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Was Romàn Omossow erzählt

Von Egon Freiherr von Kap-herr.

Bedächtig hakt der Rotbärtige die Haselhühner aus, spießt sie an den grünen Stock und hält sie in die Glut. »Herr, wenn du jetzt den Tee kochen willst – da steht die Kanne.« Es brodelt im Topf, aromatisch duftet goldfarbener Trank. Der Hinterwäldler reicht ein Huhn herüber: »Hier, fertig.«

Dann bekreuzt er sich und beginnt zu kauen und zu schlucken. Dicke Schnitten torfschwarzes Brot dazu. Die Knochen fliegen ins Moos. Knack – krr ... ein Stück Zucker zwischen die Zähne, heißer Tee dampft im Becher. Vorsichtiges Schlucken, Schlürfen, Blasen. Verdauungspause. Lustig qualmen die Pfeifchen.

»Sag' mal, Romàn – hier am Lekscha-See jagt wohl selten einer?«

»Selten. Die meisten kennen die Gegend nicht. Ich lebte hier drei Jahre, Sommer und Winter. Du hast gestern auf dem Faulstamme, der über dem Flusse liegt, die Fährte gesehen? Ja? Nun, das war auch so ein Bursche, dem man ungern allein begegnet. He – was für Pratzen! Der kann gut hauen. Nicht weit davon wars – es ist so fünf, sechs Winter her. Wir waren damals, mein Vetter Ogrejew und ich, zum Trappen in dieser Gegend. Tagsüber streiften wir mit unserer Laika ›Beß‹ in der Taigâ umher, um Birk- und Auerhühner zu schießen, wenn der Hund sie verbellte. Gewöhnlich hatte mein Hund eine Schelle am Halsband – eine einfache Kuhglocke – damit wir ihn hören konnten, wenn er im Dickicht stöberte. Eines Tages hatten wir ihm, aus irgendeinem Grunde, das Glöckchen abgenommen und, wie es so seine Art war, hatte ›Beß‹ sich empfohlen und lief nun, Gott weiß wo, in der Heide umher. Da es Abend wurde, zudem aber in dieser Jahreszeit die Tage schon kurz sind – der erste Schnee war gefallen –, beschlossen wir, auf dem geradesten Wege zu unserer Hütte zu gehen und marschierten durch dick und dünn nach Osten, um den See zu erreichen. Bald kamen wir an ein kleines Dickicht, das dicht verschneit in einer Heidesenkung lag und uns den Weg versperrte. Wohl oder übel mußten wir hindurch, denn Umwege wollten wir nicht machen. Als wir mitten in der Dickung sind, bleiben wir stehen, um uns über die Richtung zu orientieren, und – aus Spielerei – ziehe ich das Glöckchen aus dem Wams und beginne zu läuten. Kaum ist das Klingeln zu hören, da stäubts von den Fichten und Büschen, ein Bäumchen wackelt, und – vor uns schwarz und riesig, steht ›Michail Ivanowitsch‹ und bläst uns an. Der Schreck fuhr uns so in die Glieder, daß wir uns nicht rühren konnten – kaum wagten wir, zu atmen. Plötzlich aber war der Ort, wo der Bär gestanden hatte, leer, und die Fichte wackelte wieder. Vorsichtig schlichen wir fort und kamen spät zur Hütte, wo wir schon ›Beß‹ wohlbehalten vorfanden.

Früh am nächsten Morgen waren wir wieder zur Stelle, wohlversehen mit schwerem Blei und mit einer ›Rogatina‹, die wir am Abend schön geputzt und geschärft hatten, an frischer langer Stange. Ich zog mein Glöckchen hervor und läutete wieder, wie gestern. Wieder schwankt das Bäumchen, wieder stäubt der Schnee – und heraus fährt mit Grollen und Fauchen der Hauptbär. Mein Vetter schießt seine Muskete ab, und kaum hat sich der Rauch etwas verzogen, steht der Bär mit furchtbarem Gebrüll und mit den Branten fuchtelnd, vor uns. Plötzlich aber ist er verschwunden.

Am See holten wir ihn ein. Langsam und schwerkrank zog er vor uns her, nur matt wehrte er ›Beß‹ ab, der ihn zwickte und kniff und ihn kläffend umsprang. Mochte er nun einsehen, daß wir ihn doch einholen würden und daß es keine Rettung mehr gab – kurz, er warf sich herum und nahm mich an. Der Schuß meines Vetters ging fehl – und einen Augenblick später saß mir der Bär an der Feder und bearbeitete den Schaft mit Branten und Fängen. So schoben wir uns hin und her, und schon glaubte ich, meine Kraft sei zu Ende, da sank die schwere Bestie wie ein Sack in sich zusammen, der schwere Kopf fiel vornüber, und alles war zu Ende. Warum mag er nun das Lager verlassen haben? Hatte er sich – der schwarze Viehdieb – getäuscht, und geglaubt, weidende Kühe und Renntiere vor sich zu haben? Wer kann das wissen? Aber so ein Altbär wandert weit – er mag wohl irgendwo, irgendwann Kuhglocken gehört haben ...

*

Im vorigen Jahre war ich mit meinem Bruder am Selez, um Lachse zu fischen. Weißt du, Herr, wo der Fluß durch den langen See fließt? Nun gut – du weißt. Nun, mein Bruder war in der Hütte geblieben und salzte die Lachse und Maränen ein, die wir tagsüber gefangen hatten. Ich aber – nun, das Wetter war schön, ich ging zu Boot. Vorn im Rost brannte das Kienfeuer und leuchtete rot über den schwarzen See. Das Wasser ist tief, aber durchsichtig bis zum Grunde – du weißt, Herr, man sieht auf viele Faden die Blöcke und Steine am Boden und die Fische, die da still liegen und nur mit den Brustflossen leise rudern. Nun also, ich fahre, sachte und langsam, und ich spähe. In der Hand halte ich eine vierzinkige Gabel, mit Widerhaken und an langer Stange befestigt. Daran, am Ende, ist eine lange, feste Leine, wohl fünf Faden lang, die läuft bis zum Bug und ist dort an den Spanten wohl angebunden. Ich fahre also und spähe aus – und siehe da, im Wasser liegt ein schwarzer Klotz. Nun, denke ich – was ist das für ein Klotz! Ich fahre näher, lege neues Holz aufs Feuer, daß die Funken fliegen und sehe mir die Sache an. Da sehe ich, es bewegt sich, ganz wie zwei große Flügel, auf und ab, und dazwischen liegt ein Fisch von riesiger Größe. Ein Fisch mit Flügeln! Ein Gespensterfisch, Ich wollte umkehren, fortrudern, fort, fort von diesem Ungeheuer. Mir grauste. Ich blickte auf – drüben an der Hütte brannte ein helles Feuer, und mein Bruder ging auf und ab und hantierte im hellen Schein. Dann aber, ich weiß selbst nicht mehr, wie und warum, holte ich aus zum Stoß und, indem ich die Heiligen anrief, stach ich die Gabel in das Ungeheuer. Kaum fühle ich den Stoß in der Hand, als auch das Wasser schäumt, die Stange nach unten schießt, die Leine nachfährt und sich mit hartem Ruck spannt. In sausender Fahrt, kreuz quer, jagt mein Boot über den See, das Feuer verlischt, zischend fallen die Kohlen ins Wasser. Ich rief die Mutter Gottes um Hilfe an, schlug das Kreuz und ergab mich in mein Schicksal. Weder Messer noch Beil hatte ich mit, das Seil zu kappen, und ich mußte befürchten, daß der Unhold tiefer tauchen und meinen kleinen Rindenkajak zum Kentern bringen könnte. Schon näherten wir uns der Mitte, weit hinten glänzte das Feuer am Ufer. Da wurden die Bewegungen schwächer und schwächer, die Spannung der Leine ließ nach, und das Boot lag still im Wasser. Nun nahm ich alle Gedanken zusammen, entfachte ein neues Feuer und begann, vorsichtig an der Leine zu ziehen. Wieder fuhren wir los, aber langsamer, matter. Endlich ergriff ich die Ruder und näherte mich, immer stärker arbeitend, den Steinen am Ufer. Sowie ich am Strande Fuß fassen konnte, ergriff ich das Boot, zog es aufs Land und holte langsam und vorsichtig die Leine ein. Anfangs gings leicht, dann aber, als schon die Stange auftauchte, zerrte es mächtig, und das Wasser spritzte und schäumte. Hier aber, fest am Lande stehend, war ich der Herr: ich zog und zerrte den Klotz ans Trockene. Ein Hecht, wie ich noch keinen sah, dick, breit, lang und schwer und, auf dem Rücken eingekrallt, ein – Adler mit riesigen Schwingen und weißem Stoß! Nun war das Rätsel gelöst, und ich lachte über meinen Schreck, über meinen kindischen Aberglauben. Der Adler war noch ganz frisch – erst vor wenigen Tagen konnte er von seinem Gegner ersäuft sein. Ja, Herr, mancher verrechnet sich, mancher will den Bären fangen und der Bär fängt den Mann. So gings auch dem Adler mit dem Fisch. In Padansk haben wir ihn gewogen, den Hecht: siebzig Pfund wog er, ja, Herr, siebzig Pfund ...«

*

»Zwanzig Winter mags her sein. Der kleine Iwàn, weißt du, Herr, der später umkam beim Schlingenstellen, der kleine Iwàn also und ich waren am Pödrajerw. Wir jagten auf Elche und, da es damals in dieser Gegend noch wenige gab, waren wir sehr begierig, dies starke Wild zu erlangen, gibt es doch viel, viel mehr Fleisch, als ein elendes Ren. Ich hatte damals einen vortrefflichen Finhund, ein gutes, kluges Tier. Hm – ja, der alte ›Barsuk‹. Herr, so einen Hund hatte ich nie wieder. Groß und stark und mutig war er, mit einem Wolf nahm ers auf. Und klug und schnell! Ja, ja, der alte ›Barsuk‹. Herr, hätte ich ihn damals nicht mitgehabt – ich säße nicht hier mit dir am Feuer und briete Fische. Willst du jetzt essen? – Nein? Auch gut. Also später – sehr gut, sehr gut, ganz nach Wunsch. Willst du Tee? Hier. Nun ja, sehr gut. – Also wir hatten keine Elche bekommen. Iwàn war müde geworden und zurückgeblieben mit ›Barsuk‹, dem Hunde. Wie ich so durch die Heide gehe und nach allen Seiten schaue, ob nicht ein Elch zu sehen ist, bemerke ich ein braunes Etwas, das im Busch sich bewegt. Ich bleibe nun am großen Stein stehen und mache mich fertig. Da kommts auch schon hervor und – hilf Himmel – fünf Bären stehen da vor mir! Die Alte voran, zwei Vorjährige und Jährlinge. Die Alte faucht mich an und brummt und grollt. Ich lege meine Steinschloßflinte auf den Stein, ziele, drücke. Da ist auch schon die Alte bei mir, mit offenem Fang, mit gräßlichem Gebrüll. Ich – hinauf auf den Felsblock, fasse die Muskete, ein schweres, dickes Ding, am Rohr und haue auf die Bestie ein. Na –, nun ists aus, denke ich. Herr, ich schlug verzweifelt auf den Bären, wich Schritt vor Schritt zurück und schrie aus Leibeskräften. Schon fühle ich den stinkenden Atem im Gesicht, schon habe ich eine tiefe Schramme am Arm. Da – im Moment der höchsten Not – erscheint ›Barsuk‹ auf der Bildfläche und fällt mit wütendem Geheul über die Bärin her. Rundherum um den Stein geht die Hetze mit Gebrüll und Schnaufen und Bellen und Knurren, bald ist der Bär, bald der Hund der Gejagte. Nun schnell, mit zitternden Händen, Pulver ins Rohr, Blei drauf, Korn auf die Pfanne und – pfft – bumm! hat das braune Biest die zweite Ladung im Rücken. Fort saust die dunkle Masse mit Geprassel und Gefauch in den Busch und hustet und keucht. ›Barsuk‹ hinterher. Starr und steif fanden wir die Bärin am nächsten Morgen am Rande des Mooses. Fünf Rubel zog mir der Pelzhändler ab, der Filz, für die großen Kugellöcher und für die Spuren von den Zähnen meines Hundes ...«

*

»Bârin, hast du eine Bärenhochzeit gesehen? Nein? Nun gut. Also du hast keine gesehen, nun, ja, nicht ein jeder hat so was gesehen. Aber ich – ich wohl. Am großen Vielfraß-See wars. Ich hatte dort mit meinem Bruder Angeln und Reusen für Quappen gestellt, ein lohnendes Geschäft, weißt du. Wenn wir zur Hütte wollten, mußten wir auf einem Fußwege durch verwachsenes Hochmoor gehen, durch Stangenholz mit Weidengebüsch. Nun – eines Abends, die Sonne wollte gerade unter die Wipfel, marschierten wir wieder auf so einem Wege durchs Moor. Es war ein schöner warmer Juliabend, ganz still und klar. Wie wir so wandern hören wir in der Ferne sonderbare Töne, wie Geschrei oder Gesang und lautes Sprechen und Schelten. Was mag da kommen? ›Das sind Samojeden, die schreien und kreischen so, wenn sie singen und lustig sind.‹ ›Nein, nicht Samojeden,‹ meint er, ›das sind Zigeuner.‹ ›Bratuschka – Zigeuner? Wie sollen denn die herkommen?‹

Näher und näher kommen die Töne. Babbeln und Schreien, Gröhlen und Schelten. ›Du,‹ sage ich, ›das sind gar keine Menschen.‹ Wieder kommts näher – verschiedene Stimmen sinds, grobe und höhere. Leise schleichen wir weiter und kommen auf eine Fläche. Góspodin, góspodin – sechs Bären stehen da, einer immer größer als der andere, und brüllen und blasen und zanken und schelten und ohrfeigen sich. Und jedesmal, wenn einer einen Hieb weghatte sagte er: Mlämm, mlämm, mlämm. Regungslos saßen wir da und wagten kaum zu atmen und waren froh, als die wilde Schar fort war. Noch lange hörte man schelten und schreien.

So, Bârin, nun ists aber Zeit, zu schlafen. Du wirst müde sein, und morgen müssen wir weit laufen.«

Romàn Omossow erhebt sich, nimmt seine Kappe ab, murmelt sein Gebet und, sich verneigend, schlägt er dreimal das Kreuz über Stirn und Brust. Das Feuer flackert und knistert, fern ruft der Auf, und die Sperlingseule schwirrt mit leisem »Zitt, zitt« im Busch ...


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