Sagen aus Rom
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Die Gallier in Rom

In jener Zeit geschah es, daß vom Norden her gallische Völkerscharen gegen Rom vordrangen. Selten haben die Römer einen Feind so gering eingeschätzt wie die Gallier, und dafür mußten sie schwer büßen. Schon der Anblick der furchterregenden Gestalten mit dem wirren, flatternden Haar ließ sie jäh erzittern. An der Allia, einem kleinen Flüßchen, erlitten die Römer eine so furchtbare Niederlage, daß sich nur Reste ihres Heeres in den Schutz der Mauern retten konnten. Etwa tausend streitbare Männer bezogen unter dem Befehl des Markus Manlius als letzte Zuflucht das Kapitol, den Burgberg von Rom. Die ganze Bevölkerung mußte Rom verlassen.

Einer der Gallier hatte einen geheimen Zugang zur steilen Höhe entdeckt, und dort stieg des Nachts nun eine auserwählte Mannschaft hinauf, um die Römer im Schlafe zu überfallen. Da kein Posten an dieser Stelle stand, konnte die Spitze der lautlos vordringenden Gallier den Mauerrand erreichen.

Da begannen pIötzlich die der Juno geheiligten Gänse, die sich auf dem Kapitol befanden, ängstlich zu schnattern und weckten den Markus Manlius. Aufgeschreckt stürzte er eilig zu der unbewachten Stelle und stieß den vordersten Gallier vom Felsrand hinunter. Im Sturz riß dieser die Nachfolgenden mit in die Tiefe.

Zur Erinnerung an die wachsamen und treuen Tiere wurde alljährlich eine Gans im feierlichen Aufzug durch die Straßen Roms getragen, ihr zur Seite jedoch ein ans Kreuz geschlagener Hund, weil die Hunde in jener denkwürdigen Nacht geschwiegen hatten.

Trotz dieser wundersamen Rettung konnte die tapfere Besatzung sich auf die Dauer nicht halten. Brennus, der Führer der Gallier, erklärte sich jedoch zum Abzug bereit, wenn man ihm tausend Pfund Gold auszahle. Die Römer mußten schweren Herzens solche Bedingungen annehmen. Als man nun daranging, das kostbare Metall abzuwiegen, bemerkten die Römer plötzlich, daß die Gallier falsches Gewicht verwendeten, und erhoben Einspruch gegen diesen Betrug. Doch da ergriff Brennus mit höhnischem Lachen sein Schwert und warf es mit auf die Waagschale, indem er ausrief: »Wehe den Besiegten!« Er wollte damit sagen, daß die Besiegten keinen Anspruch mehr auf eine gerechte Behandlung hätten.

Jetzt endlich zeigten die Götter ein Einsehen mit dem so schwer gedemütigten Römervolk. Sie ersparten ihm die Schande, von der Gnade der gallischen Barbaren leben zu müssen, denn gerade in diesem Augenblick zog das Entsatzheer in die verwüstete Stadt ein. »Mit Eisen, nicht mit Gold wollen wir die Freiheit zurückgewinnen!« rief der römische Feldherr Camillus und forderte die Gallier auf, sich zur Schlacht zu stellen.

Camillus zeigte sich als ein großer Feldherr: er errang für Rom einen herrlichen Sieg. Die Gallier wurden blutig geschlagen. Voller Dankbarkeit nannte ihn das Volk den zweiten Romulus, den Vater des Vaterlandes. Brennus aber, der lebend in die Hand der Römer fiel, wurde mit dem Schwerte gerichtet. So erfüllte sich auch an ihm das erbarmungslose Gesetz: »Vae victis!« Wehe den Besiegten!

In den folgenden Zeiten wuchs der römische Staat in tatkräftigem und wagemutigem Handeln, und das Schicksalswort, das einst Jupiter für die Stadt Rom ausgesprochen hatte, sollte sich erfüllen:

»Ihr setze ich im Raum nicht noch in der Zeit eine Grenze: Herrschaft ohne Ende habe ich ihr gegeben!«

 


 


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