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Die Kindesmörderin.

Es war zu einer Zeit, da der Dezembersturm den Schnee über die Felder jagte und der Horizont schwarz aussah und düster wie die Verzweiflung!

Alle Menschen, denen ein Strahl des Erbarmens von der Natur gegeben, lockten den Hund ins warme Zimmer und verschlossen die Thüren, denn die empörte Natur war in ihrem Elemente.

Kein menschliches Wesen ist auf der offnen, freien Landstraße zu erblicken – nur ein junges Weib wandert langsam und erschöpft über die schneebedeckten Wege.

Sie kann ungefähr 20 Jahre zählen, ist mit einem wollenen Rock bekleidet, ihre Schultern sind mit einem grauen Tuche bedeckt und in dem Tuche, eingehüllt in wenigen Lumpen, trägt sie einen Säugling, welcher einige Monate alt.

Blaß und abgehärmt wandert sie über Schnee und Eis – tiefe Furchen des Elends sind in ihren Zügen ausgeprägt. Ihr Gesicht ist nicht häßlich, – aber der kranke, schmerzliche Zug darin zeigte uns, daß ihre kurze Lebensbahn nicht mit Rosen bestreut gewesen ist.

– Wohin willst Du, blasses, krankes Wesen, bei diesem entsetzlichen Wetter – Du, mit dem blassen Gesichte und dem feuchten Auge, was hast Du vor?

Sie weiß, von wannen sie kommt, sie weiß nicht, wohin sie geht! – Sie kommt von ihrem Heimathsdorf. – Das Elternhaus hat sie verstoßen, denn sie war eine Verführte.

Das Mädchen war einst jung in die Welt geschickt, es waren der Geschwister viele und Ueberfluß war nicht im elterlichen Hause. Durch Vermittelung eines Verwandten vermiethete es sich auf einem entfernten Gute – durch Unerfahrenheit hineingezogen in den Strudel einiger Bekanntschaften, kam ein Liebeshandel zu Stande und vorbei wars mit dem Frieden der Seele.

So kam sie gezwungen ins elterliche Haus zurück und warf sich den Eltern zu Füßen und winselte und klagte und jammerte. Aber der Vater war ein rechtlicher, strenger Mann und hatte wenig Erbarmen für die unglückliche Tochter.

– Höre, sagte er mit finsterm Blick, magst bleiben, bis die Sache in Ordnung ist. Dann aber ists mit uns aus – so wie Dich Deine Füße zu tragen vermögen, verläßt Du dies Haus und kehrst nie zurück – hörst Du, nie!

Und mit diesen Worten drehte er ihr den Rücken und sie durfte ihm nie wieder vors Auge treten.

Und wie wir sie heute sehen, so war sie aus dem Hause gejagt, verstoßen vom heimathlichen Herde, und sie hatte sich auf den Weg gemacht, um in ihrer Verzweiflung ihren Verführer aufzusuchen.

Sie kam wirklich in das Dorf, wo derselbe wohnte. Sie frug nach ihm, und welche Nachricht ward ihr zu Theil? – »Der Fritz hat eine Ladung gekriegt nach dem Bezirkskommando und steht als Soldat im Felde, um gegen die Franzosen zu kämpfen, wer weiß, ob er noch lebt!«

Nun war alle Hoffnung zu Grabe getragen. – Nun stand sie allein und wußte nicht wohin? Sie wollte sich bei einem Bauern vermiethen, um sich und ihr Kind zu nähren, aber es wollte sie keiner mit dem Balg.

Sie frug von Haus zu Haus um Arbeit für Lohn nach, aber es war Winter und da braucht der Bauer niemand! Ein altes Weib gab ihr aus Mitleiden ein Stück trockenes Brot – weiter war nichts zu haben.

Sie verläßt das Dorf! Weinenden Auges wendet sie sich ab von dem Orte, wo sie einst glücklich war, – sie schüttelt sich vor Frost und wickelt den Knaben fester in das dünne, lockere Tuch!

Das Herz will ihr springen! Ihre Füße sind naß, ihre Hände kalt und blau, die Thränen, welche über die Wange rinnen, werden zu Eis.

Da kommt sie an eine Stelle, wo einige Tannen im Freien stehen. Es ist dunkel unter denselben – sie bleibt stehen und besinnt sich. Sie glaubt vielleicht Schutz unter den Bäumen zu finden, und geht hinein. Sie ist halb ohnmächtig und kann auch doch nicht weiter. Sie setzt sich auf einen umgeschlagenen Baum und beginnt das Stück Brot zu verzehren. Das Kind fängt an zu schreien, sie legts an ihre Brust, aber die Brust ist starr und kalt und die Lippen des Säuglings sind auch schon blau und haben keine Kraft mehr; es ist ein namenloses entsetzliches Unglück.

Das Mädchen bricht in lautes Wehklagen aus: sie muß sehen, wie ihr Kind verkümmert und verdirbt, sie verzweifelt an Gott und an der Menschheit – ein entsetzlicher Gedanke erfaßt sie: sie muß sich ihres Kindes entledigen.

Es ist über sie gekommen ein Wahnsinnsschauern, sie bedenkt nicht, was sie thut, sie kann nicht mehr über das Schicksal klar nachdenken.

In der Nähe liegt ein Haufen Steine. Sie nimmt die dicken Steine von oben ab, so daß eine Vertiefung entsteht. In diese Vertiefung legt sie das noch lebende Kind, und obgleich es schreiend der Mutter die blauen Aermchen entgegenstreckt, es muß den Mord über sich ergehen lassen und bald wirds still.

Wie von Furien gepeitscht, verläßt das Mädchen die Stätte der That. War sie eben fast ohnmächtig, so eilt sie jetzt von Dämonen getrieben über die Landstraße und so kommt sie fiebernd und krank bis zum nächsten Dorfe.

Der Dorfrichter erbarmt sich des unglücklichen Mädchens und läßt es ins Armenspital bringen. Hier fällt sie in ein nervöses Fieber – langsam wird sie hergestellt und als sie kaum ihr Krankenlager verlassen kann, wandert sie an der Seite eines Büttels zur Stadt, um in das Gefängniß abgeliefert zu werden.

Einige Wochen später lesen wir im Kreisblatt die Nachricht: daß die ledige Marie N. wegen absichtlichen Kindesmordes zu einer fünfjährigen Zuchthausstrafe verurtheilt worden ist!


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