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Einzug der zukünftigen Kronprinzessin in Berlin – Begeisterung der Bevölkerung – Vorstellung der Prinzessinnen bei Hofe – Die Trauung Luises und Friedrich Wilhelms – Alte Hochzeitsgebräuche am preußischen Hofe – Der verpönte Walzer – Luises Popularität – Szenen aus dem Hofleben des alten Königs Berliner – Sitten – Luise in der neuen Umgebung – Ihre Vorliebe für Tanz und Vergnügen – Sie versucht geistig auf ihren Gatten einzuwirken – Ihre innere Einsamkeit – Friederike – Ihr Einfluß auf Luise – Großstadtgefahren – Louis Ferdinands Annäherung – Seine Persönlichkeit – Das Ende der Idylle – Die Persönlichkeit des Kronprinzen – Luises Ehe – Ihr Privatleben – Tod des Prinzen Louis und der Witwe Friedrichs des Großen – Beginn der Krankheit des Königs – Luise in Pyrmont – Paretz – Der sterbende König – Scharlatane und Abenteurer – Die Lichtenau und ihre Freunde – In der Todesstunde Friedrich Wilhelms II.
An einem wunderschönen Wintermorgen, am 22. Dezember 1793, hielt die siebzehnjährige Prinzessin Luise ihren Einzug in Berlin. Die Landgräfin-Witwe von Darmstadt und ihre Brüder Georg und Karl von Mecklenburg-Strelitz begleiteten sie. Die Großmutter strahlte vor Stolz und Glück. Luise fuhr in der goldenen Karosse, in der alle preußischen Königsbräute eingeholt wurden. Der Kronprinz und Prinz Louis empfingen die Prinzessinnen in Potsdam am südlichen Schloßportal, wo auch der neue Hofstaat der beiden Bräute versammelt war.
Die Berliner Bevölkerung war begeistert von der neuen Kronprinzessin. Alle Straßen waren festlich mit Blumen und Fahnen geschmückt. Eine ungeheure Menschenmenge durchwogte die Stadt. Man war von der Natürlichkeit und Unbefangenheit der hübschen jungen Prinzessin entzückt, und sofort eroberte sie sich alle Herzen im Sturme. Der Zug bewegte sich vom Potsdamer Tor durch die Leipziger und Wilhelmstraße bis zu den Linden, immer an Tausenden von jauchzenden, frohen Menschen vorüber, die sich nicht genugtun konnten in Tücherschwenken und Jubelrufen. Als Luise von einer Reihe weißgekleideter kleiner Mädchen empfangen wurde, beugte sie sich zu der niedlichen Sprecherin, die ihr einen Blumenstrauß mit einem Gedicht überreichte, in spontaner Rührung hinab und küßte das Kind zum großen Erstaunen der alten Voß, die so etwas von Übertreten der Etikette noch nicht erlebt hatte.
Am Abend wurden Luise und Friederike bei Hofe vorgestellt, worauf bei der regierenden Königin Friederike Cour stattfand. Man sagte, sie hätte sich ihre Nichten, die Prinzessinnen von Baden oder Homburg, als Schwiegertöchter gewünscht und sei deshalb über die Wahl ihrer Söhne nicht besonders erfreut gewesen. Beim Lottospiel entlud sich dann auch ihre schlechte Laune besonders gegen die Prinzessin Luise. Als die Kronprinzessin naiverweise die Höflinge begrüßte, die an ihr vorbeischritten, sagte ihre Schwiegermutter ziemlich spitz zu ihr: »Wenn bei mir Cour ist, so gilt diese Cour nur mir, und ich allein habe zu grüßen.« Auch Friederike wurde getadelt und ausgescholten.
Am 24. Dezember, abends 6 Uhr, fand im Weißen Saal des Berliner Schlosses die Trauung Luises unter den althergebrachten Zeremonien statt und wurde vom Konsistorialrat Sack vollzogen. Die Braut sah entzückend aus. »Schön wie ein Engel«, meinte Prinzessin Radziwill. »Die diamantene Königskrone auf dem aschblonden Haar stand ihr bezaubernd.« Der Kronprinz war trotz seines kühlen und ernsten Wesens so von seinem Glück durchdrungen, daß man es ihm ansah.
Nach der Trauung fand im Rittersaal ein großes Bankett statt, bei dem nach überlieferter Sitte die Generale Graf Brühl und von der Marwitz di« Speisen auftrugen und Kammerherren und Hofdamen bei Tisch bedienten, bis die königliche Familie den ersten Trunk getan hatte. Dann zogen sich die Höflinge an die Marschallstafel zurück, um dort ebenfalls zu speisen. Nach der Tafel fand der gleichfalls seit alters gebräuchliche Fackeltanz im Weißen Saale statt. Voran schritten zu Paaren die achtzehn Staatsminister, jeder eine Wachskerze in Form von Fackeln in der Hand. König Friedrich Wilhelm II. führte die Braut, der Kronprinz beide Königinnen, seine Mutter und die Witwe Friedrichs des Großen. Danach folgten die übrigen Prinzen und Prinzessinnen mit ihren Hofdamen und Kavalieren.
Luise und ihre Schwester, deren Trauung erst am 26. Dezember stattfand, tanzten den bis dahin am preußischen Hof streng verpönten Walzer, und tanzten ihn mit aller Anmut und Grazie ihrer Jugend. Der König und alle Herren waren entzückt. Es entstanden Parteien, welcher von beiden Prinzessinnen der Preis der Schönheit zukomme. Nur die Königin war empört über die »Indezenz« eines solchen Tanzes, besonders aber, weil ihn ihre Schwiegertöchter am Hofe einführten. Sie verbot ihrer Tochter aufs strengste, Walzer zu tanzen, und wandte sich voll Abscheu ab, um nicht sehen zu müssen, wie die anderen »walzten«. Erst, nachdem die Neuvermählten in ihre Privatgemächer geleitet worden waren und die Oberhofmeisterin von Voß erschien, um jedem Zeugen der Hochzeitsfeier das bewußte Stück Strumpfband der Kronprinzessin zu zeigen, zogen sich die Gäste aus dem Schlosse zurück.
Bei der Trauung hatten in den großen Räumen neben dem Rittersaal alle Klassen der Bevölkerung Zutritt, und es waren viele Menschen versammelt, um die neue Kronprinzessin zu bewundern. Hatte doch der König besonders befohlen, daß »alle zugelassen werden sollten, die einen ganzen Rock anhätten«. Und dabei kam er selbst in die Enge mit seiner großen breiten Gestalt, die mit den Jahren immer mehr an Fülle zugenommen hatte. Durch die Menschenmassen mußte der König sich mit seiner Dame, der Witwe Friedrichs des Großen, durchschlängeln. Er gebrauchte dabei tüchtig seinen linken Ellenbogen, während er am rechten Arm die verwitwete Königin nach sich zog: »Braucht euch nicht zu genieren, Kinder,« rief er den dichtgedrängten Bürgern zu, »der Hochzeitsvater darf sich heute nicht breiter machen als die Brautleute.« Die Illumination hingegen hatte der aller Verschwendung und allem Aufwand abholde Kronprinz in Hinsicht auf die schweren Kriegszeiten abgelehnt. Er hatte es den Berliner Bürgern anheimgestellt, das Geld, das sie zur Erleuchtung ihrer Häuser bestimmt hatten, lieber zur Unterstützung armer Kriegerwitwen und Waisen zu verwenden. Und so geschah es auch. Der Hof selbst beteiligte sich daran, und die Einnahme der Vorstellung im Hoftheater wurde ebenfalls zu diesem Zwecke verwendet.
Vom Augenblick ihres Einzugs in Berlin an gewann Luise eine Popularität, wie sie vor ihr nur noch die erste Königin von Preußen, die reizende Sophie Charlotte, die Gattin Friedrichs I., besessen hatte. Unzufrieden waren die Berliner nur mit der Zusammensetzung des Hofstaats der Kronprinzessin, der hauptsächlich aus Mecklenburgern bestand. Die Oberhofmeisterin Voß verdankte ihre Stellung besonders dem Umstand, daß sie mit der Gräfin Jugenheim, der einen morganatischen Gattin des Königs, verwandt war. Die beiden Fräulein von Viereck, Henriette und Doris, wurden zur ersten und zweiten Ehrendame ernannt. Die eine davon, so hieß es, sei die Mätresse des Königs gewesen. Major von Massow wurde Hofmarschall und Herr von Schilden Kammerherr der Kronprinzessin. Er war früher beim Prinzen Ferdinand von Preußen, dem Vater Louis Ferdinands, ebenfalls Kammerherr gewesen.
Eine solche Wahl fand natürlich die schärfste Kritik im Volke. Aber Luises sympathisches Wesen überbrückte alle Unzufriedenheit. Hauptsächlich war es das glückliche Familienleben, das man am Berliner Hofe seit langem vermißt hatte, das sie dem Volke näherbrachte. Weder in der Ehe Friedrichs des Großen noch Friedrich Wilhelms II. hatte man so etwas erlebt. Im Gegenteil, Eifersuchts- und Skandalszenen waren besonders in der Umgebung des Königs, Luises Schwiegervaters, an der Tagesordnung. Er war zweimal morganatisch verheiratet. Das eine Mal mit Fräulein von Voß, der späteren Gräfin Ingenheim, das zweitemal mit der Gräfin Dönhoff, die ihm zwei Kinder gebar. Und die Ritz, alias Gräfin Lichtenau, führte als Hauptmätresse noch immer das Zepter. Auch sie hatte von ihm zwei Kinder, den Grafen und die Gräfin von der Mark. König und Königin führten getrennte Hofhaltungen, und es herrschte zwischen ihnen ein strenges Zeremoniell.
Es muß für die junge Kronprinzessin nicht leicht gewesen sein, sich in diese, für sie vollkommen neue Welt zu finden. Wenn auch nicht alle Mätressen zu gleicher Zeit im der Umgebung des Königs lebten, so erschien doch immer mal eine und machte ihm eine Szene. Die Dönhoff war zwar nach 1791 in die Schweiz geflohen, aber ab und zu fuhr sie wie der Blitz mitten unter die Gesellschaft des Königs, um ihn wieder für sich zu gewinnen. Ein höchst merkwürdiges Licht wirft folgende Szene auf das Leben am preußischen Hof zur Zeit der jungen Ehe Luises. Eines Tages fand im Marmorpalais von Sanssouci ein Konzert beim König statt, an dem wie immer Madame Ritz und ihre Tochter, die Gräfin von der Mark, teilnahmen. Plötzlich wurden die Türen aufgerissen, und Gräfin Dönhoff, die in der Schweiz einem Mädchen das Leben gegeben hatte, erschien mit ihren beiden Kindern im Salon. Sie wollte sich mit Friedrich Wilhelm II. wieder aussöhnen. Alle Anwesenden waren wie vom Donner gerührt, als sich die aufgeregte Frau mit ihren Kindern dem König zu Füßen stürzte und ihm vor allen Leuten die fürchterlichste Szene machte. Er war in höchster Verlegenheit und hatte die größte Mühe, die Gräfin in ein Nebengemach bringen zu lassen, über diesen kühlen Empfang war die Dönhoff so außer sich, daß sie nichts mehr von ihren Kindern wissen wollte, sie dem König in die Arme warf, wütend hinausstürmte, ihren Wagen bestieg und nach Berlin abfuhr. Darauf reiste sie sogleich auf Nimmerwiedersehen nach Lausanne. Ihre Kinder nahm Madame Ritz in Obhut und erzog sie auf Verlangen des Königs.
Nicht nur am Hofe, sondern auch in Berlin unter der Bevölkerung war das Leben ziemlich demoralisiert. Die Ehen wurden unter der Regierung Friedrich Wilhelms II. außerordentlich leicht geschieden, und die Frauen »waren so verdorben, daß selbst vornehme adlige Damen sich zu Kupplerinnen herabwürdigten, junge Mädchen und Weiber von Stande an sich zu ziehen, um sie zu verführen.« ... Bei Hoffesten plünderten die eingeladenen jungen Offiziere ganz ungeniert die Tafeln und Büfette und benahmen sich wie im Felde vor den Marketenderbuden. »Der Offizierstand, der schon früher ganz dem Müßiggang hingegeben, den Wissenschaften entfremdet war, hat es am weitesten unter allen in der Genußfertigkeit gebracht. Sie treten alles mit Füßen, diese privilegierten Störenfriede, was sonst heilig genannt wurde: Religion, eheliche Treue, alle Tugenden der Häuslichkeit der Alten. Ihre Weiber sind unter ihnen Gemeingut geworden, die sie verkaufen und vertauschen und sich wechselweise verführen.« So die vertrauten Briefe.
Es war kein Wunder, daß man die junge Kronprinzessin in ihrer Unverdorbenheit und Natürlichkeit wie ein vom Himmel gesandtes Wesen betrachtete. Wie aber hat sie sich selbst in dieser Welt zurechtgefunden?
Zunächst half ihr das gesunde fröhliche Naturell, das sie besaß, über alles hinweg. Ferner war ihre große Jugend vielleicht die natürlichste Schranke, die sich zwischen ihr und dem verdorbenen Milieu Friedrich Wilhelms II. aufbaute, ohne daß Luise es selbst wüßte. Wie man vom Salamander annimmt, daß er unbeschädigt durchs Feuer gehen kann, so ging auch Luise in ihrer Unschuld und Unerfahrenheit unberührt durch den Schmutz des sie umgebenden Lebens. Vielleicht erkannte sie es nicht einmal in seinem ganzen krassen Umfang. Ehe es ihr zum vollen Bewußtsein kommen konnte, versank es durch den Tod der Hauptbeteiligten wieder, und vor ihr baute sich ein neues Leben auf, ein Leben, wie sie es verstand und wie es ihrer Wesensart entsprach, denn sie war es, die ihn den Stempel ihrer Persönlichkeit aufdrückte.
Trotz aller Bescheidenheit und Zurückhaltung war sie durchaus nicht fröhlicher Ausgelassenheit und frohen Festen abhold. Im Gegenteil, sie hatte ihre helle Freude daran. Kam sie doch aus dem leichteren Süden von Deutschland, vom Rhein, wo das Blut lebhafter in den Adern fließt, wo die Menschen sich freier und harmloser ihren Vergnügungen und Freuden hingeben, kurz, wo man das Dasein freudiger genießt als im Norden. Luise tanzte für ihr Leben gern und – was man ihr in den schweren Zeiten nicht immer verzieh –, sie ließ sich gern beim Tanzen bewundern und gab deshalb oft zu Veranstaltungen Anlaß, in denen sie in irgendeiner tanzenden Rolle auftrat. Das gehörte zu ihren kleinen Schwächen, richtiger wohl aber zu den Schwächen der Zeit überhaupt, denn an allen anderen Höfen, in Hannover, in Darmstadt, in Weimar, besonders aber später am Hofe Napoleons gehörten Aufführungen dieser Art, an denen sich die Prinzessinnen des Hauses persönlich beteiligten, zum guten Ton. Auch ihre Vorgängerin in der Gunst des preußischen Volkes, die schöne Königin Sophie Charlotte, hatte es getan. Auch deren Feste und Maskenbälle waren berühmt gewesen. Die junge Kronprinzessin gab sich mit rheinischem Übermut den Faschingsfreuden hin. Schon im Jahre 1794 wurde der Karneval am preußischen Hofe zu einem glänzenden Feste. Alle Tanzvergnügen waren sehr beliebt, weil sie eine angenehme Abwechslung in das im großen und ganzen eintönige Hofleben, wie es Friedrich Wilhelm III. einführte, brachten.
Luise tanzte viel, sehr viel. Nach dem Begriff ihrer Oberhofmeisterin und strengdenkender Menschen vielzuviel für eine jungverheiratete Frau. Aber sie war selig, sich diesen Zerstreuungen hingeben zu können, zumal es ihr nach der Verheiratung nicht leicht gefallen war, sich ohne die mütterliche Liebe ihrer Großmutter und ohne die zärtliche Freundschaft aller ihrer Geschwister, mit denen sie bisher in engster Gemeinschaft gelebt hatte, abzufinden. Denn wenn sie auch ihrem Gatten – schon aus Pflichtgefühl und aus innerer Güte ihres unverdorbenen Herzens – sehr zugetan war, so war ihr Friedrich Wilhelm doch noch außerordentlich wesensfremd. Bereits als Braut hatte sie versucht, ihn zu einem höheren geistigen Leben mit fortzureißen. Denn sie selbst war außerordentlich bildungsbedürftig und suchte die Lücken ihres Wissens, so gut sie es vermochte, auszufüllen. Bei Friedrich Wilhelm jedoch scheiterte alle ihre Geschicklichkeit. Er las höchstens sentimentale Moderomane, Räubergeschichten und Bücher über Pferde und Uniformen. Von Musik verstand er nichts. Nur Militärmärsche, Janitscharenmusik und Tänze fanden seinen Beifall. Es war ein Wunder, daß er die kleinen Lieder geduldig und gern anhörte, die Luise ihm bisweilen vorsang. Vielleicht datierte diese Abneigung gegen alle Hausmusik daher, daß er als Kind nur zu oft gezwungen worden war, den Konzerten beizuwohnen, die sein Vater beinahe täglich veranstaltet hatte. Für Kunst hatte er nicht das geringste Verständnis, und seine Kenntnisse in der Malerei beschränkten sich auf rein militärische Bilder, die er nur von diesem Standpunkt aus betrachtete. Selbst die eigenen ungeschickten Zeichenversuche seiner Jugend waren immer nur Karikaturen von Soldaten. Uniformen und alles, was mit seinem Offiziersberuf zusammenhing – ausgenommen der Krieg – interessierten ihn ungemein. Aber für alles Geistige vermochte er nicht das geringste Interesse aufzubringen.
Auch sein Gefühlsleben war grundverschieden von dem seiner Frau. Infolge einer großen Zurückhaltung war es ihm trotz aller Zuneigung und Liebe nicht gegeben, seine Zärtlichkeit für Luise in so reichem Maße zu zeigen, wie es ihrer warmherzigen Natur Bedürfnis war. So fühlte sie sich in der ersten Zeit schrecklich vereinsamt. Ihre Gemütsstimmung kommt besonders in einem Briefe an den Bruder Georg vom 14. Februar 1794 zum Ausdruck, nachdem die Verwandten, vor allem Georg, aus Berlin abgereist waren:
»Nichts kommt dem Schmerz gleich, den Deine Trennung meinem Herzen verursacht. Ich kann mich nicht in den Gedanken finden, daß ich von Dir so weit entfernt leben muß, und dennoch zwingt mich die Wirklichkeit dazu, die mich denn auch alle Bitterkeit dieses Gedankens empfinden läßt. Die Leere in meinem Hause ist wirklich unbeschreiblich, und besonders die Frühstücksstunde ist für mich ganz schrecklich. So ganz allein sitze ich denn da an meinem Fenster, bin aller angenehmen Unterhaltung mit Dir, bester George, beraubt und beschäftige mich allein mit dem Gedanken, wo meine lieben Reisenden sein werden, und alsdann erfolgen tausend heiße Wünsche für Euer Glück, Ruhe und Zufriedenheit. Gestern war ein harter Tag für mich; ich war über alle Beschreibung melancholisch und traurig, kein Mensch von meiner Gesellschaft war heiter, und keiner hatte das Herz, aus Schonung für mich, viel zu sprechen, so daß das Mittagessen in tödlichster Stille vorbeiging. In dem Augenblick, als wir uns setzten, glaubte ich von Tränen erstickt zu werden, wie ich niemand von meinen Verwandten erblickte; ich mußte sie aber ersticken, weil Tränen öfters anders ausgelegt werden können. Genug hiervon, sonst fange ich wieder an zu brüllen, und das wäre sehr zur Unzeit ... Lieber, bester Junge, ich drücke Dich herzlich in Gedanken an mein trauriges Herz und versichere Dich, daß ich Dich mehr liebe als mein Leben.«
Man spürt, daß sie noch nicht eingelebt ist, weder in ihrer Ehe noch in ihrer Umgebung. Der König Friedrich Wilhelm II., der seine Schwiegertochter sehr liebte, hatte für sie das kronprinzliche Palais Unter den Linden einrichten lassen. Sie bezogen es gleich am Tage nach ihrer Trauung. Es waren zwanzig bis fünfundzwanzig Zimmer, wovon wohl ungefähr zehn zu Luises und ihres Gatten Privatgebrauch zur Verfügung standen. In den weiten, ziemlich kahlen und kalt ausgestatteten Räumen kam sie sich in der ersten Zeit sehr verlassen vor. Nur ihr Schreib-, Schlaf- und Ankleidezimmer war einigermaßen gemütlich. Hier verweilte sie am liebsten. Bisweilen wurde sie auch zur regierenden Königin gerufen und mußte ihr bei Tisch Gesellschaft leisten; der alte König war höchst selten an der Tafel seiner Frau. Diese Mahlzeiten waren durchaus nicht nach Luises Geschmack, denn die Königin liebte ihre Schwiegertochter anfangs wenig, und auch Luise hatte nicht viel für die Königin übrig. Später hat sich beider Verhältnis etwas freundlicher gestaltet, obwohl Luise stets die Sonntage und Donnerstage fürchtete, an denen die Königin in Monbijou Cour hielt. Bei derartigen Gelegenheiten mußte Luise sich immer Zwang antun. Es war zum Sterben steif und langweilig, weil die Königin auf die strengste Etikette hielt und sehr altmodisch war. Zum Glück wohnte Friederike mit dem Prinzen Louis ganz in der Nähe, im »Kleinen Palais«. »Bald waren wir drüben bei ihnen, oder sie bei uns, aber immer war man beisammen«, schreibt die alte Voß in ihr Tagebuch. Sie besuchten auch zusammen Theater und Oper, Konzerte und Bälle, Abendunterhaltungen bei den verschiedenen Gesandten und Ministern und in dem gastlichen Bellevue des Prinzen Louis Ferdinand. Beide Prinzessinnen tanzten sich manche Nacht fast zu Tode.
Aber der Einfluß der jungen Schwester, die viel oberflächlicher war als Luise und mit ihren sechzehn Jahren vielleicht auch des Ernstes und der Überlegung entbehrte, war nicht immer von Vorteil für die Kronprinzessin. Infolge ihrer inneren Einsamkeit war Luise, obwohl sie von allen bewundert und verwöhnt wurde, den geringsten Liebenswürdigkeiten und Schmeicheleien zugänglich und für die kleinste Aufmerksamkeit, die man ihrer Person entgegenbrachte, dankbar. So kam es wohl, daß sie sich im Frühjahr 1794, mehr, als es sich nach den damaligen Begriffen für eine Neuvermählte schickte und es der strengen Hofetikette entsprach, dem schönen Prinzen Louis Ferdinand anschloß, dem jungen Helden, von dem die ganze Welt begeistert war, der sich aber auch eines sehr galanten Rufes erfreute. Bereits im Lager vor Mainz, 1793, hatten sie und ihre Schwester ihn gesehen, und Louis Ferdinand, ein großer Frauenverehrer, war schon damals von der Lieblichkeit der beiden jungen Mädchen entzückt gewesen. Friederike entgingen seine heißen Blicke nicht. Sie schrieb zu jener Zeit an ihre Schwester Therese von Thurn und Taxis: »Der Prinz Louis Ferdinand betrachtet uns beide mit seinen durchdringenden Blicken; er ist sehr liebenswürdig.«
Er war nicht nur sehr liebenswürdig, sondern auch einer der schönsten und gefährlichsten Männer seiner Zeit. Die Frauen rissen sich um ihn. Überall hatte er Liebschaften. Zur Hochzeit der Kronprinzessin war er nicht eingetroffen, obwohl man auch ihn erwartet hatte, weil er, wie seine Schwester erzählt, »nur ungern das Heer und die Vicomtesse von Contade« verließ, mit der ihn sehr enge Bande verknüpften. Aber gerade zum Geburtstag der Kronprinzessin, am 10. März 1794, traf er am Hofe ein. »Er war noch größer und schöner geworden.« Mit den nach neuester Mode ungepuderten Haaren, die ihm in weichen Wellen in die Stirn fielen, in seinem außerordentlich eleganten Reiseanzug sah er so eigenartig aus, daß seine Schwester ihn kaum erkannte. Aber nicht nur sie sah die Schönheit und erlag dem außerordentlichen Zauber, den der Prinz um sich verbreitete. Luise mit ihrem für alles Schöne und Edle empfänglichen Herzen, mit ihrer rheinischen Natürlichkeit war sofort von seiner Persönlichkeit gefangen, um so mehr, da der Prinz sich sichtlich bemühte, Eindruck auf sie zu machen. Louis Ferdinand war feurig und leidenschaftlich, ein Charmeur, ein Frauenverführer. Er hatte viele Frauen gekannt, und keine hatte ihm widerstehen können. Außer seiner männlichen Schönheit war es sein genialer, hinreißender Charakter, der ihm alle Frauenherzen im Sturme eroberte. Der Prinz merkte gleich, daß die junge, reizende Kronprinzessin nicht ganz am richtigen Platze am der Seite jenes steifen, ungelenken Mannes war, der kaum die bezaubernde Schönheit und Lieblichkeit seiner Gattin zu bemerken schien oder zu schüchtern und ungeschickt war, um ihr alles zu sagen, was er empfand.
In seiner feurigen, aber zügellosen Art versuchte der Prinz sofort Vorteil daraus zu ziehen und der seiner Meinung nach wenig glücklichen jungen Frau den Hof zu machen. Luise nahm die leidenschaftliche Huldigung, die etwas ganz Neues für sie war, wohl zögernd, aber doch nicht ungern entgegen, zumal Friederike sie im gewissen Sinne dazu aufmunterte. Die junge Kronprinzessin sah wohl anfangs nur Freundschaft darin. Aber sie achtete weder der Etikette noch der öffentlichen Meinung. Sie fuhr aus, wann es ihr einfiel, ohne Hofmeisterin, nur mit Friederike, nahm Einladungen an, ohne ihren Mann oder die Gräfin Voß um Rat zu fragen, und lud ebenso unbefangen Personen ein, die am Hofe nicht gern gesehen waren. Sie tanzte die Nächte hindurch, ohne auf ihre Gesundheit und die Ermahnungen des Kronprinzen zu achten. Sie schonte sich in keiner Weise. Dabei war sie körperlich nicht widerstandsfähig. Sie neigte leicht zu Erkältungen. Halsentzündungen waren nichts Seltenes bei ihr. Nach durchtanzten Nächten war sie matt und erschöpft. Oft hatte sie Fieber. Dann lag sie bis Mittag im Bett. Aber alle Ermahnungen fruchteten nichts. Ihre Jugendlust mußte sich austoben.
Nicht nur in den Hofkreisen erregte sie dadurch Anstoß, sondern auch die Berliner Bevölkerung fing an, mit der von ihr anfangs vergötterten Kronprinzessin unzufrieden zu sein, besonders, als sich das Gerücht verbreitete, sie schenke dem leichtlebigen Prinzen Louis Ferdinand ein Ohr. Der Prinz kam oft schon morgens zu ihr, um, wie er sagte, mit ihr irgendein Detail wegen eines stattfindenden Festes oder wegen eines Maskenkostüms zu besprechen. Kurz, es entwickelte sich zwischen beiden ein sehr freundschaftlicher Verkehr, der besonders von Luise ganz rein empfunden wurde. Anders stand es mit den Gefühlen des leicht entflammenden jungen Mannes. Seiner Freundschaft lagen durchaus andere Absichten zugrunde, und da er schließlich seine Annäherungsversuche nicht von Erfolg gekrönt sah, versuchte er, Friederike zu gewinnen, damit sie als Fürsprecherin bei ihrer Schwester eintrete. Aber Friederike selbst erlag einige Monate später seinem unwiderstehlichen Zauber.
Vielleicht wäre auch Luise erlegen, hätte sie nicht in ihrer alten Hofmeisterin eine so gute Beraterin und wahre Freundin gehabt. Dem Scharfblick der Voß und ihrer Erfahrung an einem Hofe, an dem es an galanten Abenteuern nicht gemangelt hatte, waren die Absichten des Prinzen Louis Ferdinand natürlich nicht entgangen, noch aber besaß sie nicht das ganze Vertrauen ihrer jungen Herrin. Die Voß meint: »Der Unterschied der Jahre war zu groß zwischen ihr und mir, auch hatte sie etwas Verschlossenes in ihrem Charakter, und ich muß sagen, zum Glück und mit Recht eine große Zurückhaltung, die sie abhielt, sich gegen Personen, die sie nicht näher kannte, auszusprechen.« Hätte Luise damals die Großmutter in der Nähe gehabt, sie würde ihr alles gesagt haben und sich vor den Gefahren der Großstadt in ihre schützenden Arme geflüchtet haben. Schreiben mochte sie ihr vielleicht darüber nicht, weil sie fürchtet, brieflich auch von ihr mißverstanden zu werden. Aber den Bruder Georg, der selbst jung und empfänglich war, ließ sie doch in einem Brief vom April 1794 manches durchblicken: »Ach, einige Worte nur haben so viel Trost für mich«, schrieb sie. »Ich brauche ihn mannigmal ... Berlin ist viel größer als Darmstadt, es sind auch vielmehr Leute allerhand Arten darin – das werde ich gewahr – ... Das Gute wird nicht immer erkannt, glaube mir, ich spreche aus Erfahrung; deshalb muß man aber nicht ablassen, gut zu sein. Dies ist und bleibt mein Grundsatz.« Ehe sie zu dieser Einsicht gekommen war, hatte es jedoch manches Opfer gekostet. Es hatte Tränen, viele Tränen in der jungen Ehe gegeben. Luise hatte nicht einsehen wollen, daß ihre Jugendlust, ihr Frohsinn Einschränkungen erfahren sollten und sie am Berliner Hof nicht mehr so ungebunden leben konnte wie als kleine mecklenburgisch« Prinzessin in Darmstadt. »Alle Welt ist mit ihr unzufrieden«, schrieb die alte Voß. Sogar der König, der Luise sonst zärtlich liebte, war böse auf sie und ließ ihr durch Fräulein von Viereck sagen, sie möge sich ändern. Dem Kronprinzen riet er, seiner Frau zu zeigen, daß »wir hier gewohnt find, uns bei unseren Frauen Gehorsam zu verschaffen«.
So starke Mittel waren indes bei Luise nicht nötig. Sie kam selbst bald zur Einsicht, daß ihr Mann ihr bester Freund war, und Frau von Voß wies sie ebenfalls darauf hin, daß »niemand ihr volles Vertrauen besitzen, niemand ihr Ratgeber sein dürfe als ihr Gemahl«. Denn er liebte sie aufrichtig. Das fühlte Luise. Anstatt ebenfalls, wie die andern, der jungen, unerfahrenen Frau die Fehler, die sie begangen hatte, vorzuwerfen, verteidigte er sie sowohl gegen den König als auch gegen die Königin. Er war ihr in dieser Zeit des Schwankens ein wirklicher Freund, und Luise erkannte seinen Wert. Der Rausch, in den sie vielleicht für einen Augenblick die Huldigung Louis Ferdinands versetzt hatte, verflog, zumal sie bald merkte, daß er ihrer Schwester ebenso feurig den Hof machte und schließlich von dieser erhört wurde.
Luise billigte den Leichtsinn ihrer »Englischen Friederike« nicht, aber sie bringt ihr immer die gleiche Liebe entgegen. Mit feinem weiblichen Empfinden verstand sie wohl besser als die andere, wie schwer es war, einem Mann zu widerstehen, der so viele bestechende Eigenschaften besaß wie Louis Ferdinand. Immer hielt sie treu zu dieser Schwester, deren Verhältnis mit dem Prinzen in den Hofkreisen das größte Mißfallen erregte, obwohl man wußte, wie wenig Zuneigung sie bei ihrem Mann gefunden hatte. Es war auch dem Prinzen Louis von Preußen gleichgültig, ob seine Frau andern Männern ihre Liebe schenkte oder nicht.
Jedenfalls wurde der Idylle Luises und Louis Ferdinands schon dadurch ein Ende gemacht, daß das kronprinzliche Paar am 1. April 1794 für einige Zeit nach Potsdam übersiedelte. »Das störende Element« dieser jungen Ehe war somit aus dem Wege geräumt, und triumphierend berichtet die alte Voß: »Dem Kronprinzen allem gebührt das Verdienst, sie (Luise) in dem Augenblick der Gefahr, wo fremde Einflüsse sich zwischen ihn und sie einzudrängen drohten, durch seine Treue, seine Wahrhaftigkeit und seine Festigkeit vor denselben bewahrt zu haben.« Vielleicht hatte er den Prinzen Louis Ferdinand auch als »fatalen Menschen« bezeichnet, wie es seine Gewohnheit war, wenn er jemand nicht leiden mochte, besonders Großtuer und »Herren mit breitspurigem Wesen«. Er war dann meist sehr kurz zu ihnen und ließ seine Abneigung deutlich merken.
Überhaupt liebte er wenig Menschen um sich, und der ganze Hoftrubel war ihm schon als jungem Mann zuwider. Aber leider konnte er sich nicht lange des ruhigen Lebens in Potsdam erfreuen, nachdem sie sich, wenn man so sagen will, »gefunden hatten«. Denn erst jetzt schienen sich beide richtig zu verstehen. Seinem Adjutanten und Freund, dem Major Schack, schrieb Friedrich Wilhelm in jenen Tagen voller Zufriedenheit: »Wir leben hier sehr ruhig und für mein Teil sehr angenehm, Berlin regrettiere ich gar nicht und habe mir hier noch nie so gefallen. Alles lebt in Einigkeit, da sich keine fremde Hand ins Spiel mischt, und wir benutzen täglich recht fleißig die schöne Gegend, die so manche anmutige Gegenstände darbietet ... Gott gebe, daß bei unserer Rückkehr nach Berlin nicht neue Mißhelligkeiten und Klatschereien den häuslichen Frieden stören mögen.« Luise aber nennt diese sechs Wochen, die sie in Potsdam verbrachten, die schönsten und glücklichsten ihres Lebens«. Sie gingen rasch dahin. Der Kronprinz mußte im Mai wieder ins Feld. Nach der zweiten Teilung Polens war es im März 1794 unter Kosziusko zu einem Aufstand gekommen. Ihn zu unterdrücken, zogen Russen, Österreicher und Preußen gegen den polnischen Aufrührer. Die völlige Bekämpfung des Aufstandes gelang aber erst im Oktober 1794 durch die Einnahme von Warschau unter Suwarow.
Diese erste Trennung war für Luise und Friedrich Wilhelm ein harter Schlag. Der Kronprinz war so unglücklich darüber, daß er es kaum zu überstehen meinte. Auch diesmal zog er ungern ins Feld. Er sagte zu Schack, es schiene ganz, als wolle dies »der zweite Teil der französischen Revolution werden«. Aber es half nichts. Der König hatte befohlen, und am 15. Mai rückten beide Brüder, der Kronprinz und Prinz Louis, zur Armee ab. Luise, die mit Friederike inzwischen nach Sanssouci übersiedelte, hatte nur Tränen. Der erste Brief, den sie ihrem Mann ins Feld schrieb, ist das beste Zeugnis ihres Seelenzustandes in jener Zeit und zugleich ein Brief so voller Liebe und Leidenschaft, wie man selten Briefe fürstlicher Damen an ihre Gatten findet, höchstens an ihre Geliebten. Den angetrauten Männern stand man in diesen Kreisen meist kühler gegenüber.
»Mein teurer und geliebter Freund,« schreibt sie am 15. Mai 1794, »eine Feder soll Dir nun sagen, was mein Mund Dir schon eine Millionmal gesagt hat: daß ich Dich unsagbar liebe. Wie hart ist es für mich, Dich nicht mehr bei mir zu haben. Einsam und allein überlasse ich mich meinem Schmerz«. Mein einziger Trost ist, auf demselben Sofaplatz zu sitzen, wo Du immer saßest. O Gott, könntest Du mich sehen, könntest Du Deine unglückliche Frau sehen, wie sie über Deine Abreise seufzt, wie unglücklich und verlassen sie ist. Tränen find mein einziger Trost, aber wie bitter ist er ... Vergiß mich nicht, mein teurer Freund. Erinnere Dich Deiner Luise, die nur für Dich lebt, und die ohne Dich unglücklich ist ... Bei Gott, ich schwöre Dir, daß keine Liebe der gleich kommt, die ich für Dich fühle; nicht die Liebe für Vater und Mutter, nicht zu Schwester und Bruder.« Und deutsch fügt sie hinzu: »Du bist mein Alles, Engel meines Herzens. In Dir finde ich all mein Glück. Ohne Dich ist mir alles nichts, und ich bin unglücklich. Ich bitte Dich, um Gottes willen, antworte mir recht aufrichtig, ob Du auch recht innig und wahrhaftig von meiner wahren, reinen Liebe zu Dir überzeugt bist.«
Wenige Prinzessinnen werden so leidenschaftlich und zugleich mit so warmem Gefühl an ihre Gatten geschrieben haben, zuviel alles mit einem gewissen Zeremoniell vorsichgehen mußte, unter dem sich Unaufrichtigkeit und Heuchelei verbarg. Im geheimen gab man sich dann um so zügelloser verbotenen Genüssen hin. Daß Luise sich immer von ihren Gefühlen leiten ließ und ohne Prüderie und ohne Scheu alles sagte, was sie in ihrem Herzen empfand, ohne davor zurückzuschrecken, daß sie vielleicht durch diese schlichte Offenheit in dem verlogenen Hofmilieu Anstoß erregen könnte, gereicht ihr zur Ehre. Für sie gab es nur einen Weg, glücklich zu sein, nämlich »der Stimme ihres Gefühls, ihres Herzens zu folgen«. Außerdem war sie die Gebende, nicht die Nehmende. Es machte sie tausendmal glücklicher, einen Menschen etwas Liebes zu tun, als selbst zu empfangen, obwohl sie auch dafür nicht unempfänglich und für jedes liebe Wort und die geringste Aufmerksamkeit dankbar war. Sie könnte vor Freude außer sich geraten, wenn der sonst schweigsame, ja wortkarge Kronprinz ihr sagte, wie sehr er an ihr hing und wie sehr er ihrer Gesellschaft bedürfe. »So eine Zusicherung,« schrieb sie einmal an ihren Bruder, »macht einen doch wahrhaft glücklich, besonders, wenn man nur den einen Wunsch hat, seinen Mann recht glücklich zu machen.«
Im September, noch vor Beendigung des Krieges, kehrte der Kronprinz wieder zurück. Er war nicht zufrieden, weder mit seiner Verwendung in diesem Feldzug, noch mit diesem überhaupt. Der König hatte ihn fast immer beiseite geschoben, wie er behauptet, um die Thronfolge nicht zu gefährden. Vielleicht sah aber auch Friedrich Wilhelm II. ein, daß sein Sohn kein militärisches Genie war und besser nicht an führender Stelle stand. Als dann die Belagerung von Warschau jählings abgebrochen wurde, billigte der Kronprinz zwar diese Maßnahme, aber er meinte »vor Scham über diesen schmählichen Rückzug sterben zu müssen«.
Die Nachricht von seiner unverhofften Rückkehr versetzte Luise in eine beinahe wahnsinnige Freude. »Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht und was ich tue«, antwortete sie ihm. »Ein freudiges Zittern ergriff mich bei der Lektüre Deines Briefes, mein Atem wurde ganz kurz, ganz kurz ... Ach Gott, was ein Glück, welche Freude erwartet mein, ich zittre an Arm und Bein, wenn ich daran denke! ... Tausendmal habe ich die Stelle vom 7. durchgelesen. Was auch nur der Gedanke quälet, wann ist der Tag, wo er kommen wird ... Ich bitte Dich aber auch recht inständig, mir den Tag Deiner Ankunft zu schreiben, denn ich muß es wahrhaftig wissen, sonst sterbe ich oder erschrecke wenigstens zum Tode, kömmst Du so und machst eine Surprise ...« Und dann war er endlich wieder da, am 21. September! Luise sah im nächsten Monat ihrer ersten Niederkunft entgegen und war glücklich, ihren Mann in dieser Stunde in ihrer Nähe zu wissen. Sie freute sich so auf das Kind, aber es kam ihr so seltsam, so komisch vor, daß sie schon Mutter werden sollte, daß sie an Georg schrieb: »Und Du, Bruder Georg ... wirst Dich freuen und über den Gedanken lachen, daß Luise ein Kind hat.«
Die Freude wurde indes zur Trauer. Durch einen Unfall brachte die Kronprinzessin am 7. Oktober ein kleines totes Mädchen zur Welt. In der Meinung, die Kronprinzessin sei ausgefahren, hatte man das Kronprinzenpalais einem Fremden gezeigt. Als Luise dem fremden Mann auf der Treppe begegnete, erschrak sie dermaßen, daß sie die Treppe hinunterfiel. Eine Fehlgeburt war die Folge. Erst im nächsten Jahr ging ihr Wunsch in Erfüllung. Am 15. Oktober 1795 gebar sie ihren ersten Sohn, den Prinzen Friedrich Wilhelm, den nachherigen Friedrich Wilhelm IV. Ihr Glück war unbeschreiblich.
Nun folgte fast ein ganzes Jahr stillen Familienlebens. Abgesehen von den üblichen Zerstreuungen und offiziellen Festen, die ein Hof mit sich bringt, lebten sie sehr zurückgezogen meist in Potsdam oder in dem bald darauf erworbenen Paretz.
Luise hatte sich jetzt völlig in ihre Ehe eingefühlt und suchte den Kronprinzen immer besser zu verstehen. Sie sah auch inzwischen einige ihrer Verwandten wieder, besuchte einmal ihren Vater und schien mit ihrem Los zufrieden. Ihre Sorge galt jetzt ihrem Kind. Auch dabei verhielt sie sich wie eine Mutter der Bürgerkreise. Sie kümmerte sich selbst um sein Wohl und Wehe. Und das tat sie nicht nur bei diesem Erstgeborenen, sondern auch später bei allen ihren Kindern. Sie wollte sie, wie sie sich einmal zu Professor Heidenreich in Leipzig äußerte, vor allem zu »wohlwollenden Menschenfreunden« heranbilden. »Meine Sorgfalt ist meinen Kindern gewidmet ... Erhält Gott sie uns, so erhält er meine besten Schätze, die niemand mir entreißen kann.« Wenn sie auf Reisen war, schrieb sie den Kinderfrauen und Erzieherinnen, wie sie die Kleinen pflegen und daß sie sie ja nicht verwöhnen und verziehen sollten. Den Kindern selbst sandte sie lange, ausführliche Briefe und nahm an ihren kleinen Freuden und Leiden teil. Dafür hingen sie alle mit schwärmerischer Liebe an dieser Mutter, die ihnen so viel zu geben hatte.
Der Kronprinz lebte mit Luise wie ein glücklicher Privatmann. Er fühlte sich am wohlsten zu Hause im Familienkreise, denn er haßte das leere, hohle Geschwätz der Hofleute und alles steife Zeremoniell. Da er sehr pedantisch war, führte er ein äußerst gleichförmiges Leben, in dem jede Stunde ihre Bestimmung hatte. Darüber spottete sogar Luise bisweilen ein wenig, wenn sie ihrem Bruder Georg schrieb, daß sie mit »den Hühnern und Kickerikis« zu Bett ginge und mit »Höchstdenselben« wieder aufstünde. Denn der Kronprinz stand jeden Tag früh um sechs Uhr auf, und Luise hielt es in der ersten Zeit ihrer Ehe, wenigstens, wenn sie auf dem Lande waren, ebenso. Zwar kam sie durch diese einfache, aller Etikette entbehrende Lebensweise oft in Widerstreit mit ihrer Oberhofmeisterin, denn Frau von Voß bemühte sich, das steife Hofzeremoniell aufrechtzuerhalten. Sie hatte damit weder bei Luise und noch viel weniger bei Friedrich Wilhelm Glück. Er nannte die alte Voß nur noch »Dame Etiquette«. Besonders empört war Frau von Voß, wenn er unangemeldet bei der Kronprinzessin eintrat. Als sie ihn eines Tages wieder darauf aufmerksam gemacht hatte, daß das nicht üblich sei, erwiderte er: »Nun gut, will mich fügen. Melden Sie mich meiner Gemahlin und fragen Sie, ob ich die Ehre haben kann, Ihre Königliche Hoheit die Kronprinzessin zu sprechen, möchte ihr gern mein Kompliment machen und hoffe, sie wird es gnädigst gestatten.«
Die Voß war selig über diesen Erfolg ihrer Erziehung. Feierlich begibt sie sich zur Kronprinzessin, um ihr in aller Form den Besuch Seiner Königlichen Hoheit zu melden. Wie aber erschrak sie, als sie zu Luise kam und bereits den Kronprinzen bei ihr sitzen sah. Er war durch eine andere Tür eingetreten und rief der bestürzten Oberhofmeisterin lachend entgegen: »Sehen Sie, liebe Voß, meine Frau und ich, wir sehen und sprechen uns unangemeldet, so oft wir wollen und wünschen.«
Friedrich Wilhelm war sparsam und einfach und mied für sich und die Seinen allen Glanz. Im Gegensatz zu seinem Vater, der in seiner Kleidung äußerst elegant war und mit seinen Mätressen, meist untergeordneten Charakteren, sein Geld verschwendete, lebte der Kronprinz nur für seine Familie. Als er sechzehn Jahre alt war, prophezeite ihm Mirabeau eine große Zukunft, und gleichzeitig schilderte er ihn mit wenigen Worten ganz vortrefflich: »Er ist linkisch,« sagte er, »aber alles hat bei ihm ein bestimmtes Gepräge. Er ist unhöflich, aber er ist wahr ... Er ist hart und zäh bis zur Rauheit ... Vielleicht hat dieser junge Mann eine große Zukunft.« Friedrich Wilhelm in seiner Schlichtheit konnte natürlich nicht viel Achtung vor seinem Vater haben. Ja, er haßte und verachtete ihn geradezu und machte auch gar kein Hehl aus seiner Abneigung. Friedrich den Großen hingegen verehrte er über alles. Hatte doch sein großer Oheim einst von ihm gesagt: »Er wird so sein wie ich.« Aber weder Mirabeau noch Friedrich der Große behielten recht. Friedrich Wilhelm hatte weder eine große Zukunft, noch besaß er auch nur annähernd den Verstand und das Genie Friedrichs. Wenigstens aber war er selbst so einsichtsvoll und gab zu, daß er Friedrich nicht gleichkommen könne. Denn, als man ihn bei seiner Thronbesteigung fragte, wie er sich nennen wolle, Friedrich oder Friedrich Wilhelm, soll er gesagt haben: »Friedrich Wilhelm. Friedrich ist mir unerreichbar.«
Der Alte stand ihm noch lebhaft in Erinnerung. Im Park von Sanssouci hatte er oft mit ihm gesprochen. Friedrich Wilhelm war damals noch ein Kind. Einmal begegnete er Friedrich dem Großen ganz unvermutet. Sofort fragte ihn der König über Geschichte und Mathematik aus. »Ich mußte in französischer Sprache mit ihm reden«, erzählte Friedrich Wilhelm III. später seinem Biographen Eylert. »Dann zog er aus der Tasche La Fontaines Fabeln, von denen ich eine übersetzte. Zufällig war es gerade eine, die ich beim Informator eingeübt hatte und die mir sehr geläufig war. Das sagte ich dem König, als er meine Fertigkeit lobte. Darauf erheiterte sich sein ernstes Gesicht. Er streichelte mir sanft die Wangen und setzt« hinzu: »So ist's recht, lieber Fritz; nur immer ehrlich und aufrichtig! Wolle nie scheinen, was Du nicht bist; sei stets mehr, als Du scheinst.« Diese Ermahnung machte auf den jungen Prinzen einen unauslöschlichen Eindruck. Verstellung und Lüge waren ihm stets zuwider, auch in späteren Jahren.
Einfach und gerecht war er in allem, aber auch unfähig zu dem Posten, der ihm bevorstand, besonders in einer Zeit, da es nicht nur überall zu gären begann, sondern auch gegen Preußen sich ein Gegner erhob, dem nur ein ebenso genialer Partner die Wage hätte halten können. Darüber waren sich alle Staatsmänner einig. Der österreichische Gesandte Fürst Reuß sprach sich in einem Briefe an den Baron Thugut vom 8. November 1797 über die Persönlichkeit des Kronprinzen in folgenden Worten aus: »Seine Haltung ist immer etwas verlegen; er ist stets sehr zurückhaltend und keine ausgesprochene Persönlichkeit. Die ihn näher kennen, behaupten, er sei unentschlossen. Und diese Behauptung scheint begründet zu sein. Unter den verschiedenen Ursachen, denen man diese Unentschlossenheit zuschreiben kann, scheint mir besonders die am wahrscheinlichsten, daß der Prinz, der sonst einen gesunden Menschenverstand besitzt, jeden Tag mehr den Mangel an Erziehung fühlt und immer fühlen wird ... Als man diese Erziehung nahezu für beendet hielt, ließ man ihn an den Sitzungen der verschiedenen Ministerien teilnehmen. Er langweilte sich aufs schönste und hinterließ nirgends auch nur eine Spur seines Interesses an den Geschäften, die sich dort abwickelten ... Als er den König ins Feld begleitete, war er nur ganz äußerlich dabei und zeigte keinerlei Lust, sich auszuzeichnen ... Seine größte Sorgfalt beschränkt sich seitdem darauf, daß er sein Regiment gut einexerziert. Und das gelingt ihm ... Er hält auf eiserne Disziplin und liebt die Armee, die er noch vergrößern möchte ...« Und aus Prag schrieb der verbannte Freiherr vom Stein viele Jahre später an die Prinzessin Wilhelm: »Ich verehre den König wegen seiner religiösen Schlichtheit, seiner reinen Liebe zum Guten, ich liebe ihn wegen seines wohlwollenden Charakters und beklage ihn, da er in einem eisernen Zeitalter lebt, wo diese Milde, diese Rechtschaffenheit nur seinen Fall beförderten und in welchem nur eins not tut, um sich zu erhalten: ein überwiegendes Feldherrntalent, verbunden mit rücksichtslosem Egoismus, der alles beugt und niedertritt, um auf Leichen zu thronen.«
Und gerade diese Eigenschaften besaß Friedrich Wilhelm nicht. Als Kronprinz brauchte er sich zu seinem Glück – abgesehen von den verschiedenen Feldzügen, an denen er teilnahm – nicht um die Politik und die Staatsgeschäfte zu kümmern. Sein Leben mit Luise floß sehr ruhig und gleichmäßig dahin. Wenn sie sich in Potsdam aufhielten, war es noch einförmiger, besonders wenn keine Veranlassung zu irgendwelchen Gesellschaften und Festen war. Seine Pferde, sein Regiment und eine Partie Kegel waren ihm, besonders als jungem Mann, die liebste Zerstreuung. Die Jagd liebte er gar nicht. Er fand sie ebenso roh und grausam wie den Krieg. Hingegen konnte er stundenlang mit der Kronprinzessin in der Umgegend von Paretz ober Potsdam reiten. Auch Luise hatte die größte Freude an diesen Spazierritten, denn sie war eine ausgezeichnete Reiterin. Besonders liebte sie diese Ausflüge zu Pferd, weil dann der Kronprinz an ihrer Seite etwas gesprächiger wurde als gewöhnlich zu Hause. In solchen Augenblicken des Alleinseins war es wohl auch, daß er zu ihr sagte: »Gott sei Dank, daß Du wieder meine Frau bist.« – Und wenn dann Luise fragte: »Bin ich denn das nicht immer?« so antwortete er mit sichtlichem Bedauern: »Leider nein; Du mußt nur zu oft Kronprinzessin sein.«
Im Grunde war er ein verschlossener, menschenscheuer Charakter, den alles Öffentliche in eine gewisse Verlegenheit versetzte. Und daran waren wohl seine Kinderjahre, seine ganze Erziehung schuld, denn er besaß keine schlechten Anlagen. Er sprach vorzüglich Französisch und konnte, wenn er diese Sprache anwandte, auch viel beredter sein. Deshalb war es auch Luise am liebsten, wenn er sich mit ihr französisch unterhielt und seine Briefe französisch schrieb. Im Deutschen sprach er kurz und abgehackt, im Französischen fließend und leicht.
Im großen und ganzen war seine Erziehung ziemlich vernachlässigt worden. Sein Vater hatte sich nicht viel um ihn gekümmert. Friedrich Wilhelm II. lagen seine unehelichen Kinder weit mehr am Herzen als seine ehelichen. Um dieselbe Zeit, als der Kronprinz geboren wurde, schenkte auch Madame Ritz einem Sohne vom König das Leben, dem Grafen Alexander von der Mark, und der Vater dieser beiden Kinder war ausschließlich mit dem Bastard beschäftigt, der bereits in seinem neunten Lebensjahr starb und von ihm aufs schmerzlichste betrauert wurde. So sehr trauerte der König um diesen Lieblingssohn, daß er sich den Geist des kleinen Verstorbenen in einer der spiritistischen Sitzungen, welche die Ritz und Bischoffwerder mit Vorliebe für den König veranstalteten, zitieren ließ. Der kleine Geist erschien auch prompt, aber nur, um den König daran zu erinnern, daß dieser Madame Ritz niemals verlassen solle. Und Friedrich Wilhelm II. hat das Versprechen treu gehalten.
Unter solchen Verhältnissen wuchs der Kronprinz Friedrich Wilhelm auf, an der Seite einer oberflächlichen Mutter, die mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt war. Die Kinder waren meist der Dienerschaft und nicht immer tüchtigen und geschickten Erziehern überlassen. Sie wuchsen auf ohne Liebe und ohne Herzlichkeit. Als der sechzehnjährige Kronprinz in die Hände des klugen Grafen Karl Brühl, des zweiten Sohnes jenes berüchtigten Ministers Augusts des Starken, kam, war es bereits zu spät. Brühl schien in dieser Beziehung keinen Einfluß auf ihn zu haben. Der gutmütige Köckritz, der ihm nach dem Tode Schacks als Adjutant beigegeben wurde und immer sein Freund blieb, war wohl ein äußerst menschlicher Charakter, aber durchaus nicht geeignet, einem so schwachen Menschen, wie Friedrich Wilhelm III., Selbstvertrauen beizubringen, denn Köckritz besaß zu sich selbst auch keins. Noch unbedeutender war der zweite Adjutant von Jagow.
An der Seite dieses verschlossenen, eigenartigen Gatten baute Luise sich ihr Glück selbst auf, ohne jedoch zu versuchen, seinen Charakter wesentlich zu ändern. Sie war eine mehr passive, weiche Natur, die sich unbedingt dem Manne unterordnete, der ihr vom Gesetz zum Gatten gegeben wurde. Vielleicht wäre eine andere Frau, die weniger auf seine Eigenarten einzugehen verstand, mit Friedrich Wilhelm unglücklich geworden. Luise aber überbrückte alle diese Unebenheiten in ihrer Ehe mit ihrem heiteren Sinn und ihrem großen Feingefühl für alle menschlichen Schwächen. Kleine Rauheiten und Eigenarten ihres Mannes nahm sie mit ihrem biegsamen Wesen immer so auf, daß nie eine Reibung entstehen konnte. Und doch war er nicht immer leicht zu behandeln. Das vertrauliche »Du«, das sie in ihrem Privatleben eingeführt hatten, glättete ebenfalls manche Ungleichheiten. Es war übrigens eine ganz neue Mode, die der preußisch« Hof noch kaum erlebt hatte. Der alte König war aufs höchste darüber erstaunt, als er es hörte. Eines Tages sagte er zu seinem Sohn: »Wie ich höre, nennst du ja die Kronprinzessin du.« – »Geschieht aus guten Gründen«, war die kurze Antwort! Und als der König weiter fragte, sagte der Kronprinz heiter: »Mit dem ›Du‹ weiß man doch immer, woran man ist; dagegen bei dem ›Sie‹ ist immer das Bedenken, ob es mit einem großen S gesprochen wird oder mit einem kleinen!«
Näher noch als alles andere brachten sie die gemeinsamen Familiensorgen, die Krankheiten der Kinder, des Kronprinzen und der Verwandten. Das Ende des Jahres 1796 und der Anfang des folgenden bedeuteten für Luise und ihren Gatten schwere, sorgenvolle Zeiten. Im Dezember 1796 starb der Prinz Louis, der Mann der Schwester Friederike, im Alter von fünfundzwanzig Jahren an der Bräune. Der Tod des Bruders erschütterte den Kronprinzen dermaßen, daß er einige Tage selbst ganz krank war. Dazu gesellte sich ebenfalls eine Art Bräune, die ihn binnen kurzer Zeit nahe an den Rand des Grabes brachte. Luise verließ ihn nicht einen Augenblick. Mit größter Liebe und Sorgfalt pflegte sie den Kranken und saß Nächte hindurch an seinem Bett, um ihn durch ihre Gegenwart zu trösten. Endlich, am 3. Januar 1797, wendete sich die Krankheit zum Bessern. Wie froh war Luise, als die Krise überstanden war. An Georg schrieb sie damals: »Meinen Mann in Gefahr zu wissen, ihn leiden zu sehen, das ist furchtbar. Niemals werde ich diese Zeiten des Unglücks vergessen.«
Wenige Tage später, am 13. Januar 1797, starb die 82jährige Witwe Friedrichs des Großen, Elisabeth Christiane. Auch der König Friedrich Wilhelm II. fing in diesem Jahre an zu kränkeln. »Nun komm ich dran«, hatte er zu Bischoffwerder gesagt, als er die Nachricht vom Tod der Königin-Witwe erfuhr. Die Wassersucht machte sich bereits bemerkbar. Der große, starke Mann verfiel sichtlich und mußte die Bäder von Pyrmont aufsuchen. Er reiste ganz offiziell mit der Lichtenau in das damals elegante Modebad ab, während die Königin in dem kleinen bescheidenen Kurort Freienwalde sich aufhielt. Die verwitwete Prinzessin Louis befand sich ebenfalls in der Begleitung des Königs, und einige Wochen später mußte auch das kronprinzliche Paar auf königlichen Befehl nach Pyrmont folgen. Ihnen war inzwischen wieder ein Sohn geboren worden. Am 22. März 1797 hatte Luise dem Prinzen Wilhelm – sein eigentlicher Name war Friedrich Wilhelm Ludwig – das Leben gegeben. Es war der spätere Kaiser Wilhelm I.
In Pyrmont verlebten sie sehr qualvolle Tage. Aber sie hatten sich der Einladung des Königs doch nicht entziehen können. Die Lichtenau hielt dort förmlich Hof und wurde von den anwesenden Reichsfürsten – es waren mehr als zwanzig – mit allen Ehren ausgezeichnet. Auch der Kämmerer Ritz, des Königs Günstling und die niedrigste Kreatur in der Umgebung Friedrich Wilhelms II., wurde sehr ausgezeichnet und gefeiert. Luise sah das alles mit betrübtem Herzen, und doch vermochte weder sie noch ihr Mann etwas gegen des Königs Willen. Kurz vorher hatte man sie gezwungen, der Vorstellung der Mätresse bei Hofe beizuwohnen, worüber der Erzieher des Sohnes der Lichtenau, Dampmartin, berichtet: »Die Königin, der Kronprinz und seine Gemahlin, sowie die anderen königlichen Prinzen und Prinzessinnen bebten vor Ingrimm über den sie erniedrigenden Zwang, sich bei einer Frau als Gäste zu sehen, deren bloße Nähe sie schon aufs tiefste verletzte ... Der Kronprinz konnte seine heftige Gemütsbewegung nicht verbergen, er warf verstohlene Blicke bald der zärtlich geliebten Mutter, bald seiner angebeteten Gemahlin zu, als könne er nicht begreifen, wie es möglich sei, sich mit ihnen in den prächtigen Gemächern der Mätresse seines Vaters zu befinden. Nichts hätte mehr seine beiden vorherrschenden Charaktereigenschaften in Harnisch bringen können: Sparsamkeit und Anständigkeit. Jung, aufrichtig, dabei ein wenig ungesellig, war es ihm unmöglich, seinen Ärger zu verbergen. Die strahlend schöne Kronprinzessin schien zurückhaltend und durch die Aufregung ihres Gatten etwas geängstigt zu sein. Prinzessin Friederike, ihre Schwester, hatte zum erstenmal ihre Trauerkleider als junge Witwe abgelegt und glänzte durch Anmut ... Alle Prinzen und Prinzessinnen konnten ihren Ärger und ihre Verlegenheit nicht verbergen.« – Glücklicherweise gingen auch diese peinvollen Tage bald vorüber.
Kurz nach ihrer Rückkehr aus Pyrmont, wo der alte König eine gewisse Erleichterung seines Leidens gefunden hatte, bezogen Luise und Friedrich Wilhelm Paretz an der Havel, ein sehr einfaches, ganz nach ihrem Geschmack eingerichtetes Schloß, das ihnen der König geschenkt hatte. Von Prunk war darin nichts zu sehen: keine seidenen Möbel, keine kostbaren Teppiche und kein silbernes oder goldenes Tafelgerät. Alles war sehr ländlich und einfach. Äußerlich machte es eigentlich keinen schönen Eindruck, aber Luise fühlte sich hier von allen ihren Schlössern und Landsitzen am wohlsten, weil sie nach ihrem Sinn leben konnte. Hier ruhte sie sich aus, wenn sie in den Zeiten des Glücks allzu viele Gesellschaften in Berlin vertanzt hatte, oder später, wenn die Sorgen und das Unglück allzu stark auf sie einstürmten. Dann war ihr die Einsamkeit in Paretz Bedürfnis. »Ich muß«, sagte sie, »den Saiten meines Gemüts jeden Tag einige Stunden Ruhe gönnen, muß sie dadurch gleichsam von neuem aufziehen, damit sie den rechten Klang behalten. Am besten gelingt mir das in der Einsamkeit; aber nicht im Zimmer, sondern in dem stillen Schatten der schönen, freien Natur.« Leider konnte sie dieses Glück nicht lange genießen, denn es vergingen kaum zwei Wochen, und schon riefen die Ereignisse sie wieder nach Berlin.
Mit dem sorglosen Familien- und Landleben des Kronprinzenpaares war es zu Ende. Friedrich Wilhelm II. lag im Sterben. Seine Brustwassersucht verursachte ihm unsägliche Leiden, und man erwartete täglich die Katastrophe.
Auch in dieser Zeit mußte Luise viel Unschönes sehen und viel Schmerzliches erleben. Der alte König war in der letzten Zeit mit der Gräfin Lichtenau ins Marmorpalais in Potsdam übergesiedelt, während seine Gemahlin, die Königin, in Berlin wohnte. Die Gräfin Lichtenau und ihre Freunde hätten es gar zu gern gesehen, daß er die Krone niederlegte. Sie wollten dann mit ihm nach Italien übersiedeln, aber der Kronprinz sträubte sich energisch gegen die Abdankung seines Vaters. Der sterbende König befand sich ganz in den Händen seiner Freundin. In der letzten Zeit empfing er niemand als die intimen Freunde der Ritz und eine Unmenge französischer Emigranten, die sie ebenfalls bei ihm eingeführt hatte. Sogar seine Kinder, der Kronprinz und seine Gattin, mußten erst bei der Lichtenau oder bei dem Kammerdiener Ritz anfragen, ob sie den kranken König besuchen dürften. Nicht immer wurden sie vorgelassen. Er saß meist mit seinen von der Wassersucht geschwollenen Füßen in Decken und Kissen gehüllt, beim Scheine abgeblendeter Kerzen, die in Alabastervasen steckten, in seinem Zimmer. Die unsteten Augen des Todkranken irrten von einem Gegenstand zum andern und lagen tief in den Höhlen des bleichen, abgezehrten Gesichts. Er bekam keine Luft und konnte kaum mehr sprechen. An seiner Seite saßen die Gräfin Lichtenau und die junge Marquise von Nadaillac, die den König unterhalten mußte, während Madame Ritz ihn streichelte. Im Zimmer spielten und lärmten die beiden Kinder der Dönhoff, was einen Vorleser nicht abhielt, dem König ein Lustspiel von Molière vorzulesen, das ihn erheitern sollte.
Bezeichnend für die damalige Zeit ist, daß alle möglichen Scharlatane und Quacksalber an den Hof Friedrich Wilhelms II. gezogen wurden. Sie versuchten nicht nur ihre Wunderkuren an ihm, sondern führten auch alle möglichen Geisterbeschwörungen und chemische Experimente vor ihm aus. Die Rosenkreuzler bestärkten ihn in der Neigung zum Mystischen. Er hatte sich mit seiner ganzen Familie verfeindet, die er als Freigeister und Atheisten bezeichnete. Erst die Krankheit seiner Söhne hatte ihn wieder seinen Angehörigen etwas näher gebracht. Aber trotzdem war der Einfluß der Quacksalber noch sehr groß auf ihn, zumal die Gräfin Lichtenau und Bischoffwerder ihn darin bestärkten.
Einer von diesen Leuten, der Bergrat Clemens, riet dem kranken König, die Ausdünstung ungeborener Kälber einzuatmen. Die Ritz ließ sofort von den Gedärmen solcher Kälber Kissen machen, und darauf mußte der alte König sich legen. Magnetiseure, Scharlatane und Ärzte wechselten in der Behandlung des Kranken ab, und alle mußten sich an die allmächtige Freundin oder an den ebenso gewaltigen Ritz wenden, um bis zum König zu gelangen. Sein Zustand verschlimmerte sich bei derartigen Heilmethoden natürlich immer mehr. Er war schließlich so schwach und mit den Nerven herunter, daß ihn eines Tages der Knall eines Sektpfropfens dermaßen erschreckte, daß er ohnmächtig in sein Zimmer getragen werden mußte.
Es ging zu Ende mit ihm. Am 15. November 1797 nahm er Abschied von seiner Familie in Gegenwart der Lichtenau. Er konnte kaum sprechen und war dem Ersticken nahe. Die gutmütige Königin fiel der Mätresse ihres Mannes weinend um den Hals und dankte ihr für die aufopfernde Pflege während seiner Krankheit. Aber der Kronprinz stand finster dabei und sah die Lichtenau nur verächtlich an. Darüber wurde der Kranke so böse, daß er niemand mehr von seiner Familie sehen wollte, und so durfte auch die Kronprinzessin Luise nicht mehr zu ihm. Die Lichtenau und Ritz verweigerten allen den Eintritt.
Friedrich Wilhelm II. erlag erst nach langem, qualvollem Todeskampf seinen Leiden. Er starb allein, nur umgeben von bezahlten Dienern, genau wie achtzig Jahre früher der glänzende Ludwig XIV. Kein Verwandter, kein Freund, kein Geistlicher war bei ihm. Nur der Kammerdiener Ritz, die niedrigste Dienerseele, die es gab, und zwei seiner anderen Bedienten. Die Gräfin Lichtenau war in seiner Todesstunde nicht bei ihm. Sie war selbst erkrankt – man sagt, nach der Szene mit dem Kronprinzen – und erfuhr den Tod ihres Geliebten erst, als sie aus ihrem Fenster in den Garten bückte und die Garde langsamen Schritts nach dem Schlosse ziehen sah, wo sie die Totenwache halten sollte. Da wußte die Lichtenau, daß alles vorüber war. Aber auch für sie. Denn fast im selben Moment wurde sie verhaftet. Ihr bester Freund, der Minister Haugwitz, hatte ihre Verhaftung veranlaßt. Oberst von Zastrow und Major Kleist führten die Gefangene in ihre Wohnung ins Kavalierhaus, wo sie eingesperrt blieb, bis ihr Prozeß im Jahre 1793 begann.