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»Die Blume des Glücks.« – Heiberg's Kritik. – Brief an denselben und sein Besuch. – »Der König träumt.« – »Die neue Wochenstube.« – H. C. Oersted. – Eine Mystifikation. – Tod der Gattin Collin's. – Ein Fest in Skanderborg- – Aarhuus. – Heimreise. – Neue Reise. – Glorup. – Odense.– Henriette Hank. – Der Herzog von Augustenburg. – Schloß Gravenstein. – Speckter in.Hamburg. – Das Leben gleicht dem Zaubermärchen. – Oldenburg. – Minister von Eisendecher. – Freiherr von Gall. – Julius Mosen. – Dr. Mayer. – Vorlesung meiner Märchen beim Großherzog. – Geheimrath Beaulieu. – Anekdote von der Königin Caroline Mathilde. – Berlin. – Rauch. – Alerander v. Humboldt. – Fürst Radziwil. – Gebrüder Grimm. – Gräfin Bismarck-Bohlen. – Tieck. – Raumer. – Meyerbeer. – Jenny Lind. – Ein Weihnachtsfest bei ihr. – Ein Naturdichter. – Frau Birch-Pfeiffer. – Prinzessin von Preußen (Kaiserin Augusta) und Prinz Wilhelm (der Kaiser). – Fürst Pückler-Muskau. – Am Hofe in Potsdam. – Ritter des Rothen Adlerordens. – In Weimar. – Direktor Schöll – Frau von Schwindler. – Jenny Lind in Weimar. – Der Dichter Rollet. – Froriep. – Berthold Auerbach. – Geburtstag des Großherzogs. – Der Erbgroßherzog (der jetzige Großherzog). – Jena. – Buchhändler Frommann. – Frau von Wolzogen. – Prof. Michelsen. – Prof. Hase. – Prof. Wolff. – Buchhändler Lorck in Leipzig. – Brockhaus. – Mendelssohn. – Der Componist Kalliwoda. – Prof. Gade. – Dresden. – Baronin v. Decken. – Dahl. – Reinick. – Bendemann. – Grahl. – Brunnow. – Prinz Johann (spätere König Johann) von Sachsen. – Minister v. Könneritz. – Dr. Carns. – Frau v. Cerre. – In Prag. – Graf Thun. – Erzherzog Stephan. – Reise nach Wien.– Walther v. Goethe. – In Wien. – Liszt. – Ernst. – Grillparzer. – Castelli. – Seidl. – Bauernfeld. – Graf Szechenyi. – Erzherzogin Sophie. – Die Kaiserin-Mutter. – Der Kaiser Franz Josef. – Graf Bombello. – Frau v. Weissenthurn. – Ueber den Semmering nach Triest. – Consul v. Oesterreicher. – Graf O'Donnel. – Graf Stadion. – Graf Waldstein. – Ancona. – Graf Paar. – Loreto. – Nach Rom. – In Rom zum dritten Male. – Der Bildhauer Jerichau. – Dr. Ad. Stahr. – Küchler. – Frau v. Goethe. – Die Bildhauer Kolberg und Södermark. – In Neapel. – Baron Brockhausen. – Fräulein Fjeldsted. – Sorrento. – Die Componisten Josephson und Verhulst. – Rothschild. – Von Neapel nach Marseille. – Marquis (Herzog) Douglas und Gemahlin (Prinzessin von Baden). – In Marseille. – Ole Bull. – Durch die Provence. – Die schönen Frauen von Arles. – Nimes und Besuch beim Naturdichter Reboul. – Rielse nach den Pyrenäen. – Große Hitze. – In Cette. – Der Languedockanal. – Narbonne. – Perpignan. – Fr.Arago. – Vernet. – Ibrahim Pascha. – Die Bäder daselbst. – Villefranche. – Der Maler Dauzat. – Cornelia. – Schluß dieses Lebensabschnittes.
Im Frühjahr 1844 hatte ich das dramatische Märchen » Die Blume des Glücks« vollendet, in welchem ich zeigen wollte, daß es nicht der unsterbliche Name des Künstlers, nicht der Glanz der Königskrone sei, die den Menschen glücklich macht, sondern daß sich das Glück da findet, wo man froh, mit Wenigem befriedigt, liebt und wieder geliebt wird. Die Scene ist vollkommen dänisch, ein idyllisch sonnenbeleuchtetes Leben, an dessen Himmel, wie in einem Traum, zwei finstere Bilder sich abspiegeln, das Leben des unglücklichen Ewald Der dänische Dichter Johannes Ewald ist geboren den 18. November 1743 in Kopenhagen, wo sein Vater Prediger war. Im Alter von 15 Jahren wurde er Student: allein unglückliche Liebe trieb ihn, an den Kämpfen zwischen Preußen und Oesterreich Theil zu nehmen. 1760 kehrte er zurück, ohne das Glück, das er suchte, gefunden zu haben. Er führte von nun an, trotz seiner Inspiration, ein unstetes Leben, dabei aber studirte er fleißig deutsche Klassiker, namentlich Wieland und schrieb 1765 das biblische Drama »Adam und Eva«, die Allegorie »des Glückes Tempel«, das Trauerspiel »Rolf Krake« – durch »das sich zum ersten Male«, sagt Oehlenschläger anerkennend, »die Hünengräber der nordischen Saga ihm öffneten.« Krank und an's Bett gefesselt – »das Krankenbett ist mein Parnas«, sagte er – schrieb er meist Gelegenheitsgedichte und einige Lustspiele. 1773 zog er zur Stärkung seiner Gesundheit nach dem Dorfe Rongsted am Sunde, wo er recht fleißig arbeitete, vornehmlich »Baldurs Tod«, ein historisches Singspiel, wozu Johann Hartmann (siehe Band I Seite 209) die Musik schrieb und viel Glück machte. 1777 kam er wieder nach Kopenhagen, wo er vom Hofe sehr unterstützt wurde und 1780 wurde sein Schauspiel »die Fischer« aufgeführt. – Von seinen Gedichten ist » König Christian stand am hohen Mast« zum Nationalliede erhoben worden, das heute noch bei jeder festlichen Gelegenheit in Dänemark erklingt. Er schrieb dann noch zu der Gesammtausgabe seiner Werke eine Vorrede, die seine Selbstbiographie enthielt und starb, 37 Jahre alt, am 17. März 1781. Sein Grabmal in Kopenhagen auf dem Kirchhofe neben dem berühmten »Runden Thurm« (s. Bd. II S. 167) an der Store Kjöbmagergade und neben dem Dichter Herman Wessel, wurde von seinen Freunden errichtet. Ebenso hat man eine Anhöhe am Sunde bei Rongsted, seinen Lieblingsaufenthalt, von wo er eine entzückende Aussicht auf Meer und Land genoß, nach ihm benannt und ihm eine Erinnerungssäule dort erbaut. Der Uebers. und des in den nordischen Heldenliedern tragisch besungenen Buris Buris Heinrichson, war ein Bruder eines dänischen Unterkönigs Inge. Zu seiner Zeit bekämpften sich die Häuptlinge der Wikinger auf Leben und Tod und die Sagen jener Zeit sind voll der schrecklichsten Scenen. Der Uebers.. Ich wollte im Namen der Wahrheit und zur Ehre unserer Zeit zeigen, daß das Zeitalter, das so viele Dichter uns nur in dem schönsten Lichte darzustellen pflegen, finster und elend war.
Ich reichte mein Stück der königlichen Theaterdirection ein. Hier war indessen J. L. Heiberg als ästhetischer Richter angestellt worden, und gewiß mit Recht galt er für einen der bedeutendsten Männer. Aber ich erfreute mich, wie man bereits weiß, durchaus nicht seiner Gunst. Nachdem er in » eine Seele nach dem Tode« meine Arbeiten: das » Maurische Mädchen« und » Der Mulatte« gebraucht hatte, um die Verurtheilten in der Hölle damit zu peinigen, bekam ich in seinem poetischen » Dänischen Atlas« und in den » Intelligenzblättern« noch einige Hiebe, und als ich aus Gefügigkeit gegen einen der Schauspieler, um Diesem ein Stück zu einer Sommervorstellung zu verschaffen, seinem Wunsche gemäß » Agnete und der Meermann« für die Scene bearbeitet hatte, bezeichnete Heiberg dieses als: »transportirt unmittelbar aus dem Buchladen auf die Scene, diese Arbeit, woran Gade Siehe Note auf Seite 119 d. B. Der Uebers. seine gefühlvolle Musik vergeudet hat!« – und fuhr dann fort, über des Verfassers gewöhnlichen Mangel an eigener Erfindung und eigenem Talent, vernünftigem Zusammenhang in seinen Charakteren und Klarheit in der dargestellten Idee (?) zu sprechen. »Alle Gegensätze, die in organischer Bestimmtheit gegeneinander stehen sollten, werden hier zu einem mäßigen Brei verarbeitet, worin weder der eine noch der andere erkenntlich ist.« –
Ich darf glauben, daß die Ungunst, in welcher ich damals bei diesem Dichter und Geschmacksrichter stand, meine Arbeiten in strengerem Lichte betrachtete, als es sonst der Fall gewesen wäre. Ich glaubte, daß persönlicher Unwille ihn leitete, und dies war mir peinlicher, als das, was ich bald darauf erfuhr, daß auch dieses Stück abgelehnt war. Es war mir im höchsten Grade unheimlich, zu einem Dichter in einem gespannten Verhältniß zu stehen, zu dem ich hinaufzusehen alle Ursache hatte, und dem gegenüber ich, meiner Ueberzeugung nach, Alles gethan hatte, um in ein freundliches Verhältniß zu gelangen. Ich entschloß mich daher, nicht, um meine neue Arbeit dadurch zu befördern, sondern um unser Verhältniß zu einander zu klären, mich ihm zu nähern. Ich schrieb daher an Heiberg und sprach mich offen und, wie ich glaube, in herzlicher Weise gegen ihn aus; ich bat ihn, mir deutlich die Ursache zu erklären, weshalb er mein Stück » Die Blume des Glücks« verwerfen zu müssen glaube und ob er Unwillen gegen mich nähre.
Nach Empfang meines Briefes machte
Heiberg mir einen Besuch, den ich, da er mich nicht zu Hause traf, am Tage darauf erwiderte. Ich wurde von ihm auf das Allerfreundlichste empfangen. Dieser Besuch und das daran geknüpfte Gespräch gehören gewiß zu dem Eigentümlichsten, was mir im Leben begegnet ist, aber sie brachten völligen Aufschluß und, wie sich bald zeigte, ein besseres Verständniß zwischen uns zu Wege. Er setzte mir seine Gründe klar auseinander, weshalb dieses Stück verworfen wurde, und diese waren von seinem Standpunkt aus sehr richtig, wenn auch von den meinigen sehr verschieden, und darin vermochten wir uns nicht zu einigen. Er erklärte, daß er durchaus keinen Unwillen gegen mich hege, sondern im Gegentheil mein Talent anerkenne. Ich machte ihn auf seine früheren Angriffe aufmerksam, z. B. in seinen Intelligenzblättern, wo er mir »Erfindungsgabe« abgesprochen, und ich meinte, daß diese sich doch in meinen Romanen gezeigt haben müsse. »Aber Sie haben gewiß keinen derselben gelesen!« sagte ich, »Sie haben es mir selbst zugestanden.« – »Ja, das ist wahr«, erwiderte er; »ich habe sie noch nicht gelesen, aber jetzt werde ich es thun!« – »Sie haben später«, fuhr ich fort, »in Ihrem »
Dänischen Atlas« über mich und meinen »
Bazar« gespottet, und sich über meine Schwärmerei für die schönen Dardanellen aufgehalten
Heiberg schrieb, wörtlich übersetzt:
Möglich, daß Du solch' ein Narr,
Daß Du, was Andersen erzählt
Von den schönen Dardanellen
In seinem türkischen Bazar
Mit Bewundrung ergriffen hast,
Während Du beschwert von Trägheit,
Gingst an unsrem eignen Sund vorbei,
Der nicht weniger den Blick erfreut,
Und wo keine Klage ertönt,
Vom verkannten Genie! – aber ich habe gerade in meinem Buche die Dardanellen als
nicht schön bezeichnet; es ist hingegen der »Bosporus«, über den ich beim Anblick entzückt war, aber das scheinen Sie nicht bemerkt zu haben, oder vielleicht haben Sie
auch das nicht gelesen? Denn, wie Sie mir einmal sagten, lieben Sie ja nicht, große Bücher zu lesen!« – »Na, es war also der Bosporus!« tagte er mit einem komischen Lächeln; »dessen entsinne ich mich nicht mehr, und wie Sie sehen, thut dies das Publikum ebensowenig, und hier handelt es sich mir nur darum, daß ich Ihnen einen Hieb geben wollte!«
Das Geständniß klang so natürlich, so eigenthümlich, daß ich lächeln mußte, und als ich ihm in die klugen Augen schaute und mich erinnerte, wie viel Schönes er geschrieben hatte – vermochte ich weder Groll noch Zorn gegen ihn zu nähren. Dann wurde das Gespräch lebhafter und freier. Er sagte mir einige freundliche Worte, stellte meine Märchen hoch, bat mich, ihn öfter zu besuchen und versicherte, daß ich ihm stets willkommen sein würde. – Ich lernte diese Dichternatur immer mehr können: ich glaube, daß er auch mich verstand, und obgleich wir Beide in jeder Beziehung sehr verschieden waren, suchten wir doch dasselbe Ziel zu erreichen. Während der letzten Jahre, in welchen ich so viel Gutes gewonnen und erreicht hatte, hat mir auch eine freundliche Anerkennung von Seiten dieses begabten Mannes nicht gefehlt, Um in der Zeitfolge zu verbleiben: das dramatische Märchen wurde ausgeführt und erlebte im Laufe der Saison sieben Vorstellungen; es wurde dann zurückgelegt, wenigstens während der Zeit der damaligen Theaterregierung.
Oft legte ich mir die Frage vor, ob es die besondere Schwäche meiner dramatischen Arbeiten sei, oder ob es daher komme, weil ich der Verfasser derselben sei, daß man sie so hart beurtheilte und sie bei jeder Gelegenheit angriff. Um dies nun zu erfahren, dachte ich mir, eine Arbeit anonym einzureichen und das Resultat ruhig abzuwarten; die eine Schwierigkeit, die mir hierbei vorschwebte, war die, ob ich im Stande sein würde, das Geheimniß zu bewahren? Nein, Alle waren einig darüber, daß ich zu schweigen nicht vermöchte; und diese Meinung über mich kam mir zu Statten.
Während eines kurzen Besuchs auf dem Herrensitz Nysöe schrieb ich das Drama » Der König träumt.« Niemand außer Excellenz Collin wußte, daß ich der Verfasser war. Heiberg, welcher gerade in dieser Zeit in seinen Intelligenzblättern streng gegen mich auftrat, interessirte sich, wie ich hörte, ganz besonders für das anonyme Stück, ja, soweit ich mich entsinne, er setzte es sogar selbst in Scene; doch ich muß hinzufügen, später ließ er dem Stück eine sehr ehrenvolle Kritik in den oft genannten Intelligenzblättern zu Theil werden, und wie es scheint, nachdem ihm der Gedanke gekommen war, daß das Stück von mir sei, ein Gedanke, den fast Alle bezweifelten.
Ein neuer Versuch verschaffte mir eine noch größere Freude und Amüsement durch die Situationen, in die ich gelangte, nämlich durch Anhören der Urtheile und Auslassungen, die in meiner Gegenwart gefällt wurden. Gerade zu der Zeit, als ich Schwierigkeiten genug zu besiegen hatte, um mein Stück » Die Blume des Glücks« auf die Scene zu bringen, schrieb ich » Die neue Wochenstube«, die ich dann auch einlieferte.
Dieses kleine Lustspiel wurde damals ganz ausgezeichnet gespielt; Frau Heiberg war als » Christine« voller Leben und Laune, so daß eine Frische, ein Reiz sich über das Ganze verbreitete. In Folge dessen machte das Stück, wie bekannt, besonders großes Glück. In dieses Geheimnis war auch wie früher Collin eingeweiht, ebenso H. C. Oersted, dem ich daheim bei mir das Stück vorgelesen hatte, und er freute sich damals und später über das Lob und die ziemlich starke Bewunderung, welche diese kleine Arbeit gewann. Kein Mensch ahnte, daß ich der Verfasser war.
Als ich Abends spät nach der ersten Vorstellung nach Hause ging, kam einer unserer jüngeren, tüchtigen Kritiker zu mir; er war im Theater gewesen und sprach jetzt in den stärksten Ausdrücken seine Freude über das Lustspiel aus. Ich war, wie begreiflich, in starker Erregung und fürchtete durch Worte oder Mienen mich zu verrathen, und daher antwortete ich ihm sofort: »Ich weiß, wer der Verfasser ist!« – »Wer ist es denn?« fragte er. – »Sie sind es!« sagte ich. »Sie sind in solcher Aufregung, und aus Allem, was Sie sagen, verrathen Sie sich. Gehen Sie heute Abend nur zu Niemand und sprechen Sie nicht, wie Sie jetzt sprechen, denn damit verrathen Sie sich nur!« – Er war sehr erstaunt ob dieser Anrede, wurde ganz purpurroth, legte die Hand auf's Herz und versicherte, daß er nicht der Verfasser sei. »O, ich weiß, was ich weiß!« sagte ich lächelnd und entschuldigte mich, daß ich noch auszugehen hätte, denn es war nur wirklich unmöglich, es länger auszuhalten, ich mußte deshalb sprechen, wie ich sprach, und er ahnte keine Hinterlist.
Beim Theaterdirector, Geheimerath Adler machte ich gerade in den Tagen eine Visite, um wegen des Stückes » Die Blume des Glücks« nähere Nachrichten einzuziehen. »Ja«, sagte er, »es ist zwar eine sehr poetische Arbeit, aber sie ist dennoch nicht der Art, daß wir rechtes Vergnügen daran finden können. Nein, wenn Sie ein Stück wie » Die neue Wochenstube« schreiben könnten, das wäre was, denn das ist ein vortreffliches Stück; aber diese Art liegt ganz außerhalb Ihres Talents. Sie sind Lyriker und besitzen die Laune nicht, die dieser Verfasser an den Tag gelegt hat!«
»Nein, leider besitze ich diese Laune nicht!« antwortete ich, und nun lobte auch ich » Die neue Wochenstube.« Jahr und Tag ging dasselbe Stück mit demselben Beifall über die Scene; Niemand kannte den Verfasser. Man rieth, es sei Hostrup Siehe Seite 235 d. B. Der Uebers., und es gereichte mir durchaus nicht zum Schaden; später nannte hin und wieder auch Jemand mich, aber Niemand wollte es glauben. Ich bin selbst Zeuge gewesen, wie Diejenigen, die so etwas sagten, zurückgewiesen wurden und ein stetes Argument, womit man dies beweisen wollte, war: »Andersen würde nicht so lange geschwiegen haben, da das Stück so großes Glück macht!« – »Nein, das würde mir unmöglich sein!« bemerkte ich und gelobte mir, daß ich mich nicht sogleich als Verfasser nennen würde, vielleicht erst, nachdem es Jahre lang gespielt sein würde und kein Interesse mehr zu erregen vermöchte. Und ich hielt Wort. Erst im vorigen Jahre gab ich die Verfasserschaft zu, indem ich das Lustspiel in meine gesammelten Schriften, ebenso » Der König träumt« aufnahm.
Mehrere Charaktere in meinem Roman » O. T.«, sowie einzelne in » Nur ein Geiger« z. B. Peter Wik mußten auf die Spur führen, daß ich der Verfasser sei; selbst in meinen » Märchen«, glaubte ich, mußte man einigen Humor finden; allein das war nicht geschehen; man fand denselben nur in » Die neue Wochenstube«, Es amüsirte besonders H. C. Oersted, der übrigens von Allen der Erste war, der mich aus meine humoristische Ader aufmerksam machte; er hatte dieselbe in mehreren meiner frühesten Arbeiten gefunden und in einzelnen Zügen meiner Persönlichkeit zu finden geglaubt.
Als ich im Jahre 1830 zum ersten Mal mit einer Sammlung » Gedichte« auftrat, von welchen einzelne bereits in verschiedenen Blättern veröffentlicht worden waren, wollte ich der ganzen Sammlung ein Motto geben, aber ich konnte keins finden, das den Inhalt bezeichnen konnte, und da verfertigte ich mir selber eins:
»Vergessene Gedichte sind neu!«
Jean Paul.
und hernach hatte ich das große Vergnügen, zu sehen, wie andere Verfasser, Leute von großer Belesenheit dasselbe Motto nach Jean Paul citirten. Ich wußte, woher sie es genommen hatten und Oersted wußte es auch, –
Zu einer Zeit, wo ich wirklich bitterlich litt unter einer allzuharten und persönlichen Kritik, so daß ich oft an mir selbst zweifelte, kamen manchmal dennoch Augenblicke, wo die gute Laune, wenn ich es so nennen darf, mich über alles Betrübende und alles Jämmerliche erhob. Ich sah wol meine eigenen Schwächen und Mängel, aber auch das oftmals Thörichte und Komische in den faden Nörgeleien und Belehrungen, In einem solchen Augenblick schrieb ich einst eine Kritik über H. C. Andersen als Schriftsteller, Sie war sehr scharf und endete mit einer Aufforderung zum Studiren und zur Dankbarkeil gegen seine Erzieher; ich hatte nicht allein die gewöhnlichen Einwendungen gegen meine Arbeiten wiederholt, sondern zugleich noch ein paar andere hinzugefügt, die, wie ich fühlte, man machen könnte, wenn man mir recht an das Leben wollte. Ich nahm das Geschriebene mit zu H. E. Oersted, wo ich zu Mittag geladen war, an dem ein großer Kreis Theil nahm. Im Laufe des Gesprächs sagte ich, daß ich eine Abschrift einer unverschämten, mir nahe gehenden Recension mitgebracht hätte und las dieselbe dann vor.
Man konnte nicht begreifen, daß ich so etwas abzuschreiben vermochte, aber man räumte ein, daß sie sehr hart sei. – »Das ist sie in der That!« sagte Oersted. »Man ist im Allgemeinen zu streng gegen Andersen, und dennoch ist mir, als befänden sich in der Recension ein paar Einwendungen, die wirklich ganz schlagend sind, die einen gewissen Einblick in Ihre Persönlichkeit beweisen!« – »Ganz recht!« antwortete ich; »denn sie sind von mir selber!« und nun waren Alle überrascht, Alle lachten und scherzten, und die Meisten wunderten sich darüber, daß ich selbst so etwas schreiben konnte. – »Er ist ein wahrer Humorist!« sagte hier H. C. Oersted, und es war das erste Mal, daß es vor mir aufging, ich sei im Besitz einer solchen Gabe.
Je älter man wird, und je mehr man sich in der Welt umhertummelt, desto mehr wird Einem doch
eine Stelle zum eigentlichen Heim. Selbst der Zugvogel hat seinen bestimmten Ort, den er immer wieder aussucht, und mein Heim war außer bei
H. C. Oersted, Admiral
Wulff und Frau
Lässöe, das
Collin'sche Haus: das war und blieb das eigentliche Heim in der Heimat! Behandelt als Sohn, mit den Söhnen und Töchtern fast aufgewachsen, bin ich ein Glied der Familie geworden; ein innigeres Zusammenleben als in diesem Hause habe ich niemals erlebt. Ein Glied brach in dieser Kette, und gerade in der Stunde des Verlustes fühlte ich, wie fest ich an dieselbe gefesselt war, und daß ich als eins der Kinder betrachtet wurde. Würde ich ein Beispiel einer Frau nennen sollen, deren eigenes Ich vollkommen in ihrem Gatten und in ihren Kindern
aufging, dann würde ich
Collin's Gattin, Schwester des Botanikers
Hornemann und der Wittwe des Philosophen
Birkner gedenken!
Hier ist es gewiß am Platze, einen kurzen Lebensabriß des Geheimen Conferenzraths
Jonas Collin zu geben, der, wie wir wiederum hier von Andersen hören, ihn als sein Kind behandelte und in dessen Hause der Dichter von den ersten Tagen seiner Ankunft in Kopenhagen bis zu dem Tode seines Beschützers eine Heimstätte, Liebe und Anerkennung fand.
Jonas Collin ist in Kopenhagen am 6. Januar 1776 geboren; sein Vater war Lotterie-Inspector und seine Mutter, eine geborene
Bolten, soll von dem österreichischen General von Bolten, der im Türkenkriege fiel, abstammen, denn sein Sohn, geboren 1697 in Tyrol, entfloh aus dem Lande wegen eines Duells und nahm in Dänemark Kriegsdienste.
Collin wurde bereits in seinem 16. Jahre Student und absolvirte 3 Jahr später seine Examina als Candidat der Jurisprudenz mit bestem Zeugniß, und mit kräftiger Hand ergriff er sofort den Hauptzweck seines Strebens während seines langen, segensreichen Lebens: die
Förderung des Ackerbaues in Dänemark und die geistige und moralische
Erhebung der ländlichen Bevölkerung, welche sich mit demselben beschäftigt, um Beiden den hohen Platz anzuweisen, den sie einzunehmen verdienen, wenn die theuersten und wichtigsten Interessen des Landes in Frage kommen. Er erkannte früh die Grundbasis für das leibliche Wohl seines Vaterlandes, das stets arm an Industrie war und folgte Cicero's Worten: »Nichts ist dem Manne würdiger als der Ackerbau!« Die Hebung der Landwirtschaft und der ländlichen Bevölkerung schien ihm aber um so mehr geboten, als die Leibeigenschaft erst im Jahre 1788 durch die Regierung des jungen Kronprinzen Frederik (späteren Königs Frederik Vl.) aufgeboben worden war, aber diese Befreiung konnte erst spät Früchte tragen, denn der alte Bauer vermochte sich in seine neue Lage nicht zurecht zu finden.
Collin trat 1891-25 Jahre alt – als Beamter in die Rentekammer ein, wo er sich bald durch sein mächtiges, administratives Talent, seinen Scharfsinn, seine Vaterlandsliebe, durch seine tiefe Einsicht in die Forderungen der Zeit und die Kenntniß der vorhandenen Mittel auszeichnete. Diese noch im Verein mit der ihm angeborenen Herzensgüte und der Neigung, in dieser Richtung zu wirken, vermochten im Laufe der Zeit das Befreiungswerk zu krönen und die reifen Früchte zu tragen, denn heute steht Dänemark als ackerbautreibender Staat in erster Reihe. – Es würde uns zu weit führen, Collin's Wirksamkeit in dieser Beziehung durch die Jahre hindurch zu verfolgen, denn die Entwickelung des Ackerbaues, der bis dahin Jahrhunderte lang in Fesseln schmachtete, läßt sich nicht in wenig Jahren bewerkstelligen. Glücklicherweise lebte
Collin lange genug, um seine Reformen durchführen zu können. Im Verein mit
I. C. Drewsen (s. S. 220) mit
A. S. Oersted (s. Bd. 1 S. 430) und später mit Anderen führte er das Präsidium der königlichen landwirthschaftlichen Gesellschaft während 46 Jahre, die heute noch in seinem Geiste fortwirkt. Er übertrug die Thaer'schen Ideen, welcher dieser im Dienste Preußens in Ausführung brachte, um die tiefen Wunden, die Napoleon 1806 dem Lande geschlagen hatte, zu heilen, auf dänischen Boden. Erst 1859 trat er von seinem Posten zurück, und ihm zu Ehren wurde eine goldene Medaille geschlagen und ihm als Anerkennung bei seinem Abschied überreicht, die um so gerechtfertigter war, als seine Wirksamkeit sich auch auf den Gartenbau, Anpflanzungen von Bäumen, Fischerei, Bienenzucht, Errichtung von Volksbibliotheken, Anbringung von Lehrlingen in England u. s. w. erstreckte. Außerdem war er Mitglied oder Vorsitzender vieler Commissionen und hoher Beamter bei der Rentekammer und den Finanzen. Eine Aufzählung seiner Würden nimmt einen zu großen Raum für uns ein. Er war zweimal Mitglied der Direction des königlichen Theaters (1821-1829 und 1842-1849) und wurde 1847 zum Geheimen Conferenzrath ernannt. Seine Arbeitskraft war ganz außerordentlich, ebenso seine Humanität gegen Jedermann, wenn auch strenge gegen sich selbst, war er nachsichtig gegen Andere. Seine Wohlthätigkeit war groß, aber er sprach nie davon; er unterstützte Viele und nicht Wenige schulden ihm einen ehrenvollen Platz, den sie heute noch einnehmen, weil er zu rechter Zeit half;
H. C. Andersen ist ein schlagendes Zeugniß davon, denn er war ihm ein Vater, als er sich eine Bahn brechen wollte und es ihm an Allem fehlte außer – Genie!
Jonas Collin starb hochgeehrt von seinen Zeitgenossen am 28. August 1861. Er war vermählt mit
Henriette Christine, geb.
Hornemann, einer Schwester des Professors der Botanik
Jens Willen Hornemann (geboren 1770, gestorben 1841) und der Wittwe des Predigers Michel
Gottlieb Birkner in Rorsör, – des ersten Mannes, welcher in Dänemark wissenschaftlich die Berechtigung der Druckfreiheit begründete.
Der Geheime Conferenzrath
Jonas Collin hatte fünf Kinder;
Andersen schloß sich mit brüderlicher Freundschaft an dessen ältesten Sohn
Eduard an, eine Freundschaft, die erst mit dem Tode erlosch. –
Eduard Collin ist am 2. November 1808 geboren, und wurde bereits 1825 Student, trat nach vollendetem Staatsexamen 1827 in's Finanzministerium ein, eine Laufbahn, die er erst 1865 als Departements-Director und Etatsrath verließ, als durch die Abtrennung der Herzogthümer Schleswig und Holstein von Dänemark eine bedeutende Beamten-Reduction eintrat. Gleich seinem Vater ist er wirksames Mitglied einer unzähligen Menge öffentlicher und Privatgesellschaften, deren Zweck dem allgemeinen Wohle gewidmet ist, gewesen. Seit einer langen Reihe von Jahren war er Director der Sparkasse in Kopenhagen, dem größten Geld-Instante im Lande, eine Stellung, die er noch heute einnimmt. Ebenso trat er in die Fußspur seines Vaters als eifriger Förderer und Beschützer der Wissenschaften und Künste. Im Jahre 1836 verheiratete er sich mit
Henriette Thyberg, welche noch heute zur Freude der Ihrigen dem heimischen Hause vorsteht. Auch diese Dame hat einen mächtigen Einfluß auf Andersen ausgeübt, denn sie war es stets, an die er sich wandte, um sich Trost und Rath zu erholen, wenn die Welt ihn gar zu hart zu behandeln schien – und sicherlich war Frau
Henriette Collin das Wesen, an das Andersen sich am innigsten anschloß, und das er von Allen am meisten liebte und hochverehrte; denn ihr mildes, verständiges und echt weibliches Gemüt war vielleicht allein im Stande, ihm einen unschätzbaren Beistand in seinem Kampfe mit den Widerwärtigkeiten des Lebens zu leisten. – Aus Dankbarkeit gegen diese Familie setzte Andersen den Etatsrath
Eduard Collin zu seinem Universalerben ein. Der Uebers.
Während der letzten Jahre war ihr Gehör geschwächt und sie hatte das Unglück, fast erblindet zu sein; eine Augenoperation wurde unternommen, und diese fiel glücklich aus, sie vermochte im darauffolgenden Winter wieder ein Buch zu lesen und war dankbar froh darüber; sie sehnte sich sehr danach, wiederum das erste Frühlingsgrün zu erblicken, und sie sah es in ihrem kleinen Garten. Eines Sonntagsabends verließ ich sie fröhlich und gesund; in der Nacht wurde ich herbeigerufen, Collin's Diener brachte mir einen Brief, worin er schrieb: »Meine Frau ist sehr krank. Alle Kinder sind um sie versammelt!«
Ich verstand den Inhalt, flog gewissermaßen zu ihr. Sie schlief ruhig, ohne Schmerz, ja, wie es schien, ohne zu träumen; es war der Schlaf der Gerechten, es war der Tod, der sich so still, so freundlich näherte. Am dritten Tage lag sie noch in demselben ununterbrochenen, ruhigen Schlummer – da fuhr eine Blässe über ihr Gesicht und sie war nicht mehr.
Niemals hatte ich mir gedacht, daß es so schmerzensfrei, so glückselig sein könnte, auf solche Weise die Welt zu verlassen. Meine Seele wurde von einer Andacht ergriffen, von der gewissen Ueberzeugung an Gott und der Ewigkeit, die diesen Augenblick zu einem Moment in meinem sieben erhob. Es war das erste Todtenbett, an dem ich als erwachsener Mann stand. Kinder und Kindeskinder waren an demselben versammelt, und in einem solchen Augenblick herrscht Heiligkeit rund um uns. Ihre Seele war Liebe, sie ging zur Allmacht der Liebe ein!
*
Am Schluß des Julimonats sollte bei der Stadt Skanderborg Kleine Stadt von 1600 Einwohnern im Süden der Provinz Jütland, die in der dänischen Geschichte eine hervorragende Rolle spielt. Der Uebers. ein Monument für König Frederik VI. enthüllt werden; zu der Enthüllungsfeier hatte ich in Folge Aufforderung des Comités die Festcantate geschrieben, während Hartmann sie in Musik gesetzt hatte. Der Studenten-Gesangverein sollte dieselbe ausführen. Sowol die Sänger wie der Componist und der Dichter wurden natürlich zum Feste eingeladen.
In schönen Buchten zwischen hohen Hügeln mit hohen Buchen erstreckt sich der Binnensee, wo Christian IV. während seiner Jugendjahre Seemann spielte, wo auf den Ruinen des Schlosses sich jetzt die Kirche erhebt, und vor derselben steht das Monument, eine Arbeit Thorwaldsen's. Es war eine Menge Menschen bei dem Feste anwesend, und Abends nach der Enthüllung brannten überall Pechkränze, die ihren flackernden Schein über den See warfen. Mitten im Walde erglänzten tausende von Lichtern und Tanzmusik erschallte ringsherum aus den Zelten; auf allen Hügeln zwischen den Wäldern und hoch über diesen wurde es in einem Nu tageshell durch Festfeuer, welche während der ganzen Nacht gleich rothen Meeren leuchteten. Es lag über See und Land eine Frische, ein Sommerduft, wie sie der Norden in seinen herrlichen Sommernächten zeigt. Der breite Schatten jedes Einzelnen, der zwischen dem Monument und der Kirche dahinschritt, glitt schwebend größer hin an der rothen Mauer der Kirche, als wäre er ein Geist, der ebenfalls an dem Feste Theil nehmen wollte.
Auf der Heimreise, zu der uns von Aarhuus aus ein königliches Dampfschiff zur Disposition gestellt war, folgten wir der Einladung der Bürger von Aarhuus, die uns ein Ballfest bereiten wollten. In langen Wagenreihen erreichten wir den Marktplatz, wo wir uns aufstellten, um von unseren Wirthen in Empfang genommen zu werden. Bald sah man die Studenten mit ihren Wirthen verschwinden, Hartmann hatte bereits früher eine Einladung erhalten, und ein paar Bürger traten einer nach dem andern zu mir heran, verbeugten sich vor mir, fragten mich nach meinem Namen, und als ich ihnen denselben nannte, fragten sie: »Sie sind doch nicht der Dichter?« Und als ich dies bejahte, verbeugten sie sich wieder; sie gingen Alle, kein Einziger wollte den Dichter haben. Wie man mir später zu sagen beliebte und wie ich auch glaube, wünschte mir Jeder den besten Wirth, und daher bekam ich schließlich gar keinen. Ich stand verlassen und einsam auf dem großen g und mußte daher in der guten Stadt Aarhuus ein Hotel aussuchen.
Heim ging es über das Kattegat mit Sang und Klang, mit jugendlichem Sinn und Jugendmuth; das Kullen-Gebirge Ein nackter, 634 Fuß hoher Granitberg, die äußerste Spitze der südwestlichen Landzunge der Landschaft Skåne, von den Wogen des Kattegat umtost. Der Uebers. erhob seine schwarzen Klippen, die dänische Küste stand so frisch und grün mit ihren Buchenwäldern vor uns – es war eine Sängerfahrt, eine Freudenfahrt für den Componisten und den Dichter. – Ich wanderte heim zu neuer literarischer Wirksamkeit.
Im Anfange des Jahres war mein Roman » Der Improvisator« von der bekannten Schriftstellerin Mary Howitt Mary Howitt (sprich Hauitt), geborene Botham, Gattin des Schriftsteller William H., machte große Reisen mit demselben. Sie gehört gleich ihm den Quäkern an – und schrieb meist für Kinder, übersetzte aber Frederika Bremer und Andersen; sie ging später 1852 mit ihrem Mann nach Australien. Der Uebers. in's Englische übersetzt und, wie früher erwähnt, mit großem Beifall ausgenommen worden; » O. T.« und » Nur ein Geiger« folgten bald unter dem gemeinsamen Titel: » The live in Denmark «, und bald war ich ein viel gelesener Schriftsteller in dem großen England, und von dort gingen meine Schriften nach Amerika. Früher waren meine Schriften nur in's Deutsche und Schwedische übersetzt worden, aber jetzt folgte außer diesen auch eine holländische Uebersetzung der Romane, und in Petersburg kam von dem » Improvisator« eine russische Uebersetzung nach der schwedischen heraus.
Was ich selbst in meinen kühnsten Träumen niemals für möglich gehalten hätte, wurde erfüllt; meine Schriften schienen unter einem Glücksstern zu stehen, ich vermag es nicht anders zu erklären; sie flogen über Länder hinaus und fanden überall Freunde und mildere Richter als daheim in meinem eigenen Vaterlande, wo sie doch in der Originalsprache geschrieben und gelesen wurden, – Es liegt etwas Erhebendes und zugleich Erschreckendes darin, zu sehen, wie seine eigenen Gedanken weit in der Welt sich ausbreiten zu den Menschen; es ist fast ein beängstigendes Gefühl, auf diese Weise Vielen anzugehören. Ein eigenes Gefühl, vermischt mit Freude und Angst erfüllt mich jedesmal, wenn der Genius des Glücks eine neue Dichtung zu einem fremden Volke führt.
Gleich einem stärkenden Bade für den Geist, gleich einem Medeatrank Medea war in der alten Mythologie eine berühmte Zauberin, die aus Rache ihre eigenen Kinder, deren Vater Jason war, ermordete. Daher Zaubertrank. Der Uebers., der stets wieder verjüngt, ist das Reisen für mich; ich fühle ein Bedürfnis; dazu, nicht, um neuen Stoff zu suchen, wie ein Recensent geglaubt und ausgesprochen hat, als er meinen » Bazar« besprach, was später von Anderen nachgeschwätzt worden ist. Es liegt ein solcher Reichthum von Stoff in meinem Innern, daß dieses Leben zu kurz ist, um diese Quelle zu leeren; allein es gehört Geistesfrische dazu, um den angehäuften Stoff reif und gesund auf das Papier zu bringen, und für mich ist Reiseleben, wie gesagt, das erfrischende Bad, aus dem ich gleichsam jugendlicher und stärker zurückkehre.
Durch vernünftige Oekonomie und durch die Einnahme für meine Schriften, wurde es mir möglich, während der letzten Jahre mehrmals Reisen zu machen. Anerkennung, vielleicht Ueberschätzung, Herzlichkeit, Glück und Freude ist mir draußen in der Fremde im vollsten Maße entgegengebracht worden. Das konnte ich leider damals nicht von der Heimat sagen, obgleich mein Herz an dieselbe unveränderlich hing. In der Fremde umgab mich Sonnenschein, der mich in meinem Vaterlande nur in einzelnen Strahlen erreichte, wo man am meisten nur Augen für meine Schwächen hatte, sich erlaubte, mich immerfort erziehen zu wollen und auf diese Weise manche Keime unterdrückte; ja, vielleicht würden meine Landsleute dieselben vernichtet haben, wenn nicht fremde Liebe dieselben gepflegt, mir Selbstständigkeit verliehen hätte und endlich durch ihre Auslassungen Mitgefühl und Werthschätzung erweckt, meine Gegner überrascht und sie gezwungen hätte, meine Dichternatur zu achten.
Doch wieder zur Reise. Die Reise, die ich nun besprechen werde, ist eine von denen, auf der mir Gott die größte Anerkennung und Freude vergönnte.
Ich wollte wieder Italien besuchen und zwar zum dritten Male; ich wollte den Süden auch während der heißen Jahreszeit kennen lernen, und es war mein Plan, dann nach Spanien zu gehen und über Frankreich heimzukehren.
Am Schluß des October 1845 verließ ich Kopenhagen. Stets, bevor ich hinausreiste, dachte ich: »Was wird sich mir wol auf dieser Reise ereignen?« Diesmal jedoch waren meine Gedanken folgender Art: »Mein Gott, was wird meinen Freunden während meiner langen Abwesenheit von der Heimat geschehen?« Und ich fühlte eine große Herzensangst, denn während eines Jahres kann der Leichenwagen viele Male aus dem Thor fahren, und welche Namen würden dann auf den Särgen glänzen! –
Die dänische Sprache besitzt eine Redensart, wenn man plötzlich sich von einem kalten Schauer durchrieselt fühlt: »Jetzt schreitet der Tod über mein Grab!« – Es durchrieselt uns ein kalter Schauer, wenn der Gedanke über die Gräber unserer besten Freunde dahingleitet.
Ich blieb einige Tage beim Grafen Moltke auf Glorup. Das Landleben hier hielt mich fest, denn selbst in den späten Herbsttagen hat es etwas poetisch Schönes an sich: wenn die Bäume des Laubes beraubt sind, wenn die Sonne auf das noch grüne Gras scheint und die Vögel zwitschern, vermag man sich offenbar einzubilden, daß es ein Frühlingstag sei. Ebenso hat sicherlich der ältere Mann Augenblicke während seines Herbstes, wo sein Herz noch vom Lenze träumt.
In meiner Geburtsstadt, dem alten Odense, blieb ich nur einen Tag; ich fühlte mich hier fremder als in irgend einer großen Stadt Deutschlands. Als Kind war ich stets allein, habe daher wenig Jugendfreunde; die meisten Familien, die ich gekannt hatte, waren verstorben, ganz neue Geschlechter sah ich auf den Straßen, die ebenfalls verändert waren, einherschreiten. Die dürftigen Gräber meiner Eltern fand ich nicht mehr, andere Todte waren hier beerdigt worden. Alles war verändert. –
Ich machte eine meiner Jugendwanderungen hinaus nach der Mariahöhe, die der Iversen'schen Familie gehört hatte. Diese Familie war zerstreut; unbekannte Gesichter zeigten sich mir hinter den Fensterscheiben. Wie viel Jugendgedanken wurden hier nicht ausgetauscht!
Eins der jungen Mädchen, Henriette Hanck, die damals ruhig und mit leuchtenden Augen meinen ersten Gedichten, als ich als Schüler von Slagelse und später als junger Student hierher kam, lauschte, saß jetzt weit ruhiger in dem lärmenden Kopenhagen und hatte von dort bereits ihre ersten Schriften in die Welt hinausgeschickt, die Romane » Tante Anna« und » Die Tochter eines Schriftstellers.« Beide waren bereits in Deutschland erschienen, und der deutsche Verleger glaubte, daß ein paar Worte von mir ihnen zum Nutzen gereichen könnten, und ich, der Fremde, der vielleicht viel zu nachsichtig Aufgenommene, habe die Schriften des bescheidenen Mädchens in Deutschland eingeführt. Das Heim ihrer Kindheit am Odensekanal, wo der erste kleine Kreis mir Huldigung und Freude gespendet hatte, besuchte ich. Alles war mir dort jetzt fremd, ich selbst ein Fremder; auch sie sollte ich nicht mehr wiedersehen. Als ich ein Jahr später von der Reise heimkehrte, erreichte mich die Nachricht, daß sie im Juli 1846 gestorben war. Sie war ihren Eltern eine liebevolle Tochter gewesen; sie war ein tief poetisches Gemüt, und ich habe an ihr eine treue Freundin aus den Jugendjahren, die mit Interesse und Schwestersinn meinem Geschick Während guter und schlimmer Tage folgte, verloren.
Der Herzog von Augustenburg hatte seine silberne Hochzeit gefeiert. Unter den vielen Dänen, die mit Einladungen beehrt worden waren, befand auch ich mich. Es hatte sich indessen schon damals eine Gährung gezeigt, eine Spannung, welche das herzogliche Haus in eine Art ungewisser Stellung zu den dänischen Interessen stellte. Ungeachtet mein ganzes Wirken außerhalb des politischen Lebens sich bewegte, wollte ich doch nicht Zeuge von Worten sein, die mit meiner Vaterlandsliebe in Widerspruch stehen könnten; es lag nur außerdem viel bequemer, meinen Reiseausflug zu verschieben und über Gravenstein zu gehen. Ich sprach meinen Dank für die gnädige Einladung in einem Briefe aus, ich hätte sonst die Reise mehrfach hin und her machen müssen.
Im kam auf diese Weise zum ersten Mal zu dem schön gelegenen Jagdschloß Gravenstein Am Arm der Ostsee auf Schleswigs Festland. Der Flecken zählt gegen 560 Einwohner und ist wegen seines Obstes, namentlich Aepfel berühmt. Der Uebers., und wurde wie früher gnädig und herzlich aufgenommen. Ich bemerkte nichts, das dem dänischen Gemüt und Herzen irgend Anstoß erregen könnte, und daß man Abends unter anderen Gesängen »Schleswig-Holstein meerumschlungen« anstimmte, hielt ich für bedeutungslos. Im Familienleben sprach man nur dänisch, und man sprach es vor mir aus und hob hervor, wie dänisch gesinnt just der Herzog sei und welches Unrecht die Kopenhagener in ihrem irrthümlichen Urtheil über ihn begingen – am wenigsten ahnte ich damals, wie bald das Unwetter losbrechen würde Man vergleiche Wegner's Schrift über den Herzog von Augustenburg, besprochen nach den von den Dänen 1848 auf Schloß Augustenburg vorgefundenen Briefen, woraus hervorgeht, daß der Herzog schon seit 1829 gegen Dänemark conspirirte. Der Uebers..
Ich wollte volle vierzehn Tage hier bleiben, und es war, als wären diese eine Vorbereitung für all' das Glück und den Segen, welche mir entgegentreten sollten, sobald ich nach Deutschland kam.
Die Gegend am Flensburger Fjord ist unleugbar eine der malerischsten im ganzen Herzogthum Schleswig. Hier giebt es große wälderreiche Höhen und stete Abwechslung durch den sich windenden Meerbusen und die vielen stillen Binnenseen; selbst die schwebenden Nebel des Herbstes verliehen der Landschaft etwas Malerisches, etwas Fremdes für den Inselbewohner, der eine solche Natur nur in kleinerem Maßstabe sieht. Es war schön draußen und es war herrlich drinnen, und hier im festlichen und fürstlichen Ueberfluß wurde es zu einem der Märchen, welche Mangel und Noth schildern: » Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzchen« Siehe Band II Seite 57. Der Uebers..
Der Herausgeber eines dänischen Volkskalenders sandte mir drei verschiedene Holzschnitte und bat mich, ihm zu einem derselben eine kleine Geschichte zu schreiben. Ich wählte das Bild mit dem armen kleinen Mädchen, das mit Schwefelhölzern in der Schürze an der Ecke niederkauert und ein Bund feilbietend in der Hand hält.
Mit der Einladung, recht oft nach Gravenstein und Augustenburg zurückzukehren, verließ ich eine Stätte, wo ich glückliche Tage verlebt hatte. Eine schwere, blutige Zeit sollte über derselben aufgehen, ich habe nicht das Herz gehabt, diese Gegend wiederzusehen.
Die letzten Töne, welche mir dort erklangen, waren: »Lott' ist todt!« – die Prinzessinen von Augustenburg spielten diese Melodie in jugendlichem Frohsinn. Die Erinnerung an jene Zeit und deren Nachklang ist ein schmerzliches Echo – todt, todt! – Doch zurück zur Reise.
Zu meinen alten Freunden in Hamburg, die ich natürlich besuchte, gesellte sich ein neuer; es war der geniale Maler Speckter Otto Speckter, geboren in Hamburg 1807, gestorben im April 1871, hat sich durch seine genialen Zeichnungen zu vielen Kinderschriften, namentlich dem »gestiefelten Kater« bekannt gemacht. Der Uebers.. Er überraschte mich durch seine kühnen, herrlichen, genialen Zeichnungen zu meinen Märchen, die später zu verschiedenen Ausgaben im Ausland benutzt worden sind. Dieselbe kecke Naturfrische, welche sich in jeder seiner Arbeiten offenbart und sich zu einem kleinen Kunstwerk gestaltet, sprach sich auch in seiner ganzen Persönlichkeit aus. Er war damals nicht verheiratet, aber das Familienheim, in dem er lebte, schien mir ein patriarchalisches zu sein. Speckter war von meinen Märchen erfüllt und gerade durch diese mir innig zugethan. Voll von Leben und Scherz ging er eines Abends mit mir, als ich nach dem Theater gehen wollte. Ich hatte wol kaum mehr als eine Viertelstunde Zeit, bis die Vorstellung beginnen sollte. Da kamen wir an dem Hause eines reichen Mannes vorüber.
»Dort müssen wir erst hinauf!« sagte er; »dort wohnt eine reiche Familie, Freunde von mir und Freunde Ihrer Märchen. Die Kinder werden glücklich sein!« – »Aber die Vorstellung beginnt indessen«, entgegnete ich. – »Nur zwei Minuten«, antwortete er und zog mich mit in das Haus hinein, nannte meinen Namen, und der ganze Kinderkreis scharte sich um mich. »Und nun erzählen Sie ein Märchen, nur ein einziges!« baten sie. – Ich erzählte eins und eilte von dannen, um noch früh genug das Theater zu erreichen. »Das war ein sonderbarer Besuch!« sagte ich. – »Vortrefflich!« jubelte Speckter; »ganz ausgezeichnet! Die Kinder sind von Andersen und seinen Märchen erfüllt, plötzlich steht er mitten in ihrem Kreis, erzählt ihnen selbst eins, und fort ist er, verschwunden für die Kleinen. Das ist ja selbst ein Märchen, und wird niemals aus ihrem Gedächtnis verschwinden!«
Im Großherzogthum Oldenburg harrte mein eine kleine Stube, wo Alles für mich heimisch und behaglich eingerichtet worden war. Der damalige Minister von Eisendecher und seine geistvolle Frau, die ich unter all' meinen Freunden im Auslande zu den theilnahmvollsten rechnen konnte, erwarteten mich. Ich hatte ihnen versprochen, vierzehn Tage zu bleiben; aber der Aufenthalt daselbst dehnte sich etwas länger aus. Ein Haus, in dem die besten und geistvollsten Menschen verkehren, wird stets ein angenehmer Aufenthaltsort, und einen solchen fand ich hier.
In der kleinen Stadt herrschte eine große Geselligkeit, und das Theater, wo man damals weder Oper noch Ballet aufführte, gehörte zu den allerbesten Deutschlands. Gall Ferdinand Freiherr von Gall, geboren im Großherzogthum Hessen zu Battenberg den 13. October 1809, studirte in Heidelberg Jura (1826-1830), trat 1834 in Oldenburgische Dienste und war von 1842-1846 Theater-Intendant, ging dann nach Stuttgart und gründete den deutschen Bühnenverein, wurde 1852 zu dessen Präsident erwählt. Er machte Reisen in Schweden und Frankreich und beschrieb dieselben, wie er auch über Theaterverhältnisse mehrere Schriften herausgab. Der Uebers. war zu jener Zeit Theaterintendant; seine Tüchtigkeit ist hinlänglich bekannt, und von großem und glücklichem Einfluß zeigte sich die Berufung des Dichters Julius Mosen Siehe die Note auf Seite 234. Der Uebers. zur Mitwirkung. Mosen, der Alexander Dumas sehr ähnelt, hat ein etwas afrikanisches Gesicht mit braunen, funkelnden Augen, und ungeachtet seiner körperlichen Leiden war er voller Geist und Leben. Wir verstanden einander bald und begegneten uns oft. Ihm schulde ich es, daß ich eins der besten klassischen Stücke Deutschlands, Lessing's » Nathan der Weise«, dessen Titelrolle von Kaiser, einem ebenso denkenden als vortrefflichen Schauspieler wie Vorleser, ausgeführt wurde, zu sehen bekam.
Auch Mayer, der so interessant Neapel und die Neapolitaner geschildert hat, traf ich hier wieder; er machte sich mit meinen übrigen indessen in Deutschland erschienenen Schriften bekannt und schrieb ein Jahr darauf in den » Jahrbüchern der Gegenwart«, September- und Octoberheft, einen eingehenden Artikel über » Andersen und seine Werke.« Derselbe athmet Liebe und zeugt von Einsicht und Nachdenken. Der ganze Artikel darf als ein Lob der dänischen Literatur gelten und war von großer Bedeutung für mich. Aber es schien nicht, als ob Jemand in der Heimat die sonst viel gelesene Zeitschrift bemerkt hätte; hauptsächlich geschah dies wol deshalb, weil der Verfasser einen Vergleich zwischen Heine und mir in unserem Verhältniß zur deutschen Romantik angestellt hatte.
Der Kapellmeister Pett August Pett, geboren in Nordheim 1806, war ein Schüler Kiesewetter's und Spohr's; er bereiste als Violinvirtuose Deutschland, Dänemark, Schweden und Frankreich und wurde 1832 Hofkapellmeister in Oldenburg. Der Uebers. und mein Landsmann Jerndorf gehörten zu meinen früheren Freunden, und jeden Tag wurden neue Bekanntschaften angeknüpft; durch den Minister von Eisendecher, in dessen Kreis ich mein Heim hatte, öffneten sich mir alle Häuser. Der Großherzog Der damals regierende Großherzog von Oldenburg hieß August Paul Friedrich, geboren den 13. Juli 1783; er folgte seinem Vater, dem Herzog Peter Friedrich 1829 in der Regierung und nahm den Titel Großherzog an. Er starb den 27. Febr. 1853, nachdem er am 19. Febr. 1849 ein freisinniges Gemeindegesetz erlassen hatte. Der Uebers. empfing mich mit Theilnahme und Gnade. Schon am Tage nach meiner Ankunft wurde ich zu einem Hofconcert und später nochmals zur Tafel geladen.
In dem von Eisendecher'schen Hause und bei dem Geheimrath Beaulieu Dem Vater des Großherzoglichen Weimar'schen Kammerherrn, Andersen's Freund. Der Uebers. hatte ich einige Male meine Märchen deutsch vorgelesen. Indem ich meine ganze Seele in den Ausdruck legte, und vielleicht trug gerade meine weiche Aussprache nicht wenig dazu bei, daß das Naive der Märchen, das in der damals vorhandenen Uebersetzung wiederzugeben wenigstens versucht worden war, erhöht wurde, fand man ein besonderes Interesse daran, mich selbst diese vortragen zu hören. Beim Großherzog, in einem auserwählten Kreise, dem größten, in welchem ich bisher vorgelesen hatte, trug ich, wie früher am Hofe zu Weimar, in einer fremden Sprache meine Märchen vor, und überall später bei den Freunden im Ausland wagte ich es öfter, und stets nahm man großes Interesse daran, gerade mich selbst diese kleinen Geschichten vorlesen zu hören. Die fremdartige Aussprache ist beim Vorlesen von Märchen vielleicht am ehesten gestattet; das Fremde wird hier zum Kindlichen und verleiht der Vorlesung eine für diese Dichtung natürliche Färbung. Ich sah überall, wie die bedeutendsten Männer, die geistreichsten Frauen mit Interesse meinem Vortrage folgten.
Der oben erwähnte Kritiker in den »Jahrbüchern der Gegenwart« sagte:
»Man hat Andersen Eitelkeit vorgeworfen, weil er nicht müde wird, dieselben Märchen immer wieder vorzulesen und von seinen Poesien zu sprechen. Allein gutmüthig, wie er ist, mag er einerseits den vielfachen Bitten, die allerwärts an ihn ergehen, selbst auf Gefahr großer Ermüdung nicht entgegen sein; ein Märchen erzählen oder lesen ist ja ein so Kleines und Leichtes; wie ein artiges Lied immer wieder zu singen verlangt wird, will ein Märchen immer wieder erzählt sein, und kommt erst eins an die Reihe, so folgen leicht ein paar andere nach. Andererseits hören andere Dichter sich auch gern lesen, zumal wenn sie, wie Andersen, gut vortragen und Beifall finden; dickleibige Manuscripte finden aber nicht so leicht ein williges Publikum. Auch andere Dichter reden sehr gern von ihren Werken und für Alles, was außerhalb ihres Kreises liegt, nur wenig Sinn zeigend, kehren sie gern im Gespräch zu ihrem Ich zurück; sie sind nur klüger und wissen besser den Schein der Eitelkeit zu vermeiden.«
Ich befand mich noch immer in Oldenburg, und es war bereits Winter geworden. Die Wiesen standen unter Wasser und bildeten große Seen um die Stadt, von dickem Eis überzogen. Schlittschuhläufer flogen hin über dieselben, und ich war wie festgewachsen an die liebe Stadt Oldenburg, an die gastfreien Freunde. Tage und Abende glitten so schnell in geistvoller Geselligkeit durch Vorlesen, durch Musik, Schauspiel und Gespräche dahin.
Eine kleine Anekdote, sicherlich früher nicht aufgezeichnet, hörte ich hier, und da sie mich rührte und sich an die Geschichte der unglücklichen dänischen Königin Caroline Mathilde Siehe die Note Seite 208 Band I. Der Uebers. knüpft, füge ich sie diesen Blättern bei. Eine ältere Dame am großherzoglichen Hofe erzählte, daß ihr Vater an der Gesandtschaft, welche Caroline Mathilde, die Gattin Christian VII., von England abholen sollte, theilgenommen habe. Am Bord des Schiffes überraschte sie in der Nordsee ein Sturm. Die dänische und englische Flagge, die zu einer vereint auf dem Schiffe wehte, wurde durch einen Windstoß von der Stange gerissen und in zwei Stücke zerfetzt, jedes Stück eine selbstständige Flagge bildend. Es war gleichsam ein böses Zeichen, und Thränen traten in Caroline Mathildens Augen. Aber da ergriff sie schnell die getrennten Stücke, nahm Nadel und Faden, setzte sich auf das Deck nieder, wo die Wogen über sie dahin spritzten, und nähte die beiden Flaggen zu einer einzigen wieder zusammen.
Ein Zug von Mosen's kleinem Sohn rührte mich tief. Er hatte mich mit großer Aufmerksamkeit meine Märchen verlesen hören, und als ich am Tage vor meiner Abreise kam, um mich zu verabschieden und die Mutter sagte, daß er mir die Hand reichen sollte: »Es vergeht vielleicht viel Zeit, ehe Du ihn wieder siehst!« – brach der Knabe in Thränen aus, und als Mosen zu mir in's Theater kam, sagte er: »Mein kleiner Erich besitzt zwei Zinnsoldaten; er hat mir den einen für Sie gegeben, damit Sie ihn mit auf Reisen nehmen!« Und dieser Zinnsoldat folgte mir wirklich.
In der Geschichte » Das alte Haus« Siehe Band l Seite 405. Der Uebers. habe ich an Erich's kleinen Zinnsoldaten gedacht.
Mosen schrieb voran in seinem Buche » Johann von Oesterreich« folgende Worte an mich:
Kam ein Vogel einst herüber
Von der Nordsee wüstem Strand,
Singend zog er mir vorüber,
Märchen singend durch das Land;
Fahre wohl! bring' Deine Lieder
Und Dein Herz dem Freunde wieder.
Ich konnte die Abreise nicht länger verschieben; Weihnachten nahte, und dieses Fest wollte ich in Berlin verbringen. Aber was ist Entfernung in unserer Zeit? Von Hannover nach Berlin fuhr ja der Dampfwagen in einem Tage. Ich mußte fort von Oldenburg, von allen Lieben dort.
Als ich das vorige Mal in Berlin war, wurde ich als Verfasser des » Improvisators« in » Die italienische Gesellschaft« eingeladen, wo nur Diejenigen, die in Italien gewesen waren, Eintritt erlangen konnten. Hier sah ich zum ersten Mal Rauch Der große Meister der Bildhauerkunst Christian Rauch ist in Arolsen den 2. Januar 1777 geboren und den 3. Dec. 1837 in Berlin gestorben. Er begann seine Studien in Cassel und Berlin und ging 1804 nach Rom, 1811 nach Berlin, das durch eine Reihe hervorragender Denkmäler von seiner Hand geschmückt ist. Ihm zu Ehren hat man ein »Rauchmuseum« in Berlin errichtet. Der Uebers., der mit seiner kräftigen, männlichen Gestalt und dem silberweißen Haar Thorwaldsen ähnelte. Damals wurde ich ihm nicht vorgestellt, und ich wagte es nicht, mich selbst zu präsentiren; ebensowenig sprach ich ihn in seinem Atelier, das ich, wie jeder andere Fremde, besuchte; aber als er in Gesellschaft des Direktors des Museums Olfers Ignaz von Olfers, geboren 1702 in Münster, gestorben 1870 in Berlin, studirte ursprünglich Medicin, trat 1820 in preußische Dienste und wählte die diplomatische Laufbahn bis er 1836 in's Kultusministerium eintrat. Von 1840-1868 war er Generaldirector der königlichen Museen. Der Uebers. Kopenhagen besuchte, trafen wir im Hause des preußischen Gesandten zusammen und lernten nun einander kennen. In Berlin angekommen, ging ich sofort zu ihm. Er hatte seit unserem Zusammentreffen die meisten meiner Schriften gelesen und war besonders für meine Märchen eingenommen; er drückte mich in seine Arme, sprach ein viel zu hohes Lob über mich als Dichter aus, aber wie ich wol glauben darf, er meinte es ehrlich. Die Werthschätzung eines solchen Augenblicks oder die Überschätzung bei dem Genie verwischt manchen dunklen Schatten im Gemüt.
Von
Rauch wurde mir das erste Willkommen in
Berlin zugerufen; er sagte mir, welch' großen Kreis von Freunden ich in Preußens Hauptstadt besäße, und ich mußte bald die Wahrheit erkennen. Es waren die Edelsten des Gemüts, wie die Ersten im Range der Kunst und Wissenschaft, die mir entgegenkamen:
Alexander von Humboldt,
Fürst Radziwill
Friedrich Heinrich Alexander Freiherr v. Humboldt, geboren den 14. September 1790 in Berlin, gestorben daselbst den 6. Mai 1859, Bruder des berühmten Gelehrten und Staatsmannes Wilhelm v. H., (geb. 22. Juni 1767 in Potsdam, gest. 8. April 1835 in Tegel bei Berlin, wo beide Brüder begraben sind) unternahm große Reisen in Südamerika, Asien u. s. w. als Naturforscher und ihm sind infolge dessen unzählige wissenschaftliche Resultate, zu denen er kam, zu verdanken. Ihm und seinem großen Bruder zu Ehren, wird man binnen kurzer Zeit in Berlin vor der Universität ihre Standbilder errichten.
Der Fürst
Wilhelm Radziwill, aus einem alten hochadligen Geschlechts Lithauens stammend, ist geboren den 19. März 1797 in Berlin, gestorben den 5. August 1870. Er war der Sohn des Fürsten
Anton Heinrich und der Prinzessin
Friederike Dorothea Louise Philippine von Preußen (Tochter des Prinzen Ferdinand). Sein Elternheim war der Sammelplatz aller Künstler und Gelehrten. Er wählte die Militair-Laufbahn und starb als General der Infanterie, stets ein Beschützer der Künste und Wissenschaften.
Wegen Savigny siebe Seite 328 d. B. Der Uebers.,
Savigny und viele, viele Unvergeßliche.
Bereits das erste Mal als ich hier war, hatte ich die Gebrüder Grimm Jacob Ludwig Grimm, geboren den 4. Januar 1785 in Hanau, gestorben in Berlin den 20. September 1863, hat sich als Sprachforscher einen großen Namen erworben. 1831 wurde er Professor und Bibliothekar in Göttingen und 1837, wie sein Bruder Wilhelm Karl – geboren den 24. Februar 1786 in Hanau, gestorben in Berlin den 16. December 1859 – als einer der sieben opponirenden Professoren entlassen und des Landes verwiesen. Beide Brüder kamen 1841 als Professoren nach Berlin. Gemeinsam gaben sie unter anderen die Sammlung »Deutscher Kinder- und Hausmarchen«, »Deutsche Sagen«, »Irische Elfenmärchen« und das berühmte »Deutsche Wörterbuch« heraus. Der Uebers. ausgesucht, war aber mit meiner Bekanntschaft nicht weit gekommen; ich hatte damals keinen Empfehlungsbrief mitgebracht, da man mir sagte, und wie ich selbst glaubte, daß wenn Jemand in Berlin mich kennen würde, es die Gebrüder Grimm sein müßten. Ich suchte ihre Wohnung auf. Das Dienstmädchen fragte mich, welchen von beiden Brüdern ich zu sprechen wünschte. – »Der am meisten geschrieben hat!« sagte ich, da ich damals nicht wußte, welcher von ihnen am meisten wirksam bei der Herausgabe der »Volksmärchen« gewesen war. – » Jacob ist der Gelehrteste!« entgegnete das Mädchen. – »Nun, dann führen Sie mich zu ihm!« –
Ich trat in das Zimmer, und Jacob Grimm mit dem klugen, charakteristischen Gesicht stand vor mir.
»Ich komme zu Ihnen ohne Empfehlung, indem ich hoffe, daß mein Name Ihnen nicht ganz fremd sein dürfte.«
»Wer sind Sie?« fragte er, und ich nannte meinen Namen. Jacob Grimm sagte darauf fast verlegen: »Ich entsinne mich nicht, Ihren Namen früher gehört zu haben. Was haben Sie geschrieben?«
Nun wurde ich verlegen, nannte jedoch meine Märchen.
»Ich kenne dieselben nicht!« sagte er. »Nennen Sie mir eine andere Ihrer Schriften, denn sicherlich habe ich diese dann nennen gehört.«
Ich nannte den » Improvisator« und noch ein paar meiner Bücher. Er schüttelte den Kopf, und mir wurde ganz unwohl zu Muthe dabei. »Was mögen Sie von mir glauben!« begann ich; »so ganz fremd zu Ihnen zu kommen und selbst Ihnen vorzurechnen, was ich geschrieben habe! – Aber Sie müssen mich kennen! Ich kenne eine dänische Sammlung von Märchen aller Nationen, herausgegeben von Molbech, die Ihnen dedicirt ist, und in dieser Sammlung befindet sich wenigstens eins meiner Märchen.«
Gutmüthig, aber verlegen, wie ich es selbst war, erwiderte er: »Ja, das Buch habe ich nicht gelesen! Aber es freut mich. Sie kennen zu lernen. Ich werde Sie zu meinem Bruder Wilhelm führen!«
»Ich danke sehr!« erwiderte ich und wünschte fortzukommen; es war mir schlimm genug bei dem einen Bruder ergangen, so daß ich wenig Neigung verspürte, dasselbe bei dem andern zu versuchen. Ich drückte ihm die Hand und eilte von dannen.
Einige Wochen später in Kopenhagen, als ich gerade meinen Koffer packte, um in die Provinz zu reisen, trat Jacob Grimm in Reisekleidern zu mir ein. Er war nach Kopenhagen gekommen, war kaum an's Land gestiegen und auf dem Wege zum Hotel; als er an meiner Wohnung vorüberkam, war er sofort zu mir hinaufgekommen, um mich zu besuchen und mir zu sagen, daß er mich jetzt kenne. Herzlich drückte er meine Hand, blickte mich mild mit seinen klugen Augen an. Der Gepäckträger, der mein Gepäck holen sollte, trat in demselben Augenblick ein. Ich hatte nur wenige Augenblicke übrig, um zur Post zu gelangen, und das Zusammentreffen in Kopenhagen war daher ebenso kurz als das in Berlin.
Aber jetzt kannten wir einander, jetzt waren wir alte Bekannte, die sich wieder begegneten.
Jacob Grimm ist eine der Persönlichkeiten, die man lieben muß und an die man sich leicht anschließt. Auch seinen Bruder lernte ich jetzt kennen, und zwar eines Abends las ich bei der Gräfin Bismarck-Bohlen Gräfin Caroline von Bohlen vermählte sich 1817 mit dem Freih. Theodor von Bismarck, der in den preußischen Grafenstand erhoben, auf Wunsch seines Schwiegervaters, da er keine männliche Nachkommen hatte, beide Namen vereinigte. Der Uebers. eins meiner Märchen vor; in diesem Kreise lauschte besonders Einer mit sichtbarer Theilnahme, sprach sich klug und eigenthümlich über das Gehörte aus: es war Wilhelm Grimm.
»Ich würde Sie doch gekannt haben, wenn Sie zu mir gekommen waren, als Sie das vorige Mal in Berlin waren!« sagte er.
Später traf ich diese beiden begabten, liebenswürdigen Brüder fast täglich; die Kreise, in die ich kam, schienen auch die ihrigen zu sein, und es war mir eine Freude, daß sie meinen Märchen lauschten, daß sie mir mit Theilnahme folgten, sie, deren Namen ewig, so lange deutsche Volksmärchen gelesen werden, bestehen werden.
Es hatte mich während meines vorigen Aufenthalts in Berlin sehr verstimmt, daß Grimm mich gar nicht kannte, und wenn deshalb damals Jemand mit Betonung aussprach, wie bekannt und wolaufgenommen ich in Berlin sei, schüttelte ich den Kopf und gab meine Zweifel mit den Worten zu erkennen: »aber Grimm kennt mich durchaus nicht!« – Jetzt war es erreicht!
Tieck war krank; Niemand würde zu ihm gelassen, sagte man; aber als er meine Karte erhielt, sandte er mir sofort einen Brief und ordnete ein kleines Festmahl an, an dein sein Bruder, der Bildhauer Tieck, der Geschichtsschreiber Raumer, sowie Steffen's Wittwe und Tochter theilnahmen. Es war das letzte Mal, daß wir uns trafen. Ein paar frohe, lebhafte Stunden entflohen. Niemals vergaß ich seitdem die Musik, die sich in seiner Rede kundgab, die Innigkeit, die aus seinen klugen Augen strahlte, deren Feuer nicht durch das Alter erloschen war, sondern an Glanz gewonnen hatte. – » Die Elfen«, eins der schönsten Märchen, die in unserer Zeit gedichtet worden sind, vermag, wenn auch Tieck nichts anderes geschrieben hätte, seinen Namen bis in die Ewigkeit zu tragen.
Als Märchenerzähler beugte ich mich vor ihm, dem älteren Meister; er war der erste deutsche Dichter, der vor vielen Jahren mich zuerst an seine Brust gedrückt hatte, als wäre dies eine Einweihung, daß wir denselben Weg wandeln sollten.
Alle älteren Freunde besuchte ich, und die Zahl der neuen wuchs mit jedem Tage; die Einladungen folgten einander; es gehörten förmlich körperliche Kräfte dazu, so viel Wolwollen zu ertragen! Fast drei Wochen blieb ich in Berlin, und die Zeit schien gleichsam mit jedem Tage schneller zu entfliehen. Aber es strengte mich allzusehr an; ich wurde schließlich körperlich und geistig müde und vermochte nur erst dann wieder Ruhe zu erlangen, wenn ich auf der Eisenbahn durch die Lande flog.
Und dennoch mitten in diesem Saus und Braus, in all' diesem Uebermaß von Güte und Interesse für mich, um mir meinen Aufenthalt hier angenehm zu machen, stand ein Abend unbesetzt, leer, ein Abend, an dem ich plötzlich die Einsamkeit in ihrer drückendsten Gestalt empfand: es war der Weihnachtsabend! Gerade an dem Abend, an dem ich mit dem Gemüt des Kindes in den Festglanz schaute, an dem ich einen Weihnachtsbaum sehen, mich an der Freude der Kinder erfreuen und die Eltern wieder Kinder werden, sehen mußte – gerade an diesem Abend saß ich einsam in meinem Zimmer im Hotel und dachte an die Heimat in Kopenhagen. –
Jenny Lind war in Berlin, Meyerbeer hatte, wie er mir früher gesagt, es durchgesetzt, daß sie hier auftrat, gehuldigt und bewundert wurde; überall ertönte ihr Lob, nicht allein das der Künstlerin, sondern auch das des Weibes, beide vereinigt, erweckten eine Begeisterung, einen Enthusiasmus, daß man das Theater förmlich bestürmte, wenn sie sang. – Es war längst meine herrlichste Phantasie gewesen, mir einen Weihnachtsabend bei ihr verbracht zu denken; ich war überzeugt davon, daß, wenn ich zu dieser Zeit in Berlin sei, ich diesen Festabend in ihrer Gesellschaft verbringen würde. Diese Phantasie wurde bei mir zu einer solchen Ueberzeugung, daß ich alle Einladungen meiner Freunde in Berlin ausschlug, und als dann der Abend kam, war ich von Jenny Lind nicht eingeladen worden.
In meiner Einsamkeit fühlte ich mich so verlassen, öffnete das Fenster und sah zum Sternenhimmel empor: er war mein Weihnachtsbaum! Ich war so weichen Gemüts, daß Andere es vielleicht sentimental genannt haben würden. Jene kennen den Namen, ich kenne die Stimmung.
Am Morgen darauf war ich ärgerlich, kindlich ärgerlich über meinen verlorenen Weihnachtsabend. – Ich erzählte Jenny Lind, wie traurig ich diesen verbracht habe. »Ich glaubte. Sie würden bei Prinzen und Prinzessinnen sein!« erwiederte sie. Da erzählte ich ihr, daß ich alle Einladungen ausgeschlagen hatte, um bei ihr zu sein, und daß ich mich darauf bereits seit langer, langer Zeit gefreut hatte, ja, gerade des Weihnachtens wegen nach Berlin gekommen sei.
»Kind!« sagte sie lächelnd, strich mit ihrer Hand über meine Stirn, lachte mich aus und sagte: »das konnte mir niemals einfallen; ich war außerdem ausgebeten. Aber nun müssen wir den Weihnachtsabend nachholen, denn nun muß ich den Christbaum für das Kind anzünden! Am Sylvesterabend brennt der Weihnachtsbaum bei mir!« Und gerade am letzten Abend des Jahres erglänzte für mich bei ihr ein kleiner, schön ausgeputzter Baum. Jenny Lind, ihre Begleiterin und ich bildeten den ganzen Kreis. Wir drei Kinder des Nordens waren am Sylvesterabend versammelt. Ich war das Kind, für das der Baum angezündet war. Es war wie in dem Kinderspiele »Es kommen Fremde«, und es ging an diesem Abend wie bei großer Gesellschaft zu, erst Thee, dann Eis und endlich das Souper. Jenny Lind sang eine große Arie und einige schwedische Lieder. Es war eine ganz festliche Soirée, und ich bekam alle Christgeschenke. Unser stiller, festlicher Abend wurde bekannt und darüber in den Zeitungen berichtet. »Die beiden Kinder des Nordens, Jenny Lind und Andersen«, hieß es ungefähr.
In eine kleine Geschichte, einen Beitrag zu Jenny Lind's Triumphen, wurde ich eingeweiht. Eines Morgens sah ich von meinem Fenster »Unter den Linden« einen Mann, halb verborgen von den Bäumen vor dem Hause stehen; er war etwas dürftig gekleidet, er nahm einen Kamm aus der Tasche, glättete sein Haar, rückte das Halstuch zurecht und bürstete den Rock mit der Hand, Ich kenne die verschämte Armut sehr wol, die in dürftigen Kleidern sich gedrückt fühlt; mein Interesse für ihn war also erweckt. Einen Augenblick später klopfte es an meiner Thür, und der Mann trat zu mir ein. Es war der Naturdichter B –, der nur ein armer Schneider war, aber ein echt poetisches Gemüt besaß; Rellstab, Klette und mehrere andere Schriftsteller hatten ihn in den Zeitungen höchst ehrenhaft besprochen und hervorgehoben, daß in seinen Gedichten viel Gesundes und innig Religiöses sich befände. Er hatte erfahren, daß ich in Berlin sei und kam, mich zu besuchen. Wir saßen im Sopha nebeneinander, und aus seinem Gespräch ging eine liebenswürdige Genügsamkeit und ein so unverdorbenes, gutes Gemüt hervor, daß es mir wirklich leid that, nicht reich zu sein, um recht viel für ihn thun zu können. Daß er bei all' seiner Genügsamkeit dürftig war, sah ich nur zu wol. Geld sollte er haben, aber das Wenige, das ich ihm zu geben vermochte, schämte ich mich, ihm anzubieten, es mußte wenigstens in einer annehmbaren Form angeboten werden.
Ich fragte ihn, ob ich ihn einladen dürfte, Jenny Lind zu hören.
»Ich habe sie gehört!« sagte er mit einem Lächeln, »Ich hatte zwar kein Geld, mir ein Billet zu kaufen, aber da ging ich zum Vorsteher der Statisten und fragte, ob ich nicht eines Abends als Statist in »Norma« auftreten könnte, und er nahm mich an. Man kleidete mich als römischen Krieger aus, ich bekam ein großes Schwert an die Seite, kam auf die Bühne und hörte sie besser als alle Anderen, denn ich stand dicht bei ihr. Ach, wie herrlich sang sie! Wie spielte sie! Ich konnte mich des Weinens nicht enthalten. Aber weinen darf man nicht, der Vorsteher der Statisten verbot es; er wurde böse und wollte mich nicht wieder als Statisten verwenden, denn man darf auf der Bühne nicht weinen.«
Jenny Lind führte mich zu Madame Birch-Pfeifer. »Sie hat mich deutsch gelehrt!« sagte sie; »sie in mir eine gute Mutter gewesen! Sie müssen sie kennen lernen!« Und in der That, ich freute mich darauf.
Auf der Straße setzten wir uns in eine Droschke. Die weltberühmte Jenny Lind in einer Droschke! werden gewiß Einige sagen, wie man es in Kopenhagen gesagt hat, als man sie einst auf solche Weise mit einer älteren Freundin fahren sah. – »Es ist unpassend für Jenny Lind in einer Droschke zu fahren, das Eine muß dem Andern entsprechen!« Wie sonderbar verschieden doch oft die Begriffe über das Passende sind. – Solche Kleinigkeiten des Alltagslebens machen niemals der wahren Größe ein Bedenken. – Thorwaldsen sagte einst auf Nysöe, als ich von dort nach der Stadt mit dem Wochenwagen fahren wollte, zu mir: »Ich fahre mit Ihnen!« Und da hieß es: »Das paßt sich nicht, daß Sie, Thorwaldsen, mit dem Wochenwagen fahren!« – »Aber Andersen fährt ja mit demselben!« erwiderte er in seiner Unschuld. – »Das ist etwas Anderes!« mußte ich hinzufügen. Thorwaldsen in einem Wochenwagen zu sehen, würde Aergerniß erwecken, wie einst Jenny Lind's Fahrt in einer Droschke.
Doch jetzt in Berlin fuhr sie in einer solchen, die wir an einer Straßenecke nahmen, und wir kamen zu Frau Birch-Pfeifer. Mir war die Tüchtigkeit der Künstlerin als Schauspielerin bekannt, ich kannte auch ihr fast Scribe'sches Talent Der berühmte französische Theaterdichter Augustin Eugen Scribe ist geboren in Paris am 24. December 1791, gestorben am 20. Februar 1861. Seine Lustspiele gehören noch zu den Repertoirestücken der größeren Theater Europas. Schrieb auch viele Operntexte, als »Hugenotten«, »Robert« u. s. w. Der Uebers., in dramatischer Form wiederzugeben, was aus dem Boden des Romans emporgewachsen war, ebenso war mir die Härte bekannt, mit der die Kritik gegen diese hochbegabte Frau verfahren war. Es kam mir auch im ersten Augenblick vor, als ob dies – und ganz natürlich – ein kleines Lächeln des Unmuths, das ich in ihrem Gruß zu gewahren glaubte, verrieth. – »Ich habe Ihre Bücher noch nicht gelesen«, sagte sie; »aber ich weiß, die Kritik ist Ihnen sehr günstig gesonnen! Dessen habe ich mich nicht zu erfreuen!«
»Er ist mir ein lieber Bruder! sagte Jenny Lind und legte meine Hand in die ihrige, und von dem Augenblick an bot Frau Birch-Pfeifer mir ein herzliches und ehrliches Willkommen. Sie war voller Leben und Laune, und als ich das nächste Mal zu ihr kam, war sie im Lesen des » Improvisator« begriffen, und ich fühlte, daß ich eine Freundin mehr besaß.
Während meines Aufenthalts in Berlin wurde mir das Glück zu Theil, mehrmals von der Prinzessin von Preußen Die damalige Prinzessin von Preußen, die jetzige Kaiserin von Deutschland und Königin von Preußen, Marie Louise Augusta Catharine ist den 30. September 1811 geboren und am 11. Juni 1829 vermält mit dem damaligen Prinzen Friedrich Wilhelm Ludwig von Preußen, geboren den 22. März 1797. Er bestieg als König Wilhelm I. am 2. Januar 1861 den Thron und wurde am 18. December 1870 zu Versailles zum deutschen Kaiser ausgerufen. Der Uebers., Schwester des jetzt regierenden Großherzogs von Weimar empfangen zu werden. Sie wohnte so heimisch und doch wie in einem Feenpalast. Der blühende Wintergarten, wo die Quelle zwischen dem Moos vor den Füßen der Statue plätscherte, führte zu dem Zimmer, wo die freundlichen Kinder und die geistvolle und herzliche Fürstin mich oft empfing. Eines Vormittags las ich bei ihr ein paar meiner Märchen vor, ihr königlicher Gemal, Prinz Wilhelm, hörte zu, auch »Semilasso's« Verfasser, Fürst Pückler-Muskau Hermann Ludwig Heinrich Graf von Pückler-Muskau, geboren den 30. October 1785 zu Muskau in der Lausitz, gestorben auf seinem Gute Branitz (bei Cottbus) den 4. Februar 1871, studirte die Rechte, trat 1813 in Rußland als Offizier ein, machte den Feldzug mit, machte dann große Reisen und schuf den jetzt noch berühmten Park zu Muskau. Er wurde – nachdem er sich 1817 mit einer Tochter des Fürsten Hardenberg vermält hatte, – von der er sich 1826 trennte – 1822 in den Fürstenstand erhoben. 1828 unternahm er wieder große Reisen und, gezwungen durch seine derangirten Verhältnisse, verkaufte er seine herrliche Besitzung Muskau an den Prinzen Friedrich der Niederlande. Als Schriftsteller machte er seiner Zeit großes Aufsehen in der vornehmen Welt. Seine von Andersen angezogene Dichtung »Semilasso« erschien 1835 und 1836. Der Uebers., war anwesend.
Ein schönes in Sammet gebundenes Album, auf dessen erstem Blatt das Bild des Palaisflügels, wo ich gewesen war, sich befand und mit dem eigenhändig geschriebenen Namen der Prinzessin versehen, schenkte sie mir zur Erinnerung beim Abschiede. Es ist nicht blos das Gegebene, was eine Bedeutung erlangt, sondern die Art und Weise, wie es gegeben wird, ist es, die der Gabe den Werth verleiht.
Gleich bei meiner Ankunft in Berlin genoß ich die Ehre, zur königlichen Tafel angesagt zu werden. Man gab mir den Platz neben Humboldt, den ich am besten kannte, und nicht blos durch seine geistige Bedeutung und sein liebenswürdiges gerades Wesen, sondern durch sein unendliches Wolwollen gegen mich wurde er mir so theuer. Der König Friedrich Wilhelm IV., der Bruder des Kaisers Wilhelm, siehe Seite 330 d. B. Der Uebers. empfing mich höchst gnädig, sagte mir, daß er während seines Aufenthalts in Kopenhagen nach mir gefragt und gehört habe, daß ich verreist gewesen sei; er äußerte sein großes Interesse für meinen Roman » Nur ein Geiger« und fügte hinzu, daß er, nachdem er dieses Buch gelesen, stets an den armen Christian denken müsse, sobald er einen Storch gewahre; die Episode mit dem Tode des Storches habe ihn tief gerührt; ebenso sprach sich die Königin mit derselben Milde und Gnade aus.
Später hatte ich das Glück, eines Abends nach dem Schlosse in Potsdam eingeladen zu werden, ein Abend, der für mich so inhaltreich und unvergeßlich war. Hier waren mit Ausnahme der zwei dienstthuenden Hofdamen und Kammerherren nur der König, die Königin, Humboldt und ich anwesend; an demselben kleinen Tisch, wo sie saßen, erhielt auch ich meinen Platz – gerade denselben, bemerkte die Königin, wo Oehlenschläger gesessen und seine Tragödie » Dina« vorgelesen hatte. Ich las vier Märchen vor: » Der Tannenbaum«, » Das häßliche junge Entelein«, » Das Liebespaar« und » Der Schweinehirt« Siehe Band III Seite 466. 494. 130 und Band II Seite 218. Der Uebers.. Der König war sehr lebhaft, sehr theilnehmend und sprach sich geistvoll aus, erzählte auch, wie schön er die dänische Waldnatur gefunden habe, und wie vortrefflich die Aufführung von Holberg's » Politischer Kannegießer« in Kopenhagen gewesen sei. Es war in diesem Kreise so gemütlich, milde Augen blickten auf mich, und ich fühlte, daß man gut, ja viel zu gut gegen mich sei.
Als ich in der Nacht mich wieder in meiner Stube befand, waren meine Gedanken von diesem Abend so erfüllt, mein Gemüt so bewegt, daß ich nicht zu schlafen vermochte: Alles erschien mir so märchenhaft. Die ganze Nacht hindurch erklang das Glockenspiel des Thurmes, die lebhafte Musik schloß sich an meine Gedanken. Im Glück wird man gut und fromm.
Noch einen Beweis von der Gnade und Güte des Königs von Preußen gegen mich erhielt ich am Abend vor meiner Abreise. Ich erhielt das Ritterkreuz des rothen Adlerordens dritter Klasse. Solch' ein Ehrenzeichen erfreut einen Jeden, der es erhält. Ich gestehe ehrlich, daß ich mich in hohem Grade glücklich darüber fühlte; ich sah darin ein sichtbares Zeichen der Güte des edlen, erleuchteten Herrschers für mich; mein Herz war von Dankbarkeit erfüllt. Es war der erste Orden, den man mir ertheilte, und ich erhielt denselben gerade an dem Geburtstage meines Wohlthäters Collin, am 6. Juni. Dieser Tag hat nunmehr eine doppelte festliche Bedeutung für mich.
In einem herzlichen Kreise meist von jungen Freunden und Freundinnen verbrachte ich den letzten Abend; ein Hoch auf mich wurde ausgebracht, das Gedicht: » Der Märchenkönig« declamirt. Spät in der Nacht kam ich heim, um in der frühen Morgenstunde auf der Eisenbahn zu sein.
In Weimar sollte ich wieder mit Jenny Lind zusammentreffen.
In der kleinen Ausgabe » Das Märchen meines Lebens«, welche auf dieser Reise geschrieben und geschlossen wurde, wo also die Eindrücke noch frisch waren, meine Gefühle noch stark vibrirten, sagte ich bei der Abreise von Berlin, was ich hier wiederholen will: »Ich habe hier einen Theil der unzähligen Beweise von Gnade und Güte gegen mich in Berlin erzählt und fühle mich gleich Demjenigen, der von einer großen Versammlung zu einem bestimmten Zwecke reiche Summen empfängt, es ist daher eine Nothwendigkeit, Rechenschaft über das Empfangene abzulegen, aufzuzeichnen, was man erhalten hat. Gott verleihe mir Kraft, dies zu können, jetzt, wo ich die Summe der Ermunterung in so reichem Maße erhalten habe.«
Nach einer vierundzwanzigstündigen Reise befand ich mich bereits in Weimar bei dem edlen Erbgroßherzog. Die unendliche Gnade, welche ich während meines Aufenthalts täglich von dem Großherzoglich Weimarschen Hause empfangen habe, auszusprechen, fehlt es mir an Worten, aber mein ganzes Herz ist von Hingebung für dasselbe erfüllt. Bei den Hoffesten, in dem behaglichen Familienleben lernte ich den edlen Sinn gegen mich schätzen: es war so zu sagen ein Monate langes Sonntagsfest! Beaulieu sorgte für mich wie ein Bruder. Unvergeßlich werden mir die stillen Abende bei ihm sein, wo der Freund sich dem Freunde gegenüber aussprach. Der kluge, tüchtige Schöll Adolf Schöll, geboren 1805 in Brünn, studirte Philologie, wurde Rektor der Kunstmythologie an der Academie in Berlin, machte große Reisen in Griechenland und Italien, wurde 1842 Professor in Halle und 1843 Director der Kunstanstalten in Weimar. Der Uebers., wie auch Schober schlossen sich uns an. Die geistesfrische, würdige, alte Frau von Schwindler, eine treue Freundin von Jean Paul Der geistvolle und humoristische Dichter Johann Paul Friedrich Richter, gewöhnlich Jean Paul genannt, geboren den 21. März 1763 in Wunsiedel, gestorben den 14. November 1825 in Baireuth, ist der Sohn eines armen Landgeistlichen. Er besuchte das Gymnasium zu Hof und studirte 1780-1785 in Leipzig. Hernach unterrichtete er Kinder, kam 1797 wieder nach Leipzig und lebte dann, nachdem er sich bereits einen Namen gemacht hatte, abwechselnd in Weimar, Gotha, Hildburghausen und Berlin, wo er sich verheiratete, war dann 1801 in Meiningen, 1803 in Koburg, dann in Baireuth. Er bezog eine Pension vom König von Baiern und starb fast erblindet. Der Uebers. aus seiner Jugendzeit begegnete mir mit Theilnahme, mütterlicher Herzlichkeit und den lieben Worten: daß ich sie an den großen Dichter erinnere! Sie erzählte mir so viel von ihm, was mir fremd und neu war. Jean Paul, oder wie er eigentlich hieß, Friedrich Richter war in seinen Jugendjahren so arm gewesen, daß er, um Papier zum Schreiben seiner Werke zu erlangen, Geld durch Abschreiben von Exemplaren der »Dorfzeitung« für die Bauern in dem Dorfe, wo er wohnte, verdienen mußte. Es war der Dichter Gleim Der Dichter Johann Wilhelm Ludwig Gleim, geboren in Ermsleben den 2. April 1719, gestorben in Halberstadt den 18. Februar 1803, studirte in Halle Jura, wurde 1747 Sekretair des Markgrafen von Schwedt, später des Fürsten Leopold von Dessau und dann des Domkapitels in Halberstadt. Er unterstützte jugendliche Talente gern. Der Uebers., sagte sie, der zuerst auf ihn aufmerksam wurde und an sie über diesen jungen, begabten Mann schrieb, den er zu sich eingeladen und ihm 500 Thaler, deren er sehr bedürftig war, gesandt hatte. – Frau von Schwindler hatte hier während der Tage seines Glanzes gelebt, am hiesigen Hofe war sie damals mit Wieland, Herder und Musäus zusammengetroffen; von diesen, so wie von Goethe und Schiller, von deren gemeinsamem Leben hier wußte sie einen wahren Schatz zu berichten.
Einen von Jean Paul's Briefen an sie schenkte sie mir und fügte hinzu: –
»Nach der Richtung, welche die Tagesliteratur jetzt meistens in Deutschland genommen hat, erwartete ich kaum auf meinem Lebenswege noch einer so schönen Geistesverwandtschaft zu begegnen, als die ist, welche Herr Andersen unbestritten mit Jean Paul hat.« – –
Jenny Lind kam nach Weimar. Ich hörte sie in Hofconcerten und im Theater, besuchte mit ihr die Orte, die durch Schiller und Goethe geheiligt worden sind; wir standen an ihren Särgen, wohin der Kanzler Müller uns geführt hatte. Der österreichische Dichter Rollet Hermann Rollet, geboren den 20. August 1819 in Baden bei Wien, hielt sich zu jener Zeit (1845-1847) in Jena auf, wurde aber 1848 von Leipzig, Weimar und anderen Orten ausgewiesen und ging dann nach der Schweiz. Seit 1854 in Wien. Der Uebers., der uns hier zum ersten Mal begegnete, schrieb später ein hübsches Gedicht darüber, es wurde mir eine sichtbare Erinnerung an diese Stunde und an diesen Ort. Man legt ja liebe und schöne Blumen in seine Bücher und als eine solche lege auch ich hier sein Gedicht ein.
Weimar am 29. Juni 1849.
Märchenrose, die Du oftmals
mich entzückt mit süßem Duft,
Sah Dich ranken um die Särge
in der Dichterfürsten Gruft!
Und mit Dir an jedem Sarge
in der todtenstillen Hall',
Sah ich eine schmerzentzückte,
träumerische Nachtigall.
Und ich freute mich im Stillen,
war in tiefster Brust entzückt,
Daß die dunklen Dichtersärge
spät noch solcher Zauber schmückt.
Und das Duften Deiner Rose
wogte durch die Todtenball',
Mit der Wehmuth, der in Trauer
stumm gewordenen Nachtigall.
*
In einem Abendkreise bei dem geistvollen Froriep Ludwig Friedrich von Froriep, geboren 1779 in Erfurt, war 1802 Docent der Medicin in Jena, 1803 Professor, 1804 in Halle, 1807 in Berlin, 1808 in Tübingen und Leibarzt des Königs von Württemberg, ging 1816 nach Weimar als Obermedicinalrath und war seit 1822 der Leiter des Landesindustriecomtoirs, das sein Sohn Robert (geboren 1804 in Jena) übernahm. Er starb den 28. Juli 1847 in Weimar. Der Uebers. begegnete ich zum ersten Mal Berthold Auerbach Der Dichter Berthold Auerbach, geboren den 28. Febr. 1812 in Nordstetten im Schwarzwald von jüdischen Eltern, studirte jüdische Theologie, Philosophie und Geschichte und widmete sich dann ganz der Literatur. Er lebte in Dresden, Berlin, am Rhein u. s. w. und endlich wieder in Berlin. Er hat sich namentlich durch seine »Schwarzwälder Dorfgeschichten« einen hohen Ruf als Erzähler verschafft. Seine Werke, meist Novellen und Romane, umfassen viele Bände, die sich fast im Hause jedes Gebildeten befinden. Der Uebers., dem Verfasser der » Schwarzwälder Dorfgeschichten«; er hielt sich gerade zu der Zeit in Weimar auf. Seine »Dorfgeschichten« hatten mich in hohem Grade erfüllt; ich betrachtete dieselben als das Meistpoetische, Amusanteste und Erfreulichste, was die deutsche Literatur hervorgebracht hat. Seine Persönlichkeit machte denselben günstigen Eindruck auf mich; es war etwas Offenes, Kluges und Gerades in Auerbach's ganzem Auftreten, er sah aus, fast möchte ich sagen, selbst wie eine »Dorfgeschichte«, kerngesund an Leib und Seele, die Ehrlichkeit leuchtete aus seinen Augen. Wir wurden bald Freunde; er war offen und zutraulich, schlug mir vor, daß wir »Du« zu einander sagen sollten, und fügte lächelnd hinzu: »Aber Sie wissen doch, daß ich Jude bin!« – Ich lachte; als ob das, zum ältesten Volke, zu einem der interessantesten Völker zu gehören, irgend eine Veränderung in meiner Ansicht hervorrufen könnte!
Mein Aufenthalt in Weimar zog sich stets länger hinaus; es wurde mir fast schwierig, mich loszureißen. Nach dem Geburtstag des Großherzogs, nachdem ich allen Festlichkeiten, wozu ich eingeladen worden war, beigewohnt hatte, reiste ich; denn ich mußte und wollte vor Ostern in Rom sein. Noch einmal in der frühen Morgenstunde sah ich den Erbgroßherzog und mit bewegtem Herzen sagte ich ihm Lebewol. Niemals habe ich vor der Welt die erhabene Stellung, die ihm die Geburt verliehen hat, vergessen; aber sagen darf ich es heute, wie ja der Aermste von den Fürsten sagen darf: »Ich habe ihn lieb als Denjenigen, der meinem Herzen am theuersten ist. Gott erfreue und segne ihn in seinem edlen Streben! Ein edles Menschenherz klopft hier hinter dem fürstlichen Stern!«
Beaulieu folgte mir nach Jena, und hier harrte mein ein gastlich Haus, das von Goethe's Zeit her theure Erinnerungen birgt. Ich blieb einige Tage hier bei dem Buchhändler Frommann Friedrich Johannes Frommann, geb. 1797 in Züllichau, studirte 1815-1818 in Jena und Berlin, widmete sich dann dem Buchhandel und trat 1825 in das Verlagsgeschäft seines Vaters ein, das er nach dessen Tode 1837 übernahm. Der Uebers., dessen geniale, gemütvolle Schwester während meines Aufenthalts in Berlin mir viel Theilnahme gezeigt hatte. Auch den Erbgroßherzog sah ich noch einmal; er kam nach Jena. Wir trafen zum Abschied bei Schiller's Schwägerin, Frau von Wolzogen Caroline von Wolzogen, geborene von Lengefeld, geboren den 3. Februar 1763, vermälte sich 1796 mit dem herzoglich weimarischen Oberhofmeister Wilhelm v. W. (gestorben 1809). Sie machte sich als Schriftstellerin einen Namen und der von Andersen angeführte Roman erschien 1798. Sie starb in Jena am 14. Jan. 1847. Der Uebers., die geistvolle Verfasserin des Romans » Agnes von Lilien« zusammen.
Der Holsteiner, Professor Michelsen Andreas Ludwig Jacob Michelsen ist in Satrup im Herzogthum Schleswig den 31. Mai 1801 geboren. Er ging 1819 nach Kiel, um Jura zu studiren, dann nach Göttingen, Berlin und Heidelberg, machte dann größere Reisen und hielt sich lange in Kopenhagen auf. Wurde 1829 Professor in Kiel und stiftete hier die »vaterländische Gesellschaft«, wurde 1842 Professor in Jena. Der Uebers., versammelte in seinem Hause eine große Schar der Freunde meiner Muse zu einem festlichen Abend, und er brachte bei dieser Gelegenheit einen hübschen, herzlichen Toast auf mich aus, in welchem er über die Bedeutung der dänischen Literatur in diesem Augenblick sprach und das Gesunde und Natürliche, das sich in derselben zeigte, hervorhob.
Unter den Eingeladenen interessirte mich besonders der berühmte Theologe Professor Hase Carl August Hase, geboren den 25. August 1800 in Steinbach bei Penig, studirte (1819) in Leipzig, Erlangen und Tübingen Theologie, wurde 1822 Docent in Tübingen, 1829 Professor in Leipzig und 1830 in Jena. Der Uebers., der Verfasser des »Leben Jesu« und »der Kirchengeschichte.« Er hatte, indem er mich am Abend vorher ein paar meiner Märchen vorlesen hörte, große Zuneigung zu mir gefaßt. Was er in dem ersten Augenblick der Erregung seines Herzens über meine Märchen dachte, bezeichnet ein an mich geschriebenes Erinnerungsblatt:
»Was Schelling Siehe Seite 159 d. B. Der Uebers., nicht der jetzt in Berlin wohnt, sondern der, ein unsterblicher Heros, lebt im Reich des Geistes, einst sagte: ›Die Natur ist der sichtbare Geist‹,« der Geist, die unsichtbare Natur ist mir gestern Abend wieder recht anschaulich geworden über Ihre Märchen. Wie die aus der einen Seite so tief hineinlauschen in die Heimlichkeit der Natur, die Sprache der Vögel verstehen und wissen, wie's einem Tannenbaum oder einem Gänseblümchen zu Muth ist, so daß Alles um seiner selbst willen da zu sein scheint, und wir sammt unsern Kindern in Freude und Sorge daran theilnehmen, so ist auf der andern Seite doch Alles nur des Geistes Bild, und das Menschenherz in seiner Unendlichkeit zittert und schlägt durch Alles hindurch. Mag dieser Quell aus dem Dichterherzen, das Gott Ihnen verliehen hat, noch eine Weile so fortsprudeln, und diese Märchen werden in der Erinnerung der germanischen Völker zu Volkssagen werden!«
Was ich als Märchendichter zu erstreben hatte, liegt in diesen letzten Zeilen!
Dem Professor Hase und dem genialen Improvisator, Professor Wolff Oscar Ludwig Bernhard Wolff, geboren den 26. Juli 1799 in Altona, starb in Jena den 16. September 1851. Er schrieb viele Novellen. Der Uebers. in Jena, habe ich es zum Theil zu verdanken, daß eine deutsche Ausgabe meiner Schriften mir eine Einnahme eintrug. Sie waren erstaunt, als sie hörten, daß ich von den vielen Uebersetzungen, die sich bereits in Deutschland versanden, noch nicht das geringste Honorar erhalten hatte; ich war froh gewesen, daß meine Bücher Uebersetzer und Leser erlangten, und fühlte mich den Verlegern verbunden, wenn sie mir ein paar Exemplare sandten. Hase und Wolff meinten, daß ich mir den Platz, den meine Bücher in Deutschland einnahmen, etwas nutzbringend machen müßte, und sie wirkten in dieser Richtung für mich.
Bei meiner Ankunft in Leipzig erhielt ich in Folge dessen ein Anerbieten von Berlin, und in Leipzig selbst schlugen Brockhaus, wie auch Härtel und dann mein Landsmann, Buchhändler Lorck, mir vor, meine Verleger sein zu wollen und ein für alle Mal für die bereits erschienenen Schriften ein paar hundert Thaler Honorar zu zahlen. Ich entschloß mich, meinen Landsmann zu wählen, und wir haben Beide Nutzen und Freude von diesem Unternehmen gehabt. Während meines Aufenthalts in Leipzig wurde diese Sache in Ordnung gebracht, das Reiseleben wurde durch ein paar Geschäftsstunden unterbrochen, und die Stadt der Buchhändler brachte mir ihr Bouquet, ein Honorar, doch sie brachte mir auch mehr.
Ich traf wieder mit der Familie Brockhaus zusammen und verbrachte glückliche Stunden bei dem herrlichen, genialen Mendelssohn; ich hörte ihn wieder und wieder spielen, sein seelenvolles Auge blickte mir in die Seele, so schien es mir. Wenige Menschen trugen auf solche Weise das Gepräge der inneren Flamme, wie gerade Mendelssohn. Eine sanfte, freundliche Gattin und herrliche Kinder machten sein reiches, wol eingerichtetes Haus segensreich, so, daß man gern in demselben weilte. Es amüsirte ihn, mit mir über den Storch und dessen häufiges Auftreten in meinen Schriften zu scherzen; in » Nur ein Geiger« hatte er denselben liebgewinnen, freute sich über denselben in den Märchen und deshalb pflegte er oft bei Tische, im Scherz mit dem Kopfe nickend, zu sagen: »Erzählen Sie uns jetzt ein Märchen von: Storch!« oder: »Schreiben Sie mir einen Gesang über den Storch!« Es leuchtete dann eine Schelmerei aus seinen klugen, genialen Augen, etwas kindlich Uebermüthiges!
Nach Beendigung meiner Reise begegneten wir uns wieder und dann niemals mehr auf Erden. Auch seine Gattin ist ihm gefolgt; die schönen Kinder, wahre Modelle zu den Raphael'schen Knaben bei der Dresdener Madonna, haben sich über die Welt zerstreut.
Auerbach, den ich hier wieder traf, führte mich in mehrere angenehme Kreise ein. Ich traf mit dem Componisten Kalliwoda Josef Wenzel Kalliwoda, seiner Zeit als Violinvirtuos berühmt, ist den 21. Februar 1800 in Prag geboren. Er war von 1822-1854 Kapellmeister in Donaueschingen und starb in Carlsruhe den 3. December 1863. Der Uebers., mit meinem tüchtigen Landsmann Gade Siehe Seite 119 d. B. Der Uebers., Mendelssohn's Günstling, der überall in Leipzig gleich einem Kinde im Hause war, zusammen.
Gleich bei meiner Ankunft in Dresden eilte ich zu der liebenswürdigen alten Baronesse Decken, welche bereits mit mütterlichem Sinn Theil an meinem Glück nahm; es war ein jubelnder, herzlicher Empfang.
Einen nicht weniger innigen fand ich bei dem Maler Dahl Siehe Seite 323 d. B. Der Uebers., und endlich sah ich meinen Freund aus Rom, den Dichter in Wort und Farbe, Reinick Der Maler und Dichter Robert Reinick, geboren den 22. Februar 1805 in Danzig, lebte von 1838-1841 in Rom, dann seit 1844 in Dresden und starb dort den 7. Februar 1852. Er schrieb viele Gedichte für die Jugend. B. Auerbach hat seine Biographie geschrieben (1863). Der Uebers. wieder, der nun ebenfalls schon im Grabe ruht. » Das Schwanenlied« war sein letzter Gesang.
Ich traf auch den genialen Bendemann Eduard Bendemann, ein hervorragender Maler der Düsseldorfer Schule, ist am 3. December 1811 in Berlin geboren, ein Schüler Schadow's. Er wurde 1838 Professor der Kunstacademie in Dresden und 1860 als Direktor nach Düsseldorf berufen. Das von Andersen angegebene Bild vollendete er 1842 und von diesem existirt von Buscheweyh ein Stahlstich. Der Uebers., dessen Bild » Trauernde Juden« eine wahre Dichtung in Farben ist; die Worte des Psalmisten: »An den Füßen Babylons wir trauernd saßen«, sind hier lebhaft vor die Augen geführt, allen Zeiten würdig.
Der Maler Grahl malte mein Portrait, eins der am schönsten aufgefaßten, das später in Stahlstich ausgeführt worden ist.
Unter den älteren Freunden vermißte ich einen, das Grab barg ihn bereits: es war der Dichter Brunnow Ernst Georg von Brunnow, der Bruder des berühmten russischen Diplomaten, ist der Sohn eines aus Kurland stammenden Offiziers, wurde in Dresden 1796 geboren, studirte 1815-1819 in Leipzig Jurisprudenz, trat 1820 in sächsischen Staatsdienst, schied 1822 aber wieder aus, um sich der Medicin zu widmen, für die er durch seinen Freund Hahnemann Interesse gewonnen hatte. Er wirkte viel für diese Wissenschaft durch Herausgabe von Schriften. Er lebte in Dresden und starb dort im Sommer 1845. »Der Troubadour« erschien 1839. Der Uebers., der Verfasser des » Troubadour.« Mit Freude und Innigkeit hatte er mich bei meiner letzten Anwesenheit in Dresden empfangen, in dem Zimmer, wo die schönen Blumen standen; jetzt hatte man sie auf sein Grab gepflanzt.
Es erweckt ein eigenthümliches Gefühl, auf solche Weise auf der Lebensreise Jemandem ein einziges Mal zu begegnen, sich gegenseitig verstehen zu lernen, einander lieb zu gewinnen und dann für ewig getrennt zu sein – bis die Reise für Beide beendigt ist.
Einen für mich höchst interessanten Abend verbrachte ich in der königlichen Familie, welche mich mit außerordentlicher Gnade empfing. Auch hier schien das glücklichste Familienleben zu herrschen; eine Schar liebenswürdiger Kinder, alle dem Prinzen Johann Der Prinz Johann Nepomuk Maria Joseph, der spätere König Johann von Sachsen ist geboren den 12. December 1801, bestieg nach dem Tode seines Bruders Friedrich August den 9. Aug. 1854 den Thron und starb den 29. October 1873. Er war vermählt mit einer Schwester der Königin Elisabeth von Preußen. Die hier erwähnten Kinder sind: 1) König Albert geboren den 23. April 1828, vermählt mit der Prinzessin Carola von Wasa (Holstein-Gottorp), dessen letzter Sproß sie ist (geboren den 5. August 1833). 2) Prinz Georg (muthmaßlicher Thronerbe, geboren den 8. August 1832, vermählt mit der Prinzessin Maria Anna von Portugal (geboren den 21. Juli 1843) und 3) Elisabeth, geboren den 4. Februar 1830, vermählt mit dem Herzog von Genua (gestorben 1855), daher die Mutter der jetzigen Königin von Italien, Margaritta. Der Uebers. gehörend, war anwesend. Die kleinste der Prinzessinnen, welche wußte, daß ich die Geschichte von dem »Tannenbaum« Siehe Band III Seite 468. Der Uebers. erzählt hatte, begann sich zutraulich an mich zu wenden: »Wir haben auch einen Tannenbaum am letzten Weihnachten gehabt«, sagte sie, »und derselbe stand hier im Zimmer!« – Als sie früher als die anderen Kinder das Bett aufsuchen sollte und fortgeführt wurde und den Eltern, sowie dem Könige und der Königin gute Nacht gewünscht hatte, wendete sie sich noch einmal in der halb geschlossenen Thür um, wo ich sie noch erblicken konnte, nickte mir dann freundlich bekannt zu, küßte die Fingerspitzen und sandte mir den letzten Gruß zu – ich war ihr »Märchenprinz!«
Ich las einige meiner Märchen vor; eins derselben » Holger Danske« Siehe Band III Seite 306. Der Uebers. führte die Conversation auf den reichen Schatz von Sagen, den der Norden besitzt. Ich erzählte ein paar derselben, hob das Eigenthümliche der dänischen Naturschönheit hervor, wie die Buchenwälder fast während einer Nacht ausspringen und dann plötzlich in ihrer frischen Schönheit dastehen; die duftenden Kleefelder mit Hünengräbern und Bautasteinen Denksteine Begrabener im Norden aus dem Alterthum, die keine Runen enthalten. Der Uebers. an dem offenen Meer. – Auch hier im königlichen Schlosse fühlte ich nicht den Druck des Ceremoniels, milde, freundliche Augen ruhten auf mir.
Meinen letzten Mittag in Dresden verbrachte ich beim Minister von Könneritz Julius Traugott Jacob von Könneritz, geboren 1792 in Merseburg, gestorben 1866, wurde 1814 Assessor, später Unterstaatssekretair, 1830 Kanzler und 1831 Justizminister, 1844 Chef des Ministeriums, gab 1846 das Justizministerium ab und trat 1848 in's Privatleben zurück. Das 1836/37 für Sachsen erlassene Criminalgesetzbuch ist sein Werk. Der Uebers., wo ich auf das Freundlichste empfangen wurde. Ein paar Stunden nachher saß ich im Postwagen, welcher, da die Eisenbahn von Dresden nach Prag noch nicht existirte, mich von dannen führen sollte. Freunde und Freundinnen hatten sich im Posthause eingefunden; Frau von Serre brachte mir herrliche Blumen. »Sie scheinen eine große Familie hier zu haben!« sagte der Konducteur, als wir davonrollten. Meine Gedanken sammelten zu einer Summe all' die Vielen, die mir den Aufenthalt hier so reich und glücklich gemacht hatten. Die Sonne schien warm. Es war Lenz draußen, um mich und Lenz drinnen in meinem Herzen!
In Prag hatte ich keine Bekannte. Ein Brief von Doctor Carus Carl Gustav Carus, geboren den 3. Januar 1789 in Leipzig, gestorben den 28. Juli 1869 in Dresden, war Leibarzt des Königs. Der Uebers. in Dresden öffnete mir das gastfreie Haus des Grafen Thun Ein altes weitverzweigtes Adelsgeschlecht, das ursprünglich aus der Schweiz stammt, meist aber in Böhmen ansässig ist. Der Uebers.. Der Erbgroßherzog von Weimar hatte mir einen Brief an den Erzherzog Stephan, in welchem ich einen geistvollen und herzlichen Herrn fand, mitgegeben. Ich besuchte den Hradschin Name der kaiserlichen Hofburg in Prag, wonach das ganze Stadtviertel benannt ist. Der Uebers. und Wallenstein's Der berühmte Feldherr aus dem 30jährigen Kriege Albrecht Wenzel Eusebius von Wallen- oder Waldstein, Herzog von Friedland, geboren in Böhmen den 15. September 1583. Wegen angeblichen Verraths vom Kaiser 1634 abgesetzt und in Eger am 25. Februar meuchelmörderisch von Dragonern getödtet. Der Uebers. Palais; aber diese Herrlichkeiten wurden alle von dem Judenquartier verdrängt. – Es war entsetzlich: hier wimmelte es von Weibern, alten Männern und Kindern, lachend, schreiend, handelnd; und bei jedem Schritt weiter wurde die Straße enger. Die uralte Synagoge in Form des Tempels zu Jerusalem liegt dort zwischen Häusern eingeklemmt, und die Zeit hat eine Erdschicht um deren Mauern aufgebaut. Ich mußte einige Stufen hinabsteigen, um dort einzutreten, und hier waren die Decke, die Fenster und die Wände schwarz von Rauch; ein Gestank von Zwiebeln und üblen Dünsten drang auf mich bei meinem Eintritt ein, so daß ich wieder hinauseilen mußte. Auf einem offenen Platz befand sich der Friedhof, der sich hier auf Geschlechtern von Verstorbenen erhebt. Stein an Stein mit hebräischen Inschriften liegen und stehen chaotisch unter einem Wald von Fliederbäumen so pygmäisch niedrig, so kränklich, fast saftlos; Spinngewebe hing gleichsam als Fetzen des Trauerflors zwischen den verfallenen, schwarzen Gräbern.
Die Abreise von Prag fand gerade zu einer interessanten Zeit statt. Militair, das während einer Reihe von Jahren hier in Garnison gelegen hatte, reiste mit der Eisenbahn fort, um nach Polen zu kommen, wo Unruhen ausgebrochen waren. Die ganze Stadt war in Bewegung, um sich von ihren militairischen Freunden zu verabschieden. Wir fuhren die ganze Nacht durch das große Böhmenland. Auf allen Stationen hatten sich große Scharen von Menschen versammelt; es war, als ob die Volksmenge der ganzen Umgebung sich hier eingefunden hätte. Die braunen Gesichter, die zerlumpten Kleider bei Vielen, die Fackelbeleuchtung und die für mich unverständliche böhmische Sprache verliehen dem Ganzen ein eigenthümliches Gepräge – und vorwärts flogen wir durch Tunnel und Viaducte. Die Fenster rasselten, die Signalpfeifen ertönten, das Dampfroß pustete – ich lehnte mein Haupt gegen die Polster des Wagens und schlief unter dem Schutz des gütigen Gottes.
Bei Olmütz, wo wir umsteigen mußten, nannte Jemand meinen Namen: es war Walther von Goethe. Wir waren während der ganzen Nacht miteinander gereist, ohne es zu wissen. In Wien begegneten wir uns öfter. Edle Kraft, wahres Genie, leben in Goethe's Enkel, dem Componisten und dem Dichter; aber es war, als ob die Größe ihres Großvaters sie drückte.
Liszt Siehe Seite 247 d. B. Der Uebers. befand sich in Wien; er lud mich zu seinem Concert ein, zu dem ein Billet zu erlangen sehr schwierig war. Ich hörte wieder seine Phantasien über das Thema in » Robert der Teufel«, hörte ihn wieder gleich einem Sturmgeist mit den Saiten spielen. Er ist ein Tonjongleur, der die Phantasie in Erstaunen setzt. Auch Ernst Heinrich Wilhelm Ernst, Klaviervirtuose, ist geboren 1814 in Brünn, gestorben in England 1865. Er machte große Kunstreisen. Der Uebers. war hier; sein Concert war erst auf einen Tag nach meiner Abreise angesetzt; ich hatte ihn noch nicht gehört, und es war ungewiß, ob wir uns jemals begegnen würden. Als ich ihn besuchte, ergriff er die Violine, und dieselbe sang durch Thränen das Geheimniß eines Menschenherzens aus. Mehrere Jahre später, daheim in Dänemark, im ersten Jahre des Krieges mit Deutschland, wurden wir in Kopenhagen Freunde. Es war besonders » das Märchen meines Lebens« Die kleine, wenig Bogen enthaltende Ausgabe. D. Uebers., das ihn an sich zog und das Lesen des » Bilderbuch ohne Bilder«: »Ihre Bilder ohne Buch«, so sollten Sie eigentlich das Werk nennen, denn man vergißt dabei ganz, daß es ein Buch ist« – schrieb er eines Tages an mich.
Ich sah wiederum den herrlichen Grillparzer, war öfter mit dem gemächlichen Castelli Siehe Seite 166 und 167 d. B. Der Uebers. zusammen, der gerade während der Tage von König Christian VIII. zum Ritter des Danebrogordens ernannt worden war. Er war voller Freude darüber und bat mich, meinen Landsleuten zu sagen, daß ihm Jeder, der zu ihm kommen würde und ihm sagen werde, er sei ein Däne, auf das Herzlichste willkommen sei. Es ist bei Castelli etwas so Offenes, so Ehrliches, vermischt mit einem gutmüthigen Humor, daß man ihn absolut lieb gewinnen muß; er ist für mich das Bild eines echten Wieners, wie er leibt und lebt und in der besten Bedeutung des Wortes. Er hat sich durch seine Schriften ein Vermögen erworben und eine Villa gekauft. Ich erhielt von ihm zur Erinnerung sein wolgetroffenes Bild, und unter demselben schrieb er folgenden kleinen Vers, der ihn so ganz charakterisirt:
»Dies Bild soll Dir stets mit liebendem Sehnen
Von ferne zurufen des Freundes Gruß,
Denn Du, lieber Däne! bist Einer von Denen,
Die man immer achten und lieben muß!«
Castelli führte mich zu Seidl Der Dichter Johann Gabriel Seidl ist geboren den 21. Juni 1804 in Wien und gestorben den 18. Juli 1875. Unter seinen Gedichten ist eines zum Nationallied erhoben worden (Gott erhalte etc. 1854). Der Uebers. und Bauernfeld Eduard von Bauernfeld, geboren in Wien den 13. Januar 1802, hat sich als Lustspieldichter einen hohen Ruf erworben. Der Uebers.. Keiner dieser beiden Dichter ist in Dänemark bekannt, ungeachtet der Erste seiner Gedichte wegen, der Letztere wegen seiner guten Lustspiele es verdienen; von diesen Lustspielen verdienen besonders: » Bürgerlich und Romantisch«, » das Liebesprotokoll« u. s. w. auf die dänische Bühne gebracht zu werden. Folgende launenvolle Zeilen schrieb Bauernfeld in mein Album:
»Der Eine treibt's,
Der And're schreibt's,
So leben wir ein Jeder:
Der von der Gans, der von der Feder.«
Ich sah die meisten leuchtenden Sterne der österreichischen Literatur an mir vorübergleiten, wie man auf der Eisenbahn die Kirchthürme gewahrt; man kann sagen, man hat sie gesehen, und um bei dem Bilde mit den Sternen zu verbleiben, kann ich hinzufügen, daß ich in der Gesellschaft » Concordia« Diese Gesellschaft dient dem Zwecke der Vereinigung der in Wien ansässigen Schriftsteller und Journalisten und der Unterstützung kranker und arbeitsunfähiger Standesgenossen. Eine ähnliche Vereinigung existirt in Berlin: »Der Verein der Berliner Presse.« Der Uebers. die ganze Milchstraße sah. Hier befand sich eine Schar junger Kräfte, welche erst wachsen soll, aber es befanden sich auch Männer von Tüchtigkeit und Bedeutung darunter.
Bei Graf Szechenyi Ludwig Graf von Szechenyi, erblicher Burggraf von Egarwar, Majoratsherr zu Segesd und Nagy-Doroy u. s. w., ist geboren 1790 und gestorben 1855. Sein Vater, Graf Franz, der Obergespan in Croatien und Slavonien war, gründete aus eigenen Mitteln das Nationalmuseum in Ungarn. Sein Bruder, von dem hier die Rede ist, Graf Stephan, ist in Wien den 21. September 1792 geboren; er trat 1809 in österreichische Militärdienste und nahm an den Kriegen 1813-15 als Rittmeister Theil. Er machte dann große Reisen, nahm 1825 seinen Abschied und trat in den ungarischen Reichstag ein. Er unterstützte die Donauschifffahrt, den Seidenbau, die Industrie, und gründete 1830 die ungarische Akademie, 1832 das ungarische National-Theater, das Conservatorium der Musik und endlich die National-Casinos für seine Standesgenossen. 1846 wurde er zum Präsidenten der Wegebau-Commission ernannt und gab als solcher Veranlassung zur Regulirung der Theiß. 1847 trat er zu Kossuth in Opposition und nach der Revolution, an der er nicht theilnahm, trat er in das Batthyanische Ministerium als Handelsminister ein. Durch Kossuth's extravagante Ideen wurde er so erregt, daß er in eine Irren-Anstalt gebracht werden mußte; aus derselben entlassen, fand am 3. März 1860 unerwartet eine Haussuchung bei ihm statt, wodurch sein Zustand sich verschlimmerte, in Folge dessen er sich am 8. April 1860 erschoß. Er schrieb Bücher über »Pferdezucht«, »die Donauschifffahrt« u. s. w., die seine Tüchtigkeit, seinen patriotischen Sinn und seine rastlose Thätigkeit kennzeichnen. Der Uebers., der mich gastfrei einlud, traf ich seinen Bruder aus Pest, dessen große Wirksamkeit in Ungarn Alle kennen. Dieses kurze Zusammentreffen rechne ich zu dem Interessantesten meines damaligen Aufenthalts in Wien. In seiner ganzen Persönlichkeit offenbarte sich der Mann, seine Augen sagten, daß man Vertrauen zu ihm haben könne.
Als ich Dresden verließ, fragte mich die Königin von Sachsen, ob ich bereits durch Jemand dem Hofe in Wien empfohlen sei, und da ich dies verneinen mußte, war die Königin so gnädig, mir einen Brief an ihre Schwester, die Erzherzogin Sophie von Oesterreich Die Erzherzogin Sophie von Oesterreich, geboren am 27. Januar 1805, war die Tochter des Königs Max I. von Baiern und die Zwillingsschwester der Königin Maria von Sachsen, Gemalin des Königs Friedrich August. Sie wurde den 4. November 1824 mit Erzherzog Franz Carl vermählt. Da ihr Schwager, Kaiser Ferdinand, kinderlos war, hatte sie Anwartschaft an den Thron, dem jedoch ihr Gemal entsagte, nachdem der Kaiser am 2. December 1848 resignirt hatte. Demzufolge bestieg ihr ältester Sohn, Franz Joseph, geboren den 18. August 1830, den von den Wogen der Revolution umtosten Thron. Die Erzherzogin hatte lange Zeit hindurch großen Einfluß auf ihren Sohn, starb jedoch einflußlos. Der Uebers. mitzugeben. Ihre kaiserliche Hoheit ließ mich durch Graf Szechenyi eines Abends zu sich rufen und empfing mich auf das Herablassendste. Die Kaiserin-Mutter, Franz I. Wittwe Die Kaiserin Mutter, Carolina Augusta, Prinzessin von Baiern, ist geboren den 8. Februar 1792 und lebte seit 1835 als Wittwe in Wien; sie starb am 9. Februar 1873. Der Uebers., war zugegen und mild und freundlich gegen mich. Ich traf hier den Prinzen Wasa Der Prinz Gustaf von Wasa, der einzige Sohn des entthronten Königs Gustaf IV. Adolf von Schweden, wurde am 9. November 1799 in Stockholm geboren; er folgte 10 Jahre alt seinen Eltern in die Verbannung. Er wählte die militärische Laufbahn, trat zuerst in holländische, dann in österreichische Dienste, wo er es bis zum Feldmarschall brachte. 1830 vermählte er sich mit seiner Cousine, der Prinzessin Louise von Baden (1811-1851), aus welcher Ehe die Prinzessin Carola von Wasa, geboren den 5. August 1833, die jetzige Königin Caroline von Sachsen, entsprossen ist. Er führte ein ruhiges, nur den Studien gewidmetes Leben. Bei einem Besuch bei seiner Tochter im Schlosse zu Pirna starb er plötzlich am 5. August 1877. Er war der letzte männliche Sprosse des alten Wasageschlechts. Er ruht neben seiner Schwester, der Großherzogin von Oldenburg in der Schloßkapelle zu Oldenburg. Der Uebers. und seine Schwester, den Großherzog und die Großherzogin von Hessen-Darmstadt Der Großherzog Ludwig III. von Hessen-Darmstadt, geboren den 9. Juni 1806, vermählte sich 1833 mit der Prinzessin Mathilde von Baiern, die 1862 kinderlos starb. Er folgte seinem Vater am 16. Juni 1848; er starb 1877. Ihm succedirte sein Brudersohn Ludwig IV., geboren den 12. September 1837, vermählt am l. Juli 1862 mit Prinzessin Alice von England, einer Schwester der Deutschen Kronprinzessin. Der Uebers. und mehrere Prinzen. Einer von diesen Prinzen, der sich auf die freundlichste Weise mit mir unterhielt, war der älteste Sohn der Erzherzogin Sophie, der jetzt regierende Kaiser Franz Josef.
Der Hofmeister des Prinzen fragte mich nach seiner in Dänemark wohnenden Familie Brun siehe Seite 157 d. B. Der Uebers.; es war der Graf Bombello Bombello, oder nunmehr Bombelles, ist eine aus Portugal stammende, in Oesterreich und Frankreich ansässige Familie. Der Gatte der Ida Brun hieß Louis Philipp; er war geboren in Regensburg 1780 und in Neapel erzogen. Er trat in österreichische Dienste und war 1813 Gesandter in Berlin, 1814 in Kopenhagen, wo er seine Gattin kennen lernte. Er nahm 1819 Theil an dem Carlsbader Congreß, wurde dann an verschiedene italienische Höfe versetzt und starb 1843 in Wien. – Sein jüngerer Bruder, Graf Carl, geboren 1735, war Oberhofmeister der verstorbenen Herzogin von Parma und dann in derselben Eigenschaft beim Kaiser Ferdinand; er starb 1856; – der zweite Bruder Graf Heinrich, geboren 1789, war Geheimrath und Erzieher der Söhne des Erzherzogs Franz Carl. Er starb 1850 in Krain. Der Uebers., mit dem ich sprach; sein Bruder, dessen Baggesen Siehe Band III. Seite 130. Der Uebers. und Oehlenschläger mehrfach in ihren Schriften erwähnen, war mit Ida Brun vermählt. Nachdem Thee gereicht worden war, las ich einige Märchen vor: » das Liebespaar«, » das häßliche junge Entelein« und » die rothen Schuhe Siehe Band III. Seite 130, 407 und 494. Der Uebers.. Als ich diese Märchen schrieb, träumte ich am wenigsten davon, daß ich sie hier einst vorlesen werde. Von des Kaisers Schloß bis zur Hütte des Bauern – kann ich wol mit Stolz sagen – wurden meine Märchen bekannt.
Eine geschmackvolle Brustnadel, die ich vor meiner Abreise von der Erzherzogin Sophie erhielt, wird meine Erinnerung an diesen Abend in der kaiserlichen Burg immer interessant und theuer machen.
Bevor ich Wien verließ, hatte ich einen Besuch bei der geistvollen Frau von Weißenthurn Johanna Franul von Weißenthurn, eine Tochter des Schauspielers Grünberg, wurde 1773 in Koblenz geboren. Sie widmete sich früh, auf Anrathen ihres Stiefvaters Teichmann, der theatralischen Laufbahn und wurde 1787 zuerst in München engagirt, sie kam mit ihrem Stiefbruder nach Wien, wo sie 1790 an der Hofburg angestellt wurde. 1791 heirathete sie den Herrn v. Weißenthurn, der Kassirer im Handelshause Arnstein war, verblieb aber beim Theater, von dem sie sich erst 1842 zurückzog, nachdem sie bereits 1817 Wittwe geworden war. Sie starb den 18. Mai 1847 in Hietzing bei Wien. Sie schrieb 14 Bände Schauspiele, von denen sich noch einige auf dem Repertoire erhalten haben. Der Uebers. abzustatten; sie hatte erst vor kurzer Zeit das Krankenlager verlassen, war noch etwas leidend, wollte mich aber gern sehen; sie stand bereits auf der Schwelle des Reiches der Todten. Sie drückte mir die Hand, sprach ihr Leidwesen darüber aus, daß wir uns niemals wieder begegnen würden, und daß es das letzte Mal hier auf Erden sei, daß wir uns sähen. Mütterlich mild sah sie mir in's Auge, ihr Blick folgte mir noch bis zur Thür, sobald wir uns trennten, als sei es in Wahrheit zum letzten Mal.
Und das wurde es auch!
Die Eisenbahn nach Triest reichte damals nur bis Gratz, und über den Semmering Semmering heißen die Grenzberge zwischen Niederösterreich und Steiermark, die die Höhe von über 5000 Fuß erreichen. Ueber dieselben führt die alte Kunststraße nach Triest und Italien; seit 1853 auch die Eisenbahn, welche ihres Kunstbaues wegen berühmt ist. Der Uebers. mußte man mit dem Wagen fahren. Wie schrecklich, nach einer Eisenbahnfahrt eines Tages, Tag und Nacht und wieder eine Nacht langsam fortzuschleichen, um Triest zu erreichen! Endlich lag die Stadt und das Adriatische Meer unter uns. Die italienische Sprache erklang zwar dem Ohr, aber Italien, das Land meiner Sehnsucht, hatte ich dennoch noch nicht erreicht.
Nur wenige Stunden weilte ich in Triest als Fremder, denn der dänische Consul, von Oesterreicher, der österreichische, sowie der preußische und der oldenburgische Consul, an die ich ebenfalls empfohlen war, empfingen mich auf das Beste. Mehrere interessante Bekanntschaften wurden angeknüpft, mit dem Grafen O'Donnell, Graf Heinrich O'Donnell, aus einem alten irländischen Geschlechte, ist geboren 1802, war bis 1848 Vizepräsident der venetianisch-lombardischen Verwaltung in Mailand. – Graf Franz Stadion-Warthausen ist am 27. Juli 1806 geboren. Er nahm viele hohe Stellungen ein und zeichnete sich namentlich als Gouverneur von Galizien aus. Er trat am 21. November 1848 in's Ministerium und starb am 8. Juni 1853 auf seinen großen Besitzungen in Böhmen. – Die Grafen Waldstein-Wartenberg entstammen einem alten böhmischen Geschlecht, das in Böhmen, Ungarn und Mähren sehr begütert ist. Aus derselben Familie entsprang der berühmte Feldherr Wallenstein. Eine Tochter des im Exil lebenden dänischen Grafen Ulfeldt und seiner unglücklichen Gattin, Eleonore, Christian's IV. von Dänemark Tochter, wurde mit einem Grafen Waldstein vermählt. Der Graf, dessen Andersen hier gedenkt, ist sicherlich der Graf Ernst, geboren den 10. Oktober 1821. Er ist erbliches Mitglied des Herrenhauses des Reichsrathes, und Major außer Diensten. Der Uebers. dem Gouverneur Stadion, dem Grafen Waldstein, welch letzterer für mich als Däne ein besonderes Interesse hatte, da er ein Abkömmling von Corfitz Ulfeldt und Eleonore Wegen Corfitz Ulfeldt und seiner Gattin Eleonore sehe man Band I. Seite 193 und 194, sowie die Note daselbst. Der Uebers. ist. Ihre Portraits hingen in seinem Zimmer. Dänische Erinnerungen aus jener Zeit zeigte man mir. Es war das erste Mal, daß ich Eleonore Ulfeldt's Bild sah. Das wehmüthige Lächeln um ihren Mund schien mir zu sagen: »Singe die Schatten fort, die ein hartes Zeitalter über ihn, für den ich lebte und litt, warf!«
Schon bevor Oehlenschläger daran gedacht hat, seine » Dina« zu schreiben, beschäftigte mich dieser Stoff; ich wollte ihn für die Bühne behandeln und hatte bereits einen Theil historischer Materialien hierzu gesammelt, als man mir sagte, der Stoff läge unserer Zeit zu nahe und daß König Frederik VI. es nicht erlauben werde, einen seiner Vorfahren nach Christian IV. auf die Bühne gebracht zu sehen. Durch Graf Rantzau-Breitenburg erhielt ich Gewißheit, daß es sich so verhielt. Allein Christian VIII., der damals noch Prinz war, ermunterte mich, die Dichtung auszuarbeiten, indem er bemerkte, man könne ja dieselbe lesen, wenn sie nicht aufgeführt werden dürfe. Aber ich gab dies auf. Als König Christian VIII. den Thron bestieg, fiel diese Rücksicht fort, und eines Tages sagte Oehlenschläger zu mir: »Jetzt habe ich eine Dina geschrieben, woran Sie ja einmal gedacht haben!« Allein sein Drama war sowol im Plan als im Charakter ganz verschieden von dem von mir beabsichtigten. Man wird daher verstehen, daß Alles von Ulfoldt und seinem Geschlecht mich auf's Höchste interessiren mußte. Graf Waldstein erzählte, daß in seinem Ahnenschlosse in Ungarn oder Böhmen, dessen entsinne ich mich nicht mehr genau, sich eine Menge Briefe und Papiere von Corsitz und Eleonore betreffend, vorfänden. Diese Papiere sind vom Grasen Waldstein veröffentlicht worden und bei Cotta in Stuttgart erschienen. Der Uebers. Einen anderen Zweig des Ulfeldt'schen Geschlechts habe ich in der Provinz Skae in Schweden kennen gelernt, nämlich den Grafen Beck-Friis. Ein Graf Beck-Friis ist zur Zeit schwedischer Gesandter in Kopenhagen. Der Uebers. Das Bild König Christian's IV. als Stammvater der Familie, hing in dem Speisesaal. Ich mußte über die Familie und alle Erinnerungen in Kopenhagen, von dem »Blauen Thurm« bis zur »Schandsäule« auf dem Ulfeldtplatz erzählen; aber gerade während der letzten Tage war diese Säule daheim auf König Christian's VIII. Befehl weggeräumt worden, was man bis dahin vergebens bei Frederik VI. durchzusetzen sich bemüht hatte.
Ich schrieb aus dieser Veranlassung folgendes Gedicht: Wörtlich übersetzt.
An Dänemarks edlen, erleuchteten König,
Christian den Achten,
der Ulfeldt's Schandsäule beseitigen ließ.
Man schrieb aus Ulfeldt's Fehler, seine Tugend verheimlichte man,
Von diesen doch die Dänen zu erzählen wissen;
Die edelste der Frauen treu ihm folgte,
Sein Denkmal ist ihre Liebe,
Das ewig lebt –! Was der Erde gebärt, muß schwinden,
Jenes finstre Zeichen sieht man nicht mehr im Norden;
Frieden in dem Grab sie bekam, die beste Frau,
Du gabst ihn, König! durch Dein mildes Wort.
Hab' Dank – nun gewahrt man nur noch die Erinnerung an ihre Treue.
Am Adriatischen Meere schweiften meine Gedanken zurück in die Zeit Ulfeldt's und auf die dänischen Inseln; die Begegnung mit dem Grafen Waldstein und das Portrait der Stammmutter hier versetzten mich in die Dichterwelt, so daß ich fast vergaß, daß ich am nächsten Tage mitten in Italien sein sollte.
Bei schönem, mildem Wetter ging ich mit dem Dampfschiff » Maria-Dorotea« nach Ancona. In sechzehn Stunden flogen wir über das klare, wogende Wasser. Es war eine stille, sternenklare Nacht. In der frühen Morgenstunde lag Italiens Küste vor uns, die herrlichen blauen Berge mit dem glänzenden Schnee. Die Sonne schien warm, Gras und Bäume erschienen in ihrem lieblichsten Grün. Gestern Abend noch in Triest weilend, befand ich mich bereits jetzt in Ancona, mitten in Italien, plötzlich in einer der Städte des päpstlichen Staates. Es war eine förmliche Zauberei, die nur unsere Zeit auszuführen vermag.
Wieder eröffnete mir Italien seine malerische Herrlichkeit. Der Lenz hatte alle Fruchtbäume geküßt, so daß sie in Blüte standen; jeder Halm auf dem Felde war von Sonnenschein erfüllt, die Ulmenbäume standen gleich Charyatiden mit aufgebundenen Weinranken, wo sie grüne Blätter schossen, und über der Fülle von Grün erhoben sich die wellenförmigen Berge mit der weißen Schneedecke.
Mit dein Grafen Wenceslaus Paar Aus einem alten, adligen Geschlecht, das aus Italien stammt und in Böhmen und Steyermark reich begütert ist. Der Uebers. von Wien, einer der vortrefflichsten Reisekameraden, die ich bisher getroffen hatte, und einem andern jungen Edelmann aus Böhmen, ging es mit dem Beturin während mehrerer Tage weiter. Der Böhme, der wie alle Reisende, wenn sie zum ersten Mal nach Italien kommen, einen räuberischen Anfall fürchtete, den ich früher ebenfalls gefürchtet hatte, führte Waffen und Pistolen bei sich. »Ich habe sie doppelt geladen!« sagte er. – »Wo sind sie?« fragte ich. da ich sie nicht gewahrte. – »Ich habe sie in meinem Reisesack!« – Und dieser befand sich unter meinem Sitze. Da mir diese Nachbarschaft nicht gefiel und ich ihn versicherte, daß die Räuber kaum warten würden, bis ich mich erhoben habe, öffnete er den Reisesack, nahm die Mordwaffen heraus, befestigte sie über uns im Wagen und legte sie in allen Wirthshäusern unterwegs auf den Tisch.
Wir besuchten Loreto Nicht fern von Ancona, nahe an der Bahn von Ancona nach Foggia, liegt die nur aus einer Straße bestehende Stadt Loreto, ein berühmter Wallfahrtsort, der jährlich von ½ Millionen Pilger wegen des heiligen Hauses der Jungfrau besucht wird. Nach der Legende haben Engel das Haus aus Nazareth, als die Sarazenen in Jerusalem einfielen, in einer Nacht des Jahres 1291 erst nach Dalmatien und drei Jahre hernach nach dem Grundstück einer Wittwe Laureta in diese Gegend getragen. Daher der Name Loreto. Die Kirche zum heiligen Hause, seit 1460 vielfach erneuert, steht noch auf demselben Platze, wie 1295 und besteht aus einem einfachen Ziegelbau, von einer Marmorbrüstung umgeben; sie ist mit allegorischen Figuren und Mosaiken geschmückt. Der Uebers., sahen die Frauen dort in dem heiligen Hause, das die Engel durch die Luft getragen haben sollen, knieen, und gelangten durch wilde, romantische Gegenden mitten in die Apenninen. Von Räubern gewahrten wir nichts, außer einigen aus mehreren Wagen, von Soldaten eskortirten.
Endlich lag die Campagna mit ihrer Gedanken erweckenden Oede vor uns. Es war am 31. März 1846, daß ich Rom Wiedersehen, zum dritten Mal in meinem Leben in die lehrreiche Weltstadt kommen sollte. Ich fühlte mich so glücklich, so durchdrungen von Dank und Freude, denn wie viel mehr verlieh mir doch Gott als Tausenden und Abertausenden, und selbst dieses zu fühlen ist ein Segen. Mein erster Eindruck – ich weiß kein anderes Wort dafür zu wählen – war Andacht, und je nachdem die Tage in meinem lieben Rom entrannen, fühlte ich, was ich nicht besser und kürzer sagen kann, als was ich in einem Briefe einem meiner Freunde schrieb:
»Ich wachse hier fest an den Ruinen; ich lebe mit den versteinerten Straßen, und stets blühen die Rosen und immer klingen die Kirchenglocken. Und dennoch ist Rom nicht wie das Rom vor dreizehn Jahren, als ich das erste Mal hier war! Es ist, als ob Alles moderner wäre, selbst von den Ruinen sind Gras und Gestrüpp hinweggeräumt; Alles ist netter geworden, aber das Volksleben scheint zurückgetreten zu sein. Ich höre nicht mehr die Tambourins in den Straßen erklingen, sehe nicht mehr die jungen Mädchen dort ihren Saltarello Ein römischer, sehr lebhafter Nationaltanz in schnellem Takte. Der Uebers. tanzen, selbst in die Campagna ist der Verstand auf unsichtbaren Eisenbahnen hineingeflogen, der Bauer glaubt nicht mehr wie ehedem. Zum Osterfest sah ich große Scharen des Volkes vor der Peterkirche stehen, geradeso wie die fremden Protestanten, als der Papst den Segen ertheilte; das widerstrebt meinem Gefühl, ich fühle das Bedürfnis, vor dem unsichtbaren Heiligen nieder zu knieen. Als ich vor dreizehn Jahren hier war, knieeten sie Alle, jetzt hatte der Verstand den Glauben überwunden. In zehn Jahren, wenn die Eisenbahn die Städte einander noch näher gebracht haben wird, dann wird Rom noch mehr verändert sein. Doch das Beste entspringt aus Allem, was geschieht; man wird und muß Rom stets lieben; diese Stadt gleicht einem Märchenbuch, man entdeckt dort stets neue Wunder und lebt in der Phantasie und Wirklichkeit zugleich!«
Als ich das erste Mal nach Italien reiste, hatte ich noch keinen Blick für die Bildhauerkunst; in Paris zogen die reichen Bilder mich von den Statuen ab, erst, wie früher bereits gesagt, als ich nach Florenz kam und vor der Medicäischen Venus stand, ging eine neue Kunstwelt vor mir auf. Ich kann in dieser Beziehung Thorwaldsen's Worte gebrauchen: »Der Schnee thaute mir aus den Augen!« und jetzt bei meinem dritten Aufenthalt in Rom durch die wiederholten Wanderungen im Vatican erlangten die Statuen einen höheren Werth für mich als die Gemälde. Aber in welcher andern Stadt auch als in Rom und zum Theil in Neapel tritt diese Kunst großartiger hinein in's Leben! Man wird fortgerissen, man lernt in dem Kunstwerk die Natur bewundern, die Formenschönheit wird seelisch.
Unter dem vielen Tüchtigen und Schönen, das ich aus der römischen Ausstellung und in den Werkstätten der jungen Künstler gesehen habe, blieben auch in der Sculptur einige Arbeiten, die sich am lebhaftesten meiner Erinnerung einprägten und zwar bei unserem Landsmann Jerichau. Der dänische Bildhauer Jens Adolf Jerichau ist am 17. April 1816 in Assens aus der Insel Fyen geboren. Früh vaterlos und in dürftigen Verhältnissen lebend, nahm sein Charakter einen tiefen Ernst an; aber er zeigte große Anlage zum Zeichnen. Ursprünglich zum Schiffsbauer bestimmt, kam er in Odense in die Malerlehre; allein innerer Drang führte ihn nach Kopenhagen, wo er beim Professor Hetsch (einem gebornen Würtemberger) Privatunterricht im Zeichnen erhielt; Abends jedoch besuchte er die akademische Schule. Durch Fleiß erreichte er es bald, daß er in die Modellirschule kam und bald erhielt er die silberne Medaille. Er schloß sich eng der nordischen Richtung in der Kunst an, wovon mehrere seiner späteren Schöpfungen Zeugniß ablegen. Befreundet wie Andersen mit dem späteren Oberst Lässöe, der ihn thatsächlich unterstützte, gelang es diesem, ihn mit einer Malerin, Fräulein Pretzmann, nach Rom zu senden. Anempfohlen an den Holsteiner Maler Blunck, kam er bald in Thorwaldsen's Atelier, und nun erst sah er ein Ziel vor Augen. Er schloß sich außer Küchler, Sonne u. a. Landsleuten eng an den deutschen Bildhauer Witman an, der ihm durch Rath und That zur Seite stand. Erst 1845, nach siebenjährigem Aufenthalt in Rom, von Kämpfen aller Art heimgesucht, vollendete Jerichau seine erste Arbeit, in Folge dessen die jetzige Wittwe Königin Caroline Amalie einen Fries » Die Hochzeit des Alexander und der Roxane« bestellte. Bei der Ausstellung in Rom 1845 zu Gunsten des Cölner Dombaues erweckte dieser Fries Aller Aufmerksamkeit und verschaffte ihm eine neue Bestellung » Penelope« von Seiten des Hamburger Senators Dr. Abendroth. Diesem Werke folgte die Gruppe » Herkules und Hebe«, ein Werk, das Cornelius und Adolf Stahr's Bewunderung erregte und Jerichau's Namen in Deutschland bekannt machte. Christian VIII. ließ diese Gruppe für sich in Marmor ausführen und diese befindet sich jetzt im Schlosse Christiansburg in Kopenhagen. Es folgte nun der bereits seit 1846 im Modell verfertigte » Pantherjäger« und damit war sein Ruf für immer begründet. Er führte dann ein Grabmonument über Alma v. Göthe aus; es folgte die kolossale Figur des » auferstandenen Christus« für die Prinzessin Marianne der Niederlande; die Gruppe »Adam und Eva nach dem Sündenfall«. 1849 kehrte er mit seiner Frau Elisabeth, gebornen Baumann (s. S. 405), mit der er sich am 19. Februar 1846 in Rom vermählt hatte, und ihren Kindern nach Kopenhagen zurück, wo er zum Professor an der Kunstakademie ernannt wurde. Seine späteren Werke sind: Tod und Auferstehung (1850), die Sklavin (1852), der Sklave (1854), das Erntemädchen (1854), der Liebestraum (1856), die badenden Mädchen (1862). Außerdem hat er viele Büsten geliefert und zwar von Christian VIII., Frederik VII., Prinzessin von Wales, H. C. Andersen, Graf Moltke, Hvidtseldt u. a. m. Der Uebers. Als ich das vorige Mal hier in Rom war, kränkelte er; es war seine schwerste Zeit, Niemand kannte ihn, er selbst kannte sich kaum, jetzt war er im Aufgang der Anerkennung. Ich sah bei ihm drei Gruppen: » Herkules und Hebe« und dann seine letzte Arbeit: » Der Pantherjäger« und gerade während der Tage, daß ich mich hier befand, erhielt er auf denselben eine Bestellung von einem russischen Fürsten. Dr. Stahr Adolf Wilhelm Stahr, geboren den 22. October 1805 in Prenzlau, war während der Jahre 1836-52 Professor am Gymnasium zu Oldenburg und lebte bis zu seinem Tode (den 3. October 1876) als Schriftsteller und Kunstkritiker in Berlin. Er vermählte sich 1854 mit der berühmten Schriftstellerin Fanny Lewald (geboren den 24. März 1811 in Königsberg). Der Uebers. aus Oldenburg hielt sich zu der Zeit in Rom auf und hatte in der »Allgemeinen Zeitung« die allgemeine Aufmerksamkeit besonders auf Jerichau's Genie gelenkt. Seine Anerkennung interessirte mich in hohem Grade, denn ich erblickte in ihm eine neue Ehre für unser Vaterland.
Ich hatte Jerichau als Knaben gekannt; wir waren Beide auf der Insel Fyen geboren. Wir begegneten uns oft in Kopenhagen im Hause der Frau Lässöe. Niemand, nicht einmal er selbst, ahnte, was in ihm lebte, und halb im Scherz, halb im Ernst sprach er über seine Kämpfe mit sich selbst, entweder nach Amerika zu gehen, um unter den Huronen zu leben, oder nach Rom zu reisen und Künstler zu werden. Pinsel und Palette hatte er fortgelegt und formte in Thon. Meine Büste war die letzte Arbeit von ihm, während er noch in Kopenhagen war. Er wollte einen Verdienst daraus ziehen, ich sollte ihm Geld geben, aber ich vermochte es nicht. Niemand legte damals natürlicherweise großen Werth darauf, eine Arbeit von Jerichau und dazu eine Büste von Andersen zu besitzen.
Jetzt, wie gesagt, war seine Sonne im Aufgehen, und er war glücklich, da er sich mit der deutsch geborenen Elisabeth Baumann Frau Elisabeth Jerichau, geborne Baumann, erblickte das Licht der Welt in Warschau am 27. November 1819. Sie schaffte sich, nachdem sie in Düsseldorf und in Rom studirt hatte, als Genremalerin einen hervorragenden Namen. Sie wirkt unermüdlich, davon zeugen fast alle Kunstausstellungen. Seit mehreren Jahren lebt sie von ihrem Gatten getrennt, macht große Reisen, besuchte Aegypten und die Türkei, wo sie die Zustände in den Harems studirte und Skizzen in Blei mit dazu gehörendem Text verfaßte, die theilweise in »Ueber Land und Meer« und in der dänischen »Illustrirten Zeitung« veröffentlicht worden sind. Der Uebers., der herzensvollen, genialen Künstlerin, deren kühne Bilder anerkannt und bewundert werden, vermählte. Gerade in diesen Tagen arbeitete sie an ihrem großen Bilde » Italienische Frauen am Brunnen«, das der Baron Hambro in London Die Familie Hambro war früher in Kopenhagen ansässig, wo der alte Hambro ein großes angesehenes Bankhaus gründete. Viele milde Stiftungen in Kopenhagen tragen den Namen Hambro, von dessen Geschenken sie errichtet worden sind. Der Uebers. kaufte. Die Bestellung auf den » Pantherjäger« setzt Jerichau in Stand, mit seiner Frau die Sommermonate in Dänemark zu verbringen; seine Gesundheit bedurfte der Erfrischung, und wenige Tage später befanden sie sich auf der Reise dahin.
Ich saß wieder bei dem gemütvollen Maler Küchler und sah ihn die naturtreuen Bilder auf der Leinwand hervorzaubern.
Ich lebte nicht blos mit Landsleuten und Schweden, sondern auch mit deutschen Künstlern, die mich als einen halben Landsmann herzlich empfingen. Ich saß wieder mit dem Römervolke in dem amüsanten Puppentheater und hörte den Jubel der Kinder. Es war namentlich der Ballettanz mit gewichtigen Beinbewegungen, welcher dem Geschmack der anwesenden Kinderwelt entsprach.
Mein Geburtstag, der 2. April, wurde auf hübsche Weise gefeiert. Frau von Göthe, welche in Rom war und zufälliger Weise in dem Hause (Ecke der via felice und der piazza Barbarina) wohnte, wo ich meinen » Improvisator« geboren und seine Kinderjahre habe zubringen lassen, sandte mir von dort ein großes, echt römisches Bouquet, ein vollständiges Blumenmosaikstück mit der Inschrift: » Aus dem Garten des Improvisator.« Dänen, Schweden und Norweger luden mich für diesen Abend zu einem lustigen Gelage ein, wo man auf mein Wohl trank, das der schwedische Maler Södermark auf schöne und wohlgelungene Weise ausbrachte.
Einer meiner Landsleute zeigte bei dieser Gelegenheit Verwunderung und Unfreundlichkeit darüber, daß man so viel aus Andersen machte; dies vermöge er nicht zu verstehen, und Södermark, der dies hörte, antwortete ganz laut, daß er als Schwede vollständig verstehe, weshalb man so viel aus dem dänischen Dichter mache.
Ich erhielt ein paar hübsche Bilder und freundliche Erinnerungen von Freunden in Rom. Der Bildhauer Kolberg modellirte meine Büste; es wurden ein paar Zeichnungen meines Gesichts gemacht, aber, wie gewöhnlich, ohne Glück, nur mittelst der Daguerrotopie und Photographie ist es gelungen, mein Aussehen richtig wiederzugeben.
Immer in Bewegung, immer danach strebend, jede Stunde zu benutzen, Alles zu sehen, fühlte ich mich durch einen plötzlich eingetretenen Sirocco Ein trockner und heißer Südwind oder Südost wird in Italien so genannt, der in der Wüste Sahara entspringt. Der Uebers. schließlich sehr angegriffen. Die römische Luft war mir nicht zuträglich, und ich eilte deshalb gleich nach Ostern, nachdem ich die Kuppelbeleuchtung und die Girandola gesehen hatte, fort von hier über Terracina nach Neapel.
Graf Paar machte diese Reise ebenfalls mit mir. Wir wohnten in Sancta Lucia. Der Name einer Straße hart am Meere. Der Uebers. Das Meer breitete sich vor uns aus, der Vesuv leuchtete, es waren herrliche Abende, mondklare Nächte; es war gleichsam, als ob der Himmel sich höher erhebe, die Sterne weiter in die Ferne gerückt seien. Welcher Lichteffekt! – Im Norden streut der Mond Silber auf das Wasser, hier war es lauter Gold. Die sich drehende Laterne des Leuchtthurmes zeigte bald ihr brennendes Licht, bald schien es ganz erloschen. Das Feuer der Fischerbarke warf seinen obeliskenartigen Schein hin auf die Wasserfläche oder auch verdeckte das Boot denselben, wie ein schwarzer Schatten, unter dem dann das Wasser tief erleuchtet wurde: man glaubte bis auf den Boden zu sehen, wo Fische und Pflanzen sich bewegten. Auf der Straße selbst brannten tausend Lichter vor den Boutiquen der Kaufleute. Dann kam eine Schar Kinder mit Lichtern und schritt in Prozession zur Kirche San Lucia; ein paar der kleineren fielen über ihre eigenen Füße und wälzten sich mit den Lichtern in der Hand umher, und während dessen erhob sich der Vesuv mit seinem blutrothen Feuer und beleuchtete die Rauchwolken gleich einem Heros über das Ganze in dem großen Lebensdrama.
Die Sommerwärme wurde immer drückender; der Sirocco führte trockene, heiße Luftwellen herbei. Ich dachte als Bewohner des Nordens für die kommenden Zeiten so viel Wärme als möglich in mir aufzunehmen, kannte aber deren Macht nicht, und wenn der Neapolitaner sich klugerweise in seinen vier Wänden oder in dem schmalen Schatten der Häuser hielt, lief ich kühn umher nach dem Molo, nach dem Museo Bourbonico; aber eines Tages mitten auf dem Largo di Castello geschah es, daß mir plötzlich der Athem verging, als ob die Sonne sich glühend in meine Augen versenke, ihre Strahlen mir Kopf und Rücken durchdrangen. Ich sank ohnmächtig um.
Als ich wieder zu mir kam, hatte man mich in ein Café gebracht; man hatte mir Eis auf den Kopf gelegt. Ich war wie gelähmt an allen Gliedern, und von der Zeit an wagte ich mich nur des Abends hinaus; die geringste Anstrengung griff mich auf's Höchste an, nur die Abende bei dem preußischen Gesandten Baron Brockhausen, auf dessen luftiger, großer Terrasse am Meere, oder eine Wagenfahrt hinaus nach Camaldoli vermochte ich auszuhalten.
Capri und Ischia hatte ich besucht. Meine Landsmännin, die Tänzerin am königlichen Theater, Fräulein Fjeldsted, besuchte dort die Bäder und hatte sich durch dieselben so erholt, daß sie Abends unter den Orangenbäumen mit den jungen Mädchen den Saltarello tanzte und die jungen Männer zu solchem Entzücken brachte, daß sie ihr eine Serenade brachten. Ischia hat mich indessen niemals in dem Grade angesprochen, wie andere Reisende; die Sonne brannte hier viel zu heiß.
Alle riethen mir, Ruhe und Schatten in Sorrento, Tasso's Geburtsstadt Torquato Tasso, der berühmteste Dichter Italiens, ist in Sorrento, am Golf von Neapel gelegen, am 11. März 1544 geboren. Er erreichte schon 1562 den Dichterpreis und lebte am Hofe zu Ferrara, ward aber von 1579-86, angeblich wegen Wahnsinns, gefangen gehalten. Er lebte dann am Hofe des Herzogs von Mantua und irrte dann nach dessen Tode ruhelos in Italien umher. Er kam 1592 als Hirte verkleidet in sein Vaterhaus, wo ihn seine Schwester Cornelia liebevoll aufnahm. Er starb am 25. April 1595 im Kloster San Onofrio in Rom, wo er eine Frei- und Ruhestätte fand. Sein berühmtestes Werk ist die großartige Dichtung »Das befreite Jerusalem«, das 1581 erschien. Seine Werke sind vielfältig ins Deutsche übersetzt worden. – Sein Geburtshaus ist jetzt zu einem Wirthshaus unter dem Namen » Albergo del Tasso« umgestaltet worden; doch seine Marmorstatue erhebt sich jetzt auf dem Marktplatze seiner Geburtsstadt. Der Uebers. zu besuchen. Mit einer englischen Familie, die ich in Rom kennen gelernt hatte, miethete ich ein paar Zimmer, dicht außerhalb Sorrent, in Calmella, nahe am Meere, das seine Wogen in die Höhlen unter unserem kleinen Garten rollen ließ. Der Wärme wegen mußte ich während der Tage im Zimmer bleiben, und hier schrieb ich sehr fleißig an dem » Märchen meines Lebens«. In Rom, am Golf von Neapel und in den Pyrenäen schrieb und beendete ich die zum ersten Male verfaßten Lebensbilder, welche meine Schriften in der deutschen Ausgabe beleuchten sollten. In Briefen ging Bogen für Bogen nach Kopenhagen, wo einer meiner tüchtigsten Freunde freie Hand über das Manuscript hatte, der, nachdem er es gelesen, es meinem Buchhändler in Leipzig senden sollte. Und nicht ein Blatt ging auf der langen Reise verloren!
Der Aufenthalt in Calmella war reizend und die Aussicht vom Fenster und der Loggia schön. Ich überblickte den Vesuv und das ganze Meer; aber es gab keinen andern Spaziergang, als den langen schmalen Weg zwischen hohen Mauern, welche die Gärten umschließen und diese fast ganz verbergen; man mußte in der Sonnenhitze eine Eidechse sein, um sich hier wohl zu fühlen und athmen zu können und ebenso mußte man sich Stelzen anschaffen, um ein wenig über die Mauer zu blicken.
Ich zog daher nach Sorrento selbst hinein, wo die Componisten, der Schwede Josefsson Der Schwede Josefsson hat seit einer Reihe von Jahren als hervorragender Lieder-Componist auch in Deutschland sich bekannt gemacht. Er war viele Jahre Leiter des berühmten Studentengesangsvereins in Upsala und später Direktor des Theaters in Christiania, wo er namentlich die Oper zu kultiviren suchte. Der Uebers. und der Holländer Verhulst, beide meine Freunde, lebten und dort ihre Sommervillegiatura verbrachten.
An dem Tage, an dem ich hier anlangte, fand eine große Festlichkeit statt. Drei junge Mädchen, Töchter eines reichen Kaufmanns, wurden zu Nonnen geweiht. Die Kirche war auf das Bunteste herausgeputzt, ein Orchester führte die Musik aus und aus der Opera Buffa » Der Barbier von Sevilla« wurde die ganze Don Bazilo-Arie über die Verleumdung gespielt, während draußen die Kanonen donnerten. Das überwiegend Grelle störte die fromme Stimmung, welche ich mitgebracht hatte! Ein älter, komischer Offizier, dem das Knieen sehr schwer wurde, machte mir die Stimmung nicht feierlicher. Erst als die Messe von einem der jungen Mädchen gesungen wurde und die Stimme weich und zitternd erklang, kam ich auch in eine feierliche Stimmung.
Bei Josefsson gab es außer seiner persönlichen Liebenswürdigkeit noch ein Moment, das uns näher aneinanderzog, und das war unsere beiderseitige Freundschaft für Jenny Lind. Sie hatte, als er als Israelit zum christlichen Glauben überging, Pathe bei ihm gestanden und seitdem ihm stets wahre Theilnahme und Freundschaft erwiesen. Auf seiner Reise im Auslande hatte er sie in Berlin besucht und war täglich in ihr Haus gekommen; er wurde »Schwedischer Kandidat der Theologie« genannt und bald machte man »einen Landprediger« aus ihm. Das Gerücht ließ ihn mit der schwedischen Nachtigall verlobt sein. Aber wer hat dieses Märchen nicht gelesen und gehört? Die ganze Geschichte war jedoch aus der Luft gegriffen.
Einige Wochen vergingen und das bekannte neapolitanische Fest für » Madonna del Arco«, das der Balletmeister Bournonville uns in seinem Ballet » Neapoli« in verschönerten Formen wiedergegeben hat, rief mich nach Neapel zurück. Es war gleichzeitig meine Bestimmung, jetzt, wo ich mich etwas gestärkt fühlte, von hier über Marseille nach Barcelona zu gehen, die Alhambra und Sevilla zu besuchen. Wegen eines Creditivs nach dort hatte ich bereits nach Hause geschrieben und konnte dasselbe jeden Tag in Neapel erwarten.
Als ich hierher kam, mußte ich mitten in der Stadt in der Nähe der Toledo-Straße Die jetzige Strada di Roma. Der Uebers. ein Hotel beziehen, wo ich früher während der Winterzeit schon gewohnt hatte. Aber jetzt sollte ich die Sommerhitze und all den Lärm Neapels erleben; so etwas über alle Grenzen Schreckliches habe ich doch nie für möglich gedacht. Die Sonne schickte brennende Strahlen in die engen Straßen hinab, in alle Fenster und Thüren hinein, Alles mußte verschlossen gehalten werden, so daß nicht ein Windhauch zu uns dringen konnte; jede kleine Ecke, jeder Fleck in der Straße, wo sich Schatten bildete, wurde von Arbeitern überfüllt, die dort lustig und laut plauderten; die Wagen rollten vorüber, die Ausrufer schrieen stärker als zu ertragen möglich war; der Volkslärm in der Straße brauste gleich einem empörten Meer; die Kirchenglocken ertönten unablässig; mein Nachbar, Gott weiß, wer er sein mochte, spielte vom Morgen bis zum Abend Scala; es war wahrlich um verrückt zu werden. Der Sirocco sandte seine kochend heiße Luft: ich war vernichtet!
Auf St. Lucia, wo mein altes Quartier gewesen war, waren alle Zimmer besetzt; ich mußte also hier bleiben, wo ich nun einmal war. Die Seebäder gewährten gar keine Kühlung, sie schienen eher zu schwächen als zu stärken. Und was entstand aus allem dem – ein Märchen. Ich dichtete hier » die Geschichte des Schattens« Siehe Band III. Seite 156. Der Uebers., oder ich war stets so schläfrig, so matt, daß ich erst daheim im Norden dieselbe zu Papier brachte.
Ich suchte Erholung und Frische auf dem Lande zu erlangen, aber die Sonnenstrahlen brannten gleich heiß wie in der Stadt; wol war die Luft hier draußen elastischer, aber sie lastete dennoch wie Blei auf mir.
Den meisten Fremden ging es wie mir in diesem ungewöhnlich heißen Sommer; selbst die Neapolitaner sagten, daß sie seit vielen Jahren solch' einen heißen Sommer nicht erlebt hätten; daher reisten die Fremden fort, und auch ich wollte dasselbe thun, allein mein Creditiv war noch nicht angekommen. Täglich fragte ich danach bei dem mächtigen Rothschild an.
»Hier ist kein Brief«, antwortete er mir stets, und eines Tages, gelangweilt von meinem ewigen Fragen, zog er heftig die Schieblade, in welcher all' die Briefe für Fremde lagen, welche Creditive auf sein Haus hatten, heraus. »Hier befindet sich kein Brief«, sagte er. Indem er fast ärgerlich die Schieblade zurückstieß, fiel ein Brief auf die Erde, der mit Siegellack geschlossen war; dieser war von der Hitze geschmolzen und daher hatte sich der Brief an die Schieblade angeklebt. Und gerade dieser Brief war der meinige und enthielt die Creditive. Er hatte bereits einen ganzen Monat hier gelegen und würde wahrscheinlich noch länger dort geblieben sein, wäre er nicht durch den heftigen Stoß vom Brette abgefallen. – Jetzt konnte ich also reisen.
Auf dem Dampfschiff » Castor« nahm ich einen Platz nach Marseille. Als ich an Bord ging, ließ der Wirth den Cameriere Der Kellner. Der Uebers. mit nach dem Hafen folgen, wo ich ein Boot miethen mußte, um auf das Schiff zu gelangen. Die Bootsleute hierselbst sind als die allergröbsten und wegen ihrer Prellereien gegen die Reisenden bekannt. Für zwei Carolini In alter Zeit rechnete man im Königreich Neapel nach Carolini, wovon zehn auf einen Ducato gingen. Ein solcher Dukaten hatte den Werth von 3 Mark 40 Pf. – Es gab damals halbe und ganze Scudo zu je 6 oder 12 Carolini. – Jetzt rechnet man überall in Italien nach Lire, die ca. 75-80 Pf. werth sind. Der Uebers. wurden wir einig; aber als der Cameriere mich verlassen hatte und ich mit den Leuten bereits ein gutes Stück vom Land entfernt war, legten sie die Ruder nieder und fragten, ob ich ihnen nicht einen Scudo geben wollte, sie würden sonst keinen Schlag mehr in's Wasser machen, das Dampfschiff möge gern fahren, es sei ihnen ganz einerlei. Ich erklärte ihnen, dies sei eine sehr wenig ehrenhafte Handlung, da wir ja einen Accord geschlossen hätten; sie antworteten mir jetzt nichts. Der jüngste Ruderer war sehr hübsch, er lachte, und das kleidete ihn prächtig, aber besser als die Anderen war er auch nicht, und ich mußte das Verlangte versprechen. Sie wollten das Geld sofort haben, aber dagegen erklärte ich mich auf das Entschiedenste. Als wir auf das Schiff kamen, erzählte ich ihre Handlungsweise ganz laut, gab ihnen aber den Scudo, ich hatte ihnen ja mein Wort gegeben. – Das war die letzte Erinnerung an Neapel.
Das Dampsschiff war mit Reisenden überfüllt; fast das ganze Deck war mit Reisewagen besetzt, und unter einem dieser ließ ich mein Bett in Stand bringen, denn unten in der Cajüte war es nicht möglich zu athmen; mehrere andere Reisende folgten meinem Beispiel, und bald war das Deck von beiden Seiten so gut wie eine einzige lange Schlafstelle.
Einer der ersten Edelleute des Landes, der Marquis Douglas, vermählt mit der Prinzessin von Baden Die Prinzessin Maria Amalie Elisabeth Carolina von Baden, Tochter des Großherzogs Carl Ludwig Friedrich und der Stephanie, ist am 11. October 1817 geboren; sie vermählte sich 1843 mit dem damaligen Marquis William Alexander Anthony Archibald von Douglas und Clydesdale, geboren am 19. Februar 1811, seit 1852 der elfte Herzog von Hamilton und achter Herzog von Brandon, gestorben 1863. Der Uebers., befand sich mit seiner Gemalin an Bord. Wir kamen bald in ein Gespräch; er hatte gehört, daß ich Däne sei, aber meinen Namen kannte er nicht. Wir sprachen von Italien und was über dieses Land geschrieben sei. Ich gedachte Frau Staël-Holstein's »Corinna« Die berühmte französische Schriftstellerin Anne Louise Germaine Baronin von Staël-Holstein war die Tochter des 1788 zum Minister erhobenen Finanzmannes Necker; sie ist geboren am 22. April 1766 und wurde 1786 mit dem schwedischen Gesandten Baron von Staël-Holstein verheirathet. Sie trennte sich jedoch von ihm 1796 und nahm lebhaften Antheil an der Revolution, mußte aber während Napoleon's I. Herrschaft Frankreich meiden, lebte hernach größtentheils in Paris, wo sie am 14. Juli 1817 starb. Sie war gewissermaßen eine Bahnbrecherin für die socialen Romane der Frau George Sand. Ihr von Andersen hier angezogener Roman » Corinne ou l'Italie« erschien zuerst 1807 und wurde 1865 wieder aufgelegt; derselbe kam 1869 in einer neuen deutschen Uebersetzung heraus, wie ihre sonstigen Schriften alle übersetzt worden sind. Der Uebers., aber er unterbrach mich, indem er sagte: »Sie haben einen Landsmann, der uns Italien noch vortrefflicher geschildert hat.« – »Das glauben wir Dänen nicht!« antwortete ich. Er sprach sich höchst lobend über den » Improvisator« und dessen Verfasser aus. »Es ist Schade«, sagte ich, »daß Andersen nur so kurze Zeit dort gewesen ist, als er dieses Buch schrieb!« – »Er ist dort während vieler Jahre gewesen!« antwortete Marquis Douglas. – »O nein«, versicherte ich, »nur während neun Monate, ich weiß es ganz genau!« – »Ich möchte den Mann kennen lernen!« sagte er. – »Das ist nicht schwer«, fuhr ich fort, »denn er ist hier an Bord.« Und nun sagte ich ihm, wer ich sei.
Das Wetter wurde indeß hart, der Wind nahm zu, ich mußte meine Schlafstelle aufsuchen. Es stürmte und regnete während der Nächte und Tage und ich traf den Marquis nicht mehr. Während der zweiten und dritten Nacht hauste ein vollständiger Sturm. Das Schiff wurde gleich einer Tonne in der offenen See nach allen Seiten hingeworfen; die Wellen kamen von der Seite, erhoben ihre breiten, schäumenden Spitzen höher als die Schanze empor, als ob sie zu uns hineinschauen wollten. Es war ein schreckliches Krachen und Stöhnen; das Schiff machte Bewegungen, als wolle es untersinken, und oftmals schien es uns, als ob die Wogen die Planken unter uns hinwegspülten. Es war ein Jammern überall. Ich lag still und sah zu den dahinjagenden Wolken hinauf und dachte in mein Geschick ergeben an Gott und meine Lieben.
Als wir endlich Genua erreichten, gingen die meisten Passagiere über Land weiter. Ich wäre gern der allgemeinen Bestimmung gefolgt und hätte mich an das Land gehalten, wäre nach Milano, nach der Schweiz gegangen und hätte Spanien für diesmal aufgegeben, aber meine Creditive lauteten auf Marseille und einige spanische Häfen. Ich suchte den dänischen Konsul in Genua auf, um bei ihm eine Summe meiner Anweisungen zu erheben, aber er kannte das bedeutende Haus des Kaufmanns, das dieselben ausgestellt hatte, nicht, ebensowenig meinen Namen und konnte sich daher auf dieses Geschäft nicht einlassen. Ob ich wollte oder nicht, war ich daher genöthigt, wenigstens nach Marseille zu segeln.
Indessen wurde das Wetter sehr schon. Die Luft war höchst erfrischend, und je leichter ich athmete, desto mehr tauchte die Sehnsucht, Spanien zu sehen, wieder in mir auf, denn dieses Land war meinem ersten Reiseplan nach das Ziel derselben, und daß ich mit dem Schiff nach Marseille mußte, betrachtete ich als Fingerzeig: du sollst diesmal das Heim der Spanier sehen! Und ich reiste dahin.
Wir erreichten Marseille, aber einen Tag später als bestimmt war und kamen daher zu spät, um mit dem Dampfschiff nach Barcelona gehen zu können, das mir jeden zehnten Tag fuhr, und es wurde mir zu lang, auf dasselbe zu warten. Die Seereise hatte mich etwas gestärkt, und ich glaubte, Kräfte genug zu besitzen, um diese Reise über Land durch Südfrankreich machen zu können, und auf diese Weise bekam ich gleichzeitig die Pyrenäen zu sehen.
Bevor ich Marseille verließ, brachte mir der Zufall eine liebe Begegnung, einen meiner Freunde aus dem Norden, Ole Bull Der weltberühmte Violin-Virtuose Ole Bornemann Bull ist am 5. Februar 1810 in Bergen in Norwegen geboren, zeichnete sich schon früh als Virtuose auf seiner Geige aus. Seit 1830 bereiste er Europa und Amerika wiederholt. Er war zuletzt 1876 in Deutschland, bereiste Skandinavien, Aegypten, Italien und hat jetzt, Herbst 1878, wieder die Reise nach Amerika angetreten. Der Uebers., er kam von Amerika und war in Frankreich mit Jubel und Serenade empfangen worden. Wir wohnten beide in Marseille in dem » Hôtel des empereurs«, und an der table d'hôte sahen wir uns, flogen einander in die Arme und sprachen mit einander über Alles, was wir gesehen und erlebt hatten. Er erzählte, was ich damals nicht wußte, ja nicht einmal zu denken wagte, daß ich bereits in Amerika viele Freunde besäße und daß diese auf das Theilnehmendste nach mir gefragt hätten, daß die englische Uebersetzung meiner Werke dort nachgedruckt und durch billige Ausgaben im Lande weit verbreitet worden sei.
Mein Name war also über das große Weltmeer geflogen – ich fühlte mich zwar ganz klein bei dem Gedanken daran, war aber doch innig froh, glücklich! Weshalb erlangte gerade ich doch vor so vielen anderen Tausenden solch' großes Glück? Es beschlich mich ein Gefühl, als sei ich ein armer Bauernknabe, dem man einen Königsmantel über die Schulter warf; aber glücklich fühlte ich mich dennoch. Ob das Eitelkeit ist? Oder liegt dieselbe vielleicht darin, daß ich meine Freude darüber ausgesprochen?
Am Abend, nachdem ich zur Ruhe gegangen war, hörte ich auf der Straße Musik. Es war eine Serenade für Ole Bull. Am Tage darauf reiste er nach Algier, ich nach den Pyrenäen.
Der Weg führte durch die Provence. Von Rosen sah ich nicht viel, aber blühende Granatbäume; sonst hatte die Landschaft in ihrer grünen Frische, in ihren wellenförmigen Höhen etwas Verwandtes mit der Dänemarks. In den Reisebüchern steht geschrieben, daß die Frauen in Arles zu den schönsten gehören und Nachkommen der Römer sind, und die Bücher haben Recht. Zu meiner Ueberraschung war hier selbst das ärmlichst gekleidete Mädchen schön; sie hatten alle edle Gestalten, herrliche Formen, Augen, die seelen- und ausdrucksvoll strahlten. Die ganze Reisegesellschaft im Postwagen war überrascht und entzückt. Und die Mädchen schienen das sehr wol zu verstehen; sie entflohen nicht wie Gazellen, sondern ließen ihre leichten Bewegungen, ihre strahlenden Augen sehen. Ja, der Mensch ist gewiß das Schönste, was je geschaffen worden ist!
In Nîmes galt mein erster Besuch dem prächtigen römischen Amphitheater, dessen Größe mich an die in Italien erinnerte. Ueber die Alterthumserinnerungen Südfrankreichs hatte ich bis dahin fast nichts gehört, und wurde daher in hohem Grade überrascht; schon »das viereckige Haus in Nimes« steht in gleicher Pracht wie der Theseus-Tempel in Athen. Rom besitzt keine Ruine, die so wol erhalten ist.
In Nimes wohnte der Bäcker Reboul Jean Reboul ist in Nimes 1796 geboren und dort 1864 gestorben. Seine Gedichte sind in Paris erschienen. Der Uebers., welcher schöne Gedichte schreibt. Wer ihn durch diese nicht kennt, wird ihn durch Lamartine's »Reisen nach dem Orient« kennen. – Ich fand das Haus, trat in die Bäckerei ein und fand einen Mann mit aufgekrämmten Hemdsärmeln vor dem Ofen stehen und Brot hineinschieben. Es war Reboul selbst. Er hatte ein edles Gesicht, das männlichen Charakter ausdrückte; er begrüßte mich, ich nannte ihm meinen Namen, und er war so höflich, mir zu sagen, daß er denselben aus einem Gedichte aus der » Revue de Paris« kenne, ein Gedicht, das der französische Dichter Martin geschrieben hatte. Er bat mich dann, wenn meine Zeit mir gestatte, ihn während der Mittagsstunden zu besuchen, dann würde er mich besser empfangen können.
Als ich ihn zur bestimmten Stunde wieder aufsuchte, empfing er mich in einem kleinen, fast eleganten Zimmer; es war mit Gemälden, Statuen und Büchern, und unter diesen nicht blos solche aus der französischen Literatur, sondern auch mit Uebersetzungen der griechischen Klassiker geschmückt. – Er sagte mir, daß einige von den Bildern, die an der Wand hingen, Geschenke seien; sie stellten sein berühmtestes Gedicht »das sterbende Kind« dar. Er wußte aus Marmier's Buch » Chansons du nord«, daß ich dasselbe Thema behandelt hatte, und ich erzählte ihm, daß ich es geschrieben habe, als ich noch in die Schule ging.
Hatte ich ihn in der Morgenstunde als einen strebsamen Bäckermeister gesehen, so war er jetzt ganz Poet. Er sprach lebhaft über die Literatur seines Vaterlandes, äußerte den Wunsch, den Norden zu sehen, dessen Natur und geistiges Leben ihn sehr interessire.
Ich verließ diesen Mann mit großer Achtung, dem die Musen eine nicht geringe Gabe verliehen hatten, und der Verstand genug besaß, trotz der Huldigung, die man ihm darbrachte, bei seinem ehrbaren Handwerk zu verbleiben, der es vorzog, der merkwürdige Bäcker in Nimes zu sein, statt einer kalten Huldigung zu folgen und dann in Paris zwischen Hunderten von Poeten zu verschwinden.
Auf der Eisenbahn ging es nun weiter über Montpellier nach Cette mit der Flucht eines Terrains, wie man sie nur in Frankreich kennt. Man fliegt, als ginge es mit »dem wilden Heere« um die Wette, und unwillkürlich erinnerte ich mich einer Aufschrift in Basel an einer Straßenecke, die zur Eisenbahn führt: gerade auf dem Platze, wo einst der berühmte Todtentanz auf die Mauer gemalt war, stand noch mit großen Buchstaben geschrieben: »Todtentanz«; aber gerade über dieser Inschrift stand eine andere: »Weg zur Eisenbahn«. Gerade diese beiden Inschriften auf der Grenze von Frankreich verleihen der Phantasie leichte Schwingen, denn in der sausenden Fahrt kam mir »der Todtentanz und die Eisenbahn« in Erinnerung. Es war, als ob die Signalpfeife das Zeichen zum Tanze gäbe! Auf den deutschen Eisenbahnen und auf der kleinen Bahn von Kopenhagen nach Roeskilde hat man gewiß solch' wilde Phantasien nicht. Zu jener Zeit, wo Andersen dies schrieb, fuhr man noch sehr bedächtig auf dem deutschen kaum halb vollendeten Eisenbahnnetze. Ebenso existirte im ganzen Königreich Dänemark damals nur diese einzige 4 Meilen lange Bahn, die erst in den fünfziger Jahren bis Korsör und Helsingör weiter geführt wurde. Der Uebers.
Der Inselbewohner liebt das Meer, wie der Bergbewohner seine Berge, das weiß ich von mir selber. Jede Seestadt, und sei sie noch so klein, erlangt für mich durch das Meer einen eigenen Nimbus. War es das Meer vielleicht im Verein mit der dänischen Sprache, die mir aus zwei Häusern in Cette entgegenklang, was mir diese Stadt so heimisch machte? Ich weiß es nicht, aber ich hatte mehr das Gefühl, momentan in Dänemark zu verweilen als in Südfrankreich. Wenn man fern von seinem Vaterland in ein Haus tritt, wo Alles, von der Herrschaft bis zur Dienerschaft unsere Landessprache redet, wie es hier in Cette beim Kaufmann Casalis-Tutein der Fall war, dann haben diese heimischen Töne eine Zauberkraft gleich einem Faustmantel, der uns in einem Nu in unsere Heimat versetzt. Auch unser dänischer Consul Jansen war ein Kopenhagener Kind; Cette wurde mir dadurch urplötzlich wie ein Stückchen von Dänemark. Doch der Sommer des Nordens herrscht hier nicht, sondern Neapels Sonnenglut; die Luft vermag den Faustmantel zu versengen: Die Hitze strömte förmlich auf uns ein, und die Sonnenstrahlen lähmten alle Kräfte. Auch hier hatte man seit Jahren einen solchen Sommer nicht erlebt. Rundum vom Lande kamen Nachrichten, daß die Leute vor Hitze todt umfielen. Selbst die Nacht war heiß. Man prophezeite mir, daß ich die Reise nach Spanien nicht aushalten würde. Ich fühlte es selbst; aber Spanien war nun einmal mein Ziel, ich sah ja bereits die Pyrenäen; die bläulichen Berge lockten mich – und eines frühen Morgens befand ich mich auf dem Dampfschiff und fuhr über l'Etang de Thau. Dies ist der Name eines großen Binnensees nah der Küste in Südfrankreich. Der Uebers.
Die Sonne kam höher; es brannte von oben, es brannte von der Wasserfläche. Myriaden von Medusen (Quallen), mit ihrem geleeartigen Gewebe und Zittern erfüllten das Wasser ringsum. Es war, als ob die Sonnenstrahlen das Seewasser verdunsteten und nur die schaukelnde Thierwelt zurückließ. Niemals früher oder später habe ich Aehnliches wiedergesehen.
Am Languedoc-Kanal mußten wir uns Alle vom Dampfschiff nach einem großen Fahrzeuge, das von Pferden gezogen wurde, begeben und das sowol für Güter, als für Passagiere eingerichtet zu sein schien. Das Deck wurde mit Koffern und Kisten überfüllt und diese wieder mit Menschen besetzt, die unter ausgespannten Schirmen Schatten suchten. Es war nicht möglich, sich hier zu bewegen, und kein Geländer umgab diesen Koffer- und Menschenstapel, den drei bis vier Pferde mittelst langer Taue fortschleppten. Unten in beiden Cajüten sah es ebenso bepackt aus. Seite an Seite saß man, wie die Fliegen in einer Zuckerschale. Eine von der Hitze und dem Tabakrauch ohnmächtig gewordene Frau wurde zu uns in die erste Cajüte hineingetragen und auf die Erde gelegt, der einzige Fleck, der in diesem Augenblick leer war; sie sollte Luft athmen, doch diese schien hier nicht vorhanden zu sein, wie viele Fächer man auch in Bewegung setzte; Erfrischungen gab es nicht, nicht einmal ein Trunk Wasser war zu verschaffen möglich, außer dem gelben, warmen Wasser aus dem Kanal selbst. Ueber die Luken hingen vom Deck bestiefelte Beine herab, die durch das Licht, das sie ausschlossen, der drückenden Luft gleichsam eine körperliche Gestalt verliehen.
Eingeschlossen in diesem Raum hatte man sogar noch die Qual, einen Mann anhören zu müssen, der stets etwas Wichtiges sagen, stets interessant sein wollte, und der Wortstrom plätscherte aus seinem Munde, wie das einförmige Spalten des Wassers am Kiel des Fahrzeugs plätscherte. Es war nicht zu ertragen! Ich bahnte mir einen Weg zwischen Koffern, Menschen und Schirmen und stand in einer kochend heißen Luft, und zu beiden Seiten nach vorn und hinten, Stunde für Stunde war ewig ein und dasselbe zu sehen: grünes Gras, grüne Bäume, eine Schleuse – grünes Gras, grüne Bäume, eine Schleuse, und dann wieder so: es war, um wahnsinnig zu werden!
Eine halbe Stunde von Béziers wurden wir an's Land gesetzt. Ich fühlte mich fast einer Ohnmacht nahe. Kein Wagen war hier, der Omnibusführer hatte uns nicht so früh erwartet. Die Sonne brannte entsetzlich. Die kleinen Bäume hatten gewiß ihren Schatten verkauft, es war nicht einmal ein Umriß von ihnen zu sehen. Man behauptet, Südfrankreich sei ein Stück vom Paradiese, mir kam es aber unter den Umständen, unter denen ich es sah, vor, als sei es ein Stück der Hölle selbst mit ihrer infernalischen Hitze.
In Beziers wartete der Postwagen. Alle besseren Plätze waren besetzt, ich kam zum ersten und, wie ich hoffen will, zum letzten Mal in die hintere Abtheilung eines solchen Wagens. Neben mir nahm eine schrecklich dicke Madame, die Pantoffeln an ihren Füßen und einen ellenhohen Kopfputz trug, Platz; sie nahm indessen letzteren sofort ab und hing ihn mir gegenüber auf. Dann kam ein lustiger Matrose, der gewiß schon vorher zu viele Hochs ausgebracht hatte, dann ein paar schmutzige Kerle, deren erstes Manoeuvre darin bestand, daß sie ihre Stiefeln und Jacken auszogen, und dort, von Zwiebeln stinkend, saßen, während dicke Staubwolken in den Raum eindrangen und die Sonne brannte und blendete. Es war nicht möglich, dies länger als bis Narbonne auszuhalten. Krank und leidend suchte ich Ruhe!
Da kamen Gensd'armen und fragten nach dem Paß, und gerade beim Beginn der Nacht brach Feuer in dem nächst belegenen Dorfe aus. Ein grenzenloser Lärm ertönte, die Spritzen rollten von dannen: es war gleichsam, als ob alle Plagegeister losgelassen wären!
Von hier bis zu den Pyrenäen folgte eine wiederholte Paßrevision, die ich selbst in Italien nicht gekannt habe; es wurde als Grund die nahe spanische Grenze, die vielen Flüchtlinge von dort und einige in hiesiger Gegend stattgefundene Morde angegeben. Alles schien darauf angelegt, die Reise zu einer Plage zu machen.
Ich erreichte Perpignan. Die Sonne hatte hier gleichsam alle Menschen von der Straße weggefegt, und erst zur Nachtzeit kamen sie hervor; aber dann kamen sie gleich einem brausenden Strom, gleich einem Aufruhr, der die Stadt vernichten wollte. Menschenmassen wogten unter meinen Fenstern hin und her. Lautes Schreien ertönte, das meinen kranken Körper durchrieselte. Was war das? Was bedeutete das? Vermochte das Fieber so in meinem Kopfe zu brennen? Ich wankte hin zur Altanthür, öffnete sie, und der Platz war schwarz von Menschen. Sie sahen gerade hinauf, wo ich stand, schwangen mit den Hüten, riefen »Vive! Vive!« »Mein Gott«, dachte ich, »das ist Wahnwitz! Das ist Alles ein Bild meiner Einbildung! Hier ist kein Mensch zu sehen; ich höre Niemanden schreien – aber ich phantasire das Alles, das ist entsetzlich!« Ich war nahe daran, umzusinken, neigte den Kopf zur Seite und gewahrte neben mir auf dem Altan einen Mann stehen, der zu dem versammelten Volke hinabsprach; er war es, dem man Grüße brachte, indem er heraustrat. »Guten Abend, Herr Arago!« Der berühmte Physiker Dominique François Arago ist in Estagel bei Perpignan am 26. Februar 1786 geboren. Er wurde sehr jung, 1803, zum Professor an der politischen Schule in Paris ernannt, in welcher Stellung er bis 1833 verblieb. Indessen war er zum Mitglied der Akademie ernannt worden. Seine wissenschaftlichen Untersuchungen waren sehr vielfältiger Art, namentlich über die Polarisation des Lichts, über Galvanismus und Magnetismus. Als Politiker gehörte er der äußersten Linken an; er wurde 1831 Mitglied der Deputirtenkammer und trat in den Februartagen 1848 als Kriegs- und Marineminister in die provisorische Regierung ein. Später wurde er Mitglied des Kriegsausschusses der Nationalversammlung. Er starb am 2. October 1853. Die Stadt Perpignan hat ihm zu Ehren dort ein Denkmal errichtet. Bemerkenswerth ist noch, daß Arago seiner Zeit gegen den Thiers'schen Plan, Paris mit Forts zu umgeben, stark opponirte. Der Uebers. ertönte die stärkste Stimme, tausende wiederholten denselben Gruß und die Musik erklang. Es war der berühmte Arago, der mein Nachbar war. Das Volk brachte ihm eine Serenade. Das Fieber gaukelte es mir also nicht vor! Das war doch wenigstens ein Trost. Aber dieses Getümmel, dieses Schreien war eine ewig erneute Qual für mich. Ich entsinne mich weniger Abende aus meinem Leben, an welchen ich mich so körperlich leidend gefühlt habe.
Der schöne Gesang, der nun folgte, vermochte mich nicht zu erquicken. Arago hielt wiederholt eine Rede. Es war seine Vaterstadt, die er nach vielen Jahren wieder besuchte. Der Volksjubel erschallte durch alle Straßen. Es durchrieselte mich durch alle Nerven. Ich war krank. Jeder Gedanke, die Reise nach Spanien fortzusetzen, wurde aufgegeben; ich fühlte, es sei mir unmöglich, weiter zu reisen, und selbst diese Luft, diese Wärme hier, wie sollte ich sie ertragen! Könnte ich doch bald nach der Schweiz zurückgelangen! Aber mir graute vor dem langen Rückweg dorthin und ich sah doch keine Möglichkeit, diese lange Reise ertragen zu können. Man rieth mir, so schnell als möglich zunächst in die Pyrenäen zu gelangen und dort die stärkende Bergluft einzuathmen; das Bad Vernet, jenseits Prades, wurde mir als kühl und gut empfohlen. Man gab mir eine Empfehlung an den Chef des Etablissements, und ich entschloß mich zu diesem Aufenthalt, es blieb mir ja nichts anderes zu thun übrig.
Die Nacht, als die einzige kühle Zeit, wurde zur Fahrt bestimmt, und nach einer angreifenden Reise von einer Nacht und einigen Morgenstunden erreichte ich Vernet. Der Badeort liegt auf der französischen Seite etwas in die Berge hinein. Die Luft war so erfrischend, so stärkend, wie ich sie seit Monden nicht eingeathmet hatte. Nach einem Aufenthalt von einigen Tagen hier fühlte ich mich viel frischer und wohler.
Die Gedanken flogen wieder nach Spanien hinein, dem ich jetzt so nahe war, nur wenige Stunden, fast nur eine kleine Bergtour. Und ich machte sie und stand hier wie Moses und sah vor mir das Land, das ich nicht betreten sollte. – Meine Hoffnung bestand darin, daß ich zur Winterzeit vom Norden wieder hierher eilen konnte und dann das schöne, reiche Land betreten, von wo mich jetzt die Sonne gleich einem Flammenschwerte fern hielt.
Vernet gehört nicht zu den bekanntesten Badeorten, ungeachtet es dadurch merkwürdig ist, daß man es das ganze Jahr hindurch benutzen kann. In der Zeit war der berühmteste Gast, den der Ort aufzuweisen gehabt hatte, Ibrahim Pascha Ibrahim Pascha, in Aegypten 1789 geboren und vom Vicekönig Mehemed Ali als Sohn adoptirt, begann seine große Laufbahn mit dem Siege über die Wechabiten, wurde dann Pascha von Mekka und Medina, organisirte die Armee nach europäischem Vorbilde und stand an der Spitze derselben. 1825 eroberte er Morea und Candia, wo er bis 1828 mit der Flotte verblieb, die bei Navarin geschlagen wurde. 1831 fiel er in Syrien ein, nahm Jerusalem und nach der Schlacht bei St. Jean d'Arc (25. Mai 1832) ganz Syrien ein. Nachdem er die Türken noch mehrfach geschlagen hatte, wurde 1833 ein Friede geschlossen, der nur bis zum Jahre 1839 währte. Ibrahim schlug die Türken am 24. Juni dess. Jahres bei Nisib und nur das Erscheinen einer englisch-russisch-österreichischen Flotte Ende 1840 zwang ihn, Syrien wieder zu räumen. Ihm wurde später die Erbfolge zugesichert und noch bei Lebzeiten seines Adoptivvaters wurde er vom Sultan am 1. September 1848 als Vicekönig anerkannt. Er starb aber schon in der Nacht zum 10. November dess. Jahres in Kairo, nachdem er lange krank gewesen und während der Jahre 1847 und 1848 in italienischen und südfranzösischen Bädern vergebens Heilung gesucht hatte. Ihm folgte zunächst ein Enkel des alten Mehemed Ali, Abbas Pascha, und erst nach dessen Tode 1854 wurde sein ältester Sohn, Said Pascha, Vicekönig. Der Uebers. gewesen; er war den Winter vorher dort; sein Name breitete daher noch Glanz und Glorie über dieses Etablissement aus. Er befand sich auf Aller Lippen, auf den Lippen der Wirthin und aller Kellner; sein Zimmer wurde sofort, als etwas höchst Interessantes, gezeigt und die beiden französischen Worte, die er sprechen konnte, » merci« und » très bien« in ihrer verkehrten Aussprache waren stehende Anekdoten.
Vernet machte im Allgemeinen den Eindruck, daß es sich unter den Badeorten noch in einer Art Unschuldszustand befinde; nur dadurch, Rechnungen schreiben zu können, habe der Chef das Etablissement in die Reihe der ersten in Europa zu heben gewußt, so erzählten mir die Gäste bald nach meiner Ankunft.
Man lebte hier in einer Einsamkeit, einer Absonderung, wie in keinem andern Bade. Und das mag ganz vorzüglich sein; verlangt man hingegen Zerstreuung, so findet man hier nichts für die Unterhaltung der Gäste gethan. Ich spreche natürlich von der Zeit, als ich dort anwesend war, denn ich weiß nicht, was in späteren Jahren in dieser Beziehung geschehen ist.
Bei meinem Aufenthalt daselbst bestand die einzige Unterhaltung der Gäste darin, entweder zu Fuß oder auf Esel eine Wanderung in die Berge zu machen; allein eine solche bot auch etwas so Eigenthümliches, so Abwechselndes, daß man die gewöhnlichen arrangirten Vergnügungen der Badeorte gar nicht entbehrte. – Rund um Vernet ist es, als ob Klima und Vegetation aller Länder durcheinander geworfen wären, der Norden und der Süden, die Berg- und Thalvegetation. An einem Punkte sieht man über die Weinberge hinaus auf einen Berg, der eine Musterkarte von Kornfeldern und grünen Wiesen ist, wo das Heu in Haufen steht; von einem andern Punkte gewahrt man nur die nackten metallartigen Klippen mit seltsam hervorspringenden Steinblöcken, schmal und lang, als ob sie zerbrochene Statuen oder Säulen vorstellten; bald wandert man unter Pappelbäumen, auf kleinen Wiesen, wo die Krauseminze gedeiht – bald befindet man sich im Schutz von Felsen, wo Cypressen und Feigen zwischen dem Weinlaub hervorspringen, so daß man sich nach Italien versetzt glaubt.
Doch die Seele des Ganzen hier, die Pulse, welche unzählbar laut in den Pyrenäen schlagen, sind die Quellen. Dort ist ein Leben, ein Plätschern in dem ewig brausenden Wasser. Ueberall wälzt es sich hervor, quirlt aus dem Moose heraus, braust über die großen Steine dahin; es herrscht eine Flucht, eine Lebhaftigkeit darin, die das Wort nicht wiederzugeben vermag. Man hört einen ewig brausenden Akkord von Millionen von Saiten: unten und rundumher plänschern die Flußnymphen.
Hoch auf der Seite der Felsen an den steilen Abgründen liegen die Ruinen eines maurischen Schlosses. Die Wolken hängen jetzt dort, wo einst der Balkon hing; der Steg, den der Esel jetzt betritt, führt durch den Rittersaal und hoch oben und auf dem Wege, der zur Badestelle führt, hat man einen Ueberblick über das ganze Thal, welches, lang und schmal, ein Fluß von Bäumen zu sein scheint, welcher sich zwischen den rothen, ausgebrannten Klippen windet, und mitten in diesem grünen Thal erhebt sich auf einem Berge terrassenförmig der kleine Ort Vernet, dem nur Minarets fehlen, um einer bulgarisch-türkischen Stadt ähnlich zu sein. Eine jämmerliche Kirche mit zwei langen Löchern als Fenster und dicht daneben ein verfallener Thurm bilden den obersten Theil; darunter gewahrt man die dunkelbraunen Dächer, die schmutziggrauen Häuser mit offenen Holzläden statt der Fenster; aber malerisch sieht es doch aus! Kommt man indessen in die Stadt selbst hinein, deren Apotheker zugleich Buchhändler ist, so bleibt der Totaleindruck: Elend. Fast alle Häuser sind von Feldsteinen aufgeführt, aber nicht von großen, behauenen Steinen, nein, sie sind alle gerade so, wie man sie von altem Straßenpflaster aufgesammelt hat und sie scheinen nur aufeinandergestapelt zu sein. Finstere Löcher bilden Thür und Fenster. Die Schwalben fliegen ein und aus; sie haben ihre Nester im Zimmer unter der Balkendecke. Macht man nun einen Besuch in einem solchen Hause, wenigstens war dies der Fall in dem, das ich besuchte, dann hat man vom ersten Stockwerk einen transparenten Fußboden unter sich, denn durch die abgetretenen Bretter sieht man in eine chaotische Finsterniß hinein. An den Wänden hängt gewöhnlich ein Stück fettes Fleisch, an dem noch das behaarte Fell vorhanden ist. Man erklärte mir, daß man es brauche, um damit Schuhe und Stiefeln zu putzen. Das Schlafzimmer ist auf die grellste Weise al fresco mit Heiligenbildern, Engeln, Kränzen und Kronen wie aus den allerunvollkommensten Zeiten der Malerkunst bemalt. Die Menschen sind ungewöhnlich häßlich, sogar die Kinder wahre Zwergsgesichter; der kindliche Ausdruck mildert nicht die plumpen Züge. Und nur einige Stunden Wanderung auf der entgegengesetzten Seite der Berge hinab nach Spanien blüht die Schönheit, leuchten die klugen, braunen Augen!
Das einzige poetische Bild, das mir Vernet darbot, war ein Blick auf den Marktplatz: Unter einem prächtigen, großen Baume hatte ein wandernder Handelsmann alle seine Waaren, Tücher, Bücher, Bilder – einen ganzen Bazar ausgebreitet; aber die Erde selbst war sein Tisch. Die unschöne Jugend der ganzen Stadt, verbrannt von der Sonne, stand um diese Herrlichkeiten versammelt; ein paar alte Mütterchen schielten dahin aus ihren offenen Guckfenstern; zu Pferde und zu Esel zog eine lange Schar von Badegästen, Herren und Damen, vorüber, während zwei kleine Kinder verborgen hinter einem Bretterstapel Hahn und Henne spielten und fortwährend Kikeriki riefen.
Dagegen ist die einige Stunden hiervon entfernte Festung Villefranche mit ihrem Schloß aus Ludwig's XIV. Zeit ein weit besserer Kaufort, viel bewohnbarer und besser eingerichtet. Der Landweg führt hier durch Olette nach Spanien hinein, und hier ist also ein ziemlicher Verkehr. Viele Häuser erwecken durch ihre hübschen, aus Marmor ausgehauenen, maurischen Fenster-Einfassungen Aufmerksamkeit. Die Kirche selbst ist in halbmaurischem Styl erbaut, die Altäre sind, wie in spanischen Kirchen gehalten; die Mutter Gottes mit dem Kinde ist völlig in Gold und Silber gekleidet. Ich besuchte Villefranche bereits an einem der ersten Tage meines Aufenthalts; alle Gäste des Badeetablissements nahmen an diesem Ausfluge Theil, zu dem Esel und Pferde von allen Seiten herbeigeschafft werden mußten. Die ehrwürdige Karosse des Badechefs wurde vorgespannt und draußen und drinnen mit Menschen gefüllt, als ob es ein französisches Kanalfahrzeug sei, das man auf der Landstraße dahin zog. Ein besonders liebenswürdiger Holsteiner, der beste Reiter von Allen und Alexander Dumas' Freund, der bekannte Maler Dauzats führte den Zug an. Die Forts, Kasematten und Felsenhöhlen wurden besehen und die kleine Stadt Corneilla mit ihrer interessanten Kirche wurde nicht übergangen. Ueberall gewahrt man Spuren der Macht und der Kunst der Mauren. Alles in diesen Gegenden deutet mehr auf Spanien, als auf Frankreich hin; selbst die Sprache schwebt zwischen Beiden.
Und dort in der frischen Bergnatur, an der Grenze eines Landes, dessen Schönheit ich damals nicht kennen lernen sollte, schloß ich die gesammelte deutsche Ausgabe meiner Schriften: »Das Märchen meines Lebens«, von den Engländern » the true story of my life!« genannt. Die Schlußworte dort lauten wie folgt: »Bevor ich die Pyrenäen verlasse, fliegt das nun Geschriebene nach Deutschland, und dies ist ein großer Abschnitt meines Lebens. Ich selbst folge bald nach, und ein neuer, unbekannter Abschnitt beginnt. Was mag sich vor mir aufrollen? Was werde ich vollbringen? Ob der wirksamste Theil meines Lebens noch vor mir liegt? Ich weiß es nicht! Aber dankbar, voll Trostes sehe ich in die Zukunft. Mein ganzes Leben, die lichten wie die finstern Tage, führten zu meinem Besten. Es ist gleichsam wie eine Seereise gegen ein bestimmtes Ziel. Ich stehe am Ruder, habe meinen Weg erwählt; ich thue das Meinige, aber Gott gebietet über Sturm und Meer und steuert mein Schiff anders, und geschieht dies, dann ist das gewiß das Beste für mich: Denn der Glaube an ihn erfüllt meine Brust, und dieser macht glücklich! Wenn man den Weihnachtsbaum anzündet, wenn man daheim sagt: die weißen Bienen schwärmen, dann bin ich, will's Gott, in Dänemark, bei meinen Lieben dort, mit dem Herzen voll vom Blumenflor des Reiselebens, mit gestärktem Körper und erstarkter Seele; dann entspringen neue Arbeiten auf dem Papier. Gott legt seinen Segen darein – Gott will es! – Ein Glücksstern leuchtet über mir. Tausende verdienten es wol mehr, als ich; selbst begreife ich es oft nicht, weshalb gerade mir so viel Freude vor so unzählig vielen Anderen zutheil wird! Die lichte Freude! Aber geht sie unter, gleich der Sonne – vielleicht indem ich diese Seiten schließe, dann hat sie mir doch geleuchtet, ich habe dann meinen reichen Theil empfangen, und geht sie unter – auch dann entsprießt das Beste. Gott und den Menschen meinen Dank, meine Liebe!«
Vernet, in den östlichen Pyrenäen, im Juli 1846.
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