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Von Berthold Körting.
In aller Frühe am dritten März hatten wir in Mongalla den Dampfer verlassen und zogen ins Land mit unserer Eselkarawane. Der Weg führte uns zuerst durch eine ausgedehnte Kautschukplantage, dann an pfahlumzäunten Dörfern der Barias vorüber.
Die Barias sind ganz andere Leute als die Dinkas, Schilluk und Nuer, die wir bislang getroffen hatten. Breitschultrig, klein und untersetzt und haben Hosen an, die Männer aus weißem Baumwollstoff. Das Haar ist rasiert, bis auf einen langen Schopf, den jeder an anderer Stelle sich auf dem Kopfe wachsen läßt.
Die Frauen sind völlig nackt. Besonders schöne und eitle kleiden sich mit rotbrauner Schminke am ganzen Körper, haben schwere eiserne Ringe um den Hals und dicke Holzstücke in den Ohren. Die kreisrunden winzigen Hütten stehen auf etwa meterhohen Pfählen. In dem Raume darunter spielt sich am Tage das häusliche Leben ab. Unter einer Hütte fanden wir eine üppige schwarze Venus lässig liegen, ihr ebenso schwarzes Baby sog verträumt an der Brust. Im Munde der Mutter hing eine lange Pfeife mit einem Mundstück aus einer Patronenhülse – dolce far niente.
Weiter ging es durch hohe Durrahfelder und dann durch dichten Dorn.
Nur zwei Stunden hatten wir zu reiten, da lag der weite Kohr, die Wasserstelle, vor uns; bald war das Lager aufgeschlagen, und die Esel ihrer Bürde ledig, wälzten sich wohlig im Staube. Bis unser Koch das Essen bereitet, streifte ich um das Lager mit der Vogelflinte. Vertraut äste vor mir ein Buschbock das Grün der Büsche. Die zierliche Antilope richtete sich hoch auf die Hinterläufe, wie die Ziegen bei uns.
Nachher ging ich mit meinem Vater zusammen, und Ahaya, dem braunen Araber, auf die Jagd.
Wir sahen gleich anfangs einen Wasserbock, der sich umständlich und behaglich im Lager niedertat. Wir nahmen ihn als gutes Vorzeichen für unsere Pirsch. Aber es blieb dabei, bis wir auf dem Rückwege zwei dunkle Schemen in der Dämmerung sahen auf einer etwa dreihundert Schritt breiten Zunge niedrigen Grases, die sich vom Kohr in den Wald erstreckte. Wir hielten es für Warzenschweine. Als ich mich anpirschen wollte, waren sie schon im Dunkel verschwunden.
So gingen wir heim zum Abendbrot und stärkten uns nach des Tages Sonnenglut mit Limonade, Wasser, Tee und so fort, bis über den Wipfeln der Mond aufging.
Der Vollmond winkte so verführerisch, daß ich schließlich nicht widerstehen konnte, etwas zu tun, das in Afrika, der bösen Löwen wegen, nicht üblich ist. Ich ging mit Ahaya und Hosman hinaus in den nachtdunklen Busch. Ahaya wollte auch ein Gewehr, sonst wärs ihm zu gefährlich. Ich gab ihm die 7 mm-Mauser, worüber er sehr stolz war. Osman trug mir den Drilling zur Reserve und ich selbst nahm die 9,5 mm-Mauser. »Gute Nacht, Vater, auf gesundes Wiedersehen.«
Gleich anfangs stand ein starkes Rudel Wasserböcke am Rande des Kohrs. Dann hörten wir etwas in schwerem dröhnendem Galopp flüchtig werden. Ein Schakal setzte sich kurz vor mir auf die Keulen und strich dann weiter als ein grauer Schatten. Nachtschwalben und Fledermäuse huschten um mein Gesicht. Dann kamen wir wieder dorthin, wo wir die beiden dunklen Tiere am Abend gesehen. Weit draußen auf dem Grasboden standen sie wieder. Am Waldsaume krochen wir leise näher. Dornen rissen die Haut, bohrten sich in Hände und Knie. Jetzt deckt mich ein dicker Baumstamm. Ich richte mich auf, um durch mein gutes Glas herauszubringen, was wir vor uns haben. Sollten es Büffel sein? Nein doch, es sind Sauen. Da zog ein Federwölkchen vor dem Mond weg, und einen Augenblick blitzte ein mächtiges Horn. » Gamus, Gamus!« (Büffel, Büffel!) flüstern beide Araber. Es ist kein Zweifel mehr möglich. Es sind Büffel. Asend zogen sie langsam weiter nach rechts. Es war zum Schießen reichlich weit, auch war der Baum so glatt, rund und dick, daß ich im Notfall nicht hinaufgekommen wäre, und bei Büffeln ist Vorsicht geboten. Im Schlagschatten des Baumes krochen wir zurück und weiter rechts wieder vor zu einer einzelnen Akazie. Hier ging es. Ein paar Astgabeln boten sich für den schlimmsten Fall. Die Büffel standen auf zweihundertsechzig Gänge. Ich lud mir den Drilling mit Brenneckegeschossen zum Entsetzen des Schikari, der glaubte, ich wolle mit Schrot auf Büffel schießen, und stellte ihn für den Notfall bereit an den Stamm. Dann strich ich die Mauser an, setzte aber wieder ab und schaute durchs Glas. Jetzt standen sie breit, der rechte schien stärker. Ich legte wieder an: aber, weiß der Kuckuck, ich hielt ganz ruhig darauf und konnte und konnte doch den Finger nicht krumm bringen. Ist ein wunderlich Gefühl, den ersten Schuß abzugeben in die nächtliche Stille. Was wird dem Knalle folgen? Darüber wurde es dem Mond zu langweilig, er zog wieder den Wolkenschleier vor. Verzweifelt sah ich hinauf. Gott sei Dank, nur ein kurzer Fetzen. Nun wirds wieder hell, es gilt! Der Schuß blitzt auf, der Büffel zeichnet mit einem riesigen Satz. Schnell repetiert, noch einmal schießen, – immer näher kommt er: zum dritten-, zum viertenmal, da bricht der Koloß schwer zusammen. Da faßt mich Ahaya erregt am Arm und weist nach dem zweiten Büffel, den ich im Eifer ganz vergessen. Der kommt in voller Fahrt auf uns los. Schnell den fünften und letzten Schuß und neu geladen, so schnell es geht. Der Büffel wendet zu dem gefallenen Kameraden, ich schieße wieder, wütend rennt er im Kreise herum, die dritte Kugel wirft ihn ins Gras. Da hab ich mein Gewehr an den Baum gelehnt, mir eine Zigarette angesteckt und tief, tief aufgeatmet. Aufregende Sekunden waren es gewesen, kein Wort war gefallen, nur das Krachen der Schüsse, der helle Kugelschlag und das Poltern der vorwärtsstürmenden Büffel.
Wohl fünf Minuten mochten vergangen sein, da dröhnte durch die Stille tiefes langgezogenes Brüllen, so unheimlich und fürchterlich, wie ich nie etwas hörte zuvor. Immer röchelnder und kürzer werden die Töne. Dann beginnt es nahe vor uns von neuem. Der harte Boden unter unseren Füßen schwingt leise mit. Vom dunkeln Walde antwortet das Echo. So verklingt der schwarzen Recken gewaltiges Sterbelied. Langsam gehen wir heran. Osman und Ahaya halten mich an den Händen, die sie immer wieder begeistert drücken. Hell und jubelnd schallt ihr Jauchzen durch die helle Nacht. Weither vom Lager klingt uns die Antwort. Dort hatten sie meine Schüsse gehört und dann das Brüllen der Büffel, und Rosinek, unser Dragoman, und all unsere Leute waren zu uns unterwegs in höchster Aufregung und Besorgnis. Jetzt hörten sie Ahayas Jubel, und hüben und drüben erklang frohes Rufen.
Inzwischen stand ich vor dem ersten Büffel in den prachtvollen Anblick versunken und gedachte des unglücklichen Jägers, an dem im Jahre zuvor ein Büffel sich für die Kugel blutig gerächt. Das war nicht weit von hier. Über dem kapitalen Bullen vergaß ich zum zweitenmal heut nacht den anderen, bis Ahaya mich freudig rief. Ich ging hin und fand einen Bullen, noch stärker als den ersten. Breit und mächtig deckten die wulstigen Hörner die Stirn. Das war eine Jagd! Jetzt kamen auch die Leute und Rossinek; der hatte alle Taschen voll Reservepatronen für mich. Die brauchte ich nun nicht mehr. Er war ganz außer Atem vom Lauf durch den Busch aus dem besten Schlaf heraus. Ein allgemeines Händeschütteln, Gratulieren und Bewundern begann.
Der erste Bulle hatte alle vier Schüsse auf dem tellergroßen Fleck kurz hinter dem Blatt. Beim zweiten fand ich nur zwei Einschüsse. Ich muß ihn einmal vorbeigeschossen haben, was bei dem schwachen Licht und dem außerordentlich schnellen Schießen auf das laufende Wild nicht gerade verwunderlich ist. Trotzdem ich mit Vollmantel schoß, fand sich kein einziger Ausschuß.
Ich beorderte eine Wache für den Rest der Nacht. Dann ging es zum Lager.
Auf halbem Wege begegnete mir mein Vater ganz verstört. »Gott sei Dank! Da bist du. Was ist denn los? Bist du gesund?«
»Gib mir 'n Kuß, zwei kapitale Büffel!«
Irgendein freudetrunkener Araber hatte auch ihn zu guter Letzt aus seinem tiefen Schlafe geholt.
Der mißverstand die aufgeregten Gesten, fuhr schnell in sein Zeug und kam mit geladener Waffe angestürzt, um mir zu helfen. Seine Freude war groß. Ich führte ihn zu den Büffeln hin.
Er stand lange davor und ein leises »Donnerwetter« nach dem anderen kam über seine Lippen. So gewaltig hatte auch er sich Büffel nicht vorgestellt.
Am nächsten Morgen gingen wir beide mit Ahaya nach Sonnenaufgang ins Land. Udar lag fieberkrank.
Wir fanden bald frische Fährten von Büffeln, Elaus und Zebras und auch von zwei Elefanten. Eigentümlich sehen die Tritte auf dem harten Boden aus. Man sieht nur ein feines erhabenes Netzwerk von Staub, das die tiefen Risse der Sohlen wiedergibt. Eine scharfe Abgrenzung der ganzen Sohle ist sehr selten. Die Hufe stehen nicht vor und markieren sich nie. Wir gingen der Fährte nach. Bis auf einzelne Stellen, an denen sie geäst hatten, hatte immer der zweite genau in die Fährte des führenden getreten. Hie und da sahen wir Büsche, deren Grün mit dem herumgeschlungenen Rüssel abgestreift war, sahen bis zu fünfunddreißig Zentimeter dicke Stämme, die sie niedergebrochen hatten, ausgekaute Baumrinden lagen neben der Fährte und in der Fährte dicke Haufen von Losung. Ahaya quetschte mit den Händen noch warmen gelben Saft heraus, zum Zeichen, wie frisch sie noch sei. Einmal fand ich Losung über und über bedeckt und umflattert von rotweißen Faltern, die sich labten in Ermangelung von Blütensaft.
Denn spärlich nur wachsen aus dem heißen Staub blasse kümmerliche Blüten, wie Federnelken, und sehr, sehr selten blüht tiefrot ein dunkelgrüner Busch. Weiter und weiter führte der Weg durch hohen dürraschelnden Graswald, über freies Sandfeld, durch lichten Dorn und Wald. Einmal kreuzten wir eine alte Nashornfährte. Hellgelbe Dick-Dick-Antilopen, wie Rehkitze, so klein, springen zierlich durch den Busch. Ein flacher, runder Sandwall umgibt einen Haufen weißer Scherben – ein altes Straußennest.
Hoch über das feine Geäst äugt eine schlanke Giraffe. Graziös trotz der gewaltigen Größe. Dann wird sie flüchtig mit wiegendem Hals. Hinter ihr her eine halbwüchsige junge im gleichen steif ausgreifenden Galopp.
Geradeaus geht die Fährte, keine Stelle zeigt sich mehr, an der die Elefanten gerastet oder geäst. Vorwärts, immer vorwärts. Die Zunge klebt am Gaumen. Kein Luftzug weht. Gewitterschwüle herrscht und erbarmungslos strahlt die Mittagssonne. Unser Wasservorrat geht zur Neige. Die Losung, die wir von Zeit zu Zeit finden und die immer trockener statt frischer ist, bedeutet uns, daß unser Wild schneller als wir, daß der Abstand sich stetig vergrößert. Bei meinem Vater zeigen sich Anzeichen von Ermüdung. Mit dreiundsiebzig Jahren solch Gewaltmarsch! Aber weiter durften wir nicht mehr gehen. Im Schatten eines knorrigen Baumriesen hielten wir kurze Rast. Dann ging es zurück, manche Stunde. In hohem gelben Gras, das über unseren Köpfen zusammenschlägt, stoßen wir auf das frische Lager eines Löwen. Ein runder Kessel im dürren Gras. Ob unsere Schritte ihn eben verscheuchten? Noch einmal machten wir halt unter der breiten, dicken Krone eines Baumes mit eckig verwinkeltem Astwerk, und teilten die letzten Tropfen aus unseren Feldflaschen.
Endlich wurde es wieder frei vor uns, von weitem winkte der Wasserspiegel des Kohrs.
Zwei Leute kamen uns entgegen mit Wassersäcken. In langen Zügen trank ich das brauntrübe, lauwarme Wasser – und wie es mundete!
Mein Vater ging weiter die letzte halbe Stunde zum Lager. Ich ging zu den beiden Büffeln. Erst machte ich ein paar Aufnahmen von ihnen und dann leitete ich das Abhäuten. Es dunkelte schon, als ich endlich todmüde und schlapp zum Lager kam, um den ersten Bissen seit gestern abend zu essen.
Aber als der Mond aufging, ging ich doch wieder hinaus. Der Wind war schlecht und drüben brannte knatternd der Wald. Nur Schakale und Hyänen zogen vorüber zu den Resten der Büffel. Schon vor Mitternacht war ich wieder im Lager. Trotz meiner Müdigkeit lag ich lange schlaflos. Die dumpfe schwüle Hitze lag erstickend auf mir. In der Ferne grollte der Donner, flammten weiße Blitze.
Wir blieben nicht länger. Fleischjagende Askaris haben das Wild vertrieben. Fast nichts sahen wir gestern auf dem langen Marsche.
Während am Morgen das Lager abgebrochen wurde, streiften wir noch etwas um das Kohr und schossen einige Vögel, mein Vater einen sehr großen Pelikan.
Am Nachmittag waren wir wieder an Bord.
Der Dampfer wendete und nun gehts zurück nach dem Norden.
6. März.
Kaum waren wir hundert Meter gefahren heute früh, da saßen wir fest auf dem Sand und kamen und kamen nicht wieder los. Gegenüber winkte ein herrlicher Uferwald über der senkrecht zum Wasser abfallenden Uferwand. Schließlich ließen wir beide uns in der Felucca an Land rudern an einer Stelle, wo das Ufer niedrig genug war, um hinaufzukommen. Wir sind lange in dem wundervollen Walde hin und her gegangen und oben an der Kante des wohl acht Meter hohen Absturzes entlang gewandert. Haben eine ganze Anzahl verschiedener prächtiger Vögel geschossen. Der Dampfer lag immer noch fest. Wir gingen an Bord zurück und aßen zu Mittag. Er rührte sich nicht.
Dann vergnügten wir uns damit, durch die Gläser den Vögeln an der Uferwand zuzuschauen. Plötzlich schüttelte ein merkwürdiges Zittern einige der größten Bäume am Rand. Muschelförmige Erdstücke lösten sich von der Böschung und fielen ins Wasser. Wolken purpurner Vögel schwirrten ängstlich auf!
Ein breiter Riß klaffte.
Langsam begannen die Bäume sich zu neigen und zu senken. Da brach es herunter mit betäubendem Donnern und Brausen. Ein Uferstreif, wohl zehn Meter breit und neunzig Meter lang versank mit Büschen und hohen Bäumen im aufschäumenden Nil.
Drei riesige Wellenkämme rollten heran, warfen das Schiff hoch und wieder hinab auf den Sand.
Erdreich, Büsche und Bäume blieben in der Tiefe verschwunden. – Leicht wäre mirs ein schaurig Grab geworden. Zwei Stunden zuvor stand ich dort oben an einen der Stämme gelehnt.
Noch lange saßen wir fest. Die ganze Mannschaft war im Wasser. Sie trugen den Anker heraus, mit der schweren Kette. Daran zog sich das Schiff langsam los. Fast ein ganzer Tag ist verloren. Jetzt endlich am Nachmittag sind wir frei und fahren stromab.
6. März. Nachts.
Dank sei der Sandbank, die uns so lange festgehalten! Wir haben einen Elefanten geschossen! Kurz vor Sonnenuntergang wars.
Ich war gerade im Badezimmer und wusch einen Negermädchenschurz sauber – den ich für einen Meter Messingdraht mir gekauft – da poltern die beiden Boys herein: » Fil, fil, henna!« »Elefanten dicht bei uns!« Ich stürze heraus. Da standen sie nur fünfzig Schritt vom Ufer im hohen abgebrannten Papyrus. Eine schwarze zusammengeballte Masse von etwa zwanzig Elefanten. Schwarze Aschenwolken wirbeln hinter ihnen auf. In meiner Aufregung verwechsle ich die Ufer, meine, es wäre die Seite der Bahr el Ghasal-Provinz, auf der die Jagd verboten ist und renne mit dem Apparat aufs Sandeldeck und photographiere sie – dann erst merke ich meinen Irrtum und stürze herunter, stecke Vollmantel in die Büchse und eine Handvoll Reservepatronen, weil mein Pyjama keine Taschen hat, in den Mund und springe an Land, wo mein Vater schon wartete.
Dem war es noch toller ergangen. Statt » Fil, fil« hatte er »Schieß, schieß« verstanden, entdeckt einen grünen Schilfstengel im Wasser, hält ihn für einen Warau und schießt darauf. Dann erst versteht er, um was es sich handelt und entdeckt die Elefantenherde.
Die waren auf den Schuß flüchtig geworden. Aber in dem verbrannten Rohrgewirr, das so hoch ist wie sie selbst, kommen sie nur langsam vorwärts. Auf der breiten, von ihnen niedergestampften Straße gehts in vollem Laufe hinter ihnen her. Zuerst stoßen wir auf zwei Weibchen, die mit dem Rüssel jede ihr Junges vor sich hertreiben, und dann holen wir den Haupttrupp ein, der aufgehalten war durch einen tiefen Wassergraben, durch den sie sich mühsam durcharbeiteten. Vierzig Schritt daneben bleiben wir halten und lassen einen nach dem anderen passieren. Als letzter geht ein guter Bulle durchs Wasser, mit dickem, schneeweißem Elfenbein. Der soll es sein. Als mein Vater noch immer nicht schießt, gebe ich den ersten Schuß ab, schräg von hinten hinter das Ohr, dann schießt mein Vater, dann ich wieder, aufs Blatt diesmal, dann er wieder. Unglaublich schnell waren die Schüsse einander gefolgt.
Dem Riesen war nichts anzumerken. Wenige Schritte noch, dann wird er im Papyrus verschwinden. Nun gab ich den dritten Schuß auf die dritte Stelle ab, die mir erfahrene Afrikaner geraten. Ich zerschmetterte ihm das Oberarmgelenk. Ein kurzes Schwanken noch, dann brach die gewaltige schwarze Masse zusammen.
Bis wir durch den Graben zu ihm gelangten, hatten schon unsere anderen Schüsse ihre tödliche Wirkung getan. Kurze Zeit blieben wir dort. In der Ferne klang der helle Trompetenton der aufgeregten Herde. Langsam verschwand die Sonne hinter der Wildnis. Wir gingen schwarz wie Kohlenbrenner an Bord zurück. Mit Windlichtern und Laternen zogen unsere Leute heran und häuteten den Elefanten ab.
Ich habe dann noch die Photographien aus Mongallo und von der Elefantenherde entwickelt. Sie sind gut geworden. Es ist nicht so einfach, hier zu entwickeln mit dem lauwarmen Wasser. Nur zu leicht bilden sich Blasen, schwimmt die Schicht vom Glas. In der Kabine zeigt das Thermometer zweiundvierzig Grad Celsius jetzt in der Nacht.
Welche Strapazen haben wir durchgemacht am Bahr el Ghasal und in Mongalla und immer vergeblich, und nun fiel uns das Glück in den Schoß.
Wie an einen wirren Traum erinnere ich mich der letzten Viertelstunde. Selbst als wir vor dem erjagten Riesen standen und sein liegender Leib uns noch überragte, wurde mirs schwer, an die Wirklichkeit dessen zu glauben, das meine Augen vor sich sahen.
7. März.
Heute ging es den ganzen Tag stromab. An Bor vorüber.
Vom Morgen bis zum Abend arbeiteten wir mit Äxten und Beilen die Stoßzähne aus dem Schädel los. Udar, der immer krank ist, – war gestern nicht bei der Elefantenjagd – und neulich zur Stärkung eine Flasche Limonade bekam, kam heute an, er wäre sterbensschwach und brauchte wieder Limonade. Statt dessen gabs heimtückisch Rizinusöl. Nun arbeitet er fleißig mit. Rizinus wirkt Wunder, in Afrika wie beim preußischen Kommiß.
8. März.
Es ist eine wundervolle Nacht. Das Wasser ist spiegelglatt und endlich, nach all dem heißen Dunst ein blitzblanker Sternenhimmel. Der Dampfer liegt verankert, wo damals ich die Nilpferde schoß; heute schoß mein Vater eines am gleichen Fleck zur gleichen Stunde. Während wir nach Anbruch der Nacht unser Abendbrot aßen, entstand an der Sandbank und um den abgehäuteten kopflosen Kadaver ein lärmendes Rauschen. Hochauf spritzte das Wasser. Dutzende mächtiger Krokodile kämpften um die fetten Bissen mit wütenden Schwanzschlägen, zerrten an dem Kadaver: zerrten in wenigen Augenblicken die wohl fünfzig Zentner schwere Masse ins Wasser. Der wilde Tumult verschwand im treibenden Strom.
Durch die stille Nacht klingen die Stimmen der Wildnis.
Grollend dröhnt der langhallende Donner des Löwen, hell schrillt des Elefanten schmetternde Fanfare, dumpf knurrt der Nilpferde brüllendes Grunzen über das Wasser, in dem leises Plätschern jagende Krokodile verrät. Dazu summen und singen tausend Moskitos ihr leises eindringliches Lied.
Elefanten sahen wir heut wieder ein zahlreiches Rudel im unzugänglichen Sumpf.
Unschätzbar ist die Menge der Nilpferde. Heute nachmittag, während Vater seines schoß, stöberte ich am anderen Ufer in ihrer Landwohnung im hohen grünen Schilf. Dort liefen kreuz und quer breitausgetretene Straßen, die sich auf freien Plätzen kreuzen. Laubengänge, über denen üppige Schlingpflanzen wie festliche Girlanden hängen. Seit langen Zeiten müssen die Wechsel benutzt sein, oft sind sie drei, vier Fuß tief eingeschnitten in den festen Boden und besser festgestampft und gewalzt als so manche Münchener Straße. Zum Wasser führen merkwürdige Kanäle. Zylindrisch und glattrandig wie die Röhren des Fuchsbaues liegt die Sohle im Erdreich, das Gewölbe im unentwirrbar verfilzten Rohr. Sie sind eben weit genug, um ein Nilpferd passieren zu lassen. Auf Händen und Knien bin ich wohl fünfzehn Meter hineingekrochen. Auch diese Röhren sind vielfach verzweigt und stehen miteinander in Verbindung. Ich fand auch geräumige runde Kessel in dem dunklen Labyrinth. Zum Flusse hin gingen die Kanäle schräg abwärts, so daß die Mündung fast ganz unter dem Wasserspiegel lag und das Wasser eine lange Strecke in den Kanal eindrang. Die Nilpferde können also vollständig ungesehen unter dem überhängenden Röhricht ein und aus wechseln.
Eine Menge großer Nilwaraune raschelten schnell durch das Schilf, so schnell, daß ich auf keinen zu Schusse kommen konnte. An den Halmen hingen türkisblaue Zwergfinken und die langschnäuzigen Mäusevögel. Fledermäuse flatterten erschreckt auf, daß die Sonne durch die kleinen Hautflügel schien.
10. März.
Gestern vormittag kamen wir nach Kenisa. Nach dem Essen gegen zwölf Uhr ritten wir ins Land. Es war nur eine Stunde zu reiten bis zur Wasserstelle. Unter hohen Tamarinden wurden die Zelte aufgeschlagen.
Wasserstelle ist ein euphemistischer Ausdruck für den kurzen schmalen Streifen morastiger Wiese, in die die schlanken perlschnurumgürteten Dinkamädchen die großen Tonkrüge drücken, bis trübes schlammiges Wasser über den Rand hineinquillt. In langen Reihen kommen sie an unseren Zelten vorüber. Man wird nie müde, ihrem elastischen Gange zuzuschauen. Von drüben, vom Walde her nähern sich große Paviane der Pfütze ohne Scheu.
Nur dieser winzige Sumpf versorgt auf weite Strecken alles Lebende. Die Dinkas und ihre zahllosen buntscheckigen Ziegenherden, Paviane und Reiher und alle die Antilopen, Büffel, Elefanten – und nun auch uns.
Wir hatten gleich nach unserer Ankunft eine Anzahl Dinkas ausgesandt, um Büffel auszumachen. Die kamen jetzt in federndem Trabe zurück und meldeten ein Rudel, das sich im Waldesschatten niedergetan. Wir brachen gleich auf, und es dauerte nicht lange, so deuteten die Schwarzen auf eine Stelle im Dornbusch. Mein Vater, Ahaya und ich schlichen vorsichtig näher. Der Wind war schlecht. Mein Vater konnte noch nichts entdecken in dem dichten Buschwald. Die Büffel waren aufgestanden. Sie standen zu einem dichten Haufen gedrängt und windeten nach uns her.
Dann lösten sich unschlüssig erst ein und dann noch ein guter Bulle vom Rudel, die gingen über eine schmale Blöße flüchtig und ihnen folgten gleich darauf die anderen in geschlossener Masse.
Mein Vater kam so schnell nicht zum Schuß. Und ich glaube, daß das ein großes Glück für uns war. Wie, wenn die Büffel, durch einen Schuß wütend geworden, uns angenommen hätten. Sie hatten uns gewittert und eräugt, waren nur neunzig Gänge entfernt, und Büffel sind schnell und gewandt, das hatte ich früher gesehen. Die paar Schüsse, die wir noch Zeit gehabt hätten, abzugeben, hätten uns nicht retten können. Andererseits hatte ich, der ich schon zwei Büffel geschossen, ihn nicht von einem Schuß abhalten mögen. Aber ich kann wohl sagen, als die Büffel so unbeschossen verschwanden, fiel mir ein dicker Stein vom Herzen. Wir folgten der Fährte, die unaufhaltsam flüchtig weiter ging. So bogen wir schließlich ab, zum Lager zurück, wo wir um drei Uhr des Nachmittags ankamen. Um fünf Uhr wollten wir wieder los und schickten gleich wieder die Dinkas heraus. Bis dorthin ging ich etwas im Busch spazieren, und machte ein paar Aufnahmen von Wasserböcken. Hier fand ich wieder einen einzelnen Tiang mit Wasserböcken vereint. Wie damals am Bahr el Ghasal, war es ein auffallend starker Bock. Als ich ihn photographieren wollte, sprang er leider vorzeitig ab. Zur verabredeten Zeit holte ich meinen Vater vom Lager ab. Die Dinkas waren noch nicht zurück, wir wollten jedoch nicht länger warten.
Nach einer halben Stunde kamen wir an einen guten Buschbock mit auffallend ungleich langen Spießen. Kaum hatte mein Vater ihn erlegt, als in prachtvollen langen Sprüngen lanzenschwingend mehrere Dinkas heranstürmten.
Ganz in der Nähe hatten sie wieder Büffel gefunden. Wir folgten sofort den Schwarzen. Aber inzwischen waren die Büffel weitergezogen, wohl durch den Knall der Schüsse beunruhigt. So schnell wir nur irgend konnten, folgten wir den Fährten, denn die Sonne sank schon hinter den Büschen.
Endlich bekam ich sie zu Gesicht. Sie standen weit verstreut als mächtige schwarze Flecke im grauen Abenddunst. Mein Vater, dessen Augen nicht mehr so gut sind wie in früheren Jahren, konnte sie noch nicht erkennen. Wir schlichen den langsam weiterziehenden noch lange nach, bis ich ihm endlich einen guten Bullen zeigen konnte. Es wurde immer dunkler. Mein Vater visierte lange, schließlich setzte er ab. »Es geht nicht mehr; wenn du noch sehen kannst, so versuche du dein Heil.«
Ich brachte ihn erst zu einem dicken, deckenden Busch und pirschte vorsichtig dem Büffel nach. Es war wirklich nur ein unklarer dunkler Schatten, auf den ich dann schoß.
Einmal, zum zweiten und noch zum dritten Male. Er raste im Kreise herum; jetzt kam er plötzlich so nahe, daß ich ausriß, so schnell ich laufen konnte. Dicht bei meinem Vater hielt ich wieder und schoß zum vierten Male. Dann lud ich noch, um für alle Fälle gerüstet zu sein. Dabei hielt mich eine Ladehemmung lange Zeit auf. So etwas passiert ja immer, wenn mans gar nicht brauchen kann. Schließlich konnte ich noch einen fünften Schuß anbringen. Dann verlor ich meinen Büffel aus den Augen. Es war dunkle Nacht geworden. Die übrigen Büffel wichen nicht vom Platze, wir hörten ihr wütendes Grunzen. Wir müssen morgen in der Frühe nachsuchen.
Also zurück zum Lager. Mein Vater sah nicht mehr die Hand vor Augen. Es war ein entsetzlich beschwerlicher Weg für ihn. Zuerst folgten wir einem schmalen Eingeborenenpfade, auf dem ich ihn ganz gut führen konnte, dann ging es auf einem alten Elefantenwechsel aus der Regenzeit weiter, oft zwei Fuß tief waren die riesigen Sohlen in dem jetzt fast steinharten Boden abgedruckt. Wir konnten uns nur langsam und stolpernd weitertasten.
Und als wir endlich das freie Land vor dem Kohr erreichten, versperrten uns Büffel den Weg zum Lager. Wir sahen nichts von ihnen, aber wir hörten die Hörner hell zusammenschlagen, hörten sie stampfen, grunzen und brüllen. Es mußten eine ganze Menge sein.
Unsere Führer wollten um keinen Preis in irgendeiner Richtung weitergehen. Wir berieten lange, was zu machen sei.
Die Millionen flimmernder Sterne konnten die schwarze Nacht nicht erhellen, unsere Augen die Dunkelheit nicht durchdringen. Aber zu unseren Ohren drang immer wieder das Knicken des Rohres, das Klappern zusammenschlagender Hörner, das wütende Schnauben kämpfender Bullen.
Wir wollten sie durch Alarmschüsse vertreiben.
Drei Feuergarben steigen zum Himmel, drei Schüsse knallen. Totenstille herrscht einen Augenblick. Dann setzt ein leise dröhnender Donner ein, der stärker und stärker wird.
Die Büffel kommen. Einen Moment erstarrt uns das Blut in den Adern. Dann fasse ich meines Vaters Arm und stürze mit ihm seitwärts ins Kohr, hinter einen kleinen schützenden Dornbusch. Da bleiben wir stehen. An uns vorüber huschen lautlose schwarze Schatten, unsere Dinkas. Unter unseren Füßen zittert der Boden. Die Faust umspannt krampfhaft den Büchsenhals. Da braust es polternd und krachend an uns vorüber – so nahe und doch unsichtbar und unheimlich schnell, Hackelbergs wilder Geisterzug; über die Stelle, an der wir vorher gestanden.
Als wir zurückkamen zum Lager, wurde uns seltsame Kunde. Mitten durchs Lager war das halbe Hundert Büffel zum nahen Wasser gezogen, unbekümmert um Feuer und Zelte und der Leute Geschrei. Die hatten sich auf die wenigen Bäume geflüchtet, unter denen unsere Zelte standen.
Am nächsten Morgen, beim Aufgang der Sonne, schickten wir Ahaya mit einigen Dinkas auf die Nachsuche des Büffels.
Wir selbst gingen etwas später fort. In weitem Bogen durch den lichten Wald. Mehrere Male trafen wir Wasserböcke. Eine gute Aufnahme konnte ich machen im Busch von einem Tiere mit Kalb.
Später tauchte im Dickicht eine Dinkaansiedelung auf. Ein hoher Pallisadenzaun aus dicken Stämmen umschloß ein Oval von fünfzehn zu zwanzig Metern. Wir gingen hinein durch die kaum mannsbreite Eingangslücke. Ein Dutzend winziger runder Hütten waren in dem engen Raume. Die Seitenwand nur etwa ein Meter hoch. Saubere Bastmatten verhingen die Eingänge. Die spitzen Kegeldächer aus hellem Schilf und die Spitzen mit je einem Straußenei bekrönt. So klein waren die Hütten, daß in der Mitte der Ansiedlung noch ein großer freier Raum blieb. Und in der Mitte dieses Platzes waren junge Mädchen beschäftigt, Fleisch und Gescheide eines großen Tieres zu verteilen, das waren Reste meines Büffels, den Ahaya verendet gefunden hatte. Gegen Überlassung eines Teiles des Wildprets hatten Dinkas schon Schädel, Decke und Fleisch zum Lager geschafft. Das war frohe Nachricht, mit Jubel begrüßt. Nun gingen auch wir zurück auf dem nächsten Weg. Da fand ich denn im Lager den Kopf des Büffels vor meinem Zelte aufgebaut. Auch dieser dritte war ein ganz kapitaler Bulle, und mein Vater freute sich mit mir.
Ein Geschoß, 9,3 mm-Vollmantel, war seitlich in den Nasenrücken eingedrungen, vollständig deformiert und innerhalb des Nasenknochens steckengeblieben. Das sind noch solide Knochen! Drei Kugellöcher fand ich in der Decke, alle auf dem linken Blatt. Ein Schuß war fehlgegangen. Den hatte Ahaya in guter Höhe auf einem Stamme gefunden, der vor der Fährte des Büffels stand.
Bald saßen wir uns beim Mittagbrot gegenüber an unserem kleinen Feldtischchen. Büffelzunge mit Reis. Und mir wurde so leicht und froh im Herzen, wie mein alter Vater gesund und fröhlich mit mir anstieß auf unser gutes Glück am abenteuerlichen Tage zuvor.
Nicht weit von uns saßen unsere Leute um das Feuer des Kochs. Der hatte einen Herd aus trockener Elefantenlosung gebaut. Die Bratpfanne mußte er sorgfältig mit einem Deckel verschlossen halten, denn die frechen, graziösen Weihen holten ihm in sausendem Fluge das Fleisch aus den Töpfen. Muhammid, meines Vaters würdigem Diener und stetem Verdruß, der gerade einer andächtigen Gemeinde Vortrag über die Ereignisse des Tages hielt, nahm eine Weihe den roten Fes vom wolligen Kopf.
Es ist heiß in der Mittagssonne, der weiße Sand flimmert im Licht und hellviolett die bizarren Dornengestrüppe der Steppe. Paviane und Dinkamädel gehen zum Wasser. Im Schatten der Lagerbäume liegen wir und schauen dem Treiben zu. Drei Tiangs ziehen weit draußen langsam durch die helle Steppe am Lager vorüber. Sie sind so schön, ihr kastanienbraunes Kleid schimmert wie Seide. Die trockenen schwarzen Köpfe gesenkt, wandern die drei steifen, gemessenen Schrittes dem kühlenden Wasser zu. In tiefstem Mittagsfrieden liegt die feierlich ernste, dürre Landschaft!