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»Die frohe Mittheilung, mein Richard, daß jener väterliche Freund unseren Herzensbund segnen und mich als Tochter an sein Herz drücken will, vermag ich durch eine ebenso fröhliche Nachricht Dir zu vergelten. Wisse denn, daß Toby wieder bei mir ist, der seit meinem Besuch im Paulinum auf so unerklärliche Art und Weise uns abhanden gekommen. Er hat mir eine umständliche Schilderung seiner seltsamen Erlebnisse gemacht.
Ein ihm gänzlich Unbekannter hatte ihn an jenem Morgen angeredet, da er, meiner Rückkehr wartend, vor dem Paulinum stand und ihn gefragt: ob er nicht Lust habe, mit ihm zu einem gewissen Mann zu gehen (Toby hat leider den Namen nicht genau gehört), der ihm Auskunft geben könne über das Schicksal des geraubten Kindes, das seine Sennora so sehr interessire. Du weißt, daß der schlaue Toby völlig eingeweiht war in Alles und mit unermüdlicher Anstrengung bereits seit vielen Tagen den Spuren der Verlornen insgeheim folgte.
Hocherfreut über die Anerbietung des Fremden willigte er ein, ihm zu folgen, nachdem dieser ihn wegen meiner beruhigt, da er vorgab, ich wisse um Alles und ließe Toby sogar befehlen, ihm, dem Fremden, zu folgen. Als Beide in die Stadt kamen, führt der Fremde meinen Diener in die dunklen Labyrinthe der Altstadt. Auf einem abgelegenen Gang steht eine alte Baracke. Dort treten sie ein. Auf einer Leiter klettern sie zu dem oberen Bodenraum hinauf. Da sollte derjenige wohnen, der um Meta's Schicksal sicherlich wisse.
Sie kommen in ein Zimmer, das sehr hübsch meublirt ist. Der Herr des Hauses scheint indeß nicht anwesend. Der Fremde öffnet ein Nebencabinet. Toby muß ihm dahin folgen. Als dieser arglos und vertrauensvoll eingetreten, springt jener Mensch zurück, der Boden senkt sich unter Toby und er sieht sich in einen dunklen Raum eingesperrt. Hoch über ihm schlägt der Fremde hohnlachend die Thür des Kabinets zu.
Es vergehen mehrere qualvolle Stunden. Endlich hebt sich der Boden. Toby hört über sich schwere Tritte, eine Fallthür schiebt sich auf und der Fußboden, auf dem er lag, tritt ein in die leere Stelle. Er sieht sich wiederum in dem kleinen Nebencabinete, – der Fremde, der ihn dorthin gelockt, steht vor ihm. Wüthend springt Toby auf den Elenden los und als dieser die kunstvolle Versenkung durch einen Drücker dicht neben der Thür auf's Neue dirigiren will, bleibt Toby, der die verhängnißvolle Fläche zum Glück verlassen hat, dicht neben dem schwarzgähnenden Abgrund stehen. Der Fremde will ihn hinabstürzen, aber Toby überwältigt ihn. Heulend stürzt der Elende in die Tiefe.
Toby entflieht! Als er die Thür zuschließt, schiebt sich die Fallthür zu. Die Thür des vorderen Zimmers ist verschlossen, aber er findet in dem Zimmer Geräthe, mit deren Hülfe er sie leise öffnet. Als er sich auf der Leiter in den unteren Raum zurückbegeben, rasselt's an der Thür. Der Hausherr ist's. Toby verbirgt sich. Jener entdeckt, wie es scheint, bald was geschehen. Er sucht den Entflohenen und nur seiner List und Behendigkeit dankt dieser die glücklich bewerkstelligte Flucht aus jenem Hause. Ueber Fenstermauern, durch Gänge und Winkelgassen gelangt er ins Freie.
Ein Tumult hält ihn auf. Er hört, daß der Zusammenlauf einem Kinde gilt. Meta's Name wird genannt. Der öffentlichen Annonce und Preisversprechung wird mehrfach gedacht. Er schleicht näher, um noch Mehreres auszuhorchen. Man stürmt in's Haus, in dem man die Arme verborgen glaubt. Die Polizei mischt sich ein. Sie findet jedoch nicht die geringste Spur von dem Mädchen.
Toby hat sich mit der Patrouille heimlich eingeschlichen. Niemand bemerkt ihn, der stets im dunkelsten Schatten dahinschleicht. So kommt er in den Garten. Er sieht in der Ferne einen Mann mit einem Mädchen auf den Armen entfliehen. Die Figur scheint ihm bekannt: es ist die des Mannes, bei dem er eingesperrt gewesen und der ihn unter schrecklichen Flüchen eine Zeit lang verfolgte, da er schon das Freie gewonnen. Eine Thür, die Jener hastig hinter sich verschließt, verhindert die Verfolgung. Toby klettert auf einen Baum und sieht den Mann mit der Geraubten in dasselbe Haus eintreten, welches er vor einer Stunde verlassen hat.
Gegen Morgen kam er auf's äußerste erschöpft nach Hause. Wenn nicht Alles täuscht, ist die Vermißte glücklich gefunden und es gilt nur, mit polizeilicher Hilfe den Schurken aufzuheben, der sich in seinem Verstecke ganz gesichert hält!«
»Dem Himmel sei gedankt!« rief Richard freudig aus, nachdem Gabriele diesen Bericht beendet. Wo ist Toby?«
Ein Klingelzeichen rief den Schwarzen herbei.
»Wirst Du jenes Haus wieder auffinden können, in dem Du eingesperrt warst?« fragte der Maler, da Jener eintrat.
»Gewiß!« gab Toby zur Antwort. »Toby verliert keine Fährte, auf der Toby einmal gespürt. Massa können gewiß sein!«
»Gleich jetzt eilen wir zu dem Elenden,« rief Richard mit schnellem Entschluß. »Das Resultat unserer Bemühungen verkündige ich Dir bei dem Eremiten. Dorthin folge ich Dir mit Toby, sobald unser Geschäft bei jenem Schurken beendet und hoffentlich begleitet uns dann die kleine Meta!«
Gabriele hob die Hände in stillem Gebet empor. Eine große Thräne löste sich aus den seidenen Wimpern und floß leis hernieder über die bleiche Wange.
»Aber jetzt – jetzt soll ich fort,« sagte sie, »da das Schicksal des Kindes sich entscheidet? O Richard – ich kann es nicht! Ich begleite Euch!«
»Nimmermehr! Du mußt Dich bekämpfen. Bei meinem Freunde wird diese bange Stunde schnell Dir vergehen und die Qualen erleichtern, die das Herz der Einsamen martern würden!… Schon meldet sich Dein Wagen! Auf ein glückliches Wiedersehen!«
Er drückte einen warmen Kuß auf ihre brennende Stirn. Man sah es ihrem leidenden Gesichte an, wie schwer es ihr ward, diesen Rath des Geliebten zu befolgen – dennoch gehorchte sie. Er selbst führte sie zum Wagen und gab dem Kutscher das Ziel der Fahrt an. Das einsame Waldschloß des Master Jefferson schien dem Manne gänzlich unbekannt. Eine genaue Beschreibung des Weges schien doppelt nöthig.
Endlich rollte der Wagen davon. Gabriele lehnte sich zurück in die Kissen und bedeckte das weinende Gesicht mit dem Tuche.
»Nun gilt es Toby,« wandte sich Richard an den treuen Diener, »nun gilt es zu zeigen, wie schwer die Treue und Ergebenheit für deine Herrin wiegt.«
»O Toby sehr treu, sehr ergeben! Gehe durch Feuer und Wasser für Herrin gute.«
»Hast Du das Mädchen genau betrachten können, welches jener Mann davontrug?«
»Genau! Hatte gelbes Haar, so lang, so lang – Augen waren zu – Körper schmächtig nur – Gesicht blaß wie Wand.«
Dies sehr allgemein gefaßte Signalement konnte allerdings auf viele Mädchen von Meta's Alter passen. »Trug sie um den Hals ein schwarzes Sammetband mit einem Kreuz?«
»Schwarzes Band? Ja, ja – Kreuz hat Toby nicht gesehen.«
Genauere Zeichen waren nicht zu ermitteln.
»Folge mir!« rief der Maler nach kurzem Nachsinnen.
Sie gingen. Vor einem großen Gebäude mußte Toby warten. Zwei Schildwachen standen vor dem hohen Portal. Nach einer halben Stunde kehrte der Maler zurück. Zwei Herren begleiteten ihn. Sie trugen bürgerliche Kleidung, ihre Haltung hatte etwas Militärisches. Man nahm einen Wagen. Toby mußte sich zu dem Kutscher setzen, der der Weisung des Schwarzen folgend, sein Gespann in die verwickeltsten Strassenlabyrinthe der Altstadt lenkte. Dort hielt er an. Alle vier stiegen aus. Das zerfallene Haus war bald gefunden, durch welches man in den abgelegenen Gang kam, in welchem Fischering wohnte.
Die geheimen Polizisten, die Richard begleiteten, schienen hier bekannt. Einer derselben zog das alte Weib zur Seite, das ihnen öffnete. Nachdem er kurze Zeit sehr eindringlich und drohend mit ihr gesprochen, trat er zu den Anderen zurück.
»Es gibt einen Gang, der hinter den Baracken entlang führt,« sagte er, »die Alte führt uns durch denselben und wir gelangen so an die Hinterseite des Schuppens. Der Fischering ist im Hause. Er hat gestern und heute Milch gekauft, die er selbst niemals noch getrunken. Das wäre ein Anhalt für Ihre Vermuthung, Herr Calamos! Sicherlich ist das Mädchen noch da. Gehen wir!«
Das alte Weib führte die Herren mit kriechender Freundlichkeit zu dem schmalen Gang. Als sie das Ende desselben erreichten, standen sie der hinteren Fronte der Wohnung Fischerings gerade gegenüber. Dorthinaus führte kein Fenster. Das Weib mußte auf den Befehl des Polizisten dort zurückbleiben. Vielleicht traute er der Alten nicht, deren confiscirte Galgenphysiognomie jeden Verdacht allerdings von vornherein rechtfertigte. Toby blieb ihr zur Seite.
»Sie sind dem Manne bekannt,« flüsterte der Polizist, »und dürfen darum nicht sichtbar werden. Nehmen Sie diese Pistole. Sowie sich etwas Verdächtiges zeigt, machen Sie Gebrauch von Ihrer Waffe. Es wäre möglich, daß der Schurke sich bei einem Fluchtversuch hieher wendet. Behalten Sie das Terrain wohl im Auge. Nur wenn aus dem Innern des Hauses meine Pfeife um Hülfe ruft, verlassen Sie diesen Standort … Sie sagten, das Haus habe keinen anderen Ausweg als die Hausthür, Gräbert! Hüten Sie sich, wenn es sich anders zeigt!«
»Bei meiner Seele Seligkeit,« schwor die zahnlose Alte, »ich weiß um keinen andern Ausweg.«
»Gut. Hat die Thür eine Klingel?« fragte er, sich wieder zu Toby wendend.
»Nein Massa! Nichts gehört von Klingkling.«
»Es wäre seltsam! wenn der Kerl gar keine Vorsichtsmaßregel angewendet hätte. Die größte Behutsamkeit ist nöthig. Wir drei schleichen nun also dicht an der Mauer entlang. Ich werde die Thür mit diesem Dietrich öffnen. Man möchte sich in solchen Situationen die Geschicklichkeit der Schufte wünschen, denen man die ungebetenen Visiten einmal vergilt, die sie ehrlichen Leuten sonst angedeihen lassen. Gelingt es mir, die Thür ohne Geräusch zu öffnen, so treten wir so schnell als möglich ein. Das Fernere müssen wir dann auf der Flur besprechen. Die Beschreibung des Terrains durch Mosje Toby ist zu mangelhaft, als daß ich schon jetzt einen bestimmten Plan fassen könnte. Das Wichtigste ist, den Aufgang zu ermöglichen. Folgen Sie mir!«
Sie gingen. Toby blieb bei der Alten zurück, die in der Nähe des schwarzen Mannes vor Furcht zitterte.
Die Thür hatte sich ohne Geräusch öffnen lassen. Das Glück schien den Ueberfall zu begünstigen. Auf der Flur herrschte ein mattes Zwielicht. Die Lücke stand offen. Im oberen Raum war und blieb Alles still. Der Polizist, welcher diese Expedition leitete, fand alsbald die Leiter, die nicht aufgezogen war. Alles dies bestätigte die Aussage der Alten, nach welcher Fischering vor kaum einer halben Stunde in's Vorderhaus gekommen war, um sich von der Mutter Gräbert eine Flasche Rum holen zu lassen, und mit derselben eiligst in seine Baracke zurückgekehrt sei. In der Eile hatte er die sonstigen Vorsichtsmaßregeln, mit denen er den Zugang in die Wohnung und besonders den Aufgang erschwerte, außer Acht gelassen. Wozu aber diese Eile, die auch der Alten aufgefallen war?
Bevor man sich der Leiter näherte, winkte der Polizist den Anderen, jedes Geräusch zu meiden. Auf den Zehen schlich er sich dann an die Wand, an die sich im oberen Raum die bewohnten Zimmer lehnten und lauschte einige Minuten in gespanntester Aufmerksamkeit.
»Ich höre sprechen,« sagte er zurückkommend zu den Gefährten. »Mir scheinen es zwei verschiedene Stimmen zu sein. Vielleicht schlagen wir zwei Giftfliegen mit einer Klappe; freilich wird auch die Affaire ein wenig bedenklicher. Vertrauen wir dem Glück, das uns bisher in so überraschender Weise begünstigt hat. Sie, Johnis, bleiben hier zurück – falls der Herr mich begleiten will.«
»Gewiß!« flüsterte Richard.
»Es ist um so besser, da Sie ja sofort die Identität des Mädchens feststellen können, welches Sie dort oben vermuthen. Der Bursch' steht längst in unserem schwarzen Buche – zuzutrauen ist ihm Alles! Ein Glück, wenn man ihn endlich einmal ertappt, bis jetzt entging er uns mit fast unglaublicher List!«
Langsam stiegen Beide die Leiter hinan. Auf jeder Stufe stand der vorangehende Polizist lauschend still. – Die Hoffnung, das liebliche Kind Gabrielens seinem Entführer zu entreißen und der Mutter zuführen zu können, stählte Richard's Brust mit jenem freudigen Muth, der einen Sieg ohne Kampf verachtet. Er freute sich der Gefahr, die hier ihm begegnen würde, und der zerfallenen Gaunerbaracke, und war entschlossen, falls Meta sich hier fände, mit seinem Herzblut selbst, wenn es sein müßte, die Aermste zu befreien. Diese innere Ungeduld, dieser vorwärts treibende Muth mochte sich mit dem langsamen Näherungsversuch des Polizisten nicht einverstanden erklären. Er konnte nicht unterlassen, seiner Verstimmung Worte zu leihen. Der gewiegte Policeimann aber antwortete mit einem leichten Lächeln und schritt nach wie vor bedächtig, lauschend, oft einhaltend, Sproße um Sproße empor.
*
»Daß Dich der Satan, Fischering, jetzt erst fühle ich wieder Leben und Wärme in den steifen Gliedern. Der Rum hat mir gut gethan. Die Luft da drunten ist nur für Strolche und derlei Zeug; unsereins muß da crepiren.«
»Armer Kerl! Noch immer blickst Du drein, als sollte die Procedur des Lebendigbegrabenwerdens nochmals an Dir vollzogen werden. Der schwarze Satan soll's büßen! Hält' ich nicht zufällig Jemand Anderes mitgebracht für mein unterirdisch Burgverließ – wer weiß, wenn's mir eingefallen wäre, die Höllenmaschine zu untersuchen. War doch oben bei den Drückern Alles in Ordnung!«
»Wie lange war ich drunten?«
»Fast zwei Mal vierundzwanzig Stunden!«
»Und ohne einen Bissen – ohne einen Schluck? Zum Teufel, dieser schwarze Hallunke soll es büßen! Als Du mich heraufschrotetest und ich wieder Sonnenlicht sah – da war mir's just, als sei ich in's Jenseits eingerückt und wunderte mich nur, daß mir kein Höllenfeuer und etlicher Schwefelqualm in die Nase kam. Meiner Seel', dacht ich, so kommt so'n armer Schnapphahn doch auch 'mal in's Himmelreich – vielleicht durch ein Versehen vom Freund Petrus, der eingenickt war. Der Petrus aber mit dem Schlüssel warst Du und dicht neben Dir lag so ein hübsches Wachsgesicht auf dem Fußboden, das besser in's Himmelreich taugt als wir zwei Beide, die Du aber schändlicher Weise für mich da drunten in Deiner feuchten Hölle einquartirt hast. Was ist's mit der Dirn?«
Fischering lehnte sich weit zurück in seinen Stuhl, schlug die Arme übereinander und blickte zweifelnd und mißtrauisch seinen Helfershelfer an.
Endlich sagte er kurzab: »die Dirn' gefällt mir! Sie muß mein sein!«
»Recht hübsche Vorbereitungen, ihre Liebe zu gewinnen, das muß ich gestehen! Durch Zwang hat man noch nie so ein störrisches, vermaledeites Weiberherz gewonnen. Das Ding schien mir noch sehr jung und unerfahren. Gäb's bei der kein ander Mittel? An Geld fehlt Dir's doch nicht und ein stattlicher Bursch bist Du auch!«
Ein leises Wimmern, wie aus einer Kellergruft, ward hörbar.
»Das klingt wie eine Liebeserklärung,« rief der rohe Bursch, der auf dem Sopha lag und hin und wieder große Züge aus der Rumflasche that. »Ich hab' da drunten lauter geschrieen, bis mir die Stimme ausging. Hört's Niemand in der Nachbarschaft?«
»Keine Menschenseele! Mein Vorgänger in dieser Baracke hat das Ding da eingerichtet! Mir hat's oft gute Dienste geleistet. Zudem ist's auch für mich selbst ein Ausgang. Lasse ich das Ding ganz herab, so steigt man in den alten Kamin auf die Flur. Dicht daneben ist der alte Winkelkeller der Mönche und durch den kann ich bis zum Keller des Mosevius laufen!«
»Ein wahrer Fuchsbau! Das Logis ist unbezahlbar! – Meine Alte wird im Haus voll Angst auf mich warten, doch ist's sicherer, ich bleibe bis zur Dunkelheit!… Wann segelt Ihr ab?«
»In drei Tagen!«
»Mit der Dirn'?«
»Gewiß! Ich kann nicht von dem hübschen Fratzen lassen. Der Teufel hat's mir angethan. Zum ersten Mal in meinem Leben! Schon als der Commerzienrath sie in den Klauen hielt, war ich versessen auf die Kleine! Sie muß mein werden! Hundert Mal des Tags sag' ich mir: es ist Tollkühnheit, ja Wahnsinn, daß ich überhaupt noch bleibe, nachdem der schwarze Teufel mir entwischt ist und die Polizei gewiß schon Anzeige hat von diesem und Jenem. – Und doch bleib' ich! Sogar die frühere Wachsamkeit und Vorsicht, der frühere Muth und die Entschlossenheit sind nicht mehr da, denn all' mein Sinnen und Trachten geht nur auf die Dirn! Mehr als ein Mal bin ich nach Haus gekommen, ohne drunten abzuschließen, weil's mir keine Ruhe ließ, bis ich das hübsche Ding gesehen! Und dann ihre Thränen, ihr stilles Wimmern, ihr Beten – o es geht mir durch Mark und Bein – aber der Teufel sitzt nun einmal in meinem Herzen. Oft möchte ich mich selbst verwünschen, daß ich sie nicht frei lasse; es drängt mich, ihr Abbitte zu thun, sie gehen zu lassen und ihr Alles was ich habe, mit auf den Weg zu geben, als Ersatz für diese Leiden – aber dann, dann kommt wieder die wilde Begier und Leidenschaft und verhöhnt solche Vorsätze und Entschlüsse als lächerliche Schwäche und Thorheit!… So kämpft es in mir, als wären zwei Gewalten in mir und zögen mich bald da bald dorthin! In den Nächten habe ich keinen Schlaf, am Tag keine Ruhe und selbst in der Flasche ist kein Trost! So ein erbärmlicher Wicht bin ich geworden, Freund Crelinger.«
»Bei'm Satan, hättest Du mir's nicht selbst gesagt und schautest dabei so ehrlich und ernst, ja trübselig darein – ich würd's nimmermehr glauben. Was aber ist dabei zu thun? Hast Du denn dem Mädel noch nicht reinen Wein eingeschenkt?«
»Oft genug hab' ich's versucht; aber mitten im Reden mußt' ich stocken, wenn sie die blauen Augen aufschlug zu mir und mich ansah – mit einem Blick! – alle Teufel, ich mag nicht daran denken!… Morgens und Abends hör' ich einen frommen Gesang – ich liege horchend auf der Diele – die Thränen kommen mir oft ins Auge dabei, ich möchte zu ihr, möchte knieend um Verzeihung bitten – und dann – dann wird der Satan wieder urplötzlich rege – ich lasse die Maschine herauf, ich lache ihres Jammers, weide mich an ihrem kläglichen Zustand – verringere von Tag zu Tag Milch und Brod – und rufe ihr höhnisch zu: daß sie schließlich Hungers sterben müsse, wenn sie mir nicht folgen wolle als mein Weib – stürze auf sie zu wie ein Thier, will sie an mich preßen und umarmen– aber der Blick, der mir durch Mark und Bein geht – der seltsame Blick – scheucht mich immer wieder zurück!… Ach es ist ein Elend – ich ertrag's nicht länger!«
»Zum Satan, Fischering, fast sollt' ich glauben, der tolle Kandidat im Paulinum habe Euch angesteckt! Das ist ja complete Raserei – meine Pflicht als Freund gebietet's, mich hier in's Mittel zu legen. Ein Ende muß gemacht werden. Ich will mit der Dirne reden! Laßt sie herauf!«
Fischering warf einen zweifelnden Blick auf den Cameraden. Endlich schien er den Vorschlag desselben doch anzunehmen. Er schritt zum Nebenzimmer, ein kräftiger Druck und mit leisem Rollen hob sich die Maschinerie empor. Ein bleiches, still weinendes Kind lag auf dem Fußboden, der sich genau einpaßte in die Oeffnung des Zimmerbodens. Abgemagert, hohläugig – ein Bild des Hungers und der Verzweiflung! Selbst der rohe, herzlose Crelinger bebte zurück.
Eine feuchte und kalte Luft war von unten her mit der Maschine in das Kabinet gekommen. Fischering öffnete vorsichtig ein Fenster. Die warme, würzige Sonnenluft schien dem Mädchen wohlzuthun. Ein leerer Milchkrug stand neben dem Kinde, ihr abgemagerter Arm hob ihn bittend zu den Männern empor. Ihre Lippen bewegten sich, doch kein hörbarer Laut kam hervor. Sie versuchte sich von dem halbverfaulten Stroh zu erheben, auf dem sie lag, da Fischering ihr einen Wink gab, als solle sie ihm in das vordere Zimmer folgen. Ein Freudenschimmer flog über das blasse, magere Gesicht. Glaubte sie, daß sich das Herz ihres Peinigers endlich einmal erweicht habe?
»Laßt sie hier!« rief Crelinger, da sich das Mädchen langsam erhob. »Du weißt, was der Mann da von Dir will,« sagte er, sich zu der Kleinen wendend, »und hast da drunten erfahren, wie's Dir ergeht, wenn Du ihm Trotz bietest! Sei gescheidt und bedenke Deine Lage. Nur zehn Minuten hast Du übrig zur Wahl! Entweder folgst Du dem da – freiwillig – und führst dann ein Leben in Glanz und Ueberfluß – oder wir lassen Dich hinab ohne Nahrung und Du mußt drunten elendiglich verhungern. An Rettung ist nicht zu denken – kein Menschenohr hört Dich hier jammern– keine Seele weiß überhaupt, daß Du hier und völlig in unserer Gewalt bist! Das bedenke!«
»Laßt – laßt,« rief Fischering. Ein warmes Mitleid offenbarte sich in den schnell hervorgestoßenen Worten. Der Blick des Mädchens hatte sich flehentlich auf ihn gerichtet, da der Fremde seine Rede beendet – und er erlag der Macht des frommen unschuldsvollen Kinderauges. Doch nur auf eine kurze Zeit! Ein höhnisches Auflachen des rohen Cumpans an seiner Seite – und das Mitleid ward durch die wieder erwachende Leidenschaft besiegt.
»Entscheide Dich!« wiederholte Crelinger.
»O mein Gott steh' mir bei!« jammerte das verzweifelnde Kind.
»Den rufst Du vergebens!« höhnte der Gauner. »Laß sehen, ob er Dir jetzt hilft!«
»Was ist das?« schrie in diesem Augenblick Fischering zusammenfahrend. »Das sind Schritte auf der Flur… man ersteigt die Leiter.
»Einbildung!« rief Crelinger. »Wer sollte uns hier überfallen. Gibt doch die alte Gräbert stets das bekannte Signal – und die Thür ist verschlossen.«
»Nein – nein, ich vergaß! Horch!«
Er sprang in das vordere Zimmer. Die Kleine lag im stillen Gebet. Crelinger sah sich nach dem Kameraden um, dessen Angst jetzt auch auf ihn überzugehen schien.
»Eben wird der Kopf des Elbert in der Lücke sichtbar,« rief Fischering, der hastig aus dem Schreibtisch ein Convolut Papiere riß. »Stell Dich auf dieses Viereck, Crelinger – wir nehmen mitsammt der Dirn den Weg durch die Kellergewölbe. Los die Schraube!«
Alles das war das Werk eines Augenblicks. Knarrend sank die Versenkung hinab in die dunkle Tiefe. Als der Polizist Elbert mit seinem Begleiter die Thür der Wohnstube gesprengt hatte und in das Nebencabinet eilte, stand er vor dem dunklen Abgrund. Ein leichter Schrei von einer Mädchenstimme tönte herauf – dann ward Alles still.
»Sie sind entwischt!« rief außer sich der Maler.
Da hallte im unteren Gemäuer ein Schuß. Ein wilder Schrei folgte. Elbert ließ die Nothpfeife ertönen und eilte mit Richard in die Flur hinab. Dicht neben dem Kamine, in der dunkelsten Ecke der Flur, sahen sie Toby und den anderen Polizisten beschäftigt, Fischering zu binden. Crelinger wälzte sich röchelnd in seinem Blut. Von dem Strohlager aber erhob sich ein weibliches Wesen in zerrissenem dürftigem Gewand, blutbesprengt, mit flatternden Haaren und eilte mit einem lauten Schrei auf Richard zu!
*