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Des dritten Buches zweites Kapitel:
»Er« hat das Wort ...

Zeichnung von B. Gestwicki.

» Cherchez la femme.«

Das eheliche Dreieck ist rechtwinklig: denn der Winkel, in dem der Hausfreund sitzt, das ist schon der rechte Winkel!

* * *

Die Liebe kommt, und sie ist da – die Treue kommt, und sie ist weg.

* * *

Komplimente sind das Kleingeld auf dem Liebesmarkte.

* * *

Der gerade Weg führt am schnellsten zum Ziele; deshalb erreicht der Liebhaber das seine am schnellsten, wenn der Gatte gerade weg ist.

* * *

Durch die Liebe kann das schlechteste Weib gut, durch die Ehe das beste schlecht werden.

* * *

Die Tugend ist ein Gut, das selten hoch genug geschätzt, doch meist teuer genug verkauft wird.

* * *

Die einen voll Tugend aus Mangel an Gelegenheit, die anderen voll Gelegenheit aus Mangel an Tugend.

* * *

Du erwirbst leichter zehn neue Geliebte, als du eine alte los wirst.

* * *

Wenn ein Mann die Ehe eingeht, ist gewöhnlich nicht die Ehe, sondern er – eingegangen.

* * *

Wenn der Mann zu nichts fähig ist, ist die Frau zu allem fähig.

* * *

Mit Wein, Weib und Gesang wird es so stets dir gehen: Der Wein wirft dich um, der Gesang erhebt dich, das Weib läßt dich stehen.

* * *

»Was man nicht nützt, ist eine schwere Last« – deshalb wird der Verlust der Unschuld so leicht verschmerzt.

* * *

Die Tugend ist der Güter höchstes nicht; denn auf dieses Gut hat die Versuchung eine große Hypothek.

* * *

Je mehr du deine Frau auf den Händen trägst, desto leichter kann sie einen Fehltritt machen.

* * *

Brillanten sind die Versatzscheine der Tugend.

* * *

Der Zug des Herzens ist vor Entgleisung nur sicher auf den Schienen des Verstandes.

* * *

Die wenigsten Frauen haben ein Herz: und die eins haben, verlieren es bald.

* * *

Nenne mir die Fehler deiner Frau, und ich will dir sagen, wie du sie liebst.

* * *

Flirt ist Exerzierübung, Liebe Manöver, Ehe Schlacht.

* * *

Warum in der Ehe die Frau immer das Regiment hat? Weil sie besser anzuführen weiß.

* * *

Auf dem Grab der Liebe steht das Kreuz der Ehe.

* * *

Arithmetisches: In der Ehe entsteht ein Bruch, wenn die Frau zwischen Gatten und Liebhaber geteilt wird.

* * *

Mit der Freundin gespannt, mit dem Freunde locker.

* * *

Frauen und Klaviere sind verstimmt, wenn man sie nicht putzt.

* * *

Die Ehe ist ein Kompagniegeschäft: Die Frau verkehrt mit den Kunden, und der Mann hat die Auslagen zu arrangieren.

* * *

Wenn die Festung der Tugend belagert wird, verrät die Verteidigerin stets selbst dem Belagerer die geheimen Zugänge, durch die sie am schnellsten zu Fall gebracht wird.

* * *

So nichtssagend ist keine Ehefrau, als daß ihr Mann nicht noch weniger zu sagen hätte.

* * *

Aus dem Heiratsparlament: Der Hausfreund ist der Zusatzparagraph zu einem angenommenen Antrag.

* * *

Je ansprechender du ein Weib findest, um so mehr Ansprüche wird sie stellen.

* * *

Der Hafen der Ehe ist sehr tief; denn es ist kein Grund vorhanden, dort Anker zu werfen.

Rudolph Schanzer.

 

Hartnäckige Liebe.

Jan Reimers hatte vor gar nichts Furcht.
Er rettete damals die beiden Dänen,
Ihr wißt wohl – es wollte keiner dran –
Er riß sie dem blanken Hans aus den Zähnen.

Nun war da die Antje Nissen – ei ja,
Die mochte dem starken Jan wohl taugen!
Schmuck war sie, alles was recht ist – man bloß:
Ihr guckte der Deubel aus beiden Augen.

Aber Jan, wie gesagt, war bange vor nichts.
Und so freit' er um Antje. Sie ziert' sich nicht lange
Und sagte ja und ward seine Braut.
Aber als sie's war, da ward ihm doch bange.

Schon vor der Hochzeit alle Tag Krieg!
Verdammt, denkt Jan: nur noch drei Wochen,
Dann ist die Hochzeit. Sie läßt mich nicht los.
Aber sie ist ein Stachelrochen.

Da – denkt euch – da kommt ihm Hilf' in der Not!
Bei Südsüdost wird Jan Reimers verschlagen –
Er rennt auf die Klippen – das Schiff zerkracht –
Eine Planke hat ihn nach England getragen.

Sein erster Gedanke war: »Jung', wat'n Glück,
Nu bin ick verschollen! Das's Gottes Wille!«
Er stopft sich die Pfeife mit nassem Shag
Und steckt sie in Brand bedachtsam und stille.

Sein Ewer freilich war Grus und Mus.
»Na ja,« denkt Jan, »wat is dor Slimm's bi!
Ick hev hier Fisch und hev hier Toback.«
Und er lebte drei Jahre vergnügt in Grimsby.

Aber die Welt ist ein Rattenloch.
Ein Landsmann muß ihn gesehen haben –
Jan bummelt am Hafen, die Fäust' in der Tasch',
Sich recht an Freiheit und Sonne zu laben –

Da hört er plötzlich – ihm schießt's in die Knie –
Seinen Namen rufen von weiblicher Stimme:
»Jan Reimers! Jan Reimers!« Ihm war's, als rief'
Des jüngsten Tages Posaun' ihn mit Grimme!

Aber Jan hat Courage: er stellt sich taub!
Da ruft Antje Nissen: »Du solltest dich schämen!
Nun tu doch nicht so, als wenn du nicht hörst,
Du Feigling du!«

Da mußt' er sie nehmen.

Otto Ernst.

 

Zukunftsträume eines fürstlichen Bräutigams.

Man hat mir manchen Korb gegeben, –
Nun fing sich ein Prinzeßchen ein.
Ade jetzt, Junggesellenleben,
Viel besser herrscht es sich zu Zwei'n.

Denn ach! Auf dem möblierten Throne
Da fühlt man nie recht heimisch sich.
Jetzt gründ' ich eine eig'ne Krone
Und werde seßhaft hoffentlich.

»Haussorgen bin ich losgeworden,
Die Kön'gin hilft mir, wo sie kann.
Und fehlt am Purpur mir ein Orden,
Näht sie mir einen neuen an.

»Sie wird die Uniform mir stopfen,
Und alles stellt sie sauber her.
Ich brauch' den Rock nicht auszuklopfen
Mit meinem eignen Zepter mehr.

»Und komm' ich hungrig vom Regieren
Zu meiner lieben Frau nach Haus,
Läßt sie mein Leibgericht servieren
Und zieht den Hermelin mir aus.«

Juchhe!

* * *

Wie weiß er's schön sich auszudenken,
Doch wird das wirklich so gescheh'n?
Ein Volk, das ist wohl leicht zu lenken,
Doch eine Frau? Er wird ja seh'n!

Sigmar Mehring.

 

Der veilchensuchende Bräutigam.

Kind, komm hierher, wollen uns bücken,
liebliche blaue Veilchen pflücken!

Wie die Schäker unter der Hecken
halb sich zeigen und halb verstecken!

Scheu und zage wie du, mein Herz,
aber das duftet auch allerwärts.

Ei, was bist du mir flink und geschickt!
Schon ein reizendes Sträußchen gepflückt.

Und ich Dummhut habe erst zwei
und noch ein Hundeveilchen dabei.

Was? Du willst mir deine spendieren?
Danke verbindlichst auf allen Vieren.

Blumensuchen, das habt ihr los,
du versiehst es erst ganz famos.

Bist überhaupt eine kostbare Pflanze –
hätt ich dich gleich unter'm Myrtenkranze! ...

Karl Henckell.

 

Frauenlob.

Reizend sind die holden Frauen,
Blonde, braune, große, kleine,
Doch sie sind ein heißes Eisen! –
Ausgenommen nur die meine.

Ist die ganze Welt ein Uhrwerk,
Räder, Schrauben, äußerst feine,
Sind die Frauen drin die Unruh –
Ausgenommen nur die meine.

Zu des Daseins Rätsel halten
Sie den Schlüssel ganz alleine;
Gleicherweis des Hauses Schlüssel –
Ausgenommen nur die meine.

Ihre Klugheit find' ich mäßig,
Ersten Rangs ist auch nicht eine,
Leicht ist's, sie zu übertölpeln –
Ausgenommen nur die meine.

Lüstern sind sie auf uns Männer,
Heucheln Gleichmut nur zum Scheine,
Stets bereit zum Küssen, Kosen –
Ausgenommen nur die meine.

Solches red' ich unbedenklich,
Würfen sie auf mich auch Steine –
Werft nur her,– ich fürchte keine! –
Ausgenommen nur die meine.

Victor Blüthgen.

 

Von Liebe und Ehe.

Elise, sprach zur Freundin die Mathilde,
Das sogenannte Glück ist meistens schal.
Wenn ich vom Leben mir 'ne Meinung bilde,
Find' ich die Ehe mehr als trivial.

Die Liebe – gut. Ich laß die Liebe gelten.
Man sucht sich Emotionen fürs Gemüt.
Man schätzt sich gegenseitig, weil man selten,
Höchst selten sich und unter andern sieht.

Man schwärmt für Nietzsche, Dehmel, Mai und Rosen,
Auch macht ein Ausflug (so nach Treptow) Spaß.
Man unterhält sich von der namenlosen
Geheimen Sehnsucht – unbestimmt nach was.

Man hat frisiert und aufgeputzt sein Wesen
Und legt ein ew'ges Rätsel ins Gesicht;
Man hat vorher in Büchern nachgelesen,
Was man mit dem geliebten Jüngling spricht.

Er konversiert vom Leben nach dem Tode,
Von Maeterlink und dem »Familientag«;
Und seine Weste zeigt die letzte Mode,
Und hinter ihr ahnt man des Herzens Schlag.

Und denk' ich mir die Hochzeit und so weiter,
So Tag und Nacht und alles so im Haus,
Dann zieht die Seele ihre Sonntagskleider,
Und auch der Leib zieht manches Schmuckstück aus.

Denn die Alltäglichkeit ist voller Roheit
Und die Enttäuschung bleibt der Träume Schluß:
Ein Weib verliert den Reiz, ein Mann die Hoheit,
Wenn er die Hühneraugen schneiden muß.

Mit dem, was Schwärmerherzen sich erharren,
Hält auch die Wirklichkeit nur selten Schritt;
Ich hatt' 'nen Onkel, der an Darmkatarrhen
In Capri auf der Hochzeitsreise litt.

Mein Artur – Gott, was soll ich weiter sagen,
Gleicht er nicht Wedekinds Marquis von Keith?
Sein grüner Schlips, sein hoher Doppelkragen
Scheint mir ein Teil von der Persönlichkeit.

Wenn ich im Traum sein männlich Bild mir knipse,
Als Amateurin – ob du Worte hast!
Ich seh' ihn stets mit diesem grünen Schlipse,
Der wundervoll zu seinen Augen paßt.

Doch denk' ich weiter – nach dem Hochzeitsfeste –
Am Abend – spät – nach Reden, Sekt und Schmaus
Zieht er die wundervoll karrierte Weste
Und zieht (auch seelisch) sonst noch manches aus.

Je mehr ich in den Anblick mich versenke,
Durchzittert meine Seele Furcht und Hohn –
Wenn ich mir Artur ohne Kragen denke,
Zerfließt sofort die ganze Illusion.

Rudolf Presber.

 

Gespräch mit Jussuff Ben Ali Bey über die Ehe.

Jussuff Ben Ali Bey ist ein maghrebinischer Araber und früherer Offizier des französischen Heers in Algier. Auf einem Ritt durch die Kabylie gesellte er sich zu mir, und, nachdem wir in einander die philosophische Ader entdeckt hatten, führten wir während zwei Tagen und einer halben Nacht Gespräche de omni re scibili et quibusdam aliis rebus. Jussuff ben Ali ist tief von europäischer Bildung durchtränkt, und wenn die Gespräche vielleicht manchmal eintönig zu werden drohten, so war es infolge seiner allzu schmeichelhaften Bewunderung für unsere Bildung. Da, wo er kritisch wurde, war er mir viel anziehender, aber seine orientalische Zurückhaltung machte es mir nicht ganz leicht, ihn eingehend auf das Gebiet zu bringen, wo er europäischen Einrichtungen gegenüber am skeptischsten schien, auf die monogame Ehe. Eine Flasche Champagner (den Schaumwein hat Mohammed aus naheliegenden Gründen nicht verboten) öffnete ihn nach unserer einfachen Abendmahlzeit in einem kümmerlichen französischen Wirtshaus den Mund, nachdem er die Überzeugung gewonnen hatte, daß auch ich nicht unbedingt auf die Vortrefflichkeit unserer Ehegesetze schwur. Ich will versuchen, das, was mich am meisten verwunderte, wiederzugeben.

Jussuff: Ich will nicht von Personen sprechen: Menschen, die von einer großen, gegenseitigen Liebe gesegnet sind, können innerhalb aller Gesetze glücklich leben, vielleicht auch außerhalb aller. Aber das Leben des Alltags wirkt so zersetzend auf die schönen Gefühle, daß Gesetze nötig sind, um sie zu schützen; und da scheint mir die monogame Ehe eine schrecklich verkehrte Einrichtung, welche der Liebe alle Poesie nimmt, indem sie den Mann ermutigt, der Frau Gewalt anzutun.

Ich war starr über diese Ausführungen, die, vom europäischen Standpunkt aus, sich gerade zur Kritik der polygamen Ehe anwenden ließ.

Ich: Das müssen Sie mir näher erklären. Bei uns hört man immer, daß die Mohammedaner ihre Frauen kaufen, sie für ihr Eigentum halten, in einen Harem sperren und mit ihnen tun und lassen, was sie wollen.

Jussuff: Nun ja, das ist im ganzen richtig, aber warum ist es schlecht? Im Harem ist, den Mitteln des Mannes entsprechend, alles das vorgesehen, was eine Frau ihrer Natur nach immer verlangen kann.

Ich: Ja, aber auch manches, was sie nicht verlangt, vielleicht verabscheut, aber doch über sich ergehen lassen muß.

Jussuff: Ich verstehe Sie nicht!

Ich: Nun die Liebe eines Mannes, der ihr vielleicht unangenehm ist.

Jussuff: Sie wollen doch nicht behaupten, daß bei Ihnen die Ehen immer aus Liebe geschlossen werden. Liebe ist ein seltenes Juwel: wo man es findet, soll man es hüten und ehren; aber man kann nicht auf diesen Ausnahmefall allgemein bindende Einrichtungen gründen.

Ich: Gewiß, aber bei uns steht es doch dem Menschen frei, ob sie aus Liebe heiraten wollen oder aus anderen Gründen.

Jussuff: Das halten wir eben für falsch. Dadurch, daß sich die Eheleute vorher nicht oder kaum kennen, verhindern wir, daß ein so wichtiges Unternehmen wie die Gründung der Familie auf den trügerischen Boden jugendlicher Gefühlswallungen gebaut wird. Unsere Einrichtungen begünstigen dagegen in hohem Maß, daß die Liebe in der Ehe entsteht, nachdem der äußere Grund für die Familie festgelegt ist, Fragen der Abkunft, des Besitzes von den Eltern befriedigend geregelt sind.

Ich: Wie ist denn das dann noch möglich?

Jussuff: Ich begreife, daß es Ihnen unverständlich ist, wenn Sie an Europa denken, wo die Mädchen und Frauen fortgesetzt mit Männern, und darunter sehr gewissenlosen, schutzlos verkehren und ihre dadurch schon erregte Phantasie bei dem Lesen meist verderblicher Bücher zum Glühen bringen. Eine solche Frau hat keine vernünftigen Bedürfnisse mehr. Sie träumt im voraus von Freuden, die sie erst die Wirklichkeit der Ehe lehren dürfte, und was wir in der Einbildungskraft im voraus gekostet haben, muß in der Wirklichkeit enttäuschen. Diese enttäuschten Frauen können nicht glücklich sein. Die Frauen des Harems sind aber häufig glücklich.

Ich: Ist ihr Glück nicht vielleicht oft bloß Stumpfheit?

Jussuff: Wenn Sie eine, nur auf das Erreichbare gerichtete Einbildungskraft Stumpfheit nennen wollen.

Ich: Was ist das Erreichbare für sie?

Jussuff: Die Leitung eines Hauses, die Liebe der Kinder und Freundinnen, die Achtung der Dienerinnen, schöne Gärten und das Meer, Früchte und Blumen, der Wind in den Zweigen, Tanz und Musik, und wenn sie weise ist, sehr leicht die Liebe ihres Mannes, den sie aus einem Gebieter in einen Freund verwandelt.

Ich: Wie ist das möglich? Sie ist doch einfach sein Eigentum! Was kann da ihre Weisheit helfen, wo er im Besitz jeder Gewalt ist?

Jussuff: Ihre Weisheit bewirkt, daß er von seiner Gewalt niemals Gebrauch macht.

Ich: Es ist aber doch ein Schwert über ihrem Kopfe aufgehängt?

Jussuff: Kein Schwert; denn die Scheidung ist bei uns leicht; auch die Frau kann, wenn sie durchaus will, zu ihren Verwandten zurückkehren. Nur eine Rute ist über ihr aufgehängt, die männliche Autorität; davor aber ist noch keine Frau davongelaufen, viel eher läuft sie dem davon, der kein Mann ist.

Ich: Wie muß der Mann sein, bei dem sie gern bleibt?

Jussuff: Er muß ein Herr sein, der vor ihren Reizen zum feurigen und zarten Liebhaber schmilzt, ohne sich aber ihren Launen auszuliefern. Wer das tut, den beherrscht sie, auch im Harem, auch wenn sie nicht einmal seine Frau, sondern nur seine Sklavin ist. Aber gerade das will sie nicht, das verachtet sie. Sie sehen, die Frage ist genau dieselbe wie bei Ihnen: der Kampf zwischen männlicher Kraft und weiblicher Klugheit. Die äußeren Gesetze sind nur für den Notfall da, sonst waltet überall dieselbe Natur.

Ich: Worüber ich nur nicht hinauskomme, das ist die Unfreiwilligkeit der weiblichen Stellung. Wenn sich bei uns eine Frau männlicher Leitung anvertraut, so tut sie es aus freien Stücken.

Jussuff: Es ist unmöglich, daß sich eine unverdorbene Frau aus freien Stücken der Roheit einer europäischen Hochzeitsnacht unterwirft.

Ich: Wie meinen Sie das?

Jussuff: Der europäische Gatte der guten Gesellschaft hat mit seiner Frau bis zu dem Tag der Hochzeit nur unter den Augen der Familie verkehrt, vielleicht haben manche geheime, aber doch ziemlich harmlose Zärtlichkeiten stattgefunden, und nun kommt auf einmal der für uns so unfaßbare plötzliche Übergang von dem jungfräulichen Gemach zu der Vertraulichkeit des gemeinsamen ehelichen Schlafzimmers, von zärtlichen Berührungen zur vollkommenen tierischen Besitzergreifung. Etwas derartiges kommt in dem Harem eines einigermaßen gebildeten Mohammedaners nicht vor.

Ich: Ja, aber was geschieht denn nun in dem Harem?

Jussuff: Die Heirat bedeutet bei uns für das Mädchen zunächst nicht mehr als den Wechsel des Hauses. Während sie im Elternhaus eine Untergebene der älteren weiblichen Verwandten war, wird sie im Harem des Gatten eine wichtige Person. Zwar ist sie auch hier ihrer Schwiegermutter untergeben, aber da es ihr wahrscheinlich gelingen wird, den Weg zum Herzen ihres Gatten zu finden, sucht jeder ihre Gunst. Für die Behauptung in diesen, wie ich zugebe, nicht ganz einfachen Verhältnissen, ist sie von ihrer Mutter erzogen worden. Ihr Gatte besucht sie nun täglich, macht ihr Geschenke und umwirbt sie in einer Weise, die der europäischen Liebeskunst im Grund verwandt, nur viel feiner und poetischer ist. Sein Ziel ist, in ihr Wünsche und Begierden keimen und wachsen zu lassen, bis sie ihm von selbst als Geliebte in die Arme sinkt. Vorher rührt er sie nicht an. Habe ich also nicht recht, wenn ich sage, daß die polygame Ehe viel zarter die Empfindungen der Frau achtet?

Ich: Was Sie da schildern, ist freilich sehr reizvoll, aber was hat das gerade mit der Polygamie zu tun?

Jussuff: Es ist klar, daß ohne eine andere Frau oder Sklavin als Rückhalt ein Mann von Leidenschaft einer Jungfrau nicht so zart begegnen könnte, wie ich es eben geschildert habe. Aus Rücksicht gegen sie wird er ihr zunächst nur mit befriedigten Sinnen nahen. Erst, wenn sie die Furcht vor seiner Leidenschaft verloren hat, wird er sein ganzes Feuer für sie bewahren.

Ich: Wie aber, wenn der Versuch mißlingt und die Liebe sich nicht einstellt?

Jussuff: Dann ist es nicht schlimmer als bei Ihnen in einer Vernunftehe.

Ich: Nur wird das viel öfter vorkommen, weil der Mann vor der Hochzeit seine Frau nicht gesehen hat.

Jussuff: Aber seine weiblichen Verwandten haben sie doch gesehen!

Ich: Kennen denn die so genau seinen Geschmack?

Jussuff: Ist es so schwer, den Geschmack eines verständigen Mannes zu kennen? Ein gut erzogenes Mädchen, das jung ist, einen reinen Atem und eine glatte Haut hat, wird einem wohlgeratenen jungen Manne immer gefallen. Wenn auch er die Erziehung eines guten Hauses hat und die Mittel besitzt, ihre weiblichen Wünsche zu erfüllen, warum sollen sie sich nicht lieben?

Ich: Wissen Sie, was man in Europa unter dem Begriff Persönlichkeit versteht?

Jussuff: Ja, ich weiß es genau. Es ist eine Art Geisteskrankheit, welche die Menschen treibt, statt gesellig und einander ähnlich zu sein, ihre kleinen Verschiedenheiten so sehr auszubilden und zu übertreiben, bis keine zwei Menschen mehr beieinander sein können, ohne in heftigen Streit zu geraten. Ich weiß wohl, daß bei Ihnen seit einiger Zeit auch die Frauen von dieser Krankheit erfaßt worden sind und daß sie selbst davon immer unglücklicher und unliebenswürdiger werden. Unsere Frauen sind durch den Harem von dieser traurigen Krankheit geschützt; sie sind darum glücklicher und beglücken mehr. Sie verlangen selten das Unvernünftige und wundern sich nicht, daß der Mann, während sie ein Kind erwarten, seine Sinne bei einer Sklavin kühlt, solange er ihnen nur weiter Achtung zollt. Vielleicht verstehen sie später, von neuem seine Leidenschaft zu entzünden, aber niemals ereignet sich der ungeheuerliche Fall, daß eine verblühende oder bleichsüchtige Frau ein Recht auf die Leidenschaft eines noch jugendlichen Gatten zu haben meint. Wie gesagt, Leidenschaft und Liebe gehören bei uns nicht zu den wesentlichen Gründen der Ehe. Es genügt, daß sie darin möglich sind. Aber lassen Sie mich auch eine Frage an Sie stellen. Wie ist es denkbar, daß ein europäischer Mann, der auf eine einzige Frau angewiesen ist, vor ihr seine Würde wahren kann? Man hat mir versichert, daß eine große Anzahl gar keine oder nur selten Nebenfrauen außer dem Hause hat. Bei uns ist die erste Notwendigkeit des liebenden Mannes (er ist es gleichzeitig seiner männlichen Ehre schuldig), wenn er ein Weib gewinnen will, daß er sich ihr gegenüber niemals ganz unbeherrscht zeigt. Der Sinn der faltenreichen Tracht, welche Mohammed allen gläubigen Männern vorgeschrieben hat, wird aus dieser Erwägung leicht verständlich. In der monogamen Ehe muß sich doch der Mann häufig, von den Sinnen gequält, seiner im Augenblick vielleicht müden oder unwilligen Frau nähern, auf die er allein angewiesen ist. Wie vermag er vor ihr seine Würde zu wahren?

Ich: Ich fürchte, er vermag es nicht immer. –

Oscar A. H. Schmitz.

 

(Kgl. Kupferstichkabinett, Berlin.)
Jean Michel Moreau le Jeune:
» Les Delices de la Maternité.«


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