Hermann Bahr
Die Hexe Drut
Hermann Bahr

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Einleitung.

Hermann Bahrs Leben und Werk sind reich an Wandlung, nicht minder reich an Geist, Größe und Kraft in allen Phasen dieses Wandlungsganges. Immer und überall war sein Leben Voraussetzung für sein Werk, war er ein werbender Streiter für seinen Glauben, nämlich für das, woran er glaubte und wofür er kämpfte. Wie stark muß eine Begabung sein, die niemals über den Dingen steht, sondern mitten unter ihnen, die ihrem Schaffen stets wesensnah und herzensverwandt ist, und auf dem beschwerlichen Wege des warmblütigen subjektiven Erlebens oder Erfühlens zur objektiven dichterischen Gestaltung gelangt; wie gefestigt eine Persönlichkeit, die alle diese Wandlungen innerlich rein und äußerlich heil zu überwinden und zu überstehen vermochte.

Hermann Bahrs Leben: Als Sohn schlesischer Eltern im Juli 1862 in der oberösterreichischen Donaustadt Linz geboren, in jungen Jahren vielgereist, bald als Schriftsteller und Journalist am Leben seiner Zeit rege Anteil nehmend, verbrachte er zwei Jahrzehnte in Wien, wo er vornehmlich als Dramatiker, insbesondere als Lustspieldichter, zu Erfolg und Ansehen gelangte, bis der Fünfzigjährige sich noch vor dem Kriege zunächst nach Salzburg wandte, um sich dann endgültig in München niederzulassen, wo er heute noch, fern dem literarischen Marktgetriebe, in größter Zurückgezogenheit lebt und wirkt. Seine künstlerische Wandlung führt von der Verkündung des Naturalismus über die Neuromantik, später an realistischen Anklängen vorbei, zur psychologischen und schließlich zur ethischen Dichtung, getragen von tiefem religiösen Glauben, beherrscht von bekenntnishaftem Drang nach Verinnerlichung. Die politischen Wandlungen reichen vom Sozialismus am Beginn, über anarchistische Sympathien hinweg, an nationalen und aristokratischen Bestrebungen vorbei, bis sie über den Humanismus auslaufen und münden in strenggläubigen Katholizismus, zu dem sich der geborene Katholik und spätere Freigeist im Jahre 1912 endgültig bekennt. Von diesem Leben läßt sich sagen, daß es wahrlich ein weites Feld erfaßt und durchdringt.

Hermann Bahrs Werk: Von der Herausgabe einer Wochenschrift in Wien, über Aufsätze und Flugschriften, über Gründung einer Kunstzeitschrift, über Studien und Tagebuchaufzeichnungen, zu einem der geistreichsten und tiefsinnigsten Essayisten seiner Zeit. Vom Regisseur am Deutschen Theater in Berlin und späteren Burgtheaterdirektor in Wien zu einem der erfolgreichsten und begehrtesten Bühnendichter eingangs des Jahrhunderts, dessen Komödien über fast alle deutschen Bühnen gingen und von denen hier nur »Das Konzert«, »Der Star«, »Der Krampus«, »Die gelbe Nachtigall« erwähnt seien. Ein Kenner und Könner des Theaters, stellte er vielfach Stoffe aus dem Bühnenleben in den Umkreis seiner Betrachtung und Befassung. Auch sein trefflicher Roman »Die Rahl«, der erste in der Folge des zur Lebensaufgabe gestellten großen Romanzyklus, erwählt in der Titelheldin eine große Schauspielerin zur tragenden Gestalt, um die Welt des Theaters einer nicht minder verkleideten Umwelt gesellschaftlicher Kräfte im alten Österreich entgegenzustellen.

Die vielseitige Entwicklung dieses Dichters in mannigfachen Kunstzweigen war aufzuzeigen und nachzuzeichnen, wenn auch nur flüchtig und andeutungsweise, um zu seinem Hauptwerk zu gelangen – zu dem auf zwölf Romane bemessenen Zyklus, wovon bisher die Hälfte, also sechs Romane, vorliegt – und um damit den Leser zum tieferen Verständnis des vorliegenden Romans einfühlend zu geleiten, »Drut« ist der zweite der bisher erschienenen Romane, die völlig unabhängig voneinander jeder für sich bestehen, übrigens auch in Stoffwahl, Problemstellung und Weltanschauung durchaus verschieden sind, zeitlich, räumlich, gedanklich den Wandlungen ihres Schöpfers angepaßt. Der ursprünglichen Absicht, ein zusammenfassendes Kolossalgemälde österreichischer Kultur und Sitte im Brennpunkt einer entscheidenden Epoche zu schaffen, traten äußere und innere Umstände wenig förderlich entgegen: Österreich und das darin geschilderte Zeitalter versanken aus flammender Gegenwart, die dem Dichter und seinem Werk als stärkster Antrieb diente (und darum beider Wert erhöht), in erloschene Vergangenheit; – der Dichter aber und sein Werk gelangten seither von der Schilderung einer Kultur zur Verkündigung einer Religion, die wie jeder Glaube eine innerliche Umstellung fordert (und darum beider Wert nicht mindert).

Der Roman von der Hexe Drut vermittelt in künstlerischer Vollendung ein unübertreffliches, in der Literatur unserer Tage jedenfalls unübertroffenes Kulturbild des alten Österreichs im Zeitalter des Verfalls, wie es in unser aller Gefühl heute noch nachklingt, in seinen sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhängen das gesamte Deutschland berührt. Mit unheimlicher Voraussicht wird in diesem Roman der damals bevorstehende und seither eingetretene Zusammenbruch in Gestalt einer altösterreichischen Beamtentragödie erlebt und erlitten. Ein zur herrschenden Schicht zählender Staatsbeamter, jung und hoffnungsreich, verstrickt sich durch eine reine Liebe in das tödliche Netz einer dünkelhaften, dummdreisten Staatsbürokratie, die Land und Untertan zu Tode regieren durfte. Der Untergang des Opfers, behaftet mit den Vorzügen und den Schwächen des österreichischen Menschen, der ein Spielball dunkler Mächte wird, ist vom Zauber der österreichischen Landschaft umflossen. Dahinter die meisterhafte Schilderung des edelsten Zuchtgewächses einer angefaulten Staatsgewalt: die Fratze des österreichischen Hofrats, unsterblicher Typ, der aus der Zeitgeschichte in die Weltgeschichte eingeht. »Der Hofrat«, so könnte dieser Roman vom österreichischen Leben und Sterben in leuchtenden Lettern überschrieben sein; denn er gibt Begriff und Geschmack einer Gattung, die, wenn schon nicht in Ansehung ihrer Verdienste als Totengräber einer alten Kultur, so doch um des bleibenden Wertes dieses ihres Romans wegen, den Schritt vom Lächerlichen zum Erhabenen vollzieht. Das unvergängliche Abbild dieser Gattung konnte nur ein Dichter mit einer großen Liebe im Herzen zeichnen.

»Drut« entstand im Jahre 1908 und ist 1909 erschienen, ohne daß dieser beste Roman Hermann Bahrs – ich wage zu behaupten: einer der besten und schönsten der zeitgenössischen deutschen Literatur überhaupt – bisher neu aufgelegt wurde. Darin liegt ein nicht weiter verwunderliches Symptom einer Zeit, die hinter dem Flüchtigen herjagt. Nach einer Pause von zwei Jahrzehnten, nach beinahe ebenso langer Vergessenheit, wird der Roman unter dem Titel »Die Hexe Drut« im Rahmen dieser Buchreihe, die sich ausschließlich in den Dienst lebender Dichter stellt und um die Verbreitung ihrer Meisterwerke in billigen und dabei würdigen Ausgaben bemüht ist, gleichzeitig mit dem Roman von Arthur Schnitzler, des anderen großen österreichischen Dichters, als Ergänzung der zunächst vorgesehenen Reihe deutschsprachiger Werke und in einer für Deutschland ungewöhnlich hohen Erstauflage herausgebracht. Das Wagnis besteht, das Ergebnis ist ungewiß. Doch ich hege den festen Glauben, daß allein das Gute sich auch im Schrifttum durchsetzen und früher oder später recht behalten wird.

Die »Bücher der Epoche« gehen nicht auf den schreienden Tageserfolg aus. In den bleibenden Werten, die sie vermitteln dürfen, suchen sie Geltung und Bewährung. Verlag und Herausgeber sind sich des neuartigen Versuches bewußt, ihren Nutzen an dem inneren Gewinn des Lesers aus ihren Darbietungen messen zu wollen. Dieser Gewinn wird im vertrauten Umgang mit dem vorliegenden Roman des jungen Hermann Bahr wahrlich nicht gering sein.

Berlin, im September 1929.

Lyonel Dunin.

 

Vorwort zur neuen Ausgabe.

»Den Zorn des Achill singe mir!«, fleht Homer zu Beginn der Ilias, und wenn er dann an die Odyssee geht, bittet er auch zunächst wieder die Muse: »Den Mann nenne mir, den vielgewandten!« Beidemal gesteht der Dichter also ein, daß er selbst nichts zu sagen hat, es muß ihm erst eingesagt werden, eingesagt von oben. Auch Dante versichert sich zunächst beim Eingang zu seiner »Monarchie«, keiner Dichtung, sondern einer gelehrten, einer politischen Schrift, der Hilfe von oben, er gesteht: »Arduum quippe opus et ultra vires aggredior, non tam de propria virtute confidens quam de lumine Largitoris illius, qui dat omnibus affluenter et non improperat.« Die Dichter aller Zeiten wiederholen das Zitat aus Cicero, der mit Berufung auf Demokrit und Plato verneint, »sine inflammatione animorum existere posse et sine quodam afflatu quasi furoris« – ohne Furor, ohne den Anfall einer gewissen Raserei, ohne Geistesentflammung gibt es keinen Dichter! Aber auch schon der platonische Sokrates erklärt im Phädrus alle Bemühungen des Dichters für ohnmächtig, »der bloß durch die Kunst allein, ek technes«, dichten zu können meint, dazu »Mouson mania«, ohne, wie Wieland übersetzt, »Musenwut«; denn immer, versichert Sokrates, bleibt das Gedicht »tu sophronuntos«, das Gedicht des Bewußten, weit hinter den Gedichten der »Rasenden« zurück! Und wenn William Blake einmal versichert: »Ich bin nur der Sekretär, die Autoren sind in der Ewigkeit«, so spricht er damit das Gefühl aller Schaffenden aus: diktiert wird ihnen, sie können nichts dafür, sie haben es bloß aufzunehmen und weiterzugeben; Dolmetsch ist der Künstler, ein Stromleiter, ein Draht, durch den »das Geschenk von oben« den Sterblichen zugeführt wird. Der Künstler wird selber davon ganz unversehens überfallen, es überkommt ihn, überwältigt ihn, und bevor er es noch recht weiß und sich von seinem Staunen, ja Schrecken kaum erholt, kaum wieder auf sich besonnen hat, ist er schon ergriffen; dann aber kommt es freilich noch darauf an, daß er nun aber auch zugreift, daß der Ergriffene nun selber ausgreift, nach seiner Ergriffenheit greift, um sie festzunehmen und festzuhalten. »Dreingreifen, packen ist das Wesen jeder Meisterschaft«, heißt in jenem herrlichsten Jugendbrief Goethes an Herder. Ganz Demut ist er da, mit dankbar gefalteten Händen, denn er weiß, es muß von oben kommen, selber vermag er nichts; zugleich aber taumelt seine Demut vor Stolz im Rausch des eigenen Kraftgefühles: »Über den Worten Pindars ›ἐπικρατεῖν δυνάσται‹ ist mir's aufgegangen!« So hat er nun die beiden Elemente der Kunst in seiner Empfangenes gestaltenden Hand. Er war zweiundzwanzig, als er dies schrieb, aber aus seinem dreiundachtzigsten Jahr haben wir ein Briefkonzept, worin es heißt: »Die wahre Produktionskraft liegt doch am Ende immer im Bewußtlosen, und wenn das Talent noch so gebildet ist – freilich alsdann desto besser.« Was der heiße Jüngling stürmisch ahnte, wiederholt bedächtig der erfahrene Greis. Des Menschen eigenes Inneres hat er immer als »unvollständig« erkannt. Es vermag nichts ohne die »Gabe von oben«, ohne das »unerhoffte Geschenk von oben«, es ist dabei selber nur »als ein Werkzeug einer höheren Weltregierung zu betrachten, als ein würdig befundenes Gefäß zur Annahme eines göttlichen Einflusses«. Aber freilich sind solche Werke, worin dem, was der Dichter empfängt, die gestaltende Kraft genau so zugewogen ist, daß alles Empfangene sich in Gestalt verwandelt und kein Überschuß der gestaltenden Kraft müßig zurückbleibt; solche vollkommenen Werke sind sehr selten. Das höchste Beispiel eines bloß das Diktat von oben auffangenden Gedichtes, in dem der Wille des Dichters durchaus verstummt, ja selber sozusagen gar nicht mehr vorhanden, sondern der Dichter nur noch eine Traufe für den zuströmenden Einfall ist, haben wir an Rimbauds »Bâteau ivre«, vielleicht dem schönsten Gedicht französischen Lautes. Der Dichter selber regt sich darin gar nicht, er ist zum Diktaphon geworden. In seiner Straßburger Zeit hätte Goethe sich für ein Gedicht in der Art des »Bâteau ivre« gar nicht laut genug begeistern können. Erst allmählich ward er inne, daß wenngleich »jede Form, auch die gefühlteste, etwas Unwahres hat«, Form dennoch unentbehrlich ist, denn »sie ist ein für allemal das Glas, wodurch wir die heiligen Strahlen der verbreiteten Natur an das Herz der Menschen zum Feuerblick sammeln. Aber das Glas! Wem's nicht gegeben wird, wird's nicht erjagen; es ist, wie der geheimnisvolle Stein der Alchimisten, Gefäß und Materie, Feuer und Kühlbad. So einfach, daß es vor allen Türen liegt, und so ein wunderbar Ding, daß just die Leute, die es besitzen, meist keinen Gebrauch davon machen können.« Grillparzer hat einmal gesagt; »Der rechte Dichter ist nur der, in dem seine Sachen gemacht werden.« Wenn aber dann, früher oder später, die Sachen von selbst gemacht zu werden aufhören, wenn alles »Simulieren«, wie Grillparzer diesen Zustand der Erwartung des Segens von oben zu nennen pflegte, nichts mehr hilft, dann wird der Dichter gewahr, wie gering sein eigenes Verdienst und daß er bloß ein Empfänger ist. »Meine Gottheit ist die Inspiration«, versicherte Grillparzer immer wieder, und er wurde zum mürrischen Hypochonder, als es von Inspiration in ihm nur so tröpfelte. Laube konnte nicht verstehen, warum Grillparzer jedes Gespräch über sich und seine Dichtungen abwies. Wenn er sich doch einmal darauf einließ, so sprach er, als ob er in Person mit dem Dichter Grillparzer gar nichts gemein hätte. Den Theatermann Laube befremdete das, jeder Dichter aber weiß, daß er bloß ein Gefäß der Inspiration und für diese nicht verantwortlich ist. Der Dichter hat vor den andern gar nichts voraus, als daß ihm zuweilen etwas einfällt: es fällt in ihn hinein, er kann nichts dafür, es ist nicht sein Verdienst. Er muß nur mit dem Einfall dann auch etwas anzufangen wissen, bevor Besuch der Inspiration sich wieder entfernt.

Hermann Bahr.

 


 


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