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Ich suchte lange. Ich benutzte jeden Weg, den mir meine Bekanntschaften in adligen und bürgerlichen Häusern eröffneten, ich suchte unter den Töchtern der Hautefinance wie unter den Töchtern des Landadels. Man hatte es bald erraten, das Ziel meines Strebens, und man erleichterte mir liebenswürdig, was sich erleichtern ließ. Ich war noch nicht dreißig; ich stand in einem königlichen Regimente; ich war der Vertraute des Königsneffen; Frau von Maintenon und die gute kleine Herzogin von Burgund sagten es laut, daß sie meine Braut ausstatten wollten, im Falle meine Wahl auf ein armes Mädchen fallen sollte: kurz, ich hatte alle Chancen in der Hand, und Marschälle von Frankreich öffneten mir die Türen ihrer Häuser und baten mich, unter ihren Töchtern zu wählen. Aber es ist eine schlimme Sache, unter Gebotenem zu wählen. Ich sah mit Mißtrauen und Unbehagen alle die schön geputzten Fräulein an, deren züchtig gesenkte Lider ein Wissen um die Angelegenheit zu verbergen schienen; und ich konnte mich zu keiner Wahl entschließen.
Unter denen, die mich einluden, war auch ein alter Hofkavalier, dessen Namen ich nicht nennen möchte und der ein Landhaus nicht weit von Fontainebleau bewohnte. Es war ein grimmer Geselle, rauh von Sitten, als geizig und tyrannisch verschrien, der auch in einem immerhin nicht begründeten Verdachte jansenistischer Neigungen und Beziehungen stand. Seine Gemahlin, die früh verstorben war, hatte ein Taburett innegehabt, war aber selten bei Hofe erschienen, weil der Ehemann sie knapp in Kleidern hielt und sie sich ihrer Fähnchen schämte. Seine beiden Töchter hielt er aus eben dem lästerlichen Geize von Hofe fern und auf seinem Landsitze vergraben, wo sie ihr einsames und freudloses Leben bereits weit über das Heiratsalter hinaus geschleppt hatten. Nun packte den Alten doch die Angst, die Mädchen könnten ihm sitzenbleiben, und er begann mit allen Netzen nach Schwiegersöhnen zu angeln. Dabei war er so klug, die bereits Verblühten nicht nach Paris zu bringen, wo sie durch ihr ländlich-ungeschicktes Gebaren, ihren Mangel an Talent und Bildung mehr noch als durch die Dürftigkeit ihrer Gewandung ohne Zweifel klägliche Figuren abgegeben haben würden. Er lud deshalb Kavaliere, die er aufs Korn genommen, zur Fuchsjagd nach seinem Gute ein, hielt sie dort so lange als möglich fest und gab ihnen Gelegenheit, seine Töchter in ihrem häuslichen Walten zu bewundern. Man sagte, daß die armen Dinger spinnen, nähen, scheuern und fegen mußten wie die Frauen ihrer leibeignen Bauern selbst, doch quälte der grausame Vater sie hierin wahrlich umsonst. Die Zeit war vorbei, wo ein Edelmann in Frankreich durch solche Tugenden gefesselt ward, und es wäre besser gewesen für die armen Verlassenen, wären sie ärmer an Sitte und reicher an Reiz gewesen. Auch ich dachte nicht daran, mir ein Scheuermädchen zum Weibe zu nehmen, und folgte der Einladung des Alten erst dann, als ich vergeblich alle Vorwände höflicher Ablehnung erschöpft hatte, und dann noch mit unverhohlener Uebellaune, an welcher der dickhäutige Vater indes keinen Anstoß nahm.
Ich fand ein Haus, das deutliche Spuren des Verfalles trug; einen Park, in welchem die Füchse hausten; ein Dorf, dessen Strohdächer struppiger und löchriger, dessen Bewohner schmutziger und verkommener aussahen als irgendwo im Bannkreise von Paris. Das Mahl, das immerhin in gutem Silber serviert war, mundete mir indes, und ich gönnte dem Alten die Gelegenheit, die er auch feurig ergriff, die Kochkunst seiner Töchter zu loben. Von diesen aber wurde nur die eine, jüngere sichtbar. Es war ein hageres Mädchen von fünfundzwanzig Jahren mit einem angenehmen, aber durchaus nicht hübschen Gesichte, allem Anscheine nach verschüchtert und mißhandelt, befangen in Worten, linkisch an Gebärde und in einen fürchterlichen Putz gehüllt, in welchem sich die Moden dreier Jahrzehnte gegenseitig zu verhöhnen schienen. Sie trug noch die Fontange, und der mächtige Turmbau dieser Coiffüre, das straff nach oben gezogene Haar erschienen mir so abstoßend, daß ich nur mit Mühe mir gegenwärtig halten konnte, wie sehr ich dieselben Linien noch vor kaum zwei Jahren an den ersten Schönheiten des Hofes bewundert hatte.
Gefragt, wo ihre Schwester bliebe, antwortete die unglückliche Landschöne in offenbarer Verlegenheit, sie wisse es nicht. Olympia habe bereits des Morgens das Haus verlassen und gebeten, sie bei dem Gaste durch notwendige Gänge in Dorf und Meierei zu entschuldigen. Der Alte schmälte: er kenne diese notwendigen Gänge und er werde Maßregeln ergreifen, daß diese in Zukunft zu andrer Zeit geschähen. Die jüngere Schwester entfernte sich mit einem geängstigten Gesichte. Ich aber dachte lächelnd über den Namen Olympia nach, den eine der anmutigsten Frauen ihrer Zeit einst getragen, und wie derselbe an der vierschrötigen und grobbeschuhten Gestalt dieser im Meierhof schaltenden Jungfrau sich wohl ausnehmen möchte.
Mit Jagd, die ergiebig genug war, und Mahlzeiten, die schmackhaft genug waren, vergingen zwei Tage, ohne daß besagte Olympia ihr Gesicht, auf das ich doch ein wenig neugierig war, gezeigt hätte. Der Alte fluchte und drohte, die jüngere Tochter hatte verweinte Augen, ein Geheimnis schien unverkennbar in dieser Sache zu stecken. Ich faßte mir ein Herz, lauerte meiner hochfrisierten Wirtin an irgendeiner Ecke des Korridors auf und fragte sie rundweg, was es mit dem Verschwinden der Olympia denn für eine Bewandtnis habe.
Sie wurde flammendrot, dann schossen ihr die Tränen in die ohnehin schon entzündeten Augen. Stockend und lange nach Worten suchend, brachte sie endlich das Geständnis heraus, daß jene unbegreifliche Olympia seit mehr als einem Jahre sich regelmäßig aus dem Staube zu machen pflege, wenn der Vater einen Gast ins Haus bringe, obgleich sie bei ihrem Wiederauftauchen mit Schlägen und rohen Mißhandlungen aller Art empfangen würde. Ich fühlte ein plötzliches Mitleid mit diesen beiden Mädchen, ohne selbst noch zu wissen warum. Törichterweise fragte ich nun, warum denn der Vater diese Abwesenheit so streng ahnde, da doch an Mahl und Bewirtung offenbar nichts dadurch zu kurz komme. Aber da weinte meine Berichterstatterin so herzbrechend, daß sie überhaupt kein Wort weiter über die Lippen brachte und ich sie in Verwirrung und Ratlosigkeit verließ.
Ich konnte mir nun wohl denken, daß die armen Mädchen unter dem schamlosen Feilbieten ihrer Person litten, und eine gewisse Achtung regte sich in mir vor jener Unbekannten, die Schläge lieber ertrug als die fortgesetzte Schmach der erfolglosen Brautschau. Nun brannte ich darauf, sie kennen zu lernen, und der Name Olympia schien mir bereits nicht mehr so übel gewählt. Ich erfuhr noch am gleichen Tage durch vorsichtiges Ausfragen der Diener, wo der erwähnte Meierhof lag; am folgenden Morgen ließ ich Fuchs und Meute im Stich, drückte mich durch die Büsche, ließ mir im Rücken das Horn des Alten in allen erdenklichen Signalen nach mir rufen und suchte die Olympia.
Ich hatte nur etwa eine halbe Stunde durch lichten Wald zu reiten, um jenen Meierhof zu erreichen, der inmitten einer freundlichen Grasmulde lag, winterlich geschlossen, und Leben nur durch den dünnen Rauch seines Schornsteins verratend. Einzig an dem Bächlein, das die Wiese durchschnitt, lagerte eine Gänseschar, die ich auf den ersten Blick indes kaum von den weißen Flecken unterscheiden konnte, die der frühe Schnee ringsum auf der gelblichen Fläche zurückgelassen. Jenseits der Wiese schloß wieder Wald das Tälchen ab, eine hohe Mauer bronzefarbiger und kupferroter Baumkronen, ein Geflecht kahlen Geästes, das blaugrau oder dunkelviolett aussah und hinter welchem ein sonnendurchgoldeter Nebelschleier hing, und da, wo das sumpfige Sträßlein in den Wald hineinschnitt, eine schwärzliche Tiefe, ein Tor voller Mysterien und allerheimlichster Wunder. Ich hielt auf meiner Seite des Waldrandes zwischen den Stämmen mein Pferd an und überblickte die ganze liebliche Mulde, in Gedanken die Olympia suchend, die vielleicht als Gänsehirtin unter den Weiden des Baches saß.
Sie erschien mir denn auch und ziemlich so, wie ich sie mir gedacht hatte. Denn ich war noch keine fünf Minuten gestanden, so sah ich um die Ecke des Gebäudes eine Frauengestalt kommen, hoch, gleichfalls hager, wie die Schwester es war, aber in allerschlichtester Kleidung und ohne Kopfputz, nur ein braunes Tuch zigeunerhaft um das Haar geknotet. Sie trug einen Eimer in der Hand, der ihrer Haltung nach tüchtig schwer sein mußte; und alsbald sah ich auch, was es war. Mir waren bereits vorher die stark aus dem Mörtel gelösten Fensterrahmen des Wohnhauses aufgefallen, dessen Mauern, aus schlechtem Lehm und Gesteinsbrocken aufgeführt, den herbstlichen Regengüssen nicht standgehalten hatten: nun ging das Frauenbild hin, zog eine Maurerkelle aus dem Eimer und begann mit hurtigem Anwurf die Löcher rings um die Fensterläden zu verputzen. Dabei lief sie bald, nach Steinen und Ziegelbrocken zu suchen, die sie kundig in allzu klaffende Tiefen schob, die dickflüssige Mörtelmasse damit verstauend und befestigend. Ihre Bewegungen waren rasch und leicht, obschon eher knabenhaft und von kaum verhaltener Kraft zeugend; wenn sie mir das Gesicht zuwandte, so sah ich leuchtende Farben, ohne indes Schnitt oder Ausdruck unterscheiden zu können; und als einmal im Eifer des Schaffens ihr beweglicher Kopf das braune Tuch abschüttelte, glänzte schwarzes Haar in Fülle und schöner Ordnung darunter hervor. Freilich sah die ganze Erscheinung wenigstens von ferne einer Pächterstochter ähnlicher als einem adligen Fräulein, doch sagte mir ein gewisses Gefühl, daß diese resolute Maurerin die gesuchte Olympia sein mußte, und ich machte mich daran, meinen vorbedachten Kriegsplan auszuführen.
Ich ritt aus dem Walde heraus und den sanft niedersteigenden Wiesenhang hinab. Da ich aber plötzlich ein dunkles Widerstreben empfand, von der Höhe meines Pferdes herunter mit diesem respektabeln Frauenwesen zu verkehren, so sprang ich ab, führte mein Tier am Zügel und näherte mich zu Fuße bis auf wenige Schritte, da der weiche Grasboden ein lautloses Heranschleichen ermöglichte. Wie sie sich nun aber wandte, um ein paar Steine aufzulesen, erblickte sie mich wohl, schien jedoch weiter nicht auf mich achten zu wollen, sondern fuhr ruhig in ihrer Arbeit fort, recht wie eine fleißige und sittsame Magd. Ich rief sie an und bat sie, mir den Weg nach dem Herrenhause zu weisen, da ich mich auf der Jagd von meinen Genossen getrennt und die Richtung verloren hätte. Sie gab freundlich Bescheid, und da ich mich dumm stellte und wiederholt fragte, so hatte ich dabei die schönste Gelegenheit, ihr durchaus häßliches, aber kluges und rassiges Gesicht zu betrachten. Sie war dunkel wie eine Italienerin, aber die Wangen von so prächtigem Rot, die Zähne so weiß, die Augen so schwarz, das Lächeln so frei und echt, eine solche Sättigung von Kraft, Gesundheit und Frohsinn in dem ganzen etwas derben Wesen, daß sie sofort und ganz gewinnen mußte. Ich freute mich, sie ihrer larmoyanten Schwester so unähnlich zu finden. Dabei erschien sie obendrein noch weit jünger als jene, obgleich sie nach Berechnung mindestens achtundzwanzig Jahre zählte; so siegreich leuchtete in ihr die Jugend des Gemütes.
Ich begann nun Offiziersallüren herauszukehren und mit ihr zu scherzen, indem ich tat, als hielte ich sie für ein Pächterskind, als welches sie auch erscheinen wollte. Die Schlaue ging ohne Verlegenheit auf mein Spiel ein, gab schalkhafte und gar nicht witzlose Antworten und ahmte die anmutig-kecke Art einer koketten Bauerndirne so täuschend nach, daß ich nun doch wieder stutzig wurde und mich fragte, ob es denn wirklich die Olympia sei oder ob ich da am Ende an eine Falsche geraten wäre. Ich frug sie nach ihrem Namen und sie log frischweg und nannte sich Marion. Nun ward ich noch unsicherer und beschloß, der geheimnisvollen Erscheinung mit einem brutalen Angriffe auf den Leib zu rücken. Ich sagte daher zu ihr: »Meine lustige Marion, ich fürchte, ich werde den Weg nach dem Herrenhause, den du mir eben gezeigt hast, wieder vergessen. Denn es gefällt mir hier bei dir weit besser als bei dem mürrischen, zänkischen Alten und seiner weinerlichen Tochter. Willst du mir erlauben, daß ich dein Handlanger sei?« Damit hatte ich auch schon die Zügel meines Pferdes über den Sattel gezogen und bückte mich nach einigen Steinen von der Größe, wie sie sie brauchte; denn sie hatte über all dem Plaudern ihre Arbeit keinen Augenblick unterbrochen.
Sie nahm die Steine aus meiner Hand und sah mir dabei scharf in die Augen; dann, indem sie den Mörtel anwarf, fragte sie leichthin: »Ich denke, der Alte hat zwei Töchter?«
»Ich bekam nur eine zu sehen,« antwortete ich. »Und ich gestehe, ich hatte genug. Ist die zweite so heiter wie diese, so will ich zu Aschermittwoch wiederkommen und Karnevalssünden in ihrer Gesellschaft büßen.«
Ich hatte gehofft, die Marion-Olympia zu einer gereizten Zurechtweisung und damit zum Verraten ihrer Persönlichkeit zu verleiten, aber ich hatte mich verrechnet. Ganz ruhig fragte sie weiter: »Welche von den Töchtern habt Ihr denn gesehen?«
Gerne hätte ich geantwortet: die Olympia; aber dann hätte ich merken lassen, daß ich um ihre Existenz wußte, und sie hätte mich flugs durchschaut. Ich bändigte daher meinen Uebermut und erwiderte wahrheitsgemäß: »Die Jüngere.«
»Die geht noch an,« berichtete mir die Maurerin, indem sie mit Eifer den Mörtel rührte. »Aber die Aeltere, die ist eine Megäre und Betschwester obendrein. Es ist gut, wenn sie sich verborgen hält!« Und sie schnitt eine Grimasse, die allerhand andeuten konnte. Fast hätte ich laut herausgelacht vor Lust über die Kurzweil, die sich mir da eröffnete; denn plötzlich fühlte ich mich wieder sicher, daß wirklich die Olympia und keine andre da vor mir stand und sich selbst so allerliebst verleumdete; wenn ich auch durchaus nicht hätte sagen können, woher mir diese Gewißheit kam. Ich war aber sofort bereit, in diesem fröhlichen Kriege die gleichen Waffen zu gebrauchen wie das tolle Edelfräulein, deshalb antwortete ich trocken, indem ich mich nach Steinen bückte, um mein Lachen zu verbergen: »So hat man mir bereits erzählt. Und daher ist wohl auch die jüngere Schwester so verängstigt und scheu?«
Jetzt machte die kecke unbekannte doch eine sehr schnelle Wendung. Wenn sie auch selbst sich unbekümmert preisgab in dem sicheren Gefühle, jeden Augenblick die Maske wieder ändern oder gar lüften zu können, so mußte es ihr doch zu denken geben, daß sie im Ernste für das gelten sollte, was sie im Scherze darzustellen sich vermessen hatte; und ich glaube, die Vorstellung war ihr keine liebliche. Aber auch ich erschrak gleich nach meinen eignen Worten, denn ich sagte mir, daß sie nun ohne Zweifel die ganze Fopperei durchschaut haben müsse und daß der Spaß nun zu Ende sei. Aber keineswegs! Entweder dachte sie nicht weiter über die Möglichkeit nach, in so bösem Rufe zu stehen, oder sie nahm eine solche in Wahrheit an, denn sie antwortete nichts, betrachtete eingehend ihre Arbeit und überfiel mich endlich mit der im derbsten Patois herausgestoßenen Frage, ob ich ein Freier sei.
»Wieso?« platzte ich heraus, und sie erwiderte mit gleich gut gespielter Einfalt, zu anderm Zwecke als zur Brautschau käme ja wohl ein Mann nicht in ein Haus, wo Töchter seien. Auch sei ich im rechten Alter dafür und sähe gewaltig heiratslustig aus. Ich gab lachend zu, daß sie recht geraten habe, jedoch hätte ich die Wahl noch offen und würde irgendeinem nützlichen Winke von ihrer Seite gerne zugänglich sein, da sie offenbar die Fräulein besser kenne als ich. Nur Frauen können Frauen richtig beurteilen, fügte ich hinzu, und besonders in Erwägung zu ziehen sei stets die Meinung Untergebener, denn nach obenhin zeige jedermann seine bessere Seite. Nun habe mich aber ihr Wort bereits um allen Mut gebracht, denn eine Betschwester und einen Eheteufel wolle ich so wenig freien wie das wandelnde Tränenkrüglein, das ich gesehen hatte. So sei die Freite für mich wohl abgetan, und ich könnte nichts Besseres tun, als meiner Wege ziehen. Es gäbe ja Mädchen genug auf der weiten Welt, und ein Edelfräulein müsse es ja auch nicht gerade sein. Bei dieser Schlußwendung lächelte ich ihr zu und suchte ihre Augen mit einem gewissen bedeutsamen Blicke, den sie verstehen mußte. Sie aber tat, als läge ihr jeder Gedanke an sich selbst himmelfern, und schaute mich so kühl und nachdenklich forschend an, als überlege sie eben wirklich mein Schicksal und ihren Anteil daran mit nicht größerer Emotion, aber ebenso gewissenhaft, wie sie etwa überlegen würde, ob man heute Leinwand auf die Bleiche tragen könne oder nicht. Endlich sagte sie denn auch sehr ernsthaft und sachlich:
»Wenn ich meine Meinung aussprechen darf: mich dünkt, Ihr seid zu rasch! Ich würde Euch raten, jene jüngere Schwester besser kennen zu lernen. Ist sie heiter und gutgekleidet, so nimmt sie es wohl noch mit mancher andern an Reiz auf, und wäre sie nur erst einmal aus jenem Hause, so würde sie gewiß erblühen wie eine Rose. Obendrein ist sie gut, fleißig und von demütigem Sinne, so daß ein Mann sich von ihr keines Uebels zu versehen braucht.«
»Ich finde ›kein Uebel‹ zu karg, meine Beste,« erwiderte ich. »Freilich glaube ich, daß du ganz recht hast und daß die verdonnerte Jungfrau ein ganz zahmes und fügsames Eheweib wäre. Aber kommt mir kein Uebel, so kommt mir auch sicherlich kein Holdes von ihr, soviel habe ich schon gesehen. Fast fände ich es noch kurzweiliger, den Kampf mit der bösen Schwester aufzunehmen, da solche Weiber, wenn man sie einmal gebändigt hat, oft wundersame Verwandlungen zeigen. Was meinst du, wenn ich mich an sie machte?«
»Nur das nicht!« rief Marion-Olympia schnell. »An der ist nichts mehr zu verwandeln. Sie ist spitznasig und grün von Angesicht und läuft den ganzen Tag mit einem Rosenkranze umher, den sie murmelnd abbetet. Kreuzt jemand zur Unzeit ihren Weg, oder ärgert sie das Gesinde, so schlägt sie mit dem Rosenkranze zu, und dann flucht sie, weil sie ihre Kügelchen verzählt hat und nun ihre Ave-Marias von vorne beginnen muß. Dabei ist sie zahnlos und hat eine keifende Stimme. Ich glaube nicht, daß da viel Soldes herauszuholen wäre, selbst wenn Ihr sie noch so gründlich bändigt.«
Jetzt wurde ich aber doch irre. War es möglich, ein solches Charakterbild aus freier Erfindung zu zeichnen? Und hätte es irgendeinen Zweck, sich selbst so zu schänden – wenn anders diese flinkzüngige Porträtistin wirklich die Olympia war? Ich begann ernstlich zu glauben, daß ich die ganze Zeit her wirklich unter einer falschen Vorstellung gestanden hatte und daß die Frau vor mir wirklich Marion hieße und eine Pächterstochter sei. Da ich nun aber Ton und Taktik nicht sofort ändern konnte, so fuhr ich in nichtssagenden Schäkerreden fort und drohte scherzend, dem Schloßfräulein die schmeichelhafte Kritik ihrer Leibeigenen zu verraten, wenn Marion nicht mein Schweigen durch einen annehmbaren Preis erkaufe. Sie schien nicht erschrocken, trat aber lächelnd vor mir zurück und hielt die Maurerkelle zur Abwehr mir entgegen.
»Ich will nicht sagen, daß ich den Handel nicht akzeptiere,« beschied sie mich mit einem durchaus fröhlichen Ausdrucke, »denn ich fürchte mich sehr vor Fräulein Olympia und ihrem Rosenkranze. Aber ich bin nicht die Törin, den Preis zu zahlen, ehe die Arbeit getan ist. Bewahrt Euer Schweigen, Herr Kavalier, solange Ihr auf dem Edelhofe seid, und am letzten Tage kommt und holt Euch Euern Lohn. Habt Ihr ihn redlich verdient, so soll er redlich bezahlt werden.« Sie sah mich bei diesen Worten ohne jede Scheu und so überlegen und siegreich an, daß ich mit einem ebenso plötzlichen Rucke wie eben zuvor wieder der gegenteiligen Ansicht zugestoßen wurde und mir sagte, nimmermehr könne dies eine Bauerndirne und Unfreie sein. Natürlich ging ich den vorgeschlagenen Vertrag ein, denn ich war durchaus willens, das rätselhafte Frauenbild wiederzusehen, und freute mich, daß sie mir selbst die Gelegenheit dazu zeigte. Für diesmal aber verabschiedete ich mich von ihr und ritt sinnend durch den winterbraunen Wald davon, indem ich mir Wort um Wort und Zug um Zug noch einmal gegenwärtig hielt und ernsthaft jeden einzelnen prüfte, ob er einer Olympia oder einer Marion zugehören könne. Ich wurde aber nicht klug, vielmehr immer verwirrter, und hätte mich wohl redlich geärgert, wenn ich nicht gewußt hätte, daß die Lösung der Frage nahe zur Hand lag und daß ich noch vor Abend erfahren konnte, ob eine Olympia oder eine Marion mich da in dem hübschen Wiesentälchen zum besten gehabt.