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Damit wird uns zunächst die Bedeutung der oft so gering geschätzten Größe klar, die wir gesellschaftliches Leben nennen. Es bildet die Luft, die nahe uns umgibt und unsere Lungen täglich speist. Soll es aber tiefere Bedeutung für uns haben, dann muß es vor allem auf Wahrhaftigkeit aufgebaut sein. Sonst kann es nur schädlich wirken. Gewöhnen wir uns hier an Lüge, so verlieren wir das feine Gefühl, das die Lüge überall empfindet und trotz aller Schwierigkeiten überwindet. Gewöhnen wir uns hier an tote Formen, dann ertragen wir den Mangel an Leben auch überall sonst. Wessen Glück aber schaffendes Leben und edle Wahrhaftigkeit ist, der wird sie vor allem im täglichen Leben, im Umgang mit Freunden und Verwandten, in Haus und Erholung haben wollen.
Das bedeutet einen Gegensatz zu den vielfach bestehenden Formen des gesellschaftlichen Lebens. Diese sind zu oft nur tote Masken, die wir einander zeigen, während wir ganz anders fühlen, Masken, die uns drücken, die wir abwerfen, sobald wir unter uns sind, die also keine Sprache unseres Innenlebens sind. Wir wollen die andern über unser wahres Wesen damit täuschen. Wie armselig ist aber doch, wer da, wo er etwas gelten will, andere Formen annimmt, als sie seinem Innern entsprechen und sein ganzes Wesen durchdringen!
Wir laden unsere Bekannten in unser Haus. Dazu aber putzen wir es erst prächtig auf und machen uns damit sehr unbehagliche Tage, wir bieten Außergewöhnliches an Essen und Trinken, tun, als ob wir die großartigsten Leute wären, müssen uns dafür aber für lange krumm legen. Und was das schlimmste ist: Worte, Sitten und Liebenswürdigkeiten schmücken uns, die sofort abfallen, wenn wir uns allein wissen. Haben wir die Freunde wirklich in unserem Hause gehabt? Haben wir ihnen nicht in Wirklichkeit etwas vorgelogen? Sie aber lohnen uns die Lüge, indem sie sich auch fühlen wie in einem nicht sehr glücklich eingerichteten Wirtshaus, nicht aber wie in einem behaglichen Heim.
Unsere Wohnung richten wir ein – für uns? Gott bewahre! Wir richten sie so ein, daß jeder Besucher unsere prächtigen Möbel, unsere schönen Vorhänge bewundert, sich selbst aber so wenig behaglich darin fühlt als wir selbst. Alles dies hängt zusammen, das Großtun in Gesellschaften mit ihrer geistigen Öde, die törichte Einrichtung der Wohnung auf Prunk hin und nicht auf Behaglichkeit und Gesundheit, der protzige Hausbau mit Riesenfluren und kleinen Schlafzimmerchen, feine Gesellschaftssitten und Lebensroheit und enger Gesichtskreis. Man will mehr scheinen, als man ist, und deshalb gibt man sich und anderen nicht sich selbst, sondern leeren Prunk, während jedes wahre Leben fehlt. Darum fort mit ihm! Wir wollen wieder wir selbst sein, einfache Bürger mit einfachen aber behaglichen Zimmern, einfache Bürger, die ihre Freunde wirklich zu sich, in ihre Wohnung, an ihren Tisch, zu ihren Speisen – vor allem aber zu ihren geistigen Interessen und ihrem fröhlichen Sinn einladen und dadurch eine wirklich gemütliche, gemütbildende Geselligkeit haben. Kein Zweifel, daß unser ganzes Leben damit anders, fröhlicher würde. Die Familie könnte wieder vielmehr der Mittelpunkt des gesamten gesellschaftlichen Lebens werden.
Weg müßten dann auch Standesvorurteil und Strebertum, die unser gesellschaftliches Leben vergiften. Man kommt zueinander als Freund, man lädt sich seine Freunde ins Heim. Aber zu jemand zu kommen, um ihn für äußere Vorteile günstig zu stimmen, und jemand einzuladen in sein Haus, um ihn für selbstsüchtige Interessen benutzen zu können, in seinem eigenen Haus nicht den Menschen, sondern den Titel zu ehren, das ist eine Entweihung des Hauses, die allem edlen Sinn für echte Geselligkeit der Familie, für wahrhaftige Gestaltung auch dieses Lebensgebietes tödlich werden muß.
Eines freilich würde schwerer werden, wenn wir so unser gesellschaftliches Leben änderten. Viel mehr geistige Interessen müßten da sein, um es wirklich auszufüllen, viel mehr fröhlicher Sinn und edle Unterhaltungsgabe in den Familien, als man heute darin ausbildet. Aber es wäre ein heilsamer Zwang, der auch für das Glück der Familie viel ausmachte, wenn man fürs gesellschaftliche Leben eben die stille Vorarbeit eines echten Familienlebens, nicht nur Geld, Essen und Trinken und schöne Kleider brauchte.
Wir wollen wir selbst sein in unserer Geselligkeit. Entstehen soll sie durch das Verständnis, das uns zu anderen Menschen hinzieht, ihr Leben soll sie haben durch den fröhlichen, echten und liebenswürdigen Austausch von Menschen, die sich verstehen, sich miteinander freuen und einander geistig anregen können. Die Quelle, aus der wir unser geselliges Leben speisen, sei das große, geistige Leben, das um uns flutet. Eine Familie, die daran teilnimmt durch Musik, Literatur, Kunst, Mitarbeit auf irgendeinem Gebiet, wird nie geistige Anregung missen, wird ihren geselligen Kreis finden und in echter Wahrhaftigkeit anregend zu gestalten wissen. Wo solche auf Wahrhaftigkeit aufgebaute Geselligkeit ist, da herrschen feine Sitte, lebendige Bildung. Wo sie nur angelerntes Schema ist, da ist tote Unbildung. Da läuft man ins Theater und Konzert, um gesehen zu werden, und kennt nur Leihbibliothekromane. Da wird man die alte Geselligkeit haben müssen, seine »Freunde« im Haus nur zu Abfütterungen, seine Anregung im Wirtshaus beim Bier und Kannegießern und ekelhaften Witzen, während der Mangel an geistiger Einheit und edler Zusammenfassung in der Familie zu einem öden Auseinandersplittern der verschiedenen Charaktere führt.
Ein Element der Erholung ist die durch solch echte Geselligkeit geförderte Fähigkeit des Umganges mit dem Menschen und des Austausches, aber auch ein Mittel der Erleichterung aller Tätigkeit. Sie räumt bei aller Arbeit, allem Zusammenarbeiten mit Menschen oder für Menschen die Hindernisse aus dem Weg, die durch die verschiedene Geistesart der einzelnen geschaffen werden. Sie baut Brücken zwischen ihnen, lehrt sie einander verstehen, achten und helfen, während die Unsitte oder die rohe Äußerlichkeit der Sitte im entscheidenden Augenblick der Wirklichkeit gegenüber versagt und machtlos ist.
Sie läßt uns die rechte Stellung gewinnen wie zu den uns Gleichgestellten und Nebenstehenden, so den an Alter und sozialer Stellung uns Voranstehenden und Nachstehenden. Sie behütet uns vor Unehrerbietigkeit, aber auch vor Kriecherei, vor Hartherzigkeit, aber auch vor unzweckmäßiger Milde. Sie läßt uns neidlos die Eigenart und die Vorzüge anderer erkennen, aber des eigenen Wertes uns bewußt bleiben, sie läßt uns Freude auch an der Leistung bescheidener Begabung gewinnen und läßt es uns vor allem als beste Freude des Menschen empfinden dem anderen helfen zu dürfen – nicht durch gedankenloses Wohltun, sondern durch tatkräftige Anteilnahme am Schicksal des einzelnen Hilfsbedürftigen oder ganzer Klassen, in der dem einzelnen, nicht bloß in Geld, gewährten Hilfe oder der Beteiligung an Bestrebungen, die soziale Notstände heben wollen. Kennt die Gesellschaft nur Wohltätigkeitsfeste, die in erster Linie dem eigenen Amüsement, bestenfalls der Selbstbespiegelung menschenfreundlicher Regungen dienen, so läßt uns jener echte Takt auch das richtige soziale Empfinden gewinnen, mit dem wir im letzten Grunde nur der Vollendung unseres eigenen Wesens dienen, da wir hier das schönste, freieste Betätigungsfeld seines Strebens finden, weil es hier ungehindert durch die äußeren Schranken, die das Wirken im Beruf oder in der staatlichen Gemeinschaft stets begrenzen, dem nachstreben darf, was er als erstrebenswert erkennt.
Wahre Gemeinschaft geistigen Lebens soll unser gesellschaftlicher Verkehr sein, echter Ausdruck dessen, was wir sind. Aus ihm entwickelt sich den Menschen gegenüber, die uns in ihrem Wesen oder in ihren Interessen nahestehen, Freundschaft, zwischen uns und ihnen das eigenartige Band inneren Verständnisses und edler Hochachtung.
Freundschaft schließt sich aus verschiedenen Gründen. In der Jugend ist es das gemeinsame Streben, vor allem das Streben, die letzten Gründe des Daseins zu erfassen, Klarheit zu bekommen über das Wesen der Welt und die rechte Stellung in ihr und zu ihr, das die Freundschaft schließt. Im Mannesalter ist es der gemeinsame Kampf gegen Unedles, für Recht und Wahrheit, aber auch die gemeinsame Berufsarbeit und das Ringen darin; im Alter endlich ist es die gemeinsame Erinnerung, die zur Freundschaft verbindet.
In doppelter Weise bereichert die Freundschaft den Menschen. Fügen gleiches Streben oder gleicher Beruf oder irgendein gleiches Interesse zwei verschiedenartige Menschen zusammen, so ermöglicht die Nähe, in die sie sich rücken, jedem den Blick in die Eigenart eines andersgearteten Wesens. Wie dort der Geist ringt, wie dort die Fragen sich gestalten, was dort Freude, Leid, Grübeln oder Lösung der Fragen wird und gibt, das erschließt sich dem andern. Jeder Blick in das Innenleben eines andersartigen Wesens aber ist eine innere Bereicherung für uns selbst und eine Schule fürs Leben, in dem es doch schließlich darauf ankommt, solche anders geartete Wesen verstehen und achten zu können. Der Einblick in das fremde Seelenleben wird uns zugleich aber zur Kritik an uns selbst. Wir fühlen, wo wir schwach sind, an der Stärke des anderen, wo wir uns Selbsttäuschungen über uns hingeben, an der Art, wie er uns beurteilt. Wir erkennen, wo wir zu rasch abschließen, an seinem weiter gehenden Grübeln und Suchen. Wir merken, wo unsere Gründe schwach sind, nur auf unsere Wertungen zugeschnitten, an seiner ablehnenden Haltung.
Am tiefsten gehen wohl echte Freundschaften aus der Jünglingszeit. Sie sind ein gemeinsames Bilden der Überzeugungen, des Charakters, der gesamten Stellung zur Welt. Es ist wohl kaum möglich, bis in alle Tiefen eine wahrhaftige Weltanschauung und Lebensbeurteilung zu finden ohne solche Freundschaft. Hat man sich da gemeinsam entwickelt, war wahrhaftig und bleibt wahrhaftig, so bleibt auch ein tiefgehendes Verständnis für die Wege des anderen im späteren Leben. Jeder erlebt das Werden des anderen mit. Beide ernten an Bildungsstoff, was getrennt zwei Leben zur Aneignung erforderte. Nicht anders ist es, wenn später die Gleichheit der Naturen, die Übereinstimmung in Liebhabereien Menschen verschiedener Berufskreise, verschiedener Lebensstellung und Interessen zusammenführt. An einem Punkte haben sie sich gefunden. Nun wird einer dem andern ein Führer in seine Welt hinein und bereichert seinen Gesichtskreis. Mit einem Freunde die Schwierigkeiten und Freuden seines Berufes, seiner Lebensstellung, die Probleme, die sich ihm von dort aufdrängen, durcherleben, mit ihm empfinden, wie sich ihm die Welt malen muß, von seinem Leben aus, das ermöglicht wie nichts anderes die Erweiterung des eigenen Lebens. Der Beruf und die Arbeit haben etwas Trennendes an sich. Sie wollen den ganzen Menschen in ihren Kreis hineinziehen und trennen ihn von den anderen. Da ist die Freundschaft die mächtige Brücke, die von jedem vereinzelten Arbeitskreis zum anderen sich schlägt, sorgt, daß in jedem Kreis das Verständnis für den anderen nicht ganz erlischt, von Beruf zu Beruf, von Gesellschaftsklasse zu Gesellschaftsklasse, von Partei zu Partei kann diese Brücke der Freundschaft führen. Sie ist oft die Vorarbeit zur Verständigung über gemeinsame Aufgaben, zum Frieden nach langem Kampf. Die sozialen Kämpfe der Gegenwart sind mit deshalb so verbittert, weil zwischen beiden Lagern diese mächtige Beziehung der Freundschaft fast ganz fehlt. Jeder lernt seine Gegner nur in äußerlichen Berührungen kennen, keiner hat Gelegenheit, sein inneres Leben, sein Ringen und Wollen und Wünschen mitzuerleben.
Können sich so Menschen, die sich innerlich ähnlich sind, und die sich über ihre gesellschaftlichen, beruflichen Unterschiede hinweg die Hand reichen, bereichern, indem sie einander ihr Leben miterleben lassen, so können Menschen desselben Berufes, gleicher Interessen durch die verschiedene Empfindungsart und Naturanlage eine Bereicherung ihres Innenlebens erfahren, wenn sie an der des anderen teilzunehmen, sie zu verstehen suchen. Alle Lebensgebiete könnten und sollten in diesen Austausch hineingezogen werden. Die Einheit des Volkes würde dadurch gefördert, reiche Quellen der Erholung und Erfrischung würden sich uns dadurch erschließen.
Von besonderer Bedeutung ist die zwischen den Geschlechtern bestehende Freundschaft. Zwischen ihnen ist Gleichheit des inneren Wesens selten vorhanden, das Band müssen darum gemeinsame Interessen, gemeinsame Arbeit knüpfen – erst in zweiter Linie kann es gemeinsames Spiel, weil es nicht tieferes Verständnis schafft. Darum muß die Frau am Interessenkreis des Mannes teilnehmen können. Sie muß auch sein geistiges Ringen nach Wahrheit, seine Arbeit, sich für einen Beruf tüchtig zu machen, miterleben und würdigen können. Sie muß auf allen Gebieten des Lebens neben ihm stehen. Dann werden die gemeinsamen Interessen hüben und drüben den Blick in die innere Eigenart erschließen und eines wie das andere bereichern können durch seine Art.
Damit freilich solche Freundschaft möglich wird, muß das gesellschaftliche Leben, der geistige Austausch, den es darstellen soll, wie schon gefordert, viel energischer in die Familie verlegt werden. Nicht die Frau soll aus der Familie hinaus, um Freundin des Mannes sein zu können, sondern der Mann in die Familie zurück. Können junge Menschen so auf dem Boden der Familie Freundschaft schließen und edle Geselligkeit pflegen, dann wird das geistes- und gemütstötende Wirtshausleben mit seiner Roheit und Isolierung des männlichen Geschlechtes schwinden. Dies wäre vor allem wichtig für das Kennenlernen junger Leute vor der Ehe. Man würde sich nicht mehr bloß im Ballsaale und bei sonstigen offiziellen Veranstaltungen treffen, im Prunkgewande, durch das man sich absichtlich oder unabsichtlich übereinander täuscht. Man würde sich im Hause, in dessen schlichtem und einfachem Wesen näher treten und dann besser kennen lernen als heute, wo man nie in ernster Beschäftigung, nie bei wirklich echter, edler Unterhaltung sich begegnet. Der junge Mann und das junge Mädchen würden sich in edler Freundschaft verstehen lernen, in gemeinsamer Arbeit und geistigem Austausch achten, und das würde mithelfen, dem Allerwichtigsten und Größten, was es im Menschenleben gibt, der Liebe, ihre echte, edle Art zu ermöglichen.
Liebe und Ehe können das höchste Leben und den kältesten Tod edler Innerlichkeit in sich beschließen.
Ein Grauen muß uns erfassen, wenn wir sehen, was heute Liebe für viele bedeutet, ein Austoben der Leidenschaften, bei dem man die Gefahr ekelhafter Ansteckung, den schmutzigsten Menschenleib nicht scheut, ein Hohn auf alles feine – auch nur wirklich ästhetische – Empfinden, das den Menschen um alles Zarte, Heilige in sich, um alle Achtung vor sich und anderen Menschen bringen muß und bringt. Er zerstört alle zarten Achtungsempfindungen. Auch die edle Frau, in deren Gestalt schon tiefes, echtes Innenleben uns andere berührt und zur Ehrfurcht zwingt, betrachtet der Diener seiner Lust nur mit gemeinem Auge. Er kann nur noch das empfinden, was seine Sinnlichkeit reizt, hier ist der Weg, das zu verlieren, was den Menschen zum Menschen macht.
Alle, die es leicht nehmen auf diesem Gebiete, vergessen, daß, was wir sinnlichen Trieb nennen, eben im Menschen nicht nur sinnlicher Trieb ist. Er ist in uns ebenso stark ein geistiges Sehnen nach tiefem Verständnis, nach Einheit des Gemütsempfindens und des geistigen Lebens, als er ein Bedürfnis nach sinnlicher Gemeinschaft ist. Gerade dieses wunderbare Ineinander leiblichen und geistigen Sehnens macht diesen Trieb erst zu einer Segenskraft, die es zu bewirken vermag, daß zwei Menschen, die vorher für sich allein, vielleicht in stolzer Abgeschlossenheit, in starkem, eigenartigem Leben ihren Weg gingen, nun ganz und gar, leiblich und geistig einander angehören und sich als Einheit fühlen. Dieses Erlebnis, eins zu sein, ist wahre echte Liebe, heilig und zart, mit ihrem alles auf der Welt überragenden Glücksgefühl, weil sie das innerlichste Erlebnis ist, das so tief wie nichts sonst ins Innenleben des Menschen dringt, ihn dort erfaßt, gestaltet, zum ganzen Menschen macht, der erlebt, daß Mann und Weib eines die unentbehrliche Ergänzung zum vollen Glück des anderen ist.
Zu beweisen ist das freilich nicht, es will erlebt sein; zu beweisen vor allem denen nicht, die es nicht erleben können, weil sie die eine, edle Seite dieser Kraft in sich gemordet haben. Es ist Mord dieses edlen Fühlens, wenn man die sinnliche Gemeinschaft mit Menschen sucht und pflegt, mit denen man die geistige Einheit nicht hat, nicht haben kann. Anfangs phantasiert man sich wohl in Selbsttäuschung vor, nun auch innerliches Verständnis gefunden zu haben, immer weniger aber wird sie als möglich empfunden, immer ausschließlicher herrscht dann der sinnliche Trieb; das Gemütsleben mit seinen Bedürfnissen stirbt ab, und der Mensch hat das von seinem edlen Menschentum verloren, was sein reinstes Glück schaffen, was ihn zu einem Segen für die nachkommenden Geschlechter, für seine Kinder machen sollte. Klare Erkenntnis dessen, was er verliert, ist nun freilich dem Menschen erst möglich, wenn er die ganze, tiefe Liebe erlebt hat. Diese aber ist wieder erst möglich, wenn er schon ein in sich geschlossener Mensch geworden, in seiner Eigenart fest und stark ist. Deshalb verlieren so viele ihr Glück, ehe sie wissen, daß es Glück ist. Später ahnen sie, was sie verloren, und können sich die zarte Unberührtheit ihres Gemütes nicht mehr erringen, können auch oft der übermächtig gewordenen Gewalt des sinnlichen Triebes nicht mehr steuern.
Hier tritt die Erfahrung des Menschengeschlechtes an die Stelle der Erfahrung des einzelnen und muß ihn behüten. Diese Erfahrung der Menschheit ist niedergelegt in Sitte und Erziehung. Die Sitte sucht im jungen Menschen ein heiliges Schamgefühl zu erhalten, das von Natur uns allen gegeben ist. Es ist das richtige Gefühl, daß hier das tiefste Geheimnis unseres Wesens liegt, das sich äußert in einer uns unbegreiflichen Gewalt, an die wir hilflos gefesselt scheinen. Rechte Erziehung wird dieses Gefühl zur wahren Stärkung und Veredelung unseres Innern nutzen, indem sie das unbewußte Schamgefühl zur Erkenntnis werden läßt von einem Heiligen, in dem wir den geheimnisvollen Urgrund unseres Daseins zu verehren haben, und über das wir andererseits die Herrschaft gewinnen müssen und können. Rechte Erziehung ist wie von Frivolität gleichweit von Prüderie entfernt, die nicht das Schamgefühl als zarte Scheu erhalten, es zum Gefühl des Heiligen erziehen möchte, sondern zum Gefühl werden lassen will, daß hier eigentlich etwas liegt, dessen man sich zu schämen hätte, im üblen Sinn des Wortes. Kein größeres Armutszeugnis aber kann sich der Mensch ausstellen, als wenn er sich seines Geschlechtslebens schämt. Schämen wir uns aber dessen nicht, so müssen wir auch darüber reden können, müssen vor allem der Jugend zur rechten Zeit darüber reden können, damit dies Gebiet ihr nicht in unheiliger Weise enthüllt und für ihr ganzes Leben entweiht wird. Wem es das Gewaltig-Heilige ist, der wird in rechter Weise Offenheit und scheuerweckende Zartheit zu verbinden wissen, wenn er über diese Dinge redet. Wem das Band, das ihn mit dem Liebsten verbindet, zugleich ein Trieb sein kann, den er gern durch alle möglichen Reden und Witze breit und plebejisch anstachelt und in anderen aufreizt, der macht sich und die Seinen durch diese Art verächtlich. Wem bewußt geworden ist, daß hier im Menschen der heilige Quell des Lebens sprudelt, ihm ein Stück der Schöpferkraft der Natur gegeben ist, der kann unmöglich behaglich all dem vergiftenden und Gemeinen zuschauen, durch das man dies Heilige zum Ekelhaftesten verzerrt, die Kraft vergeudet, es zur Quelle für Krankheit und Leid für die kommenden Geschlechter macht. Er muß warnen, und es ist ein trauriges Zeugnis für die Feigheit der Menschen, daß gerade auf diesem Gebiete so viele auch zum Empörendsten schweigen, weil sie nicht in den Ruf eines Philisters kommen wollen. Aber der Anfang zum Philister steckt erfahrungsgemäß im Vergeuden der Kraft, und nicht der wird zum Philister, der sie beherrscht, damit heiliges, edles Glück für ihn und andere daraus werde.
Wenn sich aber der Mensch die zarte Scheu und Reinheit diesem Heiligen gegenüber erhält, dann kommt der Tag, wo er in einem Menschen des anderen Geschlechtes den findet, der ihm in seinem Innersten entspricht, wie ein Wunder erleben wir diese Einheit des seelischen und körperlichen Lebens und Bedürfens. Ein seliges, nicht zu überbietendes Glück, das einzige, das im Menschenleben ganz und wunschlos sein kann, entsteht aus dieser Einheit. Weil sie aber eine Einheit des Innersten ist, ist sie ein ganzes Sichhingeben eines an das andere, von der Größe menschlichen Wesens haben die keine Ahnung, die dieses ganze Sichhingeben an dies starke Gefühl und in ihm an den anderen Menschen nicht kennen und unsere Ehe so reformieren wollen, daß sie nur ein Sichhingeben mit Vorbehalt ist, oder glauben, daß vor der Ehe solches hingeben auf Zeit möglich sei, ohne daß der Mensch in diesem Innersten geschädigt wird. Nur das ganze, starke Gefühl, in dem sich zwei Menschen ganz, ohne Vorbehalt, zu eigen geben, ihr ganzes Leben ineinanderfließen lassen, ist das gewaltige Glück. Es allein ist des Menschen würdig. Es kann für die nicht da sein, die sich in schwächlicher, selbstsüchtiger Liebelei um die Fähigkeit starker Gefühle gebracht haben. Es wird für viele verhängnisvoll, daß solche schwache Menschen ihnen vorreden, dies ganze Glück gäbe es nicht. Ihnen gegenüber kann man nicht stark genug betonen, daß es wohl da ist für die, die sich vor der Ehe in ihrem Gemütsleben fähig erhalten, es sich zu schaffen.
Finden sich nun zwei Menschen in dieser ganzen Hingabe, so wird es ein unmittelbares Lebensbedürfnis für sie sein, diese ihre innere Einheit zu einem vollen, arbeitenden Leben zu verschmelzen und in ihm auszuleben. Sie haben das Bedürfnis, ein Wille, ein verständnisvolles Zusammenleben, ein Miteinander-Arbeiten und -Freuen zu sein. In allen sittlichen, gesellschaftlichen und rechtlichen Anschauungen von der Ehe liegt als erhaltende Kraft dies unmittelbare Bedürfnis zweier Menschen, die sich lieben, nun in allem und vor allen als eine Einheit zu erscheinen. An unseren Anschauungen vom Wesen der Ehe, an der Gesetzgebung darüber ist vieles reformbedürftig. Aber keine Reform wird sich durchsetzen können, die nicht von vornherein mit dieser elementaren Kraft starker Liebe und ihrem Bedürfnis voller, gegen die anderen abgeschlossener Einheit rechnet. Alle Reformgedanken, die das vergessen, wollen das Empfindungsleben der Schwachen, der Gebrochenen zum Maßstab machen. Immer aber behält das der Starken und Gesunden den Sieg. Die Starken und Gesunden sind aber hier die, die sich noch ganz geben können, und nicht die, denen auch dies Gebiet zum bloßen selbstsüchtigen Genuß geworden ist.
Reformbedürftig ist die Ehe. Unwürdig ist die Anschauung, die noch viele Männer von der Frau haben. Man betrachtet sie vielfach wohl noch als ein minderwertiges Wesen, das geistig gar nicht voll und ganz mit dem Manne leben könne. Das hängt damit zusammen, daß man die intellektuellen Kräfte, die bei dem Manne stärker entwickelt sind, höher schätzt als die Kräfte des Gemütes, die mit ihrem zarten Nach- und Mitempfinden, mit ihrer starken Kraft und Hingabe das Leben erst wertvoll und glücklich machen. Wer sie in ihrem Wert erkannt hat, wird bald die Frau als durchaus gleichberechtigt anerkennen und dankbar sein für das Glück, die innere Bereicherung, die es bietet, wenn man alles mit ihr in ihrer Art noch einmal erleben kann, was man selbst in der seinen erlebt hat. Darum kann man getrost erst den verheirateten Mann als den ganzen Mann betrachten. Wer seine Frau nicht achtet, nicht sein ganzes Leben gemeinsam mit ihr erlebt, wem es wichtiger ist, alle Ereignisse beim Dämmerschoppen mit anderen Philistern nachzuerleben, der wird freilich diese ganze innere Vollendung des männlichen Wesens nie finden. Die mangelhafte Achtung vor der Frau, die daraus folgende Verkümmerung des geistigen Zusammenlebens in der Familie ist mit die Hauptursache für die leider so vielfach vorhandene erbärmliche Kleinlichkeit männlicher Gesinnung und Bildung.
Aus dem Bewußtsein der Gleichwertigkeit der Frau und aus der Überzeugung von deren Notwendigkeit wird jeder rechte Mann für alle die Bestrebungen eintreten müssen, die eine bessere Bildung der Frau anstreben; nicht nur um der Frau, sondern auch um seiner selbst willen. Wo will er eine Frau finden, die ganz mit ihm lebt, bis in die innerlichsten Tiefen seiner Seele ihn verstehen kann, wenn sie von der Ausbildung weiten Blickes und reichen Seelenlebens ausgeschlossen ist? Ebenso müssen wir für alle Bestrebungen eintreten, die rechtlich eine würdigere Stellung der Frau wollen. Diese ist notwendig, wenn auch nicht die Gesetze die rechten Ehen schaffen. Die rechte Art der Ehe muß ihren Ausdruck im Gesetz finden. Rechte Ehen werden von Menschen geschaffen, die durch Selbstzucht, durch Annahme alles Edlen und Großen sich zur Fähigkeit, edel und stark und ganz zu empfinden, erhoben haben und nun für dies edle, starke Empfinden sich ein bis in die letzten Tiefen der Seelen gemeinsames Leben schaffen, weil Liebe sie zusammengeführt hat.
Menschen, die sich so edel erhalten haben, können gar nicht heiraten ohne Liebe. Sie erst spricht: hier ist der Mensch, dem du dich ganz geben kannst. Mit ihr erst fällt die Scheu ab, die uns hindert, unser innerstes Leben zu enthüllen, denn in ihr fühlen wir uns erst ganz verstanden. Wer ohne Liebe aus irgendeinem andern Grunde einem Menschen so nahe treten kann, wie es in den heiligen Stunden der Liebe geschieht, der offenbart eben darin eine erschreckende Roheit. Er macht das Zarteste im Menschen zu einer Geschäftsspekulation, verurteilt sein Innenleben für Geld zur Verkümmerung.
Viele freilich erkennen das, wenn es zu spät ist. Sie wußten vorher nicht, was es heißt, sich durch dieses Band zusammenzuschließen. Nun spüren sie, wie sie innerlich verkümmern in diesem unerträglichen und doch so engen Zusammenleben. Sie zerren an den Ketten und können nicht los und werden bitter und eng. Solch eine Enttäuschung kann auch aus scheinbarer Liebe werden, beruhend auf irgendwelcher Ähnlichkeit, auf teilweisem Verständnis, das doch nicht die ganze Liebe ist. Ganze Liebe kann erst bei fertigen Menschen sein, die im Leben und Beruf stehen, die sich selbst und ihr Lebensziel kennen, und die sich doch zartes Gefühl für das innerste Wesen des Menschen erhalten haben. Auch um dies erleben zu können, muß der Mensch sich die Herrschaft über seine sinnlichen Triebe erringen, damit er deren Regung nicht für Liebe hält, alles Geistige darüber vergißt und dann natürlich in eine unwürdige Ehe gerät. Gerade die Unwürdigkeit solcher Ehen hat die Ehe mit in Mißachtung gebracht, die eben solchen Menschen gelten sollte, nicht dieser wunderbaren Gemeinschaft, die aus uralter Zeit als ursprünglichste und stärkste Schöpfung des menschlichen Gemütes uns überliefert und immer wieder die Heimat edlen menschlichen Gemütslebens ist. In ihr findet es seine Befriedigung, aus ihr geht es wieder neu hervor als edle Schaffenskraft und Quelle reinen edlen Lebens für die zukünftigen Geschlechter.
Echte Liebe will volle Gemeinschaft des geistigen Lebens und gemeinsame Gestaltung des gesamten Lebens nach außen und innen. Das Bedürfnis nach voller Gemeinschaft des geistigen Lebens hat zur Einehe geführt, ohne die seine Befriedigung eine Unmöglichkeit ist. Die Ausgestaltung des gesamten Lebens zu einer Lebensgemeinschaft zweier Menschen verschiedenen Geschlechtes schafft die Familie, die ihre Vollendung erhält, wenn Kinder in sie eintreten.
Die Familie als Lebensgemeinschaft innerhalb des Arbeitsorganismus der Menschheit wurde ermöglicht durch die Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau. Dem Manne kam die Vertretung und der Schutz des Hauses nach außen, ebenso die Arbeit draußen zu, die zur Ernährung der Familie notwendig ist. Der Frau lag die ordnende, gestaltende, schmückende Arbeit im Hause ob, dazu die Erziehung der Kinder, die Fürsorge für sie. An der Arbeit des Mannes war sie als Hilfskraft nur beteiligt, soweit diese im Rahmen des Hauses lag, wie umgekehrt der Mann in seinen Freistunden Hilfskraft für die Frau besonders in der Erziehung der Kinder wurde.
In der neuen Zeit scheint diese von den Vorfahren ererbte Gestaltung des Familienlebens vielfach gefährdet. Durch die Maschine ist die Arbeit der Frau im Hause entwertet worden. Es bleiben ihr nur die Arbeiten, die nicht unmittelbar den Verdienst mehren, und so wichtig sie auch sind, so ist dadurch doch die Tatsache geschaffen, daß in den meisten Berufen der Mann leichter durchs Leben kommt ohne Frau. Andererseits ist vielfach, besonders unter den ärmeren Bevölkerungsschichten, die Frau gezwungen, auch außerhalb der Familie zu arbeiten. Dadurch fällt in der Familie der stille, starke Zusammenhalt weg, den das stetige Wirken der Frau bietet. Wo die verheiratete Frau noch in der Familie bleibt, arbeitet wenigstens das junge Mädchen in der Fabrik, im Laden, bildet sich also zur Führung eines Haushaltes, für alle dessen zarten, unscheinbaren und doch so bedeutsamen Pflichten nicht aus. Gerade die Kunst der Haushaltung braucht aber eine Vorbildung nicht nur des Verstandes und der Fertigkeiten, sondern des ganzen Gemütslebens, hier kommt es ja nicht nur darauf an, daß die Arbeit korrekt getan wird, sondern daß zugleich durch sie der Hauch der Behaglichkeit, die Lust zur edlen Unterhaltung und Freude im Haus geschaffen wird. Dazu gehört etwas, was man nur von edlen Frauen, nicht in der rauhen Arbeit außer dem Hause lernt. Sinkt so die Fähigkeit der Frau zu edler Familiengestaltung, so sinkt natürlich damit die Teilnahme des Mannes an seiner eigenen Familie. Sie ist ihm nicht mehr eine Quelle der Kraft und der Freude. Er sucht diese anderswo, im Wirtshaus. Die Familie ist keine geistige Gemeinschaft, also auch keine Macht der Erziehung für die Kinder mehr. Sie gibt ihnen auch nicht das Gefühl für die Heiligkeit des Familienlebens mit auf den Lebensweg.
In anderer Weise haben sich die Verhältnisse in den höheren Ständen geändert. Auch hier ist der Frau ein gut Teil ihrer Arbeit genommen. Diese Arbeit gab ihr Würde und wurde für sie zur Charaktererziehung. Die Aufgaben, die ihr bleiben, sind als ernste Arbeit von ihr vielfach noch nicht erkannt, die Erziehung der Kinder vor allem. Andererseits kann, die Erziehung der Frau bloß zu häuslichen Arbeiten heute keine genügende Erziehung mehr sein. Früher schuf die Frau durch ihre Arbeit wirkliche Werte, so durch Spinnen und Nähen, heute sind die häuslichen Arbeiten besonders in den höheren Ständen oft unwürdige Spielerei. Wenn sich aber der Mensch gewöhnt, sein Leben mit Spielerei auszufüllen, so verflacht sein Charakter. Erziehung der Frau zu ernsten Lebensaufgaben ist deshalb zu fordern. Mit der Erfüllung dieser Forderung wird zugleich denen gedient, die nicht heiraten; sie werden durch ernste Ausbildung für Berufe vorbereitet. Aber man erkennt den ganzen Ernst der Frage nicht, wenn man glaubt, die Frauenbewegung sei nur um derer willen notwendig, die nicht heiraten. Gerade die Hausfrau und Mutter muß eine echte, gründliche Bildung für ihren Beruf mitbringen, der der allerhöchste Beruf ist, den es gibt.
Solche Frauen werden aber gerade dem ernsten Manne als etwas Unentbehrliches erscheinen. Um sie an sich fesseln zu können, wird er gern Opfer bringen – wenn man es Opfer nennen kann, sich im äußeren Leben ein wenig einzuschränken, um das innere reicher zu gestalten. Er wird fühlen, daß nur die enge Gemeinschaft mit einer solchen Frau sein Leben zu einem ganzen Menschenleben macht.
Dazu gehört freilich, daß die Männer nicht so Sklaven ihrer materiellen Bedürfnisse sind, wie es vielfach der Fall ist. Viele können tatsächlich deshalb nicht heiraten, weil sie zu viel für sich brauchen und sich keine kleine Entbehrung auferlegen können. Oder sie werden auf den furchtbaren Weg gedrängt, sich um des Geldes willen wegzuwerfen. Gibt es aber wohl etwas Erbärmlicheres als die Weichlichkeit, die um materieller Genüsse willen das Geistige verkümmern läßt in Ehelosigkeit oder in unwürdiger Ehe?
Ebenso hinderlich ist der anmaßende Luxus, den man heute für unentbehrlich hält. Nicht eine behagliche, sondern eine prunkvolle Einrichtung will man haben, man will und muß die kostspielige Geselligkeit und Lebensweise der Umgebung mitmachen. Wie kann man da heiraten, wenn man es nicht um des Geldes willen tut? Starke Menschen, wirklich ehrliche Menschen können und müssen sich von aller solcher Äußerlichkeit freimachen, um ein Familienleben zu schaffen, zuerst für sich und ihr Gemüt und dann für die Menschen, die dies Gemütsleben achten und lieben und nicht den Prunk. Sie werden sich durch solches stolze Gestalten ihres Lebens nach ihrem Sinn und ihren Mitteln rasch Achtung erwerben und mehr Verdienst um Vaterland und Zukunft, aber auch mehr Lebensglück haben als die, die es vom Prunk erwarten.
Im Gegensatz zu der alleinberechtigten Anschauung, daß der Mensch wert ist, was er leistet, und nicht, was er scheint, ist Prunk immer ein Stück jener menschenunwürdigen Betrachtungsweise, nach der das Äußerliche mehr ist, als was der Mensch innerlich zu bieten hat. Die Reichen aber sollten sich zuerst der Einfachheit zuwenden. Ihr Leben würde dadurch menschenwürdiger, ihre Kinder lernten eine wahrhaftige Schätzung des Geistes, und den Ärmeren würde es erleichtert, anspruchslos zu leben.
Ebenso ist ein Schade für das Familienleben das Drängen in die Stadt, das sowohl die unteren wie die oberen Stände beherrscht. Es kommt das daher, daß man raffinierte Anregung braucht, geistig zu arm ist, sich in seinem Hause geistig lebendiges und belebendes Familienleben zu gestalten. Für stilles, geistig bewegtes und reiches Familienleben aber ist das Land der bessere Ort. Die Anregungen von außen sind nicht eigenes geistiges Leben, sondern täuschen ein solches nur vor. Aber ein geistig reiches Familienleben zu schaffen, ist nur aus eigener Kraft möglich, und nur, was wir selbst geschaffen, gehört unser. Wenn wir dies erkannt, dann ist es auch heute noch möglich, auf der gleichen Grundlage wie in alter Zeit das Familienleben zu gestalten, die sich in ihrer aus der Naturanlage beider Geschlechter beruhenden Arbeitsteilung bewährt hat. Sie befriedigt den Tätigkeitstrieb des Mannes und macht das zarte Gefühlsleben der Frau fruchtbar als gestaltende Kraft eines nach außen geschlossenen Hauswesens. Der edle Geist des Hauses, den die Frau ihm einhaucht, vertieft den Mann. Er zieht die Frau mit hinein in weiteres Wirken und macht ihr Gemüt durch dessen Wirken auf sein eigenes Wesen auch dort zu einer veredelnden Kraft. Voraussetzung dafür ist beständiges gemeinschaftliches Erleben des ganzen Daseins. Dies wird möglich, wenn der Mann wirkliche Achtung vor der Arbeit der Frau hat, die sein Haus mit ihrem stillen ordnenden Sinn zur behaglichen Stätte der Ruhe und Freude macht. Die Frau wieder muß den Kampf des Mannes miterleben und durch ihre Teilnahme, ihren Rat ihn stärken. Die Stunden gemeinsamer Erholung müssen gemeinsame geistige Interessen ausfüllen.
Kunst jeder Art muß eine Stätte in der Familie haben Sie muß vorbilden zur edlen Ausgestaltung des eigenen Heims, zur edlen Art des Verkehrs untereinander. Sie bildet wie die Anteilnahme an dem Geistesleben die beste Grundlage steter Vertiefung des Gemütes und der geistigen Gemeinschaft; alles, was Verstand und Gemüt weiterbildet, muß im gemeinsamen Austausch lebendig sein. Das erfüllt die Familie mit geistigem Leben. Aus ihm bildet sich die Eigenart des Hauses, die sich bald in seiner ganzen Art ausdrückt. Man wird nach eigenem Geschmack das Haus schmücken, nach eigener Art sich immer neue kleine und große Freuden schaffen. Der ganze Mensch mit allen seinen Kräften wird sich regen in dieser Ausgestaltung des Hauses: ernstes Denken und frohes Scherzen, hier das Gemüt, dort der Verstand, hier der praktische Erfindungssinn, dann wieder die Freude an allem Schönen. Erst wenn der Mensch eine Stätte hat, wo er froh und frei alles ausströmen lassen kann, was in ihm ist, und wo alles ganz von selbst edel und rein wird, erst dann wird er ein voller, reicher Mensch, schaffendes Leben in jedem Atemzug.
Wo Kinder dann in einem solchen frohen, edlen Gemeinschaftsleben aufwachsen, da werden ganz von selbst Geist und Gemüt von Jugend auf in gleiche Richtung gelenkt. Das lebendige Weiterbilden des vor ihren Augen stehenden Wesens der Eltern macht sie zu arbeitsfrohen, lebensfreudigen Menschen. Die edle Art des Lebens im Hause wird ihnen zum selbstverständlichen Bedürfnis. Das Reine wird ihnen lieb, das Gemeine stößt sie ab. Dieser Geist des Hauses ist die erste Macht der Erziehung. Worte, Strafen bilden nur ihre Ergänzung. Auch für die Erziehung zu sittlicher Reinheit ist ein solches edles Familienleben das wichtigste. Wer das in seiner Jugend gehabt hat, dem ist wie die Familie das menschliche Geschlechtsleben etwas Heiliges, die Gemeinheit etwas, vor dem er zurückschaudert.
Die Familie aber ist der Grundstein des gesamten Volkslebens, das sich auf ihrem Leben aufbaut und ohne sie zugrunde geht. Für Staat, Schule, Kirche, für alles, was ein Volk zu einem tüchtigen, edlen Volke machen will, ist die Familie die Voraussetzung.
Es gibt Leute, die ihre Pflichtvergessenheit auf diesem Gebiete entschuldigen mit dem Hinweis auf die Schwierigkeit der Selbstzucht, die dazu Voraussetzung ist. Wenn wir aber so an uns vorüberziehen lassen, was Ehe und Familie für unser inneres Leben, für die Zukunft der gesamten wahren menschlichen Bildung bedeutet, dann schweigt diese Entschuldigung. Wir fühlen, daß es des Menschen erste, ernste und große Ausgabe ist, hier seine Pflicht gegen die Menschheit zu erfüllen. Nur dies starke Pflichtgefühl, das unsere Leidenschaften unter die Herrschaft des sittlichen Willens beugt, macht uns zu würdigen Gliedern der menschlichen Kulturgemeinschaft, die in echter Ehe und reinem Familienleben innerliche Tiefe, aber auch körperliche Kraft und Gesundheit den kommenden Geschlechtern übermitteln.
In der Bekämpfung der Sozialdemokratie tragen so viele Menschen Patriotismus zur Schau, die noch nicht einmal die erste Forderung erfüllen, die das Vaterland an einen Mann stellen kann, in wirklich echter Liebe ein edles Familienleben als Hort geistiger Gemeinschaft für die Erziehung des zukünftigen Geschlechtes zu schaffen und in starker Selbstzucht seine Pflicht für das Erhalten körperlicher Kraft und Gesundheit zu tun. Vaterlandsliebe, die ein Erfüllen der eigenen Pflicht und starke Selbstzucht ist, fordern wir auch hier. In dieser Forderung schließen sich engste und weiteste Lebensgemeinschaft ineinander.