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Da sitzt der Wadeleswirt am Gartenfenster im Stüble, er hat den Ellbogen auf den Sims gestemmt und den Kopf in die Hand gestützt; nach seiner Gewohnheit hat er die Füße hinter die vordern Stuhlbeine geschlagen, als wollte er da festwurzeln; denn wo er einmal sitzt, da braucht's fast eine Wagenwinde, um ihn wieder in die Höhe zu schroten.
Freilich sitzt er nicht mehr da, es tut ihm schon lang kein Finger mehr weh, seinerzeit aber haben seine Finger manchem weh getan; die Rede ging, wo der Wadeleswirt einen an den Kopf trifft, da wächst kein Haar mehr nach, darum versetzte er auch aus Barmherzigkeit seine Schläge ins Genick, da gibt's auch kein Blut und tut doch wacker weh. – War der Wadeleswirt so ein Raufbold? Ihr werdet ihn schon kennen lernen, daß er ein Mensch war, so lammfromm und gutmütig wie nur einer; das hindert aber nicht, daß man zu guter Stunde einem, der's begehrt, gesalzene Faustknöpfle austeilt: kurzum, der Wadeleswirt war, wie man's nimmt, ein absonderlicher Mensch oder auch nicht. Eigentlich hieß er nicht »Wadeleswirt«, sondern »Lindenwirt«, wozu er durch die Linde vor dem Hause und auf dem Schilde das klarste Recht hatte. Jener Name aber – ja das ist eine schlimme Sache, man redet nicht gern davon, es schickt sich nicht, und doch ist das, worauf es sich stützt, nichts Geheimes, man macht dort, wo der Mann her ist, gar kein Hehl daraus, also: vom innern Kniegelenke bis gegen die Knöchel – rund heraus, die Wade war beim Lindenwirt tapfer bestellt, und darum wurde er so genannt.
Jetzt können wir uns schon ruhiger beim Wadeleswirt niederlassen, wir müssen aber damit eilen, denn es gibt bald großen Hallo im Hause und im ganzen Dorfe und alles durch einen einzigen Menschen oder zwei.
Der Wadeleswirt sitzt also still da und läßt seine Gedanken um sich her schwirren wie die Fliegen, die summend die Stube durchschwärmen. Freilich hat man nicht viel Gedanken, wenn man so müde ist und wie der Wadeleswirt eben vom Feld heim kommt, wo man einen Wagen Heu aufgeladen; da tut's wohl, geruhig zu verschnaufen und die Gedanken, wenn man deren hat, machen zu lassen, was sie wollen. Der Katze, die auf dem äußern Fenstersims hockte und gar viel mit sich zu tun hatte, nickte er einmal zu, dann kehrte er sich um und rief:
»Lorle!« Aus der Kammer antwortete eine Stimme: »Was?«
»Ich mein, du machst's auch wie die Katz; die putzt sich, wie wenn wir Fremde bekämen.«
»Mir ist's auch so«, antwortete es von innen.
»Mach dich nur fertig, und wenn du verkühlt bist, hol mir einen Trunk (Most) aus dem Keller; ich verdurst schier.«
»Gleich, gleich«, antwortete es wieder aus der Kammer. Man hörte eine Kiste zuschlagen, dann jemand die Treppe hinablaufen und bald wieder heraufkommen, die Tür öffnete sich, da... da fiel hart am Fenster ein Schuß, ein gellender Schrei entfuhr dem Mund des Mädchens, das Glas mit dem Most lag auf dem Boden, und die Katze sprang in die Stube ganz nahe vorbei an dem Gesichte des Wadeleswirts. Dieser stand auf und fluchte, und das Mädchen war in der halbgeöffneten Tür verschwunden.
Wir aber müssen dem seltsamen Ereignis nachgehen...
Zwei junge Männer schreiten durch den Bergwald; der eine in grauer Tirolerjuppe mit grünen Schnüren, groß und breitbrustig, mit braunrotem unverschorenem Bart, einen grauen Spitzhut, breitkrempig und vielfach zerdrückt auf dem Kopfe; der andere mit bescheidener Mütze, unter der ein feingeschnittenes Gesicht mit wohlgezogenem Backenbart sichtbar wird, seine kleine Gestalt, etwas nach vorn gebeugt, mit einem zertragenen schwarzen Überrock bekleidet. Die beiden wandern wortlos dahin. Ein alter Bauer trägt ihnen zwei Ränzchen, eine Zither, einen Malerstuhl und eine Flinte nach. Jetzt treten sie aus dem Walde, und im Tale vor ihnen zieht sich ein langes Dorf hin, wie man sagt: nur auf einer Seite gebacken, denn die Häuser stehen längs des Baches, der murrend und wildrauschend über und zwischen Felsen wegrollt; ein Steg führt über den Bach, wo jenseits auf einsamem Hügel die Kirche steht.
»Da hast du's, das ist Weißenbach«, sagte der Große mit klangvoller Bruststimme.
»Ille terrarum mihi praeter omnes angulus ridet«, sagte der Kleine, in dessen schwarzem Gewande wir mit Recht einen abgetragenen Schulrock vermutet haben.
»Laß deinen Horaz«, erwiderte der Große, dem wir ohne Scheu den Malerstuhl zuerkennen dürfen.
»Gern«, versetzte der Kleine und sich umschauend fuhr er lächelnd fort: »Ite, missa est, ihr Bücher sollt mir nicht zwischen die Beine laufen in der freien Natur, still! Bruder, das solltest du malen, oder ich will ein Märchen schreiben, wie das Steckenpferd des Autors, das in jedem Buche aufgezäumt an die Krippe gebunden ist, lebendig wird und mit dem Buch davonjagt; es müßte herrlich sein, wenn so ein Rudel Bücher, so eine ganze Bibliothek da den Berg hinunterritte, hussa! hussa! Ich will das Märchen schreiben.« –
»Du tust's doch nicht, du speist dir immer in die Hände und greifst nie zu.«
»Leider hast du Recht, aber hier will ich frisches Leben holen. Sieh, wie das Dorf hier so friedlich im Mittagsschlummer daliegt, als wär's ein großes Wasserungeheuer, das sich am Ufer sonnt; die Strohdächer sind wie große Schuppen. Sieh dort die Kirche! Ich liebe die Kirchen auf den Bergen, sie gehören nicht mitten in den Häusertrödel. Auf diesen Felsen will ich meine Kirche erbauen – das ist schön! Auch leiblich sollen die Menschen aufsteigen, sich erheben zur geistigen Erhebung. Wie diese Kirche hier jenseits des Steges auf dem Berge steht, ist sie die wahrhaft transzendente, supranaturalistische.«
Nach einer Pause fuhr er fort: »Hörst du die Hunde bellen und die kapitolinischen Wächter schnattern? Hörst du die Kinder dort jauchzen? Die guten Kinder! Sie ahnen nicht, daß du kommst, ihre Jugend im Bilde zu verewigen. Schon Virgil sagt sehr schön: ›O fortunatos nimium, sua si bona norint, agricolas.‹ Das Volk ist doch wie die stille Natur, es weiß nichts von der Schönheit seines Lebens, es ist vegetabilisches Dasein, und wir kommen, die Geistesfürsten, und verwenden ihre gebundene Welt zu freien Gedanken und Bildern.«
»Und wer weiß«, erwiderte der Große endlich, »Wie der Weltgeist uns verwendet, zu welchen Gedanken und Bildern wir ihm dienen.«
»Du bist frommer, als du glaubst, das ist ein großer Gedanke«, entgegnete der Gelehrte, und der Maler fuhr auf:
»Numero A 1. Gib doch nicht gleich allem, was man sagt, ein Schulzeugnis.«
Die beiden schwiegen. Der Maler, der seinen Kameraden doch zu hart angelassen zu haben glaubte, faßte seine Hand und sagte: »Hier bleiben wir nun, schüttle allen Schulstaub von dir, wie du dir's vorgenommen, denk nichts und will nichts, und du wirst alles haben.«
Der Kleine erwiderte den Händedruck mit einem unendlich sanften Blicke, und der Maler fuhr fort: »Ich muß dir den Mann schildern, bei dem wir bleiben. –
»Nein, tu's nicht, laß mich ihn selber finden«, unterbrach ihn der Kleine.
»Auch gut.«
Als sie sich jetzt dem Dorfe näherten, schlug der Maler den Fußweg ein, der hinter den Häusern herläuft; der Kleine bemerkte: »Es liegt ein tiefes Gesetz darin, daß die Naturstraßen nirgends gradlinig sind; der Bach hat einen undulierenden, einen wellenförmigen Weg, und die Straßen von Dorf zu Dorf ziehen sich selbst durch die Ebene in Schwingungen dahin. Die Philosophie der Geschichte kann davon lernen, daß Natur und Menschheit sich nicht nach der logischen Linie bewegen.«
»Bei den Straßen hat das einen einfachen Grund«, bemerkte der Maler, »ein Gefährt geht viel leichter, wenn es durch eine Biegung wieder einen Schwung bekommt; bei einem schnurgeraden Wege liegt auch das Pferd zu gleichmäßig und ermüdend im Geschirr. Das ist Fuhrmannsphilosophie.«
Mit diesen Worten waren die beiden in einen Baumgarten getreten; der Maler nahm dem Bauer die Flinte ab und schoß damit in die Luft, daß es weithin widerhallte, dann schrie er »Juhu!«, sprang die Treppe hinauf und hinein in die Stube.
Da sind wir also wieder beim Wadeleswirt, in dem Augenblick, da die Katze ihm am Gesicht vorbeigesprungen und das Glas Most auf den Boden gefallen war. Der Wirt steht da, hat beide Fäuste geballt und flucht:
»Kreuzmillionenheideguguk, was ist denn das? Was gibt's ins –«
»Ich bin's«, rief der Maler, die Hand zum Willkomm ausstreckend.
Die Faust des Wirtes entballte sich, und er rief: »Wa... Was? Ja, bigott, er ist's; ei Herr Reinhard, sind Ihr auch wieder ause gelaufen? Zum Besuch gekommen, sonst nur von ganz nahen Nachbarn gebräuchlich. Das ist ein fremder Besuch, da sollt man ja den Ofen einschlagen. Eine gewöhnliche Redensart, wenn ein unerwarteter Freund kömmt. «
»Weil's Sommer ist, alter Kastenverwalter«, erwiderte der Begrüßte, indem er derb die Hand des Wadeleswirts schüttelte, der jetzt fragte:
»Seid Ihr's gewesen, der im Garten geschossen hat?«
»Nein, nicht ich, da mein Weib«, sagte der Maler, die Flinte aufhebend, »kann das Maul nicht halten.«
»Ihr seid noch allfort der Alte, aber der Mann muß fürs Weib bezahlen; es kostet Straf, wenn man schießt.«
»Weiß wohl, ich bezahl's gern.«
Reinhard stellte nun seinen Freund, den Bibliothekskollaborator Reihenmaier vor.
»Reihenmaier«, sagte der Wadeleswirt, »so haben wir hier auch ein Geschlecht.«
Der Kollaborator erwiderte lächelnd:
»Es können weitläufige Verwandte von mir sein, ich stamme auch von Bauern ab.«
»Wir stammen alle von Bauern ab«, sagte der Wadeleswirt, »der Erzvater Adam ist seines Zeichens ein Bauer gewesen.«
»Wo ist denn Eure Eva, alter Adam?« frug Reinhard.
»Sie kommt gleich mit dem Heuwagen, ich bin dieweil voraus. Lorle! Lorle! Wo bist?«
»Da«, antwortete eine Stimme von unten.
»Mach hurtig die Scheuer auf, daß sie mit dem Wagen gleich rein können, es wird einen Regen geben, und komm hernach rauf.«
»Die Grundel? Ich bin begierig, die Grundel wieder zu sehen«, sagte Reinhard; der Wadeleswirt erwiderte schelmisch lächelnd und mit dem Finger drohend:
»Oha, Mannle! Das ist kein Grundel mehr, das kann sich sehen lassen, es ist ein lebfrisches Mädle; bigott, aber Ihr könnet Euch nicht sehen lassen, man meint, Ihr wäret ein alter Hauensteiner Salpeterer, Ihr habt ja einen ganzen Wald im Gesicht, Rottannen und Blutbuchen, was kostet das Klafter? Saget einmal, lassen denn die Kesselflicker und Scherenschleifer in den Kanzleien so einen Bart ungerupft und ungeschoren? Machen sie's ihm nicht auch wie den Büchern und den Zeitungen –«
»Mann! Um Gottes willen, Mann!« unterbrach ihn Reinhard, »kommt Ihr jetzt auch mit diesen Geschichten an? Hat man denn nirgends mehr Ruhe vor der verdammten Politik?«
»Ja gucket, das geht einmal nimmer anders, wir dummen Bauern sind jetzt halt auch einmal so dumm und fragen darnach, wo unsere Steuern hinkommen, für was unsere Buben solang Soldaten sein müssen und –«
»Weiß schon, weiß schon alles«, beteuerte Reinhard.
Der Kollaborator aber faßte die Hand des Wirts, klopfte ihm auf die Schulter und sagte:
»Ihr seid ein ganzer Mann, ein Bürger der Zukunft.«
Der Wadeleswirt schüttelte sich, hob beide Achseln, schaute den Kollaborator mit gerunzelter Stirne an und sagte dann, indem er lächelnd nickte:
»Einen schönen Gruß, und ich ließ mich schön bedanken.«
Der Kollaborator wußte nicht, was das bedeuten soll. Es gab aber nicht lange Bedenkzeit, man vernahm Peitschenknallen auf der Straße, der Wadeleswirt ging nach der »Laube«, dem bedeckten Söller, der das Haus, mit Ausnahme der Gartenseite, umschloß; die beiden Fremden folgten.
»Fahr besser hist«, rief der Wirt dem jungen Manne zu, der auf dem Sattelgaule vor dem Heuwagen saß; »noch schärfer hist, sonst kommst du nicht herein, du lernst's dein Lebtag nicht; so, so, etzt frischweg, fahr zu!«
Der Wagen war glücklich herein; freier atmend ging man wieder nach der Stube.
Der Kollaborator fragte bescheiden:
»Warum lasset Ihr denn das Scheunentor nicht weitermachen, da es doch so mühsam ist hereinzufahren?«
Der Wadeleswirt, der zum Fenster hinausgesehen hatte, kehrte sich um, dann schaute er wieder ins Freie und sprach hinaus:
»Das junge Volk braucht's nicht besser haben als wir, es soll eben auch lernen, die Augen bei sich haben und geschickt sein und wissen, was hinter ihm dreinkommt. Ich bin mehr als dreißig Jahr da hereingefahren und bin nie stecken blieben.« Jetzt wendete er sich nach der Stube und fuhr fort: »Was ist denn eigentlich Euer Geschäft, Herr Kohlebrater?«
»Ich bin Bücherverwalter.«
Nun kam die Frau, der Sohn, der Knecht und die Magd in die Stube. Alle bewillkommten Reinhard, und die Frau bemerkte, auf den Bart deutend:
»Ihr seid recht verwildert in den zwei Jahren, wo wir Euch nicht gesehen haben.«
»Unser Tambourmajor«, sagte Stephan, der Sohn, »hat auch so einen gottsjämmerlichen Bart gehabt, er hat ihn aber alle Morgen schwarz gewichst.«
»Wenn ich jung wäre, mich dürftet Ihr mit dem Bart nicht küssen«, sagte Bärbel, eine bejahrte, starkknochige Person, die als Magd im Hause diente; Martin, der Knecht, der hinter ihr stand, war ihr Sohn. Dieser hatte seine besondere Meinung, die er nun auch preisgab:
»Und ich sag, der Bart paßt ihm staatsmäßig, er sieht aus wie der heilig Joseph in der Kirch!«
»Und du wie der Mohrenprinz«, endete der Wadeleswirt; »aber wo steckt denn das Lorle? Alte, hol mir einen Trunk aus dem Keller und gib mir ein Mümpfele Käs, und dann richtest du dem Herrn Reinhard sein altes Zimmer her, und der andere fremde Herr kann auf dem Tanzboden schlafen.«
Der Wadeleswirt bekam nun doch endlich seinen Trunk; er ging lieber eine Stunde im brennenden Durst umher, ehe er die zwei Treppen hinab- und wieder hinaufstieg. Der Kollaborator setzte sich zu ihm.
Reinhard machte einen Gang durch das Dorf; alle Kinder liefen ihm nach, und einige mutvolle riefen sogar aus sicherm Versteck:
Roter Fuchs, dein Bart brennt an, Schütt ein bißle Wasser dran. |
Reinhard ging in das Haus, wo der Bader wohnte, die Kinder warteten vor der Tür, bis er wieder geschält herauskäme; als er aber mit vollem Bartschmucke wieder erschien, lachten und jubelten sie aufs neue.
Im Hause des Baders wohnte noch jemand, dem Reinhard einen Auftrag gegeben hatte, es war der Dorfschütz, der jetzt mit der Schelle herauskam. Er klingelte an allen Ecken und sprach dann laut und deutlich: »Der Maler Reinhard ist wieder ankommen mit einem großmächtigen roten Bart. Wer ihn sehen will, soll in die ›Linde‹ kommen, allda ist der Schauplatz. Eintrittspreis ist, daß jeder ein groß Maul machen und seine Zähne weisen muß, wenn er hat. Um halb neun Uhr geht die Fütterung an. Kinder sind frei.«
Ein unaufhörliches Gelächter zog durch das ganze Dorf, die Kinder folgten jubelnd und johlend dem Schütz auf dem Fuße, sie waren kaum so lang zum Schweigen zu bringen, daß man die Verkündigung hören konnte.
Als es bereits Nacht geworden und der Himmel mit schweren Regenwolken überzogen war, saß Reinhard auf der Steinbank unter der Linde vor dem Wirtshause; er lachte vor sich hin, der urplötzlichen Heiterkeit gedenkend, mit der er unversehens die Seelen aller Einwohner erfüllt hatte. Da hörte er ein verhaltenes Schluchzen in der Nähe, er stand auf und sah ein Mädchen, das nach der Scheune ging.
»Lorle?« sagte er in fragendem Tone.
»Grüß Gott«, antwortete das Mädchen, die dargebotene Hand fassend, ohne aufzuschauen und ohne die Schürze vom Gesicht zu nehmen.
»Du hast... Ihr habt ja geweint, warum denn?«
»Ich, ich... hab nicht geweint«, erwiderte das Mädchen und konnte vor schnellem Schluchzen kaum reden.
»Warum gunnet Ihr mir denn keinen Blick und sehet mich nicht an? Hab ich Euch was leids tan?«
»Mir? mir, nein.«
»Wem denn?«
»Euch.«
»Ja wieso?«
»Es gefällt mir nicht, daß Ihr Euch so zum G'spött vom ganzen Dorf machet, das ist nichts, und uns habt Ihr doch auch zum Narren; das hätten wir nicht von Euch denkt.«
»Ihr seid recht groß und stark geworden, Lorle; kommet rein in die Stub, daß ich Euch auch sehen kann.«
»Brauchet nicht jetzt noch mit mir Euern besondern Possen haben«, endete das Mädchen, raffte sich schnell zusammen und sprang davon durch das Hoftor nach der Straße.
Reinhard saß, mit zusammengekniffenen Lippen vor sich niederschauend, wieder auf der Bank. Was ihm vor einem Augenblicke noch wie ein übermütiger, aber harmloser Scherz vorgekommen war, das hatte jetzt eine ganz andere Gestalt. Von sich sah er bald ab und dachte: Das Kind hat recht, es ist ein Stück Aristokratie in diesem Scherze: wir wissen nicht, wie viel von schmählichem Hochmut in jedem von uns steckt. Ich habe das ganze Dorf zu meinem Spaß verwendet.
Der Kollaborator kam jetzt auch herab und sagte:
»Ein sonderbarer Mann, unser Wirt! Ich bin doch schon durch alle Examina gesiebt worden, aber der hört gar nicht auf mit Fragen, und dabei hat er so was Mißtrauisches.«
»Das ist's nicht«, sagte Reinhard, »die Bauern haben eine alte Regel: Wenn man mit einem fremden Löffel essen will, soll man vorher dreimal hineinhauchen, verstehst du?«
»Jawohl, das ist ein tiefsinniger Gedanke.«
»Einen schönen Gruß, und ich ließ mich schön bedanken, Herr Kohlebrater«, entgegnete Reinhard lachend.
Viele Männer und Burschen aus dem Dorfe sammelten sich, von allen ward Reinhard herzlich bewillkommt; die heitere Weise, die sie herbeigelockt, erhielt eine entsprechende Fortsetzung. Man ging nach der Stube, und Reinhard wußte den ganzen Abend allerhand schnurrige Geschichten von seinen Fahrten in Oberitalien und Tirol zu erzählen, das Gelächter wollte kein Ende nehmen. Reinhard gab sich selbst mehr zum besten, als es eigentlich seine Art war; er wollte indes ein Übriges tun, weil er sie alle zum besten gehabt hatte, wie er in gesteigerter Selbstanklage sich vorwarf. Nach und nach geriet er aber aus innerer Lustigkeit auf allerlei tolle Seltsamkeiten, denn er konnte sich, namentlich in zahlreicher Gesellschaft, wahrhaft in eine Aufregung hineinarbeiten.
Reinhard war so voll Lustigkeit unter den Menschen gewesen, und allein auf seinem Zimmer ward er verstimmt und düster; die Welt erschien ihm doch gar zu nüchtern, wenn er nicht selber sie etwas aufrüttelte.
Lorle war den ganzen Abend nicht in die Stube gekommen.
Tief in der Nacht »schlurkte« noch jemand in Klapp-Pantoffeln durch das ganze Haus und druckte an allen Türen; es war der Wadeleswirt, der nie zu Bett ging, bevor er alles von oben bis unten durchgemustert hatte.