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Graf Karl verlobt sich mit der Gräfin Dolores
Am andern Morgen wurde alles fest unter ihnen besprochen, sie verstanden einander, daß sie verlobt wären und wußten nicht wie; er hatte keinen Ring bei sich, sonst wäre auch diese Förmlichkeit beobachtet worden, von der Universität wollte er einen zierlichen Goldring senden, er nahm das Maß an ihrem schönen Finger mit einem seiner Haare. Klelia trat darauf ein; der Graf faßte eine ungemeine Achtung gegen sie bei ihrem ersten Anblicke: die Höhe ihrer Gestalt und Stirne, ihr feiner Mund, ihr klares Auge geboten jedem Achtung; sie nahte sich ihm vertraulich, tadelte zwar die große Eile in der Verbindung mit ihrer Schwester, aber so wohlwollend, daß beide sie dafür küssen mußten. Der Graf, dem noch von Jugend an eine gewisse allegorische Mythologie anhing, glaubte in ihr die Freundschaft zu entdecken, wie er in der Schwester die Liebe gefunden; gewiß war es, so wenig sie sich vordrängte, so milde schützte ihr reicher ernster Geist die beiden Liebenden gegen den langweiligen Überdruß, der den zurückhaltenden Brautstand bei allen Äußerungen von Glück in manchen Stunden doch ganz fatal macht. Wir wollen uns nun einige Wochen denken, wie wir sie entweder selbst erlebt, oder aus dem Berichte glücklicher Seelen, oder aus Büchern kennen gelernt, von Liebe umwunden, von der wohlwollenden Freundschaft der guten Klelia belebt, die mit Muttersorgfalt sie beide bewachte und sich an ihnen erfreute und den Grafen vor allen Männern ehrte und bewunderte. Dolores glaubte, daß sie den Grafen liebe, alle ihre Hoffnungen waren ja auf ihn gesetzt, auch war es unvermeidlich, daß er nicht bei näherer Bekanntschaft gewonnen hätte; seine Liebe zu ihr konnte sich nicht mehren und nicht mindern, es war Liebe, und so brachte er unbemerkt die ganzen Ferien in dem geliebten Kreise der guten Stadt zu, die ihm sein eigentliches Vaterland zu sein schien; die ferne Schweiz mit ihren Wasserfällen, Eismeeren, heiligen Freiheitstempeln und unsterblichen Schlachtfeldern lag ihm außer seiner Welt. Zuweilen warf er es sich vor, daß er die ganzen Tage bei den Mädchen mit Nichtstun zubringe, auch fürchtete er ihnen überflüssig zu werden, aber dann baten sie ihn jeden Abend, daß er am Morgen doch ja recht früh wiederkommen möchte; bald wollten sie eine Stunde auf der Gitarre, bald im Spanischen bei ihm nehmen. Die sorgfältige Erziehung seiner Mutter hatte alle Fertigkeiten und Kenntnisse der gebildetsten Stände in ihm gesammelt; durch das Vergnügen dies Erlernte so schönen Wesen mitzuteilen, erhielt es in ihm selbst eine schönere Gestalt und Anordnung, er lernte seinen Vorrat kennen und brauchen, er gewann vielleicht eben so viel durch seine Liebschaft, als andre Studenten durch ihre Liebeleien verlieren. Klelia gab ihm den Mut ohne Scheu religiös zu sein, den er unter bornierten Bigotten und bei frechen Spöttern verloren, er wagte es ohne Scheu seinen Glauben an Geheimnisse des höheren Lebens und an deren sinnliche Offenbarung zu bekennen; er wußte, daß sie ihn verstand und würdigte, das merkte er aber auch, daß diese Gesinnungen seiner Dolores abschreckend waren. Seine Betrachtung darüber glich diesen Unterschied bald aus, er meinte es die höchste Unschuld, Gott und die Welt, alles in sich zu fühlen und zu ehren, ohne es von sich zu trennen – so leicht weiß sich ein Liebender von dem zu überreden, was er nicht anders wissen will. Die Beendigung ihres Bildes, das er immer neu anfing und nie zu seiner völligen Befriedigung enden konnte, da sie ihr Gesicht, um noch schöner, noch lebhafter zu erscheinen, ganz unnütz bewegte und veränderte, hielt ihn noch über seine Ferienzeit in der Stadt zurück; es waren so schöne Stunden, wo er ihr so oft in die Augen sah. Auch sie unternahm es ihn zu zeichnen, aber die Geduld fehlte ihr, es wurde eine Karikatur. Um ihren Fehler zu verstecken, hatte sie nämlich allmählig alles übertrieben; er wunderte sich über sich selbst, daß er so aussehe in ihren Augen, wir aber müssen bekennen, daß wir jungen Mädchen, die Karikaturen zu zeichnen geneigt sind, einen Hexenprozeß machen würden, es geht nicht mit rechten Dingen zu und ist uns in der innersten Seele verhaßt; was kann denn ein Mädchen noch menschlich erhalten, wenn ihr die menschliche Schönheit nicht einmal heilig ist, die überall selten, nun noch durch den unauslöschlichen Eindruck echter Zerrbilder, bei jeder Wiederbegegnung des mißhandelten Unglücklichen, aus den letzten Schlupfwinkeln immer mehr verschwindet. Bald trägt er vor unsre Einbildungskraft wirklich alle die erschrecklichen Ecken und Verdrehungen – bei Gott, nur ein verzweifelnder Politiker, der das Wohl des ganzen Staats in Gefahr sieht, darf so frech das Ebenbild Gottes im einzelnen Menschen verhunzen, als wir solches in England sehen. Klelia sagte der Dolores das oft, wenn sie ihr so allerlei unschuldige Leute, die ihr irgendwo begegnet, vorlegte; diese aber meinte, man dürfe das nicht so ernsthaft nehmen und es erkenne doch jeder den Scherz.
Inzwischen war in der innern Haushaltung des Schlosses einige Veränderung durch die Freigebigkeit des Grafen hervorgebracht. Er hatte sich, nicht ohne weitläufige Überlegung und Abwägung verschiedener anderer Gelegenheiten die beiden armen schönen Kinder zu unterstützen, endlich eines Abends mit niedergeschlagenen Augen an seinen Wirt gewendet – der ihm die erste Bekanntschaft im Schlosse erworben, ihm auch die drückende Armut dort beschrieben hatte – und ihm bei unverbrüchlicher Verschwiegenheit zwei Dritteile seines Reisegeldes eingehändigt, sie den Gräfinnen als eine heimliche alte Schuld, die ihr Vater in seinen Büchern einzutragen vergessen, ohne Nennung des Schuldners zu übermachen. Der Wirt übernahm den Auftrag sehr gern, aber er schenkte nach seiner Art reinen Wein ein, auch hätte es allzu unnatürlich ihm gelassen, wenn er, der dringendste aller Schuldner, dieses Geld, das offenbar der Masse anheim fiel, den Kindern überliefert hätte. Klelia entschied durchaus, daß sie dies Geld nicht annehmen könnten; es sei erniedrigend, von einem jungen Manne, der wahrscheinlich selbst keinen Überfluß großer Reichtümer besitze, eine so bedeutende Summe anzunehmen, es könne ihn zum Schuldenmachen verleiten; überhaupt verstimme es das gute Verhältnis, in welchem sie bisher mit ihm gestanden. Dolores warf ihr einen falschen Hochmut vor, sie möchte denken, wie sie noch am Morgen in ihrem Bette um eine Unterstützung gebetet, daß sie ohne Schande vor der Welt und vor den Augen ihres Freundes bestehen könnten; das Fasten müsse auch endlich ihrer Gesundheit schaden, das beweise schon die krampfhafte Ohnmacht, in die sie neulich verfallen; genug, sie nehme das Geld zu ihrem Besten an, sie wolle als Schwester für sie sorgen, – und somit nahm sie den Geldbeutel und der Wirt, der sich eine Freude gedacht hatte, um an die Decke zu springen, schüttelte den Kopf und ging und dachte in sich: mit armer Leute Hochmut wischt sich der Teufel den Mund.
Klelia ehrte die gute Absicht in ihrer Schwester, ob ihr gleich die ganze Sache nicht recht schien; wie sehr verwunderte sie sich aber, als sie bald den größten Teil der Summe von ihrer Schwester für allerlei Putz ausgegeben sah. Sie erinnerte, aber Dolores wurde böse, sie möchte bedenken, daß des Grafen Liebe zu ihr diese Summe ins Haus geführt, darum wolle sie auch ihm zur Liebe sie verwenden; Klelia erinnerte umsonst, so wäre es doch besser ihn zu bewirten, ihm selbst den Aufenthalt in der Stadt weniger kostspielig zu machen, wenn sie es für ihn verwenden wolle. Aber Dolores meinte, sie könnten es doch nicht standesgemäß einrichten, dazu fehle ihnen Gerät und Dienerschaft und sie ließ sich überhaupt nicht viel einreden, wo sie etwas beschlossen hatte. Sie schmückte sich und die Zimmer, dann auch die Schwester, schaffte auch mancherlei Leckereien, denen sie lange hatte entsagen müssen; ihr gewöhnliches Leben aber ging in voriger Kärglichkeit fort. Der Graf glaubte seine List glücklich ausgeführt, Dolores begrüßte ihn wie sonst ganz unbefangen, nur Klelie war etwas verlegen; er dachte in sich, sollte das wohl Stolz sein, nun sie für einige Zeit in bessere Umstände gekommen, wohl hat mich die Mutter oft vor dem Stolze frommer Menschen gewarnt, ich muß sie selbst bei Gelegenheit davor warnen. Es sei uns hier vergönnt die Jugend ernstlich gegen Menschen voll böser Erfahrung zu verwarnen, damit sie selbst Erfahrungen macht, statt sich jede Lebensaussicht durch gefärbte Gläser zu entstellen; fürchte jeden, der sich so zum Mittelpunkte der ganzen Welt macht, daß er zu sagen wagt, so sind die Weiber, so sind die Männer in Tugenden, in Lastern, weil der kleine Kreis seines Lebens sie ihm öfter so dargestellt hat; die Beobachtung, die in ihm erloschen und ausgestorben, sieht durch die Fügung seiner Kristallinse, die das Unglück verknöchert hat, die ewig fortstrebende, durch alle Geschlechter sich fortbildende Welt in Winkel und Abschnitte geteilt; ehre und höre ihn, es wird dich weiser machen und aufmerksamer, aber beobachte überall erst selbst; denn dasselbe kommt nie wieder in der Welt, nicht in Tugenden, nicht in Lastern, jener steht im Traume über der Welt und ist tief unter ihr und baut sich sein Grab; du aber, liebe Jugend, sollst wachen und schaffen und dir ein Haus bauen aus Rosen und es mit Lilien decken, so lange dir Rosen und Lilien blühen.