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Marthe Renate Fischer:
Auf dem Wege zum Paradies

Marthe Renate Fischer wird man unwillkürlich für eine Thüringerin halten, nach der höchst eindringlichen und verständnisvollen Lebendigkeit, womit sie das thüringische ländliche Volkstum schildert. Indessen sie hat sich dieses nur »entdeckt«. Sie hat es so gründlich kennen gelernt, als wenn sie im Saaletal oder auf den Waldhöhen des Thüringerkammes zu Hause wäre, aber sie hat die feinere Beobachtungsempfindlichkeit des von außen Herzutretenden behalten, dem nicht, wie dem Einheimischen, gerade die besondersten Dinge die selbstverständlichen sind. Sie hat sich ehrlich verliebt in dieses eigentümlich anmutige, fleißige, arme, geengte, etwas kleinliche und durchtriebene, immer voll von poetischen Sinnereien und Sinnlichkeiten steckende Volkstum. Aber sie hat jene wertvollere Liebe, die die Kritik nicht verliert; und so aus Gutsein und Überlegenheit erwächst ihr ein gemütvoller Humor, der drum kein geringerer ist, wenn er nicht jedesmal so deutlich auf der Oberfläche liegt.

Fräulein M. R. Fischer ist Neumärkerin von Geburt. Eltern und Voreltern von beiden Seiten waren Gutsbesitzer, und es ist sicher nicht unberechtigt, ihre ausgeprägte Neigung und Begabung für das ländlich Zuständliche, für Sitte, Art und alte Bräuche des Landvolks mit dieser Umwelt ihrer Entwicklung in Verbindung zu bringen. Zuerst schrieb sie Jugendbücher, die sehr gute Aufnahme fanden. Mit den Novellen des Bandes » Auf dem Wege zum Paradies« (1902) schlug sie dann bestimmter die Richtung ein, in der sie sich steigendes Ansehen und dauernden Namen gesichert hat.

Dem genannten Bande ist die nachfolgende Erzählung entnommen. Auch die längere Erzählung »Die Liebesüße« findet sich darin; wohl die trefflichste und gutherzig-schalkhafteste Charakteristik, welche jemals die thüringische Mädelsverliebtheit gefunden hat. Voll Humor wieder und stellenweise von packender Macht ist der Band » Toska baut« (1906), und zur Höhe des großen gestaltenden Entwicklungsromans erhebt sie sich in ihrem neuesten Werke » Das Patenkind« (1907), das in den Mittelpunkt der reichen Handlung ein sich tapfer durch vorbeschwertes Schicksal ringendes junges Ding von armem Mädchen stellt.

Nach dürren Einteilungsbegriffen ist also M. R. Fischer eine Vertreterin der realistischen Erzählerkunst, und wir lachen freilich oft beim Lesen aus Situationen heraus, die sie ihren Modellen auf die intimste Weise abgejagt hat. Aber sie ist Beobachterin des Täglichen mit dem hellen Sinn für das Hinausführende und mit der Kraft für die erhebende Deutung des menschlich Tüchtigen und Schönen: gerade, wie im »Patenkind«, aus den Lebenslagen der Bedrücktesten und der von der Ermüdung am gefährlichsten Versuchten heraus.

Berlin-Zehlendorf.
Prof. Dr. Ed. Heyck.

Auf dem Wege zum Paradies.

Die alte Stumpf war krank gewesen und hatte Mühe gehabt, ihr Hauswesen zu versorgen. Da kam denn ihre Schwiegertochter von Partschefeld herunter und half bei der Landarbeit. Heute sollte noch das Heu herein, und die Erdäpfel sollten behäufelt werden.

Mit der Sonne zugleich kam sie über die Berge, jung und kräftig und mit strahlendem Angesicht, denn sie trug im dunkeln Kattunmantel ihr Söhnchen, das noch schlief und auf das sie ihre Augen richtete.

Still versunken sah sie das Kind an, voll andächtiger Liebe. Wenn dann das bräunliche Kerlchen seine Äuglein rieb, so veränderte sich ihr Angesicht. Sie setzte das Kind auf und drückte es an ihr Herz.

»Gelle Gelt (nicht wahr),« plauderte sie, »bist du da, mein Richard? Hat mein kleines Kerlchen ausgeschlafe? Gib deiner Mutter ein Ei-ei. Ach, du bist ein Garschtger! Du willst nicht! Mir gehn itze jetzt zur Großemutter. Ja, da gieh mir gehen wir hin. Willst denn du zur Großemutter, mein Bübchen?« Sie hob das Kind zu ihrem Gesicht, und der kleine Junge öffnete sein Mäulchen, wie ein Vöglein, das auf Atzung wartet. Aber die Atzung war nur ein sanfter Kuß, worauf die Frau das Kind zurückgleiten ließ und es fester in ihren Mantel nahm. »Hast denn du schon deine liebe Sonne gesehen? Gelle, du kleiner Mann? Da kuckt deine liebe Sonne über die Fichten. Ja, wenn die könnt spreche, die würd dir schon erzählen, was für ein elends, kleines Würmechen du warst. Das ganze erste Jahr bist du bloß geborgt gewasen gewesen – da hat der liebe Gott noch seine Hand auf dir gehabt – daß er dich wollt wiedernehme – jawohl, mein Richard. Da ha ich soviel um dich gebangt – und gebitt – ich ha dich abgebitt von unsern lieben Herrgott. Und nu hab ich dich!«

Und sie schritt hurtig fürbaß, und ihr Gesicht sah still und innig aus und stolz und strahlend ob des köstlichen Besitzes, den sie in ihrem Mantel bei sich trug.

Jetzt ging's den roten Hügel hinunter – jetzt über die Brücke. Zur Linken rauschte der kleine unruhige Uhlschbach. Die junge Frau bückte sich, pflückte ein Sträußchen Vergißmeinnicht und gab es dem Kind in die Hand. Zu beiden Seiten waren fichtenbestandne Berge, die steil aufstiegen. Leuchtend grünes Laubholz drängte sich bis an den Weg und an den Rand des Baches hinab. Die Uhlschlucht ist schmal. Der Weg und das Wässerchen, das ist alles. So ist es auch immer kühl hier, und die Luft ist immer feucht.

Jetzt waren die ersten Häuser von Uhlstädt erreicht.

Der Finzelschneider zog gerade seine Schuhe an, schielte, als er einen hellen Guten Morgen draußen erklingen hörte, durch den Spalt am Rouleau und sagte zu seiner Ehefrau: »Do do – kommt schon d–d–die Ronika von Partschefeld.«

»Welche denn?« fragte die Frau.

»Der–der alten Stumpfen ihre Sch–Sch–Schnure Schwiegertochter. Das is e Staatsweib! Nune hat die schon den Weg gemacht von Partschefeld hierher. Und immer d–d–das Kind aufm Arme. Die muß 'ch loben! Das ist ene Fraue! Nee – das ist merre mehr – das ist eine Mutter! Das ist was – was Heiliges um so eine Mutter, wie die ist, die Ronika. Da richte dich dernach!«

»Mit was denn?« fragte die Finzelschneiderin grämlich, »da mir doch keine Kinder haben« –

So, am frühen Morgen, kam Veronika, und abends, wenn schon der Mond am Himmel stand, machte sie ihren Weg zurück, plauderte mit ihrem Bübchen, bis es müde wurde und in Schlaf versank und in dem Arm der Mutter wie in einer Wiege ruhte.

Wer sie auf Arbeit nahm, wußte, daß sie ihr Kind mitbringen würde.

Wenn sie Feldarbeit machte oder wusch, so saß das Kerlchen daneben in seinem Korb. Kam sie mit Holz von den Bergen, den Korb aufgetürmt, daß die Last hoch über ihren Kopf hinausragte, so trug sie das Kind doch in ihren Armen, wo es auf dem Bäuchlein oder auf dem Rücken lag und das schwellende buntdurchblühte Grün der Gehänge oder den blauen Himmel sah.

Das Haus der alten Stumpf war erreicht.

Die junge Frau trat über die Schwelle, wie jemand, der eine gute Neuigkeit bringt. Den Mantel warf sie ab, setzte ihr Kind auf die Diele, rückte ihm das Sträußchen in der Hand und führte es zur Großmutter. Als sie bei der alten Frau anlangten, die vor dem Ofen hockte und im Feuer stöberte, sagte sie mit klingender Stimme: »Heute is 'r zwei Jahr alt!«

Sie war eine große, schlanke Frau mit bräunlichblonden Haaren. Ihr Gesicht war länglich. Der Mund, die Nase, die Augen waren gerade und schlicht geschnitten. Die Augen waren grau, die Lippen waren rot, die Haut war hell.

.

Wenn nur das Wetter standhalten wollte! Die Sonne stach. Über Rudolstadt lag ein grauer Qualm. Die Berge waren schwarz und schienen nahegerückt zu sein. Überall draußen wurde am Heu und an den Kartoffeln gearbeitet.

Die alte Stumpf hatte ihr Pachtland auf Etzelbacher Gebiet. Der Grasrand, der zur Chaussee hinaufreichte, war abgesichelt, das Heu schon aufgesetzt. Jetzt streute die Junge es auf. Das Kind saß unten am Feld im Waschkorb auf rotgewürfelten Bettchen; oben auf der Chaussee, dicht an die Dornhecke geschoben, stand der Arbeitswagen, darauf das Heu heimgefahren werden sollte.

Die Großmutter war doch mitgekommen und arbeitete sacht mit ihrer Hacke. Es wurde ihr schwer, aber es half nichts: zum Arbeiten waren die Menschen auf die Welt gestellt. Und es hatte was auf sich, sich ehrlich durchzubringen, ohne zu »gribsen stehlen«.

Es gab ihrer, die es mit gutem Mute taten, ohne sich Arges dabei zu denken, wenn sie es auch keinem Menschen anvertrauten. Die hatten immer reichlich Erdäpfel, und die hatten immer reichlich Gras und Heu für die Happe Ziege. Sonntags gingen sie wohl in die Kirche und baten dem lieben Herrgott ab, daß sie eine schlechte Grenze zwischen Mein und Dein gehalten hatten.

Hüben und drüben Bergzüge, dazwischen, im engen Tal der Saale, Wiesen und Felder und der Schienenstrang der Saalbahn. Und hüben und drüben Ortschaften, dicht an die Berge gebettet. Hier Etzelbach mit Weißen, ein wenig talab Uhlstädt mit Ober-Krossen und der Kieke. Auf dem Schienenstrang arbeiteten die Bahnleute. Die Züge dampften vorüber. Nachmittags um drei Uhr flog der D-Zug heran, der nach München geht. Bald danach der D-Zug nach Berlin. Sie rauschten pustend und wild heran und schnitten durch die Felder und die Wiesen.

Der Dunst über Rudolstadt wurde röter, blaugraue Wolken zeichneten sich ab, und zuletzt tauchte ein schwärzlicher Kern auf. Aber hier über Etzelbach und Uhlstädt brannte die Sonne noch immer. Nur daß der Wind strich und kühle Luft vom Wasser herüberwehte. Jenseits des Schienenstranges schlug die Saale ihre wunderbaren Bogen durch den grünen Wiesenteppich.

»Komm, mein Richard,« sagte die junge Frau, »die Großemutter macht jetzt Kindermagd.« Und sie zwang die alte Frau, niederzusitzen und zu ruhen.

Die Alte antwortete: »Kucke do-e! Itze weist er seine paar Hackerchen her.« Sie sprach vom Kind, das sich jubelnd zurückwarf, so daß man seine kleinen spitzen Zähnchen sehen konnte. Denn die Großmutter hatte ein Büschchen blühender Gräser gepflückt, Kleppern und Schmohlen Herzgras und Schmielgras, und neckte das Kerlchen damit, das die kleinen Klepper am Herzgras greifen wollte und die Schmohlen vom Schmielgras, die wie winzige schwimmende Silberfischchen aussahen.

Die Junge gebrauchte den Rechen, harkte das Heu zusammen, packte es in den Korb und trug es die Böschung empor, wo sie es auf den Wagen lud. Achtmal machte sie den Weg. Als sie fertig war, häufelte sie ihre Erdäpfel weiter.

Der Himmel war jetzt ganz bezogen. Die Sonne stand unter Wolken. Tintenschwarzes Gewölk rückte herauf. Hinter der Weißenburg fädelte es. Da sah man die Wolke abfließen, als ob es Tinte regne.

Fertig! Die Junge nahm den Korb auf den Rücken, obendrauf den Bettenkorb; vorn in ihren Armen trug sie das Kind. Die Alte folgte mit den Ackergeräten. So klommen sie den schmalen Weg empor, der, die Böschung schräg durchschneidend, zur Chaussee hinaufführt.

Die Junge zog den Gurt über die Schulter und faßte den Deichselgriff, die Alte schob hinten am Wagen nach. Ging es bergab, so stemmte die Junge mit aller Kraft, während die Alte zurückhielt und sich ziehn ließ.

Bergan, bergab! Bergan, bergab!

Zur Linken hebt sich der Gebirgszug empor, dem der Raum für die Chaussee abgezwungen ist. Schluchten und Risse ziehen heran, der rote Sandstein tritt nackt zutage, hier glatt behauen, da bröcklig wie geschichteter Kuchen, bis zum Berggipfel bloßgelegt. Überall klimmen die Fichten hinan. Oben stehn sie dunkel und trutzig als stolze Krönung. Und rechts unten neben dem Schienenstrang spiegelt die Saale den schwarzen Himmel wieder.

Als der letzte Gipfel erreicht war – die alte Bergstraße ist vor nunmehr fünfundsechzig Jahren zur Chaussee umgebaut worden – hielt die junge Frau an. »Nu sitzt auf, Mutter!« Und die alte Frau klomm auf den Wagen und setzte sich neben dem Kind zurecht.

Rechts unten liegt der Bahnhof, links neben der Fahrstraße die Villa mit ihrem schönen Terrassengarten. Vor der Gartentür stand das Fräulein und sah nach dem Wetter aus.

Da sauste der Wagen die Straße herab.

Die junge Frau hatte sich weit zurückgeworfen, das bunte Tuch vom Kopf, das als Sonnenschutz gedient hatte, war in den Nacken gerutscht, unter dem geschürzten blauen Rock sah man ihre nackten Beine. Ihre Lippen waren geöffnet, die kurze Oberlippe hatte sich hinaufgezogen.

So eine Freude war in ihrem Gesicht! Sie kamen glücklich unter Dach, ohne einen Tropfen Regen geschmeckt zu haben. Hinter sich vom Wagen hörte sie das helle Jauchzen ihres kleinen Jungen und das Kichern der Großmutter, die mit dem Kinde schäkerte.

Die Fabriker hatten eben Feierabend gemacht.

»Guten Abend, Ronika!« rief ein Junger.

»No no,« sagte ein andrer, »hilfst denn du noch immer deiner Schwiegern?«

»Das is recht!« hieß es weiter.

»Das lohnt der liebe Gott!« sagte ein alter Mann.

»Mir kommen heut abend noch nauf auf Partschefeld,« meinte der Schafer-Schuster, der geflickte Schuhe und Stiefel austrug, die er an seinem Stock auf der Schulter hatte. »Mir kommen ins Hochzgenhaus ein Ständchen bringen.«

.

Wie sich der Himmel bezogen hatte, so zerstreuten sich die Wolken wieder, ohne daß ein Regenschauer herniederfiel.

Als das Vieh versorgt war und das Heu untergebracht, trat die junge Frau den Heimweg an. Der Mond stieg gerade über die Berge jenseits der Saale, über Ober-Krossen und der Kieke, er sah dick und rot und ein wenig schief aus. Zwei Tage vor dem vollen Monde wars.

Als Veronika aus dem Hause trat, hob sie das Kindchen empor. »Mein Richard, wu is denn dein Mondlichtchen?«

»Da–a–eia!« sagte das Kind.

»Gelle – du zeigst mir dein Mondlichtchen?«

»Da–a–eia!«

So ein herziger Junge war's! Fein und schlank, und dazu ein spitzes Gesichtchen, ein rechtes Jungenschelmengesichtchen! Man sah schon den kleinen Unband aus den Augen lugen.

»Zeig mir, mein Richard, wu is dein Mondlichtchen?«

Wenn die Frau zu ihrem Kinde sprach, sang ihre Stimme ein wenig. Wenn sie mit dem Kinde umging, war sie von einer stillen Holdseligkeit. Die Fremden, die sie so erblickten, blieben stehn und schauten ihr nach. Kam sie daher ohne das Kind, so gingen sie an dem schlichten Gesicht vorüber, ohne es zu beachten.

»Zeig mir, mein Richard, wu is dein Mondlichtchen?«

Das Kind blickte um sich. Nirgends war das Mondlichtchen zu sehen. Aber es war doch hell, und die ersten Sterne zeigten sich schon am Himmel.

So ein schlauer, kleiner Kerl war's! Am Arm der Mutter zwängte er das Köpfchen vorbei, daß sie Mühe hatte, den ungestümen kleinen Mann im Mantel zu halten. »Da–da – ei–eia! eiaa! eiaa!« Hinter dem Rücken der Mutter stand das Mondlichtchen am Himmel, schon ein wenig gelber geworden – schon ein wenig emporgerückt – »Eia!«

Die Frau hob das Kind hoch empor zu ihrem Gesicht, das sie ein wenig zurückbog. Und das Bübchen öffnete sein Schnäbelchen, um zu küssen und sich herzen zu lassen. –

Als sie ihr Mittagsmahl draußen im Felde verzehrt hatten, hatte die Schwiegermutter gesagt: »Nu liegt dein Mann schon über zwei Jahr aufm Gottesacker. Der hat die Freude nicht erlebt, daß sein Kind is geboren worden. Is doch eine schwere Zeit gewesen, die du hast mußt durchmache.«

»Ich habs doch geschafft,« hatte die Junge geantwortet.

»Wärs denn nicht besser for dich, du täst wieder heiraten?«

»Ich heirat nicht merre.«

Das wollte der alten Frau aber nicht passen.

»Du kannst wähle,« hatte sie behauptet. »Über dich läßt keiner nichts kommen.« Und dann hatte sie angefangen, von Zieglers Großem zu erzählen, was der für ein Bursch wäre – der tüchtigste Maurer bis nauf nach Rudolstadt. »Wenn der das in Mitteln hätte,« hatte sie gesagt, »der könnte Orcheteck werden.« Er war auch ein nüchterner Mensch, der sich einmal nicht an seiner Frau vergreifen würde. So hatte sie weiter gesprochen, und die junge Frau hatte neben ihr gesessen mit dem kleinen Richard in ihrem Schoß, so besitzstolz, als ob sie mit niemand tauschen würde.

Und dann hatte sie doch gelächelt, indes ihr Gesicht sich rötete. Hatte es etwa einer der Schwiegern zugetragen, daß er ihr wieder zu Gefallen lief, der Bursch? Daß er jeden Abend, so lange sie ihrer Schwiegern geholfen hatte, ihr angetragen hatte, ob er sie heimführen solle? Aber sie brauchte keinen »Hämführer« nicht. Und dann häufelten sie ihre Erdäpfel weiter, und die Züge brausten vorüber, und die Frauen, die auf den Nachbarfeldern sichelten und häufelten, kamen heran und plapperten und erzählten, und oben auf der Chaussee zog der rege Verkehr von Fußgängern und Fuhrwerken und Radfahrern vorüber.

Neben der Jungen hatte die alte Hanne gearbeitet, hatte verstohlen geseufzt und hinterher gehustet, daß die Schwiegertochter nicht hören sollte, wie schwer ihr die Arbeit noch fiel. Und der Junge hatte gejauchzt und gespielt, und der alte Herr aus der Villa, der seinen Spaziergang machte, war oben an der Dornhecke stehn geblieben und hatte hinuntergerufen, er habe eben eine Kreuzotter gesehen, in der Gegend der Felsenkeller an der Böschung.

»Ja, da is e Nest, ma weiß bloß nicht, wo das is,« antwortete die alte Hanne und hielt mit Behäufeln inne. »Das ist unterm Gestrüppe – jo-e. Ma muß sich vorsehe!«

Und die Junge fiel selbstvergessen ein: »Hat denn nicht Zieglersch Oskar vorm Jahre da eine totgeschlage?«

»Es waren ihrer zweie – jo-e,« antwortete Hanne entzückt.

Und dann hatten sie wieder gearbeitet, und der Himmel war dunkler geworden, und die Luft feuchter und unsommerlicher.

Und in der Jungen spannen die Gedanken.

Es war doch wohl ein Zufall, daß sie nicht den geheiratet hatte, den die Schwiegern ihr jetzt aufschwatzen wollte. Er war von jung an hinter ihr hergewesen, als sie kaum ihre Schulröcke ausgezogen hatte. Sie stellte sich's vor, wie es ihm ließ, sah ihn im Geiste vor sich stehn. So sann sie und spann sie.

Sie häufelte weiter, packte das Heu in die Körbe, lud das Heu auf den Wagen, stand oben an der Dornhecke, reckte sich und lugte. Aber sie hatte sich getäuscht, der da des Weges kam, war nicht der Bursch. Der Bursch war größer, sehniger, breiter. Seinen Kopf trug er verwegen ein wenig im Nacken. Braune, lockige Haare hatte er, hellgraue Augen, schwärzlich-blau umzogen. Sein Schnurrbart war so dick, daß er ihm fast die Lippe verdeckte. Sowie er seinen Mund zum Lachen zog, blitzten aber doch die Zähne hervor. Stetig bei der Arbeit, nüchtern im Hause, guter Dinge, wenn es auf den Tanzplatz ging oder zum Komödiespielen. Wie der Wind fegt, so tanzte er, war aber deswegen kein Faxenmacher und war nicht allzuhäufig auf dem Tanzplatz anzutreffen.

Damals war gerade der Sohn der alten Stumpf von den Soldaten frei gekommen. Da faßte es sie und hatte sie nicht wieder losgelassen. Wenn er ein wenig später freigekommen wäre, hätte sie sich dem andern wohl schon versprochen gehabt. Es hatte sie doch gefreut, daß er nach ihr lief –

Dunkel von Tränen war es in ihrer Brust geworden. Ihre Ehe hatte ihr viel Herzeleid gebracht. Jetzt war sie frei, hatte ihr Kind und wollte keinen Heimführer mehr.

.

Die Uhlschlucht war jetzt erreicht.

Ehe sie in das feuchte Halbdunkel tauchte, drehte sich die Frau noch einmal zurück und zeigte dem Kinde das gelbe Licht am Himmel. Es stand noch nicht hoch genug, daß man es in der Schlucht hätte erblicken können, und trat sie aus dem Walde heraus, so schlief das Kind. Kucke, mei Richard, da stieht dein Mondlichtchen!« – Und dann schritt sie weiter und schickte ihre Blicke voraus, daß sie ihr Kundschaft brächten.

Zuerst ist noch ein wenig Grasplan zur Linken, dann, neben dem Maschinenhaus, ein eingezäuntes Stückchen Gartenland; danach aber tritt der Berg heran mit seinen grünen Landpartien, die den Fuß der Berge hier umrauschen.

Auf dem Wege spielten Schatten, frei lag er da vor der ausschreitenden Frau. Aber bald mußte sie die Biegung erreichen. Es wurde ihr heiß im Kopf, und ihr Herz fing an zu klopfen. Sie setzte ihre Füße schneller, um eher um die Biegung herumzukommen – und dann war die gefährliche Stelle umschritten, und frei lag der Weg vor ihren Augen da.

Sie atmete tief, bückte das Gesicht, sagte zum Kinde, indem sie es leise drückte: »Mei Guter.« Und es klang doch nicht so, als ob sie zufrieden wäre.

Plötzlich hörte sie es aber im Strauchwerk rascheln, und von der Seite sprang eine Gestalt hervor und stellte sich mitten in den Weg, so daß niemand an ihr vorüber konnte. Die Frau erschrak und machte sich mit dem Kinde zu schaffen. Dann strich sie an ihren Haaren, die hinter den Ohren aus sprangen und in kleinen schlichten Strähnen herunterhingen. Und dann war sie dicht herangekommen und konnte keinen Fuß mehr vor den andern setzen, sie wäre denn gegen den Burschen gelaufen.

Mit den Worten: »Du hast mich aber hinte heute lange warten lassen!« empfing sie der.

Sie antwortete ungehalten: »Ich ha dich nicht herbestellt.« Nachdem sie eine Minute gewartet hatte, er solle Raum geben, sagte sie: »Mach Platz!« Und als er nicht Folge gab: »Ich hab' keine Zeit, hier herumzustehn.«

»Bei mir pressierts auch,« entgegnete der Bursch mit lachendem Munde. Seinen Worten zum Trotz blieb er aber fest auf seinen breitgestellten Füßen stehn.

Es war kein Geräusch des werktägigen Lebens zu vernehmen, auch sonst kein Tagesgeräusch. Die Vögel hatten ihre Nester schon längst aufgesucht in der Tiefe des Waldes und in den Kronen der Laubbäume. Die Abendluft zog kühl und kräftig daher; würzig durchtränkt sank sie herab von den Höhen der Berge. Ganz fern, stromab, ließ sich ein dumpfes Gewitterrollen hören. Da mochte sich das Wetter jetzt entladen und bange Gemüter erschrecken. Und sacht klang das Rauschen des Uhlschbaches, der unverdrossen zu Tale plätscherte. Droben wölbte sich der klare Himmel, hüben und drüben zu beiden Seiten stand die gerade, stolze Linie des Höhenzuges gegen die lichte Himmelsfarbe. Friede, köstlicher, waldeinsamer Friede lag weithin ausgebreitet.

Sie standen ganz allein mitten in der Uhlschlucht.

»Wollen mir's denn itze nicht feste machen?« fragte er leise.

Sie antwortete ebenso: »Mei kleiner Junge is müde.« Dann sagte sie bange: »Ich muß sputen, daß ich hämkomme.« Sie senkte den Kopf. »Mach Platz!« sagte sie wieder. »Was willst du mich festhalte, das hat keinen Zweck!«

Da fing er an, auf sie einzureden. Sie wollten doch nun lieber heiraten, sagte er. Adam, sein Vater, wäre auch einverstanden. Auf ihren kleinen Jungen wolle er gut sein, sagte er, den wolle er halten, als ob es sein eigner wäre. Er habe auch schon gespart, sagte er. Und dann sprach er von ihrer Schwiegern, wenn sie der hier und da hülfe, er würde nichts dagegen haben. Ganz ruhig sprach er zu ihr. Er müsse jetzt heiraten, sagte er, die Mutter schaffe die Arbeit nicht mehr. Sie hätten doch den eignen Berg, Etzelbacher Pachtland dazu. Und dann müsse auch eins da sein, das was ausbessere oder was flicke.

Sie hatte ihre Wange an den Kopf des Kindes gelegt. Als er schwieg, sagte sie stockend: »Mein Guter!« – und küßte das Kind.

Der Bursch sprach weiter. Sie solle mit ihm umkehren. Er müsse erst noch seine bessern Sachen anziehn. Sie hätten nachten in Partschefeld ein Ständchen zu bringen. Wenn er sich angezogen habe, wolle er sie heimführen. Er stand vor ihr in seinem Arbeitszeug, der weißen Leinenhose und der dunkelblauen Wolljacke. Hatte verwegen das Haupt gereckt. Reckte auch seine Brust und sagte, sie solle ihm nun das Kindchen geben. Lockte das Kind, es solle zum Vater kommen. Streckte seine Hände nach dem Kind aus und sah die Frau dabei an. Sah sie an – so frei, so verwegen, so listig, so siegesgewiß – ich bin der Mann, ich!

Und sie stand da und sah ihn wieder an und regte sich nicht. Der Atem strich über ihre geöffneten Lippen, ihre Wangen waren allmählich röter und röter geworden.

.

Zu derselben Zeit, als die junge Frau in die Uhlschlucht getreten war, waren auch am andern Ende zwei Weiber hineingetaucht, da wo der rote Hügel beginnt und der Uhlschbach aus dem feuchten Düster des Grundes zutage tritt. Der Grund liegt abseits von der Fahrstraße, ein schmaler Fußpfad zwischen Laubgebüsch zur Seite des murmelnden Bächleins.

Aus dem Grunde kamen die beiden Weiber geschritten, mit einer Ladung Gras auf ihrem Rücken. Die Körbe waren so hoch und breit gepackt nach allen vier Seiten, daß die Frauen unter der Last fast zusammenknickten. Sie hatten die Arme unter die Brust gelegt und bückten sich vornüber. Ihre Augen waren emporgewandt, so daß man den weißen Augapfel leuchten sah. Um den Kopf hatten sie fest ein helles Tuch gewickelt; unter dem hellen Tuch hervor sah das sonnenbraune Gesicht mit den von der Arbeit geschärften Zügen. Und darüber die grüne Graslaube, und vorn am Strick, der die Ladung hielt, ein Bündel medizinischer Kräuter, Nesselblüte, Fingerhut, Tausendgüldenkraut.

Das eine Weib, lang und hager, kerzengerade aufgeschossen, wurde die huckichte Mine geheißen. Der Mann, von dem ein gütiges Geschick sie zeitig befreit hatte, war bucklig gewesen. Das andre Weib, mit kugelrundem Nacken und eingeschnürter Brust, wurde Anne-paff genannt. Wenn der Mann heimkam, nicht ganz gerade auf seinen zwei Beinen, so pflegte er zu sagen, indem er zum Knüttel griff: »Paff, Anne, paff!« Er meinte, sie solle sich's nur unterstehn, zu schelten!

Anne-paff und die huckichte Mine klagten einander von ihren Ehemännern, von dem toten und von dem lebenden. Der verewigte huckichte Schuster war ein fürchterlicher Schläger in seinem Hause gewesen. Die huckichte Mine wußte gar nicht, wie ihr recht eigentlich geschah, da sie der täglichen Verpflegung jetzt entbehrte. Anne-paff behauptete dagegen, daß der Mann schuld an ihrem runden Nacken wäre.

Sie wurden gar nicht müde, von ihrem Jammer zu erzählen. Ihre Zungen wurden jung und arbeitslustig. Ihr Rücken spürte nicht die Last des Korbes. Eifrig schritten sie daher und plapperten und klagten. Und dann kniff wohl die eine den Mund ein, und die Brust schütterte leise, und die harte Arbeitsfaust wischte an den Augen, die voll Tränen standen. Ach, wenn sie noch einmal jung wären! Nach keinem Burschen wollten sie ausschaun!

Machte es denn Schneiders Linna, drüben von der Kieke, nicht recht? Die nahm ihr Kindchen, das sie ledigerweise hatte, und den Schelm jagte sie zur Tür hinaus. Das Kind würde sie schon durchbringen, hatte sie gesagt. Was sie mit dem Mann denn solle? Der sei ein Schelm auch zu andern Mädchen! Das habe sie zuvor nicht gewußt! O weh! O weh!

So schritten sie daher und jammerten und erzählten. Und wo ihre klagende Stimme erscholl, hob sich etwas empor und entfloh – der waldeinsame, köstliche Friede.

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»Ist denn das nicht der Stumpfen ihre Schnure?« fragte die huckichte Mine.

»Ja – die is stienich geblieben stehen geblieben mit Zieglersch Großen.«

»Die hat wohl schon die guten Tage satt, wo sie nicht braucht bange haben?«

Anne-paff rief schon von weitem: »Du hast's gut! Du kommst häm, wann du magst! Dich darf keiner torbiere ärgern

»Ach,« meinte die huckichte Mine seufzend. »Wer's einmal durchgemacht hat« – Und sie hielten bei dem jungen Paar, das zur Seite getreten war.

Sie standen so tief vornüber gebückt, daß der Korb flach auf ihrem Rücken ruhte; die Arme waren fest unter der Brust angezogen. Und die Augen waren wehleidig emporgerichtet und sahen anklagend den Burschen an.

Der aber stand da und lachte über den Jammer der Weiber! Er heiratete die Ronika, und an der vergriff er sich nicht – der tat er schön. Mit der scharmierte er – vorerst alle Tage, dachte er in lachender Freude, danach nicht so ofte; aber ganz eingehn tu ich's nicht lossen. So stand er da, die Hände in den Taschen der weißen Leinenhose, den verschossenen Filzhut im Nacken, daß die Haarbüsche darunter hervor in die Stirn lugten. In den lachenden Augen eitel Schalkerei, und den Mund vor Übermut ein wenig offen. Gelegentlich neigte sich der Kopf ein wenig nach hinten. Stolz und mutig sah das aus.

Neben dem Burschen stand die junge Frau, die sich unruhig mit dem Kind zu schaffen machte. Sie hob es auf den andern Arm und wickelte aufs neue mit ihrem Mantel das Schneckenhäuschen.

Zuletzt legte sie ihre Wange an den Kopf des Kleinen, küßte ihn verstohlen und flüsterte: »Mei Guter – wir müssen itze häm – gelle! – Der Schlaf sitzt dir schon in deinen kleinen Köpfchen. Sprich: ei jo! zu deiner Mutter – sprich, mei Guter.«

Ihre Augenlider waren gesenkt, die Röte war von ihren Wangen entwichen, und aus ihrer Brust die sachte Sehnsucht, die sich unvermutet eingestohlen hatte. Dafür war die Erinnerung wach geworden an die entschwundnen Leidenstage. Und als sie endlich aufblickte, sah sie die geröteten, anklagenden Augen und die verwitterten, arbeitsmatten, braunen Gesichter der Weiber, die sich eben anschickten, weiterzugehn.

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Sie trat auch auf den Weg.

Als sie kaum ein paar Schritte getan hatte, fühlte sie, wie der Bursch sie umschlang.

»Da giehts nicht häm –«

Sie machte sich frei und antwortete kurz: »Da giehts häm für mich.«

»Du kommst itze häm zu meinen Eltern –« sagte er.

»Ich hab da nichts verloren,« antwortete sie.

Er legte wieder den Arm um sie. »Mir wollens doch heute feste machen, wenn mir heiraten – gelle?«

»Ich habs Heiraten satt.«

»Hasts ja mit mir noch nicht probiert,« flüsterte der Bursch.

Sie hob den Kopf, sah ihn erschrocken an und stieß heraus: »Das kann ma nicht probiere, da sitzt ma gleich drinne –«

Er ließ sie frei; aber er trat wieder breit auf den Weg, so daß sie ihm nicht entweichen konnte. Es war hier ein wenig heller geworden. Jedes Steinchen auf dem Wege war zu sehen, jedes Zweiglein, das sich in dem Abendwind bewegte, und der Bursch sah deutlich jeden Zug in dem Gesicht der Frau, wie sie sich auflehnte und wollte sich nicht besiegen lassen.

»Laß mich häm,« sagte sie feindlich.

»Häm zu mir!«

Sie antwortete mit zuckenden Lippen: »Ich heirat nicht merre.«

Der Bursch stemmte die Hände auf die Hüften und sagte befehlshaberisch: »Du heiratest noch einen, mei Schatz, und der bin ich!« Und dann fing er wieder an, auf sie einzusprechen. Ob er ein Mensch sei, wie der huckichte Schuster gewesen war, fragte er sie, oder ob sie ein Weibsen sei, wie so die Weibsen sind, die von ihren Männern geschlagen werden? »Natürlich – wenn eine Fraue nicht ihre Sache macht – jo, da druckt er ihr was auf, der Mann. Das ist nune so. Aber was e ordentlichs Weibsen ist, die braucht sich nichts gefallen zu lassen. Und so Leute wie wir – die reden von so was nicht. Da kommt so e Akt nicht vor. Wir wirtschaften in Frieden miteinander. No« – sagte er, lachte und sah sie durchtrieben an, »das is doch auch was Schönes, wenn wir so werden in unserm Stübechen sitzen – der Kleine schläft dann schon. Und wir haben uns gerne. Wir sind beide ganz alleine mitnander. Ich halte dich in meinen Armen – tu schöne mit dir – du mit mir auch – Wenn heirat mer nun?«

Sie antwortete halsstarrig: »Ich habs Heiraten satt.« –

Sie schwiegen beide. Die Frau fing an, ihr Kind zu schaukeln, sie trat immer einen Schritt vor und einen zurück; der Bursch stand unbeweglich da und überlegte, ob er sie vorüberlassen solle. Er hatte wohl mit den Mädchen scharmützelt, aber nur an dieser einen hatte sein Herz gehangen.

Das sagte er ihr. Er erinnerte sie daran, daß er ihr von allem Anfang zu Gefallen gelaufen war. »Das mußt du noch gut machen,« sagte er leise.

Sie antwortete nicht. Sie stand da mit gesenktem Haupt, ohne ihn anzusehen.

Er riß seine Wolljacke auf.

»Ich ha genug um dich gelitten,« brach es aus ihm heraus. Seine Stimme zitterte, er konnte sich nicht mehr beherrschen. »Ich ha genug um dich gelitten – wie du hast Hochzg gehabt – und dernach – wie dirs nicht gut gegangen ist in deiner Ehe – Ich hab den Kerl wollt erstechen – wie ich gehört habe« – Er schob seinen Hut auf dem Kopf und wischte über sein Gesicht – »wie ich gehört habe« – sagte er unwirsch, »daß er sich an dir vergriffen hatte.« – Er lachte kurz auf, wischte wieder über sein Gesicht. Dann hatte er sich gefaßt und streckte seine Hände nach dem Kinde aus. Es solle nun abgemacht sein, meinte er, und sie solle ihm das Jungchen reichen.

Aber die Frau wich zurück und versuchte, an ihm vorüberzuschlüpfen. Als es ihr nicht gelang, warf sie ihren Mantel zur Seite ins Gras. Sie setzte ihr Kind daraus nieder, hockte selbst auf den Erdboden vor dem Kinde, den Kopf ein wenig vorgebeugt.

»Sags den Vetter, mein kleines Kerlchen, du willst keinen Vater nicht haben!« stieß sie heraus. »Deine Mutter heirat nicht mehr! Und das is ein for allemal gesagt! Mir wollen nicht! Er soll uns zufrieden lassen!« Sie faßte das Kind mit ihren beiden Händen, drückte es und flüsterte: »Itze wird deine Mutter dir noch e Sträußchen pflücken – weil du doch heute Geburtstag hast – was mir in die Stube stellen. Mach ade! ade! zum Vetter!« So hockte sie vor dem Kind, das mit den Händchen zu winken begann, der Vetter solle heimgehn.

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Steif aufgereckt, die Brauen zusammengezogen, sah der Bursch ihrem Treiben zu.

Die Frau drehte unruhig ihren Kopf, die kurze Oberlippe hatte sich ein wenig hinaufgezogen. Endlich richtete sie sich auf und huschte hinab zum Bach. Und da verging eine Weile mit Pflücken und Bücken. Wenn sie wieder ein paar Stengel zum Strauß gefügt hatte, wischte sie sich verstohlen über die Augen.

Der Bach stand ganz blau von Vergißmeinnicht, und doch ging die Arbeit langsam vonstatten. Endlich kam die Frau aber herauf zum Wege. Sie klomm empor, ohne den Burschen anzusehen.

Als sie auf das Kind zuschritt, bewegte sich etwas Fremdes im Grase, und sie sah einen langen, dunkeln Körper huschen. Der Körper, dünn und glatt wie ein Stab, glitt gerade auf das Kind zu. Das Kind aber entsetzte sich, schrie auf und schlug mit den Händen. Und die Schlange bäumte auf und –

Ganz dicht vor dem Kinde geschah es, schon auf dem Mantel.

Und im Kopf der Frau bloß der eine lähmende Gedanke – der eine gräßliche, würgende, fürchterliche Gedanke: Die Kreuzotter! Das Kind ist verloren!

Kein Schrei auf den Lippen der Mutter! Kein Gebet im Herzen der Mutter! Nur der eine Gedanke in ihr – der tötende – der lähmende – der grauenhafte Gedanke in ihr! Leben oder Sterben aber war in zwei Sekunden zusammengedrängt!

Ehe sie noch völlig herzustürzen konnte, flog der Körper des Tieres schon durch die Luft, wie eine geschleuderte Peitschenschnur, fiel weiter unten schlaff herab und blieb mitten im Wege liegen.

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Die Mutter hatte das Kind emporgerissen, besah, befühlte den kleinen Körper, kniete nieder, zog das Kleidchen herunter, besah, befühlte – wieder und wieder. Ihre Hände zitterten so, daß sie das Kind kaum halten konnte. Das Schluchzen versperrte ihr die Kehle.

Da langte das Kind nach ihren Wangen, streichelte und sagte: »Eia!«

Und jetzt erst fand sie Worte. »Mein Richard! Mein lieber Sohn!« Sie faßte es und faßte es nicht. Sie begann zu wehklagen. »Mein Gott im Himmel, sieh auf mich herab!« Dann wollte sie sich aufraffen, strauchelte, fühlte, wie eine Hand sie bei der Schulter packte und sie emporzog.

»Nu mach, daß du hämkommst,« sagte der Bursch. »Was kuckst du mich so an?« fuhr er heraus. »Ach so! Das is wegen der Kreuzotter! Da mach dir keine Kopfschmerzen drüber.«

Er faßte sie beim Arm und führte sie ein Stück den Weg hinauf. Sie weinte still und sah auf ihr Kind hinab. Als sie ihm danken wollte, wehrte er unwirsch ab.

»Das laß nur sein. Das hat nichts auf sich.«

Am roten Hügel kehrte er um.

Als sie glaubte, daß er ihr Rufen nicht mehr vernehmen könne, fing sie an, ganz laut zu weinen. Sie sprach zu Gott. Sie sprach mit ihrem Kinde. Alles, was sie dachte, sprach sie vor sich hin.

»Ich hab ihm 's Jungechen nicht wollt geben, und nu hat er mir's gegeben. Das ist Gottes Weg gewesen! Lieber Gott, du hast mich wollt strafe, daß ich so kleinmütig bin. Lieber Gott, du bist zu mir gekommen mit deiner Zuchtrute! Aber du hast mich nicht geschlagen und nicht verlossen!« Sie hielt ihr Kind ganz zart an ihrer Brust und liebkoste es.

Als sie aus dem Walde heraustrat, sah sie den Mond, der schon hoch am Himmel stand und Weg und Berg und Schlucht überstrahlte.

»Sieh, mein Richard, da stieht dein Mondlichtchen; du kannst dein Mondlichtchen noch sehen! Ich hab dich noch! Ich halte dich noch!«

Sie weinte und weinte. Da das Kind unruhig wurde, sagte sie: »Sei stille, mei kleines Kerlchen, mir gehn nu häm ins Bautzebettchen. Sprich danke zum lieben Vater im Himmel, mein Richard. Wenn der dich nicht hätte beschützt mit seiner Hand, dann müßt ich dir itze dein Sterbekleidchen anziehn. Dann wäre deine Mutter itze verlossen. Und du wärst im Himmel bei deinen lieben Engelchen.«

Sie war endlich daheim. Das Kind schlief schon und wurde auch nicht wach, als sie es auszog und in ihr Bett legte. Sie selbst saß auf dem Stuhl davor, lauschte den Atemzügen und sprach zu dem Mondlichtchen, das ihr gerade ins offne Fenster schaute.

»Er sieht dich noch,« flüsterte sie und wiederholte: »Er sieht dich noch.«

Vom Hochzeitshaus trug der Wind das Jauchzen und Kreischen der Burschen und Mädchen herüber. Da dachte sie: »Ich hab's ihm nicht wollt gebe – und nu hat er mir's gegeben. Nun ist das so gut, als ob er der Vater wäre von meinem kleinen Sohne.«

Kaum eine Woche zuvor war hier oben ein Kind gestorben. Der kleine, weißlackierte Sarg mit seinen bunten Rosenkränzen hatte vor dem Elternhaus gestanden auf einem schwarzgebeizten Ständer, ehe er abgeholt worden war zum Gottesacker. Es war ihr jetzt, als sehe sie auch vor ihrem Haus die Bahre stehn, aber der Bursch trat herzu und schaffte sie fort.

»Wenn ich ihm 's Jungechen gereicht hätte – so wäre mir das alles erspart geblieben –«

Draußen hasteten zwei Burschen vorüber. Sie hörte, wie der eine sagte: »Es is gleich elfe, mir müssen sputen« – Dann wurde ihr Kopf schwer, ihre Gedanken verwirrten sich.

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Der Männergesangverein war inzwischen auch unterwegs. Von allen Enden waren sie herangekommen, von den Feldern, aus ihren Gehöften, aus ihren Werkstätten. Der Schafer-Schuster trocknete noch sein Gesicht mit dem Taschentuch, als er herzulief. Es waren nahe an dreißig Männer versammelt.

Zuletzt kamen die beiden Zieglers, Vater und Sohn, und Adam sagte gleich, als er kaum sein »Guten Abend beisammen!« gesprochen hatte: »Nu haben mer auch wieder eine Kreuzotter gehabt. Vorm Jahre hat Oskar ihrer zweie tutgeschlagen. Ja, der hat was gelernt bein Soldaten. Aber das war an der Chaussee bei Etzelbach, und heute war's am Uhlschbach.«

Sie sprachen von der Prämie, die auf den Kreuzotterkopf gezahlt wird. Dabei erzählte Oskar, daß beinah das Enkelkind der alten Stumpf gebissen worden wäre.

Sie hatten ihre ausgeschriebnen Stimmen und ihre gezognen Lichte und machten sich aus den Weg.

Als sie an die Stelle kamen, wo er mit Veronika gesprochen hatte, blieb der Bursch stehn und sagte: »Hier war's! Ist doch sonst kei Unglücke passiert; aber heute hing's an einem Haare. Der Kleine fing an, daß er sich monkierte mokierte, nicht einverstanden zeigte. Er schrie los, und dann wollte er schlagen – na, und das mag sie nicht leiden. Ich ha sie getroffen mit dem Stocke. Die flog los wie e Vogel. Nachher hab ich ihr noch den Kopf abgehackt.«

Einer steckte ein Licht an, und dann fanden sie auch den Körper ein Stückchen weiter unten.

»Was hat sie denn gesagt?« fragte der Schafer-Schuster; er sprach von Veronika.

»Sie tat nichts dergleichen! Sie weinte. Na, was so Weibsen machen. Sie hat den Kleinen gleich bekuckt, ob's auch sicher is. Und dann hat sie angefangen zu beten. Sie war ganz verstört. Es ist ihr sehre nahe gegangen. Das weiß doch jeder, wie sie an dem Kinde hängt.«

»Ja,« sagte der alte Adam, »das ist rührend anzusehen. Und zu ihrer Schwiegern, da nimmt sie sich ganz potent patent, ohne Tadel. Vor der Fraue muß man Achtung haben. Wie die geheirat hatte, da hat die auch ihr Jungferngeld zu Recht und Ordnung gekriegt. Da kann sich keiner rühmen, daß sie mit'n hasseliert schön getan hätte. Die hat nichts dergleichen getan. Und so auch nach den Tode von ihren Manne. Na, nu gehn mir wohl weiter.«

»Wir gehn so schöne dichte vorbei,« sagte der Schafer-Schuster scheinheilig. »Da könnten mer ihr auch was singen.«

Aber ein Gelächter brach los. Den Weibsen würden keine Ständchen gebracht. Bloß den Mitgliedern vom Gesangverein bei Geburtstag und Hochzeit.

»Was das nu anbelangt,« hub der alte Adam an, »so sind wir eigentlich noch in ihrer Schuld. Ihr Mann ist den Abend vor seinen Geburtstag gestorben – gerade zwei Stunden, bevor wir ihm wollten 's Ständchen bringen. Der sang einen schönen ersten Baß, wenn er auch sonst kee Geschicke hatte – Na, und der kleine Junge is hinte heute zwei Jahr und is hinte aus Lebensgefahr gerettet worden – gerade auf seinen zweiten Geburtstag. Da könnten mer ja den kleinen Jungen ein Liedchen singen. Und wenn sich's die Mutter annimmt, dann is oo gut.«

Nein, nein, sie wollten nicht.

Adam zog sein verschmitztes Gesicht und meinte: »Es war bloß en Vorschlag.«

Wie der Schafer-Schuster aber von der Sache nicht abkam, so sagte er weiter: »Ich bin nu dreiunddreißig Jahre beim Verein. Ich habe den Verein gründen helfen. Der ist Anno sechsundsechzig gegründet worden. Itze bin ich Ehrenmitglied und gehe frei aus wie ne Hirtenkuh. Ich bezahle kein Beitragsgeld mehr. Also in der ganzen Zeit haben mer wegen kee Weibsen gesungen. Das ist ja nu hier sozusagen ein Ausnahmefall, wenn mer so was Kirchliches hätten gesungen, wie ›Nun danket alle Gott‹ oder ›Befiehl du deine Wege‹, aber da haben mir keine Noten zu. Mir könnten bloß singen: ›Harre, meine Seele, harre des Herrn‹, da haben mir die Noten mit, denn das wollen mir Alinen singen, oder vielmehr unsern Kullegen, mit den sie Hochzeit hält.«

Die Stimmung kam nicht heraus. Sie lachten.

Vorn am Zuge schritten die beiden Zieglers. Die Männer traten schwer und fest auf. Es hörte sich in der Stille der Nacht an, als ob ihrer ein ganzer langer Zug daherkäme.

Einige rauchten ihre schlechte Zigarre. Dabei unterhielten sie sich über den Ausgang der Ständchen. Im Hochzeitshaus wurde häufig Wurst und Fleisch vorgesetzt; natürlich wurde Bier dazu getrunken. Andre sprachen über ihr Geschäft und über die Landwirtschaft.

So wurde die Meinung verträglicher.

Da sie bald am Ziel waren, schmeckten die Männer schon alle ein wenig den guten Trunk, der folgen würde.

Es ging nun ganz gemütlich her. Einer erzählte eine Schnurre, und die andern lachten darüber. Dann war einer unter ihnen, der auch nach der Aline gelaufen war. Der wurde geneckt. Adam Ziegler erzählte ganz ernsthaft eine Geschichte, worin einer sich vor den Braten setzte, und der andre langte zu und aß den Braten.

Sie fingen an zu lachen und Dummheiten zu schwatzen, wie die Jungen.

Und dann trug der Wind den ersten Jauchzer vom Hochzeitshaus herüber – »Juuhh-hu-hu-huuhhh!«

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Vor der Tür des Hochzeitshauses war eine Ehrenpforte aufgebaut aus vier schlanken Fichten mit Gewinden von Preiselbeerkraut. Die Fenster standen offen. Die Burschen, die die Fichten gesetzt hatten, und die Kranzwindermädchen kreischten, lachten und juchzten. Sie warfen den Oberkörper ein wenig zurück, kniffen die Augen zu und ließen ihre Juchzer hören.

Draußen blitzten Lichte. Der Uhlstädter Männergesangverein war unvermerkt angelangt.

Zuerst wurde ein erbauliches Lied gesungen. Danach ein echtes Ständchenlied:

»Es leuchten die Sterne am Himmelszelt,
und Ruhe herrscht allüberall;
sie überstrahlen die ganze Welt,
erhellen den Berg und das Tal.
Sie blinken dem müden Wandrer zu:
Schlaf sanft! Schlaf sanft!
Schlaf sanft in süßer Ruh!«

Je zwei und zwei von ihnen hatten ein gezognes Licht. Es brannten sechzehn Lichte im ganzen. Man sah bei ihrem unsichern Schein die andächtigen Gesichter der Männer, die ihre Notenblätter in ihren ungelenken, schwieligen Händen hielten.

Die Mädchen fingen an zu flüstern und zu kichern und blitzäugig nach den Burschen hinauszuschauen. Aber die hatten nur Sinn dafür, daß sie ihre Sache gut machten. Sie sangen und taktierten dazu innerlich. Die Hüte hatten sie ein wenig zurückgeschoben. Und die Alten sangen und zählten ihren Takt und ihre Pausen und hatten ganz ernste Mienen. Und über die verbrannten Gesichter mit den schweren Arbeitsfalten und den kleinen Durchtriebenheitsfältchen huschte sacht das Flackern der Lichtflämmchen:

»Ruf allen Betrübten tröstend zu:
Schlaf sanft! schlaf sanft!
Schlaf sanft in süßer Ruh!«

Jetzt kam das Tenorsolo. Und jetzt sang Zieglers Oskar das Solo vom ersten Baß: »Schlaf sanft! Schlaf sanft in süßer Ruh! Schlaf sanft in süßer Ruh!« –

Als sie an Veronikas Haus vorübergekommen waren, hatte der Mond so recht hell in die ebenerdige Stube hineingestrahlt, und einer der Burschen hatte dabei die junge Frau gesehen, die auf ihrem Stuhl eingeschlafen war und im Schlaf die Hand auf dem Bett hielt, wie ihrem Kindchen zum Schutze.

An die junge Frau dachte der Bursch jetzt, als er sein Baßsolo sang.

Er sang es für die Frau. All seine Inbrunst legte er hinein. »Schlaf sanft in süßer Ruh!«

Der Luftzug war gefällig und trug die Töne hinüber, wehte sie sacht ins Fenster. Und da dicht am Haus ein vollblühender Rosenstock stand, so pflückte er auch den Rosenduft dazu. So zogen Duft und Töne heran, und das Mondlicht floß herein …

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Die junge Frau war erwacht.

Sie lauschte gespannt und dachte: Das ist er, ja, das ist seine Stimme – bückte sich vor und lauschte, bis der letzte Ton verklungen war. Und dann fing es an, in ihr selbst zu klingen, von Liebesliedchen, die sie schon lange nicht mehr gesungen hatte.

Und noch mehr erwachte in ihr – eine gewaltige Sehnsucht erwachte, ein Verlangen nach Herzeleid und nach Tränen, ein wildes Verlangen, umfangen zu werden und geküßt zu werden …

Die Mutter hatte es ja selbst gesagt, Zieglers Oskar wäre der rechte Mann für sie, und es wäre Zeit, daß sie wieder heiratete. Und nun legte sie die Hände gegen ihre Wangen und rief sich alles ins Gedächtnis zurück, was der Bursch zu ihr gesprochen hatte.

Sie wurde ganz trunken in der Erinnerung an seine Worte und verstand nicht, wie sie hatte vernünftig bleiben und weise überlegen können.

Was für ein guter Vater wäre er dem Kinde!

Und dann dachte sie weiter, was er alles ihr sein würde, saß und sann und hob die Hände, bis sie ihr errötetes Angesicht verdeckten.

Sie hielt es nicht länger im Stübchen aus, sie schlich mit sachten Schritten auf die Straße, wo sie still stand und lauschte, wartend, daß die Einzelstimmen einsetzen sollten.

Der Himmel war dunkelblau und herrlich mit blinkernden Sternen bestickt, Wolkenschifflein zogen sacht ihres Weges. Eine ganze Armada trieb über den Himmel dahin. Lichtgrau sahen die Schiffchen aus, klein und fein, eins neben dem andern, eins hinter dem andern, ein ganzer langer Troß, wie eine Bank schwimmender Silberfischchen oder wie der herrliche, gefleckte Schweif eines Riesenvogels. So zogen sie über den Mond hinweg und verwandelten das runde, strahlende Mondgesicht. Bald sah es aus, als ob der Mond die Augen rolle und seinen Kopf zur Seite wende, bald lachte er und zog den Mund auf die andre Backenseite. Und dann fing die Nase an, sich zu verschieben, bis die Profillinie gebildet war. Er lachte und weinte, war Vollmond und Abnehmensmond.

Veronika stand mitten auf der Straße. Sie hatte noch ihren geschürzten blauen Kattunrock an, der schlaff herabhing. Lauschend vorgebeugt, stand sie, die langen, schlanken Glieder eng zusammengeruckt. Und wieder kam das Baßsolo, und die Töne wehten weich und rund herüber.

»Er wird mir's schon verzeihen,« dachte sie. »Ach, das wird sich schon mache.«

Mitten in ihrer Liebesnot hörte sie eine helle, krähende Stimme erschallen und sah in das listige Zigeunergesicht der Nachbarin, die auch auf die Straße getreten war – ein mittelgroßes, behendes Weiblein, das sein helles Tuch rund und fest um den Kopf gebunden hatte, so daß kein Zipfel zu sehen war. Ein braunes Gesicht mit vielen Falten, nackte Arme, muskulös wie bei einem Mann, und große, ausgearbeitete, braune Hände. So ein rechtes Arbeitsweib, dem niemand folgen konnte – nicht mit den Füßen, nicht mit den Händen und nicht mit der Zunge.

»Is schöne!« sagte die Frau, eine vorzeitig gealterte, hohe Fünfzigerin. »Is der Ühlschter Männergesangverein – jo – jo –« Alles, was sie sprach, klang mit einem kleinen seufzerlichen Schleifer.

Die Junge wandte sich um und antwortete strahlend: »Der mit den ersten Baß, das ist Zieglers Großer.«

»Ach, geh weg!«

»Jo« – sagte die Junge.

»Isn das der Fabriker Fabrikarbeiter

»Nee – der is Maurer, der hat nichts mit der Fabrike vor.« Und sie fing an zu erzählen, was für ein auserlesener Maurer der wäre.

»Du willst ihn wohl heirote – was?« sagte die andre. »Wenn du den kannst kriege, dann pack zu.«

Die junge Frau aber sagte zögernd und schaute an der andern vorüber: »Ich hab gedacht, ich heirat nicht merre.«

»Su e Staubbasensminsche Staubbesensmensch, ein beliebtes Thüringer Anerkennungs-, Neck- und Scheltwort!« klang es flink und anerkennend und seufzerlich von der Nachbarin Lippen. »Du wartst wohl, er soll kommen – gelle?«

»Heute abend?« sagte die Junge und fuhr entrüstet herum.

»Ach, geh weg.« Die Frau ließ ihre listigen Augen umherschweifen. »Ich verrats nicht. Das is nune mal so. Wenn eins ein Schatz hat –«

Da sagte die Junge mit schlichter Würde: »Ich hab' meinen Myrtenkranz mit Ehren getragen. Halt du dein schlecht's Maul. Alle Menschen tust du verkohle und schlecht mache.«

Die Nachbarin kniff den faltigen Mund zusammen und schob ihre Arme übereinander. »Jo-jo-jo-jo,« sagte sie ganz dünn, mit wimmerndem Tonfall. »Dafor hast du auch dein Jungferngeld gekriegt. Das hast du wag. Zweemal gibt's das nicht.«

»Aber ich bin eine anständige Frau!«

»Ach, du bist mir zu sporniert borniert, du tust, als kannst du nicht mehr laufe. Weiht du denn schon, daß die Milda unten von Stinzeln« – sie reckte ihren Arm und wies hinab – »auch nach ihm läuft? Die steckt den nicht naus, wenn er unter ihr Fenster kommt. Die hat's hintern Ohren. Das is e liebhabendes Gesteckchen Person, vor der man sich in acht nehmen muß

Und nun folgten als Zeichen ihrer Anerkennung ein paar sonderbare Koseworte, von denen sie immer eine Anzahl auf der Lippe hatte. Nannte sie jemand eine verrückte Nudel, einen elenden Hund, oder einen putzigen Hund, so drückte das Wohlwollen aus. Bei Hochachtung und Respekt wurden ihre Ausdrücke wesentlich stärker.

»Klemperersch Agnes,« fuhr sie fort, »die möchte ihn auch haben. Mich geht's nichts an. Ach, Gott!« sagte sie wehleidig mit hoher Stimme. »Das is e dumm's Mensche! Die frißt auch alles, was ma ihr vorredt. Und die Zerrkuhe Kuh, die zugleich als Zugtier verwandt wird, Ziehkuh! Die müssen sie doch gerade bloß Holz futtern, so dürre ist die. Wo is denn der Kleine?«

»Der ruht schon.«

»Jo-jo-jo,« sagte die Nachbarin und wischte mit der Hand über ihr Gesicht, »vorläufig is es nu aus mit dem Heiroten; im Abnehmensmond, das ist mal selten, wenn das einer riskieren tut. Das bringt Unglücke in die Ehe.«

»Hannfriede,« antwortete die Junge, »hat vor drei Wochen geheirat.«

Die andre zog die Mundwinkel hinab, seufzte und sagte mit trauriger Stimme: »Der Wegwurf!« Darauf drehten sich beide Frauen um und kehrten in ihre Wohnungen zurück. Die Nachbarin hatte ein eignes Haus, Veronika hatte ihr Logis zur Miete inne.

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»Juuuh-hu-hu-huuuhh!« tönten die Jauchzer herüber. Sie zogen daher über das schlafende Dorf, durch die stille Nacht, sie zogen herein durch den Spalt am Fenster, wo die junge Frau lauschend stand und immer nur die Stimme der Nachbarin hörte, wie sie von den beiden Mädchen berichtete, die ihre Augen auch auf den Burschen geworfen hatten. Zehn Jahre hatte die Milda wohl gedient, ihre tausend Mark mochte die auf der Sparkasse haben. Und Klemperers Agnes! Noch so jung, im vergangnen Jahr erst konfirmiert! Der Klemperer hatte eine feine Kundschaft. Sie dachte, was sie wohl könne löten lassen, daß sie hingehn dürfe.

»Ach, mein guter, lieber Gott,« dachte sie in Herzenspein, »nun bin ich dem Himmel so nahe gewesen, nu wirst du mich nich verlosse und wirst mir itze nicht die Tür zumache, wo ich nun schon das ganze Geflunkere und Geflimmere gesehen habe.« Sie rang die Hände, lauschte hinaus und klinkte sacht die Tür auf, daß sie wieder ins Freie käme.

Sie stand auf der Haustürschwelle, in die Ecke gedrückt, den Kopf suchend und lauschend ein wenig vorgeschoben. Die nackten Füße waren dicht zusammengestellt, die Arme hingen straff herab, als wolle sie ihre Gestalt noch schmaler machen und ihr dünnes Gewand noch dichter an die Glieder drücken. Sie trug eine lockere blaue Kattunjacke, vielfach geflickt, die beim Rock mit eingebunden war. Viele Flicken auf Rock und Jacke, keinen Riß im Habit, alles heil und rein – daran wurden die tüchtigen Frauen erkannt.

Draußen auf das Staket waren ihre Töpfe gestülpt, graue Steinguttöpfe, innen blau glasiert, acht Töpfe hatte sie. Sie hatte ihre Wirtschaft nicht verkommen lassen, so schwer sie sich hatte durchringen müssen.

Die Haarsträhnchen hingen hinter den Ohren herab, ihr Mund stand offen, ihre versunknen Augen baten die Dunkelheit, sie möge sich teilen.

Von den Jauchzern, die noch immer herüberschallten, löste sich eine schwimmende Wolke von Tönen ab, ein matter, weicher Gesang von Mädchenstimmen. Die Stimmen waren noch ganz jung und zart, wie Sommervögel schwebten sie daher und gaukelten.

Der Gesang schwoll an. Es schien, als kämen die Sänger auf der Dorfstraße dahergezogen. Ein Liebeslied sangen sie.

Veronika stand und lauschte den Stimmen, sah mit klopfendem Herzen etwas Dunkles, das sich behutsam näherte, eine Männergestalt, die Sorge trug, daß ihre Schritte nicht allzusehr polterten. Sie stand immer noch vorgebeugt mit bittenden Augen, daß die Dunkelheit sich ihr teilen möge. Und dann regte sie sich und schlüpfte ins Haus.

Die Tür verriegelt, das Fenster geschlossen, das streifige Rouleau herabgelassen. Zuletzt die Kleider herunter, die Jacke, den Rock, noch ein Fähnchen von einem Rock – alles mit hastigen, zitternden Händen, als stehe ein Dieb vor der Tür, der eindringen wolle. Zu ihrem Kind ins Bett wie in ein sicheres Versteck.

So hörte sie, wie der Schritt herankam, und wie er vorüberging …

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Am andern Morgen wußte sie, sie mußte noch einmal zu ihrer Schwiegern, ihr die Wäsche waschen und Holz holen. Auf dem Heimweg würde sie den Burschen wieder treffen, und dabei würde sich alles so finden, wie sie es beide ersehnten.

Daß er so lange nach ihr getrachtet hatte, gab ihr ein Anrecht auf ihn. Sie hatten so viele gute Stunden versäumt, daß es sie hinterher schmerzte.

So schritt sie in der Morgenfrühe wieder dahin, ihr Kindchen im Mantel, ihre Augen in die stille Luft gerichtet, auf die hohen Berge mit ihren dräuenden Fichten, auf den heitern Laubbestand, der sich herunter an den Weg drängte. Der Uhlschbach war kaum zu erblicken, so dicht faßte das Gebüsch ihn ein. Aber sie hörte ihn murmeln und schelten und froh zu Tale laufen. Dann kam eine Lücke; er blitzte und blinkerte, köstlich frisch, köstlich blank, mit Vergißmeinnichtsäumen geschmückt, mit grünen Rasenborten eingefaßt.

Sie sah sehnsüchtig auf ihr Kind hinab, daß es erwachen solle. Dem Kind wollte sie vom Vater erzählen. Wenn sie ihre Stimme hören würde, das erschien ihr gleichsam schon als etwas Geborgnes. Und so ließ sie ihre Stimme denn erschallen, beileibe nicht so laut, daß sie den kleinen Schläfer wecken konnte, aber doch so, daß er allgemach wach wurde. Und als die Kreuzotterstelle erreicht war, saß das Kerlchen richtig aufrecht in seinem Gehäuse vom dunkelblauen Mantel.

Was für schlechte Laune hatte aber der Junge heute! Er zog sein Brummlippchen und drängte an den Hals der Mutter. Und sie sprach und schalt und predigte, schalt auf den bösen Jungen, sprach vom Vater, predigte von der Kreuzotter, daß der Junge jetzt steif und kalt im Bauzebette läge, wenn der Vater die Kreuzotter nicht erschlagen hätte. Eine Heldentat wurde daraus. Darauf mußte der Junge seiner Mutter ein Ei-ei geben; er legte die Ärmchen um ihren Hals und schmeichelte mit seinem Kopf ihre Wange. Zu guter Letzt zeigte er auch, was er aus der Predigt gelernt hatte, er riß sein Mäulchen auf und sagte »Ater«.

Nun hob ihn die Frau jubelnd empor, um ihn zu küssen, und erzählte ihm sacht vom Vater, der ihn auf der Schulter würde reiten lassen, der ihm eine Pfeife schenken würde, worauf der Junge blasen könne, der ihm – immer mehr Schätze zählte sie her, die Augen auf das Kind gerichtet, die Wangen gerötet, und dazu hurtig ausschreitend am Uhlschbach hinab.

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Wie langsam so ein Tag vergeht, wenn eins auf den Abend wartet! Die Wäsche hing, die junge Frau hatte den Holzkorb auf dem Rücken. Im Meiningischen war Holztag.

Der Junge blieb bei der Großmutter, die ihn in den Mantel nahm. Aber kaum war die junge Frau verschwunden, so holte die Alte das Wägelchen hervor, setzte den Jungen hinein, steckte den Korb mit der Sichel dazu und fuhr nach Etzelbach.

Sie hatte Glück, Adam Ziegler stand an seiner Bergsenkung und legte das Gras nieder. Die Alte blieb stehn, und Adam machte eine Pause und stemmte die Sense auf. Guten Tag, und wie es geht. Und dann, wie das Gras lohnt und die Gerste; für die Erdäpfel, ja, da ist das kein Wetter. Aber Zwetschen wird es geben. Adam hatte ein langes, glatt rasiertes Gesicht, mit Falten an den Mundwinkeln, die ihm das Ansehen gaben, als sei er allzeit guter Laune oder mache sich lustig.

»Mir haben gestern die Erdäpfel gehäufelt, meine Schnüre war da –«

»Das läßt sich hören.«

»Jo, wenn die nicht manchmal tät einspringe, was sollt ich wohl machen! No – was ich hinterlasse, das ist alles ihre, wenn sie mich erscht werden bein Schnakenklee Schneckenklee hinbringen auf den Gottsacker.« Und nun lobte sie ihre Schwiegertochter und strich das Jungchen heraus, was für ein gutes Kind das wäre. »Ihr könnt auch balde ne junge Fraue gebrauchen,« sagte sie, »deiner Frau, der wird's auch schon schwer.«

»Ja ja,« sagte Adam Ziegler tiefsinnig.

Veronika hatte ihr erzählt, daß der Kleine beinah von der Kreuzotter gebissen worden wäre – ein wenig später dann auch, was der Bursch sie gefragt und was sie ihm geantwortet hätte – und noch etwas später von der Nachbarin und ihrem bösen Mund. Damit war sie gerade fertig gewesen, als sie den Holzkorb auf den Rücken genommen hatte. Die Alte hatte bloß die Hände in stiller Verzweiflung gerungen. Und nun mühte sie sich, das, was die Junge verdorben hatte, wieder gut zu machen. Sie fing von der Kreuzotter an und dann ganz zaghaft davon, daß Oskar wegen Heirat angefragt habe. Ronika habe nein gesagt.

»Es is ihr leid. Sie hat das so hingeredt. Die möcht was drum gebe, wenn sie's könnt ungeschehn machen. Sie war aus allem Geschicke aus aller Vernunft. Leichte vielleicht macht sich's, daß sie ihn wieder trifft, wenn sie hinte häm gieht.«

»Das wird sich wohl nicht fügen,« antwortete Adam.

»Na ja, er muß wissen, was er will.«

»Nee,« sagte Adam und stemmte die Faust auf die Hüfte; »er is da fertg mit seiner Arbeit. Hinte sind sie drüben in Ober-Krossen.« Er reckte die Hand und zeigte auf die Bergkette jenseits der Saale. Er stand ein wenig erhöht auf seiner Bergmulde in Hemdärmeln mit der Leinenhose, die kurze Sense ragte über seinem Haupt wie ein eingefrornes Fähnlein. Die Schwiegern aber hielt mit ihrem Wäglein hart am Chausseegraben unter den Zwetschenbäumen.

»Mir haben noch viel zu schaffen,« sagte sie verzagt. »Eh die heute hämspringt, das wird leicht sehre spät.«

»Gehst denn einernein hinein?« fragte Adam.

»Ich will naus wegen Futter.«

Da schwenkte er seine Sense und fing an zu mähen.

Just als die Schwiegern anzog, ging eine breite, große Person vorüber, und es war der Alten, als versetze die ihr einen Stoß vor die Brust – es war ja die Milda, die zehn Jahre gedient hatte und tausend Mark auf der Sparkasse haben sollte. Die Galle trat der alten Frau ins Blut, ganz giftig und nichtsnutzig wurde ihr zu Mut, wie nie in ihrem ganzen langen, schweren Leben, das sie so geduldig ertragen hatte.

Sie rief zu dem Mäher hinauf und machte bissig einen kurzen Ruck mit ihrer dürren Faust: »Hingerwarklich von hinten sieht sie noch ganz schiene schön, aber von vorne nicht!« Sie lachte gehässig, und ihr altes gutes, braunes Gesicht sah ganz abscheulich aus, wie eine neidische Fratze.

Und nun reckte sie ihre krumme, hagere Gestalt und zog drauf los. Bald traten die Felsen bis an den Weg heran, und dann war glücklich die Etzelbacher Grenze erreicht, wo sie noch ein Stück Böschung im Grasbestand hatte.

Es wurde gesichelt und der Korb gefüllt, und Korb und Kind wurden wieder auf den Wagen gebracht. Und dann traf sie auf dem Rückweg den Adam Ziegler noch bei seiner Arbeit an, wie er gemach die Sense durch das Gras führte. Er war ein Stück höher gerückt, und als sie wieder unter den Zwetschenbäumen ihren Wagen anhielt, mußte sie tüchtig schreien, damit er sie auch verstand.

»Bist denn du vernachten auch mit auf Partschefeld gewasen?«

»Ja,« klang es von oben.

»Was singst denn du?«

»Ich sing den ersten Tenor.«

»Ich ha davon gehört,« sagte die Alte listig. »Du hast immer schön gesungen. Und Oskar – jo, der hat kostbar gesungen,« schrie sie. »Die Junge, die hat drußen gestanden – und hat gehorcht – jo.«

»Ja, der hat eine schöne Stimme,« sagte Adam verschmitzt und setzte wieder mit Mähen ein.

Sie wußte nicht, hatte es nun was geholfen oder nicht. Die Junge durfte beileibe nicht erfahren, daß sie unterhandelt hatte. Ganz unverfänglich mußte sie zurückgehalten werden. Lag Adam was an der Schwiegertochter, so würde er seinem Sohn schon gleich erzählen, daß das Nein ihr leid war und er nur kommen möge.

Und wie sie ihren Wagen mit Kind und Korb hinter sich herzog, sog sie ihre Lippen in den Mund hinein, und ihre Augen tropften sacht. Sie war doch der Jungen was schuldig, ihres Sohnes wegen. Daß sie das hatte aushalten müssen! Und dann – daß sie drüber schwieg. Schmähte ihn nicht, war gut zu seiner alten Mutter, und hatte doch seine Faust oft auf ihrem Körper gefühlt.

»Auf Gott und nicht auf meinen Rat will ich mein Glücke bauen« – sie fing an, das alte Kirchenlied zu beten, und betete Vers um Vers in sich hinein, bis sie daheim anlangte.

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Es dauerte nicht lange, so kam auch die Junge mit ihrem hochgepackten Holzkorb an. Die Holzarbeiter hatten sie angerufen, sie solle zulangen. Armdicke Holzstücke lagen zwischen ihren Bruchästen, in jeder Hand schleifte sie noch eine Stange, so daß sie wie in einer Wagenschere einherging. Der Staub wirbelte hoch hinter ihr auf und lag dick auf dem weißen Kattuntuch, das sie rund und straff um ihren Kopf gebunden hatte, über der Stirn mit einem ganz kleinen Vorbau wie ein Mützenschirmchen. In den Schurz hatte sie ein Töpfchen am Henkel mit eingebunden. Ihr Gesicht stand ganz unter Wolken.

Auf ihrem Wege durch Ober-Krossen hatte sie die Maurer arbeiten sehen. Als sie einen Augenblick verweilte, erschaute sie auch ihren Liebsten. Und das war der erste Schreck – er arbeitete nicht mehr am alten Ort, wo er sie ohne Mühe beim Heimgang hätte treffen können und wo sie das wohl hätte einrichten können, indem sie zeitig aufbrach und sich während des Weges umtat.

Sie hörte ihn mit seiner Kelle lärmen, der Handlanger solle kommen. Zugleich rief er sie an, sprach mit seinem Nachbar und rief ihr wieder zu – so mit dem Kopf über der Achsel. Er paßte den Stein ein, klopfte ihn zurecht und mauerte weiter. Auf den konnte sich der Meister verlassen. Aber so stolz das Gefühl war, so weh wurde ihr doch zu Mut. Große Sache konnte er freilich nicht mit ihr machen, wo Arbeitszeit war. Aber doch! Aber doch!

Ein Seufzer stieg herauf, ein kleines Wölkchen ließ sich auf ihrer Stirn nieder, wurde größer und größer und verdüsterte bald ihr ganzes Gesicht, so wie gestern die Wolken den ganzen Himmel eingesponnen hatten. Heut schien nun freilich die liebe Sonne. Aber, wer wußte denn, ob es ihr ebenso wohl ergehn würde.

Bis gestern hatte sie Genüge an dem Kinde gehabt, die Liebe, die sie einmal genarrt hatte, hatte sie ganz in ihrem Herzen erstorben gewähnt. Jetzt lockte die Liebe wieder, verhieß ihr goldne Tage in Fleiß und Arbeit und in stillem Glücke. Was für liebe Worte hörte sie im Geist erschallen, und was für liebe Worte sprach sie selbst.

Sie fing an einzusammeln, kam dabei in die Nähe des Holzplatzes, wo ihr die Männer zuriefen, sie dürfe die Abfälle nehmen.

»Du siehst ja so verlossen,« sagte ein alter Arbeiter, »is wohl was mit deinem Kinde?«

Als ihr Korb gepackt war, reichten ihr die Männer noch zwei Stangen zu, dünne, lange Bäumchen mit spärlichen Kronen. Nun trug sie die Last des Korbes auf vorgebeugtem Rücken und in den Händen die nachschleifenden Stangen, die ihre Arme straff herunterzogen. Vorn im Töpfchen hatte sie Erdbeeren für den Jungen, die sie während all ihres Grämens eingesammelt hatte.

Sie schritt auf bloßen Füßen über Heidekraut, Gestein und dürre Zweiglein dahin, gemach abwärts von dem hochragenden Berggipfel; dann wurde der Weg steil und brüchig in einer Kluft und bog in ein Rinnsal zwischen zwei Bergen. Die Stangen klemmten und machten ihr das Laufen schwer. Es war kühl hier im Walde, kaum ein Sonnenstreifchen stahl sich durch die dicht stehenden Wipfel. Krähen störten auf, ein Grünspecht ließ seinen Ruf erschallen. Sie hörte den Pirol mit seinem Weib über das Wetter beraten. »Wie wird's wohl?« fragte der Gelbrock, und die Gattin antwortete: »Drreck! Drreck!« Das stellte Regen in Aussicht. Sonst war nichts zu hören als die Axtschläge, die in verhallenden Lauten herüberschallten.

Da wurde es ihr klar, daß sie ohne den Burschen nicht leben könne, und daß sie es ihm sagen müsse. Sie wollte ihm sagen: »Es ist mir leid, daß ich dich abgewiesen habe. Ich hab erst hinterher gemerkt, wie gut ich dir bin. Vergib mir's!« Und das wollte sie ihm heute noch sagen. Bei ihrer Schwiegern wollte sie bleiben, bis er vorüberkam. Nicht erst Nacht darüber werden lassen!

Sie sah einen Mann sich im Gestrüpp regen – ein gedunsenes Gesicht, eine verwahrloste Gestalt – lief nun, was sie konnte, indem sie laut des Burschen Namen rief, als ob er in der Nähe wäre: »Oskar! Oskar!« Mit ihren langen, schlanken Gliedern sprang sie daher, halsbrecherisch talab, den Korb auf dem Rücken, die langen Fichtenstämmchen in ihren beiden Händen.

Als sie wieder am Bau vorüberkam, riefen ihr die Maurer allerlei zu. Sie antwortete lachend und pilgerte weiter, wühlte mit ihren Stangen den Staub des Weges auf. Und das trübe Wölkchen saß wieder auf ihrer Stirn und hüllte bald ihr ganzes Gesicht ein.

Daheim fütterte sie die Ziege, melkte und räumte umher, bis die Maurer vorüberkamen. Es waren ihrer mehrere, die plaudernd nebeneinander schritten. Dazu standen ein paar Frauen auf der Gasse mit den Kindern in ihren Mänteln. Nun blieb sie zurück und drückte verstohlen die Stirn an den Pfosten der Tür.

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Es dunkelte schon, als sie an die Uhlschlucht kam. Das Kind saß im Mantel und wollte Ei-ei machen.

»Du hast's gut,« sagte sie, »du kleiner Hampelmann. Du plapperst und du machst deine Schlenkerationen, und mir tut mei Herze weh.«

Als sie das sagte, ging sie just am Maschinenhaus vorüber, das vorn in der Uhlschlucht steht. Hinter dem Maschinenhaus aber lag einer ins Gras gestreckt. Bald hörte sie dann seinen Schritt poltern, wandte sich um und blieb stehn.

In demselben Augenblick sagte der Bursch: »Gun Abend, Ronika. Na, ich denke, du bist lange häm!« Ging seines Weges weiter und hatte schon ein paar Schritte Vorsprung, als sie mit hastiger Stimme herausbrachte: »Haben denn wir nicht den gleichen Weg?«

Der Bursch drehte den Kopf zurück und antwortete: »Das weiß ich nicht – – mein Weg führt nach dem Paradiese!« Dazu blitzten seine Augen, und sein Schnurrbart sträubte sich über dem lachenden Munde. Er blieb stehn und wandte sich um.

Die Frau kam langsam daher mit gesenktem Kopf und sagte zu ihrem Kinde: »Du bist deiner Mutter ihr Herze – gelle?« Und dann hob sie die Augen und sagte niedergeschlagen: »Mein Weg geht auch nach dem Paradiese – denn ich gieh häm.«

»Da ist dir's wohl um ennen Hämführer zu tun? Du hast mich doch angerufen.«

Sie antwortete zögernd: »Ach ja – ich hab so Furcht – ja.« Und nach einer Weile: »Seit hinte – im Holze –«

»Was war denn da los?«

»Da war e Strolch,« sagte sie und sah ihn eifrig an. »Ach, ich hab mich so gefürcht. Ich komm daher mit meinem Korb voll Holz und mit den beiden Stängeln, und da raschelts hintern Busche, und wie ich mich hinwende, da richt sich e Kerl auf – ganz verwahrlost sah der! So ein rechter Stromer! Groß und breit wie ein Riese! Ah! der hatte Kräfte, wenn der einen tat anpacke –«

»Was hast denn du da gemacht?« unterbrach er sie kurz.

Sie antwortete mit strahlendem Auge: »Ich bin gesprungen, was ich konnte, und dann hab ich geschreit – nach dir. Und da hat er sich nicht herangetraut. Immer nunterwärts bin ich gesprungen. Ich hab geschrieen: ›Oskar! Oskar!‹ Mir war gerade, als kann mir nu nichts passiere. Und nu ist hier auch die Stelle, wo mr uns gestern getroffen hatten,« sagte sie und blieb stehn; sie wollte ihm alles sagen, was sie auf ihrem Herzen hatte, daß es ihr leid sei, und ob er jetzt den Kleinen noch haben wolle und sie auch.

Aber der Bursch machte keine Umstände. »Das ist gewesen!« fiel er ein. »Das ist nune vorbei.«

»Für mich ist das noch nicht vorbei,« antwortete sie. »Ich hab da noch viel drüber zu reden. Mit der Kreuzotter möcht ich anfangen.«

Er wollte nichts davon hören; das war vorbei.

Es ging ihr wie ein Stich durch das Herz. Aber sie ließ ihren Mut deshalb nicht sinken.

Sie fing wieder an zu sprechen, sprach nun vom Ständchen, wie sie lauschend draußen gestanden habe, wie wunderschön sein Baßsolo geklungen habe, dann daß die Nachbarin gekommen sei, und was sie von den beiden Mädchen gesprochen habe, die ihre Augen auf den Burschen geworfen hätten. Und ihr Gesicht, das der Bursch nicht aus den Augen ließ, plauderte alles aus, was sie in ihrem Herzen fühlte, wurde immer beredter und eifriger, um ihn herüber zu locken. Sie hatte schmale Kinnbacken, rosiges Zahnfleisch, weiße kleine Zähne. Immerzu war die Oberlippe unterwegs und zeigte diese Schönheit.

Sie strich wieder die Haarsträhnchen hinter die Ohren und hob an dem Kind, als werde es ihr schwer, den Jungen zu tragen, der sich vergebens bemühte, sich einzumischen. So schwer schritt sie allmählich dahin, als ob sie durch Dornen und Gestrüpp ginge, über Geröll und Steine, bergan, bergab.

Und er ging neben ihr mit federnden Füßen. Strafe sollte sie leiden! Adam hatte ihm gleich gesagt: ›Es is ihr leid. Und sie hätte nichts dargegen, wenn du itze noch möchtest.‹

Jawohl möchte er! Aber Strafe sollte sie leiden! Bloß ein kurzes Wegstreckchen fühlen sollte sie, was er um sie gelitten hatte. Und so schritten sie nebeneinander dahin zum Paradiese, sie in Qual und Angst, ob sie ihn erringen werde, er voll Freude, daß sie nach ihm begehrte und wie eifrig sie ihre Schlingen stellte. Sie achteten beide nicht des wirklichen Wegs im Laubschatten der Schlucht, im Schatten der Fichten, unter dem hellen Vollmondhimmel, im prächtigen Duft der Blätter und Nadeln, in der kühlen, herrlichen Luft der Sommernacht.

Bis Veronika stehn blieb.

Sie schlug den Mantel auseinander, nahm das Kind auf den andern Arm und wickelte wieder das Schneckenhäuschen. »Du wirst schon schwer, mein Kerlchen,« sagte sie seufzend, »deine Mutter kann dich balde nicht mehr tragen. Das ist bloß e schwachs Weibsen.« Dazu sah sie mit einem Male ganz müde aus, als wären alle ihre Hoffnungsschifflein verbrannt.

Das scharfe, kreischende Geräusch einer einsetzenden Bremse schallte herüber, in schnellem Tempo kam ein Gefährt auf der Straße herab. Ein Schimmel war vorgespannt, ein herrliches, stolzes Tier, der Prinz. Seine Hufe setzte der Prinz, wie eine Tänzerin ihre Füße setzt, seine Nüstern waren gebläht, seine Augen blitzten, sein Kopf war stolz emporgeworfen. Mit dem Schweif schlug er unruhig die Flanken.

Sie sind dicht an die Fichten getreten, bis das Gefährt vorüber ist.

»Das war der Dokter!« sagte die Frau. »Dem kost das weiter nichts, wenn der sich mal was zerbricht, der koriert sich selber.«

»Ja, der pocht auf sein gutes Glück,« antwortete der Bursch, »sonst würd er nicht so drauf los kutschiere. Leichte vielleicht haben sich wieder welche in Partschefeld gehaut,« meinte er zum Schluß. Und nun kamen sie zurück auf den Weg und schritten weiter bergauf durch die Fichten dahin. Hüben und drüben Fichten mit tiefen, schwarzen Schatten.

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Mit jedem Schritt, der sie ihrem Wohnort näherbrachte, wurde der Frau weher ums Herz.

Der Bursch trug jetzt das Jungchen, schwenkte es an beiden Armen, setzte ihm seinen verschossenen Filzhut auf den Kopf. Und der kleine Kerl jubelte und kreischte. »Ater!« sagte er zum Burschen. Und je lustiger der es trieb, um so öfter sagte er es ihm. »Ater! Ater!« ganz hell hinausgejubelt mit einem feinen, silbern klingenden Stimmchen.

Der Bursch lachte und sagte: »Der hat ja eine Stimme wie e Zwirnsfädchen, der Klenne der Kleine. Wo hat denn der die Stimme her?«

Und die Frau antwortete sanft: »Die hat er vom lieben Gotte.«

Der Bursch schritt voraus und ließ den Kleinen auf seiner Achsel reiten. Die Frau ging müde hinterher. Wenn sie heimkamen, vor ihrer Tür etwa oder schon ein Stück zuvor, wenn sie aus der Heide traten, dann würde ihr der Bursch das Jungchen reichen und würde seiner Wege gehn – zum Paradiese! Die Rache nahm er erst noch, daß er ihr zeigte, was sie an ihm verlor. Es fiel ihr auch ein, was das Kind entbehrte, daß es keinen Vater hatte. Ein Junge will immer doch seine Schlenkerationen machen und seine Allotria treiben, wie sie der Vater mit seinem kleinen Sohne treibt. Die Mutter zeigt dem Jungen das Mondlichtchen und lehrt ihn Ei-ei machen, lehrt ihn auch späterhin sachte zufassen und helfen in der Wirtschaft, als spiele er. Vom Vater aber lernt er die strenge Zucht und die wirkliche Arbeit.

Das Jubeln wollte kein Ende nehmen. Der Bursch fing an, das Kerlchen den kleinen Eia zu nennen. Und der kleine Eia lachte darüber, als ob er verstünde, was der Bursch ihm sagte.

Seine ganzen Sprachkenntnisse kramte der kleine Kerl aus. »Rallalla,« sagte er und meinte seine Großmutter damit, die alte Hanne. Es gibt ein Liedchen, das anfängt: »Großemutter trallalla.« Sagte ihm nun jemand, er solle »Großemutter« sprechen, so antwortete er: »Rallalla.« Dann rief er nach seiner Mutter. »Mutter,« sagte er. Und dann sagte er: »Ei jo!« drückte sein Köpfchen heran, machte Ei-ei zum Burschen und sagte: »Guter.« Er wäre ein Guter, sagte er.

Die Frau band das weiße Tuch von ihrem Kopf, schüttelte es aus und wischte ihr Gesicht damit ab. Sie weinte leise. Wie der Bursch jetzt mit dem Kinde dahinschritt, so konnte es nach der Ordnung sein. Wenn sie seine Frau geworden wäre, das würde sich schon haben einrichten lassen, daß sie ihm hin und wieder abends dann entgegenspränge. Es würde ja doch einzuholen geben, Steinöl oder sonst Kaufmannsware. Der Vater nähme dann den kleinen Jungen, und sie würde danebenschreiten. Oder sie würden nach Arbeitsschluß noch ein Weilchen auf den Torsteinen sitzen. Bei Zieglers lagen neben dem Hoftor eine Anzahl Sandsteine aufgeschichtet, die vom Bau der Scheune übriggeblieben waren, große Fundamentsteine, die Adam und Oskar selbst in den Bergen zur Winterzeit gebrochen hatten. Spät würden sie noch ein halbes Stündchen auf den Torsteinen sitzen. Der Vater mit dem Pfeifchen, sie dicht daneben, den Jungen im Auge, der auf dem Hof umhertollte und kletterte. Sonntags gingen sie ein wenig aus. Ein Stündchen zu Hannen am Nachmittag. Oder sie gingen am Abend ein Stündchen auf den Bahnhof hinüber, wo der Vater sein Glas Bier trank. Den Jungen ließ er auch einmal trinken. Sie nahm ebensowohl ihren Schluck – aus Stolz, daß der Mann mit ihr ausging. Mit den Schwiegereltern beiden stand sie gut. Sie würde schon arbeiten und schweigen, daß sie alle mit ihr zufrieden sein sollten. Und dann kamen die Stunden, wo sie mit ihrem Mann allein sein würde oben im Stübchen. Wo sie ihm in Liebe heimzahlen konnte, daß er so getreulich an ihr gehangen hatte.

Sie hielt das Tuch in ihren beiden Händen, senkte ihr Gesicht hinein. Ganz eng drückte sie ihre Schultern zusammen vor Herzeleid.

»Was hast du denn hinte bei deiner Schwiegern gemacht?« fragte der Bursch.

»Ich hab ihr helft wasche, und dann hab ich Holz rangeschafft.«

»Und gestern?«

»Da haben mir Erdäpfel gehäufelt.«

»Und morgen?«

»Ich komm nicht mehr 'rab«.

Er hörte ihrer Stimme an, daß sie geweint hatte, und ging langsamer. Den Kleinen hatte er in seinen Rock genommen. »Sitz stille,« sagte er zu dem. »Ich möcht bloß wissen,« sagte er darauf zu der Frau, »wo der seine Karessen her hat, der Klenne; von dir hat er die nicht.«

Da stürzten ihr die Tränen aus den Augen, und sie deckte beide Hände vor das Gesicht. »Ach,« sagte sie leise, »ich denke doch, die kann er schon von mir haben, die Karessen.«

»Wenn man's bloß mol prowieren könnte –«

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Sie standen mitten auf der Fahrstraße. Der Bursch hatte die Frau an sein Herz geschlossen. Ganz still hielt sie ihm. Ganz eifrig lauschte sie seinen Worten. Und dann fing sie selbst an zu sprechen, und der Bursch wurde nicht müde, ihr zuzuhören. Als sie endlich ihren Weg fortsetzten, gingen sie nicht mehr auf dem Weg zum Paradiese dahin, nein, sie wanderten im Paradiese selbst, das sich strahlend und herrlich vor ihnen aufgetan hatte.

»Ich möcht in meine Kniee sinken und möcht den lieben Herrgott aus vollem Herzensgrunde danken,« sagte die Frau. »Aber was hab' ich bloß gelitten, und was hab' ich bloß für Angst ausgestanden. Ach, wenn das der Weg zum Paradiese war, das ist ein schlechter Weg für mich gewasen. Da wachsen iekel nur Dornen auf dem Wege! Ich hab' gedacht, ich wollt nicht mehr heiraten. Ich hab' mich nicht merre wollt schlagen lassen. Und nu – und nu –«

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Es war schon ganz spät, da saßen sie noch immer vor ihrer Haustür auf dem Bänkchen, rechneten, wie lange es nun noch dauern würde bis zur Hochzeit – allzulange schien es der Frau. Das Kind schlief im Arm der Mutter. Ab und zu wurde der Kopf der Nachbarin sichtbar.

Zuletzt stellte sie sich selbst ein, stand mit den nackten Armen unter der Brust, schabte ihre nackten Beine eins am andern, seufzte und sagte weinerlich: »Bringt denn ihr nu nicht das Jungechen zu Bette?«

»Das bring ich zu Ruhe, wenn mei Schatz häm ist.«

»Gieht er denn häm?«

Veronika stand entrüstet auf. »Du kannst keinen Menschen ungerupft lossen. Aber du wirst schon noch mal neinfliegen!«

»Äh,« sagte die Nachbarin dünn und seufzte dazu, stand mit listigen Augen da und wartete, zog wehmütig die Mundwinkel hinab. »Oben an Dache nisten türksche Rotschwänzchen,« sagte sie kläglich zu dem Burschen, »hast du schon gesiehe?« …

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Der Bursch ging heim, ging dahin durch den Fichtenwald, stieg von der Höhe zum Saaltal hinab. Den Himmel sah er blau und schimmernd sich zu Häupten im Vollmondsglanze. Leuchtkäfer blitzten im Walde. Frösche schrieen, schlaftrunken flatterte hier und dort ein Vögelchen. Ganz still und sacht und wohl war ihm zumute.

Wenn wieder »Zunehmensmond« war, wurde Hochzg Hochzeit gehalten. Jetzt saß er abends bei seinen Eltern, dann würde er im eignen Stübchen sitzen mit seinem Weib und seinem kleinen Jungen, den sie ihm zubrachte.

Es war ihm doch gerade so zumute, als ob er wirklich im Paradiese wäre.

Und nun simulierte er: »Das ist schon ganz ein einfacher Weg, der Weg zum Paradiese. Wenn ma immer ebenaus gieht, da kommt ma hin. Man muß bloß nicht den Mut verlieren und die Ausdauer auch nicht. Und man muß nicht abspringe. Dann ist's verschütt. Das ist die Hauptsache, daß man sich nicht ablocken läßt. Und dann muß man auch weich ins Gemüte bleiben. Dann hat ma merre davon. Ich simpelier simuliere. nune: Mir könnten alle im Paradiese sein, wenn mir das recht täten anfassen – der eine so, der andre anders – ich für mein Teil ganz im stillen in einem Winkelchen vorerst – da, wo die türkschen Rotschwänzchen nisten …«

Anmerkungen.eingearbeitet. joe_ebc für Gutenberg

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