Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band I
Berthold Auerbach

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Siebentes Capitel.

Man hatte sich in den inneren Musiksaal zurückgezogen, dessen Kuppelbau jetzt, da Alles beleuchtet war, sich fast feierlich ausnahm. Vier Balcone waren in der halben Höhe des Saales angebracht, in der Mitte stand der große Flügel, ein Rundsitz war auf einer Erhöhung. Dort thronte jetzt Bella mit der Landrichterin zur Rechten und der Oberförsterin zur Linken.

Die jungen Mädchen gingen Arm in Arm durch den Saal und Prancken geleitete sie scherzend; er trug eine Rose aus dem Kranz Lina's in der Hand.

Als jetzt Clodwig und Erich sich mit dem Major in den Kreis setzten, kamen auch die jungen Leute hinzu.

Bella fragte den Major, ob der Bau der Burg, die Herr Sonnenkamp neu herrichten lasse, fortschreite. Der Major nickte; er nickte stets mehrmals, ehe er sprach, als bestätigte er im Voraus, was er sagen wollte. Mit großer Zuversicht erklärte er, daß man einen Brunnen im Burghof finden müsse. Clodwig ersuchte ihn, ja recht behutsam jeden Fund aus dem Mittelalter oder aus der Römerzeit zu bewahren; er versprach, bald selbst einmal zu kommen und Nachgrabungen anzuordnen. Der Oberförster sagte scherzhaft:

»Herr Sonnenkamp« – Jedes nannte ihn Herr, aber in anfremdender Betonung, als ob man ihm fern sein wollte – »Herr Sonnenkamp wird sich nun wol zu seinem Namen den der restaurirten Burg beilegen.«

Bei der Erwähnung des Herrn Sonnenkamp war es, als ob ein Damm durchgebrochen wäre; von allen Seiten strömte die Unterhaltung wild einher.

»Herr Sonnenkamp hat viel Verstand,« sagte der Schuldirector, »aber Molière behauptet boshaft, der Verstand der Reichen steckt in ihrer Börse.«

Der Apotheker fügte hinzu:

»Herr Sonnenkamp liebt es, sich als hartgesottener Sünder zu zeigen, in der Hoffnung, daß man ihm das nicht glaube; aber man glaubt es ihm.«

Erich hörte die Namen Herr Sonnenkamp, Frau Ceres, Manna, Roland, Fräulein Perini, es war wie ein Zwitschern im Walde, wo die Vögel durcheinander singen und sich keine Melodie fassen läßt. Nicht ohne boshaften Blick auf Prancken sagte die Frau Landrichterin: Männer könnten eher mit solchen räthselhaften, aus der Fremde angesiedelten Menschen Umgang pflegen, Frauen müßten da zurückhaltender sein. Sie gab dann noch zu verstehen, daß alteingesessene Familien streng zuwarten, bevor sie fremde Eindringlinge aufnehmen.

Mit etwas gewaltsamem Scherz spöttelte Bella über die langen Nägel der Frau Ceres; ihre Lippen verzogen sich, als Clodwig in ruhigem Tone, aber doch mit Schärfe sagte:

»Bei den Indiern vertreten lange Nägel die Stelle des Stammbaums, und sind vielleicht ebenso gut.«

Die Gäste staunten, da Clodwig so wegwerfend vom Adel sprach. Er schien durch das Losziehen über das Haus Sonnenkamp gereizt. In ihm war nichts Unsauberes, alles Kleinliche und Gehässige war ihm zuwider, wie ein unangenehmer Geruch, wie ein greller Ton. Zu Erich gewendet sagte er:

»Der Herr Sonnenkamp, von dem die Rede, ist Besitzer von vielen Millionen. Einen solchen Reichthum zu erwerben ist immerhin eine Kraft. Ich möchte sagen: viel Geld erwerben ist eine Art Tapferkeit, Geld bewahren erfordert eine gewisse Weisheit, und Geld schön ausgeben ist eine Kunst.«

Er machte eine Pause, und da Niemand das Wort nahm, fuhr er fort:

»Ich finde, daß Reichthum ein gewisses Recht auf Ehre hat. Selbsterworbener Reichthum ist Zeugniß von Thatkraft, Umsicht. Eben so schwer, vielleicht noch schwerer als die Aufgabe, ein Fürst zu sein, erscheint mir die, ein Mann von so übermäßigem Reichthum zu sein. Da häuft sich eine Macht in dem Menschen an, die dem Charakter leicht etwas Gewaltthätiges gibt; solch ein Mann lebt in einem Dunstkreis des Allmacht-Bewußtseins und hört fast auf, eine einzelne Persönlichkeit zu sein; die ganze Welt erscheint ihm unter dem Gesichtspunkte des Kaufpreises. Haben Sie schon je einen solchen Mann kennen gelernt?«

Bevor Erich antworten konnte, fiel Prancken ein:

»Der Herr Hauptmann Dournay will Erzieher des jungen Sonnenkamp werden.«

Alle Augen richteten sich auf Erich; die Gesellschaft betrachtete ihn, als wäre er plötzlich verwandelt und in ein Bettlergewand gehüllt. Ein Mann, der in Privatdienst tritt und in einen solchen, verliert alle Würde. Die Männer schauten einander an und zuckten die Achseln, die Frauen betrachteten Erich mitleidig.

Erich blickte zur Erde. Er wußte nicht, was Prancken mit dieser überraschenden Kundgebung beabsichtigte; er glaubte etwas erwidern zu müssen, aber er konnte das rechte Wort nicht finden und schwieg.

Eine peinliche Pause war eingetreten. Clodwig hatte die Hand an die Lippen gelegt, die erblaßt waren.

»Eine solche Stellung,« sagte er endlich, »würde Ihnen zur Ehre und Herrn Sonnenkamp zu Ehre und Glück gereichen.«

Erich fühlte, wie eine breite Hand sich auf seine Schulter legte, und als er umblickte, sah er in das lächelnde Gesicht des Majors, der, mehrmals mit der linken Hand auf sein Herz deutend, endlich die Worte hervorstieß:

»Der Herr Graf hat gesagt, was ich sagen wollte; aber es ist mir lieb, daß Er es gesagt hat, und er hat's auch besser und schöner gesagt, als ich. Führen Sie Ihren Vorsatz aus, Kamerad.«

Prancken bemerkte in sehr leutseligem Ton, daß er es gewesen, der Erich veranlaßt und empfohlen habe.

Lina hatte ein Fenster geöffnet und rief jetzt mit heller Stimme:

»Das Gewitter ist vorüber!«

Ein frischer, würziger Luftstrom drang in den Saal und löste die Spannung der Gemüther; Alles athmete frei auf. Noch rieselte ein leiser Regen nieder, aber schon sangen wieder die Nachtigallen im Busch. Jetzt wurde auch in die Oberförsterin gedrungen, daß sie singe. Sie sträubte sich, aber sie konnte nicht widerstehen, da Bella, die man noch fast nie hatte spielen hören, sich erbot, sie zu begleiten.

Die Oberförsterin sang einige Lieder mit frischer und jugendlicher Stimme, so klar und einfach, daß es allen Hörern das Herz erfreute. Auch Lina sollte singen; sie betheuerte, daß sie heute nicht singen könne, aber die Mutter sah sie mit strafendem Blick an. Lina trat an das Clavier, sang einige Töne, konnte aber nicht weiter. Ganz unbefangen, als ob gar nichts geschehen wäre, rief sie:

»Nun hab' ich's gezeigt, daß ich heute nicht singen kann.«

Die Landrichterin biß die Lippe und schnaubte vor innerem Aerger, daß ihre Nasenflügel zitterten, über das alberne Mädchen, das dabei noch so that, als ob es sich passend benommen.

Die Oberförsterin sang noch ein Lied und jetzt gesellte sich Lina zu ihr und sagte, daß sie nur nicht allein, aber ein zweistimmiges Lied wol singen könne. Und in der That sang sie einen frischen Sopran, zwar noch etwas ängstlich, aber gediegen.

Mit einer Harmlosigkeit, als ob er ein alter Kamerad von ihr wäre, forderte sie nun auch Erich auf, daß er singe. Die ganze Gesellschaft vereinigte sich mit ihren Bitten, aber Erich lehnte es entschieden ab, und er schaute wieder betroffen auf, als Prancken ihm beistimmte, mit dem Zusatze:

»Der Herr Hauptmann hat Recht, daß er nicht auf Einmal seine Talente kundgeben will.«

Es war im verbindlichsten Tone gesagt, aber die boshafte Spitze war doch unverkennbar.

»Ich danke Ihnen für Ihren kameradschaftlichen Beistand,« erwiderte Erich.

Der Himmel hatte sich aufgeklärt, nur über dem Taunusgebirge wetterleuchtete es noch. Die Gesellschaft verabschiedete sich; man dankte sehr redselig für den herrlichen Tag und den genußvollen Abend. Selbst Frau Kleiderleib sprach jetzt und zeigte sich in ihrer neumodischen Capuze, dem sogenannten Baschlik, die sie sehr geschickt gelegt hatte. Als man sich eben zum Aufbruch anschickte, kam der Kreisphysicus. Er hatte im Nachbardorfe einen Krankenbesuch gemacht und war durch das Gewitter aufgehalten worden; er hatte kaum noch Zeit, den Grafen Clodwig und Bella zu begrüßen.

Bella athmete tief auf, als die Gesellschaft zur kalten Küche endlich davonfuhr.

In den verschiedenen Wagen wurde viel gesprochen, in einem aber wurde geweint, denn Lina mußte eine scharfe Strafpredigt hören, wie sie so gar kein Benehmen habe, sie sei doch nichts als die dumme Einfalt vom Lande; statt neckisch zu sein und sich geltend zu machen, benehme sie sich immer, als ob sie vor einer Stunde die Gänse gehütet hätte. Lina war an diese gewaltsamen Zurechtweisungen gewöhnt, aber heute schienen sie ihr besonders zu Herzen zu gehen. Sie war so heiterer Seele gewesen, und jetzt ward ihr die Strafrede doppelt empfindlich. Sie weinte still vor sich hin.

Der Landrichter mischte sich nicht in das Weibergezänk. Erst als er an der ausgerauchten Cigarre eine neue ansteckte, sagte er:

»Dieser redefertige Herr Dournay scheint mir ein gefährlicher Mensch.«

»Ich finde ihn sehr liebenswürdig.«

»Frauenlogik! Als ob Liebenswürdigkeit die Gefährlichkeit ausschließe und nicht vielmehr einschließe. Merkst Du denn nicht die leicht zu durchschauende Intrigue?«

»Nein!«

»So reime Folgendes zusammen: Wir treffen ihn im Kloster, wo die Tochter des unermeßlich reichen Herrn Sonnenkamp sich aufhält; er thut, als ob er Niemand kenne und von nichts wisse. Jetzt will er Erzieher des jungen Sonnenkamp werden. Ei, wie das blitzt!«

Ein langer Blitz leuchtete auf, so daß die Landschaft plötzlich aus dem Dunkel hervortrat. Vor allem leuchtete Villa Eden auf, so kenntlich in allen Formen des Gebäudes, als ob man nur wenige Schritte davon entfernt wäre.

»Sieh nur,« fuhr der Landrichter fort, »wie dieser große Bau und der Park beleuchtet ist, und Niemand weiß, was hier oben gebraut wird. Wunderliche Welt! Der Baron Prancken führt Herrn Dournay bei seinem Schwager und Schwiegervater ein wie einen Freund, und doch sind die beiden Männer, wie mir scheint, Feinde.«

Die Frau Landrichter war ärgerlich über ihren Mann. Mit ihr allein und im Hause war er so belebt und fein beobachtend, in Gesellschaft aber benahm er sich immer so einsilbig und trocken und ließ Andere glänzen.

»Wer ist der Schwiegervater?« fragte sie.

»Natürlich Herr Sonnenkamp; er soll es wenigstens sein. Das unermeßliche Geld des Herrn Sonnenkamp ist Guano für den Baron Prancken; er hat ihn nöthig; was hat er viel danach zu fragen, woher dieser Guano kommt?«

Lina warf den Schleier über ihr Angesicht und schloß die Augen. Der Landrichter fetzte nun noch ausführlich auseinander, daß weder er noch seine Frau sich in diese Sachen mengen dürften.

»Dieser Hauptmann-Doctor ist ein gefährlicher Mensch, gefährlich nach vielen Seiten hin.«

So schloß er und war nun wieder still, bis man zu Hause ankam.


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