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Der Zar Alexander wünscht eine Zusammenkunft mit Friedrich Wilhelm III. – Sie findet in Memel statt – Luise begleitet den König – Die Anfänge des Freundschaftsbundes – Alexander und Luise erhalten die stärksten Eindrücke voneinander – Des Zaren große Liebenswürdigkeit – Er frühstückt täglich bei der Königin – Gegenseitige Neckereien – Der letzte Tag – Trauriger Abschied – Begeisterter Brief Luises an den Erbprinzen Georg – Ihre Schönheit in Memel – Ihre persönliche Wirkung auf alle Menschen – Alexander ist bezaubert von ihr – Ein Brief Luises an den Zaren.
Das eindrucksvollste Ereignis in Luises Leben war die Begegnung mit Alexander I. Es brachte ihr ganzes Denken und Empfinden in Aufruhr, und er ist wohl der Mann gewesen, der ihrem Herzen entsprochen hätte, wenn Friedrich Wilhelm nicht ihr Gatte gewesen wäre. Kurz nach dem Besuch der Großfürstin Helene am preußischen Hofe hatte sich in Petersburg das Schicksal ihres Vaters erfüllt. Paul I. war von seinen eigenen Offizieren und Höflingen ermordet worden. Der junge Alexander, sein Sohn, hatte den russischen Thron bestiegen. Da die Politik des preußischen Kabinetts stets zwischen Rußland und Frankreich schwankte, glaubte der Zar, durch eine persönliche Unterredung mit dem König von Preußen mehr ausrichten zu können. Als daher seine Schwester und sein Schwager, der Erbprinz von Mecklenburg-Schwerin, im Oktober 1801 auf der Rückkehr aus Petersburg zum zweitenmal nach Berlin kamen, hatten sie den Auftrag, dem König zu sagen, daß der Zar eine baldige Zusammenkunft wünsche. Sie sollte in Memel stattfinden. Im Juni 1802 kam dann auch der Plan zur Ausführung. Luise begleitete den König. Besonders erhoffte Friedrich Wilhelm III. durch diese Zusammenkunft die Verwirklichung des Dreibundes Rußland, Frankreich und Preußen. Er sollte jedoch gerade in dieser Hoffnung bitter enttäuscht werden, denn Preußen war jederzeit abhängig von der russisch-französischen Politik.
Die Eindrücke, die Luise in jenen, ihren eigenen Worten nach »zauberhaften« Tagen von Memel empfing, waren so stark, daß sie in einem Tagebuch alles niederschrieb, was sie äußerlich und innerlich erlebte. Ihrem Vertrauten Georg sandte sie die in französischer Sprache verfaßten Blätter mit den vielsagenden Worten: »Hierbei mein ›Journal‹ von Memel, das heiligste Depot, das ich besitze. Schicke es mir gleich wieder; ich bitte Dich um Christi Wunden willen. Ich mache ein zweites, was interessanter ist und klüger, doch jetzt habe ich nur dies.« Was sie von dem »einzigen Alexander« hielt, geht aus diesen Aufzeichnungen klar und deutlich hervor:
»Der Kaiser kam am 10. Juni zwischen 12 und 1 Uhr in Memel an. Alle bei dieser Gelegenheit anwesenden Truppen standen unter Waffen und bildeten Spalier vom Triumphbogen am Stadttor bis zu unserm Haus Sie wohnten im Hause des dänischen Konsuls.. Der König ritt dem Kaiser entgegen und nahm ein Sattelpferd und einen achtspännigen Wagen mit, um Alexander die Wahl zu lassen, auf welche Weise er einziehen wollte. Eine Viertelwegstunde vor der Stadt wurden die beiden Herrscher miteinander bekannt. Der Kaiser stieg rasch aus seinem Wagen. Beide umarmten sich und machten sich gegenseitig die dem Augenblick entsprechenden Komplimente. Dann ritten sie zusammen in die Stadt. Vor dem Hause, das wir bewohnten, stiegen sie ab. Ich erwartete den Kaiser im meinem Vorzimmer und ging ihm bis zur Tür entgegen. Er küßte mir die Hände, und ich neigte meinen Kopf so, als wollte ich ihn auf die Wange küssen.(Denn man muß wissen, daß es in Rußland Sitte ist, daß eine Dame einen Herrn umarmen und küssen muß, wenn er ihr die Hände geküßt hat.) Ich sagte ihm, mein Herz sei in diesem herrlichen Augenblick von zu vielerlei Gefühlen bewegt, als daß ich ihm so recht all das Glück ausdrücken könne, das ich über seine Bekanntschaft empfände. Er antwortete mir sehr höflich und mit großer Gewogenheit, denn er ist überhaupt sehr liebenswürdig. Er stellte mir sofort sein militärisches Gefolge vor, das ihm zu Pferde gefolgt war ... Ich hingegen machte ihn mit meinen beiden Damen, der Gräfin Voß und meiner Ehrendame, der Gräfin Moltke, bekannt. Als ich dem Kaiser Pfirsiche anbot, nahm er sie und sagte, er habe dieses Jahr noch keine gegessen. So verbrachten wir nahezu eine Stunde zusammen, und die Bekanntschaft machte sich schon ein wenig. Um zwei Uhr wurde gespeist. Während der Mahlzeit war ich schrecklich verlegen, denn die sechs Russen mir gegenüber fixierten mich beständig und belästigten mich derart mit ihren nicht gerade rücksichtsvollen Blicken, daß ich fast nichts aß. Dazu kam, daß man mit ihnen sprechen, ihnen liebenswürdige Dinge sagen mußte, und daß mein Nachbar – der mich immer von und zu der Tafel führte – nicht vernachlässigt werden durfte. Wir waren bereits durch die Zeitungen, besonders aber durch die Schwester und den Schwager des Kaisers darauf aufmerksam geworden, daß er weder Zwang noch Repräsentation liebe und es weit mehr schätzte, mit uns allein zu sein, um so viel wie möglich von der Unterhaltung mit dem König und mir zu profitieren. Deshalb hatten wir alle offizielle Vorstellung von ihm ferngehalten und suchten so viel als möglich seinem Geschmack entgegenzukommen. Aus diesem Grunde verbrachten wir auch den ersten Abend ganz unter uns. Ich legte ein sehr reiches, schweres Kleid und für einige Millionen Diamanten ab, zog ein elegantes Musselinkleid an und frisierte mich ganz leicht. Darauf hatte ich den Kaiser vorher aufmerksam gemacht und ihn um Erlaubnis gebeten. Halb sieben Uhr kam er zu uns – die beiden Hofstaate trafen erst um acht Uhr ein. Wir setzten uns an einen Tisch, und ich bereitete den Tee, den er außerordentlich liebt und oft und viel trinkt. Nach dem Tee verbrachte man den Abend im Hin und Her mit Plaudern, tauschte mit den Russen Höflichkeiten aus, hörte verschiedene türkische und andere musikalische Darbietungen auf dem Wasser an. Dann wurden die Generale und Prinzen unseres Gefolges dem Kaiser vorgestellt. Ich allein hatte den Mut, ihm zu sagen, daß es ihr größter Wunsch gewesen sei, denn da er den Zwang nicht liebt, kostete es Mühe, ihm die Bekanntschaft von fünfzehn Personen vorzuschlagen, was ihm nur unangenehm sein mußte. Als die Vorstellung beendet war, kam er zu mir und sagte, er sei sehr erfreut, die Bekanntschaft jener Herren gemacht zu haben, denn er fände sie sehr liebenswürdig. ›Sire‹ erwiderte ich, ›um sie liebenswürdig zu finden, muß man ebenso gut und so nachsichtig sein wie Sie‹ – ›Ach,‹ sagte er, ›ich liebe außerordentlich diese Art sich zu geben. Es liegt etwas Aufrichtiges, Biederes, Natürliches darin. Wenn es doch bei uns auch so wäre! Aber wir sind noch weit davon entfernt.‹ – Diese Bemerkung läßt erkennen, daß er fühlt, mit welchem Volke er es zu tun hat.
Um neun Uhr wurde das Souper an kleinen Tischen serviert. Diese Mahlzeit verlief weniger gezwungen als die erste, und man trennte sich, entzückt, sich am nächsten Tage wiederzusehen.
Am 11. morgens halb acht Uhr fand Truppenschau statt, an der ich teilnahm ... Nach der Parade kam der Kaiser zu mir zum Frühstück. Er trank Tee – den ich jedesmal selbst bereitete – oder manchmal Schokolade. Die Unterhaltung war lebhaft und interessant, besonders für die beiden Monarchen, und drehte sich hauptsächlich um militärische Dinge. Darauf trennte man sich, machte Toilette und traf sich um zwei Uhr zum Diner wieder. Am Nachmittag nahm man halb sieben Uhr gemeinsam den Tee und machte darauf einen Spazierritt ins Lager, an dem ich ebenfalls teilnahm. Darauf ritt man noch durch die ganze Stadt und kehrte zum Souper zurück. Der König sprach lange abseits mit dem Kaiser allein, und dieser redete beständig leise auf ihn ein. Ich stand an einem offenen Fenster. Da kam der König mit dem Kaiser an der Hand auf mich zu und sagt«: ›Das kann ich dir versichern: die Russen haben niemals einen Kaiser gehabt wie den da. Er hat lange mit mir gesprochen und Grundsätze aufgestellt, die ihm zur Ehre gereichen und mich fürs ganze Leben mit ihm verbinden.‹ – Der Kaiser sprach sehr viel mit mir, war sehr höflich, und sein gutes Herz und seine edle Gesinnung kamen jeden Augenblick zum Ausdruck durch die Art, wie er über die Soldaten und das Militär im allgemeinen sprach. Er sprach sich auch sehr anerkennend über die Höflichkeit und ›Freundlichkeit‹ aus, mit der ich sie alle behandelte. Es wäre wirklich rührend zu sehen, meinte er. Ich antwortete ihm, ich fände, man könne einem so achtbaren und mit so unendlichen Mühen und Mißgeschick verbundenen Stand nicht genug Interesse und Achtung erweisen.
Am 12. war wieder Parade und Exerzieren. Auch ich war dabei. Der Kaiser war außerordentlich zufrieden. Dann kam er nach dem Frühstück zu uns, nachdem er zwei englische Handelsschiffe hatte landen sehen. Der Vormittag verging vergnügt. Vor Tisch machte ich die Bekanntschaft des portugiesischen Gesandten in Rußland, Marquis de Riza. Er kehrt nach Portugal zurück. Der Kaiser liebt ihn sehr und wünschte, daß wir ihn kennenlernten. Er ist liebenswürdig und ohne Anmaßung. Nach Tisch große Toilette für den Ball, den die Handelsherren dem Kaiser und uns zu Ehren veranstalteten. Der Kaiser holte uns ab, und wir fuhren nach dem für das Fest bestimmten Hause ... Es war ein sehr vergnügter Ball und würde es noch mehr gewesen sein, wenn die unerhörte Hitze nicht alle Welt bedrückt hätte. Sie war so groß, daß mir schlecht wurde und ich einen Tanz vorübergehen lassen mußte, um mich zu erholen. Der Kaiser tanzte nicht alle Tänze. Während eines ganzen Tanzes blieb er mit dem Erbprinzen von Mecklenburg-Schwerin bei mir. Vor der Tafel tanzte ich noch einen Walzer mit dem Kaiser, und dann war Souper. Nachdem fuhren wir zur Besichtigung der Illumination. Sie war ganz hübsch und bewies wenigstens den guten Willen der Einwohner.
Am 13. gab es wieder Manöver. Aber ich war nicht dabei, denn ich hatte eine schlechte Nacht verbracht und war äußerst erschöpft. Der Kaiser frühstückte wie immer bei uns. Es war unglaublich heiß. Wir baten ihn so sehr, daß er schließlich einwilligte, noch einen Tag länger in Memel zu bleiben. Ich schenkte ihm den Orden von Sanssouci und das dazugehörige Band. Um ein wenig frische Luft zu schöpfen, setzten wir uns auf ein Ledersofa, das zwischen zwei Fenstern stand. Und der Kaiser drapierte immer den einen Fenstervorhang so, daß man sehen konnte, wie er, der Erbprinz und ich dort saßen. Der König kam und ging. Im Scherz nannten wir den Vorhang, den Alexander stets so sorgfältig zurechtlegte, ›Draperie Josephine‹. Wir waren ausgelassen lustig. Der König wurde wegen seiner Vorliebe für die Schwester des Kaisers, die Erbprinzessin Helene von Mecklenburg-Schwerin, geneckt. Und der Kaiser wiederum wurde vom König wegen der Bekanntschaften aufgezogen, die er in Riga gemacht hatte, einer Frau von Blankenhagen und Frau von Corbally. Kurz, man lachte und war glücklich. An diesem Tage hatte der Erbprinz von Mecklenburg-Schwerin gerade Geburtstag, und ich schenkte ihm ein Kopftuch aus lila Band. Am Abend fand bei uns ein kleiner Ball statt; nur fünfzehn Paare. Die Musik war schlecht, die Gesellschaft nicht die eleganteste, aber wir amüsierten uns köstlich. Nach Beendigung eines Tanzes setzte der Kaiser sich neben mich, um sich ein wenig auszuruhen, und wir sprachen zusammen. Plötzlich stürzt die ganze Gesellschaft an die Fenster. Man fragt warum, und wir erfahren, daß jemand ins Wasser gefallen sei. Wie der Wind ist Alexander unten, um zu helfen. Es war ein kleiner Junge, den man bereits herausgezogen hatte. Als ich zum Fenster hinausschaue, sehe ich den Kaiser mit dem etwa acht- oder neunjährigen Knaben an der Hand zurückkommen. Im Hause schenkte er ihm selbst den Tee ein, den das Kind mit Vergnügen trank. Als wenn nichts geschehen wäre, kehrte der Kaiser ins Zimmer zurück. Als ich ihm sagte, wie gut er sei, und wie mich das gerührt habe, antwortete er: ›Jeder würde das gleiche ebenso freudig tun‹. – ›Es wäre zu wünschen, Sire‹, erwiderte ich.
Man tanzte ununterbrochen endlose Polonaisen, spielte sich gegenseitig Possen, tanzte bald einen Schottischen, bald wieder eine Polonaise; kurz, wir waren wie die Kinder, hüpften wie die Lämmer, und jeder war glücklich und zufrieden.
Am 14. kam der Kaiser um 11 Uhr zum Frühstück, und die frohe Laune hörte nicht auf. Der Kaiser neckte den König viel mit einem Fräulein von Offenberg, einer Kurländerin, was noch mehr zu lachen gab. Ich sang einige französische Romanzen, die ihm sehr gut gefielen. Während des Diners fühlte ich mich sehr unwohl, und kaum hatte mich der Kaiser von der Tafel hinweggeführt, so bekam ich zum erstenmal in meinem Leben Brustkrämpfe und schreckliche Beklemmungen, die von Tränen und quälenden Angstgefühlen begleitet waren. Doktor Wylie, der Arzt des Kaisers, wurde geholt, und nach einigen Stunden fühlte ich mich etwas erleichtert, aber sehr schwach. Dennoch bereitete ich für den Kaiser und unsere Gesellschaft, wie jeden Nachmittag, den Tee, von meinem Sofa aus. Darauf unternahmen wir – die Prinzessin von Württemberg (geborene Prinzessin von Coburg, Gemahlin des Prinzen Alexander von Württemberg, die nach Riga ging und sich in Memel auf ihrer Durchreise befand), die Gräfin von Voß und ich – eine Spazierfahrt nach dem Leuchtturm. Nach meiner Rückkehr legte ich mich wieder auf mein Sofa, und der Kaiser hatte die Güte, mit dem Erbprinzen von Mecklenburg-Schwerin und der Prinzessin Alexander bei mir zu bleiben, während die anderen ab und zu hereinkamen, weil die ganze Gesellschaft auf einmal mich belästigt haben würde. Wir soupierten in meinem Salon, da ich zu schwach war auszugehen, und wir amüsierten uns herrlich. Unsere Gesellschaft war außer den Württembergern noch um den Onkel Georg von Darmstadt vermehrt worden, der wegen seiner Lustigkeit und Liebenswürdigkeit großen Erfolg beim Kaiser hatte.
Am folgenden Tag, dem 15., ging es mir viel besser, nur war ich noch sehr schwach. Um 9 Uhr lag ich noch im Nachthäubchen und Frisiermantel auf meinem Sofa. Plötzlich tritt der Kaiser ein, vor ihm der König. Ich war außerordentlich verlegen, aber er ist so nachsichtig, daß er meinen mangelhaften Anzug nicht übelnahm. Es regnete sehr stark, wodurch der Beginn der Manöver bis 10 Uhr aufgehalten wurde. Nachdem sie beendet waren, kam Alexander und trank Tee und Schokolade bei mir. Natürlich war ich dann angekleidet.
Wir blieben lange zusammen. Er ging so spät weg, daß ich kaum Zeit hatte, mich zum Diner umzuziehen. Und nach dem Essen kam er wieder sehr zeitig. Da es der letzte Tag war, wollte man jeden Augenblick genießen. Schon begann die Traurigkeit uns zu übermannen. Gegen 8 Uhr unternahm man noch einen Spazierritt, an dem auch ich mich beteiligte. Da unsere Pferde noch nicht gesattelt waren, gingen wir ein wenig in dem zu unserem Hause gehörigen Garten spazieren. Hier ließ mich der Kaiser russisch exerzieren, wobei er russisch kommandierte. Als wir dann unsere Pferde bestiegen hatten, sprach er mit mir viel vom König, wie sehr er ihn liebe, wie hoch er ihn achte. Er lobte auch den General Kalckreuth, den Oberst Köckritz, den Major Holzmann und Jagow, den Geheimen Rat Beyme und besonders Lombard. Er sagte mir, wie froh er sei, alle jene Leute, unsere ganze Lebensweise kennengelernt zu haben, ferner wie glücklich er sich fühle, falsche Nachrichten und falsche Berichte über uns zurückzuweisen. Das bewies mir allerdings, daß solche über uns im Umlauf waren.
Diesen Augenblick benutzte ich, um auch ihm viele Dinge zu sagen, die ich auf dem Herzen hatte. Ich bat ihn, vor allem so zu bleiben, wie er wäre. Ich stellte ihm vor, wie viele Klippen er zu überwinden habe: die Jugend, die Unerfahrenheit, die verschiedenen mit Jugend und Kraft verbundenen Leidenschaften. Er nahm mir diese verschiedenen Beobachtungen nicht übel, denn er begriff, daß ich ihm das alles nur aus Freundschaft zu sagen wagte. Wir nahmen das Abendessen außerhalb ein, aber es war bereits ganz anders als die früheren Male. Nach Tisch führte er die sechs Herren seines Hofes zu mir, die sich von mir verabschiedeten. Es waren der Graf Kotschubey, Minister der auswärtigen Angelegenheiten, der Oberhofmeister Graf Tolstoi, die drei Generaladjutanten Graf Lieven, Fürst Dolguruky und Fürst Wolkonsky, sein Jugendfreund, ferner ein Herr von Nowossiltsoff, Kammerherr und Staatsrat. Als sie sich verabschiedet hatten, zog er sich mit uns in mein Zimmer zurück. Dann ging er mit dem König in ein anderes Zimmer, wo sie lange Zeit allein miteinander sprachen. Wir waren alle sehr traurig, sprachen wenig, dachten desto mehr und seufzten von Zeit zu Zeit. Dann sagten wir uns Lebewohl und auf Wiedersehen für den nächsten Morgen um 7 Uhr.
Am 16. nach 7 Uhr morgens kam er und war furchtbar traurig, wie wir alle. Ich war gerade dabei, die Briefe an die beiden Kaiserinnen und meine Verwandten zu siegeln. Um mir die Mühe zu ersparen, siegelte er sie selbst und setzte sich dann neben mich. Wir sprachen lange über sehr interessante Dinge. Wir waren sehr traurig. Halb zehn Uhr verließ er uns. Dicke Tränen standen ihm in den Augen, ebenso wie dem König, seinem Schwager und mir. Alle begleiteten ihn nach unten, nur ich blieb oben an einem Fenster, das nach dem Hof zu lag, wo sein Reisewagen stand. Mit einem letzten Neigen seines Kopfes aus dem Wagen nahm er noch einmal Abschied von mir, und ich sah, wie schmerzlich es ihn berührte, daß er uns verlassen mußte. Der General Kalckreuth begleitete ihn in seinem Wagen bis Polangen. Alexander sprach mit ihm viel über den König und mich, erzählte ihm vieles über sein Land und dessen Verwaltung. Dann beauftragte er ihn noch mit tausend Dingen für uns und mit seinen letzten Abschiedsgrüßen. Das alles erzählte uns der Graf Kalckreuth am Abend des 19. in Jerutten, wohin wir uns zu einer Truppenschau der Towarczys und des 13. Dragonerregiments begeben hatten.
Jeder liebt den Kaiser, allen voran der König. Er ist nicht im geringsten schwach und besitzt einen Fond von Güte und Rechtschaffenheit, die ich nur mit der Gesinnung des Königs vergleichen kann. Ich habe mich überzeugt, daß er mit wirklich guten Charaktereigenschaften alle liebenswürdigen Züge vereint, die wert sind, daß man ihn liebt.«
Noch enthusiastischer über Alexander sprach Luise sich aber in einem deutschen Briefe an ihren Bruder Georg vom 13. Juli 1802 aus. Sie findet kaum Worte vor Begeisterung über diesen »Einzigen«. Der Erbprinz hatte ihr von seiner Reise in die Schweiz geschrieben und war hingerissen gewesen von der erhabenen Größe der Alpen. Luise zeigte jedoch wenig Verständnis dafür und antwortete ihm: »Ich sah zwar keine Alpen, aber ich sah Menschen, oder vielmehr einen Mensch, im ganzen Sinn des Worts, der durch einen Alpenbewohner ist erzogen worden (Laharpe) und dessen Bekanntschaft mehr wert ist als alle Alpen der Welt. Denn diese wirken nicht, aber jener wirkt, verbreitet Glück und Segen mit jedem Entschluß, mit jedem Blick macht er Glückliche und Zufriedene durch seine Huld und himmlische Güte. Daß ich von dem Kaiser, von dem einzigen Alexander spreche, hast Du doch wohl beim ersten Wort verstanden. Lieber Georg. Ach, wie viel ist mir diese Bekanntschaft wert! Nicht ein Wort, welches man zu seinem Lobe spricht, kann je in Schmeichelei ausarten, denn er verdient alles, was man nur Gutes sagen kann ... Die Memeler Entrevue war göttlich, die beiden Monarchen lieben sich zärtlich und aufrichtig, gleichen sich in ihren herrlichen Grundsätzen, der Gerechtigkeit, Menschenliebe und Liebe zum Wohl und Beförderung des Guten. Auch ihr Geschmack ist gleich. Viele Einfachheit, Haß der Etikette und Gepränge des Königs- und Kaisertums. Alles ging erwünscht und gut und es wird immer so gehen. Mein guter König läßt Dir tausend Schönes sagen, benahm sich wie ein Engel und verbreitet Enthusiasmus, so aber auch der Kaiser. Der Oberst Köckritz sagt: »Diente ich nicht meinem König, keinem anderen dient' ich wie dem prächtigen Kaiser. Dieses diene Dir zum Beweis, was er ist und wie er ist.« – Die Freundschaft der Königin Luise – oder sollen wir es Liebesfreundschaft nennen? – zu dem schönen liebenswürdigen Russenkaiser war nicht einseitig. Auch Alexander nahm aus den Memeler Tagen Erinnerungen mit sich, die ihm unvergeßlich geblieben sind. Die Zauberin, wie Lombard sich ausdrückt, nahm den Zaren so gefangen, daß er fast die ganze Zeit in ihrer Gesellschaft verbrachte und sich nur ungern und nur, wenn er gezwungen war, von Luise trennte. Ihr inneres Glück über diese Bekanntschaft erhöhte ihre äußere Schönheit noch mehr. Sie soll in Memel ganz besonders hübsch und anziehend gewesen sein, bezaubernd und geistreich und so lustig und fröhlich wie nie zuvor. Luise war 26 Jahre alt, in der Blüte ihres Weibtums. Es war kein Wunder, daß der junge Kaiser sie bewunderte. Ging es doch selbst den fremden Gesandten ähnlich, wenn sie das erstemal von der schönen Königin in Audienz empfangen wurden. Manche waren von ihrer Erscheinung dermaßen überrascht, daß sie im ersten Augenblick vor Verwirrung kein einziges Wort herausbrachten, obwohl diese Herren sonst genügend Weltgewandtheit besaßen und nicht auf den Mund gefallen waren. Und wenn Luise dann mit ihrer weichen, melodischen Stimme zu ihnen sprach, waren sie vollends hingerissen. Graf Ségur, damals Adjutant Napoleons, wurde von ihr im Jahre 1803 empfangen. Er findet kaum Worte, den Eindruck zu schildern, den diese reizende Frau auf ihn machte, als er sie halb hingestreckt auf einem Sofa liegen sah. Ihre elegante Gestalt war von einem purpurroten orientalischen Schleier umschlungen, und ein goldner Dreifuß stand neben ihr. Vor allem aber fesselte ihn der Klang ihrer Stimme. »Es lag eine so harmonische Weichheit darin, in ihren Worten etwas so Liebenswürdiges, so rührend Hinreißendes ... daß ich einige Augenblicke völlig betroffen war und mich einem jener Wesen gegenüber glaubte, deren entzückende und bezaubernde Bilder in den alten Fabeln geschildert werden.« Und Graf Lehndorf, der oft das Vergnügen hatte, mit der Königin auf den Hofbällen zu tanzen, erwähnte ebenfalls den »göttlichen Ton ihrer Stimme«, durch den sie »alle Anwesenden entzückte«. Wieviel mehr noch muß der Zauber ihrer Persönlichkeit auf den Zaren gewirkt haben, dem sie selbst im Innern ihres Herzens so zugetan war; vor dem sie ihre ganze hinreißende Anmut und Liebenswürdigkeit entfaltete! »Der Arme,« schrieb die Gräfin Voß ins Tagebuch, »ist ganz begeistert und bezaubert von der Königin.« Und doch gewinnt man aus seinen Briefen an Luise den Eindruck, daß er zwar von ihrer hinreißenden Erscheinung, ihrem anmutigen, liebenswürdigen Wesen gefesselt wurde, aber seine Worte sind eher der Ausdruck ritterlicher Freundschaft und Bewunderung als bewundernder Verliebtheit. Ihn fesselte überdies damals die außerordentlich schöne russische Fürstin Narischkin. Das wußte auch Luise und der ganze Hof.
Nach Hause zurückgekehrt blieb der Königin außer der Erinnerung an jene Tage nur der Briefwechsel mit dem so hochverehrten Mann. Auch Geschenke tauschte sie mit dem Zaren aus und war immer aufs höchste entzückt, wenn die seinigen aus Petersburg eintrafen. Er schenkte ihr kostbare Pelze, orientalische Tücher und exotische Steine und bewies dabei nicht nur einen hervorragenden Geschmack, sondern wußte auch mit seinem Gefühl immer das zu wählen, was Luise am besten gefiel. Seiner Ritterlichkeit war jene slawische Liebenswürdigkeit eigen, die einen Zauber ausübt, dem nur wenige widerstehen. Wie hätte es Luise vermocht, die weiche, so rein weibliche Frau? In ihren Briefen an Alexander aber ist sie, selbst für damalige Zeit, fast zu überschwenglich, und es ist nicht zu leugnen, daß sie eher an die Briefe einer liebenden Frau erinnern, als an Briefe der Freundschaft. Verhaltene Leidenschaft und Hingabe atmet aus ihnen. Die Bewunderung des geliebten Mannes spricht zu deutlich die Sprache der Liebe. Rückhaltlos zeigt Luise ihm ihre Gefühle, wenn sie zum Beispiel einige Jahre später, als bereits das Unglück von Jena hinter ihr lag und sie ihn nach langer Zeit in Kydullen 1807 wiedergesehen hatte, schreibt:
»... Das ungeheure Vergnügen, das ich empfinde, mit Ihnen zu plaudern, macht mich egoistisch. Ich denke nur an mich und meine Zufriedenheit, wenn ich Ihnen schreibe. Verzeihen Sie mir, guter, lieber, unvergleichlicher Vetter. Sie sind gewöhnt, nur Gutes zu tun und großmütig Geduld zu üben; seien Sie auch gegen mich geduldig und besonders, besonders recht nachsichtig. Welch himmlischen Brief haben Sie mir geschrieben! Wie teuer sind mir diese Federzüge, die Ihre Freundschaft für mich ausdrücken! Sie haben mich sehr glücklich dadurch gemacht. Ach, wie sind Sie interessant, wenn Sie sich ganz sich selbst überlassen, und wie sehr achte ich diese Klugheit bei einem Mann, der einen solchen Reichtum an Gefühlen wie Sie besitzt und so tief empfindet. Es ist freilich schwer, dabei vernünftig zu bleiben. Und doch, wenn man von Güte und einem so englischen Zartgefühl geleitet wird, ist alles möglich. In Ihnen sieht man die Vollkommenheit verwirklicht, die man zweifellos immer als schönes Ideal seines Herzens schätzt, ohne jemals daran zu glauben, daß es sich verwirklichen könnte. Um an eine solche Vollkommenheit zu glauben, muß man Sie kennen. Aber leider kennt man Sie nicht, ohne Gefahr zu laufen, sich fürs Leben an das Sinnbild der Tugenden anzuschließen. Und was wäre der Mensch, wenn er nicht das Gluck hätte, die Fähigkeit zu besitzen, um mit Begeisterung das Gute zu erfassen? – Wie unglücklich wären wir dann – unsere Genüsse würden recht geschmälert und zu einem Nichts zusammenschmelzen. Aber ist es denn ein Unrecht? Nein, es ist eine Wohltat, denn ein wirklich empfindendes Herz fühlt sich von dem schönen Eifer, einem guten Beispiel zu folgen, angeregt. Und ich kann der Wahrheit gemäß sagen, daß Sie, mein teurer und vielgeliebter Vetter, haben einen glücklichen Einfluß auf mein Leben gehabt.
Wie glücklich bin ich, Ihnen das alles einmal sagen zu können. Sie müssen mich während der wenigen Tage, da ich Sie wiedersah, ganz besonders blöde und dumm gefunden haben. Nachdem ich aber seit Jahren so glücklich war, mich nur schriftlich mit Ihnen auszusprechen, und zeitweilig reden konnte, wie es mir ums Herz war, ohne Zwang, nur wie ich fühlte, sah ich mich plötzlich genötigt, alle Tage (während einer ganzen Woche) anders, aber auch ganz anders zu erscheinen, als ich bin. Ich bin es so wenig gewöhnt, mich zu verstellen, daß ich infolgedessen gänzlich verstummte, völlig verwirrt und aufgelöst war, kurz, eine jämmerliche Rolle spielte ... Alle besaßen Geist, nur ich nicht. Er war im Innern meines Herzens verschlossen, und es wagte nicht zu sprechen, aus Angst, von allzu vielen Leuten verstanden zu werden. Nur um eins bitte ich Sie: verbrennen Sie diesem Brief nicht, denn er beweist Ihnen, wie sehr ich Sie liebe. So lange ich selbst gut bin und die Tugend liebe, werde ich Ihnen mit allen Gefühlen zugetan sein, die mich mit der Vorsehung selbst verknüpfe.«
Ihre schwärmerische Veranlagung fand in dieser Freundschaft den höchsten Genuß, aber sie sollte auch von weittragendster Bedeutung für das Schicksal Preußens werden.
Drei Jahre noch verbrachte Luise im friedlichen häuslichen Leben. Mit dem Jahre 1805 war es indes mit der Ruhe vorbei. Aber erst jetzt erhebt sie sich zu einer Persönlichkeit von wirklicher Bedeutung. Ihr Charakter wächst und reift mit den Ereignissen und veredelt sich.
Ehe wir jedoch zu dieser Phase ihres Lebens übergehen, werfen wir noch einen Blick auf die Männer und Frauen, die dem König und Luise als Berater und Freunde zur Seite standen.