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Als sechster König regierte in Rom Tarquinius Priskus, »der Alte«. Er hat nicht nur durch glückliche Kriege die Stellung Roms weiter befestigt, sondern ist auch durch seine Friedenswerke, die Trockenlegung der Pontinischen Sümpfe, die Anlage von Kanälen und die Errichtung großer Bauwerke zu hohem Ruhm gelangt.
Im letzten Jahr seiner Regierung erschien eines Tages eine uralte Frau im Palast, die niemand je vorher gesehen hatte. Sie bot neun Bücherrollen für einen überaus hohen Preis zum Verkauf an.
»Das Buch muß erst geschrieben werden«, lachte der König, »für das ich hunderttausend As auszugeben gedenke«, und er wies das Angebot ab. Die alte Frau trat an den Altar der Hausgötter und verbrannte am Opferfeuer drei Bücherrollen von den neun.
»Sage uns nun den neuen Preis«, scherzte der König; »vielleicht werden wir doch noch handelseins!«
»Die sechs kosten so viel wie die neun«, kicherte die Alte. »Bezahle nur, o König, hunderttausend As.«
»Welche Närrin«, rief der König, der über diesen scheinbaren Unverstand in Zorn geriet. Die Alte ließ sich nicht irremachen und warf noch einmal drei Bücherrollen ins Feuer. »Nenne den neuen Preis«, sagte der König, verwirrt durch das seltsame Gebaren der alten Frau. Die Greisin richtete sich hoch auf und sprach mit ruhiger, fester Stimme:
»Du wirst mir, Tarquinius, hunderttausend As zahlen für die drei letzten Bücher, oder die Flamme wird sie verzehren.«
Nunmehr wurde Tarquinius von leidenschaftlicher Neugier ergriffen und wollte wissen, was es mit den Bücherrollen auf sich habe, von denen drei soviel kosten sollten wie neun. Er ließ seine weisen Ratgeber, die Auguren, kommen, die aus dem Vogelflug und aus den Eingeweiden der Opfertiere die Zukunft zu deuten wußten. Diese prüften die Bücher und erkannten sie als Weissagungen der Sibylle von Kumä, einer der größten Wahrsagerinnen der alten Zeit. Deshalb zögerte der König nicht länger, die verlangte hohe Summe zu zahlen. Das alte Weib wurde nie mehr gesehen.
Die Sibyllinischen Bücher wurden im Jupitertempel auf dem Kapitol aufbewahrt und sorgsam gehütet, und ihre Orakelsprüche haben den Römern in späteren Zeiten schwerer Bedrängnis oft guten Rat gespendet.