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In Freiheit leben oder mit Ehren zugrunde gehen

Auf dem Kalifenthron in Medina war wieder Blut geflossen. Sein dritter Inhaber, der achtzigjährige Osman, der regiert hatte nach dem Grundsatze: »Freie Bahn für meine Verwandten,« war den Dolchen empörter Fanatiker erlegen. Seine Dienerin Nâile hatte sich über ihn geworfen, um ihn mit ihrem Leibe zu schützen. Vergebens. In dem Wirrwarr waren ihr zwei Finger der rechten Hand abgehauen. Diese Finger und das blutige Hemd des ermordeten Greises wurden bald darauf in der Moschee zu Damaskus ausgestellt, und dazu erscholl der Ruf: »Rache für Osman.«

Dieser Mord gebar den ersten Bürgerkrieg im Islam. Es war da ein rachsüchtiges Weib, welches hetzte, die Witwe des Propheten, Aïscha, von den Frommen die Mutter der Gläubigen genannt. Sie haßte den Adoptiv- und Schwiegersohn ihres verstorbene, Gatten, den vierten Kalifen Ali, und wollte ihn verderben. Auf edlem, hochbeinigem, weißem Kamel thronend, suchte sie mitten im Schlachtgewimmel durch ihren gellenden Zuruf die Krieger ihrer Partei anzufeuern. Ihre auf allen Seiten befestigte Kamelsänfte war bald von den Pfeilen der Feinde so gespickt, daß sie aussah wie ein zorniger Igel. Am Ende der Schlacht, als ihre Streiter tot oder geflohen waren, ergriff der Sieger Ali das Halfterband ihres Kamels, führte sie fort vom Schlachtfelde, und jede Rache verschmähend schickte er sie unter Bedeckung nach Hause.

Der Schauplatz dieser Kämpfe war Babylonien. Dorthin waren Aïscha und ihre beiden Helfershelfer Zubair und Talcha mit ihren zusammengerafften Scharen gezogen, um dort, wo Ali den meisten Anhang zu haben schien, ihm die Krone zu entreißen. Mit Gewalt drangen sie ein in die Palmenstadt Basra, die von Kanälen durchflossene Hauptstadt Südbabyloniens.

In Basra befand sich seit einiger Zeit ein hochangesehener, älterer Mann namens Osman Ibn Hunaif Alansäri, ein Freund des Propheten aus Medinischem Geschlecht, den Ali als seinen Vertreter dorthin entsendet hatte. Die Bevölkerung hatte ihn freundlich empfangen und als Statthalter des Kalifen anerkannt. Als nun urplötzlich die Feinde hereinbrachen und sich der Stadt bemächtigten, begannen sie ihre Herrschaft damit, daß sie Osman unter Mißhandlungen herbeischleppen ließen, rissen ihm die weißen Barthaare aus, wohl die größte Schmach, die man ihm antun konnte, und warfen ihn in den Kerker, augenscheinlich in der Absicht, ihn demnächst zu töten. Ferner bemächtigten sie sich des öffentlichen Schatzes der Stadt und ließen die siebzig Wächter desselben durch ihre Trabanten abschlachten.

In heißer Empörung erzitterten die Herzen der bis dahin so friedlichen Bevölkerung der Stadt. So viel unschuldiges Blut vergossen! Wo war der Rächer? wo der Beschützer gegen weitere Missetat?

Nun erhob sich ein angesehener Mann, das Oberhaupt eines Teiles der Bevölkerung vom Stamm Rabïa, Hukaim Ibn Gabala Alabdi, der noch den Propheten gekannt hatte und als ein Mann von Mut und Überzeugungstreue bewährt war. Er versammelte seine Leute und hielt ihnen folgende Rede:

»Das Blut unseres Statthalters ist uns zu Schutz und Trutz auf Treu und Glauben anvertraut. Wenn er aber auch nicht unser Statthalter wäre, würden wir ihn dennoch verteidigen, weil er unser Freund ist, und wegen seines hohen Ansehens bei dem Propheten. Wie konnte man sich an ihm vergreifen, ist er doch für uns der Vertreter des Rechts und des Reiches. Wir müssen jetzt bedenken: Wer lebt, muß einmal sterben, und der Gestorbene hat sich vor Gottes Thron zu verantworten. Jetzt gilt es: Entweder in Freiheit leben oder mit Ehren zugrunde gehen.« Begeistert stimmten seine Leute ihm zu.

Hukaim sammelte seine kriegsfähige Mannschaft, es waren ihrer nur dreihundert. Früh am nächsten Morgen hielt er vor der kampfbereiten Schar folgendes Gebet: »Die Feinde kämpfen nur um irdischen Vorteils willen. O Gott, töte sie zur Vergeltung für diejenigen, welche sie getötet haben. Laß sie nicht ihre Ziele erreichen und vergib ihnen nicht ihre Sünden am jüngsten Gericht.« Alsdann griffen sie die in der Stadt zerstreuten Feinde an, und es gelang ihnen, sie aus der Stadt auf das offene Feld hinaus zu drängen. Auf ihrem Kamele thronend mußte die grimme Aïscha aus der Stadt flüchten. Draußen aber vor der Stadt kam der Kampf zum Stehen, 12 000 Feinde gegen die 300 Getreuen des Hukaim. Bald von allen Seiten umringt starben sie den Heldentod. Hukaim, kämpfend wie ein angeschossener Eber, erhielt von einem Feinde vom Stamme Asd, als er seiner nicht achtete, einen Schwerthieb gegen den Fuß, der ihn vom Bein trennte. Der Verwundete konnte noch den abgehauenen Fuß ergreifen, schlug damit dem Asditen ins Gesicht, daß dieser zu Boden stürzte, dann warf er sich auf ihn und erstach ihn mit seinem Dolch, wobei er gesagt haben soll:

Der Fuß wich deinen Hieben,
Die Faust ist mir geblieben.

Kurz darauf endete auch er unter den Streichen vieler Feinde. Er fiel neben seinem Sohn und dreien seiner Brüder. Allah aber, der allbarmherzige, allgnädige, ihm sei Preis und Dank, daß er das Leonidas-Geschlecht nicht aussterben läßt. Amen.


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