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Das Begräbniß, Mathilden's Flucht, die drei Leichen, die Erbschaft, Vertheilung von Werner's Nachlaß, der Farmer, Mathilden's Rettung, Albert Werner's Reise, Ankunft in Neu-Braunfels, der Wirth Graf H. v. D., der Streit im Wirthshaus.
Während Bob durch den Wald davon trabte, setzte sich der Fuhrmann bei dem Feuerplatz nieder, steckte ein großes Stück Kautaback in den Mund und ergriff ein Stück trockenes Holz, um sich durch Zerschneiden desselben mit seinem langen Messer die Zeit zu vertreiben.
Werner hielt immer noch seine Augen auf den Mann gerichtet, wie das Kaninchen angezaubert nach der Schlange blickt, die es zu verzehren droht; er rührte sich nicht, er sprach kein Wort, nur zitterten seine Glieder von Zeit zu Zeit, und dann preßte er seine mageren, großen Hände krampfhaft in einander. Kein Laut unterbrach die Stille, als das Schluchzen Mathilden's, das Stöhnen ihrer Mutter und ihres Bruders, denn auch die fröhlichen gefiederten Bewohner des Waldes hielten sich schweigend in dem tiefsten Schatten des Laubes vor der Sonne versteckt, als fürchteten sie von ihren Blitzen getroffen zu werden.
Die herannahenden Tritte eines trabenden Pferdes brachen den Bann, der auf den regungslosen Menschen zu lasten schien; sie riefen den Todtengräber in ihr Gedächtniß zurück, sie sagten ihnen, daß der Augenblick des Scheidens von der geliebten Johanna gekommen sei.
Bob Johnson, der mit Hacke und Spaten vom Pferd gestiegen, war mit seinem Bruder zur Seite gegangen, um das Grab zu bereiten, als Werner, wie von dem ihm drohenden Ungeheuer befreit, aufsprang, sich über sein todtes Kind hinwarf und in einen Sturm von Klagen und Jammergeschrei ausbrach.
Noch immer schrie und weinte er in seiner rasenden Verzweiflung, als die beiden Brüder in das Zelt traten, um ihr Opfer abzuholen und ihre Sünde mit Erde zuzudecken.
»Das Grab ist fertig, sollen wir sie mitnehmen?« sagte der Fuhrmann, dessen Stimme kaum das Ohr Werner's berührt hatte, als dieser auffuhr, die Hände abwehrend ihm entgegenstreckte und, mit Entsetzen nach ihm hinstierend, wankend zurücktaumelte.
Mathilde stand auf, trat zur Seite, und ohne nach den Männern aufzusehen, deutete sie ihnen mit der Hand an, daß sie ihre Schwester wegtragen möchten.
Die Brüder nahmen gemeinschaftlich die Leiche auf, gingen mit ihr hinaus durch den kühlen Schatten des Waldes dahin, nur von Mathilden's schleichendem Schritt gefolgt, während Werner ihnen aus der Tiefe des Zeltes wie eine Bildsäule nachblickte.
An des Grabes Rand preßte Mathilde noch einmal ihre Lippen auf den kalten Mund der lieben Schwester, dann ließen die Träger die Leiche hinab in die Tiefe sinken, die bald wieder mit Erde ausgefüllt war, und über der sich nun ein Hügel erhob.
Mathilde hatte sich kaum wieder nach dem Zelt zurückgeschleppt, als der Fuhrmann zu ihr trat und das bedungene Geld von ihr forderte. Sie ließ es in seine Hand fallen, zog aber krampfhaft die ihrige zurück, als sähe sie Blut an seinen Fingern.
»Morgen früh kommen wir wieder, um zu sehen, ob Sie unsere Dienste nöthig haben,« sagte der Fuhrmann beim Weggehen zu Mathilde, die sich weinend über ihre Mutter hinwarf und ihr Gesicht in deren Kopfkissen verbarg, das von kaltem Schweiß befeuchtet war.
Werner war gänzlich erschöpft und entkräftet auf sein Lager hingesunken, hatte die Hände auf der Brust gefaltet und hielt die Augen, die aus ihren Höhlen treten zu wollen schienen, gegen die Höhe des Zeltes gerichtet; er schien Nichts mehr zu hören, was um ihn hervorging, er schien Nichts mehr zu bemerken; es lag nur ein furchtbarer ungeheurer Gedanke riesenhaft, erdrückend auf seinem Gehirn: der des gänzlichen Untergangs seiner Familie und seiner selbst.
Er hörte nicht mehr das Schluchzen seiner noch lebenden Tochter, nicht das schwere röchelnde Athmen seiner Gattin, nicht die wirren unverständlichen Worte, die sein Sohn im Fiebertraum murmelte, es stand nur der Fuhrmann in schrecklicher Gestalt des Todes vor ihm und hielt ihn in eisernem Starrkrampf unbeweglich auf seinem Lager.
Wieder hatten sich die Schatten der Nacht über die Erde gestreckt, kaum zeigte noch in der Dunkelheit die weiße Farbe des Zeltes, wo dasselbe stand, es brannte kein Feuer vor dessen Ausgang, und kein anderer Ton war in seiner Nähe zu hören, als Mathilden's Schluchzen und das Geheul von Wölfen, die in geringer Entfernung das Lager umschwärmten.
Mathilden's Kräfte waren der ununterbrochenen Anstrengung erlegen, sie hatte für kurze Zeit ihr Elend vergessen und war neben ihrer Mutter eingeschlafen. Doch es war nur eine kurze Ruhe, aus der sie aufschreckte, als hätte sie ein Unrecht begangen.
»Liebe Mutter, wolltest Du Etwas?« fragte sie diese leise und legte ihre Hand auf deren Stirn. Die Stirn war kalt, die Hände der Mutter waren kalt, die Mutter war todt.
»Ach Vater, die Mutter!« schrie Mathilde, in Schrecken und Verzweiflung aufspringend und in der Dunkelheit zu ihrem Vater stürzend, den sie beim Arme faßte; doch sie konnte ihn nicht bewegen und bekam keine Antwort von dem alten Manne.
Mit zitternden Händen suchte sie nach dem Feuerzeug, machte Licht und hielt es über ihre Mutter hin. Ach! es war das Bild des Todes, das sie beleuchtete, das freundliche, liebevolle und zärtlich geliebte Bild ihrer entschlafenen Mutter.
»Vater, die Mutter ist todt!« rief sie wieder ihrem Vater zu, indem sie mit dem Licht zu ihm hintrat; doch dieser gab ihr keine Antwort, er lag noch immer mit weit offenen Augen und gefalteten Händen starr und unbeweglich da, mit keinem andern Zeichen des Lebens, als dem der mühsamen Bewegung seiner Brust.
Mathilde suchte ihn aus seinem wachenden Schlaf aufzurütteln, doch umsonst, er bewegte sich nicht. Die Angst, die Noth brachte sie wohl zur Verzweiflung, sie wandte sich zu ihrem kranken Bruder, doch auch hier sollte sie dasselbe Bild wie bei ihrer Mutter erblicken, denn auch er war todt.
Das Licht fiel ihr aus der Hand, sie stürzte hinaus aus dem Zelt durch die finstere Nacht in den Wald hinein und immer vorwärts, bis sie endlich erschöpft und bewußtlos nahe an der Straße unter einem Baum zusammensank.
Der Morgen dämmerte, der neue Tag verdrängte die Nacht, und die Sonne warf ihre Strahlen wieder auf das buntbewimpelte weiße Zelt der Emigranten, als die Brüder Johnson sich demselben näherten.
»Sie scheinen noch zu schlafen oder haben Nichts mehr zu frühstücken, denn es ist noch kein Feuer angezündet,« sagte Ben Johnson nach dem Zelte hingehend.
»Sie werden sich wohl das Essen abgewöhnen wollen, es ist ihnen auch eine theuere Gewohnheit geworden,« erwiederte Bob lachend.
Sie hatten den Feuerplatz erreicht, Bob stieg mit Hacke und Spaten bewaffnet vom Pferd, und sein Bruder trat in das Zelt hinein.
»Bei Gott, sie sind Alle todt,« rief Ben seinem Bruder durch den Eingang zu; »doch das Mädchen fehlt, das hat sich am Ende allein auf den Marsch nach Neu-Braunfels begeben. Komm herein Bob und sieh selbst. Todt, wie die Ratten, ich bin verdammt.«
»Dann sind wir die gesetzlichen Erben, da sich kein anderer meldet. Das Mädchen wird nicht weit laufen, bevor die Wölfe sich an ihm lustig gemacht haben,« antwortete Bob, gleichfalls in das Zelt tretend.
»Jetzt nur schnell an die Arbeit, laß uns sie ausziehen, die Kleider nützen ihnen in der Erde Nichts. Zieh Du den alten Kerl aus, ich will mich an die Madam machen,« sagte Ben zu Madame Werner hintretend.
»Wenn sie das Mädchen wäre, so würde ich mit Dir tauschen, doch das alte Reff magst Du behalten,« erwiederte Bob, indem er zu dem todten Cassirer hinschritt.
Rasch hatten die Brüder die drei Leichen entkleidet und trugen sie vor das Zelt, wo sie dieselben nebeneinander in das Gras niederlegten. Dann gruben sie nahebei ein Loch in die Erde, warfen Vater, Mutter und Sohn übereinander hinein und füllten die Erde darauf, bis der Boden wieder gleich war.
»So, nun die Erbschaft, vor Allem die Goldkiste,« sagte Bob vor das Zelt tretend.
»Hier in diesem Koffer ist sie eingeschlossen, wo mag aber der Schlüssel dazu sein?« antwortete Ben.
»Den habe ich hier,« sagte Bob, indem er die Hacke zwischen den Koffer klemmte und den Deckel damit aufsprengte; »hier ist der Schatz, wir wollen ihn gleich theilen, dann giebt es keinen Irrthum.«
»Mir recht, öffne die Rollen,« sagte Ben, sich zu seinem Bruder setzend, worauf sie die blanken Goldstücke mit Wohlgefallen durch die Finger laufen ließen.
Nachdem sie den Schatz getheilt hatten, schlug Ben vor, daß sein Bruder nach Hause reiten möge, um die Ochsen zu holen, damit sie die ganze Erbschaft nach Hause fahren könnten, während welcher Zeit er hier bleiben wolle, um Wache zu halten.
»Und während dieser Zeit zu sehen, was Du wohl extra von den Sachen für Dich bei Seite thun möchtest? Glaubst Du, ich sei noch so grün? Nein, wir gehen zusammen, um die Ochsen zu holen, und die Theilung nehmen wir zu Hause vor,« erwiederte Bob mit einem schlauen mißtrauischen Blick.
»Ist mir auch recht, Du Hungerhals, ohne mich hättest Du doch das Gold nicht bekommen,« versetzte Ben und schritt dem Pferde nach, welches sein Bruder bestiegen hatte.
Die Ochsen waren in weniger als einer Stunde zu dem Lager getrieben, vor den Wagen gespannt, Werner's Effecten sämmtlich auf denselben geladen, und die Brüder Johnson trieben damit in Eile ihren Behausungen zu. Dort wurde die Einzäunung, welche die Häuser umgab, niedergelegt, so daß der Wagen bis vor die Veranda von Ben Johnsons Haus gefahren werden konnte, und als er dort anhielt und die Ochsen ausgespannt wurden, drängten sich die Frauen und Kinder zu demselben, um sich in die lose darauf liegenden Sachen zu theilen.
Die Weiber nahmen die Kleider, die Tücher, die Hüte, die Strümpfe der verstorbenen Frauenzimmer; die Kinder rissen sich um die wollenen Decken, um das Bettzeug, um Schuhe und Stiefeln.
Die Brüder Johnson brachten mit Hilfe ihrer ältesten Knaben die Koffer, Kisten und Kasten unter die Veranda, bis der Wagen ganz entladen war, den sie dann hinter die Häuser in den seichten Fluß schoben, damit das Wasser die eingetrockneten Räder wieder dicht machen sollte.
Nun ging es an das Oeffnen des Gepäcks, wozu der Kürze wegen die Axt gebraucht wurde; eine große Menge Dinge wurden hervorgezogen, von denen Johnsons gar den Gebrauch nicht kannten; der Vorrath von Leinenzeug setzte sie in das größte Erstaunen, die Zahl der Kleider, der Schuhe, der Stiefeln schien ihnen für ihre Lebenszeit auszureichen, die Sammlung von Werner's Pfeifen dienten ihnen zur größten Belustigung, und jedes Kind rannte mit einigen davon, doch die größte Verwunderung erregten die Oelbilder des Herrn und der Madame Werner.
»Ich bin verdammt, wenn das nicht der alte Kerl selbst ist,« sagte Ben Johnson mit schallendem Gelächter; »nur sieht er jung aus, aber er ist's, darauf lasse ich mich hängen.«
»Und dies ist das alte Weib, welches Du heute Morgen ausgezogen hast, oder ich bin verflucht,« sagte Bob, indem er das Bild faßte und ihm mit dem Fuß einen Tritt gab, daß es weit über die Gallerte flog; »das giebt ein Paar herrliche Scheiben für Euch, um darnach zu schießen, Ihr Jungen,« rief er noch diesen zu, welche sogleich im Triumph mit den Bildern fortrannten, sie vor einem entfernten Baum niedersetzten, und bald darauf mit ihren Büchsen darnach feuerten.
Wer Johnson's Familie vor einer Stunde gesehen hätte, würde sie jetzt nicht wieder erkannt haben; sämmtliche Mitglieder stolzirten in deutschen Kleidungen umher, die Erwachsenen sowohl, als die Kinder, und spaßhaft war es zu sehen, wie dem Einen die Rockärmel Händebreit zu lang, dem Andern um ebenso viel zu kurz waren, wie ein kleiner Junge in Herrn Werner's sehr großen und hohen Stiefeln einherschritt, wogegen Bob Johnson eine scharlachrothe Weste von Julius angezogen hatte, die er mit aller Mühe nicht in die Nähe der Hose herabziehen konnte, welche Eigenthum von Albert war.
Während diese Leute sich nun in den Nachlaß der unglücklichen Familie Werner theilten, lag die arme Mathilde noch immer regungslos unter dem Baume an der alten Straße; ihr geistiges, sowie ihr körperliches Leben war durch das letzte auf sie eingestürmte große Unglück so sehr erdrückt und gelähmt, daß beides nur noch wie ein erlöschendes Licht zu flackern schien. Durch den veränderten Stand der Sonne sielen gegenwärtig deren brennende Strahlen unter dem Laubdach, das sich über ihr wölbte, hinweg und trafen die halbgeöffneten Augen des nun so namenlos unglücklichen, lieblichen Geschöpfs. Sie fühlte in ihrer dumpfen Abspannung das blendende Licht auf ihrem Angesicht, und, wiederholt mit den Händen darnach schlagend, bemühte sie sich, dasselbe abzuwehren.
Es war in einem solchen Augenblick, als ein mit vier flüchtigen Maulthieren bespannter, leichter und mit einem Segeltuch überdachter Wagen auf der Straße nicht weit von ihr vorüberrollte, und der Fuhrmann durch die Büsche die Bewegung ihres mit dem weißen Aermel bedeckten Armes gewahrte.
»Was liegt dort im Walde unter jenem Baume?« rief der junge Mann, der von dem vordersten Sitz unter dem Leinen hervorsah, nach dem Innern des Wagens hin, indem er die Maulthiere zurückhielt.
»Ich sehe es, es ist ein Mädchen, oder ich müßte mich sehr irren,« sagte ein älterer Mann, mit dem Kopf an der Seite des Wagens unter dem aufgehobenen Leinen hervorsehend; »halt still, Robert, ich will aussteigen und sehen, was das zu bedeuten hat.«
Mit diesen Worten stieg der Mann über den vordern Sitz aus dem Wagen hervor, sprang in den staubigen Weg und ging durch die Büsche nach dem weißen Fleck hin, bis er verwundert vor Mathilden stand.
»Großer Gott, es ist wirklich ein junges Mädchen und dem Anzug nach eine Deutsche. Sie scheint krank zu sein, wie um aller Heiligen Willen ist sie hierher gekommen? Conrad, komm heraus aus dem Wagen, wir müssen sehen, ob wohl hier in der Nähe das Lager ihrer Freunde ist, von dem sie sich vielleicht verloren hat. Wir dürfen sie doch nicht hier allein liegen lassen,« rief der Mann seinem Sohn Conrad zu, der unter dem Wagentuch hervor nach ihm hinsah.
In wenigen Augenblicken sprang dieser, ein kräftiger Jüngling mit schweren braunen Locken und funkelnden blauen Augen, zu dem Vater hin, der sich zu Mathilden niedergebeugt hatte und sie durch Schütteln ihrer kleinen Hand, so wie durch Klopfen auf die Schultern zu wecken versuchte.
»Sie rührt sich nicht, sie ist krank, laß uns sie dorthin in den Schatten legen,« sagte der Mann, hob sie mit Hilfe seines Sohnes auf und trug sie unter einen andern Baum an einen Platz, wo die Sonne sie nicht treffen konnte.
»Wer mag sie sein?« fuhr der Mann fort, »sie muß zu den deutschen Emigranten gehören, vielleicht zu einer der vielen verunglückten Familien, die für den Verein in Neu-Braunfels bestimmt waren. Sie ist katholisch, wie wir, sieh hier das Kreuz mit dem Erlöser an dem Rosenkranz um ihren Nacken; mag er ihr gnädig sein! Wir wollen uns hier in der Gegend umsehen, ob wir keine Spur von den Ihrigen finden können.«
Dann rief der Alte nach dem Wagen hin:
»Auguste, komm lieber auch heraus und bleibe bei dem Mädchen, bis wir zurückkommen, bring' unsere Büchsen mit, ich gehe nicht gern mit leerer Hand.«
Ein Mädchen von siebenzehn Jahren, groß, stark, mit üppigem schwarzem Haar, dunkeln Augen und frischer Gesichtsfarbe, das Bild blühender Jugend, sprang jetzt aus dem Wagen hervor, nahm zwei Büchsen, die ihr Bruder Robert ihr hinreichte, in die Hände und eilte damit zu ihrem Vater.
»O, das arme Mädchen, wie elend sie aussieht, und doch wie schön! Ich hole ihr etwas frisches Wasser aus dem Bach, vielleicht erholt sie sich.«
»Thue das, mein Kind, und denke des barmherzigen Samariters in der heiligen Schrift. Es hätte Euch solches Schicksal auch treffen können, als wir uns rathlos und verlassen eine Heimath in diesem Lande suchten. Der Allmächtige ist uns aber gnädiger gewesen, als diesem armen Geschöpf. Komm, Conrad, laß uns gehen.«
Der Alte wandte sich dann noch nach dem Wagen um und rief seinem ältesten Sohne zu:
»Robert, fahre mit den Thieren in den Schatten, wir möchten wohl nicht gleich zurückkommen,« und ging dann, seine Büchse schulternd, mit Conrad, der ein Gleiches that, durch den Wald dem Bache zu.
»Wenn Leute hier in der Nähe lagern, so muß es an dem Bache sein, wir können nicht fehlen, sie dort zu finden,« bemerkte der Alte während des Gehens; »sicher ist das Mädchen in einem Fieberanfall den Ihrigen entlaufen.«
Ihre spähenden Blicke nach allen Richtungen hin durch den Wald sendend, erreichten die Beiden das Ufer des Baches und waren demselben wohl eine Viertelstunde lang gefolgt, als der Alte plötzlich stehen blieb und nach einem freien Platz unter den Bäumen hinzeigte.
»Dort haben Leute gelagert, sieh, die Wagenspur ist noch ganz frisch; hier hat das Zelt gestanden. Doch was ist das dort, das sieht ja aus wie ein Grab, obgleich kein Hügel darüber aufgeworfen ist, und dort noch eins. O, nun wird mir die Sache klar. Aber wer hat die Leute begraben?«
»Vielleicht ein mitleidiger Fuhrmann,« sagte Conrad nach den Gräbern hinblickend.
»Ein mitleidiger Fuhrmann hätte das arme Kind nicht zurückgelassen; ich fürchte, es ist hier Ungeheueres, Schreckliches geschehen!« sagte der Alte, in Gedanken vor sich hinblickend.
Nach einer Weile fuhr er fort:
»Laß uns der Wagenspur folgen, sie scheint nach unserer Straße zu führen; nach Victoria hin kann der Fuhrmann nicht gefahren sein, sonst wären wir ihm begegnet, und ist er auf dem Wege nach San Antonio, so holen wir ihn bald ein, denn er hat Ochsen vorgespannt. Jedenfalls wird es so sein, denn hier in der ganzen Gegend wohnt meines Wissens kein menschliches Wesen.«
Vater und Sohn folgten nun der Spur, die sie eine Viertelstunde weiter westlich von da, wo ihr Wagen hielt, auf die Straße führte, auf welcher sie in der Richtung nach San Antonio hinzeigte.
»Richtig, wie ich es mir dachte. Wir werden ihn bald eingeholt haben, und dann werden wir hören, was aus den Freunden des armen Mädchens geworden ist. Wir wollen schnell zum Wagen zurückgehen und eilen, daß wir die Leute einholen,« sagte der Alte, auf der sehr staubigen Straße hinschreitend, auf der keine einzelne Spur zu erkennen war.
Sie hatten bald ihr Ziel erreicht, fanden Mathilde jedoch, obgleich dem Anschein nach ruhiger, noch immer ohne Bewußtsein.
Die Unglückliche wurde nun von den menschenfreundlichen Leuten in den hintern Theil des Wagens gehoben, es wurde ihr von Maisblättern, die als Futter für die Maulthiere mitgeführt waren, ein Lager bereitet. Auguste setzte sich sorgsam neben sie, netzte ihre Lippen und Stirn von Zeit zu Zeit mit kühlem Wasser, und fort eilten die flüchtigen Maulthiere mit dem Wagen vor der dichten Staubwolke hin, die hinter dessen Rädern aufstieg.
Wir müssen nun den Leser zu der Zeit zurückführen, als Albert Werner mit froher Hoffnung und aller Willenskraft, den Seinigen rasche Hilfe zu bringen, sein Roß auf der Straße nach Neu-Braunfels hinlenkte.
Bald hatte er die sandige Strecke des Weges zurückgelassen, das Land bedeckte sich mehr und mehr mit üppigem Gras und buntfarbigen reizend schönen Blumen, es stiegen Striche Waldes und Baumgruppen vor ihm auf, und in gleichem Maaße, als die Natur mehr Reichthum, mehr Schönheit entfaltete, wurden seine Hoffnungen für die Zukunft der Seinigen größer und glühender.
Es hatte einen ungemeinen Reiz für ihn, manchmal halbe Tage lang kein Haus, keinen Menschen anzutreffen, er fühlte sich dann, wie er es so oft gewünscht hatte, in der Wildniß, und zu seinem Entzücken überraschte ihn eines Abends fern von irgend einer Niederlassung die Dunkelheit, so daß er sich sagen konnte, er sei genöthigt, die Nacht mit seinem Pferd allein in der Wüste zu campiren. Mit der Büchse im Arm, die Pistolen und das Jagdmesser zur Seite, schlief er auf seiner wollenen Decke mit dem Sattel unter dem Kopf bei einem kleinen Feuer, und er hätte gewünscht, daß nun auch ein feindlicher Indianer erschienen wäre, mit dem er hätte um seinen Scalp kämpfen können. Doch die Indianer waren fern von hier, und Albert mußte sich mit der Phantasie begnügen, mit der er in seiner Umgebung Baumstämme, Felsstücke und Büsche zu Wilden, Bären und Büffeln umschuf.
Wohl erinnerten ihn auf seinem Ritt neben der Straße aufgeworfene Gräber häufig an die Gefahren, in denen er die Seinigen zurückgelassen hatte, und trübten für Augenblicke seine heitere Stimmung; doch seine jugendliche Lebenskraft verscheuchte immer bald wieder die düstern Bilder, die sich ihm aufdrängen wollten, und ließ ihn die Sporen fester in die Seiten seines Rappen drücken, um schnell das Ziel seiner Reise und dort Hilfe für seine Familie zu erlangen.
Am fünften Abende seines Rittes stieg aus der üppig wogenden Prairie vor ihm der Riesenwald auf, der die Ufer der Guadelupe und des Comalflusses bedeckt, an der Stelle, wo diese beiden Gewässer sich vereinigen.
Die untergehende Sonne blitzte nur hier und dort durch den nicht sehr breiten Wald, als Albert das steile Ufer der Guadelupe erreichte und auf den ruhigen Wasserspiegel des Comalflusses blickte, der sich ihm gegenüber in diesen wild tobenden und schäumenden Strom ergoß.
Ueberrascht und staunend über die nie vorher gesehenen Naturschönheiten, die ihn hier umgaben, blickte er in stummer Anschauung versunken um sich. Wie Riesenpfeiler, über denen sich zweihundert Fuß hoch das saftige Laubdach wölbte, standen die ungeheuren Stämme der Cypressen, Eichen und Pekannußbäume um ihn her; zwischen den kolossalen Pflanzen, die den Boden bedeckten, stiegen Weinreben in der Stärke eines Mannsschenkels zu der luftigen grünen Kuppel auf und senkten sich, wie Tauwerk von den Masten eines Schiffes, wieder nach dem reichen Erdboden hinab, während ein fliegender Wald von hundertfältigen Schlinggewächsen an ihnen hinaufwucherte und seine zarten, mit buntglänzenden Blumen besetzten Ranken der leichten kühlenden Abendluft Preis gab. Unter diesem schützenden Laubgewölbe erhoben sich die immergrünen Myrthen und Lorbeerarten; mit ihren weißen Riesenblumen prangten die runden Häupter der dunkelgrünen Magnolien auf ihren glänzend silbergrauen mächtigen Stämmen; die stachelige Jucca hob ihren hohen, mit weißen Kelchen besetzten Blüthenstengel über sich empor, und in tausend Farben blinkten und glänzten Blumen in dem heimlichen Dunkel unter den Sträuchern, die den Wald undurchdringlich machten.
In dem tiefen Schatten dieses Urwalds stürzte sich die Guadelupe/brausend und tobend über ungeheure Felsblöcke hin, spritzte ihren Schaum um die Riesenwurzeln, die von den Ufern sich in sie hinabsenkten, und da, wo sich ihr kein Hinderniß in den Weg stellte, zeigte sie in ihrer krystallklaren Fluth auf ihrem tiefsten Grunde die lustigen Spiele der Fische, die trägen Bewegungen der Schildkröten und Alligatoren. Silberreiher mit ihrem schneeigen und luftigen Gefieder schwebten in gemessenem Flügelschlag über dem rauschenden Flusse, die Vögel des Waldes schwirrten bunt schillernd durch die dunkeln Laubmassen, und der glühend rothe Kardinal und der schlanke Spottvogel sangen ihr melancholisches Abendlied.
Albert, von der Majestät seiner Umgebung überwältigt, hatte hier eine lange Zeit in begeisterter Beschauung gehalten, als seine Blicke auf ein Fährboot fielen, welches am jenseitigen Ufer an der Landspitze lag, die durch das Zusammenströmen der beiden Flüsse gebildet wurde. Zugleich gewahrte er dort eine aus Brettern und Reisholz aufgeschlagene Hütte, die versteckt zwischen den mächtigen Baumstämmen und Ranken hervorsah, und vor der sich ein schmächtiger, blonder junger Mann, in weißem Leinenanzug und mit einem großen Strohhut bedeckt, auf eine Baumwurzel gesetzt hatte, von wo aus er betrachtend nach dem Reiter herübersah.
»Halloh! mein Herr, kann ich hier über den Fluß gefahren werden?« rief Albert jenem Manne zu.
»Heute nicht, mein Herr, mein Boot ist nicht in Ordnung. Etwas weiter am Flusse hinunter finden Sie aber eine Furth, dort müssen Sie durchreiten, wenn Sie nach Neu-Braunfels wollen. Nehmen Sie Sich jedoch in Acht, die Steine, die dort liegen, sind glatt wie Seife, und der Strom ist rasend. Reiten Sie zurück zur Prairie und folgen Sie dem Waldsaum bis zur ersten Straße, die führt Sie nach der Furth!« antwortete der junge deutsche Fährmann, der seinem Benehmen und seiner Sprache nach in seiner alten Heimath eine andere Stellung im Leben eingenommen haben mochte und damals wohl manchen Fährmann über die Achsel angesehen hatte. Die bezeichnete Furth wurde von Albert bald erreicht, doch war der hier viel seichtere Strom so reißend und stürzte sich brausend mit so gewaltigem Wellenschlag über die glatten, schneeweißen Felsstücke hin, daß der junge Reiter zögernd den Rappen einen Augenblick zurückhielt, um zu überlegen, ob weiter oben oder unten wohl die beste Stelle zum Durchreiten sei.
Aber furchtlos und kurz entschlossen, wie er es überhaupt war, sprach er dann seinem Rappen kräftig zu und ritt in die Fluth hinein, die dem Roß bis an den Bauch reichte und sich mit solcher Gewalt gegen dasselbe warf, daß es unruhig ward, sich bäumte, auf dem glatten Gestein strauchelte und zusammenzustürzen drohte. Doch Albert zäumte das Pferd auf, stach ihm die Sporen in die Flanken, und mit allem Kraftaufwand gegen den gewaltigen Strom ankämpfend, trug es seinen Reiter glücklich an das andere Ufer.
Der Fahrweg führte Albert durch den schmalen Wald zu einem weiten Thal, welches im Norden von dem Comalfluß und dem ihn überschattenden Urwald begrenzt wurde, an dessen westlicher Seite die Guadelupegebirge sich erhoben, über welchen die letzten Sonnenstrahlen blitzten, und an dessen Südseite sich die üppige Prairie, die das Thal bedeckte, an einem steilen Rücken hinzog.
Eine heilige Ruhe lag auf der Gegend, die beim Verschwinden der Sonne jener Purpurduft färbte, der die südlichen Landschaften so sehr von denen des kalten grauen Nordens unterscheidet. Der westliche Theil des durchsichtig klaren Himmels glühte in Gold und Carmin und zeigte Albert's Blicken auf dem Rücken der Prairie in dunklen scharfen Umrissen die Vereinsgebäude oder, wie sie auch genannt wurden, Sophienburg, während vor ihm am Ende des Thales die junge Stadt Neu-Braunfels lag, aus der die hölzerne Kirche über den kleinen Blockhäusern, Hütten und Zelten schwerfällig hervorragte. Mit hochschlagendem Herzen begrüßte er das Ziel seiner Reise, den Ort, wo ihm nach den von ihm gehegten Hoffnungen schnelle Hilfe für die Seinigen werden sollte, in dessen reizender paradiesischer Umgebung er nun bald mit ihnen die unsäglichen Beschwerden und Leiden, die sie betroffen hatten, zu vergessen gedachte.
Der Weg bis zur Stadt war nur kurz für den raschen Lauf seines braven Pferdes. Er hatte bald die ersten Häuser erreicht, zog in der langen staubigen Straße hinauf bis zu dem Platz, auf dem die Kirche stand, und hielt dort sein Pferd vor einem Bretterhause an, um die Leute, die unter dessen Veranda saßen, zu fragen, wo das beste Gasthaus sei. Freundlich wurde er von ihnen nach einem gleichfalls von Brettern erbauten, jedoch geräumigen Haus beschieden, in welchem der Graf H. v. D. die Wirtschaft hielt. Dieser, ein anständiger, eleganter und liebenswürdiger junger Mann, empfing ihn freundlich unter der Veranda, ordnete sogleich an, daß sein Pferd nach dem Stalle geleitet werde, und führte ihn dann durch die neugierige Menge, die sich auf der Gallerie befand, in das Gastzimmer, welches im buntesten Gemisch mit Gästen angefüllt war.
»Herr H.,« sagte Albert zu dem Wirthe, nachdem er die Satteltasche von seinem Arm genommen und in die Ecke des Zimmers auf den Fußboden gelegt hatte, »ich muß Sie um Ihre Meinung bitten, ob ich es wohl wagen darf, mich noch heute Abend bei der Direction des Vereins zu melden? Es ist mir jede Minute für den Zweck meines Hierseins kostbar.«
»Ei ja, das könnten Sie freilich thun, doch werden Sie schwerlich zu dieser Stunde die Beamten dort oben treffen; das Comptoir ist geschlossen, und das Abendessen, zu dem sich mehrere derselben in dem Vereinsgebäude einfinden, wird erst später genossen. Was haben Sie denn so Eiliges dort zu thun?« fragte der freundliche Wirth.
»Meine Familie liegt schon seit längerer Zeit in Indian Point und wartet auf die Wagen, die sie herausschaffen sollen. Sie ist in der größten Gefahr, denn es herrscht dort im Lager eine Epidemie, die furchtbar unter den Emigranten wüthet. Ich komme deshalb selbst, um die Wagen zu holen.«
»Ja, ja, Wagen, da kommen Sie vergebens; der Verein besitzt gar keine Wagen, also kann er auch keine absenden. Den Ritt hätten Sie sich sparen können.«
»Er hat ja aber doch die Verbindlichkeit eingegangen, die Emigranten gleich nach ihrer Ankunft von der Küste fort in das Land zu schaffen.«
»Umstände verändern die Sache, wäre der Krieg mit Mexico nicht ausgebrochen, so würde der Verein im Lande genug Wagen haben erhalten können, um dieser Verbindlichkeit nachzukommen, so aber hat das Gouvernement sie alle nach dem Rio Grande gezogen. Das konnte der Verein unmöglich voraussehen,« sagte der Wirth.
Mehrere der Gäste, die dem Gespräch zugehört hatten, waren herzugetreten, von denen Einer zu Albert sagte:
»Verein, Verbindlichkeiten? da kommen Sie bei den Herren schön an. Nichts hat man uns gehalten und goldene Berge versprochen.«
»Nichts hat Ihnen der Verein versprochen, Herr Mades,« sagte der Wirth ärgerlich zu ihm. »Sie sind auf Ihre eigne Rechnung herübergekommen, und als Sie Nichts mehr zu leben hatten, haben Sie sich an den Verein angeschlossen, der Ihnen hier einen Bauplatz gegeben und Sie nun beinahe ein Jahr für Nichts und wieder Nichts ernährt hat. Sie sollten der Letzte sein, der auf den Verein schimpft.«
Doch der Wirth wurde von den anwesenden Gästen, die sich jetzt in großer Anzahl herzudrängten, so überstimmt, und die Schimpfreden gegen den Verein wurden so laut und stürmisch, daß Jener Albert bei der Hand nahm und ihn mit sich in das Nebenzimmer zog. »Kommen Sie herein,« sagte er, »mit den Leuten ist gar nicht verständig zu reden, und wenn der Verein ihnen Gott weiß was gäbe, so würden sie ihn doch unter die Füße zu treten suchen. Daß große Fehler und Irrthümer begangen sind, ist nicht zu leugnen, doch lag die Schuld hiervon an den hiesigen Beamten; der Verein hat stets und immerfort den besten Willen bethätigt und Geld genug gegeben, wenn es nur richtig angewendet worden wäre.«
»An wen von der Direction wende ich mich denn, ich will doch jedenfalls einen Versuch machen, vielleicht bestimme ich die Herrn dennoch, Etwas für die Meinigen zu thun,« sagte Albert zu dem Grafen.
»Versuchen können Sie es ja, obgleich es Ihnen Nichts helfen wird. Den General-Director treffen Sie jedoch nicht an, der hat sich schon seit geraumer Zeit von hier entfernt und lebt, wie ich höre, von Geschäften zurückgezogen auf der Plantage Nassau, zwischen hier und Houston, welche Eigenthum des Vereins ist. Während seiner Abwesenheit hat einer der Beamten, der Herr Lieutenant von C., die Direction übernommen, in welchem Sie einen tüchtigen und liebenswürdigen Mann kennen lernen werden, der gern das Interesse des Vereins sowohl, als das der Emigranten fördern würde, wenn er die Mittel dazu hätte.«
Während der Wirth sich noch mit Albert unterhielt, wurde das Getöse und Toben in dem Gastzimmer immer lauter, und man hörte unter den unglimpflichsten Schmähungen immer wieder den Verein nennen. Doch plötzlich nahm der Lärm den ernstlichen Charakter eines Wortwechsels an, worauf der Wirth die Thür des Gastzimmers öffnete, um zu sehen, was es dort gäbe.
Der Zwist war zwischen einem Amerikanischen Farmer aus der Umgegend, einem riesig großen schweren Manne, und einem Deutschen, der in seiner Heimath dem Militairstande angehört hatte, hier aber als Feldmesser aufgetreten war, entstanden, indem der gutmüthige Herkules die Partei des Vereins nahm, der Feldmesser sich aber in den rücksichtslosesten Aeußerungen gegen denselben aussprach.
Der Pflanzer Pierce, so war sein Name, war von Anfang des Entstehens dieser Kolonie oft mit der Direction in Verkehr getreten, hatte Fuhren für sie gethan, Lieferungen von Provisionen, geschnittenem Holz und Vieh übernommen und immer dabei einen hübschen Nutzen erzielt, weshalb er sich dem Verein dankbar verpflichtet fühlte und unangenehm berührt wurde, wenn er solche Lästerreden gegen denselben schleudern hörte.
Obgleich nun das Gastzimmer beinahe nur mit Meinungsgenossen jener Unzufriedenen angefüllt war, so scheute er sich doch im Gefühl seiner Kraft nicht, seine Meinung zu Gunsten des Vereins und zwar laut und deutlich auszusprechen, doch that er dieses mit gemüthlicher Ruhe und Offenheit.
Brühl, der Feldmesser, der mit seinen Schimpfreden den Ton angegeben hatte, fühlte sich durch den Widerspruch des Amerikaners beleidigt, und obgleich in Statur und Kräften dem Pflanzer sehr untergeordnet, schwur er bei Ehre und Taille, Genugthuung an dem Landsohne nehmen zu wollen.
Er war ein noch junger, kleiner schmächtiger Mann, auf dessen Gesichtszügen ein früheres lustiges Leben seine Merkmale hinterlassen hatte, war mit einem sehr langen Schnurrbart geziert und wegen gänzlicher Haarlosigkeit seines Kopfes genöthigt, eine Perücke zu tragen.
Während der Wertstreit immer heftiger wurde, rückte der Feldmesser dem Farmer mehr und mehr auf den Leib, focht ihm mit den Händen immer näher vor dem Gesicht herum und hielt ihm zuletzt die geballte Faust mit den Worten:
»Verdammt, Du Ochse!« unter die Nase.
Pierce fing laut an zu lachen und sagte dann: »Du thust besser, Etwas weiter von mir weg zu bleiben, Du Federfuchser; ich möchte einmal husten, und dann würdest Du Deine Knochen an jener Wand zerbrechen.«
Dabei lehnte er sich gemüthlich mit dem Stuhl zurück gegen den Kamin und schlug seine kolossalen Beine übereinander.
Das Zimmer hatte sich noch mehr mit Neugierigen gefüllt, und ein schallendes Gelächter brach bei den Worten des Pflanzers in der versammelten Menge aus.
»Lump, Du bist ein Großmaul!« schrie der wuthentbrannte Feldmesser, drang von Neuem auf den Pflanzer ein und stieß ihn mit der Faust auf die Brust.
»Ist es so gemeint?« sagte jetzt der Herkules, sich von seinem Stuhl erhebend; »warte Kröte, ich will nur meinen Rock ausziehen, der ist mehr werth, als Du, und Du möchtest ihn mir beschmutzen.«
Er hatte seinen ungeheuern Arm bald aus dem Rock herausgezogen, diesen auf den Stuhl geworfen und trat nun Brühl in der Mitte des Zimmers entgegen, der, zu einem neuen Angriff vorbereitet und ohne seines Gegners Annäherung abzuwarten, mit geballten Fäusten auf ihn zusprang.
Der Landsohn aber holte mit seiner gewaltigen Rechten weit nach hinten aus und stieß sie dann mit solcher Kraft nach dem Haupt des Feldmessers, daß er einen Ochsen unfehlbar mit dem Stoß zu Boden geworfen haben würde, hätte er ihn vor den Kopf getroffen. Brühl aber entging durch zeitiges Bücken der furchtbaren Faust seines Gegners, der in seinem gewichtigen Anlauf bei ihm vorüber unter die Zuschauer stürzte, nicht bemerkend, daß er mit dem Stoß seinen Widersacher des Haupthaars beraubt hatte, und die Perrücke vor ihm hin durch die Menge flog.
Einem Erdbeben gleich dröhnte jetzt das Haus unter rasendem Gelächter, Trommeln mit den Füßen und wildem Hurrahrufen. Kaum hatte sich der Pflanzer in seinem Lauf aufgehalten und umgekehrt, als der Feldmesser mit gänzlich entblößtem Haupte in verzweifelter Wuth auf ihn eindrang, um diesen Schimpf auf Tod und Leben an dem Amerikaner zu rächen.
Doch dieser, der nie in seinem Leben von einer Perrücke gehört, noch weniger eine solche mit eignen Augen gesehen hatte, erkannte seinen Gegner nicht wieder, hielt ihn für einen ganz alten Mann und wehrte ihn lachend und mit gutmüthigen Worten von sich ab, indem er rief:
»Gehen Sie weg, alter Herr, seien Sie vernünftig, was wollen Sie von mir? Halten Sie doch Ihre Hände zurück, ich möchte Ihnen wehe thun! Wenn Sie nun keine Vernunft annehmen wollen, so muß ich Ihnen die Arme binden. Sind Sie verrückt geworden? Ich habe ja keinen Streit mit Ihnen. Der Federfuchser hat sich aus dem Staube gemacht.«
Brühl jedoch, nur noch mehr durch diese Behandlung gereizt, drang immer rasender auf den Farmer ein und suchte ihn mit seinen Fäusten zu erreichen.
Plötzlich aber setzte einer der Zuschauer dem barhäuptigen Kämpfer die Perrücke auf den Kopf, Pierce, wie von einem Zauber berührt, fuhr, nach ihm hinstierend, zurück und brach, sich in einen Armstuhl werfend, in ein erschütterndes Gelächter aus.
»Scalpirt, scalpirt! nicht für den besten Gaul in meinem Stalle möchte ich diesen Spaß missen!« schrie er ein über das andere Mal und wies, hellauflachend und sich mit den Händen den Leib haltend, den fortwährend angreifenden Gegner mit den aufgehobenen Füßen zurück.
Dieser wurde jetzt aber von seinen Freunden umringt und mit guten Worten und Gewalt aus dem Zimmer geführt, während der Pflanzer noch ununterbrochen durch sein Riesengelächter das Haus erdröhnen ließ.
Albert hatte beschlossen, seinen Besuch bei der Direction des Vereins für den nächsten Morgen aufzuschieben, hatte zeitig sein Abendbrod genossen und begab sich, da er von der Reise sehr ermüdet war, früh zur Ruhe.
In dem Gastzimmer aber tobte es fort bis spät in die Nacht hinein, und wenn man nach den vielen, mitunter theuern Getränken, die dort vertilgt wurden, hätte urtheilen wollen, so mußten es hier gute Zeiten sein.