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Hartherzigkeit, Weiterreise, die Guadelupe, belebte Hoffnung, Verlassen der Straße nach Neu-Braunfels, Lager am Sandiesflusse, Entfernung des Fuhrmanns, Ben Johnson zu Hause, Berathung der Brüder, Erkranken der Madame Werner, der Fuhrmann vermißt, Nachricht vom Entlaufen der Ochsen, Lebensmittel zur Neige, der Farmer Harrick, Ankauf von Lebensmitteln, Werner's rathlose Lage, zwei Kinder krank, Ausbruch der Verzweiflung, ein Todesfall, die Todtengräber.
Der anbrechende Tag führte Werner's aber die trostlose Wirklichkeit wieder vor, sie sahen ängstlich nach Osten hin, wo bald der gefürchtete Feind wieder aufsteigen sollte, und blickten beneidend auf den Fuhrmann, der in ruhigem glücklichem Schlaf noch in seiner wollenen Decke eingehüllt auf dem Sande lag, wie es schien, ohne Sehnsucht nach vergangenem Glück, ohne bange Sorge für seine Zukunft.
Auch er erwachte bald darauf, dehnte und reckte sich, wie Jemand, der sich durch den Schlaf erquickt und gestärkt fühlt, zündete dann wieder ein Feuer an, um ein Frühstück, ähnlich dem letzten Abendessen, für sich zu bereiten, und entfernte sich, nachdem er es genossen hatte, von dem Lagerplatz, um seine Ochsen aufzusuchen und sie zu dem Wagen zu treiben.
Werner's benutzten diese Zeit gleichfalls zum Bereiten von Kaffee und brieten etwas Speck, obgleich sie weder zu dem Einen, noch zu dem Andern Appetit fühlten; der Schlaf hatte sie nicht erfrischt, sie waren müde und erschlafft, und eine schwere Eingenommenheit des Kopfes hatte sich ihrer bemeistert.
Nach etwa einer Stunde, als die Sonne schon drückend wurde, kehrte Johnson mit den Ochsen zurück, legte ihnen die Joche auf und befestigte sie mit den schweren Zugketten an den Wagen. Werner ersuchte ihn durch Zeichen, ihm behilflich zu sein, die Kisten und Koffer auf dem Wagen anders zu stellen, so daß die ganze Familie darauf gefahren werden könnte, doch der Fuhrmann gab ihm zu verstehen, daß es ihn zu lange aufhalten würde, und machte Anstalt zum Abfahren. Mathilde aber, die ein wenig Englisch sprach, warf sich ihm bittend in den Weg, stellte ihm vor, daß ihr Bruder unmöglich noch einen Tag den Marsch zu Fuß aushalten könne, und daß sie selbst dabei unterliegen müsse; zugleich sah sie flehend zu ihm auf, drückte seine rauhe Rechte zwischen ihren kleinen Händen und netzte sie mit ihren Thränen.
Doch Johnson blieb unbeweglich bei seiner ersten Erklärung, rief den Ochsen zu und schwang die lange Peitsche durch die Luft.
Da zog Mathilde in größter Angst ihren Geldbeutel hervor und hielt dem Fuhrmann ein Goldstück hin, indem sie ihm andeutete, daß sie es ihm geben werde, wenn er die gewünschte Einrichtung auf dem Wagen machen wolle.
Das Blinken des Goldes wirkte im Augenblick mehr, als der Blick ihrer thränenvollen Augen, als ihr Bitten, ihr Flehen vermocht hatte. Johnson hatte kaum das Geldstück gesehen, als er die Ochsen, die sich schon in die Zugketten gelegt hatten, mit einem langgedehnten »Oh!« wieder zur Ruhe brachte, seine Peitsche in den Sand fallen ließ und, nach dem Wagen schreitend, Werner einen Wink gab, ihm behilflich bei der gewünschten Arbeit zu sein.
Es war keine geringe Aufgabe, die schweren Kisten umzustellen, doch Johnson führte sie mit Gewandheit aus und half, wo seine Kräfte nicht hinreichten, das Gepäck in Bewegung zu setzen, mit dem langen Axtstiel als Hebel nach.
Endlich war die Einrichtung gemacht, Werner's sämmtlich fanden, wenn auch in sehr beschränkter Weise, Raum zum Sitzen auf der Höhe der Ladung, und während sie sich unter ihre Schirme verkrochen, zogen die mächtigen Stiere den Wagen wieder auf der Straße fort.
Der zweite Tag verstrich in gleicher Weise, wie der erste, und so schwanden auch die beiden folgenden; derselbe so schöne, doch für die Reisenden so schrecklich blaue Himmel, dieselbe furchtbare Sonne schwebte über den Emigranten, und in gleichem Maaße nahmen ihre Kräfte ab, vermehrte sich ihre Beklommenheit, ihre Abgespanntheit. Wohl bemerkten sie, daß das Land sich mehr und mehr mit dichtem Gras und mit Blumen bedeckte, wohl fielen ihre Blicke auf die vielen, noch nicht übergrasten Hügel, die an den Seiten der Straße oft reihenweis aufgeworfen und mit Kreuzen, mit verwelkten Blumen oder nur mit darauf aufeinandergestellten Steinen geschmückt waren; doch sie hatten weder Gefühl für das freundlichere Bild, das sie umgab, noch für die Merkmale des Unglücks, welches ihre Leidensgefährten, die vor ihnen hier vorübergezogen waren, betroffen hatte.
Aber am Abend des vierten Tages weckte sie das lebendige Rauschen eines über mächtige Felsblöcke hinstürzenden Wassers aus ihrer dumpfen Unempfindlichkeit, als sie bei Victoria in dem kühlen Schatten eines hohen dunkeln Waldstriches an das Ufer des krystallklaren, kalten Guadelupeflusses fuhren.
Neues Leben, neue Hoffnung athmeten sie mit der frischen kühlen Luft ein, die sie hier umwehte, und, wie plötzlich in einen Feengarten versetzt, ließen sie ihre Blicke eilen über die in der schäumenden Fluth nickenden blühenden Riesenpflanzen, nach den in luftiger Höhe sich von Baum zu Baum durch das grüne Laubdach windenden Guirlanden von wunderbar schönen Blumen, durch die kolossalen Stämme und riesenhaften aufsteigenden Weinranken, die sie hier umgaben, und mit stummem Dankgebet zu Gott wandten sich ihre Blicke dem glühenden Abendroth zu, das hier und dort durch den saftig grünen Wald blinkte.
Alles Leid, alles Elend schien Werner's mit einem Male hier verlassen zu haben; wie gern hätten sie alle überstandenen Beschwerden und Schicksale vergessen wollen, hätten sie nicht die geliebte Martha, die sie im glühenden Sande an der Meeresküste hatten zurücklassen müssen, in ihrem Kreis vermißt.
Mit Wollust schlürften sie das frische erquickende Wasser des reißenden Stromes, mit Wohlbehagen ließen sie sich in dem schwellenden üppigen Gras um das lustig flackernde Lagerfeuer nieder, und Madame Werner öffnete mit einem tröstlichen Blick das Geldkästchen, um dem Fuhrmann ein Goldstück daraus hinzureichen, damit er aus dem nahen Städtchen einige frische Lebensmittel für sie herbeiholen möchte.
Es war das erste Mal, daß Johnson das Schatzkästchen zu sehen bekam; sein Blick war zu den Geldrollen in demselben gedrungen, und er hatte Gold daraus hervorblitzen sehen. Mit dem Geldstück in der Hand stand er unbeweglich da und sah dem Kästchen nach, als Madame Werner dasselbe zurück nach dem großen Koffer trug, in den sie es wieder verschloß.
»Eilen Sie,« sagte Mathilde in gebrochenem Englisch zu ihm, sein Zögern gewahrend, und winkte mit der Hand nach Victoria hin; »milk, meal, potatoes, butter,« worauf der Fuhrmann, nachdem er noch einen gierigen Blick nach dem großen Koffer gesandt hatte, sinnend den Weg nach der Stadt einschlug und bald vor den Augen der Passagiere verschwand.
»Gottlob, Kinder,« sagte Werner zu den Seinigen, indem er sich neben seiner Frau in dem Grase niederließ, »nun haben wir gewonnen; hier lebt man wieder auf. Wie frisch die Luft hier ist und wie klar und kalt das Wasser! Habt Ihr jemals solche Bäume gesehen? Sie sind ja höher, als unser Kirchthurm zu Hause.«
Das Wort zu Hause und die Erinnerung an den alten Kirchthurm, der stets so traulich nach Werner's Fenstern herübergeschaut hatte, brachte Thränen in die Augen der Mutter, die sie aber unbemerkt wegwischte und ihre damit befeuchteten Finger um das Medaillon preßte, in welchem eine Locke von ihrem in Indian Point ruhenden Liebling eingeschlossen war.
»Sollte mich gar nicht wundern, wenn uns Albert mit einem Wagen entgegenkäme, denn er muß jetzt in Neu-Braunfels sein und wird den Herren dort gehörig in's Gewissen greifen,« fuhr Werner fort.
»Und wenn er auch keinen Wagen mitbringt, so wollte ich doch, er wäre schon wieder bei uns. Dieser Fuhrmann ist ein herzloser Mensch, sein Blick ist mir unheimlich, und er ist mir in der Seele zuwider,« sagte Madame Werner; »es war unerhört und grausam, daß er uns seine Hilfe versagte, um Platz auf dem Wagen zu machen, die er uns doch nachher für Geld verkaufte. Wir sind ganz in seine Hände gegeben.«
»Nun hier auf der offenen Landstraße haben wir doch wohl Nichts zu befürchten, selbst wenn er auch ein sehr schlechter Mann sein sollte,« erwiederte Werner.
»Eine offene Landstraße ist es allerdings, doch wie außerordentlich wenig Ansiedelungen haben wir auf dem ganzen Wege angetroffen; es ist mehr eine Straße durch eine Wildniß, wo man auf menschliche Hilfe nicht rechnen darf; das bezeugen die vielen Gräber, an denen wir vorübergefahren sind.«
»Das Land bis hierher war unfruchtbar, doch nun kommen wir durch reiche Gegenden, wo es an Niederlassungen nicht fehlen wird. Wir wollen aber die Betten von dem Wagen nehmen und unsere Einrichtungen für die Nacht machen, ehe es dunkel wird,« sagte Werner, stand auf und winkte Julius und Mathilde, ihm zu helfen.
Die Nacht legte sich mit eiligen Schwingen über die Gegend, der westliche Himmel zeigte nur noch ein mattes Roth da, wo die Sonne versunken war, und die Sänger der Nacht, der Whip-poor-will und der Spottvogel, stimmten ihre süßen klagenden Weisen in den Wipfeln der uralten Bäume an, die sich über dem Lager der Reisenden wölbten, als Schritte im Walde hörbar wurden und Johnson, von der Stadt zurückkehrend, bald darauf zu dem Feuer trat.
Er brachte Werner's eine Bouteille Milch, ein Stück frisches Rindfleisch und ein Söckchen mit süßen Kartoffeln, wobei er andeutete, daß er das Goldstück dafür hingegeben habe.
So unerhört theuer diese Gegenstände nun auch bezahlt waren, so wurden sie doch als etwas lange Entbehrtes von der Familie mit Freuden in Empfang genommen, zumal, da sie in ihnen ein Zeichen mehr erblickten, daß sie die Grenze des verheißenen Paradieses nun überschritten hätten.
Mathilde beeilte sich das Abendbrod zu bereiten, röstete das Fleisch, legte die Kartoffeln zum Braten in die heiße Asche, buk ein Brod von Maismehl und bereitete Kaffee, der heute einmal wieder mit Milch genossen werden sollte.
Es schmeckte Allen vortrefflich, denn Hoffnung würzte das Mahl, und des Waldes duftige Kühle gab den erschlafften Wanderern neue Lebenskraft.
Sie baten Johnson, sich zu ihnen zu setzen und ihr Gast zu sein, doch er lehnte die freundliche Einladung mit Kopfschütteln ab, kauerte über seinem kleinen Kohlenfeuer und sah oft seitwärts unter seinem zerrissenen Strohhut weg nach dem Koffer hin, in dem das Schatzkästchen eingeschlossen war.
Die Luft fing schon an feucht zu werden, und des Mondes goldene Scheibe blinkte aufsteigend zwischen den Riesenstämmen des Waldes durch, als Werner's sich zur Ruhe legten, um in schönen Träumen ihre Hoffnungen verwirklicht zu sehen.
Es wurde ihnen schwer, sich am nächsten Morgen von diesem Platz der Erholung zu trennen, doch Johnson war schon sehr früh zur Abfahrt gerüstet und drang auf Eile, da er, wie er sagte, einen langen Tagesmarsch vor sich habe.
Wie sehr wurden ihre neu gesammelten Hoffnungen wieder herabgestimmt, als die Reisenden sich abermals auf der offenen Straße in der Gluth der Sonne befanden, gegen welche die Regenschirme ihnen nur so wenig Schutz gewährten. Zwei Tage lang waren sie wieder von den langsamen Zugthieren dahin geschleppt worden, als der Fuhrmann gegen Abend von der Hauptstraße ab in einen weniger gangbaren Fahrweg einbog und einem hohen Wald entgegenfuhr, in dem sie zu ihrem Entzücken nochmals die schöne Guadelupe begrüßen sollten.
Die Ochsen hatten das Fuhrwerk in die Mitte des schäumenden Wassers gezogen, wo Johnson sie zurückhielt, damit sie ihren Durst in den klaren Fluthen löschen möchten, während die tobenden Wellen sich zwischen den Rädern brachen und ihren Schaum hoch umherspritzten.
Dieselbe erquickende Waldluft empfing hier die Emigranten, wie sie solche bei Victoria eingeathmet hatten, das monotone Rauschen des Flusses, die feierliche Ruhe des Waldes und das geheimnißvolle Dunkel, welches seine verschlungenen Aeste überdachten, machten den Reisenden den Unterschied dieses Ortes gegen die offene blendende Gluthfläche, die sie während der letzten Tage ununterbrochen durchzogen hatten, um so fühlbarer, und mit Freuden sahen sie, daß Johnson, als der Wagen das andere Ufer erreicht hatte, die Zugthiere von den Ketten befreite, um sie ihrem Futter nachgehen zu lassen.
Werner's ahneten nicht, daß sie die Straße nach Neu-Braunfels verlassen hatten und sich auf einem abgelegenen, selten befahrenen Wege nach San Antonio befanden; sie waren glücklich, daß das Bild ihres geträumten Paradieses sie wieder umgab, und zählten die Tage, bis wann sie das schöne Ziel ihrer mühseligen Reise erreichen würden. Zwar mußten sie sich am frühen kommenden Morgen wieder von diesem reizenden Ruheort entfernen, doch das Land, welches sie heute durchzogen, war mit reichem wogendem Gras und mit bunten Blumenfeldern bedeckt, hier und dort hoben sich Bäume und Gebüschgruppen in malerischer Abwechselung aus der grünen Fläche empor, und lange Striche Hochwaldes zeigten den Lauf kleiner Flüsse an, die sich in deren Schatten der Guadelupe zuwandten.
Schon gegen Mittag erreichten sie das Ufer eines dieser wilden Gewässer, des Sandiesflusses, wo ihnen Johnson zu ihrer nicht geringen Freude mittheilte, daß er hier bis Morgen rasten würde, da der nächste Tagesmarsch ein sehr lange sei, auf dem sie vor spät Abends gar kein Wasser antreffen würden.
Sie hatten den alten Weg auf eine kurze Entfernung verlassen, um unter den himmelhohen Bäumen, die den Bach überschatteten, einen bequemen und gegen die Sonne geschützten Lagerplatz zu beziehen, auf dem sie, da ihnen Zeit genug dafür blieb, mit Hilfe des Fuhrmanns das Zelt aufschlugen, um sich weniger dem starken Thau und der Nachtluft auszusetzen.
Während sie nun mit ihrer häuslichen Einrichtung und mit Zubereiten des Mittagsmahles beschäftigt waren, trieb Johnson seine Ochsen aus dem Walde hinaus in das üppige Grasland, damit auch diese sich für die morgende lange Reise stärken möchten. Er war bald wieder zurück, half Werner's bei ihren Einrichtungen williger als gewöhnlich, trug den großen Koffer, in dem das Schatzkästchen eingeschlossen war, in das Zelt, schleppte trockenes Holz in Menge herbei, um ein gutes Feuer zu unterhalten, und betheiligte sich selbst bei dem früh genossenen Abendbrod Werner's, was zu thun er bis jetzt immer abgelehnt hatte.
Während sie um das Feuer zusammensaßen, deutete er ihnen an, daß hier weit und breit nur ein Haus in der Nähe sei und zwar in einer Entfernung von einigen Meilen, daß sie aber auf der morgenden Fahrt nicht eine einzige Ansiedelung antreffen würden, weshalb er sehr früh von hier aufzubrechen gedenke. Bald darauf begab er sich zu dem kleinen Feuer, welches er in einiger Entfernung für sich angezündet hatte, und legte sich, indem er seinen Passagieren rieth, ein Gleiches zu thun, dort zur Ruhe.
Es war gegen neun Uhr Abends, der eben aufgestiegene Mond warf vorerst nur ein düsteres Licht über die Erde, zu schwach, um das tiefe Dunkel unter den Bäumen zu verscheuchen, aus dem die niedergebrannten Lagerfeuer, ohne Licht zu verbreiten, nur noch als Kohlenhaufen glühten, und in dem geschlossenen Zelte waren Werner's in tiefen Schlaf versunken, als Johnson sich aufrichtete, die wollene Decke, in die er eingehüllt war, von sich warf und, eine Zeitlang unbeweglich nach dem Zelt hinsehend, sitzen blieb. Dann stand er plötzlich auf, ging leisen Schritts nach den Schläfern und horchte durch die Leinwand, die sie einschloß, als wolle er die Athemzüge jedes Einzelnen zählen.
Er schien sich bald überzeugt zu haben, daß Alle schliefen; denn er schritt nach seinem Lager zurück, ergriff die lange, im Grase liegende Peitsche, setzte den Strohhut auf den Kopf und eilte dann durch den Waldstreif nach der offenen Prairie, wo in nicht weiter Entfernung die sechs Zug-Ochsen, von dem Mondlicht beschienen, zu erkennen waren. Die beiden, welche die Glocken trugen, waren an einen einzeln stehenden Baum gebunden, so daß, durch ihr Verweilen veranlaßt, auch die Andern sich nicht entfernt hatten. Johnson löste nun den Strick, womit er sie selbst an den Baum heute befestigt hatte, schwang seine Peitsche und trieb die Thiere rasch, doch schweigend vor sich hin durch das hohe Gras der Straße zu und nach kurzer Zeit wieder von derselben ab in einen Nebenweg, auf dem er nach Verlauf von einer halben Stunde die Einzäunung seiner eigenen Behausung erreichte.
Die Ochsen sich selbst überlassend, sprang er über den Zaun und eilte zu der Thür von seines Bruders Haus.
»Hallo, Bob!« rief er mit lauter Stimme; »ich habe die Vögel im Garn, komm heraus, wir müssen überlegen, wie wir sie am Besten rupfen.«
»An mir soll es nicht fehlen; Hurrah für die Federn, die Haut muß mit herunter!« rief der Bruder aus dem Innern des Hauses und sprang, nur mit dem Hemd bekleidet, im nächsten Augenblick zu Ben Johnson auf die Gallerte.
»Wo hast Du sie hingefahren, und sind sie schwer?«
»Am Peach Creek liegen sie in Sicherheit, und was ihr Gewicht betrifft, so haben sie einen Kasten voll Geld bei sich. Ihre Lebensmittel reichen nur bis übermorgen, dann müssen wir sie versorgen, und verdammt, versorgt sollen sie werden!« sagte der Fuhrmann, indem er den langen Stiel seiner Peitsche auf den Fußboden stieß.
»Wie viel Personen sind es?«
»Ein alter ausgetrockneter Kerl, Namens Werner, mit seiner Frau, zwei Töchtern und einem Jungen.«
»Ei, da brauchten wir ja nicht viel Umstände mit ihnen zu machen; wir statten ihnen in der Nacht einen Besuch ab und nehmen, was uns gut dünkt.«
»Das müssen wir wohl bleiben lassen; der Agent des Vereins in Indian Point kennt mich ja, weshalb der Verdacht, wenn die Werner's Lärm schlügen, sogleich auf uns fallen würde. Diese Deutschen bekommen zu viel Gewalt hier im Lande; Du weißt, allenthalben giebt es schon deutsche Friedensrichter, und es sind auch schon welche von ihnen im Congreß.«
»Ei, und wenn wir sie nun kalt machten und unter die Erde kratzten, wer würde dann nach ihnen fragen?«
»Das geht eben so wenig, der Agent hat viel Gepäck für sie in Händen behalten, und er würde bald erfahren, daß sie nicht in Neu-Braunfels angekommen wären. Dann käme man uns sogleich auf den Hals. Nein, wir müssen einen ehrlichen Handel mit ihnen treiben. Der Hunger soll sie wohl die Goldstücke ausspeien lassen.«
Es war Mitternacht geworden, und nur die heulenden Stimmen in der Ferne jagender Wölfe und das Gelächter des Uhus unterbrach die auf Wald und Prairie ruhende Stille, als die Brüder sich trennten und in ihre verschiedenen Häuser gingen, um sich schlafen zu legen.
In dem Zelte der Emigranten am Peach Creek war bis zu dieser Zeit die Ruhe nicht gestört worden, obgleich Madame Werner's Schlaf von unangenehmen Träumen begleitet wurde und sie sich fortwährend auf ihrem Lager beklommen hin und her geworfen hatte. Jetzt erwachte sie aufgeregt und geängstigt, sah sich in der Dunkelheit um, wußte im ersten Augenblick nicht, wo sie war, und als sie zu sich kam, fühlte sie ihre Pulse stürmisch pochen, es sauste ihr wild vor den Ohren, und die Brust schien ihr zusammengeschnürt zu sein.
»Werner – Vater,« sagte sie zu ihrem neben ihr ruhenden Manne, indem sie ihre Hand, um ihn aufzuwecken, auf seine Schulter legte, »Werner, hörst Du nicht?«
Doch Werner war in tiefem Schlaf und schnarchte heftig.
»Mein Gott, ich fühle mich sehr krank, Mathilde!« stöhnte die Frau mit schwacher Stimme, doch auch diese ließ sie ohne Antwort, worauf sie sich abermals nach ihrem Gatten umwendete, ihre Hand auf seine Stirn legte und mit aller ihr zu Gebote stehenden Kraft seinen Kopf schüttelte.
»Ja, ja was giebt's?« rief Werner erschrocken und schlaftrunken sich aufrichtend, »willst Du etwas, Mutter?«
»Ich fühle mich unwohl, Werner, Du könntest wohl die Laterne anzünden.«
Mathilde aber, durch ihres Vaters Ausruf geweckt, war schon von ihrem Lager aufgesprungen, machte Licht, und mit einer Hand die düster leuchtende Laterne in die Höhe haltend, beugte sie sich ängstlich über ihre Mutter hin und sagte mit bebender Stimme:
»Liebe Mutter, Du bist doch nicht krank?«
»Ich fühle mich nicht wohl, es würde mir gut sein, wenn ich eine Tasse Kamillenthee tränke.«
Schnell hatte Mathilde das Beutelchen mit Kamillenblüthen aus dem großen Koffer hervorgezogen, einen Blechtopf mit Wasser gefüllt und eilte damit aus dem Zelt zu dem Feuerplatz, auf dem sie die noch glühenden Kohlen von der Asche befreite und den Topf darauf setzte. Ihr Vater war ängstlich herzugetreten, um zu sehen, ob seine Hilfe etwas nützen könne.
»Wenn Du den Fuhrmann wecken wolltest, lieber Vater, er würde uns wohl etwas Feuerholz und Wasser holen,« sagte Mathilde, die vor den Kohlen auf ein Knie niedergesunken war, und blies dann in dieselben hinein, um deren Gluth anzufachen. Werner ging zu Johnson's Lagerplatz, fand jedoch denselben verlassen und das Feuer gänzlich erstorben.
»Der Fuhrmann ist nicht hier,« rief er seiner Tochter mit Erstaunen zu; »seine wollene Decke zwar liegt noch in dem Gras, wohin kann er wohl gegangen sein?«
Er sah hin und her durch die mächtigen Baumstämme, auf denen hier und dort ein heller Fleck des Mondlichtes zitterte, rief Johnson wiederholt beim Namen, doch da er keine Antwort bekam, hob er selbst einige bei dessen Lagerplatz liegende trockene Aeste auf, trug sie zu Mathilde hin und warf einige davon auf das Feuer.
Der bereitete Thee wirkte wohlthätig auf Madame Werner, sie fühlte sich nach dessen Genuß etwas beruhigt, doch das Fieber verließ sie nicht, und mit Sehnsucht wurde von ihr, sowie von den Ihrigen der Tag erwartet.
Endlich röthete sich im Osten der Himmel, das neue goldene Licht verdrängte den bleichen Schein des Mondes, Werner's sandten ihre Blicke nach allen Richtungen hin, um ihren Fuhrmann zu erspähen, doch umsonst, er erschien nicht. Das Frühstück ward genossen, es wurde zehn Uhr, es wurde Mittag, doch immer noch war Nichts von Johnson zu sehen. Die Besorgniß Werner's wuchs mit dem Schwinden der Zeit, sie fühlten sich ohne den Fuhrmann so verlassen, so hilflos, wie Schiffbrüchige auf einer wüsten Insel. Wo wollten sie hin? was sollte aus Hab und Gut werden, und auf welche Weise konnten sie Lebensmittel bekommen? Werner wurde immer unruhiger, hundertmal sah er nach der Uhr, bald ging er an den Saum des Waldes, um über die in der Sonne glänzende Prairie zu blicken, bald setzte er sich auf den Feldstuhl vor den Eingang des Zeltes, ließ seine gefalteten Hände zwischen den hin und her schlagenden Knieen herabhängen und sah mit niedergebeugtem Haupt vor sich in das Gras; doch plötzlich ertönten Tritte durch den Wald, und wer beschreibt die Freude der Emigranten, als wirklich der Fuhrmann dahergeschritten kam.
Nachläßig warf er seinen Strohhut von sich, setzte sich selbst neben Werner auf die Erde, und indem er mit dem Arm weit ausholte und nach der Prairie winkte, sagte er:
»Oxen gone,« wischte sich mit der Hand den Schweiß von der Stirn und warf sich dann, indem er die Augen, schloß, hinten über mit dem Kopf in das Gras.
Werner blickte fragend und erstaunt nach Mathilde, die sich schon einigermaßen der englischen Sprache beflissen hatte und sich besser mit Johnson verständigen konnte, als die Uebrigen der Familie.
»Sagt er nicht, die Ochsen seien fortgegangen?« fragte er sie dann.
»So sagt er,« erwiederte Mathilde und wendete sich zu Johnson, indem sie ihn auf die Schulter klopfte:
»Mister Johnson, wo sind denn die Ochsen hin?«
»Gone,« antwortete dieser, wieder mit dem Arm einen Bogen nach der Prairie schlagend, worauf er abermals die Augen schloß.
»Aber, mein Gott, unsere Lebensmittel sind ja beinahe zu Ende, wir haben die letzten Kartoffeln zu Mittag gegessen, und unser Vorrath an Maismehl wird uns noch ein Brod für heute Abend geben. Wo sollen wir Provisionen herbekommen?« sagte Werner in größter Unruhe.
»Der Fuhrmann hat uns ja gesagt, es sei eine Farm nicht weit von hier gelegen, vielleicht können wir, wenn die Ochsen nicht zu finden wären, dort Etwas bekommen,« bemerkte Mathilde, klopfte Johnson abermals aus seiner Ruhe und machte ihm dann deutlich, daß sie keine Lebensmittel mehr hätten, wie zugleich, daß sie seinen Rath zu hören wünschten, auf welche Weise solche anzuschaffen seien.
Dem Fuhrmann schien diese Mittheilung höchst gleichgültig zu sein, doch gab er Mathilde zu verstehen, daß er, sobald die Sonne sich neigte, wieder nach seinen Ochsen suchen würde und dann, da er in die Nähe der nicht sehr entlegenen Farm käme, dort sich erkundigen werde, ob die Leute ihnen Provisionen verkaufen wollten. Hierauf fiel er wieder in das Gras zurück und gab auf alle Fragen, die weiter an ihn gerichtet wurden, keine Antwort.
Madame Werner konnte ihr Lager nicht verlassen; wenn auch die Fieberhitze etwas abgenommen hatte, so fühlte sie sich doch sehr entkräftet und äußerte in ihrer stillen Hingebung nur ein wiederholtes Verlangen nach frischem Wasser.
Als der Abend herannahte, erhob sich Johnson aus dem Gras, drückte seinen Hut auf den Kopf, nahm seine Peitsche und sagte zu Mathilde, welche ihm dringend empfahl, nach den Ochsen fleißig zu forschen und sie zur Weiterreise mitzubringen, daß er jetzt gehen wolle; wenn sie wünsche, er solle sich nach Lebensmitteln für sie umsehen, so möge sie ihm Geld mitgeben.
Alle Baarschaft Werner's bestand in amerikanischen Fünf- und Zehndollarstücken, von welchen Erstem das Mädchen eins aus dem Geldkistchen hervorholte und es dem Fuhrmann reichte, indem sie ihm noch bedeutete, daß er recht Viel dafür mitbringen solle.
Der Amerikaner steckte schweigend das Goldstück in die Hosentasche und verschwand bald darauf im Walde.
Der Rest des Maismehls ward für das Abendessen zu einem Brod verwandelt, welches mit dem Kaffee das ganze Mahl ausmachte. Wie sehr willkommen war den Emigranten deshalb der Anblick eines Mannes zu Pferd, der mit Johnson sich dem Lager näherte und um dessen Sattel Blechkannen, einige gefüllte Säckchen und ein Paar Stücke rohes Fleisch hingen.
Dieser Mann war Bob Johnson; dessen Bruder Ben stellte ihn jedoch seinen Passagieren als einen Herrn Harrick, den Eigenthümer der erwähnten Farm, vor.
Der Vorrath an Lebensmitteln, den Bob Johnson mit sich führte, und der in Milch, Kartoffeln, Maismehl und Hirschfleisch bestand, war sehr unbedeutend, so daß er für Werner's Familie kaum für den folgenden Tag ausreichen konnte. Der Fuhrmann machte Mathilden bemerklich, daß der Farmer diese Provisionen ihnen nur überlassen wollte, wenn sie ihm noch drei solcher Goldstücke dafür gäbe, sonst würde er dieselben wieder mit sich nach Hause nehmen. Die Ochsen, fügte er dann noch hinzu, habe er, trotz vielen Suchens, nicht finden können, weshalb er mit dem sogenannten Herrn Harrick zurückgehen werde, der ihm Morgen dieselben aufzusuchen helfen wolle.
Die Forderung für diese wenigen Provisionen versetzte Werner's in Angst und Schrecken, denn sie sahen, daß, wollten sie nicht Hunger leiden, ihnen kein Ausweg blieb, als zwanzig Dollar dafür zu bezahlen.
Der Cassirer gab sich alle erdenkliche Mühe, dem Fremden, der auf seinem Pferde sitzen blieb, vorzustellen, daß der Preis ja außer allem Verhältniß zu dem Werth der Waare sei, klopfte ihm mit Zutraulichkeit auf das Knie, nannte ihn Freund, zeigte mit Mitleid erregendem Blick auf seine Kinder, nach seiner kranken Frau, rang zuletzt flehentlich die Hände; doch Bob schüttelte den Kopf und sagte:
»Nix versteh,« und deutete mit drei Fingern an, daß er noch drei der Goldstücke haben müsse, ehe er die Lebensmittel verabfolgen lasse. Mathilde wandte sich an Johnson, beschwor ihn, doch für sie bei dem Fremden zu reden, weinte bitterlich, aber der Fuhrmann erwiederte, daß dies die Angelegenheit des Farmers sei, auf den er keinen Einfluß habe.
Nach vielem vergeblichem Bitten und Klagen und nachdem Bob mehrere Male schon sein Pferd umgewandt hatte, um mit den Nahrungsmitteln hinwegzureiten, doch immer wieder von Werner's zurückgehalten worden war, mußten dann endlich die verlangten Goldstücke doch hervorgeholt und dem hartherzigen Amerikaner eingehändigt werden, worauf dieser in Begleitung des Fuhrmanns, welcher Letztere seine Rückkehr auf Morgen verhieß, durch den Wald zurückritt, durch welchen er gekommen war.
Werner's waren nun wieder allein, der schwer bepackte Wagen stand unbeweglich da, und der Gedanke, daß sie in dieser Wildniß gänzlich hilflos und verlassen dem Mitleid dieser beiden Fremden in die Hände gegeben seien, wurde ihnen immer quälender, immer fürchterlicher.
Es war nur ein Hoffnungsstern noch an dem trüben Himmel der Familie zu sehen: die Rückkehr Albert's. Er konnte ja unmöglich lange mehr ausbleiben, da er sicher den Wagen vorauseilen würde, welche er für Werner's von Neu-Braunfels absenden sollte. Sie wußten nicht, daß sie viele Meilen von der Straße zwischen dort und Indian Point entfernt seien, sie glaubten, daß Albert unfehlbar bei ihnen vorüberreiten müsse, und hielten darum fortwährend ihre ängstlich spähenden Blicke auf den nicht fernen, wenig befahrenen Weg, den sie gekommen waren. Es fiel ihnen allerdings auf, daß sie auf demselben bis jetzt noch kein menschliches Wesen hatten vorüber ziehen sehen, doch betrachteten sie dieses als das Werk des Zufalls und steigerten ihre Hoffnung, ihre Sehnsucht nach der Rückkehr des geliebten Jünglings von Stunde zu Stunde.
Der folgende Tag schlich unter den bangsten Sorgen und Bekümmernissen dahin, ohne daß ihre Blicke auf einen Fremden gefallen waren, denn auch der Fuhrmann ließ sich nicht sehen. 'Erst als die Sonne am fernen stachen Horizont versunken war, kam dieser abermals mit seinem Bruder Bob zu dem Zelt, meldete, daß weder eine Spur von den Ochsen, noch diese selbst irgend zu finden seien, auch daß sein Begleiter einige Lebensmittel mitgebracht habe, für den Fall sie solcher benöthigt wären.
Dieselben bestanden wieder in einer Quantität, die für die Familie auf einen Tag etwa ausreichen konnte, doch der Preis wurde heute zum Entsetzen der Werner's auf das Doppelte gesetzt.
Der Cassirer flog vor Schrecken zurück, als er die Summe nennen hörte, schlug sich mit den Händen vor die Stirn, brach in ein lautes Wehklagen aus und fiel, mit bebenden Händen den Steigbügel des Reiters erfassend, auf die Kniee in das Gras und flehte um Erbarmen.
Doch »Nix versteh« war wieder die Antwort Bob's, wobei er mit acht Fingern die Zahl der Goldstücke andeutete, wogegen er die Lebensmittel verkaufen wolle.
»Wir sind verloren!« schrie Werner zuletzt in höchster Verzweiflung; »diese Leute berauben uns unseres letzten Pfennigs. O! wollte doch der gütige Himmel Albert zurücksenden, um uns aus unserm Elend zu retten!«
Doch alles Klagen, alles Weinen machte keinen Eindruck auf die beiden Männer; die acht Goldstücke mußten gezahlt werden, und dann zogen sie wieder fort mit der tröstlichen Versicherung, daß sie morgen Abend wiederkommen würden.
So schwand ein Tag, wie der andere, die beiden Männer ließen sich nur unter wiederholten Versicherungen, die Ochsen seien nicht zu finden, sehen, um Lebensmittel zu bringen, deren Preis sie nach und nach bis auf zwölf Goldstücke für den Tag gesteigert hatten, und es waren in dieser Weise zwei lange Wochen verstrichen, ohne daß Albert zurückgekehrt, oder nur die mindeste Veränderung zum Bessern in Werner's trostloser Lage und herbem Schicksal eingetreten wäre.
Im Gegentheil schien sich das Maaß ihrer Leiden noch vergrößern zu wollen, denn Madame Werner wurde mit jedem Tag hinfälliger; sie konnte sich nicht mehr allein von ihrem Lager aufrichten und wollte Nichts mehr genießen, als Wasser, und außer ihr waren nun, um das Elend vollkommener zu machen, auch die beiden jüngsten Kinder, Julius und Johanna, von der Ruhr ergriffen und auf's Krankenbett geworfen.
Bis zu dieser Zeit hatte noch Keins der Familienglieder ein Wort der Reue über ihr übermüthiges Auswandern laut werden lassen, denn ein Jedes machte sich den stillen Vorwurf, selbst dazu aufgemuntert zu haben; doch jetzt konnte Werner seine Klagen, seinen Jammer nicht mehr unterdrücken. Er blickte auf seine kranke Frau, auf seine beiden, früher so blühenden und nun so elenden Kinder. Wo waren die Rosen geblieben, die in der alten guten Heimath nie von den Wangen der glücklichen jungen Familie gewichen? Wo war der Unternehmungsgeist, wo waren all die schönen Luftschlösser, die sie sämmtlich bis an die Ufer des geträumten Paradieses umgaukelt hatten? Schwer lag es auf Werner's Seele, drückend fühlte er seine Ohnmacht, um Widerwärtigkeiten, wie sie ihn jetzt umgaben, zu bekämpfen.
»Ach käme Albert doch zurück!« sagte er, sich mit den Händen über die kahle Stirn wischend, als wolle er das traurige Bild verscheuchen, welches vor seinen Augen stand; »er wird, aber in Neu-Braunfels aufgehalten werden, mein Gott, daß er auch abreisen mußte! O warum haben wir denn unsere Heimath verlassen? Jetzt trifft uns die gerechte Strafe dafür, dort ging es uns zu gut.«
»Wie mich friert – wie mein Kopf brennt!« seufzte Madame Werner und zog die wollene Decke um sich.
»Gieb mir Wasser, Mathilde,« stöhnte Julius.
»Mutter, Mutter, der Bär will mich fressen!« schrie Johanna in ihrem Fiebertraum und hob ihre kleine Hand abwehrend auf, indem sie sich auf ihrem Lager umherwarf.
Werner stand ein Bild des Jammers an dem Ausgang des Zeltes, blickte bald auf seine unglücklichen Lieben, bald nach der vermeintlichen Straße nach Neu-Braunfels, als könne er durch seine Sehnsucht, durch sein Gebet Albert herbeiziehen. Doch Albert erschien nicht, wohl aber die beiden Brüder Johnson, um sich abermals zwölf Goldstücke zu holen.
Es war finstere Nacht geworden, als die Amerikaner sich mit dem Gold entfernt hatten; das kleine Feuer warf nur ein spärliches unstätes Licht in das Zelt und auf das Lager der kleinen Johanna, neben welchem Mathilde weinend kauerte und ihrer Schwester kalt werdende Hand zwischen den ihrigen hielt.
Der Vater lag aber draußen im dunkeln Wald auf den Knieen, hob seine Augen und seine Hände gegen den funkelnden Sternenhimmel und betete in seiner Verzweiflung inbrünstig zu dem Allmächtigen, ihm Rettung vom gänzlichen Untergang zu senden.
»Ist Johanna todt?« fragte die Mutter mit schwacher Stimme die weinende Mathilde, welche die Frage mit lautem Schluchzen und Senken ihres Kopfes beantwortete; »so ist ihr wohl, wir werden bald Alle wieder beisammen sein. Wer wird uns aber begraben?«
Johanna war gestorben; das Unglück hatte ihrem Vater, sowie ihrer Schwester die Worte genommen. Stumm und regungslos saßen sie während der Nacht neben der kleinen Leiche, bis die Sonne wieder heiter und glänzend aufstieg und ihre goldenen Strahlen durch den üppigen Wald auf die trauernde Gruppe warf; so saßen sie, bis das belebende Gestirn wieder das Ende des klaren Himmelsbogens erreicht hatte und von dort der Welt noch einen glühenden Abschiedsgruß zublitzte. Da nahten sich abermals die Brüder Johnson mit Lebensmitteln dem Zelte; doch Werner blickte stumm und regungslos zu ihnen hinaus, als wolle er ihnen zu verstehen geben, daß der Tod Nahrung unnöthig mache.
Der ganze Vorrath, den die Brüder gestern gebracht hatten, so klein er auch war, lag noch unangerührt auf dem großen Koffer am Eingang des Zeltes, auf den jetzt Mathilde, ihre weinenden Augen in der Hand verbergend, zeigte, damit die Fremden sich überzeugen sollten, daß sie heute keinen Kauf abschließen würden.
»Das ist der Koffer, in dem die Geldkiste eingeschlossen ist,« sagte Ben Johnson zu seinem Bruder; »ich denke, das Volk wird uns doch wohl zu Erben einsetzen, wenn wir ihnen unter diesen schattigen Bäumen einen angenehmen Ruheplatz zusichern. Sie sind im Sturmmarsch auf der Abreise, nur der Kerl und das hübsche Mädchen sind noch auf den Beinen.«
»Um das Mädchen ist es Schade, über das möchte ich mich wohl erbarmen,« bemerkte Bob mit einem schlauen Seitenblick nach seinem Bruder.
»Verdammt, ich glaube, ein Zahn ist ihnen schon ausgefallen; sitzen die Beiden nicht vor einer Leiche?« sagte Ben, näher zu dem Eingang des Zeltes tretend; »wahrhaftig, es ist das jüngste Mädchen; da können wir als Todtengräber Etwas verdienen.«
Indem er diese Worte halblaut zu seinem Bruder sprach, trat er in das Zelt hinein, während Werner's starrer, gläserner Blick immer noch auf ihm ruhte; da hob Mathilde ihre thränenvollen Augen zu ihm auf, zog das Leichentuch, womit das Gesichtchen ihrer todten Schwester bedeckt war, zurück und deutete mit der Hand auf ihn, als wolle sie ihm sagen, daß er die Ursache hiervon sei.
Doch Johnson verstand den Vorwurf nicht, oder vielmehr, er wollte ihn nicht verstehen. »Sollen wir sie begraben?« fragte er, mit der Hand auf sich selbst und auf seinen Bruder zeigend; »für zwölf Fünfdollarsstücke wollen wir es thun. Todtengräber sind rar in diesem Lande, die Wölfe besorgen dies Geschäft häufig.
Mathilde verstand den Sinn der Rede wohl, sie blickte mit kaltem Schauder und Entsetzen den Mann an, doch hatte sie keine Worte für ihn.
»Nun, wie Sie wollen; ich glaubte, es würde Ihnen ein Gefallen damit geschehen. Unsertwegen behalten Sie die Leiche da bei sich, bis sie von selbst weglauft.«
Hiermit wandte er sich um und verließ das Zelt, doch Mathilde sprang auf, stürzte ihm nach, hielt ihn beim Arm zurück und bedeutete ihm, er solle die Schwester begraben.
»Für zwölf Goldstücke wollen wir es thun,« sagte er, und als Mathilde diese ihm zusagte und, zur Leiche zurückwankend, wieder bei ihr niedergesunken war, rief er seinem Bruder Bob zu, schnell nach Hause zu reiten und Hacke und Spaten zu holen, um das abgeschlossene Geschäft auszuführen.