wird, schützt. Der Uebers.; Maler, Bildhauer, Alle hatten ihre Emblemen in der Flagge, die Studenten hatten eine Minerva, die Dichter hatten einen goldenen Pegasus. Wie der Einzug sich damals gestaltete, das deuten noch heute die gemalten Friesen an der Außenseite des Thorwaldsen Museum an.
In dem Boote, in dem die Dichter Platz genommen hatten, saßen Oehlenschläger, Heiberg, Hertz und Grundtvig Nicolai Frederik Severin Grundtvig stammt aus einer alten geistlichen Familie und wurde den 8. September 1788 in Udby bei Vordingborg geboren. Er studirte Theologie und trat, nachdem er längst als Geistlicher sich den Ruf eines hochbegabten Dichters und Kanzelredners erworben hatte, in der von ihm 1825 gegründeten theologischen Zeitschrift gegen den Rationalismus als Irrlehre auf. 1839 wurde er Pastor an der Hospitals-Kirche Vartou in Kopenhagen und nun schlossen seine Gesinnungsgenossen sich eng an ihn an, so daß er eine orthodox-religiöse, in politischer Beziehung aber freisinnige Secte im Lande bildete, die sich weit umher im Lande verbreitete und nach seinem Tode, September 1872, würdige Vertreter seiner Ideen, die auch nach Norwegen ihren Weg fanden, hinterließ. König Frederik VII. verlieh ihm im Jahre 1861 in Veranlassung seines 50jährigen Amtsjubiläums den Rang eines Bischofs von Seeland (Primas der dänischen Kirche). Als Dichter und Historiker hat er Großes geleistet und namentlich verdankt ihm die dänische Literatur das beste Werk über »Nordische Mythologie« (1808) und über den »Untergang des Kämpenlebens im Norden« (1809-1811). Der Uebers.. Ich stand auf der Ruderbank, hielt mich am Mast fest und schwang den Hut. Am Tage der Ankunft war nebliges Wetter, und man gewahrte das Schiff erst, als es der Stadt ganz nahe war. Die Signale ertönten, Alles strömte nach den Zollbuden Zollbuden heißt der Theil des Hafens in Kopenhagen, welcher für die Zollbehörde reservirt und nach außen hin abgeschlossen werden kann. Der Uebers. hinaus; die Kanonen des Kriegsschiffes erdröhnten, man warf bereits die Anker, und als wir uns dem Schiffe näherten, schien die Sonne und ein herrlicher Regenbogen breitete sich über den Sund aus:
»Eine Ehrenpforte für Alexander!«
Und es war in der That ein Alexanderzug, prächtiger wie derselbe seiner Zeit von allen Zeitungen beschrieben wurde. Der Jubel ertönte vom Ufer, wo das Volk sich selbst vor Thorwaldsen's Wagen spannte und ihn über die Amalienborg Die » Amalienborg« besteht aus vier verschiedenen Palais, die einen hübschen offnen Platz umrahmen. Diese waren ursprünglich für reiche adlige Familien erbaut, gelangten aber später, nach dem Brande der alten Christiansborg (1794) in den Besitz des Staates und sind seitdem von den verschiedenen Mitgliedern der Königsfamilie bewohnt worden. Auch heute noch ist das eine Palais die Residenz des Königs, ein anderes die der Königin Wittwe Caroline Amalie und im dritten wohnt der Kronprinz, während das vierte vom auswärtigen Ministerium benutzt wird. Der Uebers. nach seiner Wohnung zog. Dorthin strömten Alle und zu ihm drängten sich Alle, die auch nur die geringste Bekanntschaft mit ihm hatten, oder mit einem seiner Freunde, der ihn einzuführen vermochte. Auf dem Marktplatz standen während des Tages und bis spät in die Nacht hinein staunende Gruppen, einzig und allein um die bekannten Mauern der Charlottenborg Das Schloß Charlottenborg, an einem prachtvollen, großartigen Platze (Kongens Nytorv) gelegen, wurde 1672/73 für den natürlichen Sohn Christian's V, Graf Ulrik Frederik Gyldenlöve erbaut, kam 1699 in Besitz des Staates und wurde nun die Wittwenresidenz der Gemalin Christian's V, Charlotte Amalie, nach der es dann benannt wurde. König Frederik IV. schenkte es an die 1754 von ihm errichtete Maler-, Bildhauer- und Bau-Akademie, die noch heute dort ihren Sitz hat. Den hervorragendsten Lehrern derselben sind hier Wohnungen eingeräumt. – Der zum Schloß gehörende Garten wurde 1778 der Universität zur Anlage eines »Botanischen Garten« eingeräumt; allein dieser hat der Vergrößerung des Stadttheils vor einigen Jahren weichen müssen und existirt nicht mehr. Es ist ein neuer großartiger »Botanischer Garten« auf dem Terrain der alten Festungswerke errichtet worden. Der Uebers., denn in diesem Tempel der Kunst wohnte Thorwaldsen, anzustarren. Abends brachten ihm die Künstler eine Serenade und die Fackeln leuchteten feenhaft im botanischen Garten unter den großen Bäumen. Jung und Alt strömte in die offenen Thüren hinein, und der in so hohem Grade gehuldigte, freundliche Alte drückte Alle, die er kannte, an seine Brust, küßte sie oder reichte ihnen die Hand. Es bildete sich gleichsam ein Nimbus um Thorwaldsen, der mich scheu zurückhielt. Mein Herz klopfte vor Freude bei seinem Anblick, der mich tröstend und mild beurtheilte, sich mir im Auslande genaht und mich an sein Herz gedrückt hatte und gesagt: »wir Beide werden stets Freunde bleiben!«
Aber hier, während dieser Huldigung, dieser Freude, wo Tausende jede seiner Bewegungen betrachteten, wo ich von allen diesen Leuten bemerkt und beurtheilt worden wäre – ja verurtheilt vielleicht als ein eitler Mensch, der zeigen wolle: »daß auch ich von Thorwaldsen gekannt sei, auch gegen mich ist er freundlich und gut!« – ich trat klugerweise still zurück, hielt mich in der dichten Schar verborgen und ging auf diese Weise fort, ohne von ihm gesehen worden zu sein. – Erst viele Tage später, an einem frühen Morgen, da Niemand es sah, Niemand sich bei ihm befand, stattete ich ihm einen Besuch ab und fand in ihm die unveränderte, gerade, liebevolle Natur, den Freund, der mich froh in seine Arme drückte und seine Verwunderung darüber aussprach, daß er mich erst jetzt sehe.
Von dieser Zeit an sah ich Thorwaldsen täglich im Gesellschaftsleben und in seinem Atelier; häufig lebte ich mehrere Wochen lang mit ihm bei dem Baron Stampe auf Nysöe, wo er gleichfalls ein lieber Gast geworden war; ja, wie ein naher Verwandter wurde er hier gepflegt. Man suchte ihn zu zerstreuen und zur Wirksamkeit anzuregen. Die meisten seiner Werke hier in Dänemark sind dort geschaffen worden. Er war eine gesunde Natur und nicht ganz ohne Humor, und deshalb war gerade Holberg der Dichter, den er am meisten liebte; auf Weltschmerz und Vernichtung ging er gar nicht ein, und deshalb konnte ihm Byron's Persönlichkeit auch ganz und gar nicht gefallen.
Eines Morgens auf Nysöe, er arbeitete gerade an seiner eigenen Statue, trat ich in sein kleines Atelier zu ihm ein, das die Baronin Stampe für ihn unten im Garten, dicht vor dem alten Schloßgraben hatte aufführen lassen. Ich begrüßte ihn, aber er schien mich gar nicht zu bemerken, denn er war sehr eifrig bei seiner Arbeit und trat hin und wieder einen Schritt zurück, biß seine feinen kräftigen Zähne zusammen, wie es seine Art und Weise war, wenn er sein Werk betrachtete; ich schlich mich still wieder davon. Am Frühstückstisch war er noch wortkarger als gewöhnlich, und als man ihn ersuchte, einige Worte zu sprechen, sagte er in seiner trockenen Weise: »Ich habe die ganze Morgenstunde gesprochen, mehr als während vieler Tage, aber Niemand hat mich angehört; da bemerkte ich, daß Andersen hinter mir steht, denn er sagte »guten Morgen« zu mir, und da erzählte ich ihm eine lange Geschichte, die ich mit Byron Siehe die Note Band II Seite 358. Der Uebers. erlebt hatte. Ich glaubte, daß er mir irgend ein Wort darauf erwidern würde, drehe mich um, und da gewahre ich, daß ich eine Stunde gesprochen habe, aber vor leeren Wänden.« Wir Alle baten Thorwaldsen, die Geschichte noch einmal zu erzählen, aber diesmal wurde sie sehr kurz:
»Es war in Rom«, sagte er; »als ich Byron's Statue machen sollte, setzte er sich vor mich hin, machte aber sofort ein anderes Gesicht, als es sonst zu sein pflegte. »Nun wollen Sie denn nicht still sitzen?« sagte ich; »solch' ein Mienenspiel müssen Sie unterlassen!« – »Das ist mein Ausdruck!« sagte Byron. – »So!« sagte ich, und da machte ich ihn so, wie ich es wollte. Alle Menschen sagten, als die Statue fertig war, daß sie sehr ähnlich sei, aber Byron blickte auf dieselbe und sagte: »die ähnelt mir gar nicht, ich sehe viel unglücklicher aus!« – »Er wollte ja stets unglücklich sein!« fügte Thorwaldsen mit humoristischem Ausdruck hinzu.
Es war dem großen Künstler ein Genuß, nach Tisch mit halbgeschlossenen Augen Musik zu hören, und seine größte Freude war es dabei, wenn die Baronin des Abends das Lottospiel hervornahm und wenn das Spiel selber begann. Die ganze Umgebung von Nysöe lernte das Lottospiel. Man spielte zwar nur um Glasstücke, und ich kann hinzufügen, er wollte gewinnen, und daher ließ man ihn stets gewinnen, und das erweckte das ganze Interesse des genialen Mannes. Mich jedoch langweilte dieses Spiel, und während manchen mondhellen Abends lief ich in den schönen Buchenwald hinaus, ungeachtet ich hörte, daß man mich zum Lottospiel rief.
Mit Wärme und Innigkeit, manchmal sogar mit Heftigkeit konnte Thorwaldsen Partei für Denjenigen nehmen, dem man seiner Meinung nach Unrecht zugefügt hatte; ohne jedes Ansehen der Person opponirte er gegen jede Unbilligkeit und Neckerei, wenn sie in's Boshafte überging. Die Baronin Stampe, geborene Dalgas, war es, die durch töchterliche Hingebung für den großen Künstler es ihm auf dem Gute so heimisch als möglich zu machen suchte; ihr ganzes Denken und Trachten lief darauf hinaus.
In Thorwaldsen's Gesellschaft auf Nysöe schrieb ich ein paar meiner Märchen, z. B. Ole Luköie, der Sandmann Siehe das Märchen Band II Seite 262. Der Uebers., und er hörte dasselbe mit Interesse vorlesen. Damals hatten übrigens die Märchen noch keine große Bedeutung daheim erlangt.
Ich besitze eine Art Talent, kleine Gedichte und Lieder improvisiren zu können. Dieses Talent amüsirte Thorwaldsen gar sehr, und als er auf Nysöe Holberg's Büste in Thon modellirt hatte und man dieselbe entzückend fand, wurde es mir übertragen, ihm in einem Verse einige Worte über seine Arbeit zu sagen, und ich machte dann folgendes Impromptu:
»In Holberg raub' ich, Dänemark, Dir den Sohn,
Den Thon zerbrechend, der den Geist umfäßt!«
So sprach der Tod. Doch aus dem kalten Thon
Thorwaldsen Holberg neu erstehen läßt!
Eines Morgens, als er sein großes Basrelief » Der Gang nach Golgatha« formte, das jetzt die Frauenkirche in Kopenhagen schmückt, trat ich in sein Atelier. »Sagen Sie mir«, begann er, »finden Sie, daß ich Pilatus richtig gekleidet habe?« – »Sie dürfen ihm nichts sagen!« rief die Baroneß Stampe mir zu, die stets um ihn war. »Es ist vollkommen richtig, es ist vortrefflich! Gehen Sie doch Ihrer Wege!« – Thorwaldsen wiederholte seine Frage. – »Nun wol!« antwortete ich, »da Sie mich fragen, so muß ich Ihnen sagen, daß Pilatus eher wie ein Aegypter als wie ein Römer gekleidet ist.« – »Ist es mir doch fast ebenso!« sagte Thorwaldsen, griff mit der Hand in den Thon hinein und vernichtete die Figur. – »Jetzt sind Sie schuld daran, daß er ein unsterbliches Werk vernichtet hat!« rief die Baronin. – »Dann können wir ein neues unsterbliches Werk machen!« sagte er heiter, und modellirte auf's Neue den Pilatus, so wie er jetzt auf dem Basrelief in der Frauenkirche steht.
Sein letzter Geburtstag wurde draußen auf Nysöe gefeiert. Heiberg's Vaudeville » Die Aprilnarren« und Holberg's » Weihnachtsstube« wurden aufgeführt. Ich hatte zur Tafel ein Lied geschrieben, aber außer diesem noch ein anderes improvisirt. Schon in der frühesten Morgenstunde ließ die Baronin mich rufen, sagte, daß Thorwaldsen noch nicht aufgestanden sei, aber daß es ihn interessiren würde, wenn wir mit Gangon, mit der Feuerzange, mit Flaschen, Gabeln und Messern ihm ein Morgenständchen brächten; aber es gehört ein Lied dazu, gleichviel wie dasselbe ausfalle, nur müsse es heiter sein. Wie gesagt, ich mußte es sofort zu Papier bringen, von dessen nasser Schrift ich den Solo übernahm und die Anderen den Chor zu dem lärmenden Accompagnement nach der Melodie: »Was sagen Sie, Herr Baron« sangen.
Und wir strampelten, schlugen mit der Feuerzange und rieben den Korkpfropfen gegen die Flasche. Thorwaldsen erschien im Schlafrock, Pantoffeln und Unterhosen, schwang seine Raphaelmütze, tanzte rundum in der Stube und sang ebenfalls den Refrain mit.
Der alte Herr besaß noch immer Leben und gute Laune.
Ich saß an dem letzten Tage, den er erlebte, neben ihm beim Diner. Baron Stampe hatte eine Winterwohnung in Kopenhagen in der Kronprindsessegade. Außer Thorwaldsen waren gegenwärtig Oehlenschläger, die Maler Sonne Johann Wilhelm Sonne ist in Kopenhagen 1801 geboren und ein anerkannter Genre- und Schlachtenmaler, von dem, wie von Constantin Hansen (in Rom 1804 von dänischen Eltern geboren) die königliche Gemälde-Galerie in Kopenhagen manche schöne Bilder bewahrt. Der Uebers. und Constantin Hansen. Thorwaldsen war ungewöhnlich aufgeregt; er erzählte einige witzige Einfälle aus dem » Corsar«, » Der Corsar« (Corsaren), ein von dem späteren hervorragenden Dichter Professor Meyer-Goldschmidt begründetes Witzblatt, das 1846 zuerst erschien und durch seine beißende Satyre Sensation erregte. Der Uebers. welche ihn interessirt hatten und sprach von der Reise, die er während des kommenden Sommers nach Italien machen wollte. Es war gerade an einem Sonntag, und des Abends sollte im königlichen Theater zum ersten Mal Halm's Friedrich Halm, pseudonymer Name des Dichters Eligius Franz Josef Freiherrn von Münch-Bellinghausen, wurde am 2. April 1806 in Krakau geboren. Zunächst als Custos bei der Hofbibliothek angestellt, wurde er 1867 zum Generalintendanten der kaiserlichen Hoftheater in Wien ernannt und starb am 22. Mai 1871, viele heute noch zur Aufführung gelangende Theaterstücke hinterlassend. »Griseldis«, das er 1834 schrieb, gehört zu seinen hervorragendsten Arbeiten. Der Uebers. Tragödie » Griseldis« gegeben werden. Oehlenschläger wollte bei Stampe's bleiben und ihnen etwas vorlesen; Thorwaldsen hatte jedoch mehr Neigung, in's Theater zu gehen, fragte mich, ob ich ihn begleiten wollte, aber da ich Sonntags kein freies Entrée hatte, und das Stück, glaube ich, am nächsten Tage wiederholt werden sollte, sagte ich ihm, daß ich bis dahin warten würde. Ich reichte ihm zum Abschied die Hand. Als ich mich entfernte, saß er in einem Lehnstuhl dicht beim Sopha, hatte die Augen geschlossen, um ein wenig zu schlummern, und ich schlich mich leise fort; aber als ich mich umwandte, schlug er die Augen wieder auf, lächelte und nickte mir zu. Das war sein letztes Lebewohl!
Ich blieb den ganzen Abend zu Hause. Am nächsten Morgen sagte der Kellner im Hotel du Nord, wo ich wohnte: »Es ist doch merkwürdig, daß Thorwaldsen gestern so plötzlich sterben mußte!«
» Thorwaldsen!?« Thorwaldsen starb bekanntlich am 24. März 1844. Der Uebers. rief ich erstaunt aus. »Ist er todt? Ich habe noch gestern zusammen mit ihm dinirt!« – »Man sagt, daß er gestern Abend im Theater gestorben ist«, entgegnete der Bursche. – »Vielleicht ist er krank geworden!« sagte ich und glaubte, daß dies der Fall sein müsse, fühlte aber dennoch eine seltsame Angst, griff nach meinem Hut und eilte nach seiner Wohnung.
Dort lag seine Leiche auf dem Bett ausgestreckt. Das Zimmer war von fremden Menschen erfüllt, welche sich bis an sein Lager hineingedrängt hatten; der Fußboden war naß von dem Schnee, den sie an ihren Stiefeln mit sich gebracht hatten; die Luft war erstickend; Niemand sprach ein Wort. Baronin Stampe saß am Bett und weinte herzlich; ich stand erschüttert und bewegt daneben.
Thorwaldsen's Beerdigung war ein großes Trauerfest des ganzen Landes; schwarz gekleidet standen Männer und Frauen am Fenster; Alle entblößten unwillkürlich das Haupt, als der Sarg vorübergetragen wurde; es herrschte eine tiefe Stille und selbst die wildesten Knaben, die ärmsten Kinder standen dort neben einander an der Hand und bildeten Reihen, durch die der große Zug von der Charlottenborg nach der Frauenkirche, wo ihm König Christian VIII. entgegenkam, schritt. Von der Orgel brauste ein Trauerlied von Hartmann: es waren so mächtige Töne, daß man gleichsam die unsichtbaren großen Geister sich dem Zuge anschließen wähnte. Ein »Schlafewohl«, das ich geschrieben und Hartmann componirt hatte, wurde von Studenten am Grabe Thorwaldsen's gesungen.
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